Gütiger Genius: Wuppertal zeigt Camille Pissarro als Vaterfigur der Impressionisten

Dieser Mann mit dem Ehrfurcht gebietenden weißen Bart, den man da auf historischen Fotografien und gemalten Selbstporträts sieht, muss eine Leitfigur, ja ein Vorfahre beinahe biblischen Zuschnitts gewesen sein.

Und tatsächlich: Es ist kaum übertrieben, Camille Pissarro (1830-1903) als „Vater des Impressionismus“ zu bezeichnen. Als solcher firmiert er jetzt in einer sehenswerten Schau des Wuppertaler Von der Heydt-Museums.

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist's son, 1931)

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist’s son, 1931)

Lange Zeit blieben sie in den Pariser Salons verpönt, ja, das Wort „Impressionisten“ geriet gar zum Spottnamen, mit dem sich bornierte Kritiker das damals ungeahnt Neue der Freilichtmalerei vom Leibe hielten. Es waren ja „nur“ flüchtige Impressionen, nichts Ausgeführtes…

Einige Künstler wollten deshalb schon aufgeben, doch just Camille Pissarro hielt die Bewegung zusammen. Er beschwor die Kollegen, den Fehdehandschuh aufzunehmen und den Spottnamen zum Markenzeichen umzudeuten.

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Allerdings war Geduld gefragt, bis der Kunstmarkt endlich dafür bereit war. Auch der immens fleißige Pissarro lebte lange Zeit mit Frau und acht Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Erst um 1890 waren die meisten Impressionisten finanziell aus dem Gröbsten heraus.

70 Pissarro-Gemälde, rund 70 seiner Arbeiten auf Papier und 30 Gemälde seiner Freunde und Zeitgenossen (u. a. Cézanne, Courbet, Degas, Van Gogh, Manet, Monet, Rodin, Seurat, Signac) bietet das Museum auf. Ohne die Jackstädt-Stiftung, die die Ausstellung mit einem namhaften Betrag gefördert hat, wäre ein solcher Aufwand undenkbar. Städte allein können sich so etwas nicht mehr leisten.

Raum für Raum wird beim Rundgang deutlich, wie Pissarro, der stets offen für neue Strömungen blieb, sich phasenweise an anderen Künstlern orientiert und mit ihnen ausgetauscht hat – in Farbstimmungen und Komposition, teilweise auch bis in Feinheiten der Pinselführung hinein. So hat er etwa mit Cézanne und Renoir intensive künstlerische Zwiesprache gehalten. Museumsleiter Gerhard Finkh, der die Schau selbst kuratiert hat, entwickelt solche Einsichten nicht durch direkte Gegenüberstellung, sondern vertraut auch auf Spürsinn und Entdeckerfreude des Publikums.

"Bauernmädchen mit Strohhut" (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington - Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Camille Pissarro: „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington – Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Pissarro wurde auf der damals dänischen Antillen-Insel St. Thomas (heute zu den britischen Virgin Islands) geboren und war dänischer Staatsbürger. Frühe Bilder aus den 1850er Jahren sind romantische Inselansichten mit karibischem Flair. Ab 1855 studierte er Kunst in Paris, wo er sich dauerhaft niederlässt. Hernach hing Pissarro, der sich in der Nachfolge Camille Corots sah, einem dunkel getönten Realismus an, der seinerzeit auch nicht allzu marktgängig war. Man liebte es damals weithin akademisch und heroisch.

Das recht umfangreiche Frühwerk Pissarros ist größtenteils in den Wirren des deutsch-französischen Krieges 1870/71 verloren gegangen, vielfach wohl durch Plünderung. Nur rund 50 von 1400 Bildern aus seiner Anfangszeit sind noch erhalten. Über den Verbleib der meisten Werke weiß man so gut wie nichts.

Mit einer Straßenansicht von 1871, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses von Auguste Renoir entstanden ist, beginnt sozusagen die impressionistische Zeit.

"Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu" (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN - Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Camille Pissarro: „Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu“ (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN – Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Ein großartiger Raum zeigt Bildnisse einfacher Menschen, denen sich Pissarro zeitlebens zugewandt hat. Er gleitet dabei nie in Genremalerei ab, sondern versteht es, die Würde dieser Menschen nicht nur zu wahren, sondern zu verdichten. Ein Blick in eine Metzgerei gehört ebenso zu diesen Darstellungen wie eine fegende Magd oder das famose Porträt „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881). Es sind Bilder, vor denen man lange verweilen kann.

