Das Glühen der ganzen Welt – Wuppertaler Kandinsky-Schau für viele Bilder eine Deutschland-Premiere

Von Bernd Berke

Wuppertal. Manchmal fragt man sich, wie die Leiterin Sabine Fehlemann es schafft, im Von der Heydt-Museum beinahe Schlag auf Schlag beachtliche Ausstellungen zu zeigen. Sie selbst hat darauf eine plausible Antwort: Die gut ausgestattete Brennscheidt-Stiftung, die ihrem Haus zuteil wurde, sorgt für komfortable Bedingungen.

Fehlemann: „Der städtische Ausstellungs-Etat ist bei Null angelangt, doch aus den Stiftungsmitteln fließen Jahr für Jahr 250.000 Euro.“ Rundum in der Region dürfte leiser Neid aufkommen, denn mit dem Betrag lässt sich einiges anfangen, was andernorts unmöglich ist.

Neuester Wuppertaler Coup (in Kooperation mit dem Wiener Kunstforum) ist jetzt eine Schau mit Werken von Wassily Kandinsky (1866-1944). Der in Moskau als Sohn eines Teehändlers geborene Künstler, „nebenher“ studierter Jurist, gilt als Pionier der Abstraktion.

Aus Provinzmuseen der früheren Sowjetunion

Über 60 Gemälde, Aquarelle, Holzschnitte und Zeichnungen werden chronologisch präsentiert. Die Exponate stammen vorwiegend aus Provinzmuseen der ehemaligen Sowjetunion (Ekaterinburg, Eriwan, Kasan, Krasnodar, Omsk, Nishni Nowgorod). Etliche Werke waren noch nie in Deutschland zu sehen. Und die kläglich darbenden Institute die fälligen Leihgebühren gewiss gebrauchen.

Das Spektrum beginnt mit Arbeiten um 1900, Landschaften und Stadtansichten zumeist, die noch ganz gegenständlich und recht realistisch erscheinen. Daneben werden Motive aus Märchen, russischer Volkskunst und Volksfrömmigkeit als Inspirationsquellen erkennbar. Sie führten Kandinsky bereits zu einer flächigen, farbbetonten Darstellung.

Der Abschied vom Abbild lag seinerzeit ohnehin „in der Luft“, Doch wohl niemand hat ihn rascher, entschiedener und fiebriger vollzogen als Kandinsky. Um 1908 schwellen die Farbklänge in seinen Bildern machtvoll an. Strahlend gelbe oder lodernd rote Häuser in München bzw. im bayerischen Dörfchen Murnau (wo er mit seiner damaligen Gefährtin Gabriele Münter lebte) setzen fulminante Akkorde. Alsbald ist Kandinsky sozusagen bei einem Glühen der ganzen Welt angekommen. Sommerliche Wiesen etwa wirken wie entflammt.

So und nicht anders hat es wohl werden müssen

In den folgenden Jahren lösen sich solche Farbkompositionen und Improvisationen (bezeichnend, dass man hier gern in musikalischen Begriffen redet) vollends vom Gegenständlichen. Die Genese der Bilder gerät gleichsam zum zweiten, spirituell geleiteten „Schöpfungsakt“, somit zu einer Art Ersatzreligion, die Kandinsky auch in pathetischen Texten zelebrierte. Unvergleichlich jedenfalls seine Art, gänzlich freie und spontane Formfindungen hochkonzentriert auf Papier oder Leinwand zu bannen.

Anhand der „Komposition VII“ lässt sich in Wuppertal der Schaffensprozess nachvollziehen. Vier aufschlussreiche Fotografien (im November 1913 von Gabriele Münter aufgenommen) dokumentieren den rasanten Fortschritt des Bildes, das binnen vier Tagen entstanden ist. Das Gemälde blüht daneben üppig auf, und man ahnt: So und nicht anders hat es wohl werden müssen.

Die Ausstellung setzt im Jahre 1921 den Schlusspunkt. 1922 kehrte Kandinsky, der Deutschland im Ersten Weltkrieg verlassen hatte (und später der Russischen Revolution als Kunst-Experte diente), nach Berlin, Weimar und Dessau zurück. Diese Zeit als Lehrer am ruhmreichen Bauhaus wäre wieder ein ganz anderes Kapitel. Es endete 1933 abrupt, als Kandinsky vor den Nazis nach Frankreich flüchtete.

Wassily Kandinsky: „Der Klang der Farbe (1900-1921). Wuppertal, Von der Heydt-Museum, Turmhof 8. Vom 1. August bis zum 19. September. Katalog 29 Euro.




