Vor Möhringer sei gewarnt: Wilhelm Killmayers „Yolimba“ klärt am Theater Münster auf, was es mit dem Manne auf sich hat

Alle großen Momente sind von einer gewissen Magie umweht, seien es Wendemarken des eigenen Daseins oder entscheidende Weichenstellungen der Geschichte.

Gregor Dalal (Mitte) steuert als Magier Möhringer seine Höllenmaschine. Foto: Oliver Berg

Gregor Dalal (Mitte) steuert als Magier Möhringer seine Höllenmaschine. Foto: Oliver Berg

Das magische Charisma von Alexander dem Großen etwa beschäftigte zahllose Schülergenerationen altsprachlicher Gymnasien; die Verwandlungskunst der Zauberin Circe faszinierte Leser von Homers Epen über Tausende von Jahren hinweg. Selbst Einsteins geniale Formel hat in der Wissenschaft eine unbestimmbare Ausstrahlung, wie sie in der Musik die magische Hand Herbert von Karajans auszulösen vermochte. Und auch bei Möhringer ist die Magie unschwer zu entdecken.

Wie, verehrtes Publikum, Sie wissen nicht, wer Möhringer ist? Verständlich. Auch Professor Wallerstein, ein nicht unbedeutender Archäologie, kannte den Namen nicht, nahm aber von der Post fatalerweise eine Kiste mit diesem Absender in Empfang. Sein Verhängnis! Wenige Minuten später war er tot.

Das Wörtchen „Liebe“ bringt den Tod

Sie, hochgeschätzter Theaterbesucher, haben also möglicherweise viel Glück gehabt. Denn Möhringer ist ein veritabler Magier und Schöpfer eines Wesens, dem Sie besser nicht begegnen, sollten Sie jemals das Wort „Liebe“ auf den Lippen tragen: Nach eigenen Worten ein „Mann der Ordnung“, hat Möhringer dieses Geschöpf des Lasters und der Magie wie ein Doktor Frankenstein in einer Höllenmaschine geschaffen. Ein Mädchen mit grellroten Haaren, aus einem Rohr ausgespuckt auf die Erde. Die Lady erschießt jeden, der es wagt, „Liebe“ zu sagen. Denn die Liebe soll um der Ordnung willen ausgerottet werden, und mit ihr das „Laster“. Der Archäologe und brave Familienvater war der erste Delinquent.

Auch die Polizei ist im Falle Yolimbas machtlos: Stefan Sevenich, Pascal Herington, Marielle Murphy, Youn-Seong Shim. Foto: Oliver Berg.

Auch die Polizei ist im Falle Yolimbas machtlos: Stefan Sevenich, Pascal Herington, Marielle Murphy, Youn-Seong Shim. Foto: Oliver Berg.

Die eiskalte Mörderin namens Yolimba treibt derzeit auf der Bühne des Theaters in Münster sein Unwesen. Ihr wirklicher Schöpfer ist natürlich nicht „Möhringer“. Der ist, wie Yolimba selbst, ein Produkt der literarischen Fantasie von Tankred Dorst, der diese wiederum dem Komponisten Wilhelm Killmayer anvertraut hat. Und Killmayer, in den fünfziger bis neunziger Jahren ein erfrischend wider den Stachel der musical correctness löckender Tonsetzer, hat aus dem Büchel eine wunderfeine Posse verfertigt, in bester Tradition zwischen Jacques Offenbach, Goldene-Zwanziger-Varieté und Schlagerseligkeit der Nachkriegszeit. Ein absurdes Spiel, dessen Amüsierwert seit der Uraufführung 1964 und einer Neufassung 1970 nicht verblasst ist.

Dass die lustvolle, kurz wie kurzweilig daherkommende Posse so gut wie nie nachgespielt wurde, ist verwunderlich: Sie unterhält prächtig, ist auf herrlich manierierte Weise absurd, und vor allem gesegnet mit feinsinniger Musik.

Killmayer bedient sich aus allen möglichen Traditionen. Der Eröffnungschor „Wie schön ist der Mai“ mimt kunstvoll die musikalische Schlichtheit eines Fünfziger-Jahre-Trällerschlagers. Solisten wie die drei an die „Zeitdiebe“ aus „Momo“ erinnernde Herren (Youn-Seong Shim, Pascal Herington, Stefan Sevenich) singen a cappella, als kämen sie aus einem Madrigal oder einer Nummer der Comedian Harmonists. Kontrapunkt und Harmonielehre werden auf gelehrte Weise vorgeführt. Barocke Ritornelle wechseln mit lautmalerischen Momenten ab und über allem schweben mühelos wirkende, melodisch pikante Gesangsstimmen. Das Triviale mündet ins Absurde, das Groteske mimt ganz ernst den Alltag.

