Es geht noch viel: TuP-Festtage in Essen mit Aribert Reimanns „Medea“ und einer spartenübergreifenden Uraufführung

Freuen sich auf die TUP-Festtage 2019: Schauspielintendant Christian Tombeil, TUP-Geschäftsführer Berger Bergmann, der stellvertretende Ballettintendant und Ballettmanager Marek Tuma, Musiktheater- und Philharmonieintendant Hein Mulders sowie Oliver Bohnenkamp, Vorstandsmitglied der Sparkasse Essen. Foto: TuP

Freuen sich auf die TUP-Festtage 2019 (v. li.): Schauspielintendant Christian Tombeil, TUP-Geschäftsführer Berger Bergmann, der stellvertretende Ballettintendant Marek Tuma, Musiktheater- und Philharmonieintendant Hein Mulders sowie Oliver Bohnenkamp, Vorstandsmitglied der Sparkasse Essen. Foto: TuP

Rien ne va plus – das ist ein aus dem Casino geläufiger Satz, wenn im laufenden Spiel nichts mehr geht. Ein etwas gekünstelter Titel für die TuP-Festtage Kunst in Essen. Denn zum Glück geht in der Zeit vom 22. bis 31. März eine Menge: Premiere der Reimann-Oper „Medea“ am Aalto, drei beliebte Ballettproduktionen, die deutsche Erstaufführung von Robert Menasses Europa-Stück „Die Hauptstadt“ im Grillo-Theater. Und erstmals ein spartenübergreifendes Projekt.

Musiktheater, Ballett und Schauspiel realisieren in der Casa im Grillo eine gemeinsam erarbeitete Inszenierung: „Schließ deine Augen – Rien ne va plus“ heißt das Stück, in dem Tänzer, Sänger und Schauspieler gemeinsam agieren und ihre Spartengrenzen ein wenig überschreiten. Für die Uraufführung am Mittwoch, 27. März, 19 Uhr, dürfte es ratsam sein, sich rasch Karten zu sichern: Die Casa hat ein begrenztes Platzangebot. Weitere Vorstellungen: 30. März und 5. Mai.

Fünf Sparten sind am Programm beteiligt

Verdis "Luisa Miller" wird zum letzten Mal wiederaufgenommen: Szene aus der Inszenierung Dietrich Hilsdorfs. Foto: Matthias Jung

Verdis „Luisa Miller“ wird zum letzten Mal wiederaufgenommen: Szene aus der Inszenierung Dietrich Hilsdorfs. Foto: Matthias Jung

Für alle anderen Vorstellungen sind noch ausreichend Tickets zu bekommen. Bei manchen heißt es nach den TuP-Festtagen tatsächlich „rien ne va plus“: Dietrich Hilsdorfs Inszenierung der Verdi-Oper „Luisa Miller“ (Wiederaufnahme am 30. März) verabschiedet sich nach dieser letzten Vorstellungsserie aus dem Repertoire des Aalto-Theaters; dafür kündigt Intendant Hein Mulders die Rückkehr des einstigen Essener Stamm-Regisseurs in der Spielzeit 2019/20 an. Abschied nehmen müssen die Ballett-Fans auch von Stijn Celis‘ Choreografie von „Cinderella“. Sie steht am 31.März letztmals auf dem Spielplan des Aalto-Theaters.

Mit Spannung erwarten dürften Opern-Liebhaber die Neuinszenierung von Aribert Reimanns „Medea“, uraufgeführt 2010 an der Wiener Staatsoper und dort – wie bei der Übernahme in Frankfurt und bei einer zweiten Inszenierung an der Komischen Oper Berlin, geleitet vom Bochumer GMD Steven Sloane – vom Publikum gefeiert.

Aribert Reimann. Foto: Schott Promotion, Peter Andersen

Der 83jährige Komponist hat sein Kommen angekündigt. Premiere ist am Samstag, 23. März, 19 Uhr. Am Tag zuvor, 22. März, eröffnen um 16.30 Uhr die Intendanten der fünf TuP-Sparten die Festtage; anschließend gibt es eine „Teatime“ im Aalto-Foyer mit einer Einführung in die auf Franz Grillparzers „Das goldene Vlies“ fußende Oper Reimanns.

