Anbetung und Ausbeutung – der Wald in der Kunst

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Zwischen Anbetung und Ausbeutung – so haben Künstler in den letzten zwei Jahrhunderten Natur gesehen und dargestellt.

Reichliches und hochkarätiges Anschauungsmaterial zur historischen Entwicklung des Naturverständnisses bietet ab heute die Kunstausstellung der Ruhrfestspiele ’84, die als Titel eine ironisch abgekürzte Eichendorff-Zeile trägt: „Wer hat Dich Du schöner Wald…“ „…aufgebaut so hoch da droben“, heißt es bei Eichendorff weiter. Schon das Katalog-Titelblatt (der „Holzfäller“ des jüngst wieder enorm aufgewerteten Schweizers Ferdinand Hodler) läßt ahnen, daß aufbauende Kräfte sich dem Wald nur selten widmeten.

Wohl noch nie hat die Kunsthalle Recklinghausen mit so vielen großen Namen aus der Kunstgeschichte aufwarten können: Cézanne, Corinth. Corot, Courbet, Max Ernst, C.D. Friedrich, Heckel, Klee, Kirchner – und so weiter im Alphabet.

Der Wald in der Kunst seit 1800: Anhand von 188 Leihgaben aus ganz Westeuropa kann man hier verfolgen, wie jede Epoche, jede Stilrichtung dazu ihre eigene, kaum verkennbare Anschauung entwickelt hat. Es beginnt mit Beispielen der Romantik, deren Vertreter den Wald in quasi religiöse Höhen entrückt haben. So bringt etwa Caspar David Friedrich Bäume in unmittelbaren Bildzusammenhang mit einer Kathedrale. Der Verdacht, daß hier etwas „vergoldet“ wurde, was schon verloren zu gehen drohte, ist kaum von der Hand zu weisen.

Im Biedermeier, zum Beispiel bei Spitzweg, dient der Wald vornehmlich als künstlich komponierte Staffage für idyllische Szenen. Übrigens erweist sich gerade Spitzweg, ansonsten Liebkind der Andenkenhändler, mit den in Recklinghausen gezeigten Bildem als Maler von Rang.

Mit der Industrialisierung setzt Stadtflucht auch unter den Malern ein. Der Wald wird aufgesucht als Hort einer – allerdings kaum noch auffindbaren – Einheit zwischen Mensch und Natur. Gleichzeitig werden erste kritische Ansätze sichtbar. Aus expressionistischer Zeit finden sich Belege einer starken antizivilisatorischen Strömung, während in der Neuen Sachlichkeit – Zeichen von Resignation? – Natur und Wald so gut wie gar nicht dargestellt werden.

Vielleicht sollte man aber beim musealen „Waldspaziergang“ durch die Ausstellungsräume gar nicht chronologisch vorgehen, sondern mit der Gegenwartskunst im oberen Stockwerk beginnen, weil sie den eigenen Erfahrungen am nächsten kommt, um sich erst dann in die Historie „zurückzuarbeiten“. Unter den Heutigen fällt besonders Timm Ulrichs auf, der sich dem Thema mit subtilen Gedankenspielen nähert. Beispiel: Auf einer Wippe befinden sich eine dickleibige Kugel und ein winziges (echtes und regelmäßig begossenes) Bäumchen. Würde es wachsen, käme irgendwann die Wippe in Bewegung und die Kugel würde den Baum überrollen. Wachstum als Selbstzerstörung? Ein weites Feld für die Deutungs-Phantasie.

Ganz anders, doch nicht minder eindrucksvoll verfährt Matthias Koeppel, der in altmeisterlicher Manier Zitate aus der Kunstgeschichte verarbeitet. Erst bei näherem Hinsehen bemerkt man die ans Abstruse grenzenden Verformungen der Bäume.

Kunsthalle Recklinghausen: „Wer hat Dich, Du schöner Wald…“ (Ausstellung der Ruhrfestspiele’84). Bis 24. Juni. Katalog 18 DM.