Lange Schatten der Vergangenheit – Das Westfälische Landestheater verhandelt Ferdinand von Schirachs „Fall Collini“

Junger Idealist und alter Hase: Tobias Schwieger (links) als Pflichtverteidiger Caspar Leinen, Burghard Braun (rechts) als abgebrühter Nebenkläger Mattinger. Im Hintergrund schmachtet Collini (Guido Thurk) in seiner Zelle. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Warum hat Collini den Industriellen Hans Meyer erschossen? Dass er es tat, steht außer Frage, doch Collini schweigt. Caspar Leinen, ein ehrgeiziger, junger Anwalt, wird vom Gericht zum Pflichtverteidiger ernannt. „Der Fall Collini“ ist seine erste Mordsache. Ferdinand von Schirachs gleichnamiger Roman lieferte die Vorlage für das Theaterstück, das nun am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel seine Uraufführung erlebte.

Sonderlich originell ist Schirachs Einstieg in die Geschichte sicherlich nicht, viele Krimis, amerikanische zumal, kommen ähnlich daher. Doch geht es dem Autor, der von Beruf Strafverteidiger ist und erst im fortgeschrittenen Alter zum überaus erfolgreichen Literaten wurde, ja nicht nur um Unterhaltung. Nein, von Schirach will auch politisch aufklären. Und deshalb erfährt das Publikum dank fleißiger Recherchen von Rechtsanwalts Leinen im Staatsarchiv bald, dass Collini zum Mörder wurde, weil Hans Meyer seinen Vater 1943, in Italien, als Geisel hinrichten ließ. Eine Klage, die Collini 1968 gegen Meyer erhob, wurde wegen Verjährung abgewiesen. Grundlage dieser Entscheidung war ein Gesetz aus dem selben Jahr, das die Verjährung der Taten der „Helfer“ von Nazi-Mördern regelte. 1968 lebten noch viele von ihnen. So weit, so skandalös.

Gang der Handlung ist nicht völlig überzeugend

Warum aber wartete Collini noch Jahrzehnte, bis er seinen Mord beging? Nun, er wartete, bis ein geliebter Verwandter gestorben war, der Mord, Verhandlung, Haft nicht miterleben sollte. Ein wirklich überzeugender Abschluss ist das eigentlich nicht, immerhin aber sind die juristischen Abhandlungen von Schirachs, die im Roman breiten Raum einnehmen, von Interesse.

Collini schweigt, der Anwalt wartet; Szene mit Tobias Schwieger (links) und Guido Thurk. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Intensive Form

Was nun macht das WLT aus diesem Roman? Auf eine Stunde 45 Minuten ohne Pause hat diese Inszenierung (Karin Eppler) den Stoff eingedampft, was dieser erstaunlich gut überstanden hat.

Nüchtern betrachtet rankt sich die Geschichte um zwei umfangreiche historische Rückblenden: Da ist zum einen die Erinnerung des kleinen Fabrizio Collini an den Überfall deutscher Soldaten auf sein Dorf und die Vergewaltigung seiner Schwester, späterhin an den Bericht über die Erschießung seines Vaters, zum anderen jene an das Gesetz von 1968, das die Taten von Nazi-Befehlsempfängern für verjährt erklärte.

Wenn all dies auf der Bühne zur Sprache kommt, hätte man Vorträge in großer Erregtheit erwarten können, Emotion, Betroffenheit, Fassungslosigkeit. Den ungeheuerlichen Ereignissen, um die es hier geht, wäre das allemal angemessen. Gerade deshalb jedoch erweist sich die sachliche, emotionsarme Darstellung in dieser Inszenierung als die richtige. Gewalttaten und Kriegsverbrechen, so wie sie sich hier darstellen, brauchen keine dramatische Überhöhung, um verstanden zu werden. Im Gegenteil. Die kleine Form gebiert das Grauen.