Zerstörte Existenzen, Schicksal und Schuld als Themenkomplexe

Zerstörte Existenzen, Schicksal und Schuld, aber auch glückliche Fügungen: Um diese Themenkomplexe kreisen die Vorstellungen der TuP-Festtage. In der Uraufführung „Schließ deine Augen – Rien ne va plus“ nehmen die Regisseure Marijke Malitius und Sascha Krohn gemeinsam mit dem ehemaligen Aalto-Tänzer und Choreografen Igor Volkovskyy die Frage auf, wie es wohl wäre, ewig Kind zu bleiben, die Träume der Kindheit zu leben und die von Macht strukturierte Welt der Erwachsenen zu meiden. Die Sicht der Kinder Medeas, die Weigerung, erwachsen zu werden in „Peter Pan“ und die geheimnisvolle Marionettenwelt in Maurice Maeterlincks „Der Tod des Tintagiles“ sind die stofflichen Kreise, um die sich die von Gesa Gröning ausgestattete Produktion drehen soll.

Star-Sopran Maria Agresta singt Verdi. Foto: Alessandro Moggi.

Star-Sopran Maria Agresta singt Verdi. Foto: Alessandro Moggi.

Musikalisch bietet die Philharmonie Essen ein Jugendkonzert mit Filmmusik am 22. März mit der Neuen Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann, am 23. März eine „Hommage á Bach“ mit dem Organisten Christian Schmitt und am 24. März, 11 Uhr, das Debüt der Geigerin und Stipendiatin von Anne-Sophie Mutter, Noa Wildschut. Die 18jährige Niederländerin bringt als Klavierpartnerin Elisabeth Brauß mit, ein Klaviertalent der jungen Generation. Am Abend ist eine Geigerin mit internationaler Karriere zu erleben: Isabelle Faust spielt das Brahms-Violinkonzert, am Pult agiert Philippe Herreweghe.

Geballte Musik-Highlights gibt es auch am Sonntag, 31. März: Um 11 Uhr spielt der Trompeter Gábor Boldoczki mit der Philharmonia Prag reizvolle Konzerte aus dem böhmischen Raum, u. a. von Johann Baptist Georg Neruda, Johann Nepomuk Hummel und Johann Baptist Vanhal. Und am Abend ab 19 Uhr verzaubern Star-Sopran Maria Agresta und die Essener Philharmoniker mit Ouvertüren und Arien von Giuseppe Verdi, darunter nicht nur die üblichen Schlager, sondern etwa die Ballettmusik aus „Macbeth“ und einer Szene aus Verdis erster Oper „Oberto, Conte di San Bonifacio“.

Karten: (0201) 81 22 200, www.theater-essen.de

 




Die Rache-Show des Rigoletto: Frank Hilbrich inszeniert Giuseppe Verdis Oper am Aalto-Theater

Ein Mann starrt in die Finsternis: Rigoletto (Luca Grassi), unglücklicher Hofnarr des Herzogs von Mantua (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Dieser Hofnarr trägt einen Buckel aus zerplatzten Luftballons. Er hält sich gebeugt, geht stets gekrümmt wie einer, dessen Rückgrat verbogen ist. Angstvoll blickt er um sich, eine gehetzte Kreatur im mausgrauen Anzug, verfolgt von einer unsichtbaren Meute. Dann steigt er in seine quietschbunte Arbeitskluft und verwandelt sich: nicht etwa in einen bösen Harlekin, sondern in einen Horror-Clown, verwandt dem aus der Verfilmung von Stephen Kings Roman „Es“.

Zirkus? Nein, Verdi! Der Bariton Luca Grassi gab in Essen sein Rollendebüt als Rigoletto.

Mit dieser Darstellung von „Rigoletto“, dem tragischen Antihelden der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi, legt Regisseur Frank Hilbrich sich am Essener Aalto-Theater früh fest. Der böse Clown soll uns das Gruseln lehren mit seinem Wahn, mit seiner Verbitterung und mit seinem Hass auf vermeintlich privilegiertere Existenzen. Hilbert will uns Fratzen und Verzerrungen zeigen, hervorgebracht durch das Spiel von Macht und Erniedrigung. Ein nachvollziehbarer Ansatz, der auf der Bühne leider zunehmend in Mummenschanz mündet.

„Das Schöne hat nur eine Erscheinungsform, das Hässliche hat tausend“, zitiert das Programmheft Victor Hugo, den Dichter der Romanvorlage „Le Roi s’amuse“. In der Essener Premiere erinnert uns die bald einsetzende Vermehrung der Horrorclowns aber vielmehr daran, dass der Februar nicht mehr fern ist – und mit ihm die Karnevalssaison.

