Beim Schwinden und Scheitern des Lebens – Claus Peymann inszeniert Franz Xaver Kroetz‘ „Das Ende der Paarung“ in Berlin

Von Bernd Berke

Berlin. Bert will Sibylle über ihre Depressionen hinwegtrösten: „Wir kaufen uns die schönsten Cashmere-Pullover, die man in Bonn kriegen kann. Aber vorher wird gegessen. Iss!“ Doch die Abgemagerte mag weder essen noch kaufen, denn ihre Moral lässt es nicht zu: „Die Welt macht Holocaust, und wir kaufen uns Cashmere-Pullover…“

Sie ist eben eine unbedingte, eine unerbittliche Kämpferin für das Gute, gegen Not und Elend auf Erden. Eine, wie Petra Kelly gewesen sein mag, jene Vordenkerin der Grünen, die im Oktober 1992 von ihrem Gefährten, dem zur Umweltpartei konvertierten Ex-General Gert Bastian, erschossen wurde, der sich daraufhin selbst richtete. Nie ist der bestürzende Vorfall ganz geklärt worden.

Die Legende von Kelly und Bastian

Von den Legenden, die sich um das ungleiche Polit-Gespann ranken, hat sich Franz Xaver Kroetz zu seinem Stück „Das Ende der Paarung“ inspirieren lassen, wenngleich er anfügt, der Text sei „Fleisch von meinem Fleisch“, handle also von ihm selbst. 1996 wies Dieter Dorn in München eine Inszenierung von sich, jetzt hat Claus Peymann zugegriffen und damit seine erste eigene Premiere am Berliner Ensemble bestritten; ein Merkpunkt der Theatergeschichte.

Die Zuschauer erleiden, als seien sie mit den beiden eingesperrt, den allerletzten Tag des Paares – vom Frühstück bïs zu den tödlichen Schüssen. Es ist (wie bei Kroetz gang und gäbe) mal wieder ein Gebräu aus Körpersäften, deren Fließen oder Stocken ausgiebig beredet und in bittere gegenseitige Vorwürfe gegossen wird.

„Bärli“ (Bert alias Bastian) ist alt, vertrocknet und impotent, bei „Rehlein“ (Sibylle, sprich Kelly) bleibt die Periode aus, das Klimakterium der Kinderlosen kündigt sich an. Und beide leiden an Inkontinenz, so dass der Geruch des Harns sich nun sozusagen mischen kann mit dem Vorgeschmack des Todes; wie auf einer Siechenstation.

Das düstere Ende ist immer schon Inbegriffen. Bezeichnend Berts Hörfehler: Sibylle, politisch tief enttäuscht vom Weltenlauf und am eigenen Unvermögen verzweifelnd, zudem offenbar in der Partei weitgehend kaltgestellt (das Telefon läutet zu ihrem Leidwesen nicht mehr), Sibylle also will, dass jemand sie von sich selbst erlöse – und Bert versteht „erschießen“…

Das Elend eines isolierten Paares

Im niederdrückend geschmacklos möblierten Bonner Reihenhaus, dessen Zimmer auf schräg stürzender Bühne klaustrophobisch spitz zulaufen, erleben wir das Elend eines isoliert eingeschlossenen Paares, wie es wohl manche geben dürfte. Wir sehen, wie sie einander belauern, umschleichen, argwöhnisch ausspionieren, jeder ein letzter Halt für den anderen, aber auch gnadenloser Zeuge beim Schwinden und Scheitern des Lebens.

Sibylles infantile Angst- und Ohnmachtsanfälle (Therese Affolter windet sich in Verkrampfungen oder embryonalen Haltungen) prallen ab an der stoischen Ruhe Berts (Traugott Buhre, oft schier unnahbar, von fast staatsmännischer Statur). Im einen Moment sucht sie Schutz bei ihm, im nächsten beschimpft sie ihn als Nazi und Militaristen. Doch politische Begriffe sind hier sowieso nur noch ein dünnes Substrat, aus dem Verletzungen und Beleidigungen rinnen. Rund drei Stunden dauert das ewiggleiche Auf und Ab, die ermüdende Abfolge aus Provokationen und Bitten um Verzeihung.

Schauen wir da etwa nur voyeuristisch in die Abgründe einer üblichen Mesalliance, oder ist die Liaison exemplarisch im weiteren Sinne?

