Frauen, die beim Wohnen warten

Gelegentlich liegen der regionalen Tageszeitung Möbelprospekte bei. Die interessieren mich nur sehr bedingt. Doch eins ist mir jetzt (mal wieder) aufgefallen: Man sieht darin besonders viele wartende Frauen.

Barfuß auf dem Sofa (1)

Barfuß auf dem Sofa (1)

Ihr wisst schon ungefähr, was ich meine, nicht wahr? Junge Frauen, die offenbar endlos Zeit haben, warten in diesen Musterwohnungen – auf was auch immer. Dass ein männliches Wesen nach seines Tages Mühen erscheine? Dass endlich das Leben anfange? Warten sie etwa auf den Postboten oder Handwerker? Wohl kaum. Das wäre denn doch zu profan.

Sie sollen ungemein entspannt wirken, aber es gelingt ihnen nur selten, diesen Eindruck glaubhaft zu vermitteln. Es sind ja auch zumeist preiswerte oder gar kostenlos posierende Statistinnen, die sich da lümmeln und rekeln oder auch selbstvergessen sinnend in unbestimmte Fernen blicken.

…und meistens sind sie barfuß

Auf dem Sofa: die wartende Frau. Auf dem Bett: die wartende Frau, etwas leichter bekleidet. Auch in der Küche hat sie nichts zu tun als zu warten. Hin und wieder nimmt sie eine Tasse Tee oder Kaffee zu sich, höchstens mal ein Stückchen Obst, das ist offenbar alles, was sie zum Dasein braucht. Hin und wieder tippen solche Frauen auf Tablets oder Smartphones herum. Und meistens sind sie barfuß.

Barfuß auf dem Sofa (2)

Barfuß auf dem Sofa (2)

Nur selten kommt ein Mann hinzu, oft übrigens in deutlicher Distanz auf dem breiten, breiten Sofa. Manchmal darf auch ein fröhliches Kind dabei sein. Und wenn eine Familie sich zeigt, dann fast immer idealtypisch mit einer Tochter und einem Sohn. Ansonsten, wie gesagt, bleibt die junge Frau für sich, als wenn just die Abwesenheit des Mannes erst wahre Muße ermögliche. Paradox nur, dass sie zugleich auf ihn wartet.

Domizile in weltbester Lage

Und wahrlich, sie wohnen nicht schlecht. Im mittleren Preissegment geht es schon los mit den maßlosen Übertreibungen: Allein ihre Küchen sind wohl um die 70 Quadratmeter groß, auch in den Bädern kann man großzügig umhergehen, ganz zu schweigen von den anderen Zimmern. Es sind stets weitläufige Wohnlandschaften mit einigen Metern Deckenhöhe.

Barfuß auf dem Sofa (3)

Barfuß auf dem Sofa (3)

Die Fensterblicke im Hintergrund (selbstverständlich Fotomontagen) suggerieren derweil allerbeste Wohnlagen, entweder mitten im Zentrum von Weltstädten oder direkt am Rande riesiger Parks und Waldungen, manchmal auch Mixturen aus beidem. Latifundien halt. Anwesen sondergleichen. Gerne auch mit unverstelltem Meer- oder Flussblick. Kurzum: eigentlich für Normalsterbliche unbezahlbar. Frei nach Kurt Tucholskys Diktum über die ideale Wohnlage: vorne Ostsee, hinten Ku’damm. Oder war’s umgekehrt?




Grandioser Zeitvertreib – „Warten auf Godot“ bei den Ruhrfestspielen

Die Bühne hat ein Loch. Mit mehreren Metern Durchmesser und gelegen im Mittelpunkt der quadratischen Schrägebene ist es, sieht man von einem in den Zuschauerraum gerichteten Scheinwerfer ab, das einzige Stück Ausstattung dieser Inszenierung. Selbst das Bäumchen fehlt. Doch das macht nichts. Diese Inszenierung von Becketts „Warten auf Godot“ – als Koproduktion der Ruhrfestspiele mit dem Deutschen Theater Berlin hatte sie jetzt ihre umjubelte Premiere – gehört zum Besten, was das Festival mit seinem doch recht durchwachsenen Programm in diesem Jahr zu bieten hat. Leichte Kost ist sie dennoch nicht.