Der rote Faden verheddert sich

Leider verheddert sich der rote Faden im weiteren Gang der Handlung ein wenig. Wo juristische Sachlichkeit zwingend wäre – es geht immerhin um einen Mord –, findet die Inszenierung Gefallen an der Vorstellung, Collinis Schuld an dem zu messen, was die Nazis ihm und seiner Familie antaten. Das ist ein bisschen leichtfertig, auch wenn die Vorgeschichte bei der Frage nach der Schwere der Schuld gewiss eine Rolle spielt. Collinis Selbstmord setzt dieser thematischen Irritation ein abruptes Ende.

Bemerkenswertes Sound-Design

Das Mobiliar – Stühle, Tische – ist sparsam, dominiert wird die Bühne von einer Art Guckkasten, eine Gefängniszelle wohl, in der Collini sich befindet. Von einer Wanderbühne wie dem WLT sollte mehr Ausstattung auch nicht erwartet werden. Die Oberbekleidung der Damen und Herren (Garderobe: Regine Breitinger) ist weitgehend unspektakulär. Lediglich die Ausstaffierung des Polizisten („Kommissar Balzer“, gespielt von Mario Thomanek) mit Springerstiefeln und altertümlicher Lederjacke, auf der Polizei steht, ist etwas unpassend. Erwähnt werden muss noch das Sound-Design (Ton: Lukas Rohrmoser) das unaufdringlich den Gang der Handlung akzentuiert.

Erfahrene Kräfte

Burghard Braun lässt als Rechtsanwalt Mattinger einmal mehr den in sich ruhenden, unaufgeregt aufspielenden Bühnenprofi erkennen, gleiches lässt sich über Andreas Kunz in der Rolle des Oberstaatsanwalts Reimers sagen; auch Vesna Buljevic als Richterin weiß ihre Rolle mit Ruhe und Konzentration anzulegen, ohne deshalb beliebig zu werden.

Leinen (Tobias Schwieger, links) erläutert Johanna Meyer (Franziska Ferrari) seine Beweggründe. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Zu viel des Guten

Tobias Schwieger jedoch, der hier die Hauptrolle spielt, möchte man nachdrücklich mehr Zurückhaltung empfehlen. Er überspielt den jungen Anwalt, besonders anfangs, so sehr, dass man sich im Kindertheater wähnt (nichts gegen das Kindertheater). Wenn Pathologe Wagenstett (Mike Kühne) detailverliebt die Schussverletzungen Hans Meyers beschreibt, übergibt Caspar Leinen sich mehrere Male kunstvoll, fast schon slapstickhaft. Eine Lachnummer, die allerdings auch den Verdacht nährt, dass dieses aufgekratzte Spiel ein – reichlich unangemessener – Regieeinfall sein könnte.

Auch Franziska Ferrari als empörtem Mitglied des Meyer-Clans wäre Mäßigung anzuraten. Wenn sie allerdings die leicht zwanghafte Frau Dr. Schwan vom Bundesarchiv gibt, die dem Gericht im munteren Expertenton erläutert, wann beispielsweise die Erschießung von Geiseln nach dem Völkerrecht (auch heute noch) erlaubt ist und wann man vielleicht von einem Gesetzesverstoß reden könnte, dann weiß sie wohl zu überzeugen.

Wohltuende Aufgeräumtheit

„Der Fall Collini“ im Westfälischen Landestheater beeindruckt vor allem durch seine dokumentarischen Valeurs, erinnert in seinem Hang zur Belehrung durchaus auch an Fernsehspiele der 60er-Jahre. Die Aufgeräumtheit dieser Inszenierung ist wohltuend, und das Ensemble liefert eine alles in allem überzeugende Arbeit ab. Das Publikum in der voll besetzten Europa-Halle spendete begeisterten Beifall.