Genrebild der Bonner Republik?

Die ganze Szenerie (Bühnenbild: Karl-Ernst Herrmann) ist eingefaßt in einen großen goldenen Bildrahmen, als sei’s denn doch ein Genrebild aus den Tagen der ach so beengten Bonner Republik, wie der Neu-Berliner Peymann findet. Doch nur wenige Szenen greifen ins Allgemeinere aus, so wenn Sibylle/Kelly an die Unerbittlichkeit einer Ulrike Meinhof anknüpft und sich deren militante Sätze zu Eigen macht: „Entweder Schwein oder Mensch…entweder Problem oder Lösung – dazwischen gibt es nichts“. Oh, du ewig rigide, erzdeutsche Sinnesart, Marke 70er Jahre!

Vielleicht eine Temperamentsfrage: Peymann beschwichtigt Kroetz‘ Furor. Der Text hebt gleich schäumend an und will sich immerzu steigern. Das lässt die Regie ihm nicht durchgehen. Zum bedrohlichen Ticken eines Metronoms werden die Szenen immer wieder für Sekunden als Standbilder eingefroren – eine Gratwanderung zwischen Spannungs-Stau und Spannungs-Verlust. Es ist, als wolle Peymann in solchen Momenten sanfte Zwischentöne erlauschen. Aber welche?

Termine: 22. und 23. Februar. Karten: 030/28 408-155.




Die Bühne, das monströse Wahnsystem – Thomas Bernhards „Theatermacher“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Ein fast dreistündiger Wahnwitz-Monolog, eine qualvoll in sich selbst kreisende, alles unterschleifende Haß-Litanei gegen die rundum „widerwärtige“, „absurde“, „perverse“ Welt, unter besonderer Berücksichtigung der kunstfeindlichen „Eiterbeule Österreich“ – das muß ein Stück von Bernhard sein.

Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, in Claus Peymanns Inszenierung jüngst zu Salzburg uraufgeführt (die WR berichtete), war am Samstag erstmals an Peymanns Noch-Wirkungsstätte Bochum zu sehen. Und wenn sich auch die zahlreich wiederholten Bösartigkeiten gegen das Alpenvolk hier abstrakter ausnehmen als eben beispielsweise in Salzburg, so sind doch immerhin große Teile des Bochumer Publikums durch langjährige Aufführungspraxis „Bernhard-geschult“. Verständnisbereitschaft, ja streckenweise auch Nachsicht für diesen eher schwachen Text sind denn auch nötig.

„Der Theatermacher“ Bruscon (Traugott Buhre), der sich gern in einem Atemzug mit Shakespeare und Goethe nennt, ist mal wieder in der hinterletzten Provinz gelandet. Die von ihm tyrannisch geführte Familientruppe (Gattin mit Dauerhusten, zwei Kinder zwischen natürlicher Widerspenstigkeit und andressierter Unterwürfigkeit) soll Bruscons monströse Welthistorien-Komödie „Rad der Geschichte“ im schmutzstarrenden Saal der Dorfkaschemme von Utzbach aufführen. Hochfliegende Ideen treffen auf widrigste Umstände. Da liegt die Wut auf alles Wirkliche nah. Bruscon unterwirft jegliche Realität seiner gigantischen Schmieren-Dramaturgie, will alles seiner Scheinwelt einverleiben. Er formt alles zum künstlichen Zeichen, zum Anlaß für Theatralik.

Der Wirt (hervorragend als fast stummer Widerpart: Hugo Lindinger), ein Alltagstölpel aus solcher Sicht, wird flugs zum bühnentauglichen Opfer eines „Pächterschicksals“ umschwadroniert. Jedes Ausstattungsstück muß millimetergenau nach Bruscons Willen plaziert werden – er setzt die Zeichen oder läßt sie setzen. Was nicht in dieses Wahnsystem, das letztlich in Theatervernichtung mündet, integrierbar ist, wie der nahebei stinkende Schweinestall und dito Misthaufen, wird verbal niedergemetzelt.

Traugott Bahre gestaltet seine Rolle wie ein überlebensgroßes Monument. Kirsten Dene hustet und keucht sich geradezu virtuos durch ihre wortlose Rolle, Josefin Platt als „Tochter Sarah“ und Martin Schwab als „Sohn Ferruccio“ sind Musterbilder der Gespaltenheit. Aus diesem scheinbar nur nörgeligen Stück so viel herauszuholen, ist bewundernswert. Darsteller (besonders Buhre und Lindinger) und Regisseur Peymann bekamen verdientermaßen einen donnernden Schlußapplaus.




