Im Geniekult vergessen: Vor 200 Jahren starb der Komponist Antonio Salieri

Antonio Salieri auf einer um 1815 entstandenen Lithografie.

Er gehört zu den bedeutendsten musikalischen Figuren im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Aber die Nachwelt hat aus Antonio Salieri einen zweitrangigen Kleinmeister und Rivalen Mozarts gemacht. Noch in seinem Theaterstück „Amadeus“ – weltbekannt geworden durch Miloš Formans gleichnamigen Film von 1984 – benutzt Peter Shaffer die längst widerlegte Legende, Salieri habe Mozart mit Gift beseitigt.

Der Film erzählt, wie der Italiener das kindlich-amoralische Genie „Amadeus“ durch seelischen Druck langsam ums Leben bringt. Er will damit Gott seine Macht zeigen: Jenem Gott, der sich in Mozarts perfekter Musik offenbart. Ihn, Salieri, dagegen hat er dazu verdammt, als einziger zu erkennen, wie mittelmäßig seine eigenen Kompositionen in Wirklichkeit sind. Und das, obwohl sich Salieri Gott mit all seiner kreativen Kraft und einem moralisch einwandfreien Leben als Instrument der Offenbarung zur Verfügung gestellt hat.

Die Wirklichkeit ist weniger melodramatisch: Mozart und Salieri waren im Wien Josephs II. keine Konkurrenten und schon gar keine Gegner, im Gegenteil. Alle Äußerungen in den Quellen, die etwa von „Cabalen“ gegen die „Hochzeit des Figaro“ raunen, halten einer Überprüfung nicht stand. Mozart selbst berichtet in seinem letzten Brief an seine Frau Constanze, Salieri habe „Die Zauberflöte“ mit aller Aufmerksamkeit gesehen: „ … von der Sinfonie bis zum letzten Chor, war kein Stück, welches ihm nicht ein bravo oder bello entlockte.“ Salieri sorgte nach dem Tod Mozarts weiterhin für Aufführungen seiner Werke und Constanze gab ihren jüngsten Sohn Franz Xaver bei ihm in den Kompositionsunterricht. Feindschaft sieht anders aus.

Warum also die haltlosen Gerüchte, woher die Abwertung Antonio Salieris und die Schmähung seiner Musik als bedeutungslos? Da spielt der gerade in Deutschland gepflegte Geniekult des 19. Jahrhunderts eine gewichtige Rolle: Gegen den strahlenden Stern Mozarts hatten italienische „Kleinmeister“ keine Chance zu bestehen. Der antiitalienische Affekt des ersten Mozart-Biographen Franz Niemetschek tat ein Übriges: Das Genie wurde dem intriganten Haufen „verdienstloser Menschen“ und ihrem „welschen Geklingel“ gefährlich und entfachte den „Neid mit der ganzen Schärfe des italienischen Giftes“, unterstellt er.

So verschwanden Salieris rund 40 Opern von den Spielplänen. Bei seinem Tod am 7. Mai 1825 in Wien war er als Autorität hoch geachtet, als Komponist jedoch schon so gut wie vergessen. Seine Schüler Ludwig van Beethoven und Franz Schubert hatten ihn verdrängt, das Rossini-Fieber die Wiener Opernbühne geradezu ins Delirium versetzt. Aber seine pädagogische und organisatorische Arbeit wirkte nach: Der Pianist Karl Czerny gehört zu seinen Schülern, der Komponist Joseph Leopold von Eybler, ebenso Johann Nepomuk Hummel und der Franzose Ferdinand Hérold. Er nahm Franz Schubert unter seine Fittiche. Salieri unterrichtete Größen wie Giacomo Meyerbeer, der zu den einflussreichsten Opernschöpfern des 19. Jahrhunderts gehört, Simon Sechter, den Lehrer Anton Bruckners, und in seinen letzten Lebensjahren den jungen Franz Liszt. Er war 1823 an der Gründung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien beteiligt. und bildete zahlreiche exzellente Sänger aus, so auch Mozarts „geläufige Gurgel“ Catarina Cavalieri.

