Der neue Papst setzt Zeichen: Mit dem Bus ins Gästehaus

Bei den Fernsehleuten herrschte eher Gelassenheit: Eine Diskussionsrunde mit der spekulativen Frage nach persönlichen Favoriten, ein paar Bilder von Menschen unter Regenschirmen auf dem Petersplatz, immer wieder der Schornstein über der Sixtinischen Kapelle, von Scheinwerfern angestrahlt. Und dann, um 19.05 Uhr, Rauch, dichter weißer Rauch. Eine schnelle Entscheidung, mit der kaum jemand unter den Wartenden gerechnet hatte: Schon im fünften Wahlgang war der neue Papst gewählt – eines der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte.

Rom hat einen neuen Bischof - und die Weltkirche einen neuen Papst. Blick auf S. Pietro. Foto: Werner Häußner

Rom hat einen neuen Bischof – und die Weltkirche einen neuen Papst. Blick auf S. Pietro. Foto: Werner Häußner

Eine gute Stunde nach dem Rauchzeichen folgte die noch größere Überraschung: Keiner der „heißen“ Kandidaten trat da auf die Loggia des Petersdoms, angekündigt mit den Worten „Habemus Papam“. Mit Jorge Mario Bergoglio hatte keiner der Auguren gerechnet. Der Kardinal von Buenos Aires stand nicht auf der Liste der medialen Favoriten.

Die Wahl des argentinischen Jesuiten, Indiskretionen zufolge der Konkurrent Joseph Ratzingers im Konklave von 2005, dürfte eine klare Entscheidung der 115 wählenden Kardinäle gewesen sein: Kein Mann der Kurie wurde Papst. Kein Europäer. Keiner, der für eine ungebrochene Fortsetzung des Pontifikats Benedikts XVI. steht – da mögen die Harmonisierer noch so bemüht sein: Bergoglio verkörpert wohl nicht die „Kontinuität“, die der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch aus Freiburg, in seiner ersten Stellungnahme beschwor. Eher dürfte zutreffen, was der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann feststellte: „Die Entscheidung verspricht etwas Neues.“

Franziskus I.: Der Name ist Programm

Welche Richtung der neue Papst einschlagen wird, darüber dürfte in nächster Zeit viel spekuliert werden, bis er seine ersten inhaltlichen Positionen formuliert und seine ersten Personalentscheidungen getroffen hat. Ein Akzent ist allerdings jetzt schon deutlich: Jorge Maria Bergoglio hat sich den Papstnamen „Franziskus I.“ gewählt. Ein neuer Name in der Liste der nun 266 Päpste der Katholischen Kirche. Der Name eines Heiligen, der für seinen einfachen Lebensstil, für seine radikale Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten, für seine tiefe Christusfrömmigkeit bis heute viel geliebt wird. Und ein Heiliger, der den Auftrag Gottes hörte, seine Kirche neu aufzubauen.

Das ist ein Ruf, der Franziskus I. ganz irdisch von vielen entgegenschallen wird. Festzustellen, die Katholische Kirche habe den Neuaufbau nach den Pädophilie- und Vatileaks-Skandalen bitter nötig, ist wohl richtig, greift aber zu kurz. Denn die Krise der Kirche liegt tiefer: in ihrem gebrochenen Verhältnis zu einer rasch sich wandelnden Welt, in ihrem Ringen um Tradition und Fortschritt, in ihren – etwa in der Einstellung zur Homosexualität deutlich sichtbaren – Problemen mit einer zeitgemäßen Anthropologie, im innerkirchlichen Umgang mit Pluralität und Autorität. Die deutschen Reizthemen wie Frauenpriestertum oder Zölibat sind da eher Randfragen: Kein Papst wird sie per Federstrich im Sinne der Kirchenkritiker hierzulande entscheiden können. Selbst wenn er es wollte. Er würde eine Spaltung der Kirche riskieren.

