Künstlerpaare: Höhenflüge und Abstürze zu zweit

Manches Künstlerpaar ist zur filmreifen Legende geworden: Auguste Rodin und Camille Claudel etwa. Der Kraftmensch, beim Kennenlernen schon 42 – und die fragile 18-Jährige, die nicht nur folgsam von ihm lernte, sondern bildhauerisch zeitweise mindestens ebenbürtig war. Doch als er sie verließ, verfiel sie allmählich dem Wahnsinn.

Nicht immer verlaufen die Paar-Beziehungen unter Künstlern so dramatisch. Und nicht immer liegt der Einfluss so auf der Hand. Camille Claudel machte sich nicht nur Rodins Technik zu eigen, die Oberflächen der Skulpturen schrundig aufzurauen. Auch thematisch orientierte sie sich an ihm.

Worauf die Frauen
verzichtet haben

Gleich 13 aufschlussreiche, in vielen Facetten schillernde, atmosphärisch aufgeladene Paargeschichten der Kunst erkundet, erzählt und „bebildert” das Kölner Wallraf Richartz Museum ausgiebig. Der zum tieferen Verständnis unverzichtbare Katalog dokumentiert noch einige mehr. Es gibt ja so viele leidenschaftliche Kunst- und Paarwelten.

Ungefähr zwischen 1880 und 1970 ereignen sich die Begegnungen, die stets bildnerische Früchte tragen – oft wechselseitig. Mal profitiert eine Schülerin vom erfahrenen Lehrer, dann ist es umgekehrt: Lee Krasner bringt Jackson Pollock wenigstens vorübergehend vom Alkohol ab und hält ihm den Rücken frei. Marianne von Werefkin fördert den vier Jahre jüngeren Alexej Jawlensky und hält sich selbst zurück – bis der sie „zum Dank” mit der Haushälterin hintergeht. Bezeichnend das Werefkin-Gemälde „Tragische Stimmung”, das in erdigen Rotbraun-Tönen vibrierende Zornbild einer gescheiterten Liebschaft.

In derlei Fällen fragt sich nicht nur die Feministin, worauf die Frauen verzichtet haben und was sie andernfalls künstlerisch aus sich hätten machen können. Vielfach wurde den Herren die Frau an ihrer Seite schlichtweg „zu gut”. Paula Modersohn-Becker übertraf ihren einstigen Mentor und späteren Ehemann Otto Modersohn irgendwann an Strahlkraft. Der war zuerst fasziniert, sodann freilich befremdet. Sie entfernte sich ja von ihm!

Historisch sich wandelnde Rollenmuster spielen in solche Verhältnisse hinein. Und gemeinsame Projekte (revolutionäre oder ästhetische Aufbrüche) beflügeln Künstlerpaare, doch stets drohen auch Abstürze zu zweit.

Frida Kahlo und Diego Rivera marterten einander mit anderweitigen Affären. Köln kann einige Leitstücke der Paarkunst aufbieten, darunter Kahlos doppeltes Wunschbildnis mit Rivera. Beide Gesichter verschmelzen da innig miteinander. Ersehnte Harmonie, in der Wirklichkeit niemals ganz einzulösen.

Treue bis über
den Tod hinaus

Innige Zweisamkeit spürt man vor allem in den Arbeiten des Dadaisten-Paares Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Hier scheinen kaum erklärliche Phänomene wie der Gefühls- und Gedankenübertragung am Werke zu sein. Noch rund 20 Jahre nach Sophies Tod macht sich Hans (Jean) Arp daran, einen ihrer alten Entwürfe neu zu beleben. Welch eine (eben nicht nur künstlerische) Treue über den Tod hinaus. Wahrlich anrührend.

Mindestens ebenso spannend sind uneindeutige Mischverhältnisse in Beziehungen, zumal in Zeiten, wo die männliche Dominanz längst nicht mehr üblich ist. Beispiel: Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely haben ihre Positionen offenkundig fragil ausbalanciert. Ein gemeinsamer Brunnenentwurf lässt es ahnen. Es ist keine Symbiose, doch es sind in schönster Gleichwertigkeit glückhaft aufeinander eingeschwungene Formen. So soll es sein.

„Künstlerpaare”. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (direkt am Rathaus). Bis 8. Februar 2009. Geöffnet Di-Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 10 €, Katalog 39 €

  • Neben den erwähnten Paaren werden in der Schau außerdem ausführlich behandelt: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, Sonia und Robert Delaunay, Natalia Gontscharowa und Michail Larionow, Hannah Höch und Raoul Hausmann, Georgia O’Keeffe und Alfred Stieglitz, Ray und Charles Eames.



Röntgenblick auf den Impressionismus – Wie die Naturwissenschaft Spuren der Kunst aufnimmt

Köln. Meist verhält es sich so: Museum zeigt Kunst. Staunend (oder verärgert) steht man vor den Werken. Vielleicht liest man später ein paar Details nach. Das war’s dann. In Köln geht es jetzt anders zu, nämlich geradezu kriminalistisch.

Für die neue, immens spannende Schau des Wallraf-Richartz-Museums wurden Werke der Impressionisten buchstäblich unter die Lupe und unters Mikroskop genommen. Auch mit Infrarot- und Röntgenstrahlen rückte man den Bildern zu Leibe. Dabei haben sie etliche Geheimnisse preisgegeben. Sogar ein gefälschter „Monet” wurde entlarvt.

Der ungewöhnliche Zugang zur Kunst, der vor allem Material und Arbeitstechniken in den Blick fasst, erhellt überhaupt so manche Zusammenhänge, über die man sonst nie nachdenkt. So sind denn auch beileibe nicht nur die Gemälde zu sehen. Auch Grundlagen und Feinheiten der (natur)wissenschaftlichen Spurensuche werden ausführlich dokumentiert.

Was ein winziges
Stück Pappelknospe
auf dem Ölbild verrät

Beispiel: Die Impressionisten haben, so heißt es immer, die Freilichtmalerei gleichsam erfunden. Eine Voraussetzung dafür waren übrigens auch bessere Bahn-Verbindungen in die Provinz. Aber haben sie wirklich draußen in der Natur gearbeitet – oder nicht doch im Atelier? Mal so, mal so. Bloße Naturmotive besagen noch gar nichts.

Ungleich beweiskräftiger ist es hingegen, wenn man unterm Mikroskop sieht, dass etwa auf einem Bild von Gustave Caillebotte ein winziges Stückchen Pappelknospe in den Ölschlieren steckt. Das Bild zeigt eine Pappelallee. Passt also! Ähnlich liegt der Fall bei Armand Guillaumin, der das tosende „Meer bei Saint-Palais” festgehalten hat. Mikroskopisch kleine Sandkörner auf der Leinwand deuten auf Freiluftkunst bei Wind und Wetter hin. Ein Foto lässt ahnen, wie beschwerlich dies trotz allem noch war: Ein sichtlich übel gelaunter Paul Ce´zanne schleppt sich an seiner Staffelei und all den anderen Utensilien ab.

Weitere gängige These: Impressionisten haben meist spontan gemalt. Hie und da spricht schon ein ruhiger Pinselstrich gegen diese Annahme. Infrarotlicht enthüllt die Wahrheit genauer. Manche Künstler (anfangs sogar van Gogh) haben erst einmal Orientierungs-Gitter gezeichnet – und erst dann schwungvoll den Pinsel geführt.

Welche Art von Farben wurde damals eigentlich verwendet? Blöde Frage? Überhaupt nicht! Vorher mussten Künstler viele Pigmente mühsam mischen und aufbereiten. Pünktlich zur Zeit des Impressionismus kamen vermehrt industriell gefertigte Farben in ungeahnten Nuancen auf. Manche Farbtöne hatte man zuvor schwerlich erzielen können. Auch daher also das berühmte Strahlen und Leuchten auf impressionistischen Gemälden. Ein weiterer Aha-Effekt.

Auch die Erfindungen der Tube (in England) und kurz darauf des Schraubverschlusses (in Frankreich) brachten die Kunst im 19. Jahrhundert voran, machten ihre Ausübung jedenfalls bequemer. Auguste Renoir hat gar stracks behauptet, ohne Farbtuben hätte es gar keinen Impressionismus gegeben. Vordem gab’s Farbe z. B. in Schweinsblasen. Hatte man die aufgestochen, trocknete der Inhalt rasch aus. Mit der Tube ging alles viel leichter, speziell unterwegs. Nur malen musste man noch selbst . . .

Röntgenstrahlen bringen noch viel mehr an den Tag. Unter einem Paar-Bild von Auguste Renoir zeigt sich eine völlig andere, etwas unbeholfene Komposition mit zwei Frauenfiguren. Wahrscheinlich war’s die Leinwand eines weniger begabten Kollegen, der seine Bemühungen verworfen hatte. Renoir hat sie kurzerhand übermalt – und wohl Materialkosten gespart.

Und was ist mit Könnerschaft, Inspiration, Genie? Wird all das auf solch nüchterne Weise entzaubert? Keineswegs. Man hat den Künstlern doch nur ein wenig über die Schulter gesehen. Das Geheimnis der Schönheit bleibt weiterhin unergründlich.

„Impressionismus – Wie das Licht auf die Leinwand kam”. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (Obenmarspforten, am Rathaus). Bis 22. Juni. Geöffnet Di/Mi/Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So11-18 Uhr. Eintritt 9 Euro, Katalog 29 Euro.

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DIE SACHE MIT DEM GEFÄLSCHTEN MONET-BILD:

  • Bei den langwierigen Vorbereitungen zur Kölner Schau stellte sich das Bild „Seineufer bei Port-Villez” (1885 – Bild links) bereits im September 2003 als gefälscht heraus. Es stammt nicht von Claude Monet.
  • Erst jüngst machten die Museumsleute den Befund öffentlich. Jetzt dient die Fälschung (Kölner Eigenbesitz) als Anschauungsbeispiel.
  • Gefundene Indizien:
  • Der Fälscher hat jedes Wölkchen exakt vorgezeichnet – fast wie beim anfängerhaften „Malen nach Zahlen”. Ein Monet hätte das garantiert nicht nötig gehabt.
  • Die Namens-Signatur setzt gleich zweimal an. Der Fälscher hat also offenbar „nachgebessert”.
  • Spuren deuten klar darauf hin, dass das Bild mit schmutzigen Lappen umwickelt wurde, damit es optisch schneller alterte.



Aus kleinen Punkten entsteht die Welt – Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt Werke der Pointillisten

Von Bernd Berke

Köln. Augenflimmern garantiert: Um unendlich viele kleine Punkte dreht sich jetzt alles im Wallraf-Richartz-Museum. Denn die Künstler des Pointillismus (von französisch „Le Point“ – der Punkt) haben ihre Bilderwelten just aus lauter Farb-Fleckchen erzeugt. Anreger dieses Stils war Georges Seurat. Er hatte sich im langweiligen Militärdienst Anfang der 1880er Jahre mit Physik-Büchern eingedeckt und aus der Lektüre weitreichende Schlüsse für die Malerei gezogen.

Die Farben, so befand Seurat, dürften nicht flächig und vermischt aufs Bild gelangen, sondern müßten – ewigen optischen Gesetzen folgend – in ihre Bestandteile zerlegt werden, in Punkte aus „reinen“ Farbwerten. Der sinnliche Gesamteindruck werde sich dann in der Wahrnehmung des Betrachters ergeben.

„Auf den Spuren von Georges Seurat“ heißt die Kölner Schau. Mal ehrlich: Von Seurat selbst findet man hier weit weniger als von seinen Spuren. Am eigentlichen Seurat-Eckchen ist man vorüber, ehe man sich’s versieht. Zehn Kleinstformate, flirrende Landschaften vor allem – das war’s auch schon. Vier weitere Bilder werden nach Abschluß der Londoner Seurat-Retrospektive hinzukommen. doch auch das ist nicht die Welt. Seine Gemälde, so heißt es in Köln, seien schwerer zu leihen als die von Rembrandt oder Van Gogh, manche Museen hätten die Meisterwerke regelrecht an ihren Wänden „festgenagelt“.

Günstige Orte und Wetterlagen

Gleichwohl hat die Präsentation respektablen Umfang. 174 Bilder sind zu sehen, vorwiegend aus den Jahren 1887 bis 1895. Manche Werke lassen sich nur entfernt mit dem Pointillismus in Verbindung bringen, sie wirken wie willkommene oder auch überflüssige Zugaben – je nachdem. 47 Künstler sind vertreten, einige dürften nicht einmal Experten ein Begriff sein. Entdeckungen sind also möglich. Eines der schönsten Bilder – zärtliche Rückenansicht einer jungen blonden Frau – stammt gar von einem gänzlich „unbekannten Künstler“.

Doch auch Berühmtheiten haben sich zumindest zeitweise mit dem Pointillismus befaßt: Maurice Denis zeigte seine friedsame Familie in feinstens gepunkteter Kleidung, Vincent van Gogh fing einen Augenblick nervösen Aufflammens der Natur ein („Aprikosenbäume in Blüte“), Henri Matisse wendete die Punkte-Technik aufs Genre des Stillebens an, und sogar Paul Gauguin, dem dieser kleinteilige Stil eigentlich wesensfremd war, bediente sich seiner in einer kurzen Phase.

Es gibt ersichtlich besonders günstige Orte, Jahreszeiten und Wetterlagen für den Pointillismus, der sich aus der Freilichtmalerei der Impressionisten entwickelt hat: Das Frühlingsblühen gehört allemal dazu, aber auch Nebelschwaden über Meeren und Flüssen, Lichtspiegelungen auf Wogen und Wellen – Momente also, in denen sich die Farben sowieso aufzulösen scheinen. Baumblätter und Wasser werden zuweilen von ein und demselben Flimmern erfaßt – ein Schritt zum Abschied vom konkreten Gegenstand. Hier hat dieser Stil neue Horizonte des Sehens erschlossen. Für Stadt- und Arbeitswelten war er hingegen einfach nicht „zuständig“.

In Deutschland blieb der Stil Nebensache

Von Paul Signac, der nach Seurats Tod den Pointillisten als Großmeister galt, sind etliche Spitzenstücke zu sehen. In der Münsteraner Werkschau war Signac allerdings unlängst noch umfassender vorgestellt worden. Raumbeherrschend in Köln sein Idyll „In der Zeit der Harmonie“ (1894/95), ein Vorläufer des Jugendstils: Girlanden spielender und tanzender Menschen winden sich durch eine utopisch-ideale Landschaft, Mensch und Natur sind aufs Schönste vereint.

In Deutschland blieb der Pointillismus Episode. Der Hagener Mäzen Karl-Ernst Ostbaus war einer der wenigen, die die Bedeutung erkannten. Seine Empfehlung regte Christian Rohlfs an, die Lichtstreuung rund um die „Türme von Soest“ im Ansatz pointillistisch darzustellen; aber nicht nach der reinen Lehre, sondern mit strichförmig gerichteten Farbpartikeln, die schon auf den Expressionismus vorausweisen.

„Pointillismus -Auf den Spuren von Georges Seurat“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (am Hauptbahnhof). Bis 30. November. Di 10.20 Uhr; Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 13 DM, Katalog 56 DM.




Ein Maler sucht die himmlischen Sphären – Werkschau über Maurice Denis in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Hochmodern sein und zugleich lammfromm – ob sich das wohl vereinbaren läßt? Der französische Künstler Maurice Denis (1870-1943) hat es zumindest nach Kräften versucht. Mit avantgardistischen Mitteln hat er religiöse Visionen auf Leinwand und Zeichenpapier gebracht – fast wie ein mittelalterlicher Meister. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt nun die größte deutsche Retrospektive seit Jahrzehnten.

„Mädchen, die Engeln gleichen“ heißt ein Bild von 1892. Es ist ein programmatischer Titel. Denn Denis bezieht Motive aus seiner unmittelbaren Umgebung, lädt sie aber mit christlicher Inbrunst dermaßen auf, daß sie sich (auch farblich) ins Ätherische und Durchsichtige verflüchtigen. So werden aus Mädchen gläserne, hauchzarte Wesen mit Hang zum Höheren, nicht mehr so recht von dieser Welt.

Sind’s zur Heiligkeit aufgestiegene Menschen oder zur Erde herabgestiegene Himmelsbewohnerinnen? Mal dies. mal jenes. Am spannendsten sind jedenfalls die Bilder, mit denen Denis die Mitte zwischen beiden Sphären findet. Dann gehen Sehertum und künstlerischer Zukunftsdrang tatsächlich eine enge Verbindung ein.

Eine Labsal für Konservative

Die Bibel ist allgegenwärtig: Malt Denis einen Weinberg, so ist es allemal der Weinberg des Herrn; zeigt er eine Frau mit einem Fisch in der Hand, so ist wohl unterschwellig die wundersame Speisung der Fünftausend mitgemeint.

Konservativen Gemütern dürfte diese Ausstellung eine Labsal sein. Denn hier werden die rechtgläubigen Mysterien ausgiebig gefeiert – mit allen Heiligen, Seligen, Priestern und braven Chorknaben. Auch die gute alte Kleinfamilie wird als Keimzelle des guten Lebens nahezu vergöttert.

Doch Maurice Denis bediente sich keiner altbackenen Mittel. Inhaltlich orientiert er sich zwar an Vorbildern wie Fra Angelico. Doch im Spannungsfeld zwischen Jugendstil und Symbolismus, im Gefolge von Paul Gauguin und angeregt von japanischer Kunst, verwendet Denis auch extreme Bildformate, riskiert kühne Ausschnitte und setzt vor allem die Farben so frei ein wie Gefühle. Berühmt sein Satz, daß ein Bild, noch bevor es „eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine Fläche ist, die mit (…) Farben bedeckt ist.“

Die mystische Ernte einbringen

So kommt es, daß übersinnlich-grünliche Schatten auf die Gesichter der Mädchen geraten. Daß Farben so gründlich ausbleichen, als wollten sie sich ins Nichts auflösen. Menschen und Dinge sind nicht mehr sie selbst, sie werden – auf einem Bild ganz ausdrücklich – geradezu mondsüchtig, fügen sich zu schwerelosen Reigen. So bringt Denis die „Mystische Ernte“ (Werktitel) ein. Phasenweise ist es ein einziges großes Offenbaren, Erwählen und Erwecken. Auch künstlerisch gehörte Denis ja einer Gruppierung an, die sich „Nabis“ (Propheten) nannte und Kult mit sich trieb.

Das Übermaß an Frömmigkeit wirkt beim Rundgang nicht nur erhebend, sondern manchmal auch erdrückend. Da freut man sich richtig, wenn man gewahr wird, daß Denis sich zuweilen auch mal einige verschmitzte Bilder gestattete. Beim Malen seiner Bade- und Strandszenen scheint er sich von den Anstrengungen und Prüfungen des Glaubens erholt zu haben.

Maurice Denis. Werkschau. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (am Hauptbahnhof). Bis 2. April. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 49 DM.




Impressionisten aus der „zweiten Reihe“ – Kölner Ausstellung präsentiert weniger bekannte Vertreter der Stilrichtung

Von Bernd Berke

Köln. Gleißendes Sonnenlicht überflutet die Landstraße. Man fühlt die Hitze förmlich aus dem Bilde steigen. Im Vordergrund geht ein mürrisch blickender Mann den beschwerlichen Weg hinauf. Das Gemälde von 1884 zeigt den berühmten Impressionisten Claude Monet.

Gustave Caillebotte hat die schweißtreibende Szene gemalt. Das war ein reicher Mann, der sich keine Sorgen um den Verkauf seiner Bilder machen mußte. Er war mit den Größen des Impressionismus befreundet, die ihn aber eher als solventen Käufer ihrer Werke denn als ebenbürtigen Kollegen schätzten. Jedenfalls tat er viel für die Verbreitung dieser luftigen Lichtmalerei.

Um sieben Bilder von Caillebotte gruppiert sich jetzt eine Kölner Ausstellung aus Beständen des Petit Palais in Genf, die weniger in die Tiefe als in die Breite der impressionistischen Kunstrichtung geht. Sie zeigt einige ihrer Verzweigungen und macht das deutsche Publikum mit Impressionisten „aus der zweiten Reihe“ bekannt. Man sieht keinen Manet, Monet, Renoir oder Seurat, statt dessen z. B. einen Dubois-Pillet, Le Sidanier, Loiseau oder Luce.

Lottogewinn ermöglichte künstlerische Muße

„Zweite Reihe“ heißt hier nicht in jedem Falle zweitrangige Qualität, aber mindere Popularität. Weiterer gemeinsamer Nenner: Die meisten dieser Maler verschrieben sich nicht vollends der Kunst, weil sie es nicht nötig hatten. Von Caillebottes Reichtum war die Rede. Arman Guillaumin, von Haus aus Beamter, fand zur künstlerischen Muße, nachdem er in der Lotterie gewonnen hatte. Andere hatten bürgerliche Berufe. Charles Angrand z.B. war Mathematiklehrer und zergliederte denn auch Licht und Farbe geradezu wissenschaftlich in einzelne Punkte – ein Verfahren, das unter dem Schlagwort Pointillismus bekannt ist. Bei Angrand gerät dies allerdings schon zur konfettihaften Verteilung von Punkten.

Überhaupt bietet die Ausstellung nicht durchweg hohe Meisterschaft. Gerade das macht sie interessant. Probleme des Impressionismus treten so deutlicher hervor als in berühmten Stücken.

Die 60 Bilder reichen zeitlich von 1870 bis 1905. In ihren letzten Ausläufern leitet die Auswahl zu anderen Stilen über: Henry Clemens van de Velde umrandet Flächen scharf, füllt sie mit stark kontrastierenden Farben und markiert bereits das Grenzgebiet zu Symbolismus und Jugendstil. Auch Henri Martin ist der Neigung des Pointillismus, die Bildflache ins gar zu Flüchtige aufzulösen, überdrüssig und will wieder faßbare Atmosphäre heraufbeschwören. Mit seinem Großbild „Die Pergola in Marquayrol“ (1895) ist er dabei jedoch geradewegs in leblose Jugendstil-Idyllik geraten.

Die Verteilung von Leere und Fülle

Ganz anders Gustave Caillebotte, die Zentralfigur der Schau. Gut vorstellbar, daß sein „Gelbes Feld“ (1884) den besessensten aller Gelb-Maler, Vincent van Gogh, beeinflußt hat. Caillebottes „Der Hase“ (1882) – Bildnis eines erlegten Tieres – zeugt von Mut zum kühnen Bildformat und in der Gestaltung des Fells von spontaner Sinnlichkeit, die sich auch angemessen mitzuteilen weiß. Über „Die Europa-Brücke“ (1876) gehen Menschen in streunender Großstadt-Einsamkeit. Ein sehr modern anmutendes Bild.

Bemerkenswert auch die Gemälde von Henri Le Sidanier, der mit originellen Ausschnitten und mit einer ganz eigenwilligen Verteilung von Leere und Fülle experimentiert. Da erstreckt sich ein gelb durchfluteter Garten rings um eine große leere Mitte, während die Baum- und Heckengrenzen als eine Art Rahmung fungieren. Gegenstück: Blütenpracht in Überfülle quillt aus seinem Bild „Rosenpavillon in Gerberoy“; nur ein winziges Fenster lugt zwischen den Blumen hervor. Dieses Werk gehörte übrigens eine Zeitlang dem großen französischen Filmkomiker Jacques Tati, es hat den Bildaufbau bestimmter Szenen in „Die Ferien des Monsieur Hulot“ inspiriert – wie denn überhaupt die Impressionisten zu den Anregern der frühen Filmkunst zählten.

„Bildwelten des Impressionismus“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (am Hauptbahnhof). Bis 4. September, Di.-Fr. 10-18, Sa./So. 11-18 Uhr. Katalog 28 DM.




Drastische Szenen – niederländische Malerrebellen im Rom des Barock

Von Bernd Berke

Köln. Daß Nymphen in Flüssen baden, war um 1620 als Gemäldemotiv zur Genüge bekannt. Daß aber das gemeine Volk an die Stelle mythologischer Figuren trat und gar mitten in einer Ideallandschaft am Ufer „dringende Geschäfte“ verrichtete, das war ziemlich neu und schockierend.

Einige lebensfrohe Niederländer waren es, die solche Malsitten im Rom der Barockzeit einführten und von den dortigen Wächtern des akademischen Stils sogleich beschimpft wurden. Die holländischen Kunst-Ketzereien aus der Zeit von 1620 bis 1680 sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu besichtigen.

Hauptfigur der sogenannten „Bamboccianti“ war Pieter van Laer, der in seiner Italien-Zeit einen mehr oder weniger lockeren Kreis von gleichgesinnten Rebellen um sich scharte. Die Sammelbezeichnung „I Bamboccianti“ (etwa: dicke Kinder, Wichte) zeugte von Derbheit, bezog sie sich doch auf den verwachsenen Körper van Laers.

Teilweise drastisch war freilich auch, was van Laer und Kumpanen auf die Leinwand brachten. So malte Michelangelo Cerquozzi, einer von van Laers italienischen Stil- und Geistesverwandten, nicht etwa die Beweinung Christi, sondern (unter Anspielung auf das herkömmliche Bildschema) die Beweinung eines toten Esels durch Bauernvolk. Auch herrscht geradezu diebische Freude an rabiaten und schmerzhaften Vorgängen: Mit Vorliebe werden immer wieder Kurpfuscher beim Zähneziehen auf öffentlichen Plätzen oder auch räuberische Überfälle dargestellt, letztere gelegentlich überdramatisiert und kolportagehaft. Auch körperliche Ausscheidungen scheinen es den „Bamboccianti“ angetan zu haben. Da uriniert schon mal ein Pferd, oder es tauchen – immerhin in diskreten Rückenansichten – Männer auf, die sich an Hinterhofwänden erleichtern.

Interessant und doppelbödig wird die Sache, wenn man bedenkt, daß die Niederländer durchaus im Sinne ihrer heimischen Bildtradition malten, die für einen ganz anderen, weit weniger auf große Gebärden und Repräsentation ausgerichteten Markt stand. Gerade weil sie ihre volkstümlichen Szenen, als sie nach Rom kamen, in italienische Idyllen-Landschaften verpflanzten, und so das „Hohe“ mit .dem „Niederen“, das Bildwürdige mit dem vermeintlich Unwürdigen vermischten, war man ihnen dort gram. Aber auch der Markterfolg, den die Niederländer mit ihren Kleinformaten hatten, dürfte Neid bei den Vertretern der „reinen akademischen Lehre“ ausgelöst haben.

Manche der „Bamboccianti“-Bilder sind zwar mit Könnerschaft und Delikatesse gemalt, doch gar viele leben allein vom (Schock)-Effekt. Vor allem in der „zweiten Generation“ sinkt manches volkstümliche Sujet zur nur noch pittoresken Darstellung von Armut und zum kraftlosen Genre ab.

Außerdem hatte es schon vor den „Bamboccianti“ einen gegeben, der mit harten Licht- und Schatten-Effekten die Schocks im Grunde viel weiter getrieben hatte: Caravaggio (1573-1610). Diesem (unerreichten) Vorbild waren die Niederländer in Rom sichtbar verpflichtet.

„l Bamboccianti“. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (direkt am Bahnhof/Dom). 28. August bis 17. November, di-do 10 bis 20 Uhr, fr-so 10-18 Uhr, Katalog 52DM.




Bayern liegt in Amerika – Malerei aus Indiana mit bajuwarischen Wurzeln

Idyllische Landschaften, Kühe auf der Weide – das könnten Szenen aus Bayern sein. Doch spätestens wenn man die Titel der Gemälde liest, stellt man erstaunt fest, wie gründlich man sich geirrt hat. Die Freiluftmotive stammen aus dem Staate Indiana im Mittelwesten der Vereinigten Staaten.

Nun ist ja die unterschwellige „Verwandtschaft“ Bayerns und gewisser Landstriche der USA auch schon im Kino mehrfach dingfest gemacht worden. Doch in der Kölner Ausstellung „Zwischen Tradition und Moderne“ gibt es viel direktere Bezüge. Das Wallraf-Richartz-Museum stellt nämlich eine Gruppe von Malern aus Indiana vor, die sich ihr handwerkliches Rüstzeug mitsamt motivischen Anregungen allesamt in den 1880er Jahren an der Münchner Kunstakademie geholt haben.

William Forsyth, John Ottis Adams, Theodore Steele und einige andere aus ihrem Umkreis zog es damals aus drei Gründen ins Bajuwarische. Erstens war die Münchner Akademie leidlich renommiert (auch ein Lovis Corinth studierte damals dort), zweitens war Paris weitaus kostspieliger und drittens hatte man als unbekannter Amerikaner eh kaum Chancen, in die Académie der Seine-Metropole aufgenommen zu werden.

Als die Gruppe in den 1890ern in die US-Heimat zurückkehrte, hatten sich die Künstler jedenfalls dermaßen mit europäischer Kunst „vollgesogen“, daß innige Nachahmung gar nicht ausbleiben konnte. Niederländische Genremalerei wurde genau so als Anregung begriffen bzw. gar „geplündert“ wie die Kunstauffassung etwa von Rubens oder von Wilhelm Leibl.

Manches wirkt dabei arg brav oder schrammt gar haarscharf am süßlichen Kitsch vorbei. Am erstaunlichsten aber: Auch nach der Rückkehr in die Staaten überwogen zunächst bayerisch geprägte Landschaften, so etwa bei Theodore Steele, der das Flüßchen Pleasant Run bei Indianapolis noch ganz dunkeltonig im Stile der Münchner Schule malte.

Nur ganz vorsichtig begann man die andere Licht- und Farbqualität der heimatlichen Landschaften zu entdecken. Die Palette hellte sich auf, allerdings auch unter deutlichem Einfluß französischer Impressionisten, deren Bilder 1893 auf der Weltausstellung in Chicago Furore machten.

Interessant ist es nun, den allmählichen Wandel von „Bayern“ zu „Indiana“ sowie das äußerst behutsame Herantasten an Positionen der Moderne zu verfolgen, die freilich damals schon zur Nachhut zählten. Diese Gruppe amerikanischer Maler, weit davon entfernt, auf eine große, eigene Tradition zurückgreifen zu können, wagte sich lediglich bis zur Grenzlinie des Impressionismus der 1870er Jahre vor, dem sie noch um 1905 huldigte. Die wirklich große Zeit der amerikanischen Kunst, das läßt diese Ausstellung ahnen, war eben noch nicht angebrochen.

„Zwischen Tradition und Moderne. Amerikanische Malerei 1880-1905″. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (direkt am Dom). Bis 27. Januar 1991.




Entdeckungen auf Nebenpfaden des Barock – Bilder aus dem polnischen Nationalmuseum Warschau in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Welch ein glückhafter Umstand, daß das polnische Nationalmuseum in Warschau zur Zeit renoviert werden muß. So kann nämlich eines der bedeutendsten Museen östlich der Elbe ein „Schaufenster im Westen“ üppig ausstatten: 65 Barock-Gemälde aus Warschau sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen (bis 8. Oktober).

Versteht sich, daß dies auch ein Ereignis von kulturpolitischer Bedeutung ist. Während bundesdeutsche Repräsentanten sich derzeit schwertun, nach Polen zu reisen, tauschen Museumsleute beider Länder seit Jahren Kunstschätze. Kultur als „Schrittmacher“?

Freilich ließen die Polen für diese Anstellung nicht alle Bilder „ausreisen“, vielfach war das Transportrisiko zu groß. So bekommt man denn in Köln auch einiges aus der „zweiten Garnitur“ des Barock zu sehen, was jedoch vor allem mit den Warschauer Beständen zu tun hat, die im von Teilungen und kriegerischen Überfällen verwundeten Polen nie kontinuierlich aufgebaut werden konnten.

Doch die Auswahl bietet immer noch Anregung genug. Man wird zu Entdeckungen auf Nebenwegen, abseits ausgetretener Pfade, verlockt. Es muß ja nicht immer Rubens sein. Auch andere konnten malen. „Europäische Malerei des Barock“ (Ausstellungtitel) — das heißt hier: Bilder aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Immerhin gibt es auch ein paar relativ bekannte Namen wie Gerard ter Borch, David Teniers, Simon Vouet.

Man findet Belege für die meisten Grundzüge des Barock. Detailtreu und illusionistisch gestaltete, dramatisch-energiegeladene Szenen. Das Bild wird gleichsam zur Bühne saftiger Sinnlichkeit, in der der selbstgewisse Absolutismus jener Zeit sich so gern spiegelte.

Doch längst nicht alles entspricht dieser verengten Vorstellung von „lupenreinem“ Barock. Schon bei den Landschaftsbildern bestehen „ideale“ Inszenierungen etwa mit antiken Ruinen neben naturalistischen Formen. Erst recht bei der Gattung Porträt: Da existieren mythologisch verbrämte Darstellungen (Albrecht Lambertsz; „Porträt eines jungen Mädchens als Diana“), herrische Selbstinszenierungen des Adels, aber auch Spielarten des bürgerlichen Porträts. Besonders in den (zu Zeiten der Gegenreformation protestantisch sich behauptenden) nördlichen Niederlanden wurde weniger für adlige Auftraggeber als für den „freien Markt“ gemalt. Die Bilder gerieten nüchterner.

Gleichwohl verbirgt sich hinter scheinbar schlichten Arbeiten oft eine Fülle von Geschichten und Bedeutungen aus Mythologie, Bibel und Historie. Auch Stilleben sind nicht einfach Kompositionen sichtbarer Dinge. So steht z. B. Nikolaes von Gelders „Stilleben mit Taschenuhr“ (um 1663) für die Vergänglichkeit irdischer Dinge, und Genreszenen (darunter freizügige wie Wouter Pietersz‘ im Bordell zockende „Kartenspieler“) beziehen sich allemal auf eine Bild-Tradition, die den Sinn erst entschlüsseln hilft. Da solche Hintergründe in der Ausstellung nur angedeutet werden, empfiehlt sich der Erwerb des hervorragenden Katalogs (32 DM).

Während der beabsichtigte Überblick zu Gattungen und Themen beim Rundgang von selbst offenkundig wird, bedarf es der vertiefenden Katalog-Lektüre auch für die andere Leitlinie der Ausstellung: Zwei „Schulen“ sollen da ausgemacht werden, die der Rembrandt-Verehrer und die der Caravaggio-Nachfolger. Etwas für Leute vom Fach.




Kölns gewaltiger Museums-Zwilling: „Innenleben“ versöhnt auch die Kritiker – Johannes Rau eröffnet am Samstag den „Wallraf-Richartz/Ludwig“-Neubau

Von Bernd Berke

Köln. Der Rhein, der Dom, der neue Böll-Platz, das Römisch-Germanische Museum – und nun der gigantische, 278 Millionen DM teure Museumszwilling „Wallraf-Richartz/Ludwig“, der am kommenden Samstag von NRW-Ministerpräsident Rau eröffnet wird. Welche andere Stadt kann auf so engem Raum ein so markantes Ensemble vorweisen?

Der Neubau gilt Fürsprechern als „Kunst-Kathedrale“, Kritikern als „Kunst-Container“. Kölns Museumsleute sind jedenfalls stolz, und ein Aachener ist womöglich noch stolzer: Westdeutschlands Kunstammler Nummer 1, der Schokoladenfabrikant Peter Ludwig, dessen Stiftungen das neue Museum zum Großteil füllen, strahlte gestern Genugtuung aus: „Ich bin mehr als zufrieden“.

In der Tat: Während bei einem eher kantigen Charakter wie dem Sammler Lothar-Günther Buchheim eine Schenkung nach der anderen in Katzenjammer endet, läuft es beim jovialen Ludwig wie am Schnürchen. Bereits viermal ist der Mann nun auf Museen namentlich verewigt. Am Rande der Veranstaltung dementierte Ludwig übrigens ein Gerücht der letzten Wochen, daß nämlich der (seinerzeit bei NS-Größen wohlgelittene) Bildhauer Arno Breker dem neuen Museum eine Ludwig-Porträtbüste andienen sollte. Ludwig sprach sich gleichwohl dafür aus, daß die Museen der Bundesrepublik endlich ihre Berührungsangst vor NS-Kunst aufgeben sollten.

Ansonsten hielt sich Ludwig beidergestrigen Pressevorstellung des Baues vornehm zurück und ließ andere die Leistung der Kölner Architekten Peter Busmann und Godfrid Haberer preisen. Prof. Hugo Borger, Generaldirektor der Kölner Museen, betonte, die durch Bürgerstiftungen entstandenen Sammlungen des neuen Doppelmuseums (das auch die neue Philharmonie beherbergt) seien in Fülle und Qualität „nur noch mit staatlichen Sammlungen vergleichbar“.

Vom Mittelalter bis zur Pop Art

Kölns OB Norbert Bürger räumte zwar ein, der mit silbrigem Titanzink (mit der Zeit wird’s mausgrau) verkleidete Bau verstelle aus einigen Blickwinkeln den Dom. Dessen Pracht komme aber nun insgesamt stärker zur Geltung. Was immer man von der architektonischen Lösung halten mag – die „Inhalte“ des „Wallraf-Richartz/Ludwig“-Museums versöhnen. Beide Museen können nun bis zu 50 Prozent mehr Exponate als zuvor zeigen, nämlich jeweils rund ein Drittel der Bestände.

Der Rundgang mutet denn auch fast an, als blättere man in einer Kunstgeschichte. Von berühmten Altarmalereien des Mittelalters über Weltkunstwerke wie Rembrandts Selbstporträt von 1665 und markante Beispiele für sämtliche „Ismen“ des 20. Jahrhunderts bis zu Schlüsselwerken der Pop Art reicht das wahrhaft überwältigende Spektrum.

Beinahe wie in einem Warenhaus, das durch Raumstrategie in alle Abteilungen lockt, sind die Geschosse des „Wallraf“-Bereichs (Kunst von 1300 bis 1900) und der „Ludwig“-Teil (ab 1900) so verschachtelt, daß etwa der Pop-Art-Fan zwangsläufig auch an Flügelaltären aus dem Mittelalter vorbeikommt, die hier – eine Besonderheit – zum Teil frei im Raum stehen und von beiden Seiten zu bewundern sind.

Eröffnung am 6. September (Einlaß fürs Publikum um 13 Uhr, mit großem Ansturm ist zu rechnen). Bis 14.9. freier Eintritt, danach 3 DM. Öffnungszeiten: Di-Do 10-20, Fr-So 10-18 Uhr, mittw. geschlossen.

 

Ausstellungs-Start mit Paukenschlägen

(bke) Der Betrieb in den 1000 qm großen Wechselausstellungs-Räumen des neuen Kölner Museumszwillings beginnt gleich mit mehreren „Paukenschlägen“. Der US-betonten Sammlungsstruktur des Ludwig-Museums entsprechend, zeigt dieses die Schau „Amerika-Europa (Geschichte einer Faszination)“ (7. September bis 30. Novemver, Katalog 35 DM). Anhand erlesener Arbeiten von rund 100 Künstlern aus den letzten vierzig Jahren werden die wechselseitigen Anziehungs-, aber auch Abstoßungskräfte zwischen Kunstauffassungen diesseits und jenseits des Atlantik deutlich. Siegfried Gohr, Chef des „Ludwig-Museums“, verglich den Prozeß mit der Verästelung eines Baumes, in dem aber immer wieder einige Zweige in die gleiche Richtung streben.

Die Amerika-Ausstellung wird übrigens von einem US-Kreditkartenunternehmen gesponsert, das bei der gestrigen Vorbesichtigung denn auch häufig und heftig genug genannt wurde. Eins ist klar: Ohne Sponsoren geht so gut wie nicht mehr in Sachen Sonderausstellungen, stehen doch allen acht (!) städtischen Museen Kölns derzeit insgesamt nur 600 000 DM pro Jahr für Ankaufe zur Verfügung. Wahrlich ein Mißverhältnis zu den Neubaukosten!

Mit „Meisterzeichnungen von Leonardo (da Vinci) bis zu Rodin“ (7. September bis 16. November) steigt das Wallraf-Richartz-Museum in den Ausstellungsalltag ein. Die Absicht: generelle und historische Aspekte der Zeichnung als eines außerordentlich lebendigen Mediums vorzuführen. Dabei gerät die aus Wissenschaftsehrgeiz geborene Akribie der Ranaissance ebenso ins Blickfeld wie Faustskizzen moderner Künstler.

Für die kommenden Jahre (die Vorplanungen reichen bereits bis 1991) sind im Kölner Neubau teilweise sensationelIe Kunstschauen zu erwarten. So soll es unter anderem große Überblicke zum Werk von Rubens, von Miró und von Max Ernst geben. Die Miró-Ausstellung wird schon für 1987 angekündigt. Weitere Präsentationen im nächsten Jahr werden Per Kirkeby und Cy Twombly gewidmet sein.