„Geh nicht durchs Gewischte!“ – Torsten Sträters „Heimspiel“ in der großen Westfalenhalle

Mit der weithin berühmten Mütze: Torsten Sträter (Aufnahme vom Januar 2020). (Foto: © Harald Krichel / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Torsten Sträter war spürbar und eingestandenermaßen richtig gerührt, als er jetzt vor Tausenden in der Dortmunder Westfalenhalle 1 (also in der „Großen“) aufgetreten ist. Beim „Heimspiel“ ließ er sich nicht lumpen und stand solo beachtliche zweieinhalb Stunden auf der Bühne, Pause nicht mitgerechnet. Allein das war schon eine reife Leistung.

Die veranstaltungslose Zeit der Pandemie, so bekannte der Comedian, habe ihn in wirkliche Depressionen gestürzt. Und überhaupt: Für den gebürtigen Dortmunder (Jahrgang 1966, aufgewachsen im stark vom Bergbau geprägten Ortsteil Eving) war gerade dieser Abend etwas Besonderes. In jungen Jahren sei ihm Dortmund immer wie die „große weite Welt“ erschienen, auch heute hänge er an dieser Stadt. Ja, hömma!

Der Titel des Programms („Schnee, der auf Ceran fällt“) tat nicht viel zur Sache, Sträter hatte ihn des geschmeidigen Klangs wegen gewählt. Ansonsten war von Schnee und Ceran keine Rede.

Aus zahlreichen Fernsehauftritten kennt man ihn mit der typischen Wollmütze. Diesmal legte er sie zu fortgeschrittener Stunde ab und offenbarte damit sein „eigentliches“ Aussehen. Dazu nur dies: Er kann sich durchaus auch ohne Mütze blicken lassen. Trotzdem würde man sein Markenzeichen auf Dauer vermissen. Ein Herbert Knebel geht ja auch nicht ohne Kappe auf die Bühne.

Torsten Sträter begann nicht um Punkt 20 Uhr, sondern etwas später. Dennoch sickerten immer und immer wieder noch zahlreiche Nachzügler (gegendert: Nachzügelnde???) in die Halle, als das Programm schon längst lief. Sträter begrüßte sie allesamt einzeln oder grüppchenweise, äußerte einerseits Verständnis (wg. langwieriger Parkplatzsuche), hatte aber auch einige Anmeier-Sprüche parat. Was tun Spaßmacher nicht für einen Gag! Aber nichts ist bös gemeint. Echt nicht.

Der Meister der Abschweifung kam mal wieder verbal von Hölzchen auf Stöckchen. Bemerkenswert: Es gibt beileibe nicht viele Comedians, die auf der Bühne erwähnen, wie ihr Vater sie einst verdroschen hat. Auch Sträters heute 19jähriger Sohn („Der ist viel schlauer als ich“) kam vor, beispielsweise mit genüsslich zitierten Äußerungen wie: „Ich hab‘ gottlos Bock auf Pommes.“ Solche Wendungen muss man sich merken.

Worum ging’s noch? Um alles oder nichts – in bunter, kaum vorhersehbarer Reihenfolge. Zum Exempel um hassenswerte Nahrung (Kürbis, Knäcke, Spekulatius) oder einen Tesla, den Sträter als Leihwagen fahren durfte. Gewiss, das Spaltmaß beim Tesla ähnele dem eines chinesischen Hochzeitsschranks. Doch das hochtechnisierte Modell zeige so viel auf dem Riesendisplay, dass man gar nicht mehr zum Fenster rausschauen müsse; eine veritable Vergünstigung, wenn man etwa durch Bottrop fahre… Überdies zeichne der Tesla mit seinen Kameras rundum fast alles auf, z. B. wenn „sein“ Fahrer mal ans Raststätten-Gebüsch pieseln geht, um die elende Sanifair-Gebühr nicht bezahlen zu müssen.

In einer der stärksten Passagen grub Sträter familiäre Redensarten von früher aus – von der 20-Watt-Funzel, die stets geradezu ehrfürchtig die „groooße Lampe“ genannt wurde, bis hin zur dringlichen Aufforderung an Putztagen: „Geh nicht durchs Gewischte!“ Zugegeben: Schriftlich kommt das gar nicht so eminent rüber, doch w i e Sträter das live vorbringt, ist wirklich zum Gackern.

Sträter kann sehr kalauerhaft und albern zum Wortwerk gehen, er ist aber auch durchaus nachdenklich und reflektiert. Eine gute Mischung. Da lässt sich auch darüber hinwegsehen, dass eines seiner gar zu häufig eingestreuten Lieblingsworte „Pimmel“ lautet. Und wenn man mit teils trivialen Kinofilmen nicht so vertraut ist wie er, versteht man auch die eine oder andere Anspielung nicht so gut. Aber dennoch hat sich Bolle (und nicht nur er) ganz prächtig amüsiert.

Am Samstag, 12. November, gastiert Torsten Sträter in Duisburg (Mercator-Halle im CityPalais), am 14. 11. in der Stadthalle Neuss und am 15.11. in der Essener Lichtburg. Danach geht’s kreuz und quer durch die Republik.  Für die NRW-Termine gilt: Alles um 20 Uhr, jeweils nur noch vereinzelte Restkarten oder schon ausverkauft (mit vager Hoffnung auf zurückgegebene Tickets).




Wie eine gute alte Freundin – Die Westfalenhalle wird 70 Jahre alt

Unverkennbare, verheißungsvolle Silhouette: die spätabendliche Westfalenhalle, aufgenommen am 15. März 2008. (Foto: Bernd Berke)

Es mag seltsam anmuten, wenn man dies über ein öffentliches Gebäude sagt, aber es stimmt: Die Westfalenhalle ist mir – wenigstens ein paar Jahrzehnte lang, immer mal wieder – wie eine gute Freundin erschienen und ans Herz gewachsen.

Vor 70 Jahren, am 2. Februar 1952, ist der imposante Rundbau (der ab 1925 schon einen eleganten, im Zweiten Weltkrieg zerstörten Vorläufer hatte) mit einigem Pomp nach Maß der frühen Nachkriegszeit eröffnet worden, der damalige Bundespräsident Theodor Heuss war selbstverständlich Ehrengast. Wie man nachlesen kann, hat es am allerersten Abend jedoch reichlich chaotisch begonnen, weil die Kartenaufdrucke nicht mit der Bestuhlung übereinstimmten.

Zum Beispiel… Santana. Man beachte die günstig erscheinenden Eintrittspreise. Doch damals war das nicht wenig Geld.

