Die vielen Lügen entlarven – Europas Faktencheck-Teams schließen sich zusammen

Seit 23. Februar online: Screenshot der neuen GADMO-Faktencheck-Homepage.

Eigentlich zutiefst betrüblich, dass so etwas nötig ist, aber: Faktenchecks werden in diesen Zeiten dringend gebraucht. Spätestens seit Corona ist es bekannt, erst recht seit Russlands Kriegsüberfall auf die Ukraine.

Es sind viel zu viele Lügen und Fälschungen auf dem medialen Markt und in den „sozialen Netzwerken“ unterwegs, die nicht so ohne weiteres entlarvt werden können, sondern nach journalistischer und sonstiger Expertise sowie hartnäckiger Recherche verlangen. Nun gibt es einen professionellen Zusammenschluss auf europäischer Ebene, der sich genau dies zur Aufgabe gemacht hat. Gegenwärtig sind in diesem Rahmen rund 100 spezialisierte Journalistinnen und Journalisten vorzugsweise in Sachen Faktenchecks tätig. Das Projekt, das wissenschaftlich begleitet („evaluiert“) werden soll, wurde jetzt auf einer von der Dortmunder Uni (TU) eingerichteten Online-Pressekonferenz vorgestellt.

Zertifizierung nach strengen Regeln

Beteiligt sind im deutschsprachigen Raum (ohne Schweiz) die Deutsche Presseagentur (dpa), deren österreichisches Pendant APA, das in Essen angesiedelte Recherche-Netzwerk Correctiv, das Institut für Journalistik sowie Statistiker der TU Dortmund und – als Verbindungsglied zu Europa – die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP). Auch IT-Fachleute sind mit an Bord. Der deutsch-österreichische Zweig des kontinentalen Projekts nennt sich abgekürzt GADMO (German-Austrian Digital Media Observatory), informiert über eine nagelneue Homepage (gadmo.eu) und geht mit je eigenen Ressourcen, aber auch namhaften EU-Mitteln an den Start. Alle Beteiligten sind nach den strengen Faktencheck-Kriterien des IFCN zertifiziert.

Über 14 sogenannte Hubs (Knotenpunkte) werden sämtliche EU-Mitgliedsländer einbezogen, sogar (man muss es leider eigens betonen) Ungarn, wo gesteigerter Bedarf wahrlich gegeben ist. Als Nicht-EU-Länder bleiben Großbritannien und die Schweiz allerdings außen vor. Man kann nur hoffen, dass sie auf andere Weise Anschluss finden und sich zu helfen wissen.

Angesichts der vielen Beteiligten kann es passieren, dass dieselben Themen mitunter mehrfach untersucht werden. Kein Problem, wie es heißt. Vielleicht erhellt die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven die Dinge sogar noch gründlicher. Und falls dabei Widersprüche auftauchen? Das wird sich finden.

Unterwegs zu einem „Frühwarnsystem“

Da Fakes und Desinformationen dermaßen weit verbreitet sind, ist es nicht mit einzelnen Überprüfungen getan. Ein mittelfristiges Ziel ist es, wiederkehrende Muster falscher Faktenbehauptungen zu sammeln und auf dieser Basis künftig möglichst im Voraus zu erkennen. So ließe sich eine Art „Frühwarnsystem“ errichten, etwa im Vorfeld von Wahlen. Auch Künstliche Intelligenz (KI) soll dabei helfen – ein Mittel, das freilich auch von den Gegenseiten genutzt werden dürfte. Es ist ein Informations-„Krieg“, in dem beide Lager nach Kräften aufrüsten. Und gewiss sind die Probleme nicht auf Europa beschränkt, sondern globaler Art.

Die folgende Erkenntnis gehört zu den gar häufig zitierten Standards, die man kaum noch hören mag, aber es stimmt ja immer wieder: Das erste Kriegsopfer ist die Wahrheit. Also haben die in GADMO zusammengeschlossenen Faktencheck-Teams derzeit vor allem mit Russland und der Ukraine zu schaffen. Da wurden und werden etwa Fotos aus dem Zusammenhang gerissen und/oder neu montiert, so dass sich deren Aussagen grundlegend ändern. Auf einmal werden beispielsweise irgendwo stationierte Panzer zu finnischen Gerätschaften umdeklariert, die vermeintlich Russland bedrohen. Wer so etwas glaubt, könnte schrecklich falsche Konsequenzen ziehen.

