Ohne Profil: Essener „Norma“-Inszenierung erstickt in Belanglosigkeit

Große Gesten, wenig Inhalt: Katia Pellegrino als Norma in Vincenzo Bellinis Oper am Aalto-Theater Essen. Foto: Matthias Jung.

Große Gesten, wenig Inhalt: Katia Pellegrino als Norma in Vincenzo Bellinis Oper am Aalto-Theater Essen. Foto: Matthias Jung.

Norma ist sauer. Bisher war es gelungen, ihre gallischen Landsleute ruhig zu stellen. Jetzt regt sich der Widerstand gegen die römischen Besatzer. Die Geduld ist am Ende. Norma hat ein vitales Interesse, den Konflikt zu dämpfen: Die zur Keuschheit verpflichtete Priesterin pflegt seit Jahren eine verborgene Beziehung, noch dazu zu einem Römer, dem kommandierenden Prokonsul der Besatzungstruppen.

Noch einmal will sie die Lage unter Kontrolle halten: „Sediziose voci“, ihr Auftritt in Bellinis wohl berühmtester Oper, weist die aufrührerischen, kriegerischen Stimmen in die Schranken. Doch in der neuen „Norma“ am Aalto-Theater Essen, der ersten von nur fünf Neuinszenierungen der Saison, wendet sich Katia Pellegrino, ganz in Weiß, ans Publikum. So als ob der Unmut aus dem Essener Publikum und nicht aus den Reihen der brav angetretenen, ordentlich gereihten Gallier käme.

Was Tobias Hoheisel und Imogen Kogge in ihrer Regiearbeit präsentieren, mag Anhängern von „Werktreue“ angemessen vorkommen, ist aber tatsächlich weit von dem entfernt, was Vincenzo Bellini seinem Genius und Felice Romanis gekonnten Versen abgewonnen hat. Norma wird noch öfter das Parkett ansingen; auch der Römer Pollione und seine neue heimliche Geliebte Adalgisa werden in Hoheisels kalt glänzendem Bühnenbeton – oder sind es metallisch angestrahlte Bretter? – ihre Kantilenen brav aufgereiht von sich geben.

Zwischen zwei drehbaren Halbkreisen, die sich problemlos für die nächsten Premieren von „Lohengrin“, „Le Prophète“ oder  „Rigoletto“ wiederverwenden ließen, wird viel gestanden und würdig dahergeschritten. Der Chor bewegt sich nach den Mustern der italienischen Provinz der siebziger Jahre; ringende Hände und schräg gelegte Köpfchen wollen ein Drama szenisch vergegenwärtigen, in dem jede der flammenden Emotionen ins Extrem gesteigert wird. Denn die Schönheit der Melodien Bellinis darf nicht mit klassizistischer Gemessenheit verwechselt werden.

Für die Qualität einer Inszenierung – das muss gelegentlich betont werden – ist nicht entscheidend, ob sie sich aktueller politischer Chiffren oder der inzwischen auch zur Konvention erstarrter Versatzstücke des Regietheaters bedient. Man braucht Pollione nicht als Donald Trump oder Norma im billigen Top, um aus Bellinis Oper herauszudestillieren, was gerade als aktuell empfunden werden könnte. Man muss sich nicht den Konzepten anschließen, die in den letzten Jahren etwa in Bonn oder jüngst in Gelsenkirchen und Mainz zu packend zugespitzten, sicher auch anfechtbaren Deutungen geführt haben. Aber diese Inszenierungen hatten, was der Essener Premiere abgeht: Profil und Mut zur inhaltlichen Positionierung.

Norma (Katia Pellegrino) und Adalgisa (Bettina Ranch). Foto: Matthias Jung.

Norma (Katia Pellegrino) und Adalgisa (Bettina Ranch). Foto: Matthias Jung.

Hoheisel und Kogge packen ein Gesten- und Bewegungsrepertoire aus, das spätestens seit den neunziger Jahren ins Museumsdepot gehört. Wie die italienische Primadonna den Busen hebt und die Fäuste von sich streckt, erreicht nicht einmal minimale psychologische Glaubwürdigkeit. Als sich die beiden Damen, Norma und Adalgisa, in ihrem Duett im zweiten Akt am Souffleurkasten lagern wie Goethe in der Campagna, scheint der Gipfel dekorativer Belanglosigkeit erreicht. Doch weit gefehlt: Diese zweifelhafte Ehre gebührt dem orangeroten Licht, das Wolfgang Göbbel nach drei Stunden inspirationsloser Ausleuchtung zum Finale von hinten aufglühen lässt: der Scheiterhaufen! Der Abend der „großen Gefühle“, den Intendant Hein Mulders bei der Premierenfeier hervorgehoben hat, findet jedenfalls auf der Szene nicht statt.

Das war zum Glück musikalisch anders: Nicht so sehr bei Dirigent Giacomo Sagripanti, der das Orchester mit viel Liebe zur Melodie, aber oft nur beiläufigem Blick auf instrumentale Details und begrenzter Finesse der metrischen Flexibilität führt. Aber Jens Bingerts Choreinstudierung überzeugt nicht nur im martialischen Vorzeigestück des „Guerra! Guerra!, sondern auch im emotionalen Ausnahmezustand im Finale.

