„Try Praying“ – Endzeit-Gedichte von Sibylle Berg
Gedichte von Sibylle Berg? Na, das wird was sein. Bestimmt verdammt cool, hinreichend schnoddrig und von der Lebenswelt rundweg angewidert, oder? Mh.
„Try Praying“ – ungefähr „Versucht`s mit Beten“ – heißt der schmale Band, der vermeintlich „Gedichte gegen den Weltuntergang“ versammelt. Doch sind es nicht eher Texte, die dem Weltuntergang und artverwandten Phänomenen folgen wie einem Sog, mithin Gedichte v o r dem oder z u m Weltuntergang, Endzeit-Gedichte, Singsang zum Tode?
„Es beinhaltet Trauer“
Zu den Gedichttiteln wird meist in Klammern eine lässig hingesetzte Angabe über Ingredienzen geliefert (z. B. „Es beinhaltet Nager und irgendwie auch einen Sonntag“, „Es enthält Fleischfresser“, „Es beinhaltet Trauer“, „Es geht irgendwie ums Geworfensein“ – na, und so weiter). Es sind bestimmt keine Klarstellungen.
„…er brachte noch den Müll hinaus“
Poesie wird hier offenbar nicht mit heiligem Ernst betrieben. Wohl aber mit einem gewissen Furor und manchmal sogar hitzig. Es geht ja durchaus entschieden zur Sache – zwischen völliger Lebensverfehlung aller Art, abgründigen Einsamkeiten und vorzugsweise Freitod. Da ist zum Beispiel jener bestürzend einsame Mann namens Frank (Frau gestorben, heilloses Alleinleben, selbst das Haustier verlässt ihn schließlich – für einen Hahn), dessen Ableben so lakonisch registriert wird: „Herr Frank zog seinen Mantel aus / er brachte noch den Müll hinaus / Dann machte er das Fenster auf / und warf sich in den Himmel raus.“ Das hört sich beinahe an wie pechschwarze „Struwwelpeter“-Verse. Soll man diesen Klang als Ausdruck von Mitleidlosigkeit verstehen? Oder als Ausfluss tiefster Enttäuschung und Betrübnis?
„Ihr habt genug herumgehampelt“
Ein andermal ergreift der Tod selbst das Wort und herrscht die Sterbenden an, sich nun hurtig ins Ende zu fügen:
Es kann doch nur noch besser werden.
Was war das für ein Stress auf Erden.
Habt gelitten und gestrampelt,
Und Ruhe jetzt, das sage ich –
Ihr habt genug herumgehampelt.
Wer will, mag sich hier vage an barocke Vergänglichkeits-Dichtung erinnert fühlen. Andererseits ist vielleicht auch eine Spur Comedy darin. Wahlweise Monty Python oder Otto Waalkes, um es mal mittelweit herzuholen.
Vom Unsinn zur Sinnlosigkeit
In dieser katastrophalen Welt ist der Mensch an und für sich prinzipiell allein, jede noch so sehr ersehnte dauerhafte Zweisamkeit erweist sich als lächerliche Illusion. Jenseits des Begehrens, überhaupt jenseits von Glaube, Liebe und Hoffnung schnurren oder klappern die (zuweilen auch schon mal etwas holprig) gereimten Gedichte gnadenlos ab. Auch der Geschlechtsverkehr erscheint als gar trüber Vorgang: „Die Frauen liegen danach nackt / Und ohne Frage sind sie munter / Sie müssen dann ins Bad noch gehn / Und holn sich traurig einen runter.“ Man vergleiche diesen Befund mit Robert Gernhardt, der einst exakt denselben Reim in ganz anderem Sinn bzw. Unsinn verwendet hat: „Der Kragenbär, der holt sich munter / einen nach dem andern runter“. Wo Gernhardt den Nonsens zelebriert, beschwört Berg die finale Sinnlosigkeit. Um präventiv abermals Gernhardt zu zitieren: „Nicht vergleichbar? Na, dann nicht!“
Doch noch ergreifende Momente
Hinter fast jedem dieser Gedichte erhebt sich die Frage, ob die ganze Quälerei (sei’s im Zwischenmenschlichen oder in der Arbeit) schon das Leben gewesen sein soll. Restliche Zuversicht, falls sie den Namen verdient, kommt allenfalls augenblickshaft vor. Demgemäß zeigt das Cover einen hellen Stern und Kometenschweif, als könne das Wünschen und Beten sekundenweise doch noch helfen. Eigentlich dementiert fast jede Zeile derlei Sehnsucht – und doch ahnt man, in berührenden Momenten, einen Drang zur Erlösung. Aus solchem Widerstreit entstehen denn doch einige ergreifende Gedichte, u. a. „Ein Trennungsgedicht“, „Ein Männer-Paar-Gedicht“ oder „Ein Meta-Mitarbeiter-Gedicht (Kann auch auf Alphabet, Spotify, alles mit Cloudkapital angewendet werden).“
Nach dem Ende der Menschheit, das hier selbstverständlich mehrfach in Betracht kommt, könnte wohl nur noch Künstliche Intelligenz (KI oder AI) Gedichte verfassen, doch Sibylle Berg versichert immerhin knapp, sie käme niemals auf die Idee, sich solcher Hilfsmittel zu bedienen (was angesichts des Endes der Gattung allerdings ziemlich wurscht ist).
Und der Schlussakkord? Kommt einigermaßen rüde daher. Um in diesen Zeiten zu überleben, gelte es hart zu werden und sich zu stählen, heißt es da sinngemäß. Schließlich die allerletzte Zeile: „…fickt euch ins Knie und gute Nacht!“ – Herzliche Grüße retour.
Sibylle Berg: „Try Praying. Gedichte gegen den Weltuntergang“. Kiepenheuer & Witsch. 112 Seiten, 16 Euro.