Seinerzeit galt die Westfalenhalle 1 mit ihrem damaligen Fassungsvermögen von bis zu 16.000 Leuten (wenn nur ein Boxring in der Mitte stand) als größte Sporthalle Europas. 2017, zum 65. Jubiläum der Halle, zitierte der WDR rückblickend die historisch-euphorische Stimme des Chefredakteurs von „Les Sports“ in Brüssel, der zur Eröffnung wie folgt in die Harfe griff: „Neben diesem fabelhaften Bauwerk“ habe „Köln eine Fabrik, Brüssel eine Garage und Paris eine Bahnhofshalle.“

Abermillionen Menschen haben hier Gipfelmomente des Show-Gewerbes erlebt. Um mal nur von Rock und Pop zu sprechen: Ich selbst habe hier zwar z. B. die Stones und Pink Floyd versäumt (und jeweils anderswo nachgeholt), aber beispielsweise Muddy Waters, Bob Dylan, Neil Young, Leonard Cohen, die Kinks, Santana oder auch Frank Sinatra in der Westfalenhalle gesehen und gehört. Es waren unvergessliche Abende, von denen man eben gern die Eintrittskarten aufhebt; jetzt mal abgesehen von weniger legendären Events wie etwa den Konzerten mit Eric Clapton, Mark Knopfler, Ideal oder den Toten Hosen (not my cup of tea).

Zum Beispiel… Bob Dylan. Damals gastierte er zusammen mit Tom Petty & The Heartbreakers.

Etliche Weltmeisterschaften (u.a. Eiskunstlauf, Eishockey, Handball, Tischtennis) kamen ebenso hinzu wie große Boxkämpfe, die alljährlichen Sechstagerennen sowie zahllose Fernsehshows und Messen, die immerhin ansatzweise internationales Flair nach Dortmund brachten. Auf unserem Schulweg kamen wir einige Jahre an der Halle vorbei und fanden zur Brauereimesse ringsum verstreute Bierdeckel sowie Kronkorken aus aller Welt. In unseren Taschen trugen wir sie nach Hause, aus purer Sammellust. Auch so eine Erinnerung. Nebensächlich und doch einprägsam.

Die goldenen Zeiten der großen Westfalenhalle sind leider vorüber, seit in Köln, Düsseldorf und Oberhausen ähnlich große, modernere Arenen entstanden sind, die mir allerdings bei weitem nicht so beseelt zu sein scheinen wie die Dortmunder Halle, in der so viele Größen gastiert haben. Es ist, als wäre von ihnen allen etwas geblieben, als würde da noch etwas Unnennbares im Raum schweben. Doch ach! Betrüblich, dass dieser genius loci nicht mehr waltet, sondern allenfalls noch in flüchtigen Spurenelementen vorhanden ist.

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Um das Ereignis chronologisch zu flankieren:

2. Februar 1952 Eröffnung der Westfalenhalle
6. Februar 1952 Elizabeth II. Königin – nach Tod ihres Vaters George VI.
7. Februar 1952 Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ erscheint.




Der massenkompatible Krach der Republik: „Die Toten Hosen“ in Dortmund

Man soll seine Rituale ja pflegen. Zumal in der Weihnachtszeit. Wie es sich für eine anständige Familie gehört, geht man Weihnachten zusammen in ein Konzert. Gut, wenn die Herren Söhne so groß und mit vernünftigen musikalischen Vorlieben ausgestattet sind, so dass man den Ballast der Weihnachtsgans beim Krach der Republik mit den Toten Hosen (kurz DTH) wegschwitzen kann.

die toten Hosen in Dortmund, 27.12.12

Los ging es mit der bewährten Vorgruppe, den „Broilers“ aus Düsseldorf und der Frage Tanzt Du noch einmal mit mir? Das machen DTH-Fans mit dieser Band besonders gerne. Sie ließen sich mitnehmen auf dem harten Weg zurück zum Beton. Sänger Sammy Amara machte direkt klar: Nicht nur die Erwartungshaltung des Publikums an diesem Abend war eine hohe, sondern auch die der Künstler. Schließlich war das Konzert am 27.12.12 eins der Konzerte, die schon zwei Wochen vor dem offiziellen Vorverkauf über die Fanseite (aus)verkauft wurden, so dass davon ausgegangen wurde, dass sich an diesem Abend eine eingefleischte, langjährige Fangemeinde treffen würde. Der irrsinnige Erfolg des Gassenhauers An Tagen wie diesen – das Stück, welches es fast nicht aufs Album geschafft hätte – zog an anderen Abenden wohl reichlichst Leute an, die sich vorher und auch jetzt nicht ernsthaft mit dem Phänomen dieser Band beschäftigt hatten.

Die Toten Hosen haben ein unglaubliches Jahr hinter sich. Ihr Album Ballast der Republik stand wochenlang auf Platz 1 und auch im Jahreschart halten sie die Spitzenposition. Da kann man es nur mit Udo Lindenberg sagen „Hinterm Lebenswerk geht’s weiter„! 30 Jahre Tote Hosen und so erfolgreich, aber auch so massenkompatibel wie nie. Punk war nicht nur gestern, sondern schon vorgestern. Schon lange sind die Hosen mehr eine Rock- denn eine Punkband. Klarer, geradliniger Rock. Texte, die zum Nachdenken anregen.

Es ist schon länger zu beobachten, dass die Fangemeinde der Toten Hosen beständig wächst. Die alten, langjährigen Fans (so wie ich) halten der Band die Treue und erkennen erleichtert an, dass sie sich musikalisch weiter entwickelt und man auch die neuen Stücke sehr schnell mag. Die neuen Fans (so wie meine Söhne) finden gerade in den Texten Fragen wieder, die sie bewegen und manchmal sogar Antworten darauf. Was natürlich die Gefahr birgt, dass auch die Hosen-Konzerte, wenngleich schon seit sehr langem in großen Hallen, von der Wohnzimmertour mal abgesehen, massenkompatibler werden.

Nun, am Tag nach Weihnachten war alles, wie es immer ist, wenn die Toten Hosen um diese Jahreszeit ein Konzert geben. Wenn man davon absieht, dass es nach „You’ll never walk alone“ tatsächlich noch einen Zugabenblock gab. Auf nichts kann man sich mehr verlassen.

Dass die Akustik in der Westfalenhalle nicht die Beste ist, weiß man vorher. Dass die Toten Hosen nicht gerade die begnadetesten Musiker sind, weiß man auch. (Immerhin, das erspart einem wenigstens die Endlos-Soli, mit denen von ihrer eigenen Genialität hingerissene Musiker gerne auf anderen Konzerten nerven.) Darum geht es dem DTH-Fan nicht, ging es nie. Es ging immer um Gemeinschaft, um über die Jahre hinweg eingeübte Rituale wie das unvermeidliche Stage Diving des Frontmannes, um Ansagen und gemeinsam bekräftigte Aussagen wie „Nazis raus“. Weil sie eben Freunde sind, ein bißchen auch unsere.