Unter den Solisten gelingt dem neuen Ensemblemitglied Bettina Ranch als Adalgisa die Balance zwischen technisch superbem, von feinem Glanz geadeltem Gesang und emotionaler Hingabe. Schöne Stimmen aus dem Ensemble hört man auch in den Nebenrollen: Albrecht Kludszuweits Tenor kann als Flavio unangespannt leuchten, Liliana de Sousa zeigt als Clotilda eine samtene Noblesse, die man in einer größeren Rolle gerne genauer studieren würde. Insung Sim kann als Oroveso nur wenige Kostproben eines klangvollen, abgerundeten Basses geben.

Die Rache findet nicht statt. Gianluca Terranova (Pollione) und Katia Pellegrino (Norma) am Aalto-Theater Essen. Foto: Matthias Jung.

Die Rache findet nicht statt. Gianluca Terranova (Pollione) und Katia Pellegrino (Norma) am Aalto-Theater Essen. Foto: Matthias Jung.

Katia Pellegrino hat 2012 in der legendären „Norma“-Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito in Stuttgart die Titelpartie gegeben. Dort waren die seelischen Kämpfe und Verwundungen der zweifachen Mutter, die ihr öffentliches Amt beschädigt, und der Priesterin, die ihre menschlichen Regungen verbergen muss, psychologisch detailliert ausinszeniert.

Pellegrino hat davon nichts mitbringen können, sie ist in Essen wieder auf das antiquierte Rollenbild mit seinen Primadonna-Zügen und seinem hohlen Heroismus festgelegt. Zunächst sieht es so aus, als trete sie in die Spur veristisch geprägter Norma-Darstellerinnen mit wuchtigem Timbre und von stilistischer Finesse nicht angekränkelten Tönen. Doch in der Belcanto-Probe von „Casta diva“ lässt sie mit einem gestützten, weich geformten Piano-Beginn aufhorchen und entwickelt einen schwellenden, satten, aber kaum einmal übertrieben üppigen Klang.

Auch die Duette mit Adalgisa und der große Monolog zu Beginn des zweiten Akts sind bei Pellegrino ausdrucksstarkes, mit technischer Präzision und expressivem Instinkt gestaltetes Singen. Das würde man gerne auch über den Pollione Gianluca Terranovas sagen, der ihm weit besser gelingt als sein Don Carlo an der Düsseldorfer Rheinoper. Aber in seinem Auftritt („Meco all’altar di Venere“) stellt er doch eher die Stimme aus, als an den Schattierungen zu feilen, mit denen er die unheimliche Traumvision einer gespenstisch gestörten Hochzeit hätte ausdrücken können. Und Terranovas Piani – die für seinen Gestaltungswillen zeugen – scheitern dann an mangelnder Formung und Stütze.

Am Ende wurde das Regieteam buhlos gefeiert; der Beifall zögerte nur kaum merklich und schwoll gleich wieder an, als sei es gleichgültig, wie diese Inszenierung Bellinis Oper an die Bedeutungslosigkeit verraten hat.

Aufführungsdaten und Karten: http://www.aalto-musiktheater.de/premieren/norma.htm




Heilige oder Rächerin: Elisabeth Stöpplers „Norma“ aus Gelsenkirchen nun in Mainz

Von Pollione (Joska Lehtinen) bedrängt: Adalgisa (Marie-Christine Haase). Foto: Andreas Etter

Von Pollione (Joska Lehtinen) bedrängt: Adalgisa (Marie-Christine Haase). Foto: Andreas Etter

Ein aussichtsloser Konflikt, von Anfang an. Noch ist alles in der Schwebe, zu Beginn der Oper „Norma“ von Vincenzo Bellini. Der Status Quo ist prekär, aber gefestigt. Die zur Keuschheit verpflichtete Priesterin der Gallier kann seit Jahren ihre beiden Kinder verbergen. Und ihre Liebe zum Feind ebenso, denn der Vater ist kein anderer als der römische Prokonsul Pollione, der die verhassten Besatzer anführt. Noch kann Norma den bewaffneten Konflikt verhindern, aber dann eröffnet ihr die junge Novizin Adalgisa eine schockierende Erkenntnis …

Bellinis Oper hat in den letzten zehn Jahren eine bemerkenswerte Wiederkehr auf deutschen Bühnen erlebt. Ausweglos gefangen zwischen den Erwartungen und Tabus einer nach Kampf und Krieg gierenden archaischen Gesellschaft und der gescheiterten Liebe zu einem Mann, der ihr Volk unterdrückt, hat Norma mehr zu bieten als den Selbstzweck ebenmäßiger Legati und perfekt geformter Koloraturen.

Die Nähe dieser zerrissenen Frau zur gedemütigten Kindsmörderin Medea ist oft beobachtet worden. Wohin sich Norma wendet, ob sie kompromisslose Rächerin oder heroisches Opfer wird, bleibt bis zum letzten Moment offen. Und dazwischen liegen zwei Stunden eines inneren Konflikts, der in seiner ganzen Unerbittlichkeit und Ratlosigkeit von der Musik und der Dichtung Felice Romanis in wichtigen psychologischen Facetten ausgebreitet wird.

Jossi Wieler und Sergio Morabito haben in ihrer legendären Stuttgarter Inszenierung 2002 in erschütternden, schlüssigen Bildern Bellinis Oper endgültig aus dem Mief plüschiger Historisierung befreit, ohne ihr eine zwanghafte Aktualisierung aufzudrücken. Das hatte Jorge Lavelli schon 1983 in Bonn vor, ist aber mit Mara Zampieri als Revoluzzerin auf einem Lastwagen längst nicht so gut gefahren.

An Rhein und Ruhr gab es in den letzten Jahren mehr (Dortmund, Bonn) oder weniger (Düsseldorf) überzeugende Versuche, sich Bellinis nach eigenem Bekunden bester Oper zu nähern. In der letzten Spielzeit hat sich dann Elisabeth Stöppler in Gelsenkirchen in Hermann Feuchters abstraktem Bühnenraum ganz auf die Personen fokussieret. Norma ist das Kraftzentrum, um das sich alle drehen.

Nadja Stefanoff als hoheitsvolle Priesterin. Foto: Andreas Etter

Nadja Stefanoff als hoheitsvolle Priesterin. Foto: Andreas Etter

Jetzt hatte die Produktion am Staatstheater Mainz Premiere, wo Stöppler als Hausregisseurin Stil und Spielplan prägen kann – und das nicht zum Nachteil eines in dieser Spielzeit besonders vielfältigen Angebots. Noch stärker als im Musiktheater im Revier konzentriert sie sich auf die Beziehungen der Personen, schwächt Nebenwege wie eine angedeutete homoerotische Verbindung zwischen Pollione und seinem Offizier Flavio ab, arbeitet vor allem Normas Schwanken zwischen impulsiver Liebe zu ihren Kindern und kalkulierender Berechnung ihrer Rache deutlich heraus. Geblieben sind die von Flavio (wie in Gelsenkirchen: Lars-Oliver Rühl) hervorragend rezitierten, den Gang des Stücks zerreißenden Texte von Pier Paolo Pasolini: bewusst gelegte Stolpersteine, die aber eher stören als vertiefen. Geblieben sind auch szenische Symbole wie das nackte Opfer, das am Anfang schon die Sichel am Hals spürt, dann aber von Norma erlöst wird. Ein anrührendes Bild vom Verletzlichkeit und Ausgesetztsein.

Dass in Norma am Ende die Menschlichkeit siegt, wird nicht heroisiert, sondern wirkt fast, als sei ihre Kraft letztendlich erschöpft. Zu Beginn die Hohepriesterin in nachtblauem, langem Kleid, zeigt das Kostüm (Nicole Pleuler, sonst mit nicht immer glücklicher Hand) Normas Wandel zur Kämpferin und schließlich zum idealisierten Opfer. Nicht Norma selbst stilisiert sich dazu: Statt auf dem Scheiterhaufen zu sterben, wird sie von der Gesellschaft im weißen Ornat einer Heiligen erhoben.

Nadja Stefanoff, die Mainzer Norma, spielt mit hoheitsvoll schlanker Gestalt die Facetten der Rolle aus – mit erheblichem Stimm-, aber auch Körper-Einsatz: von der selbstbewussten Priesterin bis zur gebrochenen Frau, von der wild entschlossenen Rache bis zum selbstzerstörerischen Aufgeben. Musikalisch beglaubigt Stefanoff ihre Rolle weniger durch flexibel-weichen Schöngesang, sondern eher durch einen kalt glänzenden, ausdrucksstarken, dynamisch facettenreichen Ton, der auf seelische Schwankungen reaktionsschnell eingeht und sie – technisch abgesichert – im Klang vernehmbar macht. Eine Norma, die man so schnell nicht vergisst.

Die Adalgisa der Marie-Christine Haase hat gegen so viel Dominanz keine Chance. Stimmlich ist sie der Partie – die der kritischen Rekonstruktion der Urfassung gemäß einen leichten Sopran vorsieht – vollkommen gewachsen. Aber die Regie Elisabeth Stöpplers gesteht ihr wenig eigenes Gewicht zu, trotz der wundervollen Duette der beiden Frauen. Die Nebenrolle der Clothilde, der eingeweihten Dienerin Normas, ist in ihr aufgegangen – das lässt den Aspekt der Freundschaft zu Norma hervortreten. Auch Oroveso, der Vater Normas, hat wenig eigenständiges Gewicht; Dong.Won Seo mit einer rauen, dem Ideal des „basso cantante“ nicht eben gewogenen Stimme, ist nicht der Sänger, der die Figur aus sich heraus wachsen ließe.

Bleibt Pollione, der Urheber des Konflikts: Joska Lehtinen gibt ihm den eindimensionalen, leicht gaumig gefärbten Ton, der einem auf den ersten Blick ziemlich einfältigem Macho angemessen ist. Auf den zweiten Blick hätte man sich für die gespenstische Traumschilderung von „Meco all’altar di Venere“ mehr Farbe, für den verhärteten Trotz des Finales mehr Furor gewünscht. Was von diesem Mann zu halten ist, macht Stöppler am Ende deutlich: Er stiehlt sich einfach davon.

Sebastian Hernandez-Laverny hat mit dem Chor des Staatstheaters eine gewaltige Aufgabe achtbar gemeistert, auch wenn die Stimmgruppen Mühe haben, sich zu koordinieren, wenn die Sänger über die ganze Breite der Bühne hoch oben auf einer Brüstung stehen müssen. Das Philharmonische Staatsorchester offenbart wenig Schwächen, aber auch wenig Subtilität im Ton. Clemens Schuldt dirigiert wie viele andere eine rasche Ouvertüre und differenziert die Tempi nicht, wodurch der gerade Takt Bellinis in die Nähe eben jener „Leierkastenmusik“ rückt, die der italienischen Oper der Zeit gerne unterstellt wurde.

Wenn Schuldt die Sänger zu begleiten hat, lässt er das Orchester immer wieder zu laut spielen, lässt sich aber auf den Atem der „melodie lunghe“ ein, phrasiert sinnig und arbeitet vor allem die instrumentalen Details heraus, die in der kritischen Fassung für farbige Nuancen sorgen. Dass die Tutti arg knallig wirken, ist nicht nötig; das Martialische stellt Bellini nur im berühmten „Guerra“-Chor aus. Elisabeth Stöppler ist in Mainz eine starke Antwort auf die ambitionierte „Norma“ von Gabriele Rech am anderen Ufer des Rheins, in Wiesbaden (2015), gelungen.

In dieser Spielzeit hat Bellinis „Norma“ noch in Essen (8. Oktober) und in Nürnberg (13. Mai 201) Premiere. Weitere Vorstellungen in Mainz am 1. und 9.Oktober, 1., 17. und 20. November.

Info: www.staatstheater-mainz.com/web/veranstaltungen/oper1617/norma




Zwischen den Stühlen: Gelsenkirchen zeigt Vincenzo Bellinis Oper „Norma“

Dive mit Dornenkrone: Die Regisseurin Elisabeth Stöppler zeichnet "Norma" als Heilige und Schmerzensgestalt (Foto: Monika Forster/MiR)

Diva mit Dornenkrone: Die Regisseurin Elisabeth Stöppler zeichnet „Norma“ als Heilige und Schmerzensgestalt (Foto: Monika Forster/MiR)

Viele Regisseure neigen bei Vincenzo Bellinis „Norma“ zur großen Ausstattungsoper. Dabei eignet sich die Tragödie um die gallische Seherin auch hervorragend für eine abstrakt-psychologisierende Deutung. Diesen Weg hat Elisabeth Stöppler jetzt im Gelsenkirchener Musiktheater eingeschlagen, das die Oper erstmals in Deutschland in der kritischen Neuausgabe in Szene setzt.

Anhand der Originalpartitur belebten der Komponist Maurizio Biondi und der Geiger und Dirigent Riccardo Minasi viele Details, die im Laufe der Aufführungstradition verloren gingen. Wie ursprünglich von Bellini vorgesehen, wird die Rolle der Adalgisa in Gelsenkirchen von einem Sopran gesungen statt von einem Mezzo. Das erweist sich als starkes Argument für den Besuch dieser Produktion: Nicht allein, weil die Rivalität zwischen den Protagonistinnen so noch schärfer hervor tritt, sondern weil Gelsenkirchen mit Hrachuhi Bassénz (Norma) und Alfia Kamalova (Adalgisa) zwei Sängerinnen aufbieten kann, deren Gesangskunst den derzeit acht weiteren Norma-Produktionen an deutschen Bühnen scharfe Konkurrenz machen dürfte.

Die in Gelsenkirchen bekannte Elisabeth Stöppler, inzwischen Hausregisseurin am Staatstheater Mainz, zeigt „Norma“ als ein Stück über die siegreiche Kraft der Liebe. Dabei mag sie sich weder auf eine Zeit noch auf einen Ort festlegen, sondern entfaltet das Drama zwischen Tischen und Stühlen in gesichtsloskalten Räumen. Dieser Ansatz bleibt schmerzlich vage, zumal hochhackige gelbe Damenschuhe ein doch recht schwaches Symbol für die Welt der weiblichen, Frieden spendenden Mondgöttin Luna sind.

Die Druidin ruft zum Kampf: Norma (Hrachuhi Bassénz, Mitte) stachelt ihre gallischen Landsleute auf (Foto: Monika Forster/MiR)

Die Druidin ruft zum Kampf: Norma (Hrachuhi Bassénz, Mitte) stachelt ihre gallischen Landsleute auf (Foto: Monika Forster/MiR)

Aber die Regisseurin beweist zugleich eine spannungsvolle Personenführung, die innere und äußere Konflikte so scharf nachzeichnet, dass Emotionen aufreißen wie Erdspalten. Normas Seelendrama wird durch ihre heimlich mit Pollione gezeugten Kinder deutlich, die in Gelsenkirchen beinahe ständig um sie sind: unschuldige Beweise ihrer Schuld (Lili und Mona Lenz agieren an der Seite der Großen bemerkenswert professionell). Lars-Oliver Rühl (Flavio) spricht Texte von Pier Paolo Pasolini, die von Krieg und Frieden handeln. Ob es dieser bedurft hätte, um Normas Drama zu erzählen, bleibt wiederum fraglich.

Ein starkes Frauenduo: Adalgisa (Alfia Kamalova) und Norma (Hrachuhi Bassénz. Foto: Monika Forster,/MiR)

Ein starkes Frauenduo: Adalgisa (Alfia Kamalova, links) und Norma (Hrachuhi Bassénz. Foto: Monika Forster,/MiR)

Allen Freunden des Belcanto sei diese „Norma“ unbedingt ans Herz gelegt. Es ist außerordentlich, wie Hrachuhi Bassénz sich in die Titelpartie hinein schraubt, wie sie ihren beweglichen, leicht dunkel umflorten Sopran zu einem Gefäß für glühende Leidenschaft, wilde Rachegefühle, tiefe Reue und nicht geweinte Tränen macht. Als Norma wächst diese Sängerin zur großen Schmerzensgestalt: Diva, Heroine, liebende Frau und sorgende Mutter in einem. Die Adalgisa von Alfia Kamalova ist ihr hart auf den Fersen. Umwerfend ihre zarten Piani, ihre vehemente Attacke, ihre leuchtend klare und scheinbar mühelose Formung von Bellinis endlosen Melodiebögen. Geschickt legt Hongjae Lim den Pollione so lyrisch an, dass er nicht forcieren muss.

Am Dirigentenpult ist es der Finne Valtteri Rauhalammi, der diesen lyrischen Schleier weiter webt. Nie klingt marschartiges Gerumse aus dem Orchestergraben, ja nicht einmal die furchterregenden Kriegschöre wirken krachend. Rauhalammi zelebriert durchweg einen feinen, federnden Klang, der die Sänger unterstützt und viele Szenen unterschwellig mit nervöser Spannung auflädt. Des Dirigenten vollmundige Ankündigung, Gesang zelebrieren zu wollen, wird auch Dank der Neuen Philharmonie Westfalen wahr, die dem Dirigenten aufmerksam und geschmeidig durch alle Temposchwankungen folgt.

Termine und Informationen: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/Norma/ Karten: 0209/ 40 97 200).

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen).




Makellose Technik im Dienste des Ausdrucks – die Sängerin Diana Damrau auf Bühne und CD

Diana Damrau. Foto: Michael Tammaro/Virgin Classics

Diana Damrau. Foto: Michael Tammaro/Virgin Classics

Fiamma del Belcanto“ heißt die neueste CD-Veröffentlichung der Sängerin Diana Damrau. Mit den Begriffen nimmt man’s bei Warner nicht so genau: Enthalten sind Arien des klassischen Belcanto, etwa aus „La Sonnambula“ und „I Puritani“ von Vincenzo Bellini, Raritäten wie Gaetano Donizettis „Rosmonda d’Inghilterra“, die der Opernbesucher im Ruhrgebiet vor einigen Jahren in Gelsenkirchen erleben konnte, und Ausschnitte aus Opern des mittleren Verdi, aber auch die Arie der Nedda („Qual fiamma“) aus Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“, die das „schöne“ Singen der romantischen Ära hinter sich gelassen haben.

Wie auch immer: „Belcanto“ ist ein unscharfer Begriff geworden, der heute irgendwie mit einer geglückten Stimmtechnik und dem italienischen Repertoire zu tun hat – mehr nicht. Dass es noch wenige Sänger(innen) gibt, die mit den Mitteln dieser musikalischen Ausdruckswelt umgehen können, bewies Diana Damrau nicht nur mit ihrer CD, sondern auch bei einem Arienabend in der Alten Oper Frankfurt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Bassbariton Nicolas Testé, sang sie Ausschnitte aus dem CD-Programm, begleitet von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter David Giménez.

Ein Abend, der die Faszination des technisch makellosen Singens im Dienst einer klugen Expression in unsere Welt zurückgeholt hat. Trotz einer hartnäckigen Bronchitis war Diana Damrau in jedem Moment Herrin der Lage: Ein paar zögerliche Ansätze und heimliche Huster zwischendurch sind Marginalien, für die sich die Sängerin humorvoll selbst entschuldigte: Der Versuch der Ansage vor dem Konzert ging mangels gestützter Stimme des Sprechers kläglich unter.

Manchmal ist „Technik“ fast zu einem abwertenden Begriff geworden: „Technisches“ Singen gilt in diesem Sinn als instrumental, kalt, ausdrucksarm, seelenlos. Was man hören will, sind vor dem Hintergrund eines solchen Urteils die ins Grobe verzerrten „naturalistischen“ Stilelemente des Verismo oder eines deklamatorischen Wagner-Gesangs. Übersehen wird dabei, dass Gestaltung mittels musikalischer Mittel eine makellose Technik voraussetzt. Diana Damrau hat die Gabe, noch die schwierigste Phrase technisch einwandfrei zu bewältigen – und so ist sie imstande, inhaltlich erfülltes und emotional bewegendes Singen zu verwirklichen.

Zum Beispiel in Szene und Romanze der Giulietta aus Vincenzo Bellinis „I Capuleti e I Montecchi“: Das fragile Rezitativ („Eccomi in lieta vesta …“) verlangt von der Sängerin variable Pianissimo- und Piano-Schattierungen, ein sicher auf dem Atem getragenes Legato und die Kunst des sprachhaltigen, akzentuierten Bildens der Worte. Damrau macht schon in der unterschiedlichen Färbung des wiederholten Eingangswortes „eccomi“ deutlich, wie die emotionale Verfassung der blutjungen Julia ist, die sich vor einer erzwungenen Hochzeit fürchtet und nach ihrem fernen Geliebten Romeo sehnt. Die Hochzeitsfackeln brennen, aber für sie sind es verhängnisvolle Lichter, Zeichen künftigen Unglücks: Die Begriffe, die das seelische Leid des Mädchens umschreiben, färbt Damrau zwischen tonlos, fahl und düster, stets aber den rund und makellos gebildeten Ton bewahrend.

Den Namen des ersehnten Geliebten, „Romeo“, lässt sie dagegen zärtlich blühen. Damrau zeigt, wie viel Expressivität den „einfachen“ Noten Bellinis zu entlocken ist. Die Romanze „Oh! Quante volte, oh!“ legt sie dagegen eher instrumental an: Hier steht der vollendet gebildete Legato-Bogen im Vordergrund, der seinerseits nicht eine Demonstration technischer Kunstfertigkeit ist, sondern die Freiheit ermöglicht, das Singen auf den Sinn der Worte zu konzentrieren.

Wieder anders angelegt ist die Figur der Elvira aus Bellinis „I Puritani“: Damrau führt sie nicht so ätherisch ein wie vor 12 Jahre Elena Mosuc in der legendären Essener Inszenierung Stefan Herheims unter Stefan Soltesz. „Qui la voce“ nimmt sie fließend, mit kostbar klanggesättigtem Ton und leichter Akzentuierung. In ihrem Singen leuchtet das frühere Glück noch in der Wehmut über den Verlust nach. Die Cabaletta „Vien diletto“ gestaltet Damrau mit drängendem Begehren auf „vien“ – der Geliebte möge endlich kommen und sie aus dem Gefängnis ihrer Trauer befreien; der helle, neckische Ton, den Damrau anschlägt, trägt die Züge des Irrsinns.

Eine Verheißung für neue Partien in den nächsten Jahren sind die ebenso expressiv durchgebildeten Szenen aus Verdis „I Masnadieri“ („Die Räuber“) und „Luisa Miller“. Diana Damrau ist heute in der Lage, sich über die auch in Frankfurt gefeierte Violetta hinaus dem mittleren Verdi und allen großen Frauenpartien Donizettis problemlos zu nähern – und gerade bei Donizetti gäbe es noch vieles auf die Bühne zurückzuholen, von „Parisina d’Este“ bis beispielsweise „Maria di Rohan“. Mit Nicolas Testé stand ihr ein Sänger zur Seite, der zwar nicht über Damraus gestalterische Finesse verfügt, aber einen gut durchgebildeten, füllig timbrierten Bassbariton mitbringt. „Cedi, cedi“ aus dem groß angelegten Duett Raimondo – Lucia aus „Lucia di Lammermoor“ ist eine der wundervoll chevaleresken Kavatinen Donizettis, die Testé nobel zurückhaltend singt; die wehmütige Jugenderinnerung des Grafen aus Bellinis „La Sonnambula“ kleidet er in weite Phrasierung, weniger aber in die Farbe des nostalgischen Schmerzes.

Testé zeigt auch, dass die Erzählung des Ferrando aus dem ersten Akt von Verdis „Il trovatore“ meist viel zu wenig ernst genommen wird: Sie ist nicht nur dramaturgisch unersetzlich, um das Geschehen zu verstehen, sondern gibt dem Sänger auch reichlich Gelegenheit, balladeske Rhetorik zu entfalten. Testé trifft den erzählenden Duktus und beweist, dass er mit einem ansprechend gebildeten Zentrum punkten kann. So erlebt man ihn auch in der Szene zwischen Luisa und Wurm aus dem zweiten Akt von Verdis Schiller-Adaption – wobei andererseits auch deutlich wird, wo Testé am charakterisierenden Ausdruck arbeiten muss. Der „Canaille“ fehlen noch die Farben der Niedertracht.

Die neueste CD von Diana Damrau ist bei Warner Classics erschienen und enthält auch wenig bekannte italienische Arien etwa von Gaetano Donizetti. Cover: Warner Classics

Die neueste CD von Diana Damrau ist bei Warner Classics erschienen und enthält auch wenig bekannte italienische Arien etwa von Gaetano Donizetti. Cover: Warner Classics

Undankbar sind solche Arienkonzerte oft für das begleitende Orchester. Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz scheint gleich zu Beginn unterstreichen zu wollen, dass sie das Spektakel nicht ernst zu nehmen gewillt sei: Die Ouvertüre zu Bellinis „Capuleti e Montecchi“ gerät zur Jahrmarktsmusik, mit knallendem Schlagwerk und faserigen Einsätzen: Lärm statt Brillanz, Buchstabieren von Tönen statt Atmen von Phrasen.

Auch Dirigent David Giménez weckt mit hastigen Übergängen und steifer Agogik für die Ouvertüre zu „Norma“ schlimme Befürchtungen. Es sei zur Ehrenrettung des Klangkörpers betont, dass der Abend immer besser wurde: Trotz der kurzatmigen Anlage durch Giménez und der lärmenden Coda gelang in „Norma“ der Kontrast der kriegerischen Klänge mit der atmosphärisch reizvollen Entrückung. Und das Intermezzo aus Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ war so ausgesprochen leidenschaftlich wie das Vorspiel zu „La Traviata“ traurig-ätherisch.

Ein Sonderlob gebührt der Cellistin, die Diana Damrau in „Ah, non credea“ aus Bellinis „La Sonnambula“ sensibel begleitete. Am Ende großer Jubel und viele Bravi für Nicolas Testé, vor allem aber für Diana Damrau, die auch aus ihrer Zeit im Festengagement an der Oper Frankfurt trotz der zwölf mittlerweile vergangenen Jahre eine treue Fan-Gemeinde hat.

Fiamma del Belcanto. Diana Damrau, Orchestra Teatro Regio Torino, Gianandrea Noseda, CD bei Warner Classics 0825646166749

Die nächsten Auftritte von Diana Damrau in Deutschland sind beim Mozartfest Würzburg am Montag, 8. Juni, 20 Uhr, in Mozarts „Le Nozze di Figaro“ in Baden-Baden am 16. und 19. Juli, bei den Münchner Opernfestspielen am 22. und 25. Juli als Lucia in Donizettis „Lucia di Lammermoor“ und als Violetta in Verdis „La Traviata“ an der Deutschen Oper Berlin ab 9. Januar 2016.




Das Theater, das Trauma und der Tod: Das Aalto-Theater entdeckt Bellinis „La Straniera“

Fremd und unnahbar: Marlis Petersen ist "die Fremde" am Aalto-Theater Essen. Foto: Thilo Beu

Fremd und unnahbar: Marlis Petersen ist „die Fremde“ am Aalto-Theater Essen. Foto: Thilo Beu

Richard Wagner ist als Zwanzigjähriger „La Straniera“ begegnet. Das war 1833 am Stadttheater Würzburg, Bellinis Oper war knapp vier Jahre vorher uraufgeführt worden, also eine aufregende Novität. Wagner erinnerte sich viel später noch an diese Oper, 1878, als sie längst aus den Spielplänen verschwunden war: „Wirkliche Passion und Gefühl“ bescheinigt er Bellinis Werk, und bemerkt süffisant, dass die „Herren Brahms & Cie.“ nicht gelernt hätten, was er, Wagner, davon in seine Melodie aufgenommen habe.

Leider hat Wagners Wohlwollen für die wohl komplexeste romantische Oper Bellinis das Werk nicht retten können: „La Straniera“ bleibt bis heute, was ihr Titel bedeutet: „Die Fremde“. Hier und da in Italien oder beim Wexford Opera Festival in Irland hat man sich ihrer erbarmt. Doch Folgen für das Repertoire blieben aus. Und die Neuinszenierung im Juni 2013 in Zürich, angeregt und gesungen von Edita Gruberova, die jetzt ins Aalto-Theater in Essen übernommen wurde und 2015 ans Theater an der Wien weiterzieht, stand von Anfang an unter dem Generalverdacht, hier werde einer alternden Primadonna ein weiteres Belcanto-Vehikel zugestanden.

In Essen stand nicht die Preßburger Diva im Fokus. Das tut der Wahrnehmung des Werks gut: „La Straniera“ ist nämlich nicht anders auf seine Protagonistin zugeschnitten als etwa „Norma“ oder ein beliebiges anderes Werk der Epoche. Bellinis Oper ist sparsam, zuweilen asketisch orchestriert; aber was zu hören ist, atmet Finesse, bezaubert durch subtile Farben, schafft nervöse Spannung und verströmt das Fluidum poetischer Resignation, aber auch kämpferischen Aufbegehrens. Bellinis Raffinesse im Einsatz der schweifenden Tonarten, gepaart mit einer höchst bewusst eingesetzten Dramaturgie, verbindet sich mit seiner unkonventionellen Melodik. Sie hat schon die zeitgenössische Kritik begeistert oder verstört – und Nachfolger wie Hector Berlioz und Richard Wagner zu höchstem Lob animiert.

Bellinis Aufbrechen der geschlossenen Formen entspricht musikalisch der radikalen Romantik des Librettos. Felice Romani schafft im Einverständnis mit dem Komponisten die gewünschten „neuen und großartigen“ Szenen, geeignet zum „Weinen, Schaudern und Sterben“. Doch diese Romantik hat – und das interessiert uns heute – eine moderne Seite: „La Straniera“ spricht davon, wie unmöglich es sei, ein Leben linear und folgerichtig zu erzählen. Und vermittelt das Gefühl der Fremdheit in einer Welt, in der die eigene Passion, der eigene Lebensentwurf an unbezwingbaren Barrieren zerschellt. Eine Welt zum Tode: Bellini und Wagner sind sich so fremd nicht. Wovon anders spricht denn der „Tristan“?

Sehnsucht über den Tod hinaus: Alaide, die "Staniera" (Marlis Petersen), und Arturo (Alexey Sayapin) kommen nicht voneinander los. Foto: Thilo Beu

Sehnsucht über den Tod hinaus: Alaide, die „Staniera“ (Marlis Petersen), und Arturo (Alexey Sayapin) kommen nicht voneinander los. Foto: Thilo Beu

Christof Loy, gebürtiger Essener, der zum ersten Mal in seiner Heimatstadt eine Regie übernommen hat, entdeckt noch andere Aspekte: Zum Beispiel, dass die Handlung Elemente einer Krimi-Story in sich trägt. Die Fremde, Alaide, muss ihre Identität unter allen Umständen geheim halten: Sie ist die französische Königin, die wegen Bigamie aus der Öffentlichkeit verschwinden musste. Romani hat überraschende „coups“ geschickt platziert: ein vermeintlicher heimlicher Liebhaber entpuppt sich als der Bruder Alaides. Zwei vermeintlich Tote kehren zurück.

Am Ende wird die Identität der „Straniera“ effektvoll enthüllt. Das löst das die Verwicklung nicht, sondern spitzt sie unentrinnbar zu: Für Arturo, der auf die geheimnisvolle Frau aus dem Wald eine existenziell unbedingte, alternativlose Liebe projiziert, ist die Geliebte künftig unerreichbar: Damit ist sein Tod durch eigene Hand erschütternd konsequent.

Einen so tragisch in seiner überhitzten Gefühlswelt verbrennenden Helden kennt die italienische Oper selten. Dieser Arturo ist im Rahmen des Geschehens ein glaubwürdiger Charakter: ein Werther des romantischen Melodramma zwischen egozentrierter Radikalität und Realitätsverlust. Alexey Sayapin gibt der Figur unter der kundig-einfühlsamen Hand Christof Loys darstellerische Kontur. Selbst seine monochrome, selten ganz frei schwingende Stimme passt zu diesem von einem einzigen inneren Gefühlsbrand verzehrten Menschen.