Die Höflinge als eine Schar von Horrorclowns (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Konfetti und Kamelle fliegen zwar nicht, dafür aber viele bunte Luftballons, von denen viele geräuschvoll platzen. Sind sie Symbol für die Illusionen der Hauptakteure? Sie verbreiten jedenfalls eine konträr zum Stück stehende Kindergeburtstags-Atmosphäre.

Überzeugend gelingt dagegen die Zeichnung der Gilda, die endlich einmal nicht in einem käfigartigen Verhau auf ihren Vater warten darf, sondern als selbstbewusster Teenager in modischer Jeans auf dem heimischen Sofa lümmelt.

Gilda (Christina Pasroiu), Tochter des Rigoletto (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Auch die Bühne von Volker Thiele hat es in sich: Sie ist nachtschwarz und unterkühlt und besitzt zudem drehbare Seitenportale, die das seitwärts einfallende Licht so spiegeln, dass der Zuschauer immer wieder geblendet wird. Das ist ähnlich unangenehm wie die Perversionen, die am Hofe des Herzogs gepflegt werden. Verblendung, Gefühlskälte und (eitle) Selbstbespiegelung werden hier zum Raum.

Die beiden entscheidenden Nachtszenen der Oper verschenkt die Regie indes komplett. Die Begegnung mit dem Auftragskiller Sparafucile findet vor einem violetten Glitzervorhang statt, als seien wir Zeuge einer Zirkusnummer. Den Mord inszeniert Hilbert auf einer Doppelbühne, gerahmt vom violetten Vorhang. Gemeinsam mit Gilda sind wir gezwungen, die Rache-Show des Rigoletto mit anzusehen. Diese Revue ist jedoch weit entfernt von der düsteren „tinta“, der von Verdi bewusst eingesetzten Einfärbung der Szene durch die Musik. Statt einer Nacht des Schreckens also nur das Theater des inneren Wahns. Statt Wetterleuchten diskoähnliches Flackerlicht.

Quartett vor dem tödlichen Finale: Rigoletto (Luca Grassi), Maddalena (Bettina Ranch), der Herzog von Mantua (Carlos Cardoso) und Gilda (Cristina Pasaroiu). (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Sängerisch will diese Produktion ebenfalls nicht recht erwärmen. In seinem Rollendebüt gibt Luca Grassi dem Rigoletto Gentleman-Farben, schafft es aber (noch) nicht, die Emotionen dieser Figur zum Glühen zu bringen. Zärtliche Vater-Gefühle klingen an, aber darüber hinaus bleibt sein Bariton oft blass, reicht nicht in die Tiefen von Hass, Verzweiflung und Rachedurst hinab.

Carlos Cardoso, als Herzog von Mantua für den erkrankten Abdellah Lasri am Start, übersetzt den Machismo etwas steif in Spitzentöne und Phonstärken. Der Träller-Stil der berühmten Arien erzählt bei ihm nicht viel von Leichtfertigkeit und Charme. In den Duetten mit Gilda bemüht er sich aber um feurigen Schmelz, um die Schöne für sich zu gewinnen.

Der Herzog (Carlos Cardoso, r.) gibt sich Gilda gegenüber als Student aus (Cristina Pasaroiu,. Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Damit wären wir bei der überragenden Spitze des Dreigestirns, bei Cristina Pasaroiu als Gilda, die uns mitten hinein führt in den leuchtenden glasmusikalischen Käfig, den Verdi rund um Rigolettos Tochter komponiert hat. Aber die Sängerin belässt es nicht dabei: Sie ergänzt ihr Rollenporträt durch selbstbewusste Akzente, wie sie einem Menschen eigen sind, der an der Schwelle zum Erwachsenalter steht. Zart und traumschön, wie ihre Gesangsbögen zunehmend ätherischer werden und in der Sterbeszene gänzlich gen Himmel entschweben. Die Nebenrollen des Grafen Monterone, des Mörders Sparafucile und seiner Schwester Maddalena sind mit Baurzhan Anderzhanov, Tijl Faveyts und Bettina Ranch sorgsam besetzt.

Unter dem Dirigat des Italieners Matteo Beltrami stützen die Essener Philharmoniker die Sänger psychologisch genau. Deutlich tritt die jeweils eigene Klangwelt vor, die Giuseppe Verdi den Hauptakteuren zugeordnet hat. Helle Flötentöne und ätherische Geigenklänge für Gilda und gockelhaft-triviale Canzonetten für den Herzog heben sich ab von düsterem Grund: Monterones Fluch wirft seinen schicksalhaften Schatten über die gesamte Partitur. Ein ums andere Mal fliegt Matteo Beltrami die Künstlermähne in den Nacken, wenn er die Musiker im Orchestergraben anspornt. Essens Philharmoniker antworten mit sprühender Vitalität und dramatischem Feuer.

Folgetermine bis 28. Mai 2017. Kartenbestellung: 0201/ 8122-200. Infos: http://www.aalto-musiktheater.de/premieren/rigoletto.htm/




Schwarze Seelen: Michael Thalheimer inszeniert Verdis „Otello“ an der Rheinoper

Otello. Foto: Hans-Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein

Otello. Foto: Hans-Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein

Die Bühne ist so schwarz wie Jagos Seele: In einem klaustrophobisch anmutenden dunklen Raum begegnen sich schwarzgekleidete Gestalten und das Unheil nimmt seinen Lauf. Einer von ihnen hat sogar ein schwarzes Gesicht, die anderen malen sich ihres in düsterer Farbe an, um es ihm gleichzutun.

Michael Thalheimer hat Verdis „Otello“ für die Deutsche Oper am Rhein bis zur Schmerzgrenze optisch reduziert, sich dadurch aber auf die düsteren Leidenschaften konzentriert, die in uns allen wirken: Eifersucht, Neid, enttäuschte Liebe, Hass.

Schmerzhaft schön tritt dabei Verdis Musik (Musikalische Leitung: Axel Kober) in den Vordergrund: Sie spiegelt, illustriert und vertieft die Leidenschaften der handelnden Figuren, zeigt auch ihre verborgenen, versteckten Regungen und Motive auf. Jago, der sich als böser Nihilist geriert, kommt in die Nähe von Mephisto, nur ohne dessen geschliffene Ironie. Überhaupt erinnert Thalheimers Inszenierung, eine Koproduktion der Rheinoper Düsseldorf/Duisburg mit der Opera Vlaanderen, an seinen „Faust“ am Deutschen Theater in Berlin, der seinerzeit ebenfalls in einem dunklen kargen Raum angesiedelt war.

Doch dies verkopfte, dieses Eingesponnensein in das Gefängnis seiner eigenen Neurosen charakterisiert Otello gut: Wieso sollte sonst der große Feldherr den pumpen Intrigen eines Jago so schnell auf den Leim gehen, wenn nicht seine Seele bereits von Selbstzweifeln, Wahnvorstellungen und Minderwertigkeitskomplexen des Außenseiters zerfressen wäre? Warum sollte er sonst wegen eines lächerlichen Taschentuches seine große Liebe Desdemona töten? Taschentuch und Brautkleid Desdemonas sind übrigens die einzigen weißen Gegenstände dieses rabenschwarzen Abends und daher mit der Symbolik der verlorenen Unschuld aufgeladen: Das Taschentuch gilt als Beweis für ihre Untreue, im Brautkleid wird sie erwürgt. Die Schwärze schluckt alles.

Desdemona auf dem Totenbett. Fotos: Hans-Jörg Michel/Rheinoper

Desdemona auf dem Totenbett. Fotos: Hans-Jörg Michel/Rheinoper

Allerdings nicht den Klang: Otello (Ian Storey) singt eine kraftvolle Partie, die Jähzorn, aufbrausendes Temperament sowie zarte Liebestöne hören lassen. Aus gesundheitlichen Gründen konnten sowohl Jacquelyn Wagner und Boris Statsenko an diesem Abend nicht auftreten: Doch die eingesprungenen Gäste meisterten ihre Partien bravourös und erhielten viel Applaus. Serena Farnocchia gab der Desdemona einen warmen Klang, Alexander Krasnov, eingeflogen aus Jekaterinenburg, nahm man den empathielosen Bösewicht Jago unbedingt ab.

Eine schöne Stimme hat auch Ovidiu Purcel als Cassio aus dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein. Besonders hervorzuheben ist unbedingt der Chor der Rheinoper, der kraftvoll und eindringlich aus dem düsteren Hintergrund heraus agierte und natürlich die Düsseldorfer Symphoniker im Graben, der an diesem Abend ungewöhnlich hell wirkte.

Nur noch wenige Vorstellungen im November, Opernhaus Düsseldorf: 1., 4., 10. und 13. Nov. Karten: www.operamrhein.de

 




Stahlgewitter der Stimmen: Giuseppe Verdis „Don Carlo“ am Theater Dortmund

Susanne Braunsteffer als Elisabeth von Valois (Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Susanne Braunsteffer als Elisabeth von Valois (Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Zwei Männer versichern einander ewige Freundschaft: Don Carlo, Infant von Spanien, und der Marquis von Posa, ein Freigeist und Schwärmer, der Flandern vom Joch der spanischen Herrschaft befreien möchte. Ihr Schwur hat Giuseppe Verdi zu einem seiner hinreißendsten Duette inspiriert. Kernig im Ton, kraftvoll im Schwung und glühend in der Emphase, haftet es schon nach dem ersten Hören für immer in Herz und Sinn.

Hier aber, im Theater Dortmund, setzt jetzt das Stahlgewitter der Stimmen ein. Angeführt vom frankokanadischen Tenor Luc Robert, der in der Titelpartie sein Deutschland-Debüt gibt, schaukelt sich die vom Nationaltheater Mannheim übernommene Premiere zu einem Wettstreit der Phonstärken hoch. Luc Robert (Carlos) und Gerardo Garciacano (Posa) legen gleich zu Beginn derart los, dass von den Dortmunder Philharmonikern kaum noch etwas zu hören ist.

Robert schmettert mit heldischer Kraft, setzt bei monochromer Stimmfarbe auf die Demonstration müheloser Lautstärken, was bei einer Vorstellungsdauer von dreieinhalb Stunden ermüdet. Garciacano bietet als Posa wärmere Farben, gerät aber gleichfalls in den Sog, dem sich an diesem Abend kaum einer entziehen kann. Wen Wei Zhang als glückloser Monarch Philipp II, Christian Sist als blinder Großinquisitor, die von Granville Walker gewohnt gut einstudierten Chöre: Alle hauen raus, was die Lunge nur her gibt. Ein tragischer Total-Ausfall ist die Prinzessin Eboli von Katharina Peetz. Es grenzt an Verantwortungslosigkeit, eine Sängerin auf die Bühne zu schicken, die mit ihrer Rolle so massiv überfordert ist.

Mäßigend auf die Fortissimo-Exzesse einzuwirken, wäre die Aufgabe von Dirigent Gabriel Feltz gewesen. Doch statt dimmender Gesten sehen wir von Dortmunds neuem GMD vor allem den Zeigefinger, der jedes noch so kleine Detail bestimmen will. Derart ins Korsett der Struktur eingeschnürt, kann die Musik nicht atmen. Wo Verdi einen düsteren Schicksalston anschlägt, wo das Drama der Akteure in brennende Dringlichkeit gipfelt und die Musik vor mühsam unterdrückten Gefühlen glüht, tönt uns technokratische Kälte entgegen. Der Eifer des Richtigmachens ist der Kunst abträglich.

"Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!": Marquis Posa (Gerardo Garciacano) bekniet Philipp II. (Wen Wei Zhang. Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

„Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“: Marquis Posa (Gerardo Garciacano) bekniet Philipp II. (Wen Wei Zhang. Foto: Thomas M. Jauk, Stage Picture)

Die Bühne von Mathis Neidhardt zeigt uns klassizistisch-imperiale Fassaden, deren Rückseite die Seelenlosigkeit einer bürokratischen Tyrannei zitiert. Die Kostüme (ebenfalls Mathis Neidhardt) mäandern durch die Zeitzonen, als wollten sie uns daran erinnern, dass auf Unterdrückung basierende Herrschaftssysteme auf keine Epoche der Geschichte beschränkt sind. Die Damen der Prinzessin Eboli wirken mit ihren Hochsteck-Frisuren wie gut situierte Hausfrauen der 60er Jahre. Sie planschen bei einer geselligen Cocktailparty am Plastikpool, während sich die Eboli bei ihrem maurischen Lied wollüstig in den Schritt fassen lässt. Soldaten tragen moderne Uniformen und Maschinengewehre, Posa sieht aus wie ein Handelsreisender in Sachen Freiheitskampf. Carlos, König und Königin hingegen sind prachtvoll historisch gewandet.

Von der Regie Jens-Daniel Herzogs gibt es leider nicht viel zu berichten. Dortmunds Intendant zitiert bekannte Bilder von langen Trauerzügen, mit denen das Volk pflichtschuldig am aufgebahrten Sarg des Herrschers Abschied nimmt: in diesem Fall von Philipps Vorgänger Karl V. Das Autodafé deutet er in einen quasi stalinistischen Selbstreinigungsprozess um, vergibt die mahnende Stimme aus dem Jenseits an den toten Marquis Posa und lässt ansonsten ausgiebig an der Rampe singen.

So klammern wir uns an den einsamen Monarchen Philipp, dem Wen Wei Zhang zwischen eisernem Machtanspruch und verzweifelter Liebessehnsucht Kontur und Stimme gibt. Lichtblicke gönnt uns auch Elisabeth von Valois, achtbar gesungen von Susanne Braunsteffer, deren hochgesteckte, mit Perlen geschmückte rote Haartracht freilich mehr an die Tudor-Königin erinnert als an die Lilie von Frankreich. Zwar schafft die Sängerin es bei eher kalt gleißenden Höhen nicht, die Königin zur großen Schmerzensgestalt zu formen, lässt uns aber wenigstens ahnen, welche Majestät sich diese große Frau bewahrt – selbst noch im äußersten Verzicht.

(Der Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen: www.theaterdo.de)




Hilflos im Hahnenkampf: „Der Troubadour“ am Theater Dortmund

Das Zigeunerleben hat seine Härten: Azucena (Hermine Mey) und Manrico (Stefano La Colla) in der Dortmunder "Troubadour"-Inszenierung (Copyright: Fotografie Bjoern Hickmann)

Das Zigeunerleben hat seine Härten: Azucena (Hermine May) und Manrico (Stefano La Colla) in der Dortmunder „Troubadour“-Inszenierung (Copyright: Fotografie Bjoern Hickmann)

Das ist nun so eine richtige Männergeschichte. Nicht wissend, dass sie Brüder sind, bekämpfen sich Graf Luna und Manrico bis aufs Messer. Das Schicksal hat sie zu politischen Gegnern gemacht, und als wäre dies nicht genug, buhlen beide auch noch um die Gunst der gleichen Frau.

Auf der Opernbühne gibt dies Anlass genug für schluchzende tenorale Liebesständchen, zorndurchbebte Racheschwüre und wuchtige Ensembleszenen, wie Giuseppe Verdi sie in seinem Meisterwerk „Il Trovatore“ zu einer wahren Glanzparade von Ohrwürmern reiht. Um das Verdi-Jahr 2013 zu feiern, hat das Theater Dortmund jetzt seine Hausregisseurin Katharina Thoma mit einer Neuinszenierung der populären Oper beauftragt. Wie zuvor in ihrer Fassung von Modest Mussorgskys „Boris Godunow“, verlegt sie die Handlung auch diesmal in einen Betonbunker mit verschiebbaren Elementen: freilich mit weit geringerem Erfolg. Thoma findet keine übergreifende Idee für das blockhaft aufgeteilte Libretto, das die Story in deutlich abgesetzten Tableaus erzählt. Die Vorgeschichte von der Zigeunerin, die im Wahn ihr eigenes Kind ins Feuer warf und Manrico fortan wie ihren Sohn groß zog, versucht sie mit filmischen Einblendungen verständlich zu machen. Aber ihr Versuch, den mittelalterlichen Stellvertreterstreit um den Thron von Aragón in unsere Zeit zu übersetzen, wirkt hilflos.

Die Mannen von Graf Luna sind als nicht näher bestimmte Soldateska gezeichnet. Manrico ist ein Draufgänger in Motorrad-Kluft: Zum Glück darf er seinen lächerlichen Helm nach dem ersten Auftritt ablegen. Eine reichlich beliebige Bilderflut zitiert die Schrecken des Bürgerkriegs. Damit Sondereinsatzkommandos, Nonnen und Zigeunergruppen sich nicht restlos verheddern, wirft die Regie in den Akt-Übergängen einfach mal eine Alarmsirene an. Dazu blinkt ein gelbes Warnlicht, als befänden wir uns auf einer ungesicherten Baustelle. Ratlosigkeit macht sich breit. Immerhin kommt es kurz vor Manricos Hinrichtung zu einem innigen Bild, wenn er und Azucena in einem ehemaligen Duschraum gefangen gehalten werden. Da bilden schmutzige nackte Fliesen den Hintergrund für reine, glühende Emotion.