Die Toten Hosen haben nach über 30 Jahren ein riesiges Repertoire und können bei der Songauswahl aus dem Vollen schöpfen. Setlist-Studien der anderen Konzerte nutzen nichts, jedes Konzert ist eine neue Wundertüte. Man weiß nie, was man auf die Ohren kriegt. Für mich hätten es diesmal noch gerne mehr Stücke aus dem neuen Album sein dürfen. Der Ballast der Republik ist neben den ausgekoppelten Singles ein absolut hörenswertes Album, welches sich wirklich mit dem beschäftigt, was dieses Land an Ballast mit sich rumschleppt.

Im Konzert ist das allerdings nicht so gefragt. Die Erwartungshaltung des Publikums ist klar eine andere, zumal um die Jahreszeit. Party will man feiern, Gassenhauer will man gröhlen. Enttäuscht wurde die Konzertgemeinde nicht. Campino und seine Mannen wissen, was ihr Publikum will und sie lassen sich nicht lumpen. Ein illusorisches Feuerwerk zu Tagen wie diesen, Alex, Wünsch Dir was, die Opel Gang. Das Bayern-Lied mit ironischer Ansage ist natürlich gerade in Dortmund der Brüller. Die Stimmung bis zum Schluss euphorisch, Pogen bis beinahe der Arzt kommt, aber durch besonnene Security und wohlgesetzte Breaks bleibt alles im Rahmen.

Westfalen 27.12.12, Campino mittendrin Die ruhigeren Stücke sind auf ein Minium reduziert. Dafür singt Campino draußen vor der Tür mittendrin in der Menge. So wird er bei diesem Lied, welches für ihn eine späte Aussöhnung mit seinem Vater ist, von der Menge nicht nur bildlich getragen.

Was natürlich kurz vor Jahresende bei einem Hosen Konzert auch nie fehlen darf: Auld lang syne in der rockigen Version. Sehr speziell, aber sehr beliebt bei den Fans.

Zwei Stücke vom Jubiläumsalbum „Die Geister, die wir riefen“ schafften es auch auf die große Bühne . Auf diesem Album coverten die Toten Hosen Stücke von musikalischen Weggefährten. Live gab es mit Heute hier, morgen dort den Tribute to Hannes Wader und den Schrei nach Liebe, angekündigt als ein Stück einer jungen aufstrebenden Berliner Band, verbunden mit der Bitte, dem Stück eine Chance zu geben. Unschwer zu erraten, wie die Antwort der Ärzte auf diese Ansage lauten dürfte.

In diesem Sinne: Irgendwann wird sie kommen. Die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft.




Das Ruhrgebiet war gegen Nazis nicht immun: Schon 1932 füllte Hitler die Westfalenhalle

Die Neonazis beunruhigen Dortmund – zu Recht. Ein kleiner historischer Abstecher zeigt nämlich, dass das Ruhrgebiet keineswegs immun war gegen die Nazis um Hitler.

Die alte Westfalenhalle (Foto: Stadtárchiv Dortmund)

Vor gut 85 Jahren, Mitte Juni 1926, kam der Anführer der Nationalsozialisten zum ersten Mal ins Ruhrgebiet. Wegen seiner persönlichen Kontakte zu den Hattinger „Parteigenossen“ begann Hitler seine Rundreise in der Stadt Hattingen. Im Lokal „Märker“ traf er sich mit den örtlichen NSDAP-Mitgliedern, und auf der Treppe vor dem Lokal entstand ein Erinnerungsfoto, auf dem zum ersten Mal auch die Mädchengruppe der NSDAP Hattingen zu sehen ist. Anschließend fuhr Hitler weiter nach Bochum, Elberfeld und Essen, wo er jeweils vor großen Versammlungen seine umjubelten Reden hielt. Die Polizei hatte darauf bestanden, dass diese Kundgebungen als „Mitgliederversammlungen“ aufgezogen wurden, was den Ortsgruppen natürlich entgegen kam. An den Eingängen mussten die Zuhörer Personalausweis, den Partei-Mitgliedsausweis und eine Einlasskarte vorzeigen, und dennoch waren die Versammlungen überfüllt. Wer noch nicht Mitglied war, wurde gleich an der Kasse aufgenommen. Allein für Bochum schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl im Evangelischen Gemeindehaus auf etwa 1000.

Im März 1932 war Hitler wieder einmal im Ruhrgebiet, und diesmal sprach er in der Westfalenhalle vor mehr als 18.000 begeisterten Anhängern. Es ging um die Reichspräsidentenwahl, in der Hitler später gegen den Amtsinhaber unterlag.

Bei den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932 erhielt die NSDAP entgegen ihren Erwartungen „nur“ 33,1 Prozent der Stimmen. Sie verlor reichsweit 34 Mandate, allerdings lagen die Verluste der Nazis im Ruhrgebiet unter dem Reichsdurchschnitt. Es gibt also im Revier keinen Grund, von einer besonderen Resistenz auszugehen.




Das Wahre ist einfach – Eric Clapton gastierte in der ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Oft ist das Einfache wirklich das Wahre: Ein Mann, eine Gitarre, ein Song. Das genügt. Als Eric Clapton im Mittelteil seines Dortmunder Konzerts solo auf der Bühne sitzt und auf der Akustik-Gitarre einen klaftertief geerdeten Blues anstimmt, sind die Menschen im ausverkauften Rund der Westfalenhalle 1 spürbar ergriffen.

„Verweile doch, du bist so schön“, möchte man mit Goethes „Faust“ zu solchen Augenblicken sagen. Allerdings mag man nicht alle Momente derart innig ins Herz schließen. Sicher: „Slowhand“ Clapton steht eine exzellente Begleitband zur Seite, zeitweise sind – er selbst eingerechnet – vier Gitarristen, zwei Keyboarder, dreiköpfiger Damenchor und Drummer gleichzeitig im Einsatz. Doch eben deshalb klingen manche Kompositionen eine Spur zu pompös.

Wunderbar sanft schwingen sie anfangs ein, doch jeweils gegen Schluß versteigt sich mancher Titel in nahezu symphonische Aufgipfelungen. Eine gewisse Pein für Blues- und Rock-Puristen.

Doch dieser kleine Einwand schmälert Claptons formidable Leistung kaum. Sobald er zu seinen unvergleichlichen Soli ansetzt, ist man eh hin und weg. Wo andere Gitarristen um halb so komplizierte Läufe ihr Macho-Gehampel veranstalten und schmerzhaft das Gesicht verzerren, steht Clapton just entspannt da und spielt das Ding einfach herunter. Fast unglaublich.