Warnung vor der Übermacht des Geldes

Franziskus I. wird sich mit vielerlei Erwartungen konfrontiert sehen. Wir wird sich der „stille Intellektuelle“ – wie ihn die „Zeit“ 2005 beschrieben hat – den Herausforderungen seines Amtes stellen? Sein bescheidener Lebensstil, seine Nähe zu den Armen, seine politische Entschiedenheit etwa in sozialen und ökologischen Konflikten sind bekannt. Ein erstes Zeichen hat er auch als Papst schon gesetzt: Statt mit der bereitgestellten Limousine fuhr der Eisenbahnersohn kurz vor Mitternacht mit den Kardinälen im Bus ins Quartier S. Marta.

Aber auch seine Vergangenheit dürfte dem neuen Papst zu schaffen machen: Hatte er tatsächlich irgendeinen Anteil am skandalösen Verhalten der als besonders konservativ geltenden argentinischen Kirchenspitze in der Zeit der Militärdiktatur? Bergoglio wurde beschuldigt, zwei seiner Ordensbrüder nicht ausreichend vor der Verfolgung durch die Militärs geschützt zu haben. Auch soll er Kontakte mit einem Mitglied der Junta gepflegt haben. Auf der anderen Seite der Bilanz steht der Kampf des Kardinals gegen das soziale Elend und die Korruption in seinem Land. Vor einigen Wochen erst warnte er vor der alltäglichen Übermacht des Geldes, prangerte Menschen- und Kinderhandel an. Man wird, das dürfte sicher sein, von diesem Papst deutliche Worte hören.

Erste Reaktionen aus Essen

Für das in Essen ansässige Bischöfliche Hilfswerk Adveniat ist Franziskus I. „ein Papst, der die Armen kennt“. Prälat Bernd Klaschka, Adveniat-Geschäftsführer, sagte kurz nach der Wahl: „Ich glaube, dass die von den lateinamerikanischen Bischöfen getroffene Option für die Armen und für die Jugend einen wichtigen Stellenwert in seinem Pontifikat einnehmen wird.“

Eine weitere Reaktion aus Essen kam von Bischof Franz-Josef Overbeck: Die Wahl „berührt und bewegt mich sehr“, sagt der Ruhrbischof in einem Beitrag auf YouTube. Die Namenswahl des ersten Papstes aus Lateinamerika sei für ihn „ganz bedeutsam“. Franziskus sei ein großer Reformer der Kirche gewesen, mit einer „großen Einfachheit des Lebensstils und einer großen Tiefe im Glauben. Das ist auch heute ganz wichtig“. Der frühere Ruhrbischof und jetzige Bischof von Münster, Felix Genn, sieht in der Namenswahl „eine Botschaft für die Armen“.

Für die Katholische Kirche könnte das nun anbrechende Pontifikat von Franziskus I. ein Schritt von erheblicher Tragweite werden. Jetzt schon vergleichen Kommentatoren die Wahl Bergoglios zum Papst mit derjenigen von Papst Johannes XXIII. Deutlich zeigt sich der Wunsch nach Veränderung.

Nicht durchgesetzt haben sich diejenigen, die wieder einen Italiener an der Spitze der Weltkirche sehen wollten. Auch die Kardinäle, die auf eine Reform der Kurie und ein kollegialeres Verhältnis zwischen der römischen Zentrale und den Ortskirchen drängen, werden ihre Erwartungen in dieser Wahl manifestiert haben. Schließlich dürfte auch der Eurozentrismus mit diesem ersten lateinamerikanischen Papst der Kirchengeschichte und ersten Nicht-Europäer seit dem Syrer Gregor III. (731 bis 741) beendet sein.




Blitz aus heiterem Himmel: Der Papst tritt zurück

Zuerst lag es nahe, an einen Faschingsscherz zu denken, als gegen Mittag die Meldung verbreitet wurde: Der Papst tritt zurück!