Heller Aufruhr und mühsame Bändigung – Aquarelle und Zeichnungen von Wassily Kandinsky

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Es beginnt harmlos, mit lieblichen Szenen aus Bibel und Paradies. Bilder mit recht fest umrissenen Linien, starkfarbig, beinahe plakativ. Diese Kunst ist noch befangen in russischer Tradition.

Doch irgendwann geraten die Linien, Formen und Farben in hellen, produktiven Aufruhr. Sie drängen zueinander, ballen sich dynamisch, tragen regelrechte Kämpfe auf der Bildfläche aus. Derlei Explosionen im Bildgefüge, wie sie Wassily Kandinsky (1866-1944) herbeigeführt hat, kann man nun in der Kunstsammlung NRW erleben, wo man sich ganz auf Aquarelle und Zeichnungen konzentriert, rund 180 an der Zahl. Diese freilich sind bei Kandinsky nicht bloßer Gemälde-Ersatz, sondern eigenständiger Bestandteil des Gesamtwerks.

Zwei weitere Vorgaben prägen die Auswahl: Zum einen hat man bewußt auf selten gezeigte Stücke aus Privatsammlungen zurückgegriffen, zum anderen das gegenständliche Frühwerk bis auf wenige Einzelbeispiele beiseite gelassen. Hingegen wird deutlich, daß Kandinsky in seinen spätesten Arbeiten sich wieder mehr ans Erkennbare hielt. Gestützt auf botanische Studien, kommt er hier vor allem auf pflanzliche Formen zurück. Der Weg in die Abstraktion ist umkehrbar.

Höhepunkte der Ausstellung sind die etwa zwischen 1915 und 1935 entstandenen Blätter. Da findet man in der Tat viele Arbeiten, auf denen gleichsam jede Linie auszurufen scheint: „Hier bin ich!“ — wie der auch wort- und schreibversessene Kandinsky es einmal selbst ausgedrückt hat. Die Bildflächen werden hier zu Bezugs- und Ereignis-Feldern, auf denen sich die Elemente eher nach musikalischen Gesetzen bewegen. Gebirgsketten oder Reiterfiguren – häufige Motive bei Kandinsky – wandeln sich zu abstrakten Zeichen, die weitaus mehr bedeuten, als es die Abbildung von Objekten könnte. Man kann in diesen Bildern wunderbar frei „lesen“ – auf und ab, seitwärts, diagonal – und immer wieder wird man, angeleitet von Form- und Farbverläufen, neue Beziehungen finden. Kandinsky war hier, wie er es formuliert hat, unterwegs zum rein „Geistigen in der Kunst“.

Ganz anders die Werke aus den „Bauhaus“-Jahren. Fast scheint es, als habe Kandinsky die zuvor „wildwüchsige“ Bildweit bannen und bändigen wollen. Nun huldigt er einem mehr oder weniger strengen Konstruktivismus, zieht Liniengerüste durch seine Bilder, tariert Farben, Formen und Gewichtungen nahezu mathematisch aus. Interessant wäre in dieser Phase ein Vergleich mit Arbeiten des Bauhaus-Kollegen Paul Klee. Es scheint da tiefgreifende Einflüsse gegeben zu haben, wirken doch manche der Kandinsky-Arbeiten dieser Jahre so, als habe Klee seine Hand im Spiele gehabt.

Allerdings verlegt sich Kandinsky, ebensowenig wie Klee, selten auf pure Geometrie. Schönes Beispiel dafür, wie er Emotionalität mit scheinbar sachlichen Grundformen kollidieren läßt, ist das Bild „Inneres Kochen“ (1925), auf dem blutiges Rot alles Ebenmaß hinwegzufegen droht.

Kandinsky hat nach einem universell verstehbaren „Urvokabular“ der Bildsprache gesucht. Beleg dafür ist u. a. das in 18 Kästchen unterteilte Werk „Kleine Bildchen“ (1927), dessen Felder sowohl an altägyptische Kunst als auch an moderne Piktogramme gemahnen: Das Uralte ist das ganz Neue, und dieses ist immer schon dagewesen.

Im Spätwerk frappiert vor allem die eigentümliche Farbpalette aus schwarzen und kreidigen Tönen, die man vage mit dem Wort „mondsüchtig“ umschreiben könnte.

Kandinsky – „Kleine Freuden“ (Aquarelle und Zeichnungen). Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 10. Mai. Katalog 49 DM.