Wie es im Revier gewesen ist – Fotografien von Helmut Orwat

Taubenzüchter im Sonntagsanzug, Castrop-Rauxel, 1967. (Foto: Helmut Orwat)

Helmut Orwat war stets nah dran. Nah am Alltag und den Menschen im Ruhrgebiet, speziell in und um Castrop-Rauxel. Seit 1960 arbeitete er als freier Fotograf für diverse Zeitungen und Zeitschriften, von 1984 bis 2000 war er bei den Ruhrnachrichten festangestellt. Rund 150 ausgewählte Fotografien sind im LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg zu sehen.

Der Ausstellungstitel „Täglich Bilder fürs Revier“ lässt etwas von der Eile ahnen, mit der Orwat meist zu Werke ging. Aktuelle Geschehnisse mussten eben sofort festgehalten werden, und zwar unter härteren Bedingungen als heute, wo digitale Kamera- und Nachbearbeitungs-Technik die Sache doch deutlich erleichtert. Dennoch (oder gerade deshalb, weil eben noch viel mehr echte Handarbeit darin steckt) haben seine Bilder die Jahrzehnte überdauert und legen nun gültiges Zeugnis ab vom Ruhrgebiet, wie es einmal gewesen ist. Manche Besucher werden sich wehmütig erinnern.

Kernkraftwerk in Hamm-Uentrop, 1980. (Foto: Helmut Orwat)

Die besten Fotos haben gleichsam eine „Seele“, man merkt ihnen die Freude des Herstellens an. Ganz klar: Solche kontraststarken Ansichten müssen schwarzweiß sein, jede Kolorierung täte ihnen Gewalt an. Vorbilder Orwats waren Fotografie-Größen wie Chargesheimer und Otto Steinert, die sich gleichfalls im Revier umgetan hatten.

Die Auswahl ist in Kapitel gegliedert, zum Beispiel: Industrie und Landschaft, Kanal und Schifffahrt, Beruf und Arbeit, Stadt und Verkehr, Familie und Freizeit. Die Aufnahmen vergegenwärtigen inzwischen verblasste, typische Merkmale des Ruhrgebiets und seiner Menschen, zunächst vor allem im Umkreis des Bergbaus – nicht nur in den Zechen selbst, sondern etwa auch am Straßenrand, wenn haufenweise Kohle geliefert wurde und nun in den Keller geschaufelt werden sollte. Auch sieht man prominente Besucher der Castroper Zeche Erin mit kohleschwarzen Gesichtern als kalkuliertes Signal für „Volksnähe“: den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel (1975) oder den damaligen CSU-Chef Franz Josef Strauß (1980).

Feuerlöschübung mit Ordensschwestern des St. Rochus-Hospitals, Castrop-Rauxel, 1972. (Foto: Orwat)

Vor allem aber hat Orwat die „ganz normalen“ Bewohner des Reviers in den Blick genommen. Die Camper am Dortmund-Ems-Kanal, den Taubenzüchter, die Frau von der Trinkhalle, den Klüngelskerl, Frauen in der Bochumer Opel-Montage, die Jury des Kleingartenwettbewerbs – und immer wieder spielende Kinder, ein Motiv-Genre, für das Helmut Orwat einen besonderen Blick hatte. Bemerkenswert auch die Fotos von einer Modenschau bei Hertie in Castrop oder vom Castroper Pferderennen und seinem Publikum. Da zeigt sich überdeutlich: Das einstige Revier war beileibe weder Paris noch Ascot, doch auch hier konnte man die karge Freizeit genießen, wenngleich längst nicht so edel stilisiert. Dafür aber ohne Dünkel.

Montagestraße Opel Kadett, Opel Werk I, Bochum, 1963. (Foto: Helmut Orwat)

Orwat, 1938 als Bergmannssohn in Castrop-Rauxel geboren, erfasste imposante, zuweilen auch beängstigende Industrielandschaften, zeichnete dann aber auch den Niedergang der alten Industrien nach. Die Folgen werden fassbar, wenn Arbeiter gegen Schließungen demonstrieren und Orwat ihre letztlich vergebliche Entschlossenheit zu zeigen vermag. Als schon etliche Zechen dicht waren, bekam er Götz George vor die Linse: 1981 als „Schimanski“ beim Dreh zum Duisburger „Tatort“. Es war ein bedeutsamer zeitlicher Schnittpunkt: Die Industrie war im Schwinden begriffen, eine Figur wie Schimanski trug jetzt zur Legendenbildung bei.

