Das Ende der Vorurteile – Kinofilm „Unkenrufe“ nach der Erzählung von Günter Grass

Von Bernd Berke

Fürs „Buch zum Film“ hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass ein Vorwort geschrieben. Er ist also wohl gnädig einverstanden mit der Adaption seiner 1992 erschienenen Erzählung „Unkenrufe“.

Leicht kann die Umsetzung nicht gewesen sein, denn Grass hat vielfach mit indirekter Rede und erzählerischen Mutmaßungen gearbeitet. Das alles musste fürs Kino konkretisiert, auf Figuren verteilt, zugespitzt oder ausgelassen werden. Daran gemessen, ist der Film des polnischen Regisseurs Robert Glinski passabel geraten. Und er bebildert getreulich manche sinnliche Grass-Spezialitat: von lukullischen Genüssen bis zum pittoresken Rikscha-Dienst mitten in Danzig, der auf die Kalkutta-Aufenthalte des Autors zurückgeht.

1989, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer: Der Bochumer Kunsthistoriker Alexander Reschke forscht in seiner (und Grass‘) Geburtsstadt Danzig, die bekanntlich seit1945 Gdansk heißt und zu Polen gehört, nach einem besonderen Grabstein. Durch Zufall lernt er die polnische Kunst-Restauratorin Aleksandra Piatkowska kennen – verwitwet wie er selbst, des Deutschen mit charmantem Akzent mächtig und auch beruflich kompatibel. Deutsch-polnische Vorurteile gibt es zwar zuhauf, doch diese beiden lebensklugen Menschen umschiffen derlei Klippen höchst freimütig.

Alexander und Aleksandra

Alexander und Aleksandra – wenn das nichts wird! Zartfühlend, mit feiner Ironie spielen Matthias Habich und Krystyna Janda diese späte Liebe zweier gereifter Menschen. Sie verleihen dem Film menschliche Wärme – ebenso wie die weise Marktfrau Erna Brakup (Dorothea Walda), eine pralle Grass-Figur wie aus dem Bilderbuch.

Unsere beiden haben eine spontane Idee, deren Sinn der Film mit dem Untertitel „Zeit der Versöhnung“ überdeutlich ankündigt. Sie gründen eine polnisch-deutsch-litauische Friedhofs-Gesellschaft, die jedem Menschen am Ende dieses zerrissenen 20. Jahrhunderts die Beisetzung an seinem Geburtsort ermöglichen soll. So möge etwa der gebürtige Danziger, der in der Bundesrepublik lebt, seine letzte Ruhe in der alten Heimat finden – über alle ideologischen Gegensätze und Bedenken („Kein Deutscher in polnischer Erde!“) hinweg. Es finen sich Mittel und Wege.

Herzensgute Sympathieträger

In Rückblenden erzählt der Film aus der Kindheit Alexanders in der NS-Zeit und Aleksandras im Kommunismus, wo sie jeweils Außenseiter waren. Diese herzensguten Sympathieträger taugten eben nie fürs dröhnende Kollektiv.

Immer wieder kommt die sprichwörtliche Unke ins Spiel, die kommendes Unheil quakend verkündet. Als literarisches Zeichen mag das angehen, doch als real vorhandenes Tier im Film mag man’s schon bald nicht mehr haben.

Die Mauer fällt, die Blöcke beginnen sich aufzulösen. Wie skeptisch Grass diese historischen Vorgänge gesehen hat, weiß man. Auch die Friedhofs-Gesellschaft lässt er mit satirisch getönten Anstrengungen in kapitalistisches Fahrwasser geraten. Im deutsch-polnischen Komitee gewinnen Leute wie der Unternehmer Vielbrand (Udo Samel) die Oberhand, die die Idee gnadenlos kommerziell ausbeuten wollen.

Das ist nicht mehr die Welt von Alexander und Aleksandra. Sie ziehen sich nach Italien zurück: „Neapel sehen und sterben“. Filn und Buch finden ein trauriges Ende. Schon zu Beginn ist ja ein steinerner Engel symbolisch gestürzt…

Volker Schlöndorff hat, lang ist’s her, mit der Verfilmung von Grass‘ „Blechtrommel“ einen Oscar errungen. Dazu wird’s diesmal nicht kommen. Die recht konventionelle Dramaturgie wirkt so vorsichtig, als solle nur ja kein Schaden angerichtet werden. An Gedenk- und Feiertagen wird man das in diesem Sinne mustergültige Stück später im Fernsehen zeigen.




Grass: Das Geschenk der Einheit vergeudet – Kritische Töne auf der Frankfurter Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Ein Hauptgeschäft bei der Buchmesse ist der Verkauf internationaler Nachdruck-Lizenzen. Wenn dieser Handel getan ist, beginnt ein womöglich noch schwierigeres „Geschäft“, das der Übersetzung.

Nicht jeder Autor kann sich gleich mit einem ganzen Kranz renommierter Dolmetscher umgeben wie Günter Grass, der sich gestern in Frankfurt mit einem Dutzend beinahe anonymer Sprachkünstler aufs Podium begab, die just seinen umstrittenen Bestseller „Unkenrufe“ in alle möglichen Idiome übertragen haben — von Katalanisch bis Türkisch, von Dänisch bis Polnisch. Welche Untiefen sich dabei auftun können, machte der polnische Übersetzer deutlich, der die Aufgabe hatte, gebrochenes Deutsch redende Polen sprachlich ins Polnische „hinüberzuretten“.

„Auschwitz immer mitdenken“

Einmütig stellten die Übersetzer fest, daß Grass‘ Roman mit seiner Kritik an deutschen Zuständen allerorts auf größere Zustimmung rechnen könne als eben in Deutschland. Damit war man bei einem Thema der Messe. Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock und anderswo lassen manche schon um die internationale Attraktivität des Buchmesseplatzes Frankfurt bangen. Nicht von ungefähr hatte zur Eröffnung Außenminister Kinkel seinen Redetext spontan geändert und Abbitte geleistet.

Und Günter Grass, seinerzeit einer der lautesten Mahner vor der deutschen Einheit, bei der man „Auschwitz immer mitdenken“ müsse, fühlt sich jetzt natürlich bestätigt: „Aber ich bin alles andere als froh darüber.“ Seine schlimmsten Befürchtungen seien übertroffen worden, meinte Grass: .„Was wir mit dem Geschenk der Einheit gemacht haben, ist nur noch beschämend.“ Grass verteidigte das Asylrecht als „Kronjuwel unserer Verfassung“ und nannte gar den heutigen Verteidigungsminister Rühe einen „Skinhead mit Scheitel“, weil er das Thema Asyl unnötig „heiß geredet“ habe.

Noch mehr Elektronik in den Hallen

Beim Rundgang durch die Messehalle 6 (deutschsprachige Verlage) fällt sofort auf, daß erneut mehr Elektronik Einzug gehalten hat als im Vorjahr. Da ist es wirklich nur noch Vollzug, wenn – wie berichtet – dieser Art von „Literatur“ 1993 eine Halle eingeräumt wird. Den Reiseführer von morgen etwa tastet man mit der Computer-Maus ab. Dann zeigt er einem Landkarten und Fotos und erzählt einem mit Schrift, Ton und vielen bunten Bildern, was Y-Dorf und X-Stadt alles zu bieten haben. Wozu dann noch reisen, möchte man fast fragen.

Noch schlimmer kommt es dann in der sogenannten „Rationalisierungs-Schau“ des Buchhandels, die man glatt für einen Ableger der Computermesse „Cebit“ halten könnte. Der Elektronik-Konzern Philips hat dort eine regelrechte „Spielhölle“ eingerichtet, übrigens einer der bestbesuchten Stände der Messe.

Auf der Suche nach einem oder gar dem Trend wird man bei rund 101.000 Neuerscheinungen kaum fündig werden. Natürlich gibt es Saisonware wie etwa die Olympiabücher, doch im Grunde zeigt sich immer deutlicher, daß man schlichtweg alles zwischen zwei Buchdeckel bringen und es dann verkaufen kann, wenn nur das Marketing bis hin zur „Außenhaut“ (sprich Umschlag) des Buches stimmt. Gestaltung wird immer wichtiger, Inhalte kommen erst lange danach.

Nochmals zugenommen haben die langen Reihen der Verlage mit esoterischem Programm, die uns alle möglichen Ersatzgötter und Lebenshilfen andienen. Dagegen wirkt der Bezirk der „linken“ Verlage schon wie ein kleines Reservat.