Inzwischen sind die Quellen abgesichert, die Ansprache von Benedikt XVI. vor den Kardinälen heute, am Vormittag des Rosenmontags, liegt im Wortlaut vor: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.“ Ab 28. Februar, 20 Uhr – so der Papst – sei der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant.

Der Rücktritt kommt überraschend, wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“, wie Kardinal Angelo Sodano kommentierte. Offenbar hat sich der Papst schon längere Zeit mit dem Gedanken an einen Rücktritt befasst, aber im Vatikan höchstens mit wenigen Vertrauten darüber gesprochen. In den vergangenen Monaten habe er gespürt, dass in ihm die Kraft des Körpers und des Geistes abgenommen habe, bekennt der Papst. Und zwar derart, dass „ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“.

Eine ernste Entscheidung. Ob sie auf eine fortschreitende Erkrankung des 85-jährigen oder auf das Gefühl zunehmender Schwäche im Alter hinweist, dürfte in den nächsten Tagen reichlich Stoff für Spekulationen geben. Bisher hat es in der Geschichte der Kirche nur wenige Rücktritte von Päpsten gegeben: Einer war Cölestin V., der 1294 – zerrieben vom Streit des römischen Adels – auf das Amt verzichtete. In den Wirren des Spätmittelalters mit seinen Gegenpäpsten gab es mehrere erzwungene Rücktritte. Benedikt dürfte der erste Papst sein, der tatsächlich in voller Freiheit auf das Amt des Bischofs von Rom verzichtet.

Lange Zeit war kirchenrechtlich umstritten, ob ein Papst überhaupt zurücktreten könne. Der neue „Codex Iuris Canonici“ von 1983 legt fest, der Rücktritt müsse lediglich frei geschehen und hinreichend kundgemacht werden. In diesem Fall beginnt – wie beim Tod eines Papstes – die sogenannte Sedisvakanz. In dieser Zeit trägt der „Camerlengo“ – der Kardinal-Kämmerer der Katholischen Kirche – die „Sorge um die zeitlichen Güter und Rechte des Heiligen Stuhls“. Die päpstlichen Vollmachten verwaltet das Kardinalskollegium. Der Papst selbst wird nach seinem Rücktritt den Status eines emeritierten Bischofs haben.

Die Wahl des neuen Papstes – wählbar ist theoretisch jeder getaufte, vernunftbegabte, rechtgläubige Katholik – geschieht durch das Konklave, die Wahlversammlung der derzeit 118 wahlberechtigten Kardinäle. Es beginnt frühestens am 15., spätestens am 20. Tag nach dem Rücktritt und muss in der Sixtinischen Kapelle abgehalten werden. Das Wort „Konklave“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „verschlossener Raum“. Während der Wahl sind die Kardinäle von der Außenwelt abgeschirmt und zu strengster Geheimhaltung verpflichtet. Bis Ostern dürfte ein neuer Papst die Katholische Kirche leiten.

Papst Benedikt XVI. ist der 265. Papst der Kirche. Er wurde am 19. April 2005 in einem der kürzesten Konklaves der Kirchengeschichte gewählt. Seine erste Auslandsreise führte ihn im August 2005 zum Weltjugendtag nach Köln. In der Öffentlichkeit führte die erste Wahl eines Deutschen seit dem 1523 gestorbenen Hadrian VI. zu breiter Zustimmung („Wir sind Papst“), während in kirchlichen Kreisen die Meinungen geteilt waren: Die einen schätzten den Präfekten der Glaubenskongregation und engen Mitarbeiter Papst Johannes Pauls II. als hochkarätigen Theologen mit tiefer Spiritualität, die anderen sahen in ihm einen zu strengen, erzkonservativen Kirchenmann und unterstellten ihm die Tendenz, die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils zurücknehmen zu wollen.