  • Weitere Termine:
  • 24.10.2021    Nettetal Haus Seerose
  • 29.10.2021    Marl Theater
  • 30.10.2021   Castrop-Rauxel Studio
  • 2.11.2021    Brilon Kolpinghaus
  • 3.11.2021    Gladbeck Stadthalle
  • 20.11.2021    Sulingen Stadttheater im Gymnasium
  • 3.11.2021    Herne Kulturzentrum
  • 2.12.2021    Rheda-Wiedenbrück Aula des Ratsgymnasiums
  • 12.12.2021    Gifhorn Stadthalle
  • 13.01.2022    Solingen Theater und Konzerthaus
  • 18.03.2022    Bad Oeynhausen Theater im Park
  • 12.05.2022    Bottrop Josef-Albers-Gymnasium

WLT-Kasse: 02305 / 97 80 20.

tickets@westfaelisches-landestheater.de




Beklemmendes Nachdenken: Concerto Köln und Joachim Król zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren

Flotte Märsche klingen durch das Foyer der Philharmonie Essen. Das Concerto Köln intoniert Joseph Haydns „March for the Prince of Wales“, danach zwei Märsche für das Derbyshire Cavalry Regiment und einen „Ungarischen Nationalmarsch“. Fröhliches Dur, die Zuhörer wippen im Takt mit. Man hat viel getan, um den Menschen im 18. Jahrhundert den Krieg schmackhaft zu machen, damals, als in manchen deutschen Territorien junge Männer verkauft wurden, um für andere Potentaten ins Scharmützel zu ziehen.

Joachim Król las in der Philharmonie Essen. Foto: Emanuela Danielewicz

Joachim Król las in der Philharmonie Essen. Foto: Emanuela Danielewicz

Übermütig ging’s auch anno 1914 zu, als die Männer Europas in den Krieg zogen. Sie hielten den Krieg für ein Abenteuer. Den Gesichtern auf den über das Podium projizierten seltenen Farbfotos aus der Sammlung Reinhard Schultz ist es abzulesen. Die schneidigen Burschen in buntem, blinkendem Waffenrock lockten die jungen Frauen. Jaja, der „Zauber der Montur“.

Nichts von all der Kriegsfolklore war wahr. Schon vor 500 Jahren nicht. Auf der Bühne des Großen Saales las Joachim Król, was Erasmus von Rotterdam zum Krieg geschrieben hatte. „Wer ihn erfahren hat, schaudert allein bei der Vorstellung über die Maßen“. Dazu wird das Luftbild Essens in herbstlicher Sonne überblendet vom Blick auf die Ruinenlandschaft 1945. „Über Wunden“ hieß dieses Gedenkkonzert zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Hier waren zunächst nur die Wunden im Stadbild zu erkennen. Dachlose Häuser, hohl wie verfaulte Zähne, klaffende Löcher in Straßenzügen.

Die 90 Minuten Programm – eine Mischung aus Lesung und Konzert – hatten Ilka Seifert und Folkert Uhde zusammengestellt. Die Betroffenheit sollte ein Gesicht bekommen: Verarbeitet wurden nicht nur literarische Texte wie aus dem bekannten Anti-Kriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, sondern vor allem Erinnerungen, die in den Familien der Musikerinnen und Musiker des Concerto Köln weitergegeben wurden. Aus aller Herren Ländern kommen sie, und kaum jemand war nicht vom Schlachten und Morden der beiden Weltkriege betroffen. Manches haben wir Europäer gar nicht im Blick: Etwa die Gräuel im japanisch-chinesischen Krieg, die Vorfahren einer japanischen Musikerin erlitten.

Bombenwetter, Schusslinie und Marschrichtung

Dass es den lustigen Operettenkrieg der Propaganda nie gegeben hat, brachte Król seinen betroffen stillen Zuhörern mit diesen Texten aus Familien-Erinnerungen nahe. Es schnürt die Kehle zu, wenn die Großmutter einer Geigerin einen Brief mit wundervoll liebenden Worten an ihren Mann im Felde richtet. Er hat ihn nie gelesen, denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Das Schreiben kam zurück – ohne Vorwarnung. Mit dem zynisch beschönigenden Vermerk „gefallen für Großdeutschland“.