Eine weiterer Saal ist pointillistischen Experimenten gewidmet. Auch diese mühselige Punkt-für-Punkt-Malerei hat Pissarro zeitweise verfolgt, sie aber bald wieder beiseite gelassen. Ein pointillistisches Bild von Brügge hat er später sogar übermalt.

Überhaupt zeigt die Ausstellung auch Um- und Irrwege, ja sogar ausgesprochene Schwächen des Künstlers, die freilich auch nur nebenher abgehandelt werden. Ersichtlich hat er auf dem Gebiet des Stilllebens wenig und auf dem der Aktdarstellungen noch weniger vermocht.

Camille Pissarro: "Boulevard Montmartre bei Nacht" (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Boulevard Montmartre bei Nacht“ (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Doch wie sind ihm mit der Zeit die Landschaften geglückt! Wie trefflich hat er (zuweilen auch für anarchistische Publikationen) Szenen des entbehrungsreichen Landlebens vor Augen geführt. Industriell geprägte Hafenansichten und schließlich die Boulevards von Paris sorgen für unvergessliche Schlussakkorde der Schau. Über Wochen, manchmal über Monate hat der inzwischen arrivierte Künstler sich Freiraum von der Familie gegönnt, in Hotels logiert und vom Zimmer oder Balkon aus Plätze und Straßen gemalt, bevorzugt rings um den Louvre. Waren alle Blickwinkel erschöpft, stieg er im nächsten Hotel ab.

Camille Pissarro: "Aveneue de l'Opéra" (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Aveneue de l’Opéra“ (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Es sind freilich keine triumphal strahlenden, auftrumpfenden Bilder, sondern es ist eher ein verhaltenes Leuchten, ein stiller Glanz, der die Arbeiten auszeichnet. Wie einem denn überhaupt dieser Mann – trotz geschichtlicher Distanz – auch menschlich sympathisch werden kann, wenn man ahnt, wie vielen Künstlern (vor allem Van Gogh in dessen größter Krise) er geholfen hat und wie er sich auch für die Malweisen jüngerer Künstler begeistern konnte. Ja, er war nicht nur ein Künstler von hohen Graden, sondern offenbar auch so etwas wie ein gütige Vaterfigur.

„Pissarro. Vater des Impressionismus.“ Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 14. Oktober 2014 bis zum 22. Februar 2015. Geöffnet Di/mi 11-18, Do/Fr 11-20, Sa/So 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Katalog 25 Euro, DVD 15 Euro. www.von-der-heydt-museum.de




Als Japan den Westen betörte – eine schwelgerische Schau im Museum Folkwang

Es ist mal wieder eine dieser Prunk- und Prachtausstellungen des Essener Folkwang-Museums. Seit das Haus Projekt-Partnerschaften mit dem potenten Sponsor e.on (vormals Ruhrgas) pflegt, gibt es solche Schauen mit schöner Regelmäßigkeit. Praktisch immer sind die üblichen Heroen der Klassischen Moderne mit dabei, deren namentliche Signalwirkung weithin ausstrahlende Events garantiert. Diesmal lautet der Titel: „Monet, Gauguin, van Gogh… Inspiration Japan“.

Kitagawa Utamaro: "Die Kurtisane Kisegawa aus dem Matsubaya". Mehrfarbiger Holzschnitt, (© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst)

Kitagawa Utamaro: „Die Kurtisane Kisegawa aus dem Matsubaya“. Mehrfarbiger Holzschnitt, (© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst)

Es geht um Japonismen, also japanische Einflüsse in der französischen Kunst, die damals mit der globalen Kunsthauptstadt Paris den Ton angab. Der Betrachtungszeitraum reicht im Wesentlichen von 1860 bis 1910. Das Thema wird mit 400 Werken (davon 65 Gemälde) in zwölf Kapiteln entfaltet, denen zwölf Räume entsprechen. So weit das dürre Zahlenwerk.

Doch so nüchtern bleibt es wahrlich nicht. Irgendwann erreicht man den Gipfel des Schönheitsempfindens: Grandioser, schwelgerischer Höhepunkt ist jener Raum mit den prächtig in Szene gesetzten Seerosenbildern von Claude Monet, dessen Garten in Giverny (Normandie) nach japanischen Vorbildern und mit japanischen Pflanzen angelegt worden war. Kein Wunder also, dass auch die künstlerische Gestaltung japanisierende Züge trägt, nicht zuletzt die serielle Arbeitsweise rührt von daher.