Schaubudeneffekte für Puntila – Alfred Kirchner inszeniert Brechts Herr- und Knecht-Stück in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Die Tür zur Bühne knallt mehrmals laut, dann wird das widerstrebende „Kuhmädchen“ gewaltsam vor die Zuschauer geschubst.Heulend nölt sie Brechts Vorspruch zu „Herr Puntila und sein Knecht Matti“; Man habe ein komisches Spiel gemacht, und zwar nicht zu knapp.

Schon die allererste Zeile ist verändert: „Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist“. Bei Brecht hieß es: „Geehrtes Publikum, der Kampf ist hart“. Widerwille, der sich an Brechts klassenkämpferischen Optionen oder Gewißheiten reibt; Mißtrauen gegen einen Text von 1940, der denn auch eher mit Vorsicht genossen (aber doch genossen, also ausgekostet) wird.

Nach dem Vorspiel betritt „Puntila“ (Traugott Buhre) das leicht erhöhte Podest der Spielfläche (Bühnenbild: Peter Bausch). Man denkt an billige Schaubudeneffekte. Und so ist es denn auch: Für Puntila, den finnischen Großgrundbesitzer, der im Suff „menschlich“ wird, bei „Anfällen von Nüchternheit“ aber im Sinne seines Klasseninteresses bedrohlich „zurechnungsfähig“ wird, findet in Alfred Kirchners Deutung die Welt als läppische Inszenierung statt.

Wenn Puntila sich mit den Fühaufsteherinnen verlobt, treten die ihm, von vornherein gewitzt, als wandelnde Kulissen entgegen, als Sinnbilder von Menschen, die auf ihre Arbeitsfunktion reduziert sind. Sogar die Vogelstimmen im finnischen Birkenwald werden mit einem Pfeifchen imitiert. Auch die Puntila-Tochter Eva (Lisi Mangold) kommt unwirklich daher – ein im „Puppenheim“ gefangenes Kind mit dem Appeal eines UFA-Mädels der 30er Jahre. Puntila lebt in einer Irr- und Scheinwelt. Nüchtern geworden, findet er nur deren Reste vor: in den Staub geworfene Brautkränze, demoliertes Mobiliar.

Dieser Puntila wird auch im Rausch nur „fast“ Mensch. Er bleibt bramarbasierender Menschen-Darsteller. Als er eine seiner guten Taten herausstreicht (er hat einen Hirschkäfer von der Straße getragen), zieht Buhre ein Mikro hervor und verkauft seine Menschlichkeit nach Art eines Conférenciers.

Von Anfang an gewappnet gegen Puntilas humane Duseleien ist denn auch sein Chauffeur Matti (Branko Samarovski). Er spielt das üble Spiel nur als überlegener Hofnarr mit. Es vermischen sich schwejkisches Erbteil und Commedia dell’Arte. Samarovski gelingt das bewundernswerte Kunststück, die brachiale Präsenz Puntilas über weite Strecken auszubalancieren. Und gegen wieviel Verve muß er da, äußerlich ruhig bleibend, angehen: Buhre spielt ja a u c h den vor Lebenslust berstenden, momentweise eine Utopie vom verwirklichten „Vollmenschen“ vorlebenden Mann.

Es gibt atemberaubende Szenen: Etwa wenn Puntila mit seinem Nobelschlitten vor einen Telegrafenmasten gerauscht ist: Eine impressionistische Landschaftskulisse, der Mast, der mit Aquavit abgefüllte, fluchende Puntila – alles befindet sich in horrender, liebevoll komponierter Schräglage. Großartig auch, wie Matti die Volksspeise Hering mit Abendmahls-Feierlichkeit verteilt und an der bloßen Reaktion der zum Essen Genötigten ihre Klassenzugehörigkeit ablesbar wird.

Frenetischer Beifall. Verdient haben ihn nach meinem Empfinden – neben Buhre und Samarovski – besonders Eleonore Zetzsche („Schmuggleremma“), Thomas Schendel („Attaché“) und Tana Schanzare für ihr Puntila-Lied.