Bis heute sind die Spuren des „Jahrhunderts der Grausamkeiten“ präsent, zum Beispiel in der Sprache: Wer weiß schon, was er sagt, wenn er von einem „Bombenwetter“ spricht? Nehmen wir einen Politiker „aus der Schusslinie“ oder geben wir die „Marschrichtung“ vor? Wir sind groß geworden mit solchen Begriffen, deren wahre Bedeutung nicht mehr bewusst ist.

Der Abend am Volkstrauertag war eher eine Zeit beklemmenden Nachdenkens als ein Konzert. Die Musik mit dem wie stets untadelig aufspielenden Concerto Köln war ernst und gesammelt: Eine Fantasie Henry Purcells über John Taverners damals beliebtes „In nomine“-Thema, ein kaum bekannter düsterer Triumphmarsch Beethovens zum noch unbekannteren Schauspiel „Tarpeja“, dazu die Stimme Kaiser Wilhelms II. mit der verlogenen Ankündigung des Waffengangs 1914.

Ein tragischer Zug klingt in der Ouvertüre zu Mozarts „La Clemenza di Tito“, und die wundervolle Perfektion der „Jupiter“-Sinfonie KV 551 klingt zu einem solchen Anlass geradezu schmerzend schön. Ob das alles reicht, immer wieder vor dem Verderben des Krieges zu warnen? Man muss es hoffen, auch wenn die lebenden Generationen das Inferno nur aus Games, Hollywood-Filmen und Schwarzweiß-Dokus kennen. Ob wir kapieren, welch unverschämtes Glück wir mit 73 Jahren Frieden haben?




Frühe Salinger-Stories erstmals auf Deutsch – ein schmales Buch von begrenztem Nutzen

Das Sujet seiner Kurzgeschichten in dem schmalen Band „Die jungen Leute“ scheint zunächst einmal wenig auffällig zu sein, handelt es sich doch um kleine Ereignisse und Begegnungen aus dem Alltag. Doch durch seine Erzählkunst gelingt es Jerome David Salinger, den Texten eine besondere Note zu geben.

Zum einen zeichnet sie ein gesellschaftskritischer Blick auf das Leben aus, zum anderen braucht der Autor keine langatmigen Passagen, um die einzelnen Charaktere zu beschreiben. Das erledigen sie selbst durch ihre Sätze, ihre Gesten und den Umgang miteinander. Ob es sich um einen Streit unter Geschwistern handelt oder um eine zufällige Partybekanntschaft, die Ereignisse weisen über sich hinaus und die Figuren lassen erkennen, wie fragwürdig für sie bestimmte Verhaltensformen und Gewohnheiten geworden sind. Das gilt auch für die Szene, in der sich ein Mann von seiner Frau verabschiedet, weil er in den Zweiten Weltkrieg zieht. Seine Bitte, sie möge sich doch ein wenig um die demente Tante kümmern, gerät zu einem grotesken Disput eines Paares, das nicht weiß, ob es sich je wiedersehen wird.

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Die Geschichten von J.D. Salinger stammen aus den 40er Jahren. Damals war der amerikanische Schriftsteller, der vor fünf Jahren starb, noch weit von einem Weltruhm entfernt, den er mit seinem 1951 erschienen Buch „Der Fänger im Roggen“ erlangen sollte. Mit den drei Arbeiten aus seiner frühen Schaffenszeit stellt Salinger aber schon nach Meinung vieler Kritiker sein schriftstellerisches Talent unter Beweis, das er dann in seinem Erfolgsroman formvollendet habe. Inhaltlich lassen sich ohnehin Parallelen ziehen, geht es doch immer um das Lebensgefühl junger Menschen.

In dem Nachwort zu den jetzt erstmals in deutscher Sprache veröffentlichen Arbeiten hebt der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic hervor, dass Salinger den Umbruch gesellschaftlicher Werte in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts widerspiegelt und genau darin auch der literarische Stellenwert des Autors zu sehen sei. Glavinic stellt den amerikanischen Autor in eine Reihe mit Tolstoi, Hamsun und Remarque, die in ihren Werken ebenfalls den jeweiligen gesellschaftlichen Wandel zum Ausdruck gebracht hätten. Mit ein paar Sätzen über das Liebesleben Salingers, einem Blick auf dessen Rückzug aus der Öffentlichkeit und einigen Lebensdaten fällt der biographische Teil aber dann doch sehr kurz aus.

Legt man das schmale Büchlein aus der Hand, bleibt man auf seltsame Weise unschlüssig zurück. Sollte das nun auf Vorgeschmack auf gute literarische Kost gewesen sein, dann fehlt der Hauptgang. Sollte Salingers Werk gewürdigt werden, wäre eine längere Biographie doch sicherlich angemessener gewesen als die wenigen Seiten – mit durchaus wohlmeinenden Worten – von Glavinic. So wirken beide Buchabschnitte unvollendet.

Offensichtlich verhindern, wie aus anderen Quellen als dem vorliegenden Buch hervorgeht, Urheberrechte, dass noch weitere Kurzgeschichten von Salinger erscheinen dürfen. Ein zarter Hinweis hätte sicherlich wertvolle Dienste geleistet, um das Zustandekommen des Buches besser einordnen zu können. Und wenn schon immer wieder auf „Der Fänger im Roggen“ verwiesen wird, hätte der Leser gewiss keine Einwände gehabt, wenn nicht nur die Intention des Buches hingehuscht worden wäre, sondern man auch den Inhalt kurz skizziert hätte. Schließlich schreibt Glavinic selbst, dass sich die Faszination von damals heute nicht mehr unbedingt erschließt.

J.D. Salinger: „Die jungen Leute“. Drei Stories. Piper Verlag, München. Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld. 80 Seiten. 14,99 Euro




Heute vor 75 Jahren: Hitler kündigte den Angriff auf Frankreich und England an

„Mein Entschluss ist unabänderlich. Ich werde Frankreich und England angreifen zum günstigsten und schnellsten Zeitpunkt.“ Mit diesen Worten kündigte Adolf Hitler heute vor 75 Jahren, am 23. November 1939, in einer Ansprache vor den Oberbefehlshabern der Deutschen Wehrmacht den bevorstehenden sogenannten „Westfeldzug“ an. Der später so bezeichnete „Zweite Weltkrieg“ bekam damit eine ganz neue Dimension.

Auch auf der Avenue des Champs-Elysee marschierte ab 1940 die Deutsche Wehrmacht. (Foto von 2014/Hans H. Pöpsel)

Auch auf der Avenue des Champs-Elysee marschierte ab 1940 die Deutsche Wehrmacht. (Foto von 2014/Hans H. Pöpsel)

Hitler begründete den geplanten Überfall mit dem schon im Osten benutzten Argument: „Die steigende Volkszahl erforderte größeren Lebensraum…Hier muss der Kampf einsetzen.“ Bereíts am 1. September 1939 hatte die Wehrmacht Polen überfallen, und deshalb erklärten dessen Schutzmächte Groß-Britannien und Frankreich zwei Tage später dem Deutschen Reich den Krieg. Weil Hitler von der Überlegenheit der Wehrmacht und der deutschen Rüstungsindustrie überzeugt war, schmiedete er nun seine Angriffspläne in Richtung Frankreich.

Am 10. Mai 1940 begann dann der sogenannte Westfeldzug mit dem militärischen Überfall auf Belgien, Luxenburg und die Niederlande und deren Besetzung. Gut drei Wochen später begann am 5. Juni der Angriff auf Frankreich, das tatsächlich dem schnellen Vorrücken der deutschen Truppen wenig Widerstand leisten konnte.

Bereits am 4. Juni besetzte die Wehrmacht Frankreichs Hauptstadt Paris, aus der sich die noch vorhandenen Teile der französische Armee zuvor zurückgezogen hatten. Am 22. Juni 1940 unterzeichneten in Compiegne die Vertreter des französischen Militärs und der Staatsführung das Waffenstillstandsabkommens – im selben Eisenbahnwaggon, in dem 1918 Deutschland hatte kapitulieren müssen. Die Dritte Französische Republik war damit beendet, Marshall Petain verlegte seine Rest-Regierung nach Vichy.

Gut vier Jahre später, Ende Augsut 1944, begann mit der „Operation Overlord“ die Befreiung von Paris, nachdem bereits im Juni alliierte Truppen in der Normandie gelandet und in den Wochen darauf gegen die Hauptstadt vorgerückt waren. Mit einem Generalstreik in der Stadt und Angriffen der Widerstandskämpfer begann die Befreiungsaktion, die nur deshalb ohne große Schäden und Opfer gelang, weil der deutsche Stadtkommandant Dietrich von Choltitz am 25. August gegen den ausdrücklichen Befehl Hitlers kampflos kapitulierte. Der hatte nämlich verlangt, eher ein „Trümmerfeld“ zu hinterlassen als zu kapitulieren.

So also erlangte Frankreich seine Freiheit zurück, Paris war in doppeltem Sinne gerettet, und die Touristen aus aller Welt können sich auch heute noch an den herausragenden Bauwerken in der Stadt an der Seine erfreuen.




Die Kriegsbegeisterung war schnell dahin

In den letzten Tagen wurden wir mit Bildern überschüttet, die der alliierten Landung in der Normandie vor 70 Jahren und damit unserer Befreiung von der NS-Diktatur galten. Darüber ist wieder ein wenig das Gedenken an den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs in den Hintergrund getreten.

Mit Begeisterung waren auch in Deutschland die jungen Männer nach der Mobilmachung Anfang August 1914 in ihre Kasernen eingerückt. Weihnachten wollte man siegreich wieder zu Hause sein.

„Auf zur Visite beim Väterchen Franz in Paris“ malten in Ennepetal junge Soldaten auf ein Schild und stellten sich lächelnd dahinter für den Fotografen auf, doch schon nach wenigen Wochen kamen die ersten Todesnachrichten in der Heimat an, und es wurden immer mehr. Millionen starben schließlich in diesem dreckigen und sinnlosen Krieg, und die weltpolitischen Folgen wirken heute noch nach – sei es auf dem Balkan oder in der Türkei, in Griechenland oder in der Ukraine.




Die Schrecken des „Großen Krieges“

In wenigen Tagen beginnt das neue Jahr: 2014. Es wird uns mit großer Deutlichkeit an ein Ereignis erinnern, das einhundert Jahre zurückliegt und unendliches Leid in viele Familien brachte – der Erste Weltkrieg begann am 1. August 1914.

Ein Zug mit Sioldaten auf dem Weg an die Front im Bahnhof Milspe.<br /><br /><br /><br /><br /><br />
(Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Ein Zug mit Soldaten auf dem Weg an die Front 1914 im Bahnhof von Milspe.
(Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Mit Begeisterung zogen nicht nur in Deutschland die meisten Männer in diese unsinnige Schlacht, doch schon nach wenigen Monaten begann das große, dreckige Sterben und sorgte für Ernüchterung allenthalben. Schon in den ersten Kriegswochen trafen die zuvor kaum bedachten Meldungen über Gefallene in der Heimat ein, denn man hatte sich meist nur einen kurzen Kampf vorgestellt. „Auf zur Visite beim Väterchen Franz“ stand zum Beispiel auf einem Plakat, das junge Soldaten bei der Mobilmachung in Ennepetal vor sich hertrugen.

Unter den armen Menschen, die zuerst ihr Leben lassen mussten, waren auch auf deutscher und österreichischer Seite nicht nur einfache Handwerker und Arbeiter, Anwälte und Bauern, auch das Leben großer Talente ging abrupt zu Ende, zum Beispiel das des Dichters Georg Trakl oder des Malers August Macke.

Macke war mit nur 27 Jahren kurz nach Kriegsbeginn an der Front in Frankreich getötet worden. Seinem Werk widmet das Kunstmuseum Mülheim vom 1. Februar bis zum 27. April 2014 eine Werkschau mit dem Titel „Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies“, die hauptsächlich bestückt wird mit Bildern aus der Sammlung des Mülheimer Nobelpreisträgers Karl Ziegler.