Claude Monat "Der Seerosenteich" (Öl auf Leinwand, 1899). The Metropolitan Museum of Art, H. O. Havemeyer Collection, Bequest of Mtrs. H. O. Havemeyer, 1929 (© Foto: bpk; The Metropolitan Museum of Art)

Claude Monat „Der Seerosenteich“ (Öl auf Leinwand, 1899). The Metropolitan Museum of Art, H. O. Havemeyer Collection, Bequest of Mtrs. H. O. Havemeyer, 1929 (© Foto: bpk; The Metropolitan Museum of Art)

Japonismen waren damals ein Hauptstrang der Kunstentwicklung. Alle Fluchtlinien des Rundgangs laufen gleichsam auf die Apotheose in Monets Garten zu. Ringsum wird anhand von allerlei japanischen und französischen Kunstwerken erwogen, wie die Einflüsse verlaufen sein könnten. Da begegnet man einigen Bildern wie etwa Vincent van Goghs „Sämann“ oder Gauguins „Frauen aus Arles“, die in Kunstlexika ihren festen Platz haben und auch Besucher aus der Ferne anlocken werden.

Es begann wohl mit der Öffnung und Modernisierung Japans sowie der nachfolgenden Japan-Mode, die ganz Westeuropa erfasste. Schon bald tauchten in französischen Gemälden japanische Kunstgegenstände auf – als betörende Zeichen eines luxuriösen zeitgenössischen Lebensstils, der sich alsbald nicht nur in den Alltag der „besseren Kreise“, sondern auch in die Kunst des Westens einfügte.

Paul Gauguin: "Frauen aus Arles" (Öl auf Jute, 1888). Mr. and Mrs. Lewis Larnes Coburn Memorial Collection, 1934.39, The Art Institute of Chicago (© Foto: The Art Institute of Chicago)

Paul Gauguin: „Frauen aus Arles“ (Öl auf Jute, 1888). Mr. and Mrs. Lewis Larnes Coburn Memorial Collection, 1934.39, The Art Institute of Chicago (© Foto: The Art Institute of Chicago)

Die charakteristischen japanischen Rollbilder, Holzschnitte, Masken, Fächer und Gebrauchsgegenstände (Teebehälter, Lackdosen usw.) zeichnen sich durch eine ganz eigentümliche Ästhetik aus, die durch Fremdheit fasziniert haben muss. Mal galt sie als rein und unverdorben oder auch roh, mal als raffiniert und sublim. Ihre zunächst irritierenden Weltbilder weichen jedenfalls deutlich von der europäischen Zentralperspektive ab. Ein und dasselbe Kunstwerk kann viele Blickpunkte nebeneinander haben. Solche Bilder sind nicht auf dreidimensionale Wirkung aus, sondern bleiben flächenhaft, wobei auch leere Flächen bedeutsam sind. Formen entstehen vielfach durch dekorative Arabesken und Ornamente.

Katsushika Hokusai: "Die große Welle vor der Küste bei Kanagawa" (Mehrfarbiger Holzschnitt, um 1831). Privatsammlung. (© Foto: Museum Folkwang)

Katsushika Hokusai: „Die große Welle vor der Küste bei Kanagawa“ (Mehrfarbiger Holzschnitt, um 1831). Privatsammlung. (© Foto: Museum Folkwang)

Hinzu kommen radikale Bildausschnitte, steile Draufsichten, extreme Bildformate, hohe Horizontlinien, kräftige Umrisse und eine besondere („unnatürliche“) Farbgebung. Das alles ist damals sicherlich den Tendenzen entgegen gekommen, die sich in der Moderne ohnehin abzeichneten und auf den Abschied von realistischer Abbildhaftigkeit hinausliefen. Die Impulse aus Japan dürfte den Prozess beschleunigt und intensiviert haben. Übrigens haben offenbar just jene Künstler die Anregungen am feinsinnigsten aufgegriffen, die niemals in Japan gewesen sind. Die wenigen Beispiele von Reisebildern aus Japan wirken demgegenüber geradezu uninspiriert. Es ging eben um Phantasie, nicht um Sightseeing.