Der Sound ist diesmal perfekt abgemischt

Mit den zwei neueren Titeln „My Father’s Eyes“ und „Pilgrim“ steigt er ein und hat das Publikum (auch ohne animierende Ansagen) ziemlich schnell im Griff. Obgleich ein Weltstar wie nur wenige, vermeidet er alle Starallüren. Sein Auftritt beginnt pünktlich, kann sich gut zwei Stunden lang ohne Pause entfalten und bleibt stets unprätentiös. Hier muß nichts künstlich aufgemotzt werden.

Mehr noch: Claptons menschlich-musikalischer Kontakt zur Band „stimmt“ aufs Haar, man merkt das an Blicken und Gesten. Und auch der Draht zum Toningenieur muß bestens sein, denn der Sound ist so perfekt abgemischt, daß man jeden einzelnen Ton glasklar vernimmt. Vor ein paar Jahren, als Clapton zuletzt hier gastierte, war das noch anders. Da wurde gelegentlich wild übersteuert.

Der Ablauf ist dramaturgisch durchdacht und wohldosiert. Zwischendurch gönnt uns Clapton immer wieder seine Hits: „Layla“, „Tears in Heaven“, „Cocaine“, „Crossroads“ (aus uralten „Cream“-Zeiten). Und bei „Wonderful Tonight“ schmelzen die letzten Bedenken gegen etwaige Gefühlsduseleien dahin. Da denkt man eben innig ans Liebste und schweigt fein still. Nein, die Halle hat diesmal nicht „gekocht“, wie es bei heftigen Tanzorgien manchmal heißt. Aber sie hat sozusagen sanft geglüht. Das ist mehr.

Und Claptons Singstimme? Die ist nun mal kein genuines Blues-Organ, doch er hat auch hier das Optimum aus seiner Begabung herausgeholt. Hin und wieder klingt er nun wirklich „schwarz“. So soll es sein.




Schlachtrufe gegen den grauen Alltag – „Die Toten Hosen“ in der Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Nebenan in der kleinen Halle 2 mühten sich die Grufties von „Black Sabbath“ um Hardrock-Stimmungsmache. Damit gab’s in der ausverkauften großen Arena gar keine Probleme. Denn dort spielten zeitgleich „Die Toten Hosen“. Wer neulich gedacht hatte, Herbert Grönemeyer habe das Dortmunder Publikum schon auf höchste Touren gebracht, der hatte nur die furiose Düsseldorfer Radau-Band noch nicht erlebt.

Die meisten „Hosen“-Titel haben kaum widerstehliche Refrains, so recht zum Mitgrölen. Ganz gleich, ob es um fröhliches Drauflosleben, Radikal-Klamauk oder um Warnungen vor Neonazis geht, es sind fast immer Schlachtruf-Gesänge, eingängige Mutmacher wie „Komm mit uns“ oder „Wir sind bereit“.

Die Bewegungen im Publikum gleichen denen in der Südkurve von Borussia Dortmund. Mit stoßweise gereckten Fäusten werden die lustvollen Remmidemmi-Hymnen begleitet. Noch ’ne Parallele zum BVB: Schon lange vor dem Konzert ist rund um die Halle alles mit Bierdosen und Flaschen übersät. Die hochgeistigen „Hosen“ feiern ja auch diverse Getränke – mit Gassenhauern wie „Eisgekühlter Bommerlunder“ und „Altbier“.

Wer Alben und Songs mit lockenden Titeln wie „Kauf mich!“, „Reich & Sexy“ oder „Wünsch DIR was“ versieht, zielt ins Herz der Leute, die mit Fernsehen und Werbung aufgewachsen sind. Unterlegt mit angepunktem Hardrock, ist das eine unschlagbare Mixtur fürs Massenvergnügen. Zumal, wenn das Ganze noch ein wenig parodierend aufgemischt wird. Besonders gut funktioniert das. wenn Klassiker wie „Azzuro“ oder „Guantanamera“ verrockt werden.

Allein schon die physische Leistung…

Wenn der Bühnenvorhang aufgeht, hängen einige Skelette überlebensgroß von der Decke herab. Dazu paßt eines der Highlights, die kleine Horrorshow von „Hier kommt Axel“. Sänger Campino & Co. starten ihren Dortmunder Auftritt aber gleich ganz steil mit „Wünsch DIR was“.

Allein die physische Leistung ist erstaunlich. Gegen neun Uhr geht’s (nach der Allerwelts-Vorgruppe „Jingo de Lunch“) los – und es dauert mit vielen Zugaben bis weit nach elf. Über die volle Distanz toben die „Toten Hosen“ herum wie Springteufel. Auch die Gitarrencrew (Breite Breitkopf, Kuddel) und Bassist Andi Meurer sausen ständig die Podeste rauf und runter. Gegen Schluß taucht die Band (bis auf Drummer Wölli Münchhausen) gar plötzlich auf einem der obersten Ränge auf, mitten im Publikum. Fast zwangsläufig bei derlei Bühnensport, daß die Leute zwischendurch zwei- bis dreimal ganz leicht aus dem rhythmischen Tritt kommen. Was soll’s.

Neben der parodistischen haben die „Toten Hosen“ auch eine pädagogische Ader. Nach dem Lied „Sascha…ein aufrechter Deutscher“ kommt aus dem Hallenrund der vielstimmige Ruf „Nazis ‚raus“. Campino prompt: „Das war die beste Stelle des Abends, und sie kam von euch“. Doch er verfügt auch über die nötige Frechheit, um sich über Konkurrenten wie Grönemeyer lustig zu machen. Jemand, bei dem das Publikum so mächtig mitgeht, darf sogar das.

 




Und da singen alle: „Gib mir mein Herz zurück…“ – Herbert Grönemeyer in der Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Der Mann muß sein Dortmunder Publikum gar nicht erst erobern, er „hat’s“ vom ersten Moment an. Für Herbert Grönemeyer sind Konzerte im Ruhrgebiet Heimspiele. die er notfalls mit gebremster Kraft gewinnen könnte. Doch in der ausverkauften Westfalenhalle macht er keine halben Sachen.

Kaum hat er mit seiner Band zwei, drei Lieder gespielt, sind die Zuschauer schon mit Leib und Seele dabei. Wo andere Stars eine gewisse An- und Aufwärmphase brauchen, schafft’s Grönemeyer ohne Vorgruppe und gleichsam aus dem Stand. Ein Phänomen. Dabei steigt er in der Dortmunder Arena, „diesem Riesenteil“ (Grönemeyer) gar nicht mal mit seinen allseits bekannten Hits ein, sondern mit neueren Stücken wie „Fisch im Netz“ oder „Grönland“, einem Song, der dafür wirbt, die Ostdeutschen wenn schon nicht zu lieben, so doch wenigstens zu respektieren.