Erst in den letzten Jahrzehnten sind die Werke Salieris wieder entdeckt worden, seit 1975 sein „Falstaff“ in Verona wieder aufgeführt wurde. Seine erfolgreichen Pariser Opern in der Nachfolge Christoph Willibald Glucks („Tarare“, „Les Danaïdes“) ließen die Eigenart seiner Kompositionsweise einem staunenden Publikum vor Augen treten: Salieri bleibt stets nahe am Text, deutet lebhaft, farbig und dramatisch dicht die Aussagen des Librettos aus. Nicht umsonst haben Kapazitäten wie Cecilia Bartoli  Salieris Musik für sich entdeckt. 2004 sang Diana Damrau eine der extrem anspruchsvollen Sopranpartien von Saliers „L’Europa riconosciuta“ anlässlich der Wiedereröffnung des renovierten Mailänder Teatro alle Scala. Das innovative, bei der Uraufführung enthusiastisch gefeierte Werk erklang 1778 zur Eröffnung der Scala zum ersten Mal.

Salieris Freude an der Textdeutung kommt seinen satirischen Werken zugute – eine Facette, die Mozart kaum gepflegt hat: Die aus politischen Gründen unaufgeführt gebliebene Oper „Cublai, großer Khan der Tartaren“ („Cublai, Gran kan de‘ Tartari“) erwies sich bei ihrer Entdeckung 1998 am Theater Würzburg als beißender Spott auf beschränkt-gefährliche Machthaber, manipulative Priester und Erzieher, intrigante Hofschranzen und eitle Liebhaber. In dieser Produktion sang Diana Darmau die Rolle der persischen Prinzessin Alzima. Eine ähnliche politische Satire, „Catilina“, konnte erst 1994 in Darmstadt uraufgeführt werden.

Derzeit in Salzburg zu erleben ist eine Rarität aus der Feder Antonio Salieris: „Il mondo alla rovescia“ („Die verdrehte Welt“). Hier ein Szenenfoto mit Luke Sinclair, Alexander Hüttner und dem Unterstimmenchor. (Foto: SLT/Tobias Witzgall)

Zum Salieri-Jubiläum 2025 – zu feiern ist am 18. August auch der 275. Geburtstag des italienischen Meisters – veranstaltet seine Heimatstadt Legnago eine Serie „Salieri 200“ mit Konzerten und einer Aufführung von „Falstaff“. In Legnago verlebte der Kaufmannssohn die ersten 16 Jahre seines Lebens, bis er 1766 vom Komponisten Florian Leopold Gasmann in Vendig entdeckt und nach Wien mitgenommen wurde, wo er ab 1774 als Kammerkompositeur und Kapellmeister der italienischen Oper wirkte .

In Wien steht Salieris Gedenkjahr im Schatten des Johann-Strauß-Jubiläums. Dennoch bietet eine Initiative „Salieri 2025“ zahlreiche Veranstaltungen wie Vorträge, Symposien, Konzerte mit seiner Musik und der seiner Schüler sowie ein Opernprojekt zur Satire „Prima la musica, poi le parole“ an. In Salzburg zeigt das Landestheater noch bis 27. Mai „Il Mondo alla Rovescia“ („Die verdrehte Welt“), ein absurdes Spiel um Geschlechterrollen und -identitäten.

https://www.salieri2025.at/
https://teatrosalieri.it/salieri200/
https://www.salzburger-landestheater.at/de/produktionen/die-verdrehte-welt-il-mondo-alla-rovescia.html?m=535




Vom IT-Campus zum „Theatermacher“ – eine kleine Dortmunder Betrachtung in Zeiten des Home-Office

Dort, wo jetzt noch ein markanter Hallenbau am Ufer der Emscher das Bild beherrscht, soll der neue IT-Campus entstehen. (Bild: p)

„Hoesch-Spundwand“, abgekürzt HSP, war viele Jahre ein Sorgenkind unter den Dortmunder Industriebetrieben, bis es dann 2015 endgültig zumachte – keine profitablen Aufträge und keine Aussicht auf Besserung. Was blieb, war im Westen der Stadt ein großes Industrieareal entlang der Emscher mit einer imposanten Halle, von der Emscherallee aus in ganzer Schönheit zu bestaunen. Und dann kamen die Planer.