Die Kuratorin Sandra Gianfreda hat sich vielfach auf Bestände des Folkwang-Museums stützen können. Schon Karl Ernst Osthaus, Begründer der anfänglich in Hagen beheimateten Sammlung, hatte erlesene Kunst mit japanischem Einschlag gekauft. Auch die von japanischen Künstlern (darunter z. B. die populären Meister Hokusai und Hiroshige) stammenden Exponate hat man jetzt nicht etwa aus japanischen Museen geliehen, sondern es sind überwiegend Stücke, die sich im Besitz französischer Künstler befanden. Das ist ja auch schon eine wichtige Frage: Wer konnte welche japanischen Arbeiten kennen? Wenn man weiß, wer was gesammelt oder sonstwie rezipiert hat, lassen sich auch die Einflüsse besser dingfest machen.

Edgar Degas: "Orchestermusiker" (Öl auf Leinwand, 1872 - überarbeitet 1874-76). Städtische Galerie, Städel Museum, Frankfurt/Main (© Foto: U. Edlemann / Städel Museum / Artothek)

Edgar Degas: „Orchestermusiker“ (Öl auf Leinwand, 1872 – überarbeitet 1874-76). Städtische Galerie, Städel Museum, Frankfurt/Main (© Foto: U. Edlemann / Städel Museum / Artothek)

Ansonsten besteht Frau Gianfreda darauf, dass es hier nicht etwa um einen kolonialistischen Blick der Europäer gehe („Japan war nie eine Kolonie“), sondern um (wertneutrale?) transkulturelle Vermittlungen. Überhaupt handle die Ausstellung „nicht von Politik, sondern nur von Ästhetik“. Ob man da auf eine Dimension verzichtet, die so manches noch ganz anders erhellen könnte?

Eine etwas schmale These der Schau lautet, dass sich französische Künstler nach und nach Motive und Duktus der japanischen Kunst anverwandelt hätten, bis dies sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen war. Hier beginnt freilich auch schon eine Schwierigkeit. Japanische Anregungen wurden, so scheint es, zuweilen dermaßen verinnerlicht und eigenschöpferisch fortgeführt, dass man sie kaum noch als solche ausmachen kann. Da droht das Thema der Ausstellung beinahe zu verschwimmen. Folglich verzichtet man auch auf direkte Gegenüberstellungen, sondern lässt das Thema teils im Ungefähren durch die Raumfolgen wabern.

Paul Cézanne: "Montagne Sainte-Victoire" (um 1890). Musée d'Orsay, Paris (© Foto: bpk / RMN - Grand Palais / Hervé Lewandowski)

Paul Cézanne: „Montagne Sainte-Victoire“ (um 1890). Musée d’Orsay, Paris (© Foto: bpk / RMN – Grand Palais / Hervé Lewandowski)

Ob und inwiefern sich etwa die luftig-duftigen Balletteusen eines Edgar Degas noch der japanischen Inspiration verdanken, ist wohl nicht ganz leicht zu belegen. Auch leuchtet nicht ohne weiteres ein, dass die Wellenbilder von Gustave Courbet auf Hokusais „Große Welle“ zurückgeführt werden können. Nun gut. In solcher Mehrdeutigkeit mag denn auch ein flirrendes Element der Spannung liegen.

Allerdings gibt es auch etliche entschiedene, sehr frappante Japonismen, seien es eine „Japonaiserie“ von van Gogh, ein zartes Blumenbild von Odilon Redon, Cézannes Ansichten der „Montagne Sainte-Victoire“, hinreißende Plakate von Pierre Bonnard und Toulouse-Lautrec oder die Holzschnitte von Félix Vallotton.

Einen erotischen Nachklang hat die Ausstellung auch noch. Reihenweise hat Pablo Picasso 1968 Erotika im quasi-japanischen Stil hervorgebracht. Da geht es freizügig „zur Sache“. Passende Kapitelüberschrift: „Die Kunst ist niemals keusch“.

„Monet, Gauguin, van Gogh… Inspiration Japan“. 27. September 2014 bis 18. Januar 2015. Geöffnet Di-Do 10-20, Fr 10-22, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt 13 Euro (ermäßigt 8 Euro). Führungen Tel.: 0201/201 8845 444. Katalog 39 Euro. Internet: www.inspiration-japan.de




Museum Folkwang: Bis zum Rausch in Farben schwelgen

Von Zeit zu Zeit schwingt sich das Essener Museum Folkwang immer mal wieder auf, mit kräftiger Sponsorenhilfe die Spitzenposition im Ruhrgebiet zu behaupten. Das geht schon seit Jahrzehnten so. Diesmal heißt das Ereignis (eigentlich wenig originell) „Im Farbenrausch“.