Humor und Groteskerie ohne aufgesetzten Überbau

Auch die Polizei ist im Falle Yolimbas machtlos: Stefan Sevenich, Pascal Herington, Marielle Murphy, Youn-Seong Shim. Foto: Oliver Berg.

Auch die Polizei ist im Falle Yolimbas machtlos: Stefan Sevenich, Pascal Herington, Marielle Murphy, Youn-Seong Shim. Foto: Oliver Berg.

Yolimba also, unschwer als Ableitung aus dem Namen „Olympia“, der Puppe in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ erkennbar, feuert vor ihren Pistolenkugeln erst einmal Staccati, Acuti, Melismen und Vokalisen ab: Marielle Murphy entledigt sich ihrer Tonsalven rasant und so aufgedreht, dass sie sich gleich die Lacher des Publikums einfängt. Regisseur Ulrich Peters, der Münsteraner Intendant, hat für solche Figuren und Situationen ein unfehlbares Händchen – er ist einer der wenigen, der die Zwischentöne des Humors und der Groteskerie ohne aufgesetzten Überbau, aber mit zündender Intelligenz auf die Bühne bringen kann.

An eine Offenbach-Figur, nämlich Spalanzani, erinnert auch der ominöse Möhringer: Gregor Dalal grundiert ihn dank mächtiger, satt artikulierter Basstöne mit einem dämonischen Zug, doch das altertümliche Kostüm (wie die Bühne von Andreas Becker), die hochgebundene Frisur und der prätentiös kunstvolle Bart lassen ihn als wunderliche Gestalt zwischen komischem Alten und Steampunk-Freak erscheinen.

Nächstes Opfer Yolimbas ist ein Operntenor, der so aussieht, wie sich die Werktreuen-Fraktion einen solchen vorstellt. Zu seinem Unglück macht Juan S. Hurtado Ramirez den naheliegenden Fehler, klangvoll „amore“ in den Raum zu schleudern. Es gibt noch eine Reihe weiterer Opfer, bis der Plakatankleber Herbert (Pascal Herington hat die Musik für den kranken Stephan Boving in einer Nacht einstudiert, Max Hülshoff spielt ihn auf der Bühne), den Bann der Magie bricht, weil er zu schüchtern ist, das tödliche Wörtchen auszusprechen. Yolimba verliebt sich; für den Magier wird ein Abfallcontainer zur Falle: In der Zerkleinerungsmaschine der in einem kunstvoll komponierten Lobeschor gepriesenen Müllabfuhr verpufft sein Dasein und lässt nur noch schwärzliche Fetzen seiner magischen Macht herabregnen. Der Schluss besingt erneut den schönen Mai, während die Opfer auferstehen wie die Lebkuchenkinder in Humperdincks „Hänsel und Gretel“.

Die quirligen achtzig Minuten vergehen wie im Flug. Killmayer versteckt elaborierte Kunst hinter einem sprühenden Feuerwerk musikalischer Eingängigkeiten, die Thorsten Schmid-Kapfenburg mit einer bunt gemischten Truppe mit stets leichter Hand so durchsichtig, pointiert und mit Esprit gesegnet wie eben möglich präsentiert.

Den Kinderchor und die jugendlichen Sängerinnen und Sänger der Westfälischen Schule für Musik, die mit diesem Kooperationsprojekt ihr 100jähriges Bestehen feiert, hat Claudia Runde schlicht entzückend präpariert; die Choreografie Kerstin Rieds funktioniert, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Das Sinfonieorchester Münster stellt die üppige Besetzung im Graben nicht alleine; es wirken Studenten der Musikhochschule Münster mit, die es in solistischen Passagen und in der heiklen Balance filigran komponierter Momente nicht an Können fehlen lassen. Rundum vergnüglich, diese „Yolimba“, und wieder einmal ein Tipp für Theater, an denen Witz und heit’re Laune noch ein Heimatrecht genießen.

Nächste Vorstellungen am 8. und 24.  Januar 2020. Tickets: Tel.: (0251) 59 09-100, www.theater-muenster.com




Erhellendes Experiment: Ulrich Peters verschneidet in Münster Verdis „Don Carlo“ mit Schnittkes „Requiem“

Einsamer König (Stephan Klemm) im Raum des Todes. Foto: Oliver Berg

Einsamer König (Stephan Klemm) im Raum des Todes. Foto: Oliver Berg

Giuseppe Verdi war kein Freund der Kirche. Mit beißendem Hohn kritisierte er klerikale Doppelmoral, mit bitterer Schärfe zerlegte er die politische Rolle des Vatikans in Italien. Aber er hatte Priester unter seinen engsten Freunden, respektierte die Frömmigkeit seiner Frau Giuseppina Strepponi und äußerte sich nach allem, was wir wissen, nie gegen das christliche Glaubensbekenntnis.

So liegt es nicht fern, in der Figur des Großinquisitors in seiner Oper „Don Carlo“ eine szenische Verkörperung von Verdis Antiklerikalismus zu sehen. Kaum ein anderer Komponist hat eine kirchliche Figur mit derart verstörend fahlen Klängen eingeführt; in kaum einer anderen Oper wird in wenigen Sätzen die unmenschliche Ideologie eines in sich erstarrten Systems so präzis umrissen. „Perché un uom‘?“ – Wozu ein Mensch?“ schleudert der uralte Priester-Greis dem König entgegen, fordert den Kopf des Rodrigo Marchese di Posa, in dem der zutiefst einsame Philipp endlich eine lautere Seele gefunden zu haben glaubt.

Für den Großinquisitor verzichtet Regisseur Ulrich Peters in seiner Neuinszenierung in Münster auf klerikale Konnotationen: Er ist kein Bischof und kein Mönch, sondern ein stolzer spanischer Grande in einem historisch anmutenden steifen Justaucorps. Nur eine Art Handrosenkranz mit Kreuz deutet das religiöse Moment an.

Den Zusammenhang zwischen Religion und Politik verlegt Peters mit einer wagemutigen musikalischen Lösung aus dem direkten Handlungsstrang des Stückes auf eine übergeordnete Meta-Ebene: Verdis düster-beeindruckender Rahmen – der Mönch, der die Vergeblichkeit menschlichen Strebens im Angesicht von Tod und Ewigkeit besingt – ist gestrichen. Dafür beginnen und beschließen Peters und sein Dirigent Golo Berg die Oper mit dem „Requiem aeternam“ aus Alfred Schnittkes „Requiem“ (1977), ursprünglich gedacht als Bühnenmusik für Schillers „Don Carlos“.

Das Theater in Münster, ein ästhetisch gelungener Bau aus den Fünfziger Jahren. Archivfoto: Häußner

Das Theater in Münster, ein ästhetisch gelungener Bau aus den Fünfziger Jahren. Archivfoto: Häußner

„Don Carlo. Ein Requiem“ ist folglich der Titel der ambitionierten Münsteraner Aufführung, für die Peters und sein Team am Ende kräftige Missfallensbekundungen einstecken müssen. Bei allen Vorbehalten gegen eine musikalische Lösung, die Verdis meisterhafte, formal genau ausgewogene Musik immer wieder empfindlich stört: Das Konzept hat etwas für sich. Wo der Kontext der katholischen Kirche in den Verläufen auf der Bühne einer auf die Psyche Philipps konzentrierten Lösung weichen muss, wird der christliche Glaube auf der Meta-Ebene als Horizont neu eingesetzt.

Schon die Glocken und die düsteren Stimmen von Schnittkes „Requiem“ machen zur Eröffnung deutlich, in welchem Koordinatensystem der spanische König seine göttlich begründete Macht auf Erden ausübt. Es ist der Horizont des Todes. Doch der relativiert die politische Macht und setzt ihren unmenschlichen Folgen eine Vision von Hoffnung entgegen – mag man sie für bloß projiziert oder im christlichen Glauben abgesichert halten.

Am Ende, wenn alle tot sind, die Philipp etwas bedeuteten, und er die Leichen mit Herbstblättern bedeckt hat, kehren die Worte des „Requiem“ wieder. Ein berührender, mehrdeutiger Schluss: Einsam schreitet der König aus dem Raum des Geschehens, lässt den statuenhaft erstarrten Großinquisitor zurück. Der dominiert nun den Raum des Todes. Die jenseitige Ruhe, die der Text in seiner Bitte an Gott benennt, ist den befreiten Seelen verheißen. Ob Philipp das „ewige Licht“ erreichen wird, bleibt offen.

Schmerzhafte Schnitte in die Musik Verdis

Andere Teile des Schnittke-Requiems schneiden manchmal schmerzhaft in die Szenen der Oper ein, verstärken aber ihre Aussage: das „Kyrie eleison“, die Bitte um Erbarmen, als Carlo im Kloster vom König und seiner früheren, geliebten Braut Elisabeth überrascht wird – eine Szene, die sich auf diese Weise zu einer halbrealen Imagination wandelt. Das „Sanctus“, das den König im Kopf quält, als er seine Macht an der hilflosen Gräfin Aremberg demonstriert hat. Das „Dies irae“ nach der bedrückenden Szene des Autodafés – das an dieser Stelle als viel zweideutigeres Signal wirkt als Verdis gestrichene Stimme vom Himmel. Und das Glaubensbekenntnis, das „Credo in unum Deum“ zum Aufstand des Volkes – Bestätigung der Macht des Großinquisitors, der durch sein drohendes Auftreten allein den Aufruhr ohnmächtig zusammenfallen lässt, oder trotziger Kontrast zur entfalteten, aber morschen Dominanz der irdischen Großen? Die Signale sind stark, ihre Deutung lässt Spielräume zu, die in diesem Fall dazu neigt, den Zorn Gottes denjenigen anzukündigen, die glauben, seine Sache mit Mord und Macht zu vertreten.

Stumpfe Farben, bedrückende Stimmung: Die Bühne von Rifail Ajdarpasic für "Don Carlo. Ein Requiem" in Münster. Foto: Oliver Berg

Stumpfe Farben, bedrückende Stimmung: Die Bühne von Rifail Ajdarpasic für „Don Carlo. Ein Requiem“ in Münster. Foto: Oliver Berg

Auf der Bühne von Rifail Ajdarpasic lässt Ulrich Peters den idealistischen Feuerkopf Posa als einzigen in der lebensvollen Farbe Rot auftreten. Alle anderen hüllt Ariane Isabell Unfried in Kostüme zwischen strahlendem Weiß (Elisabetta) und düsteren Grau-, Schwarz und Silbertönen. Der Raum ist ein bleiern-zwielichtiger Kasten. Nur von oben oder von außen dringt Licht ein, das hin und wieder grelle Schatten schneidet, nie aber Wärme spendet.

Der Tod regiert diese Welt: Graue Baumstämme streben nach oben, doch sie sind in kaminartigen Schächten gefangen. Ihre Blätter sind längst verwelkt; sie bedecken einen Todeshügel, schweben hin und wieder verloren von oben herab. Ein Sarg thront im Zentrum des ersten Bildes, ein Schwert steckt wie ein Grabkreuz im Boden. Wenn der König seine brüchige politische Macht entfaltet, steht ein Ledersessel an der Stelle des Leichengehäuses. Ein Bild, das die bedrückende Atmosphäre des Stücks lastend depressiv einfängt.

Peters lässt keinen Zweifel, wer in diesem Verhängnis das Opfer ist: Philipp II. Gedankenverloren stützt sich Stephan Klemm auf den Sarg. Als Don Carlo (Garrie Davislim) sich in seiner ersten Arie in den glücklichen Moment der ersten Begegnung mit Elisabetta in Fontainebleau versetzt, schleicht der König wie ein materialisiertes Omen um seinen Sohn.

Zu Beginn des dritten Aktes, vor seiner zentralen Szene „Ella giammai m’amó“, ist der König nicht allein auf der Bühne – und dennoch unendlich einsam, wenn er die stummen, starren Gestalten seines Lebens umschreitet: Elisabeth, deren geplante Verbindung mit Carlo er aus politischen Gründen verhindert hat. Eboli, die schon im Lied vom Schleier im ersten Akt als seine Mätresse eingeführt wird und deren Leben daran zerbricht. Carlo, den er unglücklich gemacht hat, weil er seiner Liebe zu Elisabetta aus politischer Räson jede Chance verbaut hat. Posa, dessen hochfliegende politische Pläne er zu spät erkennt.

Ganz in Weiß und auch als Opfer der politischen Ranküne selbstbewusst: Kristi-Anna Isene als Elisabetta. Foto: Oliver Berg

Ganz in Weiß und auch als Opfer der politischen Ranküne selbstbewusst: Kristi-Anna Isene als Elisabetta. Foto: Oliver Berg

Stephan Klemm versucht, der tragischen Gestalt mit leisen Tönen, mit fragilen, ungestützt gesungenen Klängen beizukommen – musikalischer Ausdruck einer verlorenen Seele. Klemm setzt seinen wohlgeformten Bass ein, als glaube er nicht an Seelen-Expression durch Belcanto. Dieser Filippo ist nur scheinbar ein machtvoller Akteur, in Wirklichkeit ein existenziell verunsichertes Opfer einer diffusen, allgegenwärtigen Macht, die sich ein einziges Mal in der Gestalt des Großinquisitors konkretisiert. Allerdings fehlen seinen Schlüsselszenen die letzte psychologische Konsequenz: Regisseur Peters hat es offenbar nicht geschafft, dem Darsteller über den panischen Griff beider Hände an die Schläfen oder das steife Anlegen der Arme hinaus subtilere Reaktionen seelischer Pein zu vermitteln.

