Mehr Wahnsinn – die Show „Plüfolie“ im Essener Varieté-Theater GOP

GOPLange waren wir nicht da – im Essener Varieté-Theater GOP. Nach dem Ende der Show fragten wir uns: warum eigentlich nicht? Seit 1996 gibt es den Essener Ableger des Hannoveraner Traditions-Varietés. Noch nie sind wir enttäuscht worden. So auch diesmal nicht. Das aktuelle Programm in Essen trägt den Titel „plüfolie“ und der Name ist Programm. Denn in der Tat machte der „Wahnsinn“ auf der Bühne Lust auf mehr.

„Plüfolie“ ist die Fortführung von „la folie“, einer der erfolgreichsten Produktionen, die GOP an seinen Spielorten in den letzten Jahren hatte. Verantwortlich dafür zeichnet der französische Créateur Anthony Venisse, gemeinsam mit seiner Schwester Amelie. Die Geschwister tragen mit Pantomime und Clownerie die Rahmenhandlung der Show und stimmen die Zuschauer so ohne viele Worte, aber ausgefeilt und verständlich auf die Darbietungen der mitwirkenden Akrobaten ein. Ihre Einlagen schwanken zwischen schräg abgedreht und klamaukig, fangen sich aber immer wieder, bevor sie ein zu albernes Niveau unterschreiten.

Die mitwirkenden Akrobaten sind allesamt großartig und wissen zu begeistern. Besonders angetan hatten es dem Publikum die vier Jungs vom Quatuor Stomp, die eine ganz erstaunliche Partner-Akrobatik turnten, bei der einem so manches Mal der Atem stockte. Auch zeigten sie eine sehr schnelle, temperamentvolle Jonglage, die eindrucksvolle Bilder erzeugte.

Ich war absolut hingerissen von der Artistin Anna Ward und ihrer Darbietung mit dem Cyr. Ein Cyr ist ein riesiges Rad, ähnlich einem Rhönrad, aber mit nur einem Reifen. Anna Ward tanzte mit, auf und in diesem Reifen und erzeugte so ganz besondere magische, sinnliche und elegische Momente. Eine Suchmaschine in diesem Internet hat mir verraten, dass es bereits im Cirque du Soleil eine umjubelte Nummer mit dem Cyr gab, aber ich kannte das bisher nicht. So ist das GOP in einer Welt, in der man meint, schon alles irgendwann mal gesehen und erlebt zu haben, doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Die GOPs gibt es nun seit etwas mehr als 20 Jahren. Im November 1992 wurde der traditionsreiche Georgspalast (daher das Kürzel GOP) in Hannover als Varieté-Theater wiedereröffnet. Vier Jahre später testete man in Essen aus, ob das in Hannover erfolgreiche Konzept übertragbar ist. Der Test verlief erfolgreich. Mittlerweile gibt es GOP an fünf Standorten, der sechste folgt im September in Bremen. Auch mitten in der Woche war die Show nahezu ausgebucht, das Konzept der Besitzer geht auf: Bezahlbare Preise, freundlicher Service, plüschiges, aber nicht angestaubtes Ambiente, alle zwei Monate eine neue Show, gelegentlich Comedy-Veranstaltungen und zuverlässig Varieté mit Anspruch.

Homepage der GOP-Theater : www.variete.de
„Plüfolie“ läuft noch bis Ende April, zum Trailer der Show führt dieser Link.




Ganz Dortmund gab sich dem Vergnügen hin – Üppige Ausstellung zur Freizeit-Geschichte

Von Bernd Berke

Dortmund. Hereinspaziert, hereinspaziert! Ganz Dortmund gibt sich dem Vergnügen hin. Die einen wandern ins Grüne, die anderen schlendern durch elegante Passagen; nachmittags geht’s ins (fast) original Wienerische Caféhaus — und abends ins Theater oder Varieté.

Natürlich war es nicht ganz so. Nicht jeder konnte sich alles leisten. Und außerdem ist es so lange her, daß es jetzt ins Museum kommt: Das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte hat – für seine bislang größte Präsentation – rund 800 Exponate zusammengetragen. Sie sollen davon zeugen, wie die Dortmunder zwischen 1870 und 1939 ihre oft karge Freizeit verbrachten.