Mehr als nur ein „singender Flugblattverteiler“

Auch wenn er die Rechtsradikalen zur Hölle wünscht oder den ganzen deutschen Spuk am liebsten zertanzen möchte, ist er mehr als nur ein „singender Flugblattverteiler“. Mit derlei Botschaften erzielt er vermutlich mehr Wirkung als alle Politiker zusammen, denn sie sind in mitreißenden, strikt gitarrenorientierten „Geradeaus-Rock“ verpackt. Es ist dies eine unsterbliche Variante der Popmusik, allen ehrgeizigen Experimenten und Auswüchsen zum Trotz.

Grönemeyers Band besteht zwar nicht aus Genies, jedoch aus exzellenten Fachkräften, die sich mit fadem Mainstream nicht zufrieden geben und trotzdem eingängig bleiben. Zudem ist „Herbie“ im Live-Konzert noch besser als auf Platten. Man fragt sich erstaunt, woher er seine immense Wirkung nimmt. Er hat ja kein besonderes Outfit und will auch nicht mit Ausstattungs-Exzessen, eitlem Stargehabe oder Bühnen-Akrobatik imponieren. Alles hat Normalmaß. Vielleicht liegt’s gerade daran: daß er keinerlei Umwege nimmt, nichts vorgaukelt, gleich ganz da ist. Und natürlich kann er auch etwas: Mit seiner kehligen Stimme treibt er. die schnelleren Titel energisch voran und verleiht den Balladen, bei denen er allein am Piano sitzt, den nötigen Schmelz.

Der nötige Schuß Sentimentalität

Grönemeyer wird nie wirklich kitschig. Aber er verwendet doch jene Bruchteile von Sentimentalität, die nun mal dazu gehören, um aus einer bloßen „Nummer“ ein richtiges Lied zu machen. Man ist tatsächlich ergriffen, wenn er seine Liebes-Erlärungen („Laß mich nicht mehr los“) oder auch seine Beziehungs-Widerrufe („Kein Verlust“, „Ich geb‘ ; nichts mehr“) vorträgt. Da kreisen und kribbeln wohl tatsächlich jene kleinen „Flugzeuge im Bauch“.

Als eine Art Medley kommen in der Mitte des gut zweistündigen Konzerts die Ohrwürmer wie „Männer“ und natürlich das Lied über sein geliebtes Bochum. Spätestens jetzt spielt es gar keine Rolle mehr, daß man manchmal nur Textfetzen versteht. Die Fans können eh alles auswendig mitsingen; dann und wann überläßt Grönemeyer ihnen für ein paar Zeilen ganz seinen Part. „Gib mir mein Herz zurück“, singen Tausende mit. Jaja, die alten Liebes-Wunden, die jede(r) mit sich herumträgt. Hier finden sie Ausdruck.

Überhaupt, das Publikum: Grönemeyer, der auch schon mal ein Bad in der Menge nimmt, scheint selbst überwältigt von dieser Begeisterung, die sich in allen möglichen Formen äußert: vom dröhnenden Sport-Schlachtruf „Jetzt geht’s los“ bis zur fröhlichen Menschen-Welle „la ola“, vom Wunderkerzenglanz bis zum tosenden Trampeln. Man muß das erlebt haben…

 




Frank Sinatra: Hymnen aus dem Herzen von Amerika

Von Bernd Berke

Dortmund. Seine Stimme ist etwas brüchig geworden. Doch er hat’s noch: Feeling für den Swing. Ausstrahlung. Draht zum Publikum. Frank Sinatra gab in der nicht ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle ein bewegendes Konzert zum Auftakt seiner wohl letzten Deutschland-Tournee.

Wer die Halle sonst eher durch Rockkonzerte kennt, sieht es mit Staunen: Die Seitenwandungen sind mit weißem Tuch verhüllt, die Ordnungskräfte bleiben so gut wie unsichtbar. Tumulte muß bei dieser Gala niemand fürchten. Die Leute (von 20 bis 70, mit Schwerpunkt bei mittleren Semestern) haben sich extra fein gemacht und benehmen sich respektvoll, wie es einem älteren Herrn gebührt.

Wer aber hat nur vorher das häßliche Gerücht aufgebracht, der 77 jährige Sinatra werde gleichsam auf die Bühne getragen und dann am Barhocker festgeschnallt? Nichts da! Er bestreitet fast seinen gesamten 75-Minuten-Auftritt im Stehen. Hilfe nimmt er nur für sein Gedächtnis in Anspruch. Wer will es ihm ankreiden? Auf Bildschirmen laufen die Texte in großer Schrift mit. Auch ist Sinatra schon mal der Name eines Komponisten oder Arrangeurs entfallen. Da hilft der Chef der Big Band – niemand anderes als Sohn Frank Sinatra junior – gerne mit Zurufen aus.

Noch einmal „Strangers in the Night“

Doch wie „Frankie-Boy“ seine immer noch virile Stimme einsetzt, wie er mit sparsamen Gesten gewisse Zeilen unterstreicht und in der Riesenhalle intime Nachtbar-Atmosphäre aufkommen läßt, das macht ihm so keiner nach.

Natürlich singt er seine Millionenseller, allen voran die ganz großen Drei: „Strangers in the Night“, „New York“ und, als Schlußtitel, „My Way“. Jeder Song eine Hymne für sich. Amerika pur, unverdünnter Whisky, reine Goldnuggets. Bei „Mack the Knife“ (Mackie Messer) von Brecht/Weill legt er sich ins Zeug, daß man beinahe Angst bekommt. Und wenn „The Voice“ Melodien von Cole Porter anstimmt, wird auch dessen Geist lebendig.

Nicht zu vergessen diese lakonischen Ansagen und Bewegungen eines Mannes, der alle Höhen und Tiefen erlebt hat und nun nicht mehr viele Worte machen muß. Wenn Sinatra sich auf der Bühne eine Zigarette anzündet, ist das eine kleine Festlichkeit, beiläufiges Zitat zur eigenen Legende. Andere brauchen gigantische Lightshows, um über die Rampe zu kommen. Sinatra braucht hin und wieder nur ein Feuerzeug.

Starker Rückhalt ist die Big Band, die das Publikum zu Beginn mit dem eminent begabten Jazz-Gitarristen und Sänger John Pizzarelli einstimmt. Auch Sinatra kann sich dann auf die 24 Musiker in jeder Sekunde verlassen. In der diesmal sehr ordentlichen Akustik der Halle kommen etwa die Bläsersätze glasklar, schmetternd und schneidend an. Da bedauern es manche nur, daß sie so still eingepfercht sitzen müssen bei solch tanzbarer Musik.