„Wie das Google-Hauptquartier“

Im Lokalteil der Dortmunder Zeitungen – ja, für die, die nicht von hier sind und es nicht wissen: es gibt nur noch einen Lokalteil in Dortmund, der von den Ruhr-Nachrichten produziert und den die Funke-Titel WAZ und Westfälische Rundschau übernehmen – war nun zu lesen, wie toll das dort alles wird, auf dem ehemaligen HSP-Gelände und darüber hinaus. Rund um die Fachhochschule, die sich hier ansiedeln soll, werden so genannte „Science Factories“ entstehen, die so etwas wie „fliegende Klassenzimmer“ für die Fachhochschulstudenten sein sollen und in denen aus Ideen konkrete Anwendungsfälle werden. In der Informationstechnologie, so Klaus Brenscheidt von der Industrie- und Handelskammer, gelte es, „den Kampf gegen China aufzunehmen“. „Wie das Google-Hauptquartier“ soll die Geschichte funktionieren, Mitte der 2030er Jahre sollen rund 210 Unternehmen mit durchschnittlich jeweils 43 Arbeitsplätzen entstanden sein, was rechnerisch 9030 Arbeitsplätze ergibt und 26 Millionen Euro jährlich in das Dortmunder Steuersäckel spülen soll.

Die Kunst ist schon da: „Zur kleinen Welle“ heißt die archaisch-bedrohliche, gleichwohl begehbare Skulptur, die raumlabor Berlin vor einigen Jahren an den Rand der renaturierten Emscher stellte. (Foto: p)

Lieber zu Hause bleiben

Etwas nüchterner betrachtet ist gemeint, daß die Firma Thelen Gruppe für eine Gesamtsumme von rund zwei Milliarden Euro (immerhin) viel neue Bürofläche schaffen will, in 150 würfelförmigen Gebäuden mit einer Bruttogeschoßfläche von 200.000 Quadratmetern, so genannten Innovationskuben. Das sind beeindruckende Zahlen, keine Frage.

Doch scheint an dieser Stelle ein fußballkaiserliches „Schau’n mer mal“ angebracht. Als man mit diesen Planungen begann, hieß der Oberbürgermeister Sierau, gab es Covid 19 noch nicht, und keiner redete vom Home-Office. Mittlerweile kann man durchaus Zweifel haben, ob die fröhliche Campus-Idee noch funktioniert, oder ob die Damen und Herren Informationstechnologiker nicht lieber zu Hause bleiben zum arbeiten. Dann würde es nichts mit dem innovativen Würfelspiel. Aber wir wollen nicht unken.

Theater im Home-Office

Das Prinzip Home-Office, wir wechseln den Schauplatz, hat die Dortmunder Theaterleitung schon stark verinnerlicht. Seit 2020 ist Julia Wissert im Amt, doch das Große Haus konnte bislang noch nicht bespielt werden, wegen Corona. Als wieder etwas möglich war, hatte die Dortmunder Kulturverwaltung schon beschlossen, es gut sein zu lassen in der Spielzeit 20/21. In einer gewissen Folgerichtigkeit gab es Auskünfte zur anstehenden Spielzeit 2021/22 dann auch nur als Pressetext. Die anderen Bühnen in der Nachbarschaft, stellvertretend sei Bochum genannt, veranstalteten hingegen recht ordentliche Programm-Pressekonferenzen im Internet; für Dortmund bleibt lediglich die Hoffnung, daß im Herbst endlich wieder Leben im Theater einzieht. Wenn die Inzidenzen mitspielen, sozusagen.

