Lachen und lernen vom Weinberg bis in den Weltraum – ein kleines Loblied auf die unverwüstliche „Sendung mit der Maus“

Ich gestehe es freimütig: Auch im nicht mehr ganz jugendlichen Alter weiß ich die „Sendung mit der Maus“ sehr zu schätzen. In Sachen TV-Klassiker-Status kann es der orangefarbene Nager nahezu mit „Tatort“ und „Tagesschau“ aufnehmen.

Ob groß, ob klein, die Maus muss sein... (Foto: Bernd Berke / © an der Maus-Figur: WDR)

Ob groß, ob klein, die Maus muss sein… (Foto auf der heimischen Fensterbank: Bernd Berke / © an der Maus-Figur: WDR)

Die seit 1971 regelmäßig ausgestrahlten Lach- und Sachgeschichten sind halt kaum wegzudenken. Wie zu lesen ist, sind die Zuschauer(innen) im Schnitt 40 Jahre alt. Eltern, Großeltern und Kinder schauen eben gerne gemeinsam zu.

Allein schon die finalen Bestandteile der gegenwärtigen „Maus“-Ära sind aller Ehren wert, denn zum Schluss der Ausgaben sieht man entweder Shaun das Schaf, seine wolligen Gesellen, den dusseligen Farmer und den so oft gebeutelten Hund Bitzer o d e r – (Luft holen) – oder den famosen Lügenbold Käpt’n Blaubär, dessen freche Enkel und den Tolpatsch Hein Blöd. Beide Reihen sind auf je eigene Weise genialisch.

Auch die Animationsfilme in den Zwischenakten haben es oft in sich. Meine Lieblingsserie, die leider viel zu selten zum Zuge kommt, heißt „Trudes Tier“ und erzählt sehr liebevoll die etwas bizarren Geschichten einer jungen Frau, die mit einem zotteligen Monster zusammenlebt, das ihr mit seinen Eskapaden immer wieder Schweißperlen auf die Stirn treibt.

Maus, Elefant und Ente erleben derweil so elementare kleine Abenteuer, dass es mitunter ans Existenzielle oder Philosophische grenzt. Und die gar zittrig gezeichneten „Krawinkel und Eckstein“ (chaotischer Herr und sein Hund) folgen einer recht eigenen ästhetischen Spur. Das ist Staun- und Denkstoff, längst nicht nur für Kinder.

Nun aber natürlich keineswegs zu vergessen: die Sachgeschichten! Wo sonst bekäme man über Monate hinweg haarfein erläutert und vorgeführt, was sich im Jahreskreislauf in einem Weinberg begibt? Wo sonst erführe man, gleichsam Schräubchen für Schräubchen, wie ein ICE-Zug oder ein Feuerwehrwagen zusammengebaut werden? Wo sonst lernt man, wie ein Croissant gebacken wird oder wie die Löcher im Käse entstehen? Völlig andere Gewichtigkeit: Vor Jahren hat sich die Maus auch schon mit Atomkraft befasst. Die traut sich was.

Und wo sonst könnte der deutsche Astronaut Alexander Gerst so alltagsnah erläutern, was er so in der Weltraumstation ISS erlebt – vom wissenschaftlichen Experiment bis zum schwerelosen „Gang“ aufs Klo. Ein Exemplar der Maus ist (nach ungemein peniblen Schadstoff-Überprüfungen) im All dabei – und sie hat sogar einen maßgeschneiderten Astronautenanzug an…

Ebenfalls zugegeben: Ich habe die Macher der „Maus“ immer mal wieder beneidet, denn sie (vor allem Ralph Caspers) gönnen sich immer mal wieder überaus nette Dienstreisen. So haben sie etwa Schulkinder in Island, Indien, Japan oder Brasilien besucht, um zu zeigen, wie es denen so ergeht. Dabei geht es stets angemessen fröhlich und freundlich zu, niemals allzu kritisch. Doch die Kinder bekommen schon mit, wie verschieden ihre Altersgenossen auf diesem Planeten leben.

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Anhang

Moderator(innen) der „Maus“ (Erstausstrahlung 7. März 1971):

Armin Maiwald (Jahrgang 1940 – seit 1971 dabei)
Christoph Biemann (Jahrgang 1952 – seit 1983)
Ralph Caspers (Jahrgang 1972 – seit 1999)
Malin Büttner (Jahrgang 1975 – seit 2008)
Siham El-Maimouni (Jahrgang 1985 – seit 2014)

Beispielhafte Animationsreihen im Rahmen der „Maus“-Sendungen:

Janosch: „O wie schön ist Panama“ (ab 1979)
Walter Moers: „Käpt’n Blaubär“ (ab 1991)
Wouter van Reek: „Krawinkel und Eckstein“ (ab 2004)
Gunilla Bergström: „Willi Wiberg“ (ab 2004)
Richard Goleszowski: „Shaun das Schaf“ (ab 2007)
Andreas Strozyk: „Ringelgasse 19″ (ab 2010)
Marcus Sauermann: „Trudes Tier“ (ab 2014)

Eine Institution ist mittlerweile auch der Maus-Türöffner-Tag, der just wieder am jetzigen Feiertag (3. Oktober) bundesweit begangen wird und Kindern den Zugang zu Einrichtungen oder Firmen ermöglicht, die für gewöhnlich verschlossen bleiben. Vielleicht sind ja noch ein paar Plätze in der Nähe frei?




Was seit Wilhelm Busch geschah: 150 Jahre deutsche Comics in Oberhausen

Da hat man sich in Oberhausen hübsch was vorgenommen: Nicht weniger als die ganze Geschichte des deutschsprachigen Comics seit Wilhelm Busch will man in prägnanten Beispielen nacherzählen. Besucher der neuen Ausstellung „Streich auf Streich“ dürfen ausgiebig der Augenlust frönen, sehen sich aber auch gefordert.

In Zahlen: Die Tour durch 150 Jahre Comic-Historie ist in 15 Kapitel („Streiche“) unterteilt, rund 300 Originalzeichnungen und 60 Erstdrucke sind in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Die Schau erstreckt sich weitläufig über mehrere Etagen und umfasst die ganze mediale und stilistische Bandbreite. Gastkurator Martin Jurgeit zeigte sich höchst angetan von solchen Ausbreitungs-Möglichkeiten. Er kann in Oberhausen noch mehr auftrumpfen als in Hannover, für dessen Wilhelm-Busch-Museum er die Schau geplant hat.

Wilhelm Busch: Zeichnung aus "Max und Moritz", 1865 (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Wilhelm Busch: Zeichnung aus „Max und Moritz“, 1865 (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Der wahrhaft vielfältige Rundgang beginnt beim Vorvater und frühen Großmeister der Zunft: Wilhelm Busch hat tatsächlich bereits typische Merkmale der allmählich entstehenden Gattung entwickelt, die vor allem Erzählrhythmik, Dynamik und Lautmalerei betreffen.

Sein feinfühliger, oftmals auch zupackend furioser, stets trefflicher Strich prägt unvergängliche Bildergeschichten. Davon bekommt man auch in Oberhausen einige herrliche Kostproben. Man schaue nur seine fulminante Darstellung eines Klaviervirtuosen an, der wechselnde Tempi und Stimmungswerte erklingen lässt. Bewegter geht’s nimmer.

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen "Vater und Sohn", 1930er Jahre (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen „Vater und Sohn“, 1930er Jahre (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Fast schon tragisch zu nennen, dass es dem Schöpfer von „Max und Moritz“ (1864/65) und vieler anderer berühmter Gestalten peinlich war, auf solche Weise sein Geld zu verdienen. Dabei überragte er seine Zeitgenossen auf diesem Gebiet bei weitem. Doch schon mit 51 Jahren zog er sich, mit Tantiemen bestens versorgt, aus dem unterhaltenden Gewerbe zurück und malte fortan nur noch „seriös“ – aber beileibe nicht genial. Wie hat der Mann, offenbar fehlgeleitet von klassischen Bildungsidealen, sich selbst verkannt!

