Globus am Abgrund, Rettung naht – Matthias Polityckis Roman „Samarkand Samarkand“

9783455404432Tim Bendzkos Song, wonach er nur noch die Welt retten muss, der könnte auch von Alexander Kaufner stammen.

Im fernen Usbekistan, genauer genommen in der sagenumwobenen Stadt Samarkand soll und will er eine Mission erfüllen, die da lautet: den dritten Weltkrieg zu beenden. Fürwahr, es ist kein angenehmes Leben mehr auf diesem Globus, seitdem sich die Machtverhältnisse einmal mehr verschoben haben. Nach Deutschland, der Heimat des Romanhelden, sind die Russen zurückgekehrt, radikale Muslime kämpfen mit Waffengewalt, aber es gibt noch eine Bundesregierung, wenn auch nicht mehr unter Kanzlerin Merkel. Gemäß dem Satz, dass der Islam zu Deutschland gehört, führt jetzt der Türke Mehmet Yalcin die Regierungsgeschäfte.

Die Art und Weise, wie Kaufner von all den Ereignissen erfährt, versinnbildlicht den Wandel der Welt: Gazprom-TV heißt der Sender, der alle anderen Medien verdrängt hat. Wie nun der Deutsche den blauen Planeten von dem Fluch des Krieges befreien soll, ist schon aberwitzig. Er soll das Grab von Timur, Nachfahre des Mongolenherrschers Dschingis Khan, ausfindig machen. Diesem Ort wird eine magische Kraft zugeschrieben, und zwar eine solche, die in diesen dunklen Zeiten Wunder wirken kann.

Autor Matthias Politycki lässt den Leser teilhaben an einer Expedition durch ein Land, das für Kaufner bei optimistischer Betrachtung eine Menge an Abenteuern bereithält. Schon allein der Name „Samarkand“, wo die Grabesstätte vermutet wird, versprüht einen Zauber, dem sich der ehemalige Gebirgsjäger nicht entziehen kann. Selbst als er feststellen muss, dass es neben dem illustren Samarkand, das seinen festen Platz an der Seidenstraße hatte, noch ein zweites Samarkand existiert, dem eher die Aschenputtelrolle zugedacht ist, lässt er von seinem Plan nicht abhalten. Er will das wahre Grab von Timur finden und das befindet sich nun mal in diesem wenig einladenden Ort.

Die Idee zu dem Buch kam Politycki schon 1987 in den Sinn, als er erstmals in Samarkand zu Gast war. Seinerzeit schien der Mauerfall noch in weiter Ferne zu sein, dafür hatte ihn die Faszination an Ort und Stelle ergriffen. Es sollte rund ein Vierteljahrhundert dauern, bis der Autor sich daran setzte und Kaufner auf Reisen schickte. Zwischenzeitlich kehrte er nach Samarkand zurück, verwarf erste Konzepte für das Buch, um nun eine spannende, mitunter auch sperrige Lektüre vorzulegen.

Befremdlich wird das Buch schon mal an solchen Stellen, in denen Gewaltexzesse beschrieben werden. Das Massaker von Köln, das nahezu alle Karnevalisten dahinrafft, ist wahrlich nichts für schwache Nerven. Wem solche Passagen zu brutal daherkommen, der wird durch die Fantasie des Autors entschädigt. Politycki zeichnet zwar eine düstere Zukunft, die jedoch noch längst nicht das Ende aller Tage sein muss. Wenn eine Zeitangabe aufhorchen lässt, dann ist es das Jahr, in dem der Schriftsteller seine Geschichte beginnen lässt: 2027. Bis dahin sind es gerade mal noch 14 Jahre.

Matthias Politycki: „Samarkand Samarkand“. Hoffmann und Campe, 397 Seiten. 22,99 Euro




Wenn New York in den Fluten versinkt – Nathaniel Richs Roman „Schlechte Aussichten“

9783608980035.jpg.18936Während das Gros der Menschen vor Katastrophen zurückschreckt, lebt Mitchell Zukor geradewegs auf, wenn er die Wahrscheinlichkeit von Untergangsszenarien berechnen und kalkulieren kann. Er, die Hauptfigur in Nathaniel Richs Buch „Schlechte Aussichten“, bändigt damit nicht nur seine eigene Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Seine Faszination hat vor allem auch finanzielle Gründe, arbeitet doch der studierte Mathematiker für eine Firma, die mit solchen Prophezeiungen ihr Geld verdient.

Futureworld heißt die Versicherungsgesellschaft, und der Name ist ähnlich perfide wie ihr Treiben. Die Zukunft dürfte nämlich für ein Unternehmen längst beendet sein, wenn es als Kunde die Dienstleistungen in Anspruch nehmen muss. Futureworld verspricht, die Firmen im Falle schlimmster Naturereignisse finanziell schützen zu wollen. Nun ist Mitchell kein Versicherungsagent, der sich mit der Akquise herumplagen muss, er vergräbt sich lieber in Zahlen, Daten und Fakten, um die Wahrscheinlichkeit von Leid, Unglücken und Widrigkeiten zu berechnen. Mitunter ist er auch gefordert, seine Rechenexempel noch weiter zu treiben, um beispielsweise den Wert eines menschlichen Lebens in Geldsummen exakt zu taxieren. Die Ergebnisse haben übrigens wenig mit dem Prinzip von der Gleichheit der Menschen zu tun.

Mitchell führt nun also sein Eigenleben, als eigenbrötlerisch lässt es sich durchaus charakterisieren. Während er sich ungemein darüber freut, einen solchen Job bekommen zu haben, der auch mit einem beruflichen Aufstieg verbunden ist, soll es ihm gelingen, sich als Prophet zu beweisen. Dank seiner exakten Analysen kann er eine Überschwemmung für weite Teile von New York vorhersagen. Mit seinen Visionen macht er sich nicht unbedingt beliebt, manch einer schenkt ihm auch keinen Glauben, doch es kommt, wie es Mitchell beschrieben hat. Big Apple versinkt in den Fluten, wenn auch nicht komplett.

Gerade weil Autor Nathaniel Rich keine Apokalypse heraufbeschwört, sondern vielmehr den Leser die Folgen eines verheerenden Tsunamis vor Augen führt, wirkt die gesamte Szenerie zwar beängstigend, aber auch ungemein real. Es gehört zweifellos zu den ganz starken Kapiteln des Buches, wenn US-Amerikaner Rich den Leser quasi mit ins Boot nimmt, um ihm das untergegangene New York zu zeigen. Mitchell steigt nämlich mit einer Kollegin in ein kleines Bötchen und schaut sich mit ihr gemeinsam die Wassermassen an. Vorlage für seine Schilderungen bekam der Autor in den vergangenen Jahren oft genug geliefert, New Orleans, Mozambique oder Sri Lanka sind da nur drei von vielen Beispielen.

Die Geschichte dieses Mitchells wäre aber noch nicht ganz zu Ende erzählt, würde man auf Elsa Brunner verzichten. Sie ist eine Kommilitonin und leidet an dem Brugada-Syndrom, läuft also Gefahr, jeden Moment tödlich umzufallen. Für einen Mann, der eine Vorliebe für Risiken und Unbill hat, geht von einer solchen Frau eine ungeheure Faszination aus. Und es drängt sich die Frage auf, ob ihre Psyche mitspielt, wenn New York in den Fluten versinkt. Die Antwort gestaltet sich zu einer der spannenden Stellen des Bandes.

Nathaniel Richs erstes Buch in deutscher Übersetzung lebt an vielen Stellen von sanfter Ironie, die entsteht, wenn der Mensch versucht, die Unwägbarkeiten des Lebens in den Griff zu bekommen. Seichte Kritik am Umgang mit der Umwelt lässt sich ebenso herausfiltern.

Nathaniel Rich: „Schlechte Aussichten“. Roman. Klett-Cotta, 352 Seiten, 21,95 Euro.