Zwischen Wolfsrudeln und Schokoladensorten

Ein weiterer Evergreen lautet ungefähr so: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Auch das rührt an ein dauerhaftes Problem: Häufig werden obskure Studien und Zahlenkolonnen angeführt, die nur mit viel Aufwand zu widerlegen oder wenigstens einigermaßen zu klären sind. Es gibt so viele Unwahrheiten, aber letztlich nur eine Wahrheit – wenn sie sich denn überhaupt dingfest machen lässt. Manchmal scheint es, als sei es ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Aber aufgeben wäre fatal. Schließlich zielen zahllose Fakes auf die Substanz demokratischer Gesellschaften.

Wie ein kurzer Probelauf über die neue Homepage zeigt, geht man auch etwas harmloseren Gerüchten über bedrohliche Wolfsrudel (angeblich in Österreich, in Wahrheit in Kanada) nach oder recherchiert der eher absurden Behauptung hinterher, demnächst werde es die „Ritter Sport“-Schokolade auch in der Geschmacksrichtung „Ganze Grille“ geben – im Zuge der EU-Erlaubnis, bestimmte Insekten als Nahrungsmittel zuzulassen. Stimmt natürlich nicht. Aber auch das will erst einmal bewiesen werden; wobei andere Handlungsfelder ungleich wichtiger sind.

Hilfestellungen zur Medienkompetenz

Auf der besagten Homepage sollen Monat für Monat etwa 100 Faktenchecks hinzukommen. Auf diese Weise soll und dürfte sich auch das komplett durchsuchbare Archiv rasch füllen. Beim „Durchblättern“ (vulgo: Scrollen) wird man sich wohl für allerlei Falschmeldungen sensibilisieren können. Auf der Homepage finden sich Kontaktwege für alle User, über die Fachwelt hinaus – via WhatsApp. Apropos Breitenwirkung: Weitere Aufgabe der Faktenchecker sind Angebote zur Steigerung der „Medienkompetenz“, sprich: Wir alle sollen besser gegen Lug und Trug gewappnet werden und im Idealfalle irgendwann selbst in der Lage sein, Falschnachrichten gleichsam zu „wittern“. Dazu wird es hin und wieder spezielle Workshops geben. Wie wär’s außerdem mit gezielten Aktionen an den Schulen?

Ein österreichischer Fachpublizist („Ich habe 15 Bücher veröffentlicht“) gab in der Pressekonferenz zu bedenken, dass man strikt unterscheiden müssen zwischen der Überprüfung von Fakten und von Meinungen. Manchmal sei das kaum zu trennen. Die online anwesenden Faktencheck-Leute wiesen etwaige Meinungs-Kontrollen weit von sich. Überdies gebe es jederzeit Beschwerde-Möglichkeiten. Zur guten Recherche gehöre es außerdem, eigene Fehler öffentlich zu machen.

Übrigens: Wie einigen Statements nebenher zu entnehmen war, kooperieren die Faktencheck-Teams punktuell auch mit machtvollen Online-Akteuren wie Google und Meta (Facebook). Diese Verbindungen sollten unbedingt aufrecht erhalten werden – ohne die eigene Unabhängigkeit und Transparenz auch nur im Mindesten einzuschränken.

Deutschsprachige Homepage: gadmo.eu
Europaweites Projekt: edmo.eu

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Hier noch einige Namen aus der Leitungs- und Organisations-Ebene des Projekts:

  • Stephan Mündges, Institut für Journalistik, TU Dortmund,
    GADMO-Koordinator
  • Prof. Christina Elmer, GADMO-Koordinatorin, Institut für Journalistik der TU Dortmund
  • Uschi Jonas, Team-Leiterin CORRECTIV.Faktencheck und Florian Löffler, Projektleiter EFCSN & GADMO bei CORRECTIV
  • Teresa Dapp, Leiterin der Faktencheck-Redaktion der dpa, Tobias Schormann, Faktencheck-Koordinator für Ausschreibungen & Projekte der dpa, und Kian Badrnejad, Faktencheck-Redakteur der dpa
  • Christian Kneil, Head of Content Business und Mitglied der APA-Chefredaktion, und Florian Schmidt, Verification Officer und Leiter von APA-Faktencheck
  • Yacine Le Forestier, AFP, stellvertretender Direktor für Europa, und Isabelle Wirth, Projektleiterin GADMO bei der AFP.