Freizeit gleich Vergnügen? Diese Rechnung geht nicht bruchlos auf. Hinter den knallbunten Kulissen von Zirkus, Jahrmarkt oder Lunapark gab es schon zu Kaisers Zeiten Freizeit-Streß. Und mancher Spaß war reichlich bizarr. Da ließen sich unsere Altvorderen etwa auf der Kirmes freiwillig leichte Stromstöße verpassen – welch‘ fröhliche Wissenschaft… Vor allem aber setzte früh die Kommerzialisierung der Freizeit ein. Verkaufs- und Spielautomaten von anno dazumal beweisen es. An dem Modell „Hopp-Hopp“ konnte man (durchaus stadttypisch) Biermarken gewinnen.

Die üppig bestückte und teilweise drangvoll eng gestellte Schau „umarmt“ ihr Thema gleichsam von allen Seiten: Um das Vorort-Freibad Froschloch geht es ebenso wie um luxuriöse Warenhäuser und Hotels; die Westfalenhalle (Sechstagerennen) spielt ebenso eine Rolle wie die berüchtigte Linienstraße, Dortmunds Zeile der käuflichen Liebe. Auch einige alte Radios werden gezeigt. Man hörte halt in der Freizeit Funk.

Beim Anblick von Fotos und Programmblättern der großen alten Varietés befällt zumindest den eingesessenen Dortmunder Wehmut: Wo ist diese Eleganz geblieben? Zu Schutt und Asche ist sie geworden – im Zweiten Weltkrieg. Jahre zuvor hatten sich die Nationalsozialisten schon der Freizeit bemächtigt. Besonders interessant ist der Fall des Marionettentheaters Kastner. Der Bayer hatte sich mit seiner Puppenbühne in Dortmund niedergelassen und spielte zwar keine Blut-, aber Boden-Stücke. Das kam den Nazis gelegen. Die spannten Kastner für ihre KfF-Belustigungen („Kraft durch Freude“) ein. Freizeit als Ablenkung vom gesellschaftlichen Elend. Nicht minderen Dienst genommen wurde das Dortmunder „Haus der Kunst“.

Freizeit war auch eine Klassenfrage. Während der Proletarier sich aufs Fahrrad schwang, nahm der Bonze beispielsweise in der kapitalen „Horch“-Limousine Platz – eines der auffälligsten Exponate neben dem imposanten „Kaiserpanorama“.

Freizeit war, das Wort sagt es ja, eben auch eine Zeit-Frage. Auf einem Podest voller Uhren wird dem Besucher allerdings kaum klar, daß erst die Einteilung der Zeit, die Abgrenzung von Arbeit und Muße den Begriff „Freizeit“ hervorbrachte.

Rundum gelungen ist die Schau nicht. Obwohl der Bühnenbildner Gerd Herr hie und da für schöne „Inszenierungen“ gesorgt hat, gibt es auch ein paar ärmlich wirkende Ecken. Daß man etwa einige Reihen alter Kinostühle vor ein Großfoto aus einem Harold-Lloyd-Streifen stellt, bleibt weit hinter einer entsprechenden Installation in der thematisch vergleichbaren Essener Ausstellung „Viel Vergnügen“ (Ruhrlandmuseum, bis 12. April ’93) zurück.

Ansonsten haben die Dortmunder eine ungleich größere Fülle zu bieten, in der jeder etwas für sich findet. Und im Ganzen ist die Sache höchst sehenswert. Deshalb, wie gesagt: Hereinspaziert!

„8 Stunden sind kein Tag“. Freizeit und Vergnügen in der Industriestadt Dortmund 1870 bis 1939 – Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund (Eingang Königswall). Ab sofort bis 4. Juli 1993. Di-So. 10-18 Uhr – Umfangreiches Begleitprogramm mit Aufführungen, Diskussionen usw. (Info: [02 31] 5 02 55 22). Eintritt 6 DM, ermäßigt 3 DM. Katalog mit 360 Seiten 49 DM.