Fakir Baykurt – sozialkritischer Poet des türkischen Dorflebens und langjähriger Revier-Bürger

Gastautor Heinrich Peuckmann erinnert an den türkisch-deutschen Autor Fakir Baykurt, der auch viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt hat:

In Deutschland einem Schriftsteller zu unterstellen, dass er ein sozialkritischer Dorfautor wäre, käme einer literarischen Vernichtung gleich. Als provinziell, gar hinterwäldlerisch würde man ihn einordnen und die Unterstellung, dass er einem rührseligen Heimatbegriff folgt, läge nicht fern.

Fakir Baykurts Roman "Die Rache der Schlangen in einer Ausgabe des Verlags Horst Erdmann (Herrenalb), erschienen 1964.

Fakir Baykurts Roman „Die Rache der Schlangen“ in einer Ausgabe des Verlags Horst Erdmann (Herrenalb), erschienen 1964.

In der überwiegend ländlich strukturierten Türkei war und ist das anders. Fakir Baykurt, 1929 in einem Dorf namens Akcaköy geboren und 1999, vor fast 20 Jahren, in Essen gestorben, gilt neben dem inzwischen ebenfalls verstorbenen Nobelpreiskandidaten Yasar Kemal („Mehmet, mein Falke“) als der große sozialkritische Dorfautor der türkischen Gegenwartsliteratur.

Bergkamen, Duisburg und Essen

1979, als schon bekannter Autor mit gut zwanzig veröffentlichten Romanen, siedelte er nach Deutschland über und wohnte eine Zeitlang auch in Bergkamen, ganz in meiner Nähe. Zur Bergkamener Kulturverwaltung fand er schnell Kontakt und auf diesem Wege lernte auch ich Fakir Baykurt kennen. Während der achtziger Jahre habe ich oft mit ihm zusammengearbeitet, auch noch, als er längst in Duisburg wohnte.

Baykurt stammte aus einer armen Bauernfamilie. Sein Vater starb früh, seine Mutter brachte mit erzieherischer Strenge, aber mit noch mehr Herzlichkeit ihre sechs kleinen Kinder (zwei weitere starben früh) durch.

Nach dem Militärputsch von 1971 verhaftet

So arm die Familie auch war, seine Mutter schaffte es trotzdem, ihren wissbegierigen Sohn Fakir studieren zu lassen. An einem Lehrerinstitut machte er seine Ausbildung und lernte reformpädagogische Ansätze kennen, die er ab 1949 in dörflichen Schulen umsetzte. Natürlich gab es angesichts der traditionell denkenden Bauern die zu erwartenden Probleme. Später schloss er ein weitergehendes Studium an, das ihn sogar an die amerikanische Universität in Bloomington führte.

Gymnasiallehrer ist er geworden, schnell auch Vorsitzender der türkischen Lehrergewerkschaft. Nach dem Militärputsch 1971 wurde auch Baykurt wie viele Künstler, Intellektuelle und vor allem Gewerkschafter verhaftet und eingesperrt. Baykurt berichtet darüber in seiner Erzählung „Die Jahre mit meiner Mutter“ und  schildert darin den Besuch seiner Mutter im Gefangenenlager. Vor allem entwickelt er geradezu genüsslich, wie sie sich durch entschiedenes Auftreten bei den Wachen Respekt verschaffte, um ihren Sohn zu sehen und unbelauscht mit ihm sprechen zu können.

Inzwischen hat die gegenwärtige Türkei bei der Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten wieder einen unrühmlichen Spitzenplatz erlangt.

Die Mutter lies sich seine Texte vorlesen – und war voll des Lobes

Baykurt war zur Zeit seiner Verfolgung bereits ein bekannter Autor. Regelmäßig veröffentlichte er Romane, die das Landleben in der Türkei darstellen, das er durch seine Herkunft so gut kannte. Seine kritischen Texte brachten ihm den Ruf ein, Kommunist zu sein, was wiederum seine Mutter erschreckte. Sie selbst konnte nicht lesen, deshalb ließ sie sich den Roman „Die Rache der Schlangen“ von Fakir bei einem seiner Besuche zu Hause vorlesen. Noch während Fakir las, unterbrach sie ihn wütend. „Was soll daran kommunistisch sein? So ist es doch in unseren Dörfern, genauso! Du hast nur geschrieben, was hier passiert.“ Ihrem Sohn Fakir hat dieses Lob besonders gut getan.

Von nun an verteidigte die Mutter ihn, wenn Nachbarn oder Verwandte meckerten: „Dein Sohn konnte wieder nicht den Mund halten.“ Im Gegenteil, danach gewann sie, die einfache Frau vom Lande, erst recht Interesse an Fakirs Romanen. Im Dorfladen, in dem sie immer einkaufte, wurde sie von jungen Mädchen, die zur Mittelschule gingen, bedient. Von denen ließ sie sich den Roman „Die Sense“ vorlesen, stolz darauf, was ihr kleiner Fakir erreicht hatte. Mit der Zeit wuchs dessen Ansehen auch unter den anderen Dorfbewohnern, bis er schließlich zu den bekanntesten türkischen Autoren gehörte und die Kritik an ihm verstummte.

Das Problem mit den schlechten Übersetzungen

Warum er nach Deutschland auswanderte, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, er folgte einem seiner Kinder. Baykurt war ein kommunikativer Mann, der schnell Anschluss gewann. Das war schon in Bergkamen so, das war in Duisburg, wo er ebenfalls als Lehrer arbeitete, sich aber vor allem mit den Problemen türkischer Migranten beschäftigte, nicht anders. Auch eine deutsch-türkische Autorengruppe gründete er in Duisburg, um den türkischen Kollegen Hilfe auf dem deutschen Literaturmarkt zu geben. Nach seinem Tod 1999 bekam diese Autorengruppe seinen Namen. Baykurt selbst hatte nicht unbedingt Hilfe nötig, dazu war er viel zu bekannt, aber den einen oder anderen Hinweis konnte er doch gut gebrauchen.

In dieser Zeit habe ich, wenn ich eine Anthologie mit Erzählungen herausgab, immer dafür gesorgt, dass Fakir Baykurt, wenn es nur eben thematisch passte, darin vertreten war. Seine Erzählungen waren ein schönes Zeichn für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Autoren und darüber hinaus für gelingendes Zusammenleben überhaupt.

Es gab nur jedes Mal ein großes Problem, denn Fakir hatte für seine neuen Erzählungen Übersetzer, die selbst der deutschen Sprache nur bedingt mächtig waren. So bekam ich von ihm Texte zugeschickt, bei denen ich mir beim ersten Lesen stets die Haare raufte. Es waren thematisch immer gute, spannende, auch humorvolle Geschichten, so viel sah ich sofort, aber was die einzelnen Sätze bedeuten sollten, erschloss sich mir bestenfalls nach mehrfachem Lesen. Und auch dann nicht immer.

Von der Frau, die unbedingt einen Garten haben wollte

Also setzte ich mich hin und übertrug seine Sätze so, wie ich glaubte, dass sie gemeint waren. Dann schickte ich die korrigierte Geschichte an Fakir zurück und bat ihn zu prüfen, ob ich alles richtig verstanden hätte. Von Fakir kam dann stets ein Dankschreiben zurück mit der Frage, ob ich nicht sein Übersetzer werden wollte. Ja, unsere Zusammenarbeit in jener Zeit hatte auch ihre komischen Seiten.

Die gemeinsame Arbeit war aber auch anregend, denn sie half mir, die türkische Mentalität der Migranten in meinem Umfeld besser zu verstehen. In einer Geschichte zum Beispiel erzählt Fakir von einer türkischen Frau in Oberhausen, die so gerne einen Garten gehabt hätte, weil sie sich ein Leben ohne das Wühlen in der Erde nicht vorstellen konnte. Aber ihr wenig durchsetzungsfähiger Mann schaffte es nicht, ihr einen Garten im Kleingärtnerverein zu besorgen.

Also griff die Frau zur Selbsthilfe, räumte ein Zimmer ihrer Wohnung leer (das Sonnenzimmer), füllte Kisten mit Erde und begann, dort Gemüse zu ziehen: Steckrüben, Gurken, Knoblauch. Sie war in ihrem Zimmer erfolgreicher als andere türkische Frauen in ihren Gärten…

Bis eines Tages die Polizei vor der Tür stand. Der Mieter in der Wohnung darunter hatte sich darüber beschwert, dass seiner Familie laufend Wasser auf den Kopf tropfte. Das Gemüse musste ja regelmäßig gegossen werden, die Kisten weichten durch oder es lief etwas daneben. Sie mussten also verschwinden. Aber jetzt wurde die Leidenschaft der armen Frau auch im Umfeld bekannt. Viele, auch ein Pfarrer, mischten sich ein, bis die begnadete Gärtnerin endlich ihren Garten in der Brache an der Autobahn erhielt. Eine humorvolle Geschichte, prall gefüllt mit Leben – wie alle Texte von Fakir Baykurt. Er ist ein Autor, der bei uns unbedingt wiederentdeckt werden müsste.




Diktatur und Schnäppchen: „Aufregende Zeiten“ in der Türkei

Unerfindliches (Foto: Bernd Berke)

Unerfindliches (Foto: Bernd Berke)

Wusstet ihr schon Folgendes: „Die Türkei geht durch aufregende Zeiten“. Luft holen. Tief durchatmen.

Doch es nützt nichts. Man muss sich einfach aufregen. Da ich gestern zufällig den Wüterich Gernot Hassknecht („Heute-Show“) in Dortmund auf der Bühne gesehen habe, müsste man sich den nächsten Absatz im Brüllton vorstellen:

Da wird ein Land in die Diktatur getrieben, da werden Abertausende entlassen, drangsaliert oder eingesperrt, da droht die Einführung der Todesstrafe – und da findet jemand das alles „aufregend“? Wie verkommen kann man sein?

Jetzt fragt ihr euch vielleicht noch, in welchem Kontext das vorkommt?

Der unfassbare Satz steht heute in der FAZ-Sonntagszeitung (FAS), und zwar gleich im Vorspann eines Berichts über den türkischen Ferienimmobilien-Markt, auf dem nun das eine oder andere „Schnäppchen“ zu machen sei. Da ist man im allzeit investorenfreundlichen, aber längst nicht immer geschmackssicheren „Wohnen“-Teil des Blattes gleich freudig erregt.

Aus offenbar unerfindlichen Gründen ist die Zahl der deutschen und schwedischen Käufer jüngst zurückgegangen. Käufer aus Saudi-Arabien und anderen Ländern des Nahen Ostens springen freilich „in die Bresche“, wie es heißt. Und auch die reichen Russen kehren zurück. Über Menschenrechte machen die sich halt in der Regel nicht so einen Kopf.

Und so plätschert das Marktgeplänkel des FAS-Artikels weiter reichlich verantwortungslos dahin. Es speist sich wohl vornehmlich aus einer gepflegten Plauderei mit einer Geschäftsführerin des Edelmaklers Engel & Völkers im türkischen Bodrum. Der eine oder andere Ratschlag zum Einstieg gehört natürlich dazu.

Wie wohl deutsche Immobilien in den mittleren 1930er Jahren angepriesen worden sind? Manche sollen ja angeblich besonders preisgünstig gewesen sein. Aus unerfindlichen Gründen.

 




Couragierter Einsatz für die Pressefreiheit: Kesten-Preis an türkische Journalisten

Gastautor Heinrich Peuckmann über die Verleihung des Hermann-Kesten-Preises in politisch brisanten Zeiten:

Als das Präsidium des deutschen PEN im Frühjahr dieses Jahres beschloss, den Hermann-Kesten-Preis an die türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül zu verleihen, war die Situation für die beiden schon kritisch. Als es nun zur Verleihung kam, hatte sie nach dem niedergeschlagenen Putsch dramatische Züge angenommen.

Can Dündar, ehemals Chefredakteur der unabhängigen Zeitung „Cumhuriyet“, hatte nach Gefängnisaufenthalt und ersten Verurteilungen wegen Beleidigung von Erdogan das Land verlassen müssen und lebt seitdem im Exil in Deutschland. Erdem Gül dagegen lebt noch in der Türkei, er darf aber nicht ausreisen. Bei einem der Prozesse im Sommer gegen Dündar gab es einen Attentatsversuch auf ihn, seine Frau fiel dem Pistolenschützen jedoch im letzten Moment in den Arm und rettete ihrem Mann das Leben.

Der türkische Journalist Can Dündar bei seiner Darmstädter Dankrede zum Hermann-Kesten-Preis. (Foto: Heinrich Peuckmann)

Der türkische Journalist Can Dündar bei seiner Darmstädter Dankrede zum Hermann-Kesten-Preis. (Foto: Heinrich Peuckmann)

Mit dem Kesten-Preis belohnt der PEN, der seine nächste Jahrestagung im Mai 2017 in Dortmund abhalten wird, den Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit in der Welt. Hermann Kesten, Schriftsteller und Namensgeber, hat während der Nazidiktatur vielen verfolgen Autoren zur Flucht ins rettende Ausland geholfen, in das er selbst als Deutscher jüdischen Glaubens fliehen musste.

Was hatten die beiden Journalisten getan, außer dass ihre Zeitung, was für die gegenwärtige Regierung schon schlimm genug ist, immer schon kritisch über Politik und Gesellschaft in der Türkei berichtet hat? Sie hatten Belege dafür vorgelegt, dass die türkische Armee den terroristischen IS mit Waffen beliefert hat, in der Hoffnung offensichtlich, dass der IS damit die kurdische PKK bekämpft.

Das Kammertheater in Darmstadt war bis auf den letzten Platz gefüllt, was PEN-Präsident Josef Haslinger, der den Preis überreichte, sichtlich freute. Die Aufmerksamkeit bei der Preisverleihung war enorm, die deutsche Presse war breit vertreten, auch in den Tagesthemen wurde berichtet.

Can Dündar erwies sich in seiner Rede als freundlicher, vor allem engagierter Vertreter der Pressefreiheit. Er erzählte, dass er sogar im Gefängnis weiter Artikel geschrieben hätte, die dann irgendwie an seine Freunde nach draußen gelangten. Auch in Deutschland ist Dündar unentwegt aktiv, um journalistisch auf die prekäre Situation in seinem Land aufmerksam zu machen. 144 Journalisten und Schriftsteller sitzen dort gegenwärtig im Gefängnis, erklärte der Writers-in-Prison-Beauftragte des PEN, Sascha Feuchert, später in einer Diskussionsrunde. Das sind mehr als in Russland, China und Iran zusammen. Länder, die sonst immer im Fokus stehen.

Dündar sieht die Türkei gespalten. Etwa 50% der Bevölkerung, meint er, vertreten den islamischen Weg von Erdogan, die andere Hälfte sei laizistisch im Sinne der alten Atatürk-Verfassung. Es komme nun darauf an, diesen zweiten Teil von außen zu unterstützen, Kontakte – etwa Städtepartnerschaften – zu erhalten, sie auszubauen und neue zu knüpfen. Bestehende Kontakte abzubrechen sei ganz in Erdogans Sinne. Im politischen Handeln sprach er davon, den Waffenhandel mit der Türkei einzuschränken oder zu beenden und auch sonst bestimmt und mit klarem Ton gegen Erdogan aufzutreten. Der wiederum hätte durch das Flüchtlingsabkommen die EU so sehr in der Hand, dass sie bis jetzt äußerst zahm auftrete. Bestimmtheit sei aber gefordert.

Ex-Tagesthemensprecher Thomas Roth stellte in seiner beeindruckenden Laudatio dar, dass mit der Verteidigung der Pressefreiheit in der Türkei unser aller Freiheit verteidigt werde. Dies zu tun seien wir uns schuldig.




Jan Böhmermann ist zurück – Und? Hat er es etwa wieder getan?

Ach, du Schreck: Jan Böhmermann ist wieder da! Nach langer, langer Sommer- und Nachdenk-Pause hat er soeben mit dem „Neo Magazin Royale“ im Minderheitenkanal ZDF Neo seinen neuerlichen Einstand gegeben.

Und? Hat er? Nein, nichts da. Keine Witze über die Türkei und ihren übergroßen Vorsitzenden; lediglich eine vage Anspielung auf gehabte Schmähungen. Er will ja auch keinen juristischen Kamikaze verüben.

Jan Böhmermann - Screenshot aus seiner Sendung "Neo Magazin Royale" im Kanal ZDF Neo. (© ZDF Neo)

Jan Böhmermann – Screenshot aus seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 25. August 2016 im Kanal ZDF Neo. (© ZDF Neo)

Ansonsten stilisierte sich „Böhmi“ als munter drauflos rappender „blasser dünner Junge“, der halt seinen Job macht. Natürlich immer medial ganz vorn, virtuos die entsprechende Klaviatur bedienend; stets von der Meta-Ebene herab die Zeichen der Zeit wie im Fluge betrachtend. Hellwach, hochintelligent, funkelnd, kaum zu fassen, immer schon eine Umdrehung weiter, versteht sich. Ob es nun jeden Gag versteht oder nicht: Das Studiopublikum dankt es mit enthemmtem Gekreisch. Das muss dann wohl so sein.

Böhmermann führte eine mindestens dreifach pirouettenhaft eingesprungene, vielfach gewundene Klage über das diesjährige Ausbleiben eines journalistischen Sommerlochs. Da ist er schon mal einige Wochen lang nicht auf Sendung – und dann passieren haufenweise Sachen. Sachen! Unglaublich. Von Gabriels Stinkefinger über Gina-Lisa L., zu der er trotz allem unverbrüchlich halten möchte („ob sie will oder nicht“) – bis hin zu den Hamsterkäufen. Österreicher, so Böhmermann, haben allerdings für derlei gehortete Vorräte keinerlei Platz im Keller, weil… O, wie böse. Nein: pöse.

Es gibt keinen, der so gekonnt zwischen mimischer Verkrampfung und Lockerung schwankt. Überhaupt tobt er sich in Widersprüchen aus: Erst nennt sich Böhmermann postfeministisch und rühmt sich, mehr als die Hälfte seiner Redaktion bestehe nun aus Frauen, dann grüßt er die „geilen Fotzen“ da draußen vor den Bildschirmen. Bei all den inflationären Fick- und Wichs-Ausrufen ist freilich ein Ende absehbar. Das kann man nicht auf ewig strapazieren. Meine bescheidene Prognose: Böhmermann wird schließlich wohl völlig keusche Statements von sich geben müssen. Tourette hat keine Zukunft. Mag aber auch sein, dass solche Vorhersagen per se verfickte Scheiße sind. Äh…

Gast der Sendung war übrigens der CDU-Mann Wolfgang Bosbach, der just seinen Abschied aus der Bundespolitik verkündet hat. Höchst eigenhändig bügelte ihm Böhmermann Logo-Patches der Talkshows auf eine Rockerkutte, die der umtriebige Bosbach in den letzten Jahren heimgesucht hat. Und das waren etliche. Die zugehörigen Dialoge waren eher putzig, es kam nicht allzu viel dabei heraus. Wir werden doch nicht etwa ausgerechnet jetzt, da der (heiße?) Herbst sich ankündigt, verspätet im Sommerloch gelandet sein?




Hochzeitskultur im deutsch-türkischen Vergleich – die Dortmunder Ausstellung „Evet – Ja, ich will!“

Dortmund. Alte Erfahrung derer, die im größeren Rahmen geheiratet haben: Als Braut oder Bräutigam bekommt man vor lauter Stress von Einzelheiten des Festes wenig mit. Wie passend also, dass einen nun die Dortmunder Hochzeits-Schau „Evet – Ja, ich will!” glücklich verwirrt.

Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) geht’s nämlich abwechselnd munter vorwärts und rückwärts in der historischen Zeit, außerdem hin und her zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen Stadt und Land. Oft darf man rätseln, von wo und wann einzelne Exponate stammen.

Kleider, Kleider und
nochmals Kleider

Da heißt es eben: ausgiebig die Beschriftungen lesen oder sich mit dem Katalog ausrüsten. Alles ist zweisprachig (deutsch/türkisch) in dieser Ausstellung, die einen Dialog zwischen den Kulturen stiften soll. Und was würde sich dafür besser eignen als jener Tag, den man wohl nie vergisst: die Heirat? Missliche Themen wie Zwangsehe hat man übrigens vorsichtshalber ausgespart bzw. behutsam in den Katalogtext ausgelagert.

Was man zu sehen bekommt? Insgesamt 500 (!) Ausstellungsstücke, je etwa zur Hälfte deutschen und türkischen Ursprungs. Vor allem Kleider, Kleider und nochmals Kleider. Traditionelle Pracht, etwa mit aufwändiger Goldstickerei, aber auch prosaische Gewänder – bis zum schlichten Modell aus VEB-Produktion zu DDR-Zeiten.

Interessant ist es, das „Fremde” nicht nur in der türkischen Hochzeitskultur zu sehen, sondern auch in deutscher Vergangenheit. Auch die ist uns in ihrer regionalen Vielfalt fern gerückt. Eine hessische Tracht des 19. Jahrhunderts wirkt beinahe so exotisch wie eine anatolische. Längst vorbei. Heute haben sich Hochzeitsmoden international angeglichen, wie aktuelle Designer-Entwürfe aus beiden Ländern zeigen.

Mancherlei Accessoires (Schleier, Gürtel, Schmuck, Hochzeitskronen, Kränze, Fächer usw.) ergänzen die Textilienfülle. Übrigens: Eine deutsche Braut, die bereits schwanger war, durfte ehedem nur einen durchbrochenen Kranz ins Haar flechten. So streng waren die Sitten. Mit dem Biedermeier war die betont jungfräuliche Kleiderfarbe Weiß aufgekommen. Bis dahin hatten Bräute oft Schwarz oder Rot getragen.

Nach dem rebellischen Jahr 1968 wurden Eheschließungen oft schmuckloser begangen. Doch seit der fabulösen Heirat von Lady Diana (29. Juli 1981) ging es wieder in die Gegenrichtung. Da darf’s ein wenig mehr Prunk sein. Auch diese Grundströmungen spiegeln sich in der Schau.

Ein Nebenaspekt sind Hochzeitsgaben. Die wurden früher nicht in schnödes Geschenkpapier, sondern mitunter in teures Tuch gehüllt. Beim festlichen türkischen Brautzug wohlhabender Leute gingen einst ganze Trägergruppen mit, um alle Kostbarkeiten vorzuweisen. In der historischen Geschenkabteilung beider Kulturen finden sich Truhen für die Aussteuer – und hölzerne Wiegen, die ein hehres Ziel ehelicher Verbindungen vorgaben. Eine weitere Zielvorstellung steht als Sinnspruch auf einem Geschenkteller: „Wen(n) ich dich hätt / einmal im Bett.” Nun, das Eine ergibt gelegentlich liebevoll das Andere.

Hie und da würde man sich wünschen, dass die Belegstücke weniger kleidungslastig wären. Wenn man etwa die überaus kunstvoll gestalteten Liebesbriefe sieht, die man einst beim Dorfschreiber bestellte, so ahnt man, welche Chancen in größerer Breite der Auswahl gelegen hätten.

Museumsdirektor Wolfgang E. Weick hofft derweil auf rund 20 000 Besucher. Jede Wette, dass dabei Frauen in der Mehrheit sein werden.

„Evet – Ja, ich will! Hochzeitskultur und Mode von 1800 bis heute: eine deutsch-türkische Begegnung”. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastraße 3. Bis 25. Jan. 2009. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt 8 €. Katalog 19,90 €. Begleitprogramm mit Konzerten, Lesungen usw.
Die Schau mit vielen kostbaren Leihgaben aus der Türkei entstand in Kooperation mit den Reiss-Egelhorn-Museen in Mannheim. Dort wird sie ab 1.3.2009 zu sehen sein.