Poster, Platten und kein Starkult – Besuch im Wuppertaler Institut für Popkultur

Von Bernd Berke

Warum sind amerikanische Rockplakate aus den 60er Jahren meist kleiner als eine durchschnittliche Zeitungsseite? Weil man sie an Telefonmasten heftete. Dafür hatten sie genau das passende Format. Warum entstand und boomte damals die Poster-Industrie? Weil eben jene Plakate haufenweise geklaut wurden und die Fans der Rockgruppen heftig Nachschub verlangten…

Erscheinungsbild der Titelseite der Wochenendbeilage, Westfälische Rundschau vom 2. März 1991. (Plakate aus der Sammlung des „Instituts für Popkultur“, Reproduktionen von Bodo Goeke)

Solch knifflige Fragen kann Uwe Husslein (32) beantworten. Kein Wunder. Er leitet, bislang noch im Einmann-Betrieb, das „Institut für Popkultur“ (Kürzel: „Inpop“) in Wuppertal, eine bundesweit einmalige und auf mittlere Sicht wohl auch beispielhafte Einrichtung. Hier will man Pop und Rock endlich als Kultur wirklich ernst nehmen und wissenschaftlich erforschen.

Das Institut, das im letzten Sommer aus dem Wuppertaler Rockbüro hervorging, sammelt und archiviert praktisch alles, was mit Rock zu tun hat. 40 000 Einzelstücke sind schon beisammen: Natürlich Platten (vom Rock’n’RolI der frühen 50er bis in die Gegenwart – derzeitiger Bestand: ca. 12 000 Vinyl-Scheiben); Rock-Fotos, Filme, Videos, Zeitschriften, Comics und Bücher – und eben Rockplakate, für die auch Pop art-Berühmtheiten wie Andy Warhol Entwürfe lieferten. Folge: Die psychedelische Ästhetik von Plakaten und Plattenhüllen war in den späten 60er Jahren weithin stilbildend; sie prägte auch die gewöhnliche Produktreklame und den Alltag der jüngeren Generation, war also durchaus keine Randerscheinung, sondern gleichsam das „Herz“ der damaligen Kultur.

Staunen darf man in Wuppertal auch: Bei Raritäten wie jenem Originalplakat der Kultgruppe „Grateful Dead‘ mit dem Motiv eines rosenbestreuten Skeletts kommt der wahre Rockfan aus dem „Wow“ und „Yeah“ gar nicht mehr heraus. Übrigens ist mit dem Aufkommen der CD-Platten zwar ein akustischer Gewinn, aber ein optischer Verlust zu vermelden: Die digitalen Silberscheiben haben mangels Größe die Kunst der Plattencover-Gestaltung praktisch aussterben lassen.

Das Thema Rock wird beim Wuppertaler Institut weit gefaßt. Auch gesellschaftliche Bewegungen im Vor- und Umfeld dieser Musik sind wichtig. So kommt es, daß z. B. auch Bücher der aufsässigen Beat Generation, über die Studentenbewegung der 60er Jahre oder über Phänomene wie die „Groupies“ (Mädchen, die den Stars manchmal bis ins Bett folgen) und nicht zuletzt zum Drogengebrauch im Rockbusiness, vorhanden sind. Nur eins will man nicht sein: Ruhmeshalle für Stars. Uwe Husslein: „Reliquien wie John Lennons Brille oder David Bowies Glitzeranzug kommen nicht ins Haus.“

Husslein, der seine umfangreiche Privatkollektion als Grundstock ins Institut einbrachte, hält Eile beim Sammeln für geboten. Er fürchtet eine Parallele zu cineastischen Verlusten: „Auch Kinokultur, die ja aus Tingeltangel hervorgegangen ist, ist früher vernachlässigt worden. Da sind tausende von wichtigen Filmen verlorengegangen.“

Vergleichbares drohe den Dokumenten der Pop-Kultur. Uwe Husslein weiß, daß tatsachlich schon die ersten Nachlässe früh verstorbener Fans auf den Markt kommen. Auch die weltbekannten Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s haben den Braten gerochen und versteigern nicht nur Kunst à la van Gogh, sondern auch Pop-Ikonen zu horrenden Preisen. Dort kann das Wuppertaler Institut nicht mithalten.

Husslein ist auf Glück und Spürsinn angewiesen. Schon oft konnte er rare Stücke bei Streifzügen durch die USA ergattern, so z. B. einen Stapel Underground-Zeitschriften, die heute völlig unerschwinglich wären. Außerdem gibt es da jenes „Netzwerk“ von Rock-Freaks, von denen manche schon seit Jahrzehnten jedes erreichbare Dokument über bestimmte Bands sammeln und die im Wuppertaler Pop-Institut eine Anlaufstelle für den Wissens- und Erfahrungsaustausch bekommen haben.

Eine weitere Quelle der Sammlung hat ernste Hintergründe. Husslein: „Unter Rockfans gibt es viele gescheiterte Biographien, regelrechte Bauchlandungen.“ Muster: Früher den Traum von Love and Peace geträumt, dann hart auf dem Boden der Realitäten gelandet und damit nicht fertig geworden. Solche Leute trennen sich oft in einem Akt der vermeintlichen Selbstbefreiung von allen Relikten ihrer Vergangenheit – so auch von Rock-Kostbarkeiten.