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Samuel Finzi (links) und Wolfram Koch sind Wladimir und Estragon in „Warten auf Godot“, das von Ruhrfestspielen und Deutschem Theater Berlin koproduziert wurde. Foto: Declair, Ruhrfestspiele

Samuel Finzi und Wolfram Koch, zwei fernsehbekannte Gesichter, sind Wladimir und Estragon, jüngere Männer, denen die Last der Lebensjahre und der körperlichen Gebrechen noch nicht so zusetzt wie den Landstreichern früherer Inszenierungen. Eher sind sie Kollegen, Kumpel, Clowns, „Buddies“. Aber nach wie vor würde natürlich auch „altes Ehepaar“ passen. Ihre Haltung zum rätselhaften Godot, dessen Kommen, wie man weiß, angekündigt ist, der jedoch nicht kommt, sich aber entschuldigen lässt und damit die Hoffnung auf ein späteres Erscheinen nährt, wirkt wenig fatalistisch.

Godot hat, so scheint es, für sie nicht wirklich etwas Finales, sondern ist ein Tagesordnungspunkt, der abgearbeitet werden muss. Kommt er, sind sie gerettet, kommt er nicht, sind sie verloren. Und was kommt danach? Einfach wegzugehen ist aber auch nicht möglich, denn dann könnte Godot böse werden und sie bestrafen. Das muss man alles abwägen. Die Begegnung mit Pozzo und seinem Knecht Lucky (Christian Grashof und Andreas Döhler, zwei weitere großartige Bühnenkünstler) quittieren sie mit Erstaunen, ohne aber stark davon berührt zu sein.

Diese Inszenierung des in Bulgarien geborenen Ivan Panteleev führt auf ebenso tragische wie burleske Weise vor, dass am vorgeblich absurden Theater Samuel Becketts kaum etwas absurd ist. Vielmehr leuchtet sie, dem exzellenten, präsenten Spiel der beiden Hauptdarsteller sei Dank, vor dem Hintergrund existentieller Geworfenheit die Abgründe und Untiefen des Zwischenmenschlichen unnachgiebig aus, in dem ein Godot, so lange er nicht kommt, erheblich zur Stabilisierung der Beziehung beiträgt. Samuel Finzi und Wolfram Koch führen eine Paardynamik vor, die Agonie nicht zulässt. Deshalb ist es nur konsequent, wenn sie beispielsweise spontan und aus Spaß eine Runde „Luft-Sport“ ohne Bälle oder Schläger spielen – Tennis, Golf, Fußball usw. – während sie auf Godot warten.

Die beiden Schauspieler waren übrigens Bühnenlieblinge des 2013 verstorbenen Regisseurs Dimiter Gotscheff, der unter anderem von 1995 bis 2000 als Hausregisseur in Bochum wirkte. Ursprünglich beabsichtigte Gotscheff, selbst die Inszenierung von „Warten auf Godot“ am Deutschen Theater zu übernehmen, was wegen seiner Krebserkrankung aber nicht mehr zu realisieren war. Deshalb übernahm sein Schüler Panteleev diese Aufgabe und widmete die Produktion dem Verstorbenen.

Mit der schrägen Spielebene und dem Krater in Bühnenmitte ist die Bühne (Mark Lammert) zwar schon rein topographisch ein Ort für Sisyphusarbeiten, Abstürze und elementares Scheitern, doch macht sie auch pompöse Auftritte möglich – so, wenn Wladimir am Kraterrand eine pathetisch aufgeladene Volksrede über das Wertvolle im Warten auf Godot hält, während vor ihm der erblindete Pozzo (Christian Grashoff) dem Krater nicht zu entkommen weiß, um Erbarmen fleht und auf Hilfe wartet. Warten, hier wird es besonders deutlich herausinszeniert, ist in diesem Stück ebenso Metapher vorgeblicher Sinnhaftigkeit wie Synonym für Qualen. Möglicherweise, ist hier und da zu lesen, inspirierte quälendes Warten auf Hilfe den Resistance-Kämpfer Beckett, als er im Krieg an diesem Stück schrieb.

Mit ihren zwei Stunden 15 Minuten beteiligt diese Inszenierung das Publikum durchaus am nervenzehrenden Nichtgeschehen, ohne indes unsinnige Längen zu entwickeln. Auf eine Pause wird verzichtet, allerdings kündet eine (mit technischem Geläut untermalte) Bewegung des Eisernen Vorhangs in der Dunkelheit von der großen Zäsur zwischen (längerem) ersten und zweitem Teil. Gegen eine Pause hätte an der Stelle allerdings nichts gesprochen, das Publikum wäre anschließend bestimmt zurückgekommen. Schon wegen der hervorragenden Darstellerriege.

Nach einem beglückenden „Endspiel“, ebenfalls mit Wolfram Koch, bot auch dieser Beckett bei den Ruhrfestspielen Schauspielertheater auf ganz hohem Niveau. Leider gibt es keine weiteren Termine. Am Samstag, 14. Juni, gehen die Ruhrfestspiele 2014 mit einem Konzert von „Jupiter Jones“ zu Ende.

www.ruhrfestspiele.de