Eröffnung für März 2018 geplant – Aus dem früheren Ostwallmuseum wird das Baukunstarchiv NRW

Das ehemalige Mueum Ostwall soll zukünftig das Baukunstarchiv NRW beherbergen. (Foto: rp)

So leer war dieses Gebäude nur selten. Das ehemalige Dortmunder Ostwall-Museum wartet auf seine Renovierung. Etwas poetischer spricht die städtische Bauplanung von einer Revitalisierung, und im Englischen hieße dies „Refurbishment“.

Gemeint ist immer dasselbe: Das alte Gemäuer an prominenter Stelle, errichtet 1872 bis 1875 als Landesoberbergamt, soll fit gemacht werden für die Aufnahme des Baukunstarchivs NRW. Die Fertigstellung wird für den März 2018 angekündigt. Und wenn es so läuft wie geplant, sieht nachher alles fast genau so aus wie vorher. Denn schöner kann der Bau mit seinem lichtdurchfluteten Innenhof kaum werden. Nur moderner, sicherer, energieeffizienter.

„Wir wollen so wenig wie möglich machen“, bekräftigt Architekt Michael Schwarz von Spital-Frenking und Schwarz Architekten aus Lüdinghausen. Auch in Zukunft sollen sich die Räume gleichsam wie eine Perlenkette um die imposante Gebäudemitte legen. Eins allerdings wird man doch deutlich sehen: „Das Blau wird eliminiert.“ Also keine blauen Fensterrahmen mehr, kein blaues Maßwerk im gläsernen Vorbau.

Honoratiorenfoto mit (vordere Reihe von links) Prof. Dr. Ursula Gather, Rektorin der TU Dortmund, Dortmunds OB Ullrich Sierau, Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW und Vorsitzender der Baukunstarchiv-Gesellschaft, Architekt Michael Schwarz von Spital-Frenking und Schwarz Architekten, die die „Revitalisierung“ des Gebäudes planen und durchführen, und Walter Bruhne vom Förderverein für das Baukunstarchiv NRW. (Foto: rp)

Sammlung der Universität

Ein offizieller Start mit leeren Räumen hätte im kommenden Jahr gewiß seinen Reiz. Doch es wird ihn nicht geben. Das spartenbezogene Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst, das seit 20 Jahren an der Technischen Universität Dortmund (TU) existiert, wird von Anfang an eine Art Grundstock im Baukunstarchiv bilden. TU-Rektorin Ursula Gather überbrachte die frohe Kunde und rechnete gleich mal nach: Bisher stehen für die Sammlung um die 600 Quadratmeter zur Verfügung, zukünftig werden es 3000 sein.

Viel weiteres Archivmaterial, Pläne, Briefe, Modelle und anderes mehr, wirft sozusagen seine Schatten voraus. Wolfgang Sonne, Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Dortmunder Uni und zukünftig wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs, spricht von um die 80 Nachlässen von Architekten und Bauingenieuren, die ihren Platz im neuen Archiv finden sollen. Darunter jener des 2008 verstorbenen Harald Deilmann, dem Münster sein Stadttheater verdankt, oder auch der von Josef Franke, der sich 1904 in Gelsenkirchen selbständig machte und mit seinen expressiven Backsteinbauten nach wie vor in der Stadt präsent ist. Auch das renommierte Dortmunder Büro Gerber, das für den Umbau des Dortmunder „U“ zur Kulturstätte verantwortlich zeichnet, hat aus früheren Zeiten wertvolles Archivmaterial abzugeben.

Das Schild kündet von den bevorstehenden Umbaumaßnahmen. (Foto: rp)

Das Schild kündet von den bevorstehenden Umbaumaßnahmen. (Foto: rp)

Nachlaß von Josef Paul Kleihues

Und last not least ist von Josef Paul Kleihues zu reden, der lange an der Dortmunder Uni lehrte und 2004 in Berlin starb. Mit seinem Namen verbindet sich die Internationale Bauausstellung (IBA) in Berlin, 1984, deren Planungsdirektor er war. Im Dortmunder Baukunstarchiv sei sein Nachlaß gut aufgehoben, versichert Ernst Uhing, seines Zeichens Präsident der Architektenkammer NRW.