Mittelbar hat das Werk von Wilhelm Busch auch den Anstoß für zahlreiche Kreationen in der Frühzeit der US-amerikanischen Comics gegeben. Im Auflagenkampf der Zeitungsmogule (Hearst vs. Pulitzer) waren die gezeichneten Geschichten ein unverzichtbares Mittel, um Tagesblätter populär zu machen.

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Von deutschstämmigen Zeichnern verlangte der Verleger Hearst ausdrücklich Strips im Gefolge des Wilhelm Busch, wortwörtlich: „something like Max and Moritz“. Und so geschah es. Rudolph Dirks, aus Heide (Schleswig-Holstein) in die Staaten ausgewandert, schuf mit „The Katzenjammers Kids“ (ab 1897) eine Inkunabel des Comics, die pfeilgerade bei Wilhelm Busch ansetzte. Es war damals nicht der einzige deutsche Einfluss auf diese aufstrebende Kunstform. Selbst der Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger gab mit „The Kin-der-Kids“ einen lange nachwirkenden Impuls.

Die opulente Schau verfolgt Traditionslinien noch und noch. So ist ein Kapitel der (politischen) Satire gewidmet. Im Blickpunkt stehen hierbei der legendäre „Simplicissimus“ (Olaf Gulbransson, Th. Th. Heine), der von 1896 bis 1944 erschien. Diese Überlieferung riss freilich ab. Erst ab Anfang der 1960er Jahre belebten Zeichner wie Robert Gernhardt, F. K Waechter und Chlodwig Poth diesen Strang im Satiremagazin „Pardon“ neu, beim nominellen Nachfolger „Titanic“ pflegt man das Genre nicht mehr.

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Die Illustriertencomics der bundesdeutschen Nachkriegszeit (Anfänge etwa seit 1949) kommen gleichfalls in Betracht: HörZu („Mecki““), Quick („Nick Knatterton“) und Stern waren die Vorreiter. Der „Stern“, für den zeitweise auch Loriot arbeitete, leistete sich die Kinderbeilage „Sternchen“, die ihr Publikum nicht zuletzt mit Comics unterhielt.

Selbstverständlich kommt man um Heftchenreihen wie Disneys Micky Maus (in Deutschland ab 1951 und gleich konkurrenzlos vollfarbig) oder den deutschen Nacheiferer Rolf Kauka und sein „Fix und Foxi“ (ab 1953) nicht herum. Durch die mehr als kongeniale Übersetzung von Erika Fuchs erhielten auch Micky Maus und Donald Duck sozusagen eine „deutsche Tönung“. Außerdem legten später etliche deutsche Zeichner Hand an.

Hendrik Dorgathen: "Bubbles" (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Hendrik Dorgathen: „Bubbles“ (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Und weiter, weiter: Da geht’s vorbei an Abenteuercomics im Streifenformat („Sigurd“, „Akim“ und Artverwandtes), an Comic-Alben der 70er bis 90er Jahre, in denen beispielsweise Gerhard Seyfried und Walter Moers („Das kleine Arschloch“) eminente Auflagen erzielten, an Autorencomics, z. B. von Ralf König und Volker Reiche, die beide auch das edle FAZ-Feuilleton mit täglichen Beiträgen zierten…

Überhaupt hat sich der Comic, der bis in die 60er Jahre hinein noch unter Schundverdacht stand, längst auch in der Hochkultur etabliert. Seit einigen Jahren floriert die sogenannte „Graphic Novel“, in der Comic-Erzählweisen aufs Niveau ambitionierter Romane geführt werden und ästhetisches Neuland erobern. Solche Schöpfungen erscheinen denn auch als Bücher in den großen literarischen Verlagen. Auf diesem Gebiet zählen deutsche Künstler abermals zur internationalen Vorhut. Ein Mann wie Hendrik Dorgathen zeichnet auf professoralen Reflexionshöhen. die gleichsam immer die lange und windungsreiche Geschichte des Comics mitbedenken.