Kay Voges, von 2010 bis 2020 Intendant des Dortmunder Theaters und ist seitdem Direktor der Wiener Volksbühne. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Dortmunder „Theatermacher“ für Wien

Schauen wir jetzt noch nach Wien: Dort arbeitet Kay Voges, etliche Jahre Dortmunder Schauspielchef, an seiner Eröffnungspremiere im Oktober. Das Publikum des Wiener Volkstheaters, dessen Chef er seit einiger Zeit ist, will er mit einem, wenn man so sagen darf, überaus österreichischen Stoff in den Bann schlagen, verfaßt von einem erklärten Österreich-Hasser. Der Witz daran ist, daß wir in Dortmund die Inszenierung schon lange kennen – mit dem stattlichen Andreas Beck in der Titelrolle und einigen weiteren bekannten Namen aus Voges’ Dortmunder Zeit (u.a. Uwe Rohbeck). Den „Theatermacher“ von Thomas Bernhard hatte Voges seinerzeit gut begründet auf die Bühne des Dortmunder Theaters gestellt, weil es dort die erste große Produktion nach langem renovierungsbedingtem Exil in der Industriehalle „Megastore“ war.

Die Wiener sind schwierig

Also eine Win-win-Situation – eine Inszenierung, zwei Theater? Gelegentlich wird man mal nachschauen müssen, wie die Wiener es aufgenommen haben. Sie, die Wiener, gelten nämlich als schwieriges, verwöhntes Publikum, kein Vergleich mit den freundlichen Ruhris. Ob die Wiener sich von einem Piefke erzählen lassen wollen, wie sie so sind?

Smartes Rhinozeros

Ach ja, dies soll nicht unerwähnt bleiben: Das bombastische IT-Bauprojekt auf dem HSP-Gelände in Dortmund hat längst auch schon einen innovativen Namen erhalten. „Smart Rhino“ haben sie es genannt. Das klingt nach Kleinwagen mit alternativer Antriebstechnik, soll aber, so ist dem bereits zitierten Lokalteil zu entnehmen, Bezug nehmen auf das Plastik-Rhinozeros, das im Konzerthaus das Licht der Welt erblickte und das das Stadtmarketing der Stadt in vielen bunten Ausführungen als zweites Wappentier verordnet hat. Eigentlich würde der Adler reichen, auch zukünftig. Das wäre dann so etwas wie „Smart Eagle“. Doch vielleicht fällt dem Volksmund noch ganz etwas anderes ein.

 

 




„Menschen, Makel und Abgründe“: Dortmunds neue „Stadtbeschreiberin“ Anna Herzig

Wahl-Salzburgerin, jetzt für einige Monate in Dortmund wohnhaft: die Schriftstellerin Anna Herzig. (Foto: Roland Gorecki/Dortmund Agentur)

Dortmunds neue „Stadtbeschreiberin“ Anna Herzig hat schon Ende April ihre Wohnung im Kreuzviertel bezogen, doch hat man noch gar nicht viel von ihrem hiesigen Wirken gehört. Jetzt aber, da die Pandemie nach und nach zu schwinden scheint, soll sich das spürbar ändern.

Die sonst in Salzburg lebende Stipendiatin steckt offenbar voller Pläne und Energien. Es gibt kaum ein Gebiet des Schreibens, auf dem sie sich nicht erproben möchte. An Romanen und einem Kino-Drehbuch arbeitet sie ebenso wie an dramaturgischen Exerzitien fürs Theater. Auch Bühnenstücke dürften nicht lange auf sich warten lassen.