Das Solistenquartett ist in Dortmund mit drei Gästen und einem Ensemblemitglied ansprechend besetzt. Der Südkoreaner Sangmin Lee, seit dieser Spielzeit in Dortmund engagiert, durchmischt den mit grimmigen Machtanspruch des Grafen Luna zunehmend mit Untertönen glühender Verzweiflung, je mehr dieser im Kampf um Leonora den kürzeren zieht. Ihr Rollendebüt als Leonora gibt Susanne Braunsteffer. Ihr Sopran verbindet Durchschlagskraft und Leidenschaft mit einem Timbre, das eher zuverlässig robust klingt als elegant. Die ungeformten, ja statischen Töne, mit denen Stefano La Colla der Titelpartie zunächst Gewalt antut, weichen im zweiten Teil des Abends gottlob beseelteren Klängen. So tritt zur Kraft des hohen C zunehmend auch Gefühl. Obgleich die Mezzosopranistin Hermine May keine sehr kräftige Stimme besitzt, ist die Zigeunerin Azucena mit ihr passgenau besetzt. Sie findet dämonisch dunkle Farben, die sie in Momenten des Wahns immer wieder zu flammenden Spitzen steigert.

Die von Granville Walker vorbereiteten Chöre verwechseln Kraft nicht mit übertriebener Lautstärke, sondern bilden einen festen Rahmen für die Hahnenkämpfe der Protagonisten. Aufmerksam und subtil agieren die Dortmunder Philharmoniker: Unter der Leitung von Lancelot Fuhry spulen sie die zahlreichen Kabaletten und Kavatinen keineswegs routiniert herunter, sondern geben ihnen elastisch federnde Grund-Rhythmen. Flirrend untermalen sie Azucenas Visionen vom Scheiterhaufen, seufzend und zärtlich den Traum der Liebenden von einem letzten Frieden.

Was die Produktion musikalisch zu bieten hat, wird von der Szene letztlich verspielt. Das ist auch deshalb bedauerlich, weil die Gewohnheit, die Handlung dieser Oper zum unfreiwillig Lächerlichen hin abzuwerten, im Grunde mangelnder Kenntnis entspringt.

(Informationen zum Stück: http://www.theaterdo.de/detail/event/1969/)




Unter dem Brennglas: „Don Carlos“ am Musiktheater Gelsenkirchen

Frankreichs weiße Lilie: Elisabeth (Petra Schmidt) wird bald nach ihrer Ankunft im Escorial in ein steifes schwarzes Kleid gezwängt (Foto: Pedro Malinowski/ MiR)

Frankreichs weiße Lilie: Elisabeth (Petra Schmidt) wird bald nach ihrer Ankunft im Escorial in ein steifes schwarzes Kleid gezwängt (Foto: Pedro Malinowski/ MiR)

Gott, welch Dunkel hier. Alle tragen schwarze Kleidung, als seien sie fortwährend in Trauer. Der Escorial, von Philipp II. als Schloss- und Klosteranlage erbaut, gleicht einer fensterlosen Gruft, einem Gefängnis mit nackten Wänden.

In dieser düsteren Szene zeigt Regisseur Stephan Märki wie unter einem Brennglas, was die Figuren in Giuseppe Verdis Oper „Don Carlos“ umtreibt. Seine Neufassung am Gelsenkirchener Musiktheater erreicht dabei schneidende Intensität.

In schlichter, aber höchst wirkungsvoller Schwarz-Weiß-Ästhetik zeigt Märki einen elementaren Kampf: Unschuld, Liebe und Hoffnung gegen Gewalt, Furcht und Depression. Die stufenweise ansteigende Spielfläche ist niederschmetternd kahl (Bühne: Sascha Gross). Hier umkreisen sich die Akteure, belauern sich misstrauisch. Schattenrisse flackern auf, Spannungen werden beinahe mit Händen greifbar. Unter dem alles erstickenden Schwarz brodeln die Emotionen. Märki kanalisiert die unterdrückte Energie, bis die Figuren förmlich zu vibrieren beginnen. Hinter den individuellen Dramen leuchten die großen Menschheitsfragen auf. Welchen Preis hat die Macht? Was kostet die Freiheit?