Weil Deutschland der Verlierer des vierjährigen Krieges war, wird sein Beginn hier wohl zurückhaltender begangen werden als in Großbritannien oder Frankreich. Dort sind die Zeitungen jetzt schon voll mit Erinnerungs-Artikeln. In England heißt der Weltkrieg heute noch „The Great War“, und Frankreich hat allein für die Feierlichkeiten mehr als 40 Millionen Euro bereit gestellt.

Die Interpretation von Krieg ist eben immer von der Frage abhängig, wer gewonnen und wer verloren hat, auch wenn die einfachen Soldaten wohl alle verloren haben.




Globus am Abgrund, Rettung naht – Matthias Polityckis Roman „Samarkand Samarkand“

9783455404432Tim Bendzkos Song, wonach er nur noch die Welt retten muss, der könnte auch von Alexander Kaufner stammen.

Im fernen Usbekistan, genauer genommen in der sagenumwobenen Stadt Samarkand soll und will er eine Mission erfüllen, die da lautet: den dritten Weltkrieg zu beenden. Fürwahr, es ist kein angenehmes Leben mehr auf diesem Globus, seitdem sich die Machtverhältnisse einmal mehr verschoben haben. Nach Deutschland, der Heimat des Romanhelden, sind die Russen zurückgekehrt, radikale Muslime kämpfen mit Waffengewalt, aber es gibt noch eine Bundesregierung, wenn auch nicht mehr unter Kanzlerin Merkel. Gemäß dem Satz, dass der Islam zu Deutschland gehört, führt jetzt der Türke Mehmet Yalcin die Regierungsgeschäfte.

Die Art und Weise, wie Kaufner von all den Ereignissen erfährt, versinnbildlicht den Wandel der Welt: Gazprom-TV heißt der Sender, der alle anderen Medien verdrängt hat. Wie nun der Deutsche den blauen Planeten von dem Fluch des Krieges befreien soll, ist schon aberwitzig. Er soll das Grab von Timur, Nachfahre des Mongolenherrschers Dschingis Khan, ausfindig machen. Diesem Ort wird eine magische Kraft zugeschrieben, und zwar eine solche, die in diesen dunklen Zeiten Wunder wirken kann.

Autor Matthias Politycki lässt den Leser teilhaben an einer Expedition durch ein Land, das für Kaufner bei optimistischer Betrachtung eine Menge an Abenteuern bereithält. Schon allein der Name „Samarkand“, wo die Grabesstätte vermutet wird, versprüht einen Zauber, dem sich der ehemalige Gebirgsjäger nicht entziehen kann. Selbst als er feststellen muss, dass es neben dem illustren Samarkand, das seinen festen Platz an der Seidenstraße hatte, noch ein zweites Samarkand existiert, dem eher die Aschenputtelrolle zugedacht ist, lässt er von seinem Plan nicht abhalten. Er will das wahre Grab von Timur finden und das befindet sich nun mal in diesem wenig einladenden Ort.

Die Idee zu dem Buch kam Politycki schon 1987 in den Sinn, als er erstmals in Samarkand zu Gast war. Seinerzeit schien der Mauerfall noch in weiter Ferne zu sein, dafür hatte ihn die Faszination an Ort und Stelle ergriffen. Es sollte rund ein Vierteljahrhundert dauern, bis der Autor sich daran setzte und Kaufner auf Reisen schickte. Zwischenzeitlich kehrte er nach Samarkand zurück, verwarf erste Konzepte für das Buch, um nun eine spannende, mitunter auch sperrige Lektüre vorzulegen.

Befremdlich wird das Buch schon mal an solchen Stellen, in denen Gewaltexzesse beschrieben werden. Das Massaker von Köln, das nahezu alle Karnevalisten dahinrafft, ist wahrlich nichts für schwache Nerven. Wem solche Passagen zu brutal daherkommen, der wird durch die Fantasie des Autors entschädigt. Politycki zeichnet zwar eine düstere Zukunft, die jedoch noch längst nicht das Ende aller Tage sein muss. Wenn eine Zeitangabe aufhorchen lässt, dann ist es das Jahr, in dem der Schriftsteller seine Geschichte beginnen lässt: 2027. Bis dahin sind es gerade mal noch 14 Jahre.