Im Manga-Stil: Martina Peters, "Miri Maßgeschneidert", 2012 (© Martina Peters)

Im Manga-Stil: Martina Peters, „Miri Maßgeschneidert“, 2012 (© Martina Peters)

Rund 150 Jahre sind seit „Max und Moritz“ vergangen. Die letzten Ausläufer der verzweigten Schau lassen ahnen, dass endlich auch einmal Frauen von sich reden machen, und zwar vor allem mit „Germangas“, also der deutschen Spielart japanischer Mangas. Außerdem tut sich schließlich das weite Feld der Internet-Produktionen auf, die wiederum neue Erzählstrukturen hervorbringen. Hier können neuerdings deutsche Künstler regelmäßig US-Actioncomics zeichnen, ohne deshalb gleich auswandern zu müssen.

Gewiss: Man hätte entschiedener Schwerpunkte setzen, Schneisen schlagen und dafür anderes auslassen können. Der ehrgeizige Gesamtüberblick droht hie und da zu zerfasern. Aber wenn man sich Zeit lässt und dazu etwas nachlesen kann…

„Streich auf Streich“. 150 Jahre deutschsprachige Comics seit Max und Moritz. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Vom 14. September 2014 bis zum 18. Januar 2015. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 4 €. Booklet 4 €.




Endlich im Museum: Blaubär, Arschloch und der Föhrer

Käpt’n Blaubär, dieser behäbig-gutmütige Lügenbär aus der „Sendung mit der Maus“?

Ist von ihm, Walter Moers.

Dann das Kleine Arschloch, diese respektlose Comic-Figur, ein Elfjähriger mit großer Nase und baumelndem Schniedelwutz?

Von ihm, Moers.

„Adolf, die kleine Nazi-Sau“, die scheiternde Witzfigur aus dem Clip „Der Bonker“?

Moers’ Idee.

Der Kontinent Zamonien, ein düster-sagenhafter Schauplatz einer ganzen Roman-Reihe – von Käpt’n Blaubärs Abenteuern für Erwachsene über Rumo bis zu einäugigen Buchlingen, die tief unter der Erde leben?

Eine grafische und wortgewaltige Schöpfung von: Moers.

Endlich darf Moers ins Museum

„7 ½ Leben“ hat Walter Moers schon hinter sich gebraucht – zumindest legt die gleichnamige Ausstellung in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen das nahe.

Zum ersten Mal darf das Gesamtwerk des Zeichners, Grafikers, Autors ins Museum. Skizzen und Vorab-Collagen sind zu sehen, Storyboards und fertige Clips, Tuschezeichnungen, Objekte und Bücher.

Richtig: Bücher. An den Bänken sind Moers’ Romane befestigt. Wer viel Zeit mitbringt, kann so auch in der zamonischen Welt versinken, die Moers seit 1999 erschafft. Aus Text, besonderer Typografie und eingefügten Zeichnungen.

Bedrückend. Und heiter

Für seine Romane schafft Moers mit Tusche Szenen, die beides sind: bedrückend und heiter. Viele Figuren wirken lächerlich und verbreiten doch Angst und Schrecken. Das ist die Kunst seiner Fantasie: Alles kann jederzeit ins Gegenteil umschlagen – in die schrecklichsten Höllenqualen oder in ein rauschendes Fest.

Viele der Original-Zeichnungen sind auch in Oberhausen zu sehen. Und stellen den Betrachter vor eben dieses Rätsel: Sind das nun Endzeit-Visionen wie bei Pieter Bruegel? Angsteinflößende Kreaturen im Stil eines Gustave Doré? Oder spielt Moers nur wieder mit den Vorlagen?

Respektlosigkeit gegenüber da Vinci? Gerne doch!

Moers liebt die Persiflage. Ein paar Respektlosigkeiten gegenüber da Vinci, Rembrandt, Picasso, Munch und Miró? Sind immer drin. Moers imitiert die Werke, kopiert sich durch all die Stile der Kunstgeschichte und setzt immer sein Kleines Arschloch in die Mitte.

Auf die vermeintlich antike Vase, als goldverzierte Ikone, als Mona Lisa, als Schrei, als Warhol’sche Campbell-Dose – selbst als Snoopy-Ersatz auf der Hundehütte. Über dem letzten Bild schwebt die Denkblase: „Hier sollte eine heiter-besinnliche Schlusspointe stehen, aber mir fällt keine ein.“ Treffender und gemeiner kann man Charles M. Schulz’ Comics nicht entlarven.