Sinatra lobt die Halle. Er kenne kaum eine bessere Konzert-Arena. Besonders wichtig: ringsum gebe es viele „Saloons“. Das Publikum lobt zehnfach zurück. Immer wieder gibt es standing ovations. Am Schluß, als er die Bühne verläßt wie für immer, stehen besonders einigen „Ladies“ die Tränen in den Augen. Wie singt Frankie doch: „I got you under my Skin“. That’s it. Ein Abschied, der unter die Haut geht.




Eric Clapton: Auf dem Gipfel des Gitarrenspiels / Dortmunder Publikum am Rand der Raserei

Von Bernd Berke

Dortmund. Untrügliches Kennzeichen für einen Klasse-Gitarristen: Er dreht sich auch bei heiklen Passagen nicht vom Publikum weg. Und er macht keine abenteuerlichen Verrenkungen, um als Gitarrero zu imponieren. Wer jetzt in der ausverkauften Westfalenhalle gesehen hat, wie souverän Eric Clapton die irrwitzigsten Läufe „wegspielt“, weiß Bescheid.

Dieser Mann, seit „Yardbirds“-Zeiten Mitte der 60er Jahre ein Denkmal des Rock, gehört nach wie vor zur Weltelite seines Instruments. Wo andere wie auf einem Hackbrett herumfuhrwerken, entlockt Clapton der Gitarre immer neue Singstimmen. Und er trieb damit sein Dortmunder Publikum nach und nach bis an den Rand der Raserei. Auch eine Vorgruppe wie die Leute um Tony Joe White mit ihrem durchaus soliden Südstaaten-Rock verblaßte da nachträglich zur Dutzendware.

„Clapton ist Gott“ – der Graffiti-Spruch aus! den 60ern ist dennoch mindestens Blödsinn. Überdies ist John McLaughlin im Zweifelsfalle noch eine Hundertstel schneller, aber Gitarrespielen ist kein Formel-1-Rennen. Und Johnny Winter mag noch ein paar Zentimeter tiefer im Blues stecken, aber es gibt nicht nur den Blues. Vielleicht gehört Clapton in eine Art altgriechischen Götterhimmel, wo er eben nicht allein ist. Beim Zeus!

Titel aus „Cream“-Zeiten als Gerüst

Clapton (47) weiß, wann er seine allerstärkste Zeit gehabt hat – mit Jack Bruce und Ginger Baker in der Supergruppe „Cream“. Also stieg er gleich mit „White Room“ ins Dortmunder Konzert ein. „Cream“-Titel bildeten ein Gerüst der Show – von „Sunshine of Your Love“ bis „Crossroads“. Weitere Hits im Programm: „I Shot the Sheriff‘, „Layla“, eine hochenergetische Version von „She’s Waiting“ und – aus neuester Produktion – „Tears in Heaven“, ein Song über seinen tödlich verunglückten Sohn Conor.

Über zwei Stunden ohne Pause legten Clapton & Co. los. Keine Ansage, kein überflüssiges Gerede, nur ab und zu ein „Dankeschön, Thank You“. Fast alle Titel geben dem Meister, der von einer vorzüglich eingespielten Formation gestützt wird, Gelegenheit zu ausführlichen Soli. Das hört sich nach Schema an, doch Clapton sprengt es. Dabei kommt, auch an rasanten Stellen, jeder Ton hörbar einzeln und sauber heraus, da wird nichts hudelig „verschliffen“. Kraft, Dynamik und Filigranarbeit sind hier beispielhaft vereint. Wird sie so gespielt, ist auch ältere Musik nie „von gestern“.

Wenn nur die Tontechniker etwas sensibler ausgesteuert hätten! Die kreischende Lautstärke, die sie hier und da für nötig hielten (und die Clapton ja wohl „abgesegnet“ hat), hat ein solcher Könner nicht nötig. Oh Ohrenpfeifen, laß nach! Nicht nur deshalb war man dankbar, daß Clapton auch ein paar Balladen (Höhepunkt: „Wonderful Tonight“) einstreute. Klar, daß da Wunderkerzen und Feuerzeuge im Publikum feierlich aufleuchteten. Und die Augen mancher (Alt-)Freaks zwischen 16 und 60 hatten nachher jenen seidigen Glanz…




Bob Dylan: Gebremste Legende

Von Bernd Berke

Dortmund. Was sagt man zu einem legendären Rockstar, der seinem zahlenden Publikum weder ein „Hello“ noch ein „Goodbye“ gönnt, der ohne jede Ansage sein Programm herunterspult und geht? Soll man sagen, er sei unhöflich, schlecht gelaunt, lustlos oder besonders innig auf sich konzentriert?

All das zu sagen, fällt schwer, geht es doch um Bob Dylans Auftritt in der Dortmunder Westfalenhalle, um seinen Deutschland-Tournee-Start, sein einziges NRW-Konzert, ja letzten Endes um nicht weniger als um ein ganzes Lebensgefühl, das viele der 7000 Zuschauer in der (halb gefüllten) Halle noch einmal spüren wollten.

Angesagt war ein Spitzenereignis, ein Wiedersehensfest. Den Autokennzeichen nach zu urteilen, kamen denn auch Fans aus dem Raum zwischen Bonn und Wilhelmshaven in die Westfalenhalle. Standhafte Altfreaks ebenso wie mittlerweile zu dynamischen Führungskräften gereifte Zeitgenossen in schnieken Nobelfahrzeugen. Zwischen 15 und 50 lag, schätzungsweise, das Altersgefalle. Was wurde den Leuten geboten?

Ein Profi, der seinen Job routiniert macht, dessen volle Qualitäten aber nur an ganz wenigen Stellen aufblitzten, so daß der Beifall meist verhalten blieb. Alles ging enorm pünktlich vonstatten, also gar nicht wie bei einem Fest. Von 21.30 bis 22.30 Uhr spielte Dylan, die Zugabe dauerte bis 22.45 Uhr, dann flammte grell das „Rausschmeißer“-Licht auf. Genau nach Plan, „Mindest-Soll erfüllt“. Böswillig gesagt: Es fehlte nur noch die Stechkarte.

Dabei hatte doch Ex-„Byrds“-Sänger Roger McGuinn („Special Guest“) schon auf Nostalgie eingestimmt – mit Klassikern wie „Mr. Tambourine Man“, „Turn Turn Turn“ und „Eight Miles High“. Begleitet von „Tom Petty & The Heartbreakers“, klang das ganz wie aus den glorreichen 60er Jahren. Damit nicht genug: Petty und seine Band heiizten danach die Stimmung mit Songs wie „Reelin‘ and Rockin'“ oder „Rock’n’Roll Star“ an. Keine Filigranarbeit, die hatte auch niemand erwartet: aber .„Geradeaus-Rock“ der allerfeinsten Sorte, hochenergetisch und mitreißend.