Tatsächlich kam es im Pontifikat Benedikts XVI. immer wieder zu Entscheidungen, die von konservativen Kreisen in der Katholischen Kirche bejubelt, von den Skeptikern aber als Bestätigung ihrer Bedenken aufgefasst wurden. Dazu gehört etwa sein versöhnlicher Kurs gegenüber den Traditionalisten der Bewegung „Priesterbruderschaft Pius X.“, während er andererseits Thesen des lateinamerikanischen Befreiungstheologen Jon Sobrino verurteilen ließ. Dazu zählt auch die Aufwertung des vorkonziliaren Ritus der Messfeier. Und obwohl der Papst jeder Form des Antisemitismus eine scharfe Absage erteilte, verstörte 2008 die Reform der Karfreitagsbitte für die Juden.

In der internationalen Öffentlichkeit genießt Benedikt XVI. großes Ansehen wegen seines kompromisslosen Eintretens für Frieden, Menschenrechte und Religionsfreiheit. Dass er als Papst sein theologisches Werk – parallel zu seinem Amt und seinen offiziellen Erklärungen und Enzykliken – fortgesetzt hat, ist einzigartig: 2007 erschien der erste Band eines umfassenden Werks zu „Jesus von Nazareth“; der dritte, abschließende, folgte im Advent 2012. Wegweisende päpstliche Rundschreiben wie die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ (2009) erzielten nicht die verdiente Beachtung. Das lag wohl auch an den Missbrauchsskandalen, die seit 2009 die Kirche erschütterten und in vielen Ländern ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Ausmaß erreichten. Immer wieder äußerte sich Benedikt XVI. auch missverständlich, so etwa in Regensburg in einer viel kritisierten Redepassage zu den Muslimen oder bei seinem letzten Deutschlandbesuch im September 2011 mit dem Begriff der „Entweltlichung“ der Kirche.

Benedikt XVI. hat in den knapp acht Jahren seines Pontifikats – seiner Linie treu – versucht, die wesentlichen Positionen des christlichen Glaubens vernunftgemäß zu erklären und zu begründen. Dass er damit ausgerechnet in der Katholischen Kirche seines Heimatlands viele Gläubige nicht erreicht hat; dass sich seit 2005 der Graben zwischen Kirche und moderner Welt eher noch weiter geöffnet hat; dass die kritische Haltung gegen bestimmte kirchliche Lehren inzwischen auch den inneren Kern der Kirchenmitglieder erreicht hat, gehört zur persönlichen Tragik dieses intellektuell und theologisch hochstehenden, persönlich integren Papstes. Dass er in klarer Einsicht in seine persönliche Situation auf sein Amt verzichtet, ist ein entschlossener Schritt, der bewundernswerten Mut zeigt. Schließlich ist der Rücktritt auch ein Zeichen der Demut, mit dem der Papst sein Amt verwaltet hat. Denn Machtgelüste waren Joseph Ratzinger fremd – da waren sich Insider bis auf wenige Ausnahmen immer einig.

Inzwischen wurde bekannt, der Papst werde nach Ende seiner Amtszeit zunächst in Castel Gandolfo wohnen und dann in das bisherige Karmel-Kloster innerhalb der Mauern des Vatikan ziehen, um dort ein „Leben in Gebet und Meditation“ zu führen. Die ersten Reaktionen auf den Rücktritt sind geprägt von Überraschung und von Respekt für die Lebensleistung Benedikts XVI.




Piccoli als Papst: Man muss wohl etwas katholisch denken

Ein Film, der mit einer Beerdigung beginnt – das ist normalerweise ein „Tatort“. Bei „Habemus Papam“ wird jedoch ein Papst beerdigt, und zwar Johannes Paul II. Die bekannten Dokumentaraufnahmen führen in einen Spielfilm ein, in dem es um einen fiktiven Papst geht, der von den Kardinälen im Konklave gewählt wird, der sich aber vor der Größe der Aufgabe fürchtet und flieht. „Ein Papst büxt aus“ heißt deshalb in Deutschland der (misslungene) Nebentitel.

Michel Piccoli als Papst. (Foto: Prokino)

Michel Piccoli spielt diesen erwählten alten Kardinal Melville, und natürlich spielt er ihn sehr gut. Das jedoch reicht leider nicht, um die etwas eindimensionale Geschichte über mehr als 100 Minuten zu tragen. Liebe und Sex und Kinder und alle daraus möglicherweise resultierenden Spannungen können bei diesem Thema nicht vorkommen. Da hilft auch der ganz und gar ungläubige Psychoanalytiker nicht weiter, den die Kirchenführer hinzuziehen, und entsprechend zieht sich die Handlung in die Länge. Sicher finden sich einige amüsante Szenen in Nanni Morettis Film, aber eben nur einige.

In Entstehungsland Italien war der Streifen ein großer Kinorenner. Vielleicht, weil die Hauptstadt Rom und der Vatikan eine so herausragende Rolle spielen, aber sicher auch, weil man wohl etwas katholisch denken muss, um uneingeschränkt Gefallen an einem Kirchenthema wie diesem zu finden.




Raffaels Madonnen in Dresden vereint

Raffael: Madonna di Foligno, 1511/1512 (Copyright: Vatican Museums)

Raffael: Madonna di Foligno, 1511/1512 (Copyright: Vatican Museums)

Der deutsche Papst hat es möglich gemacht. Fast fünfhundert Jahre lang haben sich die von Raffael fast zeitgleich gemalten Altarbilder nicht mehr getroffen, jetzt kann man sie nebeneinander betrachten.

Zuletzt standen die „Madonna von Foligno“ und die „Sixtinische Madonna“ im Jahre 1512 zusammen im Atelier des italienischen Renaissance-Malers. Dann trennten sich die Wege der Bilder, die auf eindringliche Weise die himmlische Erscheinung der Maria mit dem Jesuskind thematisieren.

Auf verschlungenen Pfaden und verschiedenen Zwischenstationen kam die „Sixtinische Madonna“ 1754 nach Dresden, um die ohnehin prächtige Sammlung von August III., dem sächsischen Kurfürst und König von Polen, mit einem ebenso unzweifelhaften wie bedeutenden Raffael-Gemälde nochmals aufzuwerten und zu schmücken.

Die „Madonna von Foligno“ wurde, nachdem napoleonische Truppen sie beschlagnahmt und restaurierten hatten, im Jahr 1816 nach Italien zurückgebracht, um in der Vatikanischen Pinakothek ein gut behütetes und viel umschwärmtes Dasein als Ikone der Kirchenkunst zu führen. Zwei Jahrhunderte lang wurde das Bild nicht ausgeliehen, nie ging es auf Reisen. Dass aus Anlass des Deutschland-Besuches von Papst Benedict XVI., die „Madonna von Foligno“ den Vatikan verlassen und in der Gemäldegalerie der Alten Meister in Dresden ihr Schwesterbild treffen darf, ist eine Geste eines Kirchenführers an seine deutsche Heimat – und es ist eine Kunst-Sensation.

Die beiden kostbaren Raffael-Bilder sind nicht allein in Dresden. Zu ihnen gesellen sich knapp 20 weitere Werke, Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche, Bücher und Dokumente. Skizzen Raffaels zu seinen „Madonnen“, korrespondierende Werke von italienischen Malern wie Corregio und Garofalo sind zu sehen, aber auch Arbeiten deutscher Künstler, Albrecht Dürer und Lucas Cranach d. Ä., die „Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünewald.

Raffael: Sixtinische Madonna, 1512 (Copyright: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alter Meister - Foto: Estel/Klut)

Raffael: Sixtinische Madonna, 1512 (Copyright: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alter Meister - Foto: Estel/Klut)

„Himmlischer Glanz“, so der Titel der Ausstellung, ist wahrlich keine opulente und ausufernde, aber dennoch bedeutende Kunstschau. In klaren Konturen und beispielhafter Deutlichkeit zeigt sie nicht nur klassische Beispiele der Madonnen-Darstellung aus der Zeit Raffaels. Sie belegt auch, wie Werke wichtiger Künstler – auch über die Alpen hinweg – miteinander kommunizierten, wie sie sich in Bildsprache und Themengestaltung, Malweise und Farbgebung aufeinander bezogen. Das ist spannend und lehrreich, kann aber den Blick des faszinierten Betrachters nicht vom magischen Zentrum der Bilderschau lenken: den beiden großformatigen, von zeitloser Schönheit, ästhetischer Erhabenheit und göttlicher Gnade kündenden Madonnen-Bildern.

Hier die „Sixtinische Madonna“, die wahrscheinlich von Papst Julius II. in Auftrag gegeben wurde und für die Klosterkirche San Sisto in Piacenza bestimmt war, quasi als Geschenk dafür, dass die oberitalienische Stadt dem Kirchenstaat beigetreten war: In der Mitte schreitet Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm in Richtung der irdischen Welt. Der kniende Papst Sixtus II. und die Heilige Barbara weisen ihr den Weg. Unten lümmeln sich zwei schelmische und sympathische Engelchen, die, aus dem Bild tausendfach herauskopiert, längst zu Pop-Ikonen der Alltagskultur geworden sind.

Und nur eine Armlänge in Dresden entfernt nun die „Madonna von Foligno“: Die Muttergottes, auf Wolken sitzend vor einer Sonnenscheibe, mit dem Kind auf dem Arm. Links Johannes der Täufer und Franziskus, rechts der Heilige Hieronymus und Auftraggeber Sigismondo dei Conti. Und alles strahlt, nach mehreren Restaurierungen, in Rot, Blau und Gold. Gegen die satten und knalligen Farben nimmt sich die matt und grünstichig erscheinende, seit vielen Jahren nicht mehr aufgefrischte „Sixtinische Madonna“ geradezu kleinlaut aus. Gleichwohl verheißt auch dieses Bild ein großes Versprechen, und jeder Betrachter spürt, hier zwei der bedeutendsten Meisterwerke der Renaissance ansichtig zu werden und Zeuge eines einmaligen historischen Moments zu sein: Denn wohl nie wieder werden die beiden Schwestern sich begegnen.

Infos:

+ „Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna“. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alter Meister, bis zum 8. Januar 2012
+ Öffnungszeiten: tägl. 10 – 18 Uhr, Mo geschlossen
+ Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 7,50 Euro.
+ Informationen und Anmeldungen von Führungen unter 0351/49142000 oder besucherservice@skd.museum
+ Katalog, herausgegeben von Henning und Arnold Nesselrath, Prestel Verlag, München, 128 S., 80 Farbabbildungen, 24,95 Euro.
+ Mehr über Raffael und die Renaissance: Giorgio Vasari: „Das Leben des Raffael“, neu übersetzt und kommentiert, Wagenbach Verlag, Berlin 2004, 204 S., 12,90 Euro.




In schweren Zeiten – Nach dem Tod von Papst Johannes Paul II.

Ganz gleich, ob man die Ansichten des Papstes geteilt hat oder nicht: Seinen irdischen Tod hat Johannes Paul II. mit einer Fassung und Würde auf sich genommen, die wohl nur aus tiefstem Glauben heraus zu verstehen ist. Vor dieser Haltung müssten sich selbst hartgesottene Atheisten verneigen und sich fragen, wie es denn um ihre eigenen „Gewissheiten“ bestellt ist – jetzt und in der Stunde des Todes.

Es ist abermals Zeit, das große Wort zu zitieren, mit dem Papst Johannes Paul II. 1978 zu Beginn seiner Amtszeit ein Signal setzen wollte: „Habt keine Angst!“ Denn es kommen wahrlich schwere Jahre auf die katholische Kirche und auf ihren künftigen Oberhirten zu.