Ein kotzender „Bürger von Calais“

Andererseits: Selbst bei Werken, die ihrerseits Tabus brachen, dreht Moers die Schraube noch etwas weiter. Bei Jeff Koons „Made in Heaven“ hockt das Kleine Arschloch in eindeutiger Pose vor der Frau, die sich auf dem Gras räkelt. Wenige Meter weiter würgt eine großnasige Steinfigur ihren Magen-Inhalt heraus, Moers‘ Version von Auguste Rodins „Bürger von Calais“.

Nicht umsonst warnt ein Schild: Dieser Teil der Ausstellung ist nur für Besucher ab 16 geeignet.

Harmlose Blaubär- und Hein-Blöd-Puppen

Harmlos dagegen geht es in einem anderen Gebäudeteil zu. Die Puppen von Käpt’n Blaubär und Hein Blöd sind ausgestellt. Ein Film zeigt, wie die Puppenspieler arbeiten, wie es hinter den Kulissen aussieht. So wird ganz nebenbei deutlich, wie Moers’ Ideen eben auch funktionieren: mit dem Kern erfolgreich sein, dann vermarkten – vom Musical bis zur Kuschelpuppe.

Es wäre allerdings unfair, Walter Moers auf den breiten Merchandising-Aspekt zu reduzieren. Zumal der personenscheue Künstler eher das neue Ufer sucht, als am alten Ausverkauf zu betreiben.

Was Moers in den 80ern schon konnte

Die „7 ½ Leben“ zeigen seine Entwicklung. Moers hatte zwar schon immer Talent im Zeichnen, im detaillieren Umsetzen und im textlichen Verdichten. Viele Ideen aus den späteren Romanen hatte Moers schon in den 80ern. Es brauchte allerdings Jahre, bis er den exakten Einsatz von Illustrationen und pseudo-wissenschaftlichen Grafiken dosieren konnte.

Harte Arbeit war das, davon zeugt das Tipp-Ex auf einigen Entwürfen, die in Oberhausen zu sehen sind. Am Ende jedoch kommt so etwas heraus wie das „Tratschwellen-Alphabet“. Das dem Betrachter einfach ein Lächeln abverlangen muss.
Mindestens.

Walter Moers‘ 7 1/2 Leben sind noch bis zum 15. Januar 2012 zu sehen. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46, geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Katalog 29 Euro.

 

(Eine ähnliche Version dieses Textes ist im Westfälischen Anzeiger erschienen).




Wo ist denn bloß der Bär geblieben? – Köln: Musical „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ nach Walter Moers uraufgeführt

Von Bernd Berke

Köln. Es beginnt vielversprechend: Käpt’n Blaubär sitzt gemütlich im Sessel und schickt sich an, auf gut Hamburgisch sein Seemannsgarn zu spinnen. Ganz so, wie wir ihn kennen und ins Herz geschlossen haben. Strahlende Vorfreude bei 1400 Zuschauern im Musical-Zelt am Kölner Südstadion: Das wird bestimmt ein feiner Abend!

Dann jedoch nimmt die Sache musikalische Fahrt auf und verliert im Getümmel zusehends die Fährte des Bären. Anders als vorab auf Probenfotos zu sehen, legt Blaubär-Darsteller Björn Klein gleich die drollige Tiermaske ab und agiert fortan als ganz gewöhnlicher, etwas naiver junger Mann, der halt eine blaue Hose und einen roten Pullover trägt. Sein Bärendasein ist nur noch bloße Behauptung.

Der Regisseur mag nichts riskieren

Gewiss: Grundlinien aus Walters Moers‘ phantasiereichem Buch-Bestseller „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubar“ finden sich auch im gleichnamigen Musical wieder. Der Lügenbold erlebt schier unglaubliche Abenteuer mit Zwergpiraten, geschwätzigen Tratsch-Wellen, dem Rettungs-Saurier „Deus X. Machina“, dem bösartigen Stollentroll (bester Darsteller: Nik Breidenbach) und etlichen weiteren Fabelwesen. Hübsch groteske Figuren und Kostüme gibt es in dieser Menagerie zu sehen. Überhaupt sind die visuellen Effekte mitsamt computeranimierten Hintergründen bereits das Gipfelglück der Unternehmung. Immerhin ein wesentlicher Faktor.

Aber: Fast alles, was im umfänglichen Roman subtil und liebevoll ausgeschmückt war, erscheint in diesem Musical wie eingeebnet. Der herrlich skurrile Geist der Vorlage weht nur noch als Hauch, die parodierten Mythen (Atlantis & Co.) werden verscherbelt. Regisseur Zapo Schwalbe folgt meist ausgetretenen Pfaden des Genres, er riskiert nahezu nichts – und das bei diesem außergewöhnlichen Stoff!

Die Texte sind nicht immer unfallfrei

Die von Martin Lingnau mit professioneller Routine komponierte Musik (vom Band) bedient sich rundum, sie zitiert z. B. Shantys, Tango und Reggae, vor allem aber das globalisierte Rock-Idiom in den üblichen Ausprägungen. Die Skala reicht bis zur Schnulze („Blau muss mein Geliebter sein“). Manche Passagen hören sich halbwegs schmissig an, doch ein richtiger Hit, der sich sofort einprägen würde, ist nicht dabei. Das Reimschema der Liedtexte (Heiko Wohlgemuth) kommt auch nicht immer unfallfrei um die Satzkurven. Wenn man schon einmal ins Nörgeln geraten ist: Einige Szenen („Nachtschule“) kommen kopf- und gestaltlos daher, sie erschöpfen sich im wirren Gewusel. Zudem war der Ton zur Premiere phaserinweise noch unvollkommen ausgesteuert. Manches klingt seltsam gedämpft und mehlig. Bedauerlich für die Sänger. Sie geben sich alle Mühe.

Einige Nebensachen des Romans werden in den Vordergrund gezogen: So gerät der superkluge Prof. Abdul Nachtigaller, im Buch vorwiegend mit seinen Lexikon-Artikeln über das Wunderland Zamonien präsent, zum Moderator des Abends – als landläufig zerstreuter Professor. Nicht sonderlich originell.

Natürlich wird (im Bann der Musical-Konventionen) Blaubars Hang zum Blaubärenmädchen länglich und süßlich ausgespielt: „Für Dich koch‘ ich den Ozean ein / Nur mit den Flammen meiner Liebe“, trällern sie. Am Schluss regnet es Goldflitter auf die beiden herab. Ach, wie herzig!

Der genialische Blaubär-Schöpfer Walter Moers (siehe Info-Kasten) soll lange gezögert haben, ehe er die Musical-Rechte an seiner Figur vergab. Angesichts der Kölner Bescherung war seine Nachgiebigkeit wohl ein Fehler. Vielleicht hat er beim Kassieren entnervt gedacht: Lasst mich künftig in Ruhe und macht doch, was ihr wollt. Aber hätte er dann nicht ein Stückchen seiner Seele verkauft – und noch dazu das Fell des blauen Bären?

Bis 14. Januar 2007 Köln (Festplatz/Zelt am Südstadion, Vorgebirgsstraße). Tour-Stationen 2007: Frankfurt (ab 15. Februar), Hamburg (Mai), Berlin (August) und München (Nov.). Ticket-Hotline 01805 / 85 38 86.

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ZUR PERSON

Drastische Figuren

  • Walter Moers wurde 1957 geboren.
  • Er lebt und arbeitet sehr zurückgezogen, gibt praktisch keine Interviews und lässt sich nicht fotografieren.
  • Sein „Blaubär“ tauchte erstmals 1988 auf.
  • Der Roman „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Btaubar“ (1999) sollte die ursprünglich für Kinder gedachte Figur auch Erwachsenen nahe bringen. Mit Erfolg: Das Buch verkaufte sich 750 000 Mal.
  • Weitere, durchweg drastische Moers-Figuren: „Das kleine Arschloch“, „Der alte Sack“ und „Adolf (die Nazisau)“ – Hitler als lächerliche Comic-Gestalt, ganz gezielt an den Grenzen des Geschmacks angesiedelt.