Gefördert wird das Baukunstarchiv NRW als „Maßnahme im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms ,Aktive Stadtzentren’“. Doch ist, ketzerisch gesprochen, ein Lagerhaus mit alten Plänen nicht zwingend der Hort pulsierenden urbanen Lebens. Oder? Dortmunds OB Ullrich Sierau sieht das naturgemäß anders. Er erwartet lebhafte Vorträge und Diskussionen im großen Lichthof, gerne auch mit elektronisch zugeschalteten Teilnehmern aus anderen Teilen der Welt, holographisch oder in 3D. Auch für Kinder und Jugendliche könne das Archiv ein attraktiver Ort werden, findet er, wenn es geeignete Veranstaltungen für sie gibt, und TU-Rektorin Gather pflichtet ihm bei.

Die „Ertüchtigung“ des Gebäudes für seine neue Aufgabe soll 3,5 Millionen Euro kosten, von denen das Land im Zuge der Städtebauförderung 80 Prozent trägt. 10 Prozent kommen von der Stadt, die Eigentümerin des Baus bleibt, 10 Prozent vom Förderverein für das Baukunstarchiv NRW. Wird das Geld reichen? Die Renovierung von Altbauten hat stets ihre Tücken. Aber man soll nicht unken.

Kleine Randbemerkung: Wäre es umgekehrt nicht viel besser? Wäre es vom Raumangebot her nicht sinnvoller, die Kunstwerke des Museums Ostwall wieder im großzügig geschnittenen „alten“ Sitz am Ostwall zu zeigen und das Baukunstarchiv im architektonisch kleinteiliger gehaltenen „U“? Klar, daraus wird nichts werden. Der Status quo hat viel Geld gekostet, und ob sich ein politischer Wille für andere Lösungen überhaupt bilden würde, ist zumindest ungewiß. Trotzdem macht das Gedankenspiel Spaß. Und Schluß.

 




Dortmunder Institut für Zeitungsforschung: Neue Leiterin kommt aus Mainz

Was haben Borussia Dortmund und die Dortmunder Kulturbetriebe derzeit gemeinsam? Richtig, sie verpflichten lauter neue Leute, so dass man mit dem Notieren kaum noch nachkommt. Freilich reden wir von anderen finanziellen Dimensionen.

Kürzlich wurde Dr. Jens Stöcker als künftiger Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte präsentiert, auch Bibliotheksdirektor Dr. Johannes Borbach-Jaene ist erst seit relativ kurzer Zeit in diesem Job. Heute nun stellte sich die kommende Leiterin des bundesweit einzigartigen Institus für Zeitungsforschung vor: Die Historikerin und Kunsthistorikerin Dr. Astrid Blome (50) kommt vom Mainzer Gutenberg-Museum, wo sie als Kuratorin für die Themenschwerpunkte Zeitung und Presse zuständig ist.

Über historische Presseerzeugnisse gebeugt: Astrid Blome, künftige Leiterin des Instituts für Zeitungsforschung, flankiert von Kulturdezernent Jörg Stüdemann (li.) und Bibliotheksdirektor Johannes Borbach-Jaene. (Foto: Bernd Berke)

Über historische Presseerzeugnisse gebeugt: Astrid Blome, künftige Leiterin des Instituts für Zeitungsforschung, flankiert von Kulturdezernent Jörg Stüdemann (li.) und Bibliotheksdirektor Johannes Borbach-Jaene. (Foto: Bernd Berke)

Fehlt „nur“ noch eine neue Direktion für Dortmunder „U“ und somit auch fürs Museum Ostwall. So Gott und die offenbar höchst anspruchsvolle Findungskommission wollen, wird es bald oder irgendwann so weit sein.

Bundesweit einmalige Sammlung

Doch jetzt erst einmal zur Zeitungsforschung. Kein anderes deutsches Institut hat annähernd vergleichbare Bestände und konzentriert sich so intensiv auf Geschichte und Gegenwart der Presse. Da frohlockt der kulturgeneigte Lokalpatriot, denn selbst Berlin oder Hamburg können auf diesem Terrain nicht konkurrieren.

Auch die neue Leiterin, die ihr Amt am 15. August antreten wird, hat schon seit jeher Kontakt zur Dortmunder Einrichtung, die bereits 1926 gegründet wurde. Besonders während ihres Studiums in Bremen ging sie im damaligen „Schwester-Institut“ ein und aus, das sich mit Presseerzeugnissen der Frühen Neuzeit befasst, heute aber leider finanziell ausblutet. In Dortmund scheinen die Zeichen hingegen eher auf Ausbau zu stehen.