So oder ähnlich tauft man eben jene populären Ausstellungen, deren Macher mit Besucherzahlen weit oberhalb der 100 000 kalkulieren können. Sei’s drum. Dass sich die Farbe irgendwann vom umrissenen Gegenstand gelöst hat und vorwiegend Stimmungsträger wurde, gehört zum bildnerischen Basiswissen. Hier kann man’s vielfach sinnlich nachvollziehen und dabei ins Schwärmen geraten.

Davon abgesehen, eröffnet sich immerhin die Chance, Teile des Essener Eigenbesitzes im ungewohnten Kontext neu zu bewerten. Denn 24 von 153 Exponaten gehören zum Essener Fundus. Die Schau, die sich im Kern auf die Jahre 1905 bis 1911 beschränkt, ist also sozusagen in den Beständen verankert. Deren Anfangsgründe gehen bekanntlich auf den Hagener Mäzen Karl Ernst Osthaus zurück, der sehr vorausschauend Arbeiten seiner Zeitgenossen gesammelt hat und dessen Kunstschätze 1922 nach Essen wanderten.

Henri Matisse: "Les toits de Collioure / Die Dächer von Collioure", 1905 (Staatliche Eremitage, St. Petersburg / © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / © Foto: Staatliche Eremitage, Vladimir Terebenin, Leonard Kheifets, Yuri Molodkovets)

Henri Matisse: "Les toits de Collioure / Die Dächer von Collioure", 1905 (Staatliche Eremitage, St. Petersburg / © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / © Foto: Staatliche Eremitage, Vladimir Terebenin, Leonard Kheifets, Yuri Molodkovets)

Der Untertitel lautet „Munch, Matisse und die Expressionisten“, es werden also zwei geniale Anreger namentlich genannt. Etwas wolkig sprechen die Kuratoren (Sandra Gianfreda, Mario-Andreas von Lüttichau) von geistiger Verwandtschaft und daraus entspringender subjektiver Empfindung, welche die Bildsprache(n) geprägt hätten.

Punktuell oder auch streckenweise gibt es tatsächlich frappierende Anklänge. Marianne von Werefkin hat mit „Die Landstraße“ (1907) ganz offenkundig Munch nachgeeifert. Heckels „Die Elbe bei Dresden“ scheint aus dem Geiste Van Goghs zu fließen, Pechsteins „Seine-Brücke“ sich den Anstößen der Fauves zu verdanken. Überhaupt hat besonders Pechstein hier einige grandiose Auftritte, etwa mit „Sitzendes Mädchen“ oder „Liegendes Mädchen“, beide von 1910.

Edvard Munch: "Sitzender Akt auf dem Bett", 1902 (Staatsgalerie Stuttgart / © The Munch Museum / The Munch Ellingsen Group / VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / © Foto: Staatsgalerie Stuttgart)

Edvard Munch: "Sitzender Akt auf dem Bett", 1902 (Staatsgalerie Stuttgart / © The Munch Museum / The Munch Ellingsen Group / VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / © Foto: Staatsgalerie Stuttgart)

Doch vielfach kann man auch und gerade die Unterschiede besichtigen. Vor allem Munch hebt sich von allen anderen deutlich ab. Zwar wird das eine oder andere seiner Sujets etwa von deutschen Expressionisten aufgegriffen, doch Bildsprache und Atmosphäre sind unvergleichlich.

Eine finanziell derart gut gepolsterte, eher auftrumpfende und prunkende als feinjustierte und konzentrierte Ausstellung (der RWE-Konzern tritt als Sponsor an) wartet selbstverständlich mit vielen Berühmtheiten, etlichen Schauwerten und strahlender Schönheit auf. Etwas name dropping, beinahe schon lexikalisch: Munch, Matisse, Van Gogh, Gauguin, Cézanne, Derain, Signac, de Vlaminck, Braque, Kandinsky, Jawlensky. Dazu deutsche Künstler wie Kirchner, Pechstein, Heckel, Schmidt-Rottluff, Marc, Nolde, Münter. Wenn das nichts ist…

Ernst Ludwig Kirchner: "Mädchen unter Japanschirm", um 1909 (Kunstsammlung NRW, Düsseldorf / © Foto: Walter Klein, Düsseldorf)

