Gedenktag von großem Gewicht: Im nächsten Jahr werden wir an die 1918 ausgerufene Weimarer Republik erinnert

Gedenktage gibt es ja mittlerweile in Unmengen, und dank Wikipedia kann man sich für jeden Tag des Jahres ein Gedenken aussuchen. Allerdings sind diese Anlässe nicht alle in ihrer Bedeutung gleichwertig, und deshalb ist ihre historische und faktische Einordnung auch die Aufgabe guten Journalismus‘.

Grabmal der beiden 1920 im Kapp-Putsch erschossenen Männer aus Ennepetal. (Foto Pöpsel)

In diesem Jahr sind besonders drei historische Ereignisse hervorzuheben, weil sie nachhaltige Auswirkungen hatten. Das ist zum einen Martin Luthers Anti-Papst-Handlung vor 500 Jahren, die inzwischen fast bis zum Überdruss erörtert wurde.

Das Zweite Ereignis von Bedeutung war vor hundert Jahren, im Sommer 1917, der Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg und damit die Wende zur endgültigen Niederlage der deutschen Reichswehr.

Als Drittes muss man die Oktoberrevolution 1917 in Russland nennen, die letztlich in der mörderischen Stalin-Diktatur endete und in deren Folge später die DDR entstand – ein erst 1989 überwundener undemokratischer Polizeistaat.

Und wo bleibt das Positive? Das kommt bestimmt im nächsten Jahr, denn dann können wir den Beginn der ersten echten Demokratie auf deutschem Boden vor einhundert Jahren feiern, die von den Sozialdemokraten am 9. November 1918 ausgerufene Republik, die später wegen des Tagungsortes des Parlaments „Weimarer Republik“ genannt wurde.

Die SPD bereitet sich auf Bundesebene bereits auf das Jubiläum vor – schließlich spielte sie damals die Hauptrolle, und ihr Vertreter Friedrich Ebert wurde der erste Reichspräsident.

Auch auf regionaler Ebene gibt es historische Forschungen, zum Beispiel über das Wirken der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im Laufe der Novemberrevolution bildeten und die Anfang 1919 gewaltsam ausgeschaltet wurden.

In Großstädten wie Dortmund bestimmten die Räte wochenlang das öffentliche Wirken, in Kleingemeinden findet man nur Randnotizen über ihre Arbeit. Im Protokollbuch der Gemeindevertretung Milspe zum Beispiel, heute Teil der Stadt Ennepetal, gibt es nur einmal eine Eintragung vom 18. November 1918, als neben den Gemeindevertretern auch der spätere Reichstagsabgeordnete Walter Öttinghaus „als Arbeiter- und Soldatenrat“ das Sitzungsprotokoll mit unterschrieb.

Die neue demokratische Republik war natürlich gefährdet, und als im März 1920 mit dem Kapp-Putsch der Angriff von rechts begann, gab es auch im Ruhrgebiet zahlreiche Tote. Zwei junge Männer aus Milspe, Max Fuchs und Artur Klee, wurden bei Kämpfen mit den Putschisten am Bahnhof in Remscheid erschossen. Die Gemeindevertretung ließ sie in einem Ehrengrab bestatten, und als Rechtsnachfolgerin hat sich auch die Stadt Ennepetal zur weiteren Grabpflege verpflichtet – als sichtbares Zeichen für eine Demokratie, die mit der Ausrufung der Republik in Berlin vor beinahe 100 Jahren begann und die mit der NS-Diktatur schon 1933 ihr Ende fand.




Kunst-Marathon in Weimar: Die „documenta“ wirft ihre Dias voraus

Von Bernd Berke

Man kennt das: Bekannte/Verwandte sind herumgereist, und nun wollen sie einem das Resultat zeigen beim ausgedehnten Diaabend. Der Belgier Jan Hoet und sein Team für die nächste Kasseler documenta halten es kaum anders. Von ihren Kunst-Streifzügen durch die fünf Kontinente haben sie abertausende von teilweise amateurhaften Dias mitgebracht. Also luden sie die Presse und den Troß der Getreuen zum bebilderten „Gesprächs-Marathon“ im Vorfeld der Mitte 1992 anstehenden Weltkunstschau. Ort der Kulthandlang: Weimar. Was natürlich eine Geste sein sollte.

Der Begriff „Marathon“ war teilweise wörtlich zu nehmen: Mit kurzen Pausen währten Podiumsrunden und Diaschau zwei Tage und eine ganze Nacht. Unentwegte hielten denn auch nur kurz Schlaf auf Stühlen der Weimarhalle.

Humanistisch gebildete Spötter vermerkten gleich, daß doch im antiken Marathon der Überbinger einer Siegesnachricht tot zusammengebrochen sei. Nun, so schlimm war’s nicht. Doch just an dem Ort, an dem Goethe einst seinen Satz „Bilde Künstler, rede nicht“ geschrieben hatte, wurde schier endlos über Kunst geredet.

Schon die Auftaktrunde (documenta-Macher Hoet, seine Vorgänger Harald Szeemann, Rudi Fuchs, Manfred Schneckenburger) litt unter Mangel an Kontroverse. Kaum Widerspruch von Podium oder Plenum. Da hackte keiner dem andern ein Auge aus. Deutlich wurde bei dem Insider-Gespräch (das für die raren Besucher aus Weimar vermutlich sieben Siegel trug), daß halt jede documenta unter einem anderen historischen Stern steht. Während Szeemann anno 1972 gleichsam noch den Rückenwind der ’68er Revolte hatte, blieben Fuchs und Schneckenburger nur bescheidene Träume. Fuchs präsentierte 1982 die „Wilden“ und führte Europa gegen die damalige Dominanz der US-Kunst ins Feld. Schneckenburger wollte 1977, einer gesellschaftlichen „Abkühlung“ gemäß, wieder Theorie und Ratio ins Spiel der Künste bringen und 1987 die „Brücke zu Architektur und Design schlagen“.

Und nun Jan Hoet. Nur zwischen den Zeilen wird sein Konzept erahnbar. Es geht ihm letztlich wohl darum, die von Werbung und Medien allseits nivellierte Kunst wieder zu entrücken – womöglich gar in eine Art magischen oder geheiligten Bezirk, in dem unmittelbares Gefühl mehr zu suchen hat als wägende Kritik. Allzu deutliche Spuren der Realität in der Kunst schätzt er nicht. Selbige müßten ganz „in der Form aufgehen“, sich vom Erzählenden weit entfernen. In seinen diversen, durch pure Menge ins Beliebige ausgreifenden Diaschauen ließ Hoet außerdem durchblicken, daß er teilweise wieder „von Europa weg“ will. Er möchte z. B. viele Künstler aus Brasilien, Argentinien, Kolumbien oder Indien einladen.

Man muß freilich erleben, wie Hoet über seine Lieblings-Künstler – etwa Mario Merz und Bruce Nauman -spricht. Seine beinahe kindliche Begeisterung ist, allen nebelhaften Formulierungen zum Trotz, ansteckend. Der Mann, da kann man ziemlich sicher sein, wird jedenfalls eine bemerkenswerte Schau ausrichten. Er selbst („Ich denke Tag und Nacht nur noch an die documenta“) gelobte gar eine Auswahl, die „unbelievable (unglaublich) sein werde.

Auf den nicht nur finanziell motivierten Rat von Rudi Fuchs, ausschließlich unbekannte Künstlerin Kassel zu versammeln, mag Hoet nicht hören. Man brauche einige „Große“ und Etablierte – als Stützen und Wegweiser für die Jüngeren. Immerhin hat Hoet bereits 47 documenta-Newcomer benannt.

Wie Staatsgeheimnisse wurden bis kurz vor Schluß der Veranstaltung Namen einiger Künstler gehütet, die 1992 dabei sein werden. Auszug aus der Liste: Reinhard Mucha, Louise Bourgeois, Christa Näher, Jonathan Borofsky, Per Kirkeby, Gerhard Richter, Ellsworth Kelly, Mario Merz, Yannis Kounellis, A. R. Penck, Matt Mullican, Sigmar Polke, Ilja Kabakov, Thomas Schütte. Alles klar? Natürlich nicht. Namen sind höchstens Ansätze zum Konzept. Man wird schauen müssen.