Frau Blome bringt alles mit, was für die neue Aufgabe verlangt wird – von der hochkarätigen wissenschaftlichen Qualifikation bis zur reichlichen Ausstellungs-Erfahrung. Ihr Promotionsthema war das Russland-Bild der deutschen Presse zur Zarenzeit Peters des Großen, auch eine Habilitation (Grundsätzliches über Lokalteile) und eine Juniorprofessur kann sie vorweisen.

Netzwerk der Wissenschaft

Das Institut, das sich in der Stadt- und Landesbibliothek befindet, soll künftig enger an die Netzwerke von Wissenschaft und Forschung angebunden werden; nicht zuletzt, um beispielsweise besser Fördermittel beantragen zu können. Es laufen bereits Gespräche mit der Dortmunder TU, wo es einen renommierten Studiengang für Journalistik gibt, der ebenfalls bundesweit seinesgleichen sucht.

Dass Frau Blome überdies ein breiteres Publikum ans Institut heranführen möchte, gehört in derlei Fällen zur üblichen Rhetorik, die nicht nur von Ratsherren gern gehört wird. Es ist ihr aber durchaus zuzutrauen, dass sie an den richtigen Stellschrauben drehen wird.

Die auch didaktisch beschlagene Astrid Blome will nicht nur mehr Studenten ins Institut holen, sondern auch eng mit den anderen Dortmunder Kulturbetrieben (Museen usw.) und den Schulen zusammenarbeiten. Sie ist überzeugt, dass – allen Problemen zum Trotz – keineswegs das Ende der Zeitungen bevorstehe. Gerade der stete Wandel der Zeitungslandschaft verlange nach genauer Beobachtung und Einordnung. Auch Online-Medien dürften dabei verstärkt in den Blick geraten, wenngleich Frau Blome klarstellt, dass man diese bestenfalls ansatzweise speichern und bewahren kann.

Bibliotheksdirektor Borbach-Jaene überreichte Blome als kleine Willkommensgabe eine Kopie des ältesten Dortmunder Blattes („Dortmundische vermischte Zeitungen“) von 1769. Darin heißt es vielsagend, dass eine Zeitung in dieser Stadt eine gar seltene Erscheinung sei.

Es klingt fast wie Prophetie über Jahrhunderte hinweg, kommen hier doch im Grunde nur noch die Ruhrnachrichten heraus, während die seit Anfang 2013 redaktionslose Westfälische Rundschau (WR) lediglich ein Phantomprodukt mit zugelieferten Inhalten ist. Blomes Vorgesetzter, Kulturdezernent Jörg Stüdemann, blätterte denn auch etwas versonnen in einem WR-Sammelband von 1968. Ja, das waren noch ganz andere Zeitungszeiten…




Deutschland im Herzen: Über den Heimat-Begriff

Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss (vorne) mit (v.li.) TU-Rektorin Ursula Gather, MKK-Leiterin Gisela Framke und Bürgermeister Manfred Sauer.

Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss (vorne) mit (v.li.) TU-Rektorin Ursula Gather, MKK-Leiterin Gisela Framke und Bürgermeister Manfred Sauer. (Foto: Thomas Kampmann/Dortmund Agentur)

Ihr Kopf ragt gerade über das wuchtige Rednerpult, hinter dem sie steht – eine elegante, ausgesprochen zierliche Frau mit markanter runder Brille und langen, perfekt frisierten Haaren. Und doch: Kaum dass sie den Mund aufmacht, hat sie ihr Publikum voll im Griff. Die New Yorkerin Carol Kahn Strauss, 72, strahlt ungeheure Präsenz aus – ihre Aura macht die Körpergröße mehr als wett.

Dass sie dort steht, in der Rotunde des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte, über ihren Begriff von „Heimat“ spricht und die Einladung nach Dortmund gar als „Ehre“ bezeichnet – das ist alles andere als selbstverständlich.

Eltern und Großeltern mussten 1938 aus Dortmund fliehen

Denn Kahn Strauss lebt in New York, wo sie 1944 geboren wurde, nachdem ihre Eltern und Großeltern 1938 aus Dortmund fliehen mussten – eine angesehene jüdische Familie aus dem gehobenen Bürgertum, der Vater Rechtsanwalt, der Onkel Kinderarzt, der Opa Geschäftsmann.

Carol Kahn Strauss selbst war 20 Jahre lang International Director des Leo Baeck Institute in New York City, ein wissenschaftliches Archiv, das die Geschichte und Kultur deutschsprachiger Juden dokumentiert. Es zählt zu den führenden Forschungsinstituten zur Geschichte der deutschsprachigen Juden.

