Händels Heldinnen: Die Mezzosopranistin Magdalena Kožená und das Venice Baroque Orchestra in der Philharmonie Essen

Aus Brünn (Brno) stammt die Mezzosopranistin Magdalena Kožená (Foto: Mathias Bothor/DG)

Die Gemeinde ist versammelt. Parkett und erster Rang der Philharmonie Essen sind gut gefüllt mit den Liebhabern der Barockmusik, die gekommen sind, um in der Reihe „Alte Musik bei Kerzenschein“ Arien von Georg Friedrich Händel zu hören. Gehustet wird wenig. Im gedämpften Licht regiert feierliche Andacht.

Wie viele Zuhörer mögen während des eröffnenden Orchesterstücks heimlich auf den „Star des Abends“ warten, auf die Mezzosopranistin Magdalena Kožená? Dabei haben die Musiker doch einen ebenbürtigen Anteil an diesem Konzert, das im Wechsel von Arien, Ouvertüren und Concerti Grossi seinen Lauf nimmt. Das Venice Baroque Orchestra unter dem Dirigenten und Cembalisten Andrea Marcon ist ein vielfach ausgezeichnetes Spezialensemble und begleitet auf authentischen Instrumenten immer wieder berühmte Solisten.

Bis Ende November sind die Italiener mit der 1973 in Brünn geborenen Sängerin auf Tour. Essen erlebt das erste von fünf Konzerten, die noch in Bordeaux, Berlin und zweimal in Bratislava stattfinden werden. Auszüge aus den Opern „Agrippina“, „Rinaldo“, „Giulio Cesare in Egitto“, „Ariodante“ und „Alcina“ stehen auf dem Programm, im sorgsam bedachten Wechsel der so genannten Affekte, mithin der Gemütsbewegungen und Leidenschaften von Händels Heldinnen.

Das Glück ist nur ein Zaungast

Verletzter Stolz also, Rachefuror, Sehnsucht, Klage. Das Glück scheint ein Zaungast an diesem Abend, der überwiegend der tönenden Ausstellung seelischer Schmerzen gilt. Diese malt die Kožená mit virtuosen Läufen aus, die nicht der Attacke entbehren. Ihre Mittellage ist warm und wohlklingend, und wenn sie von dort in die tiefsten Register ihrer Stimme rauscht, in der rasenden Fahrt der Sechzehntel-Ketten, mag ihr Mezzo zwar an Durchschlagskraft verlieren, nicht aber an emotionalem Ausdruck. Die Höhen flammen bei ihr hell, aber die innige Bitte der Agrippina („Ogni vento“) nimmt sie in äußerstes Pianissimo zurück, durchwirkt von den mild funkelnden Klängen des Cembalos.

Natürlich dürfen virtuoser Prunk und kunstvolle Auszierungen bei solchem Händel-Fest nicht fehlen. Wer darüber hinaus hören möchte, entdeckt mehr: zum Beispiel die fahlen, vibratolos angesetzten Töne, die Magdalena Kožená anschwellen, ja aufblühen lässt. Die beinahe schon gestöhnten Laute des Leidens, mit denen sie als „Agrippina“ ihre quälenden Gedanken beklagt, und die packende Theatralik, mit der sie diese Szene gestaltet: nahezu losgelöst von Metrum oder Takt, wie nach Gutdünken (ad libitum) über dem Geschehen schwebend.

Das Venice Baroque Orchestra gibt der Sängerin Bühne und Kulisse, oft auch rhythmischen Drive. Nur gelegentlich wirkt das charakteristische Wetteifern der Instrumentengruppen in den Concerti Grossi zu routiniert.

Welche Exzellenz da am Werke ist, wird gleichwohl spürbar, wenn die Solo-Violinen sich wechselseitig in barocken Esprit spielen, die Oboen-Soli elegische Wehmut verströmen und ausgerechnet das oft so schwerfällig klingende Fagott der Sopranistin wieselflink in Koloraturketten folgt. Andrea Marcon, der dirigiert und zugleich im Stehen Cembalo spielt, ist Impulsgeber, Strippenzieher und Spiritus Rector dieses Abends.

Die offizielle Website der Künstlerin findet sich hier: http://www.kozena.cz/en. Weitere Konzerttermine der Reihe „Alte Musik bei Kerzenschein“ sind hier aufgelistet: http://www.philharmonie-essen.de/abonnements/abo-8-alte-musik.htm




Glanz und Bravour – der Countertenor Philippe Jaroussky im Konzerthaus Dortmund

Philippe Jaroussky: Gesang nicht nur von dieser Welt. Foto: Pascal Rest

Philippe Jaroussky im Konzerthaus Dortmund: Gesang nicht nur von dieser Welt. Foto: Pascal Rest

Ein Ton wie aus dem Nichts. Stark und klar geformt, mit kristallinem Glanz den Raum füllend, balsamisch strömend, um alsbald in allerlei Farben zu schimmern. Solcherart betörender Gesang, den Philippe Jaroussky anstimmt, scheint kaum von dieser Welt zu sein. Nun, immerhin formuliert der französische Countertenor gerade den Dank des Aci an Jupiter für das Geschenk der Unsterblichkeit, in Arienform gegossen von Nicola Porpora. Da darf es schonmal engelsgleich klingen.

Der italienische Komponist gilt als Meister der barocken Opera seria, war Zeitgenosse Vivaldis, zeitweise Konkurrent Händels in London, als es darum ging, die besseren Stücke und virtuosesten Sänger dem Publikum schmackhaft zu machen. Porpora schrieb mehr als 50 Opern, errang aber vor allem als der überragende Gesangslehrer seiner Zeit eminente Bedeutung. Einer seiner berühmtesten Schüler war der Kastrat Farinelli. Ihm schrieb der Komponist – zu beider Ruhm – manche Bravourarie auf den Leib.

Jaroussky hat sich davon einige der effektvollsten, virtuosesten und koloraturreichsten musikalischen Rosinen herausgepickt. Andererseits zelebriert der Counter in Dortmunds Konzerthaus das Verströmen lyrischer Episoden. Es ist ein Abend der großen Gefühle: Überbordende Freude wechselt mit Anflügen von Mitleid, Sehnsucht, unglücklicher Liebe oder stiller Zufriedenheit. Das Schatzkästlein barocker Affekte öffnet sich zu unser aller Erstaunen aufs Schönste.

Dabei wirkt die Körperlichkeit, mit der Jaroussky seine stimmliche Kunst in Szene setzt, wie eine Illustration seelischer Befindlichkeiten. Das mag bisweilen den Manierismus berühren, wie denn auch einige der sanften Melodien das Sentiment streifen. Doch des Sängers Gestaltungskraft, zudem seine traumwandlerische Sicherheit, ohne Brüche zwischen Alt- und Sopranlage zu changieren, lassen den Hang zur Überzeichnung schnell vergessen.

Des Counters Expressivität ist übrigens nicht zu verwechseln mit Verkrampfung oder Anstrengung. Denn alles Technische scheint seiner geläufigen Gurgel kaum Mühe zu bereiten. Nur wenn er sich in die Arie „Wie ein Schiff in mächtigem Sturm“ aus Porporas Oper „Semiramide“ vehement hineinwirft, verhärtet sich die Stimme leicht in der Höhe, klingt ein wenig trocken. Überwiegend aber ist Jaroussky Garant für mitreißenden Schwung und strahlenden Glanz.

Die Ovationen sind ihm sicher, doch am Erfolg des Abends ist auch das 21 Köpfe starke Venice Baroque Orchestra stark beteiligt. Das von Andrea Marcon am Cembalo umsichtig geleitet wird und sich stets im Dienste des Gesangs zurücknimmt, ohne nur beiläufig zu wirken. Das sich andererseits in einigen Instrumentalstücken, etwa in Leonardo Leos Ouvertüre zu „L’Olimpiade“, als zupackend musizierendes Ensemble beweisen kann. Mit rhythmischer Intensität und wunderbar dynamischer Differenzierung. Nur schade, dass manche Solostellen ein wenig verunglücken, etwa in Francesco Geminianis Concerto grosso.

Philippe Jarousskys Plädoyer aber für einen Barockkomponisten, auf den zumeist nur Spezialisten ihr Augenmerk richten, eröffnet dem Publikum eine neue Welt. Und zugleich beweist der Sänger, dass eine Counterstimme nicht übermäßig künstlich wirken muss, bei allem, was sie etwa von einem klassischen Sopran trennt. Dass es vielmehr möglich ist, sie in schönster Natürlichkeit aufschimmern zu lassen. Das eben ist die große Kunst.

 

(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst in der WR erschienen.)