Ernst Ludwig Kirchner: "Mädchen unter Japanschirm", um 1909 (Kunstsammlung NRW, Düsseldorf / © Foto: Walter Klein, Düsseldorf)

Allein was hier an Aktbildern, Badenden, Damen mit Hut oder auch an Fluss- und Bootsbildern zusammengetragen wurde, nötigt Bewunderung ab. Die Schar der hochmögenden Leihgeber reicht bis Canberra (Australien), auch gibt es noch nie öffentlich gezeigte Raritäten aus Privatbesitz zu sehen, so etwa Kirchners „Torhaus“ (1910).

Die Hängung folgt mal chronologischen, mal thematischen oder auch biographischen Ansätzen. In verschiedenen Grautönen gehaltene Säle, teils schwelgend und nicht allzu trennscharf benannt („Aufbruch zur Farbe“, „Orgie der reinen Farbtöne“, „Die Suche nach dem Beständigen“, „Streben nach künstlerischer Synthese“), bündeln, gliedern oder verstreuen die Werke. Da wird unterwegs zwischen erlebtem und ersehntem Arkadien unterschieden, als ergäbe das auf dem Felde der Kunst einen Sinn. In einem finalen Bereich werden kurzerhand Stillleben und Figurenporträts miteinander präsentiert, als hätten sie sonst nirgendwo mehr Platz gefunden.

Erich Heckel: "Badende am Waldteich", 1910 (Museum Folkwang, Essen, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, seit 2005 (© Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen / © Foto: Museum Folkwang)

Erich Heckel: "Badende am Waldteich", 1910 (Museum Folkwang, Essen, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, seit 2005 (© Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen / © Foto: Museum Folkwang)

Natürlich haben sich Größen wie Matisse, Munch und andere damals weithin ausgewirkt. Wer sie überhaupt nicht rezipiert hätte, wäre ein Ignorant gewesen. Übrigens können die „jungen Wilden“ des deutschen Expressionismus im internationalen Vergleich recht gut bestehen, sie haben das Spektrum des Kontinents bereichert, wenn auch nicht so grundlegend wie die Franzosen.

Beim Rundgang wird man auch finden, wie sehr sich nördliches vom südlichen Licht abhebt und die Bilder der Deutschen mitbestimmt. Ein banaler, jedoch oft unabweislicher Befund. Hin und wieder wird man gar versucht sein, die in Deutschland vorherrschende Malweise „kantiger“ und weniger fließend zu finden, womit man bei Uralt-Klischees angelangt wäre. Vorsicht also mit vorschnellen Schlüssen. Lieber den prächtigen Parcours noch einmal absolvieren, den Katalog studieren und jeden Künstler, jedes Bild auch für sich selbst gelten lassen. Um das Einzigartige zu bewahren, was beim Vergleichen zu entgleiten droht.

Max Pechstein: "Flusslandschaft", um 1907 (Museum Folkwang, Essen / © 2012 Pechstein, Hamburg/Tökendorf / © Foto: Museum Folkwang)

Max Pechstein: "Flusslandschaft", um 1907 (Museum Folkwang, Essen / © 2012 Pechstein, Hamburg/Tökendorf / © Foto: Museum Folkwang)

„Im Farbenrausch“ Munch, Matisse und die Expressionisten. Museum Folkwang, Essen, Museumsplatz 1. Bis 13. Januar 2013. Geöffnet Di-So 10-20, Fr 10-22.30 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 (ermäßigt 7) Euro, Katalog 35 Euro.

Internet:
http://www.museum-folkwang.de
http://www.folkwang-im-farbenrausch.de

P. S.: Wer der klassischen Moderne noch mehr auf den Grund gehen will, reist weiter nach Köln und besucht im Wallraf-Richartz-Museum die Ausstellung „Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes“ (bis 30. Dezember 2012), Katalog 39,90 Euro.




Van Gogh: Übermächtiges Vorbild – Große Ausstellung in Essen verfolgt seine Einflüsse auf andere Künstler

Von Bernd Berke

Essen. Manchmal ist es nur eine ganz bestimmte Farbnuance oder eine ganz gewisse Art des Pinselstrichs, der an „ihn“ erinnert; dann wieder werden ganze Motiv-Komplexe von „ihm“ übernommen oder zum Beispiel auch die – charakteristisch schräg von oben verlaufende – Blickrichtung auf Flüsse und Boote.