Abseits der spannungsvollen Personenführung findet die Regie immer wieder zu klaren, kraftvollen Bildern. Ein kleines Mädchen, das zu Beginn im weißen Kleid über die Bühne hopst, kehrt im Autodafé als „Stimme vom Himmel“ wieder. Elisabeth sinniert vor einem Altar mit Totenschädel über Wahn und Eitelkeit der Welt. Die verblühten Rosen, die sie ergreift, treiben den Stachel ihrer Wehmut noch tiefer. Unterdessen quält sich der einsame Monarch durch eine schlaflose Nacht, die durch schemenhaft erkennbare Leichen im Bühnenhintergrund vollends gespenstisch wird. Überzogen dargestellt wirkt indes der Machtanspruch des Großinquisitors, den Märki im zweiten Teil als Christusfigur samt Dornenkrone und Wundmalen auftreten lässt.

Musikalisch hebt die Produktion unter Dirigent Rasmus Baumann zu Höhenflügen ab. Die Neue Philharmonie Westphalen begeistert durch eine Motivarbeit, die in psychologische Tiefen führt. Dämonisch finsteren Ausbrüchen steht eine teils glühende, dann wieder beglückend fein gesponnene Italianità gegenüber. Präzise Blechbläser und Streicher, die eine vielschichtige Piano-Kultur entwickelt haben, lassen immer wieder aufhorchen. Dies kommt wiederum dem durchweg gut besetzten Sängerensemble entgegen. Daniel Magdal entwickelt als Don Carlos trotz einiger greller Farben und Schluchzer beachtliche Strahlkraft. Renatus Mészár gibt Philipp II. stählerne, aber auch warme Klänge, die er im depressiven Sprechgesang der Arie „Sie hat mich nie geliebt“ zu erschütterndem Melos steigert. Carola Guber trumpft als Eboli glamourös, zunächst aber etwas kalt auf, bevor sie sich der Königin in glühender Reue zu Füßen wirft. Petra Schmidt gelingt als Elisabeth die Gratwanderung zwischen Stolz, Wehmut und Verletzlichkeit. Und Michael Tews ist ein Großinquisitor, dessen Bass einen das Fürchten lehrt. Wahre Triumphe feiert der von Berlin als Gast zurück gekehrte Günter Papendell, der sein Rollendebüt als Marquis Posa mit kraftvoll und mit warm timbriertem Bariton meistert.

Zu erleben ist mithin ein Drama, das alles bis auf die Grundmauern unserer Existenz nieder brennt. Wir erfahren von zerschellten Hoffnungen, von Unterdrückung und Heldenmut, von der unstillbaren Sehnsucht nach Freiheit, ja nach einer besseren Welt. Und es ist, als lächle Verdis Genie uns mitleidsvoll zu.

(Der Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Termine und Informationen: www.musiktheater-im-revier.de)




Geschichten vom Herrn Kaum (2)

UNMERKLICHE BEGEBENHEIT

Kaum zu glauben – und seine Frau, Pauline Kaum-Wenig, die mit dabei war, hat’s ja auch nicht gesehen, es, wie sie nachher ihm gegenüber bekannte, überhaupt nicht bemerkt – , aber er, Johannes Kaum, Zwillingsbruder von Hieronymus Kaum, könnte unverzüglich und jederzeit beschwören, dass es genau so war.
Sieht man denn immer nur, fast immer nur, was man selber für möglich hält? –

Am 13. August, am 50. Jahrestag des Ulbrichtschen Mauerbaus, gab es im Großen Festspielhaus in Salzburg die Generalprobe der Wiener Philharmoniker zur für den folgenden Tag vorgesehenen Aufführung von Guiseppe Verdis „Requiem“. Mit dem 2. Satz, dem „Dies Irae“-Satz, stellte sich bei Herrn Kaum für einige Takte das ein, was sich bei ihm bei wirklich großer Musik – zwar leider zunehmend seltener, beglückenderweise gelegentlich jedoch noch immer – einstellt, ein seinen Rücken urplötzlich überlaufender Gänsehautschauer.

Am Ende des auch in der Generalprobe, nicht nur in Anbetracht des zahlreichen Publikums, vollständig aufgeführten Verdischen Kolossalwerkes bedankte sich der Stardirigent Riccardo Muti bei den Solisten, auch bei einigen Orchestermusikern mit Handschlag: Zuerst bei der Sopranistin, dann bei der Altistin. Auch der Tenor stand schon bereit, trat einen kleinen Schritt vor. Aber der Maestro überging ihn, würdigte ihn keines Blickes, ging ostentativ weiter zum 4. Sänger, dem Bariton, und dankte auch ihm äußerst freundlich und wiederum mit Handschlag.