Ungewöhnlich ist schon diese Karriere einer Frau, die doch die Sprache, die Heimat ihrer Eltern mit gutem Recht ebenso hätte ignorieren, verdrängen, ja: verdammen können. Stattdessen hält sie nun, im Jahr 2016, einen Zeitungsartikel aus den New York Times in die Luft, geschrieben im September 2015. Die Korrespondentin hatte damals fast ganzseitig über die Willkommenskultur in Dortmund berichtet, als hunderte Menschen die Flüchtlinge am Bahnhof mit Applaus und Hilfe-Angeboten begrüßten. Sie sei stolz gewesen, als sie das gelesen habe, sagt Carol Kahn Strauss: „Irgendwas ist da wohl in meiner DNA.“

Hölderlin, Kant und Heine im heimischen Regal

Doch die Verbundenheit mit Dortmund hat sich natürlich nicht genetisch vererbt – sondern durch bewusste Erziehung und Sozialisation. „Es war ,Hoppe hoppe Reiter’, es war Heinrich Heine, es war ,Die Blechtrommel’ und nicht ,The tin drum’, erzählt sie von ihrer Kindheit in den USA und spricht von den meterhohen und –langen Bücherregalen, die die Eltern ihr hinterlassen haben – Hölderlin, Kant, Heine, größtenteils noch in Sütterlin gedruckt. Man sprach deutsch, man pflegte die Erinnerung an die Heimat – ein Wort, für das es im Amerikanischen gar keine Entsprechung gibt.

„Meine Eltern konnten die Geschichte … breiter sehen“, sagt Carol Kahn Strauss zur Erklärung, nach Worten ringend, „sie sahen nicht nur den kleinen Ausschnitt der Nazi-Zeit.“ Als sie zehn Jahre alt war, fuhren ihre Eltern mit ihr das erste Mal nach Dortmund. Carol Kahn Strauss weiß sehr gut, wie ungewöhnlich diese Entscheidung ihrer Eltern war. „Ich habe auf der ganzen Welt viele deutsche Juden kennengelernt, die nach ihrer Flucht nie wieder deutsch sprachen, nie wieder in Deutschland waren.“

Auch die junge Carol wusste oder ahnte, dass Deutschland in der Welt der 1950er Jahre nicht besonders wohlgelitten war. Als der Direktor der Grundschule sie damals bat, für ein neu angekommenes Mädchen aus Deutschland zu übersetzen, behauptete sie gar, sie spreche kein deutsch. Als Jugendliche und junge Erwachsene riss die Verbindung zur Heimat ihrer Eltern fast gänzlich ab – „alle anderen Länder interessierten mich damals mehr“.

Die Geisteswelt als zweites Zuhause

Doch die Eltern hatten den Nährboden gelegt, hatten dem Kind die deutsche Sprache, Literatur, Musik, Kunst und Wissenschaft nahegebracht und einen Stolz auf dieses Erbe vermittelt. Daran konnte Carol Kahn Strauss anknüpfen, als sie später Präsidentin einer jüdischen Gemeinde in New York wurde und wieder verstärkt deutsch sprechen musste. „Kinderdeutsch“ nennt sie heute ihre Sprache – reines Understatement. Sie spricht grammatikalisch nahezu perfekt, ab und zu hört man westfälische Einschläge heraus.

Deutschland war nie ihr Zuhause, und es war nach 1938 auch nicht mehr das Zuhause ihrer Eltern. Doch eine Heimat ist es gleichwohl geblieben. Denn auch Bildung, auch die Geisteswelt kann eine Heimat sein – diese Botschaft nahm das Publikum am Ende mit. Ein Heimatbegriff, der womöglich mehr bedeutet, schwerer wiegt, fester bindet als die bloße Zugehörigkeit zu einem Land, in dem man zufällig geboren wurde und das man dank glücklicher Umstände nie verlassen musste.

Die Veranstaltung „Stadtgespräche im Museum“ ist eine Kooperation zwischen MKK Dortmund und TU Dortmund. In der Reihe geht es derzeit um das Thema „heimaten – Konstruktionen der Sehnsucht“: Aus verschiedenen Blickwinkeln befassen sich die Referentinnen und Referenten mit dem Begriff Heimat, passend zur großen Sonderausstellung „200 Jahre Westfalen. Jetzt!“ im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK).