Das verlorene Gesicht – Düsseldorfer Ausstellung „Ich ist etwas Anderes“ entwirft Visionen vom Ende der Identität

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit der menschlichen Identität, den fest gefügten Selbstbildern ist es mehr allzu weit her. Jedenfalls lautet so die Diagnose in der avancierten Kunst, die ja als Seismograph des Künftigen gilt. Unter Zersplitterungen, Verletzungen und Verformungen winden sich da die Restbestände des „Ich“.

Die Schau „Ich ist etwas Anderes“ erstreckt sich über die gesamte Fläche der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW. Mit Werken seit etwa 1970 und vielen klingenden Namen (Beuys, Warhol, Bruce Nauman usw.) rührt sie ans bedrohte Menschenbild, an den Realitäts-Schwund in Zeiten virtueller Netze und gentechnischer Manipulationen. Es ist eine Ausstellung, über deren Befunde man erschrickt und die überdies in die Wahrnehmung des Betrachters eingreift, so dass man von Selbst-Erfahrung im Museum sprechen kann.

Die Furien des Verschwindens

Grandios schon der Auftakt: Da schreit einem in grellem Rot das altarförmige „Triptychon“ (1983) des Francis Bacon entgegen, Schmerzensbild eines gänzlich isolierten, in sich verschraubten Körpers – geradezu eine masochistische Weihestätte des Ich-Verlustes.

Weitere Furien des Verschwindens: Maria Lassnig malt tief in die psychische Befindlichkeit dringende Selbstporträts. Der geschundene Frauenkörper löst sich auf in tier- und maschinenförmige Phantasmagorien, in monströse Ausgeburten des Selbst. Arnulf Rainer überpinselt mit heftig-aggressiven Strichen das eigene Antlitz, als sei es ohnehin nicht mehr gültig.

Während der Einzelmensch derart seine Konturen verliert, sammeln die Objekte gespenstische Kräfte. Christian Boltanski hat mit dem Sach-Inventar aus dem Leben einer verstorbenen alten Dame einen Raum gefüllt. Vom Bett bis zum Bügeleisen, von derSchallplatte bis zur Haarspange findet sich alltägliches Gebrauchsgut wieder. Daraus erwächst eine frappierend deutliche biographische Erzählung. Ist der Mensch verstummt, beginnen die Dinge zu sprechen.

Eine Frau ohne Augen, aber mit zwei Mündern

In ausgeklügelten Installationen, die oftmals den Betrachter (z. B. durch Verspiegelung oder lauernde Kameras) mit Psycho-Effekten fordernd einbeziehen, erlebt man alle denkbaren Stadien der Zersetzung und der Neu-Montage des Menschenbildes.

Doch es gibt auch Kabinette, die gleichsam Meditationsräume eröffnen, wie denn überhaupt die Schau an jedem zweiten Samstag mit Yoga-Übungen inmitten der Kunst spirituell flankiert werden soll. Andy Warhol und Jürgen Klauke dokumentieren mit Fotoserien Geschlechts-Umwandlungen, das zeitweilige Spiel mit sexueller Identität. Die Bosnierin Danika Dakic greift das Thema kultureller Identitäts-Spaltung auf. Ihr Videofilm zeigt eine Frau ohne Augen, aber mit zwei Mündern, die in verschiedenen Sprachen reden.

Monster aus der Zukunft

Rosemarie Trockel vergegenwärtigt die partielle Ich-Aufgabe in der Hinwendung zu einem Idol: Ihre Schwester schwärmte seinerzeit für Brigitte Bardot. Die Norwegerin Vibeke Tandberg hat sich eine Zwillingsfigur ausgedacht, dargestellt von ihr selbst und per Computer täuschend echt in Fotos einmontiert: Eine Frau ist zwei Schwestern…

Schließlich gelangt man in jenen Raum, in dem einem Kinder-Skulpturen sozusagen als geklonte Monster einer entmenschten Zukunft begegnen. Es ist, als wäre man in einen Horrorfilm geraten. Hernach ist man froh, draußen sein – aber auch froh, dass man drinnen gewesen ist.

„Ich ist etwas Anderes“. Kunstsammlung NRW, Düsseldorf. Bis 18. Juni. Tägl. außer Mo 10-20 Uhr. Eintritt 12 DM, Katalog 49,80 DM.