„Er“, das ist Vincent van Gogh. Die anderen, das sind jene Künstler, die zwischen 1890 und 1914 seinem übermächtigen Einfluß entweder erlagen oder ihn produktiv verarbeiteten und dabei mitunter selbst zu Vorbildern der nächsten Generation wurden. Mit der Ausstellung „Vincent van Gogh und die Moderne“ zieht das Essener Folkwang-Museum den Vergleich zwischen van Gogh und seinen mehr oder minder eigenständigen Nachfolgern.

Auch wenn es Einwände gibt, ist dies doch die wichtigste und vor allem aufwendigste Kunstausstellung des Jahres im Revier. Ohne den Sponsor „Ruhrgas AG“, der auch für Risiken geradesteht, hätte man nie und nimmer diese Werkfülle von Leihgebern aus aller Welt bekommen: 54 Bilder von van Gogh (darunter so berühmte wie eine „Sonnenblumen“-Version oder das Kornfeld mit Krähen) und 153 weitere, darunter einige von Picasso, Matisse, Munch sowie zahlreichen Expressionisten. Klaus Liesen, Ruhrgas-Vorstandsvorsitzender, schweigt beharrlich über die Kosten: „Das verrate ich nicht einmal unserem Aufsichtsrat“.

Glanzpunkt der Ausstellung ist sicherlich einer der wenigen direkten Vergleiche zwischen drei Boots-Motiven von van Gogh, André Derain und Max Pechstein, die unmittelbar nebeneinander hängen. Ansonsten ist man bei der Hängung leider vielfach einem chronologischen bzw. gar einem nach Ländern trennenden Prinzip gefolgt. Das macht die Sache unnötig kompliziert, es widerspricht auch dem Konzept. Mag sein, daß es nebenbei mit den strengen Sicherheitsanforderungen zu tun hat. Für den Besucher, der viel Zeit mitbringen sollte, sieht die Angelegenheit dann freilich so aus: Irgendwann zu Beginn des Rundgangs hatte man doch ein Bauernmotiv von van Gogh gesehen? Das entprechende Vergleichsbild taucht jedoch erst „einen halben Kilometer später“ auf.

Weiterhin: Nicht in jedem Falle scheint Vergleichbarkeit überhaupt gegeben bzw. sinnvoll zu sein. Unter großzügigern Blickwinkel ist da nämlich letztlich jeder Künstler der Moderne mit jedem anderen „verwandt“, was wiederum auch mit gesellschaftlichen Ursachen zu tun hat. So zeigt sich etwa im verzweifelt-leeren Blick auf vielen Selbstporträts auch ein Reflex auf die Isolation moderner Künstler, die die gesamte Avantgarde betraf. Auch der allgemeine Zug zum Eigenwert von Form und Farbe ist nicht aus der direkten Beeinflussung durch van Gogh erklärbar.

Jedenfalls zeigt sich deutlich, daß van Gogh in den meisten Vergleichsfällen triumphaler „Sieger“ bleibt. Was bei ihm klar, entschieden und kraftvoll wirkt, verschwimmt manch einem seiner minder genialen Nachahmer (die hier auch zahlreich vertreten sind) zum bloßen Accessoire oder beiläufigen Ornament, zur bloßen Manier.

Andererseits erlebt man auch Überraschungen. Wer hätte gewußt, daß der spätere Beherrscher von Quadrat und Rechteck, Piet Mondrian, anfangs im Stile von van Gogh gemalt hat? Mondrian gehört zu jenen Künstlern, die sich aus dem Schatten des Vorbilds gelöst haben. Bei manch anderem ahnt man, wie erdrückend das Vorbild auf dem Zutrauen zum eigenen Können gelastet haben muß.

„Vincent van Gogh und die Moderne 1890-1914″. Museum Folkwang, Essen, Goethestraße. 11. August bis 4. November (anschließend in Amsterdam). Do, Mi, Do, Sa + So 10-20 Uhr, freltags 10 bis 24 (!) Uhr, montags geschlossen. Eintritt: 15 DM. Katalog 50 DM.

Prosaischer Tip: Es wird mit rund 300 000 Besuchern gerechnet. Einen günstigen Parkplatz wird man also am Folkwang-Museum schwerlich finden. Daher: Fußweg von der Gruga in Kauf nehmen oder öfffentliche Verkehrsmittel bei nutzen.