Leider gelingt es ihm auch nicht, aus dem steif agierenden Garrie Davislim (Carlo) und der anfangs markant und selbstbewusst auftretenden Kristi-Anna Isene (Elisabetta) prägnant gezeichnete Charaktere zu formen. Szenen wie die Konfrontation Elisabeths mit dem König im dritten oder dem Abschied von Carlo im vierten Akt kommen nicht auf den Punkt und wirken eher routiniert arrangiert als szenisch durchdrungen. Auch das Gespräch des Königs mit Posa entbehrt des Spannungsbogens – immerhin versucht Filippo Bettoschi, dem flammenden Idealismus, aber auch der mutigen Ehrlichkeit Posas ein Gesicht zu geben.

Monika Walerowicz (Eboli) und Stephan Klemm (König Philipp). Foto: Oliver Berg

Monika Walerowicz (Eboli) und Stephan Klemm (König Philipp). Foto: Oliver Berg

Für die packendsten Momente der Inszenierung sorgt Monika Walerowicz als Eboli:  Sie ist nicht nur eine vorzügliche Sängerin, die mit Stimmfarben gestalten kann, sondern lebt als Darstellerin in ihrer Rolle: Ein Blick, eine Geste schafft Beziehung und baut Spannung auf. Ihr Bekenntnis, Elisabetta verraten und dem König zu Willen gewesen zu sein, gefolgt von der grandios ausgeleuchteten Arie „O don fatale“ ist einer der Höhepunkte des Abends. Der König spürt, dass er beide Frauen verloren hat, legt seinen Kopf an die Schulter der sich demütigenden Eboli, bevor er geschlagen den Raum verlässt: In diesem Moment hat man Mitleid mit dem Monarchen und seiner gefangenen Seele.

Keine vokalen Muskelspiele

Der neue Münsteraner Generalmusikdirektor Golo Berg befreit Verdis Musik gründlich von dröhnender Vordergründigkeit und dem lautstarken Stimmprotz, der sich im Gefolge des Verismo zum Teil bis heute hält. Vor allem Garrie Davislim als Don Carlo kann entspannt und mit vielen Mezzoforte-Schattierungen gestalten, missbraucht etwa das Freundschaftsduett mit Posa im ersten Akt nicht für vokales Muskelspiel. Auch Kristi-Anna Isene überzeugt als Elisabetta ungeachtet einiger schriller Spitzentöne mit einem leuchtend abgerundeten Zentrum und lyrischer Noblesse.

Filippo Bettoschi kontrolliert als Posa meist erfolgreich die Tendenz zu einem rauen Vibrato, wie es in der neueren italienischen Schule leider oft zu erleben ist. Probleme beim Aussingen eines gelösten, klangvollen Legato kann er nicht ganz vermeiden. Christoph Stegemann formt seine Phrasen und den polierten Klang seines Basses edel aus, doch die düstere Autorität des Inquisitors stellt sich nicht ein. Das mag auch an der Auffassung von Golo Berg liegen, der die sich steigernde Dramatik der Szene nicht einfordert.

Dass Berg einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, liegt vor allem an den Eingriffen, die er in Verdis Musik erlaubt. Schon vor gut zehn Jahren hat er als GMD in Dessau rabiate Streichungen in „Don Carlo“ mitgetragen, weil Regisseur Johannes Felsenstein die fixe Idee umsetzen wollte, Verdis Oper so weit wie möglich an Schillers Dramentext anzunähern. Jetzt lässt er streichen, um Schnittkes Requiem-Teile in Verdis Musik einzupassen.

Es mutet seltsam an, zu lesen, wie er im Programmheft jedes Wort, jeden dynamischen Hinweis und jede Artikulationsanweisung Verdis für verbindlich erklärt, aber keine Hemmungen hat, an Verdis Szenenkomplexen zu schnippeln. Das tut weh – aber das Experiment in Münster deswegen für gescheitert zu erklären, wäre nicht angemessen. Dazu zeigt Peters‘ Konzept zu überzeugend, welche zerstörerische Wirkung eine – zumal sich religiös begründende – Macht entfaltet, aber auch, welches machtkritische Potenzial ein ernst genommener christlicher Glaube einzubringen hat.

Weitere Vorstellungen: 12./15./18./31.10. — 5./11./17.11. — 12./22./25.12.2017; 05.01. und 02.02.2018. Info und Karten: www.theater-muenster.com