 




Der Kick in der Kunst – Ausstellung rund um den Fußball im Mönchengladbacher Schloß Rheydt

Von Bernd Berke

Mönchengladbach. Worum dreht sich (manchmal) das ganze Universum? Der Künstler Heinz-Josef Mess hat da so seine Vermutung – und äußert sie im Bilde: Mitten im endlosen galaktischen Nebel thront ein Zentralgestirn, das uns irgendwie bekannt vorkommt. Es ist ein Fußball. Wie sehr Kultur mit Kult und Kult wiederum mit Kicken zu tun hat, untersucht jetzt eine Ausstellung im ehrwürdigen Mönchengladbacher Schloß Rheydt.

Der Ball ist rund, das Spiel dauert 90 Minuten, das Runde muß ins Eckige, „Grau is‘ alle Theorie, entscheidend ist auf m Platz“ – derlei zeitlose Fußball-Weisheiten lassen auch Künstler nicht ruhen. Die pfiffige Gladbacher Schau versammelt staunenswerte Stücke. Wer hätte etwa gewußt, daß der berühmte Pop-Künstler Andy Warhol nicht nur eine Marilyn Monroe, sondern auch den Kölner Torwart Toni Schumacher als Glamour-Star porträtiert hat?

Wie eine Reliquie: Originalabguß von Netzers Schuh

Warhols Antipode Joseph Beuys hatte exakt den gleichen Club im Sinn, als er 1978 ein mit Geißbock-Maskottchen verziertes Schlüsselbund kurzerhand per Signatur zum Kunstwerk erklärte.

Besonderen Drall bekommt die Ausstellung durch Traum-Kombinationen zwischen Kunst und Kultgegenständen der Fans: Wimpel, Trikots, Pokale und dergleichen. Letztere werden wie Reliquien mit grünem Samt drapiert, beispielsweise ein Originalabguß von Günter Netzers Schuh oder ein Abdruck vom Fuße des Berti Vogts, der sich die Ausstellung demnächst anschauen wird.

Ironische Antwort auf den Kult um Vereinsfarben: Stefan Banz hat einer nackten Frau den schwarz-gelben Dress von Borussia Dortmund direkt auf die Haut gemalt, ein unbekleideter Mann trägt derweil das Schalker Königsblau. Auch sein „bestes Stück“ ward beim Kolorieren nicht vergessen…

Der Künstler Dag Seemann zeigt den Fußball als Religionsersatz dieser Zeit: Die von ihm kreierte Abfolge (altgriechische Amphora, Abendmahls-Kelch und WM-Trophäe) spricht für sich.

Die Aggressivität des Sports ist gleichfalls künstlerisches Thema. Thomas Virnich etwa hat ein kleines Spielzeug-Fußballfeld aus Blech gründlich zerfetzt und dann mit dem Lötkolben bearbeitet. Die versengten Stellen künden nicht vom hehren „Fair geht vor“, sondern gleichsam von einer „Taktik des verbrannten Rasens“. Der Werktitel zielt in die gleiche Richtung: Beim Match ist es „Drunter und drüber“ (1995) gegangen.

Abstrakter, aber ebenso faszinierend ist die Spuren-Suche von Susken Rosenthal. Sie hat sämtliche Spielzüge einer Länderspiel-Partie zwischen Argentinien und Deutschland auf ein verdunkeltes Spielfeld graviert. Resultat: ein Gewitter aus energetischen Linien mit bedrohlichen Ballungen. Dem Spiel-Verlauf wird hier ein Eigenwert zuteil, der sich von den Spielern selbst gelöst und sich zeichenhaft weit über sie erhoben hat.

Daß „das Spiel an sich“ machtvoller sein könnte als das arme kleine Individuum, teilt als Angstvision auch Dieter Asmus mit: Sein „Torwart“ (1970) wird von einem gigantischen roten Ball schier überrollt.

Weitaus kühler gibt sich Gregor Russ, der die Markierungslinien des Spielfelds auf 72 Bildern variiert: Anstoßkreis, Elfmeterpunkt und Fünfmeterraum mutieren dabei zu geometrischen, nach Regeln optischer Schönheit frei kombinierbaren Elementen.

„Heimspiel. Fußball: Kult und Kunst“. Mönchengladbach, Städt. Museum Schloß Rheydt, Schloßstr. 508. Bis 4. Okt. („Verlängerung möglich / kein Elfmeterschießen“). Tägl. außer Mo 11-19 Uhr. Katalog 29 DM.