Das Feld für Dylan war also eigentlich bestens bestellt. Doch der 46jährige Altstar klopfte, begleitet von der jetzt nur noch bescheiden „dienenden“ Petty-Band, zum Einstieg zögernd an die Himmelstür („Knocking on Heaven’s Door“), fuhr sodann gemächlich über den „Highway 6l“, näselte mit gebremster Sinnlichkeit seinen alten Hit „IWantYou“, suchte in gebeugter Haltung Schutz vor dem Sturm („Shelter from the Storm“) und brachte balladeske Lieder wie „Tangled up in Blue“oder „The Ballad of Frankie Lee and Judas Priest“ auf einheitliches Mittelmaß. Erst mit der nicht allzu stürmisch geforderten Zugabe brachte er den Stein ins Rollen („Like a Rolling Stone“).

Den Schlußpunkt setzte Dylan mit „Forever Young“ („Auf ewig jung“). Genau das ist der Punkt. So jung sehen wir ihn eben nicht mehr wieder, ja, vielleicht ist es schon seine letzte Deutschland-.Tour. Und was machen wir dann mit unseren Erinnerungen?




Bon Dylan – der Mythos kommt wieder auf Touren

Von Bernd Berke

Bob Dylan in Dortmund – am 15. September wird’s endlich mal wieder wahr! 1978 ließ sich die lebende Legende zum letzten Mal in der Westfalenhalle blicken. Eine halbe Ewigkeit! Und damals, nun ja. Da war’s nicht durchweg das Gelbe vom Ei.

Seitdem hat Dylan die Musikstile gewechselt wie andere Leute ihre Schuhe, ist aber – behaupten wenigstens einige Fans hartnackig – sich selbst irnmer treu geblieben. Es soil ja Leute geben, die immer wieder zu seiner Musik zuruckkehren, wie in eine ..Heimat“. Neben solchen Alt-Freaks werden aber sicher auch ..Kids“ nach Dortmund kommen, die Dylan nur aus dem Plattenschrank ihrer Eltern kennen.

..The Times They Are A-Changin'“ – Die Zeiten ändern sich; ein früher Dylan-Song. Und wie sich die Zeiten ändern! Der Mann ist mittlerweile auch schon 46. Jüngst stand er für den Film ,,Hearts of Fire“ vor der Kamera und spielte sich selbst: einen gealterten Rockstar.

Wie wohl kein anderer Superstar des Rock-Geschäfts, hat Dylan uns in ständige Wechselbäder getaucht. Mal war er auf dem Folk- oder Protest-Dampfer, mal auf dem Rock-Trip, dann klemmte er sich die Bibel untern Arm und säuselte van Erlösung, bis er auch das wieder leid war. Robert Zimmermann – so sein bürgerlicher Name – lieferte einige der besten Alben der Rockgeschichte ab, ließ aber auch mit unsäglichen LPs wie ,,Saved“ die weltweite Dylan-Gemeinde aufjaulen.

Wenn andere Größen auf solche Ab- und Umwege geraten, zuckt man irgendwann nur noch die Achseln. Bei Dylan ärgert man sich immer noch wie über einen ,,Verräter“ – und jubelt umso lauter, wenn der „Verlorene Sohn“ wieder auf den Pfad der Tugend zurückkommt. Da geht’s nicht nur um Musik, da geht’s um Weltanschauung. Dylan-Dogmatiker werden schon zornig, wenn er nicht – wie in seinen frühen Tagen – spätestens beim dritten Song die Mundharmonika ‚rausholt.

Der ’87er Tour, die er gemeinsam mit ,,Tom Petty & The Heartbreakers“ absolviert, eilt die nichtssagende Meldung seiner Plattenfirma voraus, Dylan habe nun wieder „viel Rock’n’Roll in den Adern“. Wie auch immer. Schön wär’s jedenfalls, wenn er sich auf schnörkellose Songs und schlichtes Arrangement besinnt. Das paßt einfach am besten zu seiner Reibeisenstimme. Ob laut oder leise. Ob mit oder ohne Harmonika.

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(WR-Wochenendbeilage, Popseite)




Wenn sich die Künstler drängeln – Die „Nacht der Lieder“ des ZDF in der Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Weniger wäre wieder einmal mehr gewesen. Die „ZDF-Nacht der Lieder“ in der nicht ganz gefüllten Westfalenhalle bot nicht weniger als zehn Programmpunkte, die sich – im steten Wechsel zwisehen zwei Bühnen – schier endlos von 16 Uhr bis nach 2 Uhr früh hinzogen. Das macht bei einem Vorverkaufspreis von 25 DM schlappe 2,50 DM pro Gruppe. Wo gibt’s das schon?

Aber auch die Gegenrechnung hat einiges für sich: zehn Gruppen, das bedeutet neunUmbaupausen; es bedeutet, daß jede Formation nur kurz auftreten und sich nicht richtig entfalten kann; es bedeutet, daß das Publikum über eine Marathondistanz von 10 Stunden ausharren und diesmal – wollte es nicht um die ersten Gruppen geprellt werden – wochentags zur frühen Nachmittagsstunde auf der Matte stehen mußte. Schließlich dürfte es auch dem gewieftesten Veranstalter schwerfallen, zehn Auftritte zusammenzustellen, die mehr miteinander zu tun haben, als daß jeweils Stimmen und Instrumente erklingen. „Lieder“ ist ein sehr dehnbarer Begriff.

Ein eindeutiger Glanzpunkt, wie ihn vor Jahresfrist Angela Branduardi setzte, fehlte diesmal. Es gab freilich auch keine „Ausfälle“. Randy Newman, der zynische Beschreiber US-amerikanischen Spießerlebens, dessen Live-Auftritte so rar sind, konnte einem leid tun. Die große Halle war sicher nicht das richtige Forum für seine Lieder, die intimere Atmosphäre brauchen. Newman war denn auch der einzige, dem keine Zugabe abgefordert wurde. Zuvor hatte Stefan Waggershausen, seit Beginn seiner Plattenkarriere erstmals auf der Bühne, ein passables Live-Debüt gegeben. Die holländischen „Bots“ mühten sich, mit ihren friedensbewegten Liedern die allmählich sattsam bekannten Rituale („Aufstehn!“) auszulösen.

Sally Oldfields Gruppe bot wohltuend entspannte und entspannende Musik. Zu später Stunde folgten die drei Auftritte, die am meisten umjubelt wurden: Chris de Burgh, Wolfgang Ambros und der Italiener Lucio Dalla brachten den lang entbehrten Schwung in die Halle. Dallas Anlage war freilich so großzügig ausgesteuert, daß man in Lautsprechemähe das große Ohrenflattem bekam. Seine Titel, so mitreißend sie auch sind, weisen sämtlich ein Einheitsstrickmuster auf. Nach Mitternacht erzeugte „Zupfgeigenhansel“ mit leiseren Folkloretönen noch einmal „alternative Nestwärme“, bevor Klaus Lage & Druck für Kehraus-Klang in der schon halbleeren Arena sorgten.