Große Aufgaben für den Nachfolger

Es wird für jeden Nachfolger eine ungeheure Aufgabe sein, aus dem Schatten des verstorbenen Pontifex herauszutreten. Karol Wojtylas historischer Einfluss ist unbestreitbar. Gewiss, nicht nur einzelne Persönlichkeiten machen Geschichte. Doch hätte der Papst seinerzeit nicht die polnische Oppositionsbewegung Solidarnosc auf so kluge Weise (ebenso behutsam wie wirksam) ermutigt, so gäbe es vielleicht heute noch eine Sowjetunion und eine DDR.

Auch stand Johannes Paul II. für Schritte zur Versöhnung mit den anderen Weltreligionen und für eine entschiedene Friedenspolitik ein. Wichtig war vor allem sein Einspruch gegen den Irak-Krieg. Andernfalls hätten fundamentalistische Kräfte der islamischen Welt mit noch mehr Furor vom „Kreuzzug“ reden können. Zudem wäre seine unbedingte Parteinahme für das werdende Leben in ein ungutes Zwielicht geraten. So aber verdient sie – über allen Streit hinaus – tiefen Respekt.

Wie ein Pop-Star, aber auch ein strenger Geist

Zuweilen gab sich dieser Papst wie ein Pop-Star, dessen Charisma auch junge Leute faszinierte. Er konnte allerdings auch ein äußerst strenger Mahner sein, der etwa in Nicaragua dem kritischen Katholiken und Sozialisten Ernesto Cardenal den Segen verweigerte und dem Schriftsteller stattdessen eine barsche Strafpredigt hielt. Doch auch der Materialismus und die Gier der westlichen Welt waren ihm zuwider. Erst recht, als sie auch in reinem Heimatland Polen Einzug hielten und die Menschen vor den neuen Super.“ märkten statt vor den Kirchen Schlange standen.

Sein Nachfolger wird Felder vorfinden, die Johannes Paul II. als Ödland hinterlässt. So gilt es, endlich die erstarrten oder ausgesetzten Reformen des II. Vatikanischen Konzils fortzuführen. Manche sprechen gar von einer „Gegenreformation“, die der polnische Papst im Sinn gehabt habe. Hier haben sich Konflikte angestaut, die nichts Gutes verheißen, ja eine Kirchenkrise größeren Ausmaßes befürchten lassen.

Bleibende Kraft des Glaubens

So muss der katholische Klerus ganz dringlich das Verhältnis zu den weiblichen Gläubigen klären. Fragen zur Empfängnisverhütung, zur Abtreibung und zum Zölibat sollten neu erwogen werden. Mehr noch: Die Gesten in Richtung anderer Religionen waren wertvoll, letztlich aber nur halbherzig. Nach wie vor verneint der Vatikan das gemeinsame Abendmahl mit protestantischen Christen.

Karol Wojtyla hat geradezu übermenschliche Anstrengungen unternommen, um die katholische Kirche nicht einer modernistischen Beliebigkeit auszuliefern. Unter seinem Pontifikat haben Geheimnisse und Mysterien des Glaubens wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Tatsächlich kann man sich fragen, ob eine allzu bereitwillige Weltläufigkeit nicht zwangsläufig in Widerspruch zum Kern der Religiosität, zu Andacht, Einkehr und Jenseitigkeit geraten muss.

Wie immer ein neuer Papst und die Kurie sich hierzu stellen mögen: Es bleibt eine Gratwanderung. Wie weit kann und darf die Kirche den Menschen in ihrem Alltag entgegenkommen? Andererseits: Wie sehr muss sie es tun, damit die Kirche eine lebendige Gemeinschaft bleibt oder wieder wird?

Auch und gerade in der Amtszeit Wojtylas hat sich der Erosionsprozess zumindest in Europa beschleunigt. Viele Gotteshäuser stehen nahezu leer, manche müssen deshalb geschlossen, verkauft oder sogar abgerissen werden.

Hingegen zeugen wachsende Gemeinden in Südamerika, Asien und Afrika von bleibender Kraft des Glaubens und der Hoffnung. Ist es undenkbar, dass der nächste Papst aus den südlichen Breiten kommt?

                                                                                                           Bernd Berke