Das nahende Ende des früheren Reviers zeigt sich bereits in Aufnahmen wie jener des sterilen City-Centers Herne (1975) mit seiner ganz und gar nicht mehr regionaltypischen Anmutung. Das war keine wirkliche Alternative zum schmutzigen Hinterhof der alten Zeiten. Überhaupt dokumentierte Orwat einige brutale „Bausünden“ im Ruhrgebiet. Noch betrüblicher: Sein Beruf brachte es mit sich, auch Unglücke ablichten zu müssen. Das Auto, das aus dem Kanal geborgen werden musste, den explodierten Tanklaster, den Trauerzug nach einem Grubenunglück.

Helmut Ornat: Selbstporträt mit Leica-Kamera im Jahr 1965.

Leute wie Helmut Orwat gibt es nicht mehr. Tageszeitungen leisten sich kaum noch ambitionierte Fotografie. Statt dessen zücken häufig die Texter ihre Handys. Mit entsprechend dürftigen Ergebnissen.

„Täglich Bilder fürs Revier“. Pressefotografien von Helmut Orwat 1960-1992. Waltrop, LWL-Museum Schiffshebewerk Henrichenburg (Hafengebäude). Noch bis 4. Februar 2024. Geöffnet Di-So 10-18 Uhr. Begleitender Bildband mit 150 Aufnahmen im Tecklenborg Verlag, 200 Seiten, 19,80 Euro.

Das LWL-Medienzentrum für Westfalen hat das fotografische Lebenswerk von Helmut Ornat übernommen. Eine Auswahl von über 3000 Motiven wurde digitalisiert und kann online recherchiert werden unter:

www.orwat-fotosammlung.lwl.org

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Der Beitrag ist zuerst im Kulturmagazin Westfalenspiegel erschienen: 

www.westfalenspiegel.de




Mit Flummi im Spiegelzelt – Torsten Sträter beim Dortmunder Festival RuhrHochDeutsch

Soziale Netzwerke, insbesondere Twitter, werden ja oft als virtueller Marktplatz sich unreflektiert aufschaukelnder Erregungstumulte rund um einen griffigen Hashtag wahrgenommen. Im medial nicht so aufgeblasenen Bereich der Twittergemeinde ermöglicht es aber gerade diese Hashtag-Kultur, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen über das, was man mag; was man gerne liest, guckt, hört oder auch, worüber man lachen kann.

Zunehmender Beliebtheit bei den manchmal mit einem recht eigenwilligen Humor gesegneten Twitter-Nutzern erfreut sich seit einiger Zeit der Waltroper Torsten Sträter. Was also lag näher als ein Ruhrpott-Twittertreffen mit einem Abend im Dortmunder Spiegelzelt bei Sträters Auftritt im Rahmen des Festivals RuhrHochDeutsch zu kombinieren?

Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt

Begegnung nach seinem Auftritt: Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt. (Foto: Michael Reimann)

Nicht alle Besucher kamen wie wir mit einem großen Begeisterungs-Vorschuss. Man hörte im Biergarten durchaus Stimmen à la „Hoffentlich gibt datt watt, hoffentlich liest der nich nur stur ab“. Aber etwaige Bedenken dürften schnell hinweg gefegt gewesen sein. 10 Minuten nach Beginn seines neuen Programms „Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein“ war der auf’s Zeltdach trommelnde Regen nicht mehr zu hören. Gut, Heimspiel könnte man sagen. Aber bitte, wer ist kritischer als die eigene Nachbarschaft? Eben.