Das ZDF sendet Ausschnitte aus dem Konzert am 26. März




Walzermusik sollte Fans besänftigen – Zweimal Rock in der Westfalenhalle 1, mal hart, mal deutsch

Von Elias Bierdel und Bernd Berke

Dortmund. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, so wurde er am Wochenende in der Westfalenhaiïe 1 erbracht: Rock mit deutschen Texten (etwa 13 000 Zuschauer, ausverkauft) rangiert im Urteil der Fans derzeit eindeutig vor anglo-amerikanischen Hard-Rock-Formationen, die diesmal „nur“ 9000 Leute ins Hallenrund lockten.

Allseits wurde Erfreuliches vermeidet: Die Polizei nahm bei der zweitägigen Mammutschau nur einen Mann fest, der gegen das Waffengesetz verstoßen hat“te; für die Sanitätsdienste verlief die Veranstaltung normal, und die Tontechniker des ZDF sprachen von „hervorragenden Aufnahmebedingungen“. Also wird man Bei Fernsehaufzeichnungen von „Rock-Pop in Conzert“ (voraussichtliche Sendetermine: 19. Juni Hard-Rock, 10. Juli Deutsch-Rock) auch die Texte verstehen, die beim Live-Konzert nicht immer deutlich über die Rampe kamen.

(EBi) Der erste Tag des Spektakels, der harten Rock-Musik gewidmet, gewann gerade durch die kurzfristige Änderung des Programms. Vor allem die nachträglich „nominierte“ Band Jethro TulI konnte – inmitten wüster Phon-Orgien – eigene, anspruchsvollere Akzente setzen. Zuvor erwiesen sich Joan Jett & The Blackhearts als mittlerer Flop.

Bevor die Stars des Abends, die zwanzig Jahre alte Gruppe „Status Quo“, die frenetischsten Beifallsstürme einheimsten, lief über Lautsprecher Walzermusik – offenbar, um die Rockfans zu besänftigen. Eines kann man Status Quo jedenfalls nicht nachsagen: Daß es an Lautstärke mangelt. Es folgte „Heart“ mit langweilig dargebotenen Phantasielosigkeiten. Nach 2 Uhr beendete „Saxon“ das Programm. Auffälligstes Show-Requisit: ein riesiger Silbervogel, der die Fans mit blitzenden Augen fixierte.

(bke) Am zweiten Tag bestieg mit „Ideal“ die bekannteste Gruppe gleich zu Anfang eine der beiden Bühnen. Fazit: Auf Platte sind die Berliner um Annette Humpe besser. Es fehlte der „Draht“ zum Publikum. Ganz anders Wolfgangs Niedeckens BAP, die mit fetzigem Kölschrock das Publikum der 12- bis 35-jährigen zu Begeisterungsstürmen hinriß. Stärkeres wurde während der ganzen Nacht nicht mehr geboten. Bei Joachim Witt, dem „goldenen Reiter“, der wie ein Roboter über die Bühne wackelte, ähnelte ein Lied dem anderen. Sein 12minütiger Singsang vom „Herbergsvater“ ging immerhm in die Beine. Prädikat: Konsequent monoton.

Die Münchner „Spider Murphy Gang“ („Skandal im Sperrbezirk“) brachte musikalisch eher biedere, konventionelle Kost, UKW sah sich nach technischen Pannen und langer Umbaupause unter Wert verkauft. Ohnehin warteten alle nur noch auf „Extrabreit“ aus Hagen. Deren Anlage war entschieden zu laut ausgesteuert, und man hörte fast nur noch brutale Gitarrenschlachten.

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WR-Lokalteil Dortmund




Ovationen für die „Bots“ und ein Kuß für Lerryn

Von Bernd Berke

Die holländischen „Bots“, Kultgruppe der Friedensbewegung und seit ihrem Auftritt im November 1981 auch in Dortmund keine unbekannte Größe mehr, gaben in der vollbesetzten Westfalenhalle II erneut ihre musikalische Visitenkarte ab. Mit von der Partie: Der Frankfurter Liedermacher Lerryn, der nebenbei deutsche Texte für die „Bots“ schreibt, Klaus Lage mit der Rockgruppe „Druck“ und Karl-Heinz Hansen, SPD-Dissident, der Attacken gegen die Bundesregierung vortrug.

Gemeinsamer Nenner aller Mitwirkenden war der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“. Die Qualität der Beiträge war unterschiedlich. Während bei Klaus Lage und „Druck“, die allerdings laut Ansage erst zweimal zusammen gespielt hatten, so gut wie nichts „über die Rampe kam“, heizten die „Bots“ dem überwiegend jugendlichen Publikum ein. In ihrem geschickt bis routiniert aufgebauten Auftritt kamen die Zugnummern („Aufsteh’n“, „Entrüstung“, „Was wollen wir trinken?“) zum Schluß und entfachten Tanzlust.

Die Gruppe ließ dabei eine erstaunliche Vielfalt musikalischer Formen erkennen: Von Folk-Anklängen bis hin zu Hard-Rock und Jazz-Rock reichte die Bandbreite. Leider verstand man, der unzureichenden Akustik wegen, nicht immer die kompletten Texte. Doch die meisten Zuschauer kannten den Wortlaut wohl ohnehin aus’wendig. So ging es dann bei der „Bots“-Darbietung eher um Solidaritätsgefühle als um kritische Neuanstöße. Die hatte zuvor Dr. Dieter Dehm alias „Lerryn“ gegeben, der sich nicht scheute, einige taktische Entscheidungen der „Grünen“ bei der Auseinandersetzung um die Frankfurter „Startbahn West“ zu kritisieren. Das freilich trug ihm den Unmut einiger Zuschauer ein, die eine klärende Richtigstellung verlangten. Lerryn erhielt aber auch den unmittelbarsten Beilfall des Abends: Als sein Lied gegen ein behindertenfeindliches Gerichtsurteil verklang, fuhr ein Rollstuhlfahrer an die Bühne heran und gab dem Liedermacher einen Kuß.

Die größten Ovationen aber wurden erwartungsgemäß den „Bots“ zuteil. Zu ihrem Lied, das zum Aufstehen ermuntert, mußte sich keiner mehr erheben, denn es standen oder tanzten schon alle. Dem Quintett wurden schließlich mehrere Zugaben abverlangt.

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WR-Lokalteil Dortmund