Szenische Ernüchterung: „Der Traum ein Leben“ von Walter Braunfels an der Oper Bonn

Nilpferd und Nashorn: Der "Führer" (als Rustan: Endrik Wottrich) traf des "Feindes Macht" und kehrt als "Sieger" heim. Foto: Barbara Aumüller

Nilpferd und Nashorn: Der „Führer“ (als Rustan: Endrik Wottrich) traf des „Feindes Macht“ und kehrt als „Sieger“ heim. Foto: Barbara Aumüller

Wenn der Traum das Leben ist, dann ist dieses Leben ein Alptraum. Walter Braunfels hat sich, im nationalsozialistischen Deutschland aus allen Ämtern entlassen, in der inneren Emigration Franz Grillparzers Märchen „Der Traum ein Leben“ als Opernstoff gewählt und zwischen 1934 und 1937 komponiert. Die romantische Vorlage wird zu einer Parabel über Macht, Moral und Märchenwelten.

Dem jungen Rustan ist die häusliche Idylle mit ihrem Gleichmaß des Tage „schal und jämmerlich“; er fühlt sich zu Größerem berufen. Doch der Traum von großen Rettungstaten und einer verliebten Prinzessin wächst sich zum Alptraum aus: Macht und Ruhm gewinnt sich durch Lüge und Mord. Und Braunfels steigert das Unheimliche in seinem eigenen Libretto noch, indem er die Vorlage Grillparzers zuspitzt: Ist es dort die typisch romantische Polarität einer biederen Existenz mit einer mehrdimensionalen, faszinierenden wie unheimlichen zweiten Realität, dringt bei Braunfels der „Traum“ lebensgefährlich zugespitzt in die Lebenswirklichkeit ein.

Es ist sicher nicht zu weit gegriffen, die Oper auch im Licht von Braunfels‘ Lebenssituation zu lesen: Etwa wenn Rustans Diener Zanga, der sich als Verführer und Träger des Bösen entpuppt, in einem wilden Lied Sieg und Krieg verherrlicht. Aber auch, wenn Braunfels im Nachspiel die Genien räsonieren lässt: „Schatten sind des Lebens Güter … Die Gedanken nur sind wahr.“ Der Komponist hat es erfahren müssen: 1937 zog er sich mit seiner Familie nach Überlingen am Bodensee zurück, wo er bis Kriegsende „still und abseits“ überlebt hat.

Bei der Neuinszenierung an der Oper Bonn – erst die zweite nach der szenischen Erstaufführung 2001 in Regensburg – vermied Regisseur Jürgen R. Weber die triviale Lösung einer Nazi-Schmonzette. Er setzt auf Märchenhaftes, behutsam verbunden mit Ironie: „Regie – Theater – Vorfreude“ lesen wir über der Bühne noch vor den ersten Klängen aus dem Orchestergraben. Und schauen auf die gezimmerte Tragkonstruktion einer Kulisse, in der Bühnenbildner Hank Irwin Kittel ein Zeit-Tor offen gelassen hat: Ein von steinernem Barock flankierte Portal, darüber eine Uhr und schlafende allegorische Stuckfiguren. Durch diese Öffnung fährt später Rustans Bett ins Reich der Träume. Doch zunächst malt im Vorspiel die verliebte Mirza Blümchen an die Wand, ihr Vater Massud bestreicht einen Türrahmen mit grünen Linien, aus denen sich ein Häuschen formt: Bilder der familiär geordneten kleinen Welt, der unser Held so gern entfliehen würde.

Buntes Märchenland, verspielte Kostüme in "Der Traum ein Leben" von Walter Braunfels an der Oper Bonn. Foto: Barbara Aumüller

Buntes Märchenland, verspielte Kostüme in „Der Traum ein Leben“ von Walter Braunfels an der Oper Bonn. Foto: Barbara Aumüller

So weit, so gut. Doch als sich die Bühne für den Traum öffnet, stellt sich schnell szenische Ernüchterung ein. Denn Kittel hat ein Märchenland gebastelt, das weder schrill grotesk noch wahnhaft unheimlich wirkt. Geometrische Strukturen im Hintergrund, die Kontur einer Pyramide, ein aufgerissenes Dämonenmaul, ein paar läppische Videoprojektionen (Marjana Locic) und bunt verspielte Kostüme (Kristopher Kempf) setzen auf einem Niveau an, auf dem einst provinzielle Bühnen ihr weihnachtliches Hänsel-und-Gretel-Pflichtstück abzuliefern pflegten. So bewegt sich auch der Chor, hübsch auf Stichwort, ohne szenisch-psychologische Stringenz.

Wenn dann die Prinzessin Gülnare umspielt von weißen Luftballons einschwebt, der König würdevoll umherstolziert, die Familie des stummen Verbrechenszeugen Kaleb wie Orientalen aus einer miesen „Pilger von Mekka“-Inszenierung umhertrippeln, hat sich Weber endgültig davon verabschiedet, mehr als ein vordergründiges Geschichtchen erzählen zu wollen. Auch die Drei-Wort-Kommentare, die als wohl ironisierender running gag weiter aufs Bühnenportal geworfen werden, retten nichts mehr.

Rosa Herzchen zum Finale: Endrik Wottrich (Rustan) und Manuela Uhl (Mirza). Foto: Barbara Aumüller

Rosa Herzchen zum Finale: Endrik Wottrich (Rustan) und Manuela Uhl (Mirza). Foto: Barbara Aumüller

Wer bei einem solch komplexen Gefüge keine andere Bedeutungsebene als die des simplen Erzählstrangs einzuziehen weiß, verfehlt, was er vielleicht erreichen wollte: Eine Geschichte verstehbar zu machen, die sich in ihrer Hintergründigkeit nicht ohne weiteres erschließt.

Das Nachspiel rückt das Geschehen dann ins Peinliche: Mirza und Rustan haben sich endlich gefunden, weil der Junge in seinem Schrecktraum kapiert hat, dass er brav zu Hause sein Glück findet: Beide malen ein rosa Herzchen an die Wand. Eine Moral, die weder im Sinne Grillparzers noch in der Intention Braunfels‘ liegt. Aber vielleicht darf man ja auch hinter dieser sinnigen Bühnenaktion „Ironie“ vermuten?

Die knapp drei langen Stunden wären noch quälend langsamer vergangen, wenn nicht Will Humburg und das Bonner Beethoven Orchester als engagierte Sachwalter für die Musik aufgetreten wären. Das ist nicht einfach, denn Braunfels verweigert sich fast durchweg dem Kantablen und auch der orchestralen Opulenz. Er setzt zwar leitmotivähnliche Elemente ein, hebt sie aber nicht im Wagnerschen Sinn als prägnante Erinnerungen heraus.

Der über weite Strecken rezitativische Stil, die rhetorische Unmittelbarkeit und eine subtil ausgeformte, nicht selten spröde Klanglichkeit machen es dem Dirigenten und den Musikern nicht leicht, die Aufmerksamkeit zu fesseln, zumal sich Humburg zurückhält, wo es darum ginge, Akzente zu schärfen oder dramatisch motivierte Klangmomente herauszustellen.

Kindermärchen-Orient: Graham Clark (Kaleb) und Johannes Mertes (Karkhan). Foto: Barbara Aumüller

Kindermärchen-Orient: Graham Clark (Kaleb) und Johannes Mertes (Karkhan). Foto: Barbara Aumüller

Im Ensemble der Sänger hinterlässt Manuela Uhl den besten Eindruck: Die Sängerin, die sich auf die schwierigen Partien in den Opern der Vor- und Zwischenkriegszeit versteht, macht aus dem verträumten Mädchen Mirza und der selbstbewusst agierenden Prinzessin Gülnare durch ihre gewandte Darstellung glaubhafte Figuren, bleibt ihnen auch stimmlich mit einem schlank-brillanten Ton nichts schuldig.

Von Endrik Wottrich als Rustan ist solches leider nicht zu sagen: Mit der rezitativischen Deklamation hat der Tenor keine Probleme, aber die Höhe im Freiheits-Jubel des ersten Aufzugs bleibt stumpf und gaumig. Wottrich legt die Rolle eher im Sinne eines virilen Tatmenschen an; der Aspekt des Träumers erschöpft sich in konventioneller Wahnsinns-Gestik. Rolf Broman ist als Massud/König wenig gefordert; auch Graham Clark, einst in Bayreuth und auf allen großen Bühnen als Charaktertenor gefeiert, bringt als stummer Kaleb nur ein paar Töne ein – dafür aber eine auratische Bühnenpräsenz.

Mit deutlichem Registerbruch bewirbt Anjara I. Bartz als zombiehaftes Altes Weib ihren „schaumigen Saft“, mit dem Rustan den greisen König von Samarkand ums Leben bringen wird. Mark Morouse bringt einen kernigen Bariton ein. An dieser Rolle zeigt sich exemplarisch die kraftlose Ambivalenz der Regie Webers: Morouses Zanga ist frei von den Klischees des Dämonischen. Doch wer er denn dann sei, wird in der Anlage der Rolle nicht klar, die sich eher an drolligen Dienerfiguren als an den zwielichtigen Geschöpfen unheimlicher Zwischenwelten orientiert.

So bleibt als Resümee: Das Theater Bonn hat sich unter seinem neuen Intendanten Bernhard Helmich trotz gekürzter Zuschüsse und einer niederschmetternden kulturpolitischen Situation in der Stadt nicht nur mit dieser mutigen Produktion (der mit Massenets „Thais“ am 18. Mai die nächste Rarität folgt) vorteilhaft positioniert. Mit einer profilierteren Regie wäre dem Experiment sicherlich mehr Erfolg beschieden gewesen.




Festspiel-Passagen III: Salzburg – Jeanne d’Arc oder der Sieg im Scheitern

Alexander Pereira - noch Intendant der Salzburger Festspiele. Foto: Luigi Caputo

Alexander Pereira – noch Intendant der Salzburger Festspiele. Foto: Luigi Caputo

Wäre das in diesem Jahr überpräsente Verdi-Wagner-Thema die einzige inhaltliche Leitlinie der Salzburger Festspiele 2013, man könnte gelangweilt zur Tagesordnung übergehen.

Aber Alexander Pereira hat die sommerlichen Festtage wieder einmal mit einem fein gesponnenen Netz von Beziehungslinien überzogen: Die beiden zum Heiteren neigenden Meisterwerke der Jubilare – „Falstaff“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“ sind freilich programmatisch eher unspektakulär, auch wenn Pereira mit Stefan Herheim einen der profiliertesten Opernregisseure der Gegenwart für Wagner gewonnen hat.

Spannender ist da schon die Konzentration auf verschiedene Aspekte der Geschichte der Jeanne d’Arc, einer Heiligen, die wie selten zwischen großer Politik und scheinbar naiver Frömmigkeit, pragmatischem Realismus und kühner Vision steht. Ein Fanal für unerschütterlichen Glauben an Gott, an das Wunder in der Geschichte und an die eigene Berufung; ein Beispiel, wie eine einfach Frau des späten Mittelalters gegen ihre Umwelt ihre Persönlichkeit behauptet.

Jeanne d’Arc bietet Stoff für viele Interpretationen. Pereira hat drei ausgewählt: Den Anfang machten Walter Braunfels‘ „Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ und Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“. Folgen wird noch Giuseppe Verdis selten gespielte „Giovanna d’Arco“, eines der geschmähten Werke der „Galeerenjahre“ des Komponisten, das heute wieder stärker in den Fokus rückt.

Wagners Schatten wird überwunden

Walter Braunfels, 1882 im Jahr der Uraufführung des „Parsifal“ geboren, gehört zu einer Generation, die darum ringen musste, aus Wagners übermächtigem Schatten herauszutreten. In seiner Musik blitzen die Spuren seines Lehrers Ludwig Thuille auf – etwa in den farbigen Bläsersoli und der subtilen Orchesterbehandlung. Aber sie trägt auch Züge des von ihm verehrten Hans Pfitzner, so in der rezitativischen Prosa des ersten Teils. Die Rückgriffe auf Musik der Renaissance, die archaisch anmutenden Anklänge an Gregorianik und italienische Monodie entsprechen teils dem Zeitgeist – man mag an Igor Strawinsky oder Ottorino Respighi erinnert sein –, sind aber eigenständig entwickelt und wollen das Werk atmosphärisch verorten.

Die Felsenreitschule, Aufführungsort von Braunfels' "Jeanne d'Arc". Foto: Silvia Lelli

Die Felsenreitschule, Aufführungsort von Braunfels‘ „Jeanne d’Arc“. Foto: Silvia Lelli

Mit der Salzburger Aufführung – leider nur konzertant – wird Walter Braunfels auch an diesem Ort die gerechte Beachtung gezollt, die er längst verdient hat. Denn der von den Nationalsozialisten zum Schweigen gebrachte Komponist gehörte zu den erfolgreichsten Protagonisten des musikalischen Lebens in den zwanziger Jahren.

Mit seiner Oper „Die Vögel“ hatte er 1920 den Grundstein seiner Popularität gelegt, war als Gründungsrektor der Kölner Musikhochschule auch in der Ausbildung junger Leute eine maßgebliche Größe. Die Nazis enthoben den „Halbjuden“ 1933 seiner Ämter, belegten ihn mit Berufsverbot. Konrad Adenauer setzte den Verfemten schon im Oktober 1945 wieder auf der früheren Kölner Stelle ein, holte ihn vom Bodensee zurück, wo er im inneren Exil Werke für die Schublade schuf – unter anderem seine „Jeanne d’Arc“.

Bis zu seinem Tod 1954 schrieb Braunfels unermüdlich weiter, zuletzt ein „Spiel von der Auferstehung des Herrn“. Danach hat sich dichtes Vergessen zwischen ihn und das Jetzt gesenkt, das erst seit etwa fünfzehn Jahren aufreißt. Braunfels’ Weg war in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte fatal folgerichtig: Wie anderen Nazi-Opfern ist es ihm nicht gelungen, an die Zeit vor 1933 anzuknüpfen. Das Musikleben bestimmten Leute wie Carl Orff oder Werner Egk, die nach den alten Machthabern nun die junge Demokratie bedienten.

Nach 1950 – die braune Vergangenheit war mittlerweile auch für den öffentlichen Dienst kein Hindernis mehr – hatten Musiker wie Braunfels in den sich dogmatisch verhärtenden Richtungen der zeitgenössischen Musik ihren Ruf als gestrig und überholt weg. Und man vermied es allzu gerne, sich den Aufbruch ins Neue durch die Erinnerung an Geschehenes vermiesen zu lassen. Zudem dürften Braunfels‘ Konservatismus und seine Ablehnung der musikalischen Avantgarde seine Isolation noch verstärkt haben. Auch sein künstlerisches Ethos – er wollte die „christliche Oper“ vollenden – war wohl nicht geeignet, ihm das Interesse der Nachwelt zu erhalten. Das ändert sich nun, und es ist zu wünschen, dass der erneuerte Blick auf Menschen wie Walter Braunfels nachhaltig bliebe.

Manfred Honeck als kundiger Sachwalter von Braunfels‘ Musik

„Jeanne d’Arc“ war schon als „Wiederentdeckung des Jahres 2008“ bei ihrer szenischen Uraufführung an der Deutschen Oper ein grandioser künstlerischer Erfolg, nicht zuletzt, weil Christoph Schlingensief ein Mysterienspiel in wuchernden Bildern entwickelte. In Salzburg dirigierte Manfred Honeck – wie bei der auf CD dokumentierten konzertanten Uraufführung 2001.

Manfred Honeck (Musikalische Leitung), Johan Reuter (Gilles de Rais). Foto: Silvia Lelli

Manfred Honeck (Musikalische Leitung), Johan Reuter (Gilles de Rais). Foto: Silvia Lelli

Nicht immer gelang es, dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien die Impulse für einen konturenreichen Klang zu vermitteln: Im ersten Teil standen die Klangkomplexe wie Blöcke da; auch die von einem ariosen Rezitativstil á la Pfitzner geprägten Szenen waren atmosphärisch eher beiläufig gestützt. Das änderte sich immer, wenn die vorzüglich einstudierten Chöre (Bachchor Salzburg, Chor und Kinderchor der Festspiele und des Theaters) zum Einsatz kamen. Alois Glassner und Wolfgang Götz haben, was Chorklang und Prägnanz der Artikulation betrifft, ganze Arbeit geleistet!

Mit der gesteigerten hymnischen Emphase des Finales des ersten Teils war das Orchester dann bei Braunfels angekommen: Die Musik zwischen vergeistigtem Oratorium und farbenfroher Oper fordert illustrative Details, theatralische Kommentierungsfreude, den Ton des Erhabenen wie des Burlesken – so etwa im „Zwischenspiel“, einer Solo-Szene des Herzogs von La Trémouille, in der Ruben Drole eine komödiantische Charakterisierungskunst zeigen konnte, wie wir sie etwa in Liedern von Hugo Wolf oder Ludwig Thuille wiederfinden.

An Juliane Banse, Protagonistin der Aufnahme von 2009, einem Mitschnitt der Uraufführung 2001, sind die Jahre nicht spurlos vorübergegangen: Das als engelsgleich gerühmte Timbre klingt vor allem in der Höhe hohl, die Stütze bemüht. Aber Banse wirft dafür ihre Erfahrung in die Waagschale: So gelingen ihr die Szenen im Gefängnis, ihr selbstbewusster Auftritt vor dem Gericht, ihre gereifte Ergebung in den Willen Gottes eindrücklicher als der Aufbruch des optimistischen jungen Mädchens.

Fedora Wesseler bezeichnet im Programmheft den „Schrei nach Gewissheit“ als ein zentrales Thema der Oper, das sich in der Figur des Gilles de Rais manifestiert. Johan Reuter bringt für diese zweifelnde, zuletzt resignierende Figur eine markante Stimme mit: Der Münchner Wotan – 2014 wieder zu erleben – trägt reflektierende Momente („Heißt das, dass Nacht nun sein soll…“) durch ein erlesenes Mezzoforte, gestaltet die Entwicklung zum auf ein Wunder hoffenden Pessimisten, der im Scheiterhaufen Johannas den Sieg Satans sieht.

Das diabolische Element des rechtsbeugenden Richters führt Michael Laurenz als Cauchon mit einem glänzend fokussierten Charaktertenor ein: Gellend preist er sein „System“, mit dem er die Seelen in die Richtung hetzt, die er für sein Urteil braucht. Vor dem Hintergrund der Entstehungszeit der Oper mag es nicht abwegig sein, an die giftigen Tiraden eines Roland Freisler zu denken.

Eine großartige Szene hat auch Pavol Breslik als von Selbstzweifeln geschüttelter Karl von Valois. Doch der gefeierte Tenor vergibt die Chance, über strahlende Töne und glanzvollen „Squillo“ hinaus subtilere Nuancen der Charakterisierung zu zeigen. „Ein neuer Morgen, und immer noch die gleiche Nacht“ wirkt wie ein Vortrag aus den Noten, nicht wie die tief empfundene seelische Verunsicherung eines Königs, die mit der großen Szene des Philipp in Verdis „Don Carlo“ konkurrieren könnte.

Licht und Schatten gibt es in der Besetzung der kürzeren Partien: Norbert Ernst gibt Colin, dem Jugendgefährten Jeannes, rhetorischen Pfiff, Tobias Kehrer kleidet die mahnenden und die trauernden väterlichen Worte des Jacobus von Arc in einen schlanken, substanzvollen Bass. Martin Gantner erweist sich als Ritter Baudricourt wieder einmal als zuverlässiger, stets sinnig gestaltender Sänger; an seiner Seite Wiebke Lehmkuhl mit feinem Ton als Lison.

Mit Siobhan Stagg und Sofiya Almazova gaben zwei Damen aus dem „Young Singers Projekt“ eine sympathische Kostprobe schöner Stimme; für Johannes Dunz (Herzog von Alençon) heißt es noch, an der Stütze zu arbeiten. Auch Thomas E. Bauer kann sich als Erzbischof von Reims nicht freisingen. Und Brian Hymel stellt mit ziemlich festgefahrenem Tenor und unfrei-knödeligem Timbre die Frage des Heiligen Michael: „Wer ist wie Gott?“ – eine Frage, die 1943, als Braunfels seine Oper vollendete, auf unheimliche Weise aktuell gewesen ist. Dass sie heute, unter ganz anderen Vorzeichen, nichts an Brisanz verloren hat, wird der Beobachter der Zeitläufte unschwer bestätigen können.

Informationen zu den Salzburger Festspielen: http://www.salzburgerfestspiele.at