Schnell bestätigt sich der bisher nur am Bildschirm gewonnene Eindruck: Sträter funktioniert am besten als Gesamtkunstwerk. Um das „Hoffentlich liest der nicht stur ab“ des Bedenkenträgers aufzugreifen: Ja, stimmt. Sträters Texte sind für sich genommen nur mäßig witzig, liest man sie in gedruckter Form selbst, reißt es einen nicht unbedingt vom Hocker. Trägt Sträter sie aber mit seiner unnachahmlichen Intonation vor, bettet er sie gar ein in einen frei vorgetragenen Kontext, dann hebt sich dieses Gesamtkunstwerk sehr wohltuend ab von dem, was einem sonst gerne als Kabarett verkauft werden soll. Nicht nur in diesem Punkt fühlt man sich im Laufe des Abends des öfteren angenehm an Fritz Eckenga erinnert. Möglicherweise gibt es ja so etwas wie eine Dortmunder Schule des Humors. Weiß man da Näheres?

König der Abschweifungen

Rund um die vorgelesenen Texte ist Torsten Sträter der ungekrönte König der Abschweifungen, was aber gerade den besonderen Reiz ausmacht. Man weiß nie, wo er hin will oder auch nur im Ansatz, was als Nächstes kommt. Ist er jetzt noch in Torgau beim Probelauf oder verlobt er sich gerade mit seinem Urologen? Vom Hölzken auf Stöcksken zu kommen und dann nach fast 3 Stunden den Kreis geschmeidig mit einem Flummi zu schließen – das muss man erstmal können. Sträter kann das und zwar so, dass das Publikum gleichermaßen verblüfft und begeistert verharrt. Zaubern mit Worten oder wie Sträter es nicht ohne Stolz formulierte: „Hab ich schick zusammengehäkelt, ne?“

Politisches Kabarett ist seine Sache nach eigener Aussage nicht, dennoch haben viele seiner Texte eine zumindest gesellschaftspolitische Aussage. So wie der Text, in dem er einem mit ihm befreundeten syrischen Flüchtling erklärt, wie Deutschland funktioniert und dabei die unguten „das wird man ja wohl noch sagen dürfen Vorurteile“ ganz geschickt umadressiert. Möglich, dass die Subtilität dieses Textes mehr bewirkt als fromme Lippenbekenntnisse aus der Politik. (Hoffen kann man ja)

Nicht nur mit diesem Text hält Sträter seinem Publikum den Spiegel vor. Wiedererkennungswert seiner Programme: höher geht nicht. In beide Richtungen. Zum einen erkennt der Zuhörer sich selbst wieder, zum anderen aber ertappt er sich dauernd bei den alltäglichsten Dingen, dabei an Sträter zu denken. Es soll Leute geben, die nicht ein einziges Hemd mehr ohne die Beschwörungsformel KSRKBÄM bügeln, Und falls es jemand interessiert: Ich habe mir heute mehr als einmal ein „Ey, datt iss ein Fahrradweg“ verkniffen. Bitte gerne.

Unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus

Sträter beherrscht die ganze Palette vom eher grobschlächtigem Humor mit und ohne Storno bis hin zu den leiseren Tönen. Wenn man genau hinhört, dann kann man zwischen den Zeilen den Poeten hören. Sträters Anfänge in der Wortkunst wurzeln ja auch dort: Im Poetry Slam. Damit wurde er erstmals vor Publikum bekannt, da kommt er her. So die Geschichte über seine Afrika-Reise: So witzig sie zwischenzeitlich daherkam, so kleidsam der Hut, so gelungen die Pointe auch war: Man war auch berührt von dem, was er erzählte, man merkte gut, wie sehr ihn das dort Gesehene bewegte. Die Balance zwischen Witz und leisen Zwischentönen hält er durch, auch für Sträter scheint Satire eine Möglichkeit zu sein, den Absurditäten des Lebens zu begegnen. Entweder man verbittert oder man lacht darüber.

Und selbst wenn Torsten Sträter sich geschmeidig in New York bewegen kann, ganz klar ist er ein Ruhrpottjunge. Seine Sprache ist die der Menschen hier, sein Humor ebenfalls. Umso schöner, dass es auch außerhalb des Reviers funktioniert. Humorvoller, unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus kann der Republik nicht schaden. Auch im entspannten After-Show-Gespräch ist es ganz einfach, in ihm den gelernten Herrenschneider von „umme Ecke“ zu sehen. In diesem Sinne „Glückauf“ für seine Sendung „Männerhaushalt„, die – wie er uns noch verriet – ab November im WDR in Serie geht.

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Mehr über ihn auf seiner Webseite. Alle Termine finden sich hier.