In Österreich, so verriet Anna Herzig heute, habe sie oftmals zu kämpfen gehabt. Immerhin hat sie auch dort schon Stipendien erhalten (Land Salzburg, Villach). Ganz anders jedoch in Deutschland. Gleich mehrfach betont sie, wie sie hier überall mit offenen Armen und offenen Sinnes empfangen worden sei, ob nun in Leipzig, Dresden, Frankfurt oder eben Dortmund. Hier wird sie u. a. Veranstaltungen für die örtliche Volkshochschule, das Literaturhaus und das Kulturbüro bestreiten und sich darüber hinaus mit der regionalen Literaturszene vernetzen. Gespräche mit Menschen und Beobachtungen außerhalb des Kulturbetriebs gehören selbstverständlich dazu.

Sichtbar auf der literarischen Landkarte

Es war eine nachhaltig wirksame Entscheidung der Stadt Dortmund, das Amt der Stadtbeschreiberin (Stadtbeschreiber nicht ausgeschlossen) auszuloben. Die westfälische Reviermetropole nimmt jetzt wieder einen besser sichtbaren Platz auf der literarischen Landkarte ein. Begonnen hatte die Autor(inn)en-Residenz im Vorjahr mit der prominenten Judith Kuckart, die vor allem einem Kiez in Dortmund-Hörde, dem Schauplatz einiger ihrer Kindheits-Sommerferien, ästhetischen Mehrwert abgewonnen und überhaupt beste Eindrücke hinterlassen hat.

Demgegenüber ist Anna Herzig hierzulande bislang weniger bekannt. Falls das denn ein Maßstab sein sollte: Es ermangelt immer noch eines eigenen Wikipedia-Eintrags für die Autorin. Doch was soll’s? Schon als Kind hat sie Geschichten ausgesponnen, im Alter von 14 ernsthaft zu schreiben begonnen, mit 17 Jahren dann ihr erstes Buch veröffentlicht und seither ordentlich „nachgelegt“. Etliche Kurzgeschichten sowie zwei Romane („Sommernachtsreigen“, 2018 / „Herr Rudi“, 2020) sind bereits erschienen, zwei weitere sind in Arbeit. „Herr Rudi“ soll in absehbarer Zeit ins Kino kommen, Anna Herzig arbeitet an einer Drehbuchfassung.

„…zum Teil bösartiger Stil“

Geboren wurde die heute 33-jährige Anna Herzig als Tochter einer Kanadierin und eines Ägypters in Wien. Kein Wunder also, dass Fragen der Herkunft und Identität in ihren Texten eine besondere Rolle spielen. Ansonsten, so heißt es in einem städtischen Pressetext etwas kryptisch, interessiere sie sich speziell für „Menschen, Makel und Abgründe“. Das klingt schon mal nicht nach glatter Eingängigkeit. Laut Jury-Begründung überzeuge vielmehr ihr „hintergründig-skurriler, zum Teil bösartiger Stil, der die Tiefen menschlicher Beziehungen ausleuchtet“. Bei ihrer heutigen Vorstellung wirkte sie so gar nicht „bösartig“, aber Leben und Schreiben sind ja eh nicht bruchlos eins.

Man erhofft sich von Anna Herzig „einen originellen, unverstellten Blick auf die Topografie des Ruhrgebiets“, wie die Jury weiter verlauten ließ. Die Autorin selbst freut sich über die Dauer des Stipendiums (Ende April bis Ende Oktober), die es erlaube, „mich ganz auf die Stadt einzulassen, in Ruhe zu beobachten und mich auf die Kunst zu konzentrieren.“ Nach den vergangenen schwierigen Monaten sei sie froh, „dass ich mit den Menschen nun auch wieder ins Gespräch kommen kann“.

Schon jetzt ein „Fan“ dieser Stadt

Fürs Ruhrgebiet und hier speziell für Dortmund scheint Frau Herzig ein Faible entwickelt zu haben, vielleicht liegt’s just auch am deutlichen Kontrast zu Wien und Salzburg. Durch YouTube-Videos habe sie Dortmund, das sie zuvor nicht gekannt hat, als erstaunlich grüne Stadt wahrgenommen. Inzwischen sei sie geradezu ein Dortmund-„Fan“. Apropos: Die sonst handelsübliche Frage nach dem BVB wurde bei Anna Herzigs heutiