„Im Bann des Eichelhechts“ – Axel Hackes neue Abenteuer im Sprachland

Wohl einem Autor, dem die Ideen oder zumindest die Materialien nur so zufliegen, weil sie ihm haufenweise von seinen Leserinnen und Lesern zugesandt werden. Axel Hacke vergisst denn auch nicht, dafür im Nachspann seines neuen Buches Dank abzustatten. Er selbst versteht es meisterlich, all die Fundstücke zur vergnüglichen Lektüre zu arrangieren.

„Im Bann des Eichelhechts“ heißt das Opus, in dem Axel Hacke – wieder einmal – entzückende bis entsetzliche Sprachentgleisungen, Verhörer, Verleser und unfreiwillig komische Übersetzungsfehler auftischt. Hacke wähnt sich angesichts der überbordenden Fülle geradezu in einem jeder Logik enthobenen „Sprachland“, in dem ungeahnte, oft geradezu poetische Ausdrucks-Freiheiten herrschen. Ganz vorne und ganz hinten im Band sieht sich dieses Land liebevoll kartographiert.

Beim „Eichelhecht“ handelt es sich übrigens um den Irrtum eines Dreijährigen, der sich nach einem Waldspaziergang gesprächsweise an den Eichelhäher erinnern wollte. Respekt: Solch ein elaboriertes Missverständnis muss man mit drei Jahren erst einmal zustande bringen.

Die Tücken der indirekten Übersetzung

In ganz besonderem Maße erntet Axel Hacke diesmal auf dem weiten, weiten Feld der Kochrezepte und Speisekarten, zumal solchen, die aus dem Spanischen oder Italienischen übersetzt wurden – aber wie! Setzt man sich einmal auf die Spur (Wie konnte es nur zu diesen abenteuerlichen Formulierungen kommen?), so wird man im Gefolge Hackes häufig finden, dass es an der indirekten Übersetzung liegt. So geht es nicht gleich vom Spanischen ins Deutsche, sondern es wird zumeist der Umweg übers Englische genommen, womit die Zahl der Fehlerquellen sozusagen exponentiell steigt. Nicht zuletzt Übersetzungsprogramme sorgen beim Überschreiten der Sprachgrenzen für Heiterkeit. Immer noch.

Wenn die Scampi zum Gitter flüchten

Und so kommt es zu herrlichen Wortschöpfungen wie etwa „Tortenhuhn“, „Tinderfisch“ oder gar Gerichten wie „Fuck the duck until exploded“. Auch finden sich – weitaus harmloseres Beispiel – Zubereitungen wie „Französische Bekleidung“, was sich natürlich schlichtweg als wörtliche Übertragung von „French Dressing“ erweist. Auf ähnlich simple Weise geraten auch nahrhafte „Rechtsanwälte“ auf französisch-deutsche Menükarten, wenn nämlich Avocados im Spiel sind und an Advokaten sich anlehnen. Etwas komplizierter wird’s schon, wenn „Scampi alla griglia“ zu „Sie flüchten zum Gitter“ wird. Immerhin zeigt es sich bei hartnäckiger Recherche, dass die Entstehung dieser Wendungen noch durch Anklänge oder Doppelbedeutungen erklärbar ist, während andere Fügungen völlig sinnfrei daherschweben. Mehr wird dazu an dieser Stelle nicht verraten.

Axel Hacke erkundet jedoch nicht nur kulinarische, sondern auch etliche andere Bezirke im schier grenzenlosen Sprachland. So versucht er in einem Kapitel, sich deutsche Wörter mit möglichst vielen „e“-Lettern auszudenken – ein auch im Internet beliebtes Nonsens-Spiel. Stücker 18 sind es beispielsweise in:

ebereschenbeerengeleebecherchendeckelchen

Geht da womöglich noch mehr? Oder fällt man dabei irgendwann dem Wahnsinn anheim?

Was hat es mit den Tiftrienen auf sich?

Ergiebig sind auch übersetzte Gebrauchsanweisungen, mehrsprachige Schilder, Verhörer (speziell aus kindlicher Unwissenheit, z. B. „Tiftrienen“ statt „tief drinnen“), die einen mitunter ein halbes Leben lang begleiten können. Und dann wären da noch die phonetischen Anleitungen für beflissene Polen, die ausgewählte Sätze in verständlichem Deutsch aussprechen möchten. Beispielsweise:

„Zajt cwaj sztunden haben wija kajn waser.“ – „di szpyl-maszine yst fersztopft.“

Was nicht vergessen werden darf: Alle Achtung fürs Lektorat! Dermaßen viele Fehlleistungen und sonstige Sprachblüten quasi „korrekt“ (also „richtig falsch“, hehe) abzudrucken, hat sicherlich erhöhte Aufmerksamkeit und wahrscheinlich so manche ungläubige Rückfrage bei Axel Hacke erfordert.

Axel Hacke: „Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland“. Verlag Antje Kunstmann. 264 Seiten, 22 Euro.

 




Bedeutsam wie eh und je: George Orwells „Farm der Tiere“ gleich in zwei neuen Übersetzungen

„Kein Tier soll seinesgleichen je tyrannisieren. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir sind alle Brüder. Kein Tier soll je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.“ Mit diesem Schlachtruf beginnt der Aufstand der Tiere gegen die Unterdrückung der Menschen. Doch schnell gerät die Revolution aus dem Gleis.

Die Manesse-Ausgabe (Übersetzung: Ulrich Blumenbach). (© Manesse)

Statt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gibt es Terror, „Säuberung“ und Diktatur auf der „Animal Farm“, auf der die Schweine die Macht ergreifen und alle anderen Tiere versklaven: George Orwells „Farm der Tiere“ ist ein böses Märchen, eine Abrechnung mit der stalinistischen Pervertierung des Sozialismus. Jetzt sind gleich zwei neue deutsche Übersetzungen des 1945 veröffentlichten Romans erschienen.

Weltliteratur von gnadenloser Präzision

Wenn wir die „Farm der Tiere“ nur als wütende Abrechnung eines frustrierten Sozialisten mit der Einparteien-Diktatur Stalins lesen und hinter jedem Tier nur das Abbild eines realen Menschen suchen, dann bräuchte es wohl auch keine neue Übersetzung. Aber die „Farm der Tiere“ ist ein großes Stück Weltliteratur: perfekt konstruiert, sprachlich schillernd, politisch visionär, zeitlos aktuell. Orwell zeigt uns mit gnadenloser Präzision, wie schnell die schönsten Träume zerplatzen, die buntesten Wunschbilder von skrupellosen Demagogen in ihr Gegenteil verkehrt werden, wie Populismus funktioniert und Propaganda die Hirne vernebelt, wie sich Angst und Anpassung ausbreiten, wenn Gehirnwäsche und Säuberungswellen jeden Widerstand im Keim ersticken und Verschwörungstheorien die Wirklichkeit ersetzen.

Natürlich steht der fiese Eber „Napoleon“ für Stalin, das kluge Schwein „Schneeball“ für Trotzki, das arbeitssame Pferd „Boxer“ und der duldsame Esel „Benjamin“ stehen für die gutgläubige Arbeiterklasse, die blutlechzenden Hunde für die Geheimpolizei, die blökenden Schafe für das leicht manipulierbare Fußvolk: aber sie sind nicht nur Fabelwesen, sondern stimmige Archetypen, prägnante Charaktere, die uns glaubhaft von Machtmissbrauch und Lüge, Verrat und Mord erzählen. Es ist der wohl wichtigste politische Roman des letzten Jahrhunderts und zugleich das Buch der Stunde, das sprachlich immer geschliffen und geschärft und auf den neuesten Stand gebracht werden sollte.

Die dtv-Ausgabe (Übersetzung: Lutz-W. Wolff). (© dtv)

Als Kritik an Stalin in England verpönt war

Orwell hatte eigene Erfahrungen mit dem langen Arm Stalins und war der Überzeugung, dass der Sozialismus nur zu retten ist, wenn man bereit ist, Fehler einzugestehen und die Sowjetunion rücksichtslos zu kritisieren: „Seit gut einem Jahrzehnt habe ich den Eindruck“, schrieb Orwell in einem Essay, „dass das jetzige russische Regime überwiegend böse ist, und ich bestehe auf dem Recht, das laut zu sagen, auch wenn die UdSSR unser Verbündeter in einem Krieg ist, in dem ich unseren Sieg herbeisehne.“

Genau das aber war das Problem: Die meisten englische Intellektuellen, Verleger und die Politiker wollten keine Kritik an Stalin zulassen, niemand mochte den Verbündeten verärgern, man hatte sich wehrlos der sowjetischen Propaganda ausgeliefert und wollte von Säuberungen und Schauprozessen nichts hören.

Orwell wusste, wovon er sprach. Als Freiwilliger hatte er am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen und in einer trotzkistischen Miliz gegen die Faschisten gekämpft. Aber der Einfluss Stalins reichte bis nach Barcelona und führte dazu, dass alle Trotzkisten von ihren sowjettreuen Mitkämpfern verfolgt, vertrieben, ermordet wurden. Orwell konnte sich in letzter Minute nach England retten, doch keiner wollte ihm glauben, niemand wollte seinen Augenzeugenbericht „Hommage an Katalonien“ lesen, und auch als er seinen Roman „Farm der Tiere“ seinem Verleger zeigte, lehnte der auf Anraten der Zensurbehörden ab, ihn zu drucken. Orwell war geschockt von der intellektuellen Feigheit in England und wollte den Roman auf eigene Faust im Selbstverlag herausbringen, doch dann war der Heiße Krieg vorbei und wurde schnell zum Kalten Krieg – und der Roman konnte endlich erscheinen.

Eine Fassung ist deutlich eleganter

Es ist Geschmacksache, welche der beiden neuen Übersetzungen man bevorzugt, manche mögen es exakt, andere poetisch, mache bestehen auf Worttreue, andere schätzen den freien Umgang mit der Vorlage. Man muss nicht gleich tief ins sprachliche Unterholz des politisch komplexen Romans kriechen, es reicht schon, sich den ersten Absatz anzusehen, also den letzten friedlichen Moment, bevor der Aufstand der Tiere losbricht.

In der Version von Lutz-W. Wolff liest man: „Mr Jones von der Manor Farm hatte die Hühnerställe für die Nacht abgesperrt, aber er war zu betrunken, um daran zu denken, die Auslaufklappen zu schließen. Der Lichtkreis seiner Laterne tanzte von einer Seite zur anderen, als er über den Hof schwankte und an der Hintertür seine Stiefel abschüttelte. Er zapfte sich noch ein letztes Bier vom Fass in der Spülküche und machte sich auf den Weg nach oben ins Bett, wo Mrs Jones bereits schnarchte.“

Bei Ulrich Blumenbach heißt es dagegen: „Mr. Jones von der Herrenfarm verriegelte die Hühnerställe zur Nacht, er war so betrunken, dass er vergaß, die Klappen zu schließen. Der Lichtkegel seiner Laterne sprang hin und her, als er über den Hof torkelte, an der Hintertür die Stiefel abstreifte, sich am Fass in die Spülküche ein letztes Bier zapfte und die Treppe hoch ins Bett ging, wo Mrs. Jones schon schnarchte.“

Die Fassung von Ulrich Blumenbach ist eleganter, moderner, flüssiger als die etwas holzige und beflissene von Lutz-W. Wolff. In der Ausgabe von dtv schreibt Ilija Trojanow ein Vorwort, reist in Gedanken auf die schottische Insel, auf der Orwell zurückgezogen lebte und am Roman schrieb. Trojanow macht einen Nachfahren von Esel Benjamin ausfindig und diskutiert mit ihm über die Revolution, die für viele Beteiligte im Gulag endete: Der Kunstgriff soll keck und witzig sein, ist aber selbstverliebt und nervig.

Einfühlsames Nachwort von Eva Menasse

Beim Manesse-Verlag (Blumenbach-Übersetzung) verfasste Eva Menasse ein Nachwort,  sie stellt sich ganz in den Dienst des Buches, beschreibt einfühlsam die Faszination des Romans, die Leiden des Autors und die zeitlose Aktualität des tierischen Märchens. Während dtv noch viele Anmerkungen und eine Zeittafel mit Lebensdaten und Werken von Orwell auflistet, präsentiert der Manesse-Verlag zwei spannende Aufsätze: einen Essay über die von Selbstzensur und Opportunismus bedrohte Pressefreiheit sowie einen subversiven Text, den Orwell für eine ukrainische Ausgabe verfasst hat.

Doch für welche Aufgabe man sich auch entscheidet: Wenn die Tiere mitansehen müssen, wie ihre schweinischen Anführer wieder mit den verhassten Menschen gemeinsame Sache machen, hat der Roman nichts von seinem Schrecken verloren,: „Die Geschöpfe draußen sahen von Schwein zu Mensch, von Mensch zu Schwein und wieder von Schwein zu Mensch, aber es ließ sich schon nicht mehr sagen, wer was war.“ Da kann einem angst und bange werden.

George Orwell: „Farm der Tiere“. Ein Märchen. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Nachwort von Eva Menasse. Manesse Verlag, München 2021, 192 Seiten, 18 Euro.

George Orwell: „Farm der Tiere“. Ein Märchen. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. Vorwort von Ilija Trojanow. dtv, München 2021, 192 Seiten, 20 Euro.




Beckett, Bienen, inszenierte Archive – Martin Pages Künstlernovelle „Bienenzucht nach Samuel Beckett“

Jener Moran aus Becketts Roman „Molloy“, der den Auftrag hat, den Titelhelden ausfindig zu machen, betrachtet fasziniert den Flug der Bienen und ist „bestürzt über das verwickelte Gebilde dieses mannigfaltigen Tanzes.“ Im Verkehr der Insekten, die „keineswegs wie Menschen tanzen, um sich zu vergnügen, sondern auf andere Art“, entdeckt er „ein System von Zeichen“; er ordnet die „vielen verschiedenen Figuren und Rhythmen“ nach Klassen und interpretiert die Klangfarben ihres Gesummes, in welchem er „drei oder vier Höhenlagen“ ausmacht. „Das ist etwas, was ich mein Leben lang studieren kann, ohne es jemals zu ergründen.“

Literaturwissenschaftler mögen das Bienen-Motiv – außer in dem Roman „Molloy“ – auch an einigen weiteren Stellen in Samuel Becketts Werk entdeckt haben. Einer breiten Öffentlichkeit ist der Nobelpreisträger für Literatur (1969) jedoch nicht als Bienenzüchter bekannt. Auch in der soeben erschienenen Künstlernovelle „Bienenzucht nach Samuel Beckett“ von Martin Page bilden der weiße Overall und die Imkermaske nur eine von mehreren Kostümierungen, in denen der Schriftsteller auftritt. Bei der ersten Begegnung steht dem Ich-Erzähler folgender Beckett gegenüber: „Er hatte lange Haare und einen Bart. Er trug ein geblümtes Seidenhemd, eine schwarze Baumwollhose, Hausschuhe mit Schottenkaros und eine Schiffermütze“ – eindeutig nicht der Beckett, den wir von den Umschlagfotos unserer Suhrkamp-Taschenbücher kennen. Wir ahnen, dass der fiktionale Anteil in dem Tagebuch des Doktoranden, der kurzzeitig als Mitarbeiter des berühmten Samuel Beckett sein Geld verdient, beträchtlich sein muss.

Um Fiktion, genauer gesagt, um die Inszenierung des Lebens und des Nachlebens geht es auch bei dem, was Beckett und sein Helfer gemeinsam unternehmen. Forschungsinstitute an Universitäten in England, Irland und den USA sammeln Becketts Nachlass bereits zu dessen Lebzeiten. Beckett und sein neuer Mitarbeiter versorgen sie mit Informationen und Fehlinformationen. Ausgerechnet einen angehenden Anthropologen, der angibt, von Beckett neben „Warten auf Godot“ nur „Molloy“ gelesen zu haben, setzt Martin Page als Ich-Erzähler ein – ist es doch gerade Molloy in Becketts Roman, der rückblickend auf die Zeit seiner wissenschaftlichen Studien sagt, er habe sich „kurze Zeit mit der Anthropologie zu Tode gelangweilt.“

Langweilig wird es jedoch weder dem zwischen ausgelassenen Späßen und Resignation oszillierenden Beckett, noch seinem jungen Helfer, noch dem Leser von Martin Pages Novelle – woran auch der deutsche Übersetzer Gernot Krämer entscheidenden Anteil hat, dem es stets gelingt, die Leichtigkeit des Originals zu wahren, ohne bei seiner Wortwahl in Banalität abzugleiten, wozu das Erzählte manchmal verleiten könnte. Beispiel: Beckett beim Bowling. „Beckett warf seine Kugel mit Bestimmtheit. Seine Bewegungen waren geschmeidig, sein Fuß hielt genau an der Linie. Er war geschickt. Man sah, dass es ihm Spaß machte, die Kegel umzuwerfen.“

Etwas von der solipsistischen Behaglichkeit, die uns bei der Beckett-Lektüre berühren mag, überträgt sich auch durch Martin Pages Novelle. Beckett und sein Helfer mischen in die Pakete an die Forschungsinstitute einen Dildo aus dem Sexshop, falsche Schnurrbärte, nie benutzte Fahrkarten zu unsinnigen Reisezielen, und sie räsonieren dabei über Fetische oder die Verlässlichkeit wissenschaftlicher Forschung.

Das Umschlagen von Heiterkeit in Melancholie wird auch am Beispiel einer Theateraufführung von „Warten auf Godot“ im Gefängnis des schwedischen Städtchens Kumla im Jahr 1984 (der Gegenwart von Martin Pages Novelle) deutlich.

„Also? Wir gehen?“ – „Gehen wir!“ Auf der Bühne bewegen sich Vladimir und Estragon nach ihren berühmten Schlussworten nicht von der Stelle. Vier der fünf Gefängnisinsassen in Kumla jedoch, die nach dem großen Erfolg mit Becketts Stück auf Tournee gehen durften, fühlten sich ermuntert, nicht auf Godot zu warten, sondern zwischen einer Pressekonferenz und der Aufführung in Göteborg tatsächlich das Weite zu suchen. Als Beckett über den Regisseur Jan Jönson davon erfuhr, soll er in lautes Lachen ausgebrochen sein. So auch in Martin Pages Novelle, um allerdings gleich darauf die Chancenlosigkeit der Entflohenen zu beklagen. Ihr Ausbruchversuch werde alles noch schlimmer machen.

Während seiner beschwerlichen und unergiebigen Suche nach dem rätselhaften Molloy tröstet sich Becketts Romanfigur Moran mit Gedanken an die sonnenbeschienenen Bienenkörbe in seinem Garten. Jedoch scheitert er am Ende nicht allein in seinem Auftrag, Molloy aufzuspüren – bei seiner Rückkehr findet er auch im Bienenstock nur noch „ein Staubhäufchen von Flügeln und Ringen“ vor: „Man hatte sie den ganzen Winter hindurch draußen stehengelassen, ihnen den Honig genommen und ihnen keinen Zucker gegeben.“

Das ist nicht der Beckett, der Hawaiihemden, Kimonos, Cowboystiefel, exotische Hüte und Perlenkolliers trägt. Das ist der Beckett, der sich mit dem ersten Satz seines ersten Romans, „Murphy“, 1938 in die literarische Welt einschrieb. The sun shone, having no alternative, on the nothing new.

Für seine Studien über den Schwänzeltanz der Bienen als Sprachelement erhielt im tatsächlichen Leben der Verhaltensforscher Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis für Physiologie / Medizin.

Martin Page: Bienenzucht nach Samuel Beckett. Aus dem Französischen übersetzt von Gernot Krämer. merz & solitude, Reihe Literatur. Stuttgart, Oktober 2011. Kartoniert, 80 Seiten, 15 Euro

Martin Page schrieb die Novelle 2009/2010 während eines Stipendienaufenthalts in der Akademie Schloss Solitude bei Stuttgart.

Erschienen ist der schöne Band im Oktober 2011 im Verlag merz & solitude, einer Kooperation der Akademie Schloss Solitude mit der Merz Akademie, Hochschule für Gestaltung Stuttgart.