Matthias Politycki: „Samarkand Samarkand“. Hoffmann und Campe, 397 Seiten. 22,99 Euro




Kriegsende an der Ruhr: Bei Hattingen gab es „Friendly Fire“

Immer im Mai wird in Deutschland an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Im Ruhrgebiet erlebten die Menschen diese Befreiung, die es ja objektiv war, in den Wochen von Anfang bis zum 18. April, als die im sogenannten Ruhrkessel eingeschlossenen Soldaten der Wehrmacht kapitulierten. An einige Details dieser Militäraktionen soll hier erinnert werden.

Für die alliierten Truppen bedeutete die Stadtlandschaft Ruhrgebiet eine gefährliche Herausforderung. Deshalb näherten sie sich mit ihren Panzerverbänden von mehreren Seiten. Bereits am 3. März 1945 hatten deutsche Soldaten die Rheinbrücken in Düsseldorf gesprengt, andere Übergänge folgten. Bei Wesel gelang es britischen und amerikanischen Pioniereinheiten am 23. und 24. März, den Rhein zu überqueren. Nacheinander werden die Städte Dorsten, Dülmen und Hamm befreit. Gleichzeitig näherten sich von Süden durch das Sauerland und das Bergische Land Verbände in Richtung Ruhr. Am 2. April hatten sich bei Siegen die von Norden kommende 2. US-Division und die aus Süden kommende 3. Division getroffen, so dass der geplante Kessel großräumig geschlossen und zugezogen werden konnte.

Bis zum 11. April zogen die südlichen Truppen der Alliierten etwa der heutigen B 54 folgend über Olpe, Meinerzhagen und Kierspe Richtung Hagen, Ennepe-Ruhr und Wuppertal. Wenn es Widerstand gab, wurde mit Panzerwaffen zurückgeschossen, so zum Beispiel in Schmallenberg-Oberkirchen oder in Ennepetal-Voerde. Dort hatte eine deutsche Panzerbesatzung einen amerikanischen Panzer in Brand geschossen. Als Folge gingen zahlreiche Häuser im Dorf durch Granatfeuer in Flammen auf. Unna war am 11. April „überrollt“ worden, wie die Menschen es ausdrückten, während Dortmund von der Wehrmacht kampflos geräumt wurde.

Von Osten aus erreichten die alliierten Soldaten Bochum und die Ruhr, während von Süden amerikanische, britische und belgische Einheiten über Schwelm und Sprockhövel Richtung Hattingen vorrückten. Diese erreichten am Abend des 15. April 1945 den Fluss, doch bevor es zur Teilung des Ruhrkessels durch den Zusammenschluss der alliierten Einheiten kam, lieferten sich die befreundeten Truppen noch ein Gefecht – „Friendly Fire“ genannt, weil man sich nicht rechtzeitig erkannte. Diese und andere Details finden sich in den zunächst als geheim eingestuften Tagesberichten der 8. US-Infanterie-Division, die als Kopien im Stadtarchiv Ennepetal liegen.

Drei Tage später, am 18. April, kapitulierte die deutsche Wehrmacht im Ruhrkessel. Etwa 350.000 Offiziere und Soldaten kamen in Kriegsgefangenschaft, die meisten lagerten zeitweise in den Rheinwiesen bei Düsseldorf. Die NS-Gauführung hatte sich kurz vor der Überrollung noch einmal in Hasslinghausen versammelt, dann schlug man sich in Zivil in die Büsche.

Am 25. April trafen in Torgau an der Elbe amerikanische und sowjetische Truppen zusammen, am 8. Mai kapitulierte Deutschland bedingungslos – der Krieg war in Europa beendet, im Fernen Osten dauerte er noch bis zur Kapitulation Japans am 2. September.

Wie die Befreier mit den NS-Funktionären umgingen, soll bei anderer Gelegenheit erzählt werden.