Ein Geschehen zwischen Realität und theatraler Imagination: So nähert sich Loy der Handlung, deren Kolportage-Bruchstücke und verweigerte Logik meist mit Begriffen wie „krude“ abgetan wird. Doch ein Alptraum, der sich monströs ins reale Leben wälzt, folgt keiner sauber ausgezirkelten Klassiker-Szenenfolge.

Das Bühnenbild von Annette Kurz macht Elemente des Theaters sichtbar: hölzerne Aufbauten, Hänger, Seilzüge. Die „romantischen“ Landschaften des Librettos sind als Bild-Zitate präsent; die Waldhöhle der „Fremden“ auf transparenten Schleiern ist zitierter romantischer Topos und Mittel der Verschleierung zugleich. Die Kostüme von Ursula Renzenbrink verharren in der Entstehungszeit der Oper, zitieren Figuren wie Braut und Brigant, machen nicht den Versuch, aus ihnen Menschen einer anderen Epoche zu machen: der Abstand des „Melodramma“ von unserer Gegenwart bleibt unangetastet.

Das Volk als bedrohliches kollektives Wesen: Wer fremd ist, wird ausgegrenzt und verfolgt. Foto: Thilo Beu

Das Volk als bedrohliches kollektives Wesen: Wer fremd ist, wird ausgegrenzt und verfolgt. Foto: Thilo Beu

Loy zeigt aber noch einen anderen, bedrohlichen Aspekt jenseits der romantisch exaltierten Personen des Stücks: Der Chor – von Alexander Eberle wieder vorzüglich einstudiert – agiert als bedrohliches kollektives Wesen: die Fremde im Wald wird beargwöhnt, ausgegrenzt, verdächtigt, verfolgt. Da wird die „Hexe“ auch schon mal als Puppe aufgeknüpft. Die Meute des Dorfes hat auch ihren Führer, den – mit leuchtender Klarheit singenden – Osburgo (Benjamin Bernheim), ein Aufhetzer, von dem eine direkte Linie zu Brittens „Peter Grimes“ zu ziehen wäre. Die „Fremde“ ist in der Konzeption Loys auch die „Andere“, die sich dem Anpassungs- und Erwartungsdruck der Gesellschaft nicht beugen will – und kann.

Während Christof Loy also – wieder einmal – eine durchdachte szenische Auseinandersetzung mit der romantischen italienischen Oper bietet, bleibt die musikalische Seite im Graben hinter diesem Niveau zurück. Josep Caballé Domenech, neuer GMD der Oper Halle, bringt die Essener Philharmoniker ungeachtet vieler solistischer Glanzpunkte nicht auf das Niveau, das Stefan Soltesz mit seiner sensationellen Deutung von Bellinis „I Puritani“ vor zehn Jahren erreicht hat. Das ist keine Frage des versierten Handwerks, sondern zum Beispiel eine der zu schematischen Agogik. Aber auch eine der Mischung von Farben, die bei der aquarellnahen Transparenz der Musik im Detail stimmen muss.

Ein großer Abend für Marlis Petersen als "La Straniera". Foto: Thilo Beu

Ein großer Abend für Marlis Petersen als „La Straniera“. Foto: Thilo Beu

Die „Straniera“-Premiere war ein großer Abend für Marlis Petersen. Ihr Sopran hat die fein melancholische Färbung, die der jugendlichen Frische einen resignativen Schleier überwirft: Im Gesang äußern sich Trauer und Qual einer gefangenen Seele. Aber die Sängerin kann auch voll Glanz und Energie den Abstand etwa zum zerbrechlichen Wahnsinn von Donizettis Frauen wie „Linda di Chamounix“ oder „Lucia di Lammermoor“ markieren. Petersen stehen erfüllte Phrasierungskunst und eine seelenvolle Geläufigkeit zu Gebot; nur die Höhe bildet sie mit Druck am Gaumen und verfärbt damit den Ton. Dennoch demonstriert die Sängerin, die unter anderem in Wien als Traviata und Medea und in New York als Ophélie in Thomas‘ „Hamlet“ brillierte, dass die Krise des Belcanto nicht durchgängig ist und es keiner „Diva“ bedarf, um eine Oper wie „La Straniera“ überzeugend zu besetzen.

Mehr Glück als Gram bereiten auch die anderen Sänger. Sie sind weit mehr als Stichworte gebende Comprimari: Luca Grassi als Valdeburgo versucht, seine Schwester zu schützen – auch vor der wahnwitzigen Leidenschaft seines Freundes Arturo – und wird so zu dessen Feind. Der Bariton singt mit kraftvollem, klar fokussiertem Ton, die geschmeidige Linie gehört nicht zu seinen Stärken. Ieva Prudnikovaite ist Isoletta – die Frau, mit der Arturo ein geregeltes Leben im gesellschaftlich anerkannten Rahmen führen soll, und die er mit seiner in sich selbst verkrümmten Liebesraserei brüskiert und tief verletzt. Ihr fest gefügter Mezzo kontrastiert stimmlich treffend mit der ätherischen Kantilenen-Deklamation ihrer unbezwingbaren Rivalin. Mit „La Straniera“ ist dem Aalto-Theater eine der wichtigsten Premieren dieser Spielzeit nicht nur in der Rhein/Ruhr-Region gelungen; es wäre dringen zu wünschen, dass dieses komplexe, überraschende und für eine ganze Epoche exemplarische Werk nicht wieder achtlos beiseite gelegt wird.

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