Schon jetzt, da das Archiv wegen fehlender Computer noch gar nicht richtig erschlossen ist, kann man in Wuppertal oft genug als „Auskunftei“ und Recherchier-Dienst in Rockfragen helfen. Außerdem bestückt man Ausstellungen. Bislang größter Erfolg: Jüngst kamen in Hamburg 45 000 Besucher, als das Wuppertaler Institut in der dortigen altehrwürdigen Kunsthalle eine Schau über Andy Warhol und die Gruppe „Velvet Underground“ präsentierte – beste Werbung für die Einrichtung, die noch in den Kin-derschuhen steckt. Denn noch fehlt es an Geld, Personal und Ausstattung. Da ist es schon hilfreich, daß einige Plattenfirmen dem Institut Musterexemplare ihrer neuen Produktionen schenken.

Derweil träumt Husslein schon von einer richtigen Rock-Bibliothek mit Lesesaal und regem Leihverkehr. Wenn es die gibt, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, daß hier die ersten Leute mit klugen Arbeiten beispielsweise über Jimi Hendrix, Janis Joplin, die „Stones“ oder die „Doors“ glänzen können.




Wenn jede Kunst es mit der anderen treibt – Wuppertaler Pop-Institut zeigt in Hamburg Ausstellung über Andy Warhol und „Velvet Underground“

Von Bernd Berke

Hamburg/Wuppertal. Unter der Decke schweben Cassetten-Recorder mit Kopfhörern, beim Aufschlagen eines Buches entfaltet sich eine dreidimensionale Suppendose aus Papier. Fotos zeigen ekstatisch verzerrte Gesichter im Stroboskop-Gewitter, Platten und Plakate animieren zu Rockmusik-Räuschen, es laufen bizarre Filme und Videos. Wohin sind wir denn da geraten? In die ehrwürdige Hamburger Kunsthalle.

Die große Andy Warhol-Ausstellung vor Jahresfrist in Köln war ein Publikumsrenner. In der Euphorie fiel aber kaum auf, daß ein wichtiger Werkaspekt des berühmten Pop-Künstlers total vernachlässigt wurde: seine intensive Beziehung zur Rockszene. Warhol wollte gar, auch weil er auf diesem Feld erhöhte Öffentlichkeit sowie Geschäfte witterte, mit seinen Künstlerkollegen Claes Oldenburg und Jasper Johns selbst eine Rockband gründen, die freilich ein Flop wurde. Seine Zusammenarbeit mit der rockgeschichtlich höchst bedeutsamen Gruppe um Lou Reed und John Cale, „The Velvet Underground“, wurde dann Legende. Genau diesem Thema widmet sich jetzt in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung, die als NRW-Export gelten kann und später u. a. nach Köln wandern soll. Die Exponate stammen überwiegend aus dem Wuppertaler Institut für Popkultur („InPop“), einer bundesweit einmaligen Forschungs- und Sammlungs-Stelle.

Es ist eine Ausstellung der Kreuz- und Quer-Verbindungen, deren Knäuel letztlich nur mit Hilfe des Katalogs entwirrbar ist. „Pop goes Art“ (Pop-Musik nähert sich der Kunst) heißt der Titel, er würde auch umgekehrt stimmen: „Art goes Pop“. Noch verzwickter wird die Sache, weil Warhol und „Velvet Underground“ sich Ende 1965 im Zeichen der amerikanischen „expanded cinema“-Bewegung kennenlernten, so daß auch noch das — im Bann von LSD-Erfahrungen — auf Grenzüberschreitung und Bewußtseinserweiterung gerichtete Avantgarde-Kino ins Spiel der Medienvielfalt kommt. Durch die Person John Cale spielten schließlich Einflüsse von dessen Lehrmeister John Cage, also der fortgeschrittenen „E-Musik hinein. Salopp könnte man sagen: Da trieb es jede Kunst fröhlich mit jeder anderen.

Geradezu kultischen Charakter bekam die Mixtur 1966 mit der von Warhol, Velvet & Co. realisierten MultimediaShow „The Exploding Plastic Inevitable“, die u. a. minimalistische Filmtechniken, Diaprojektion und ohrenbetäubende Musik zu einer irrwitzigen Melange verquickte. Die kommerzialisierte Verschmelzung von Pop und PopArt markiert dann jene Ikone der 60er Jahre, Andy Warhols änzüglich-phallisches Bananen-Cover für die LP „The Velvet Underground & Nico“.

Uwe Husslein (31), Leiter des Wuppertaler Pop-Instituts, der in der Hamburger Kunsthallen-Phonothek einen idealen Partner für die Ausstellungspremiere sieht, will zweierlei erreichen: „Rock-Schauen wie diese könnten neue Besucherschichten ins Museum locken“. Andererseits öffne der Name Warhol wie ein Zauberwort dem Rock die Türen etablierter Museen und rücke diese Musik als ernstzunehmendes Kulturphänomen in den Blick.

Trotz des eingangs erwähnten Aufwands läßt die Schau natürlich nur einen Hauch der Aufbruchstimmung aus den 60er Jahren verspüren. Um solchem Mangel abzuhelfen, gehört zum Rahmenprogramm auch eine multimediale (und drogenfreie) „Rausch-Party“ mit der Ruhr-Rock-Siegerband „Rausch“ aus Köln. Ganz spontan im Hier und Jetzt will man dann womöglich den Geist wiederaufleben lassen, der einst Warhol und die „Velvets“ bei ihren Shows beseelte.

„Pop Goes Art“. Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, direkt am Hauptbahnhof. Bis 3. Februar 1991. Katalog-Box mit Mini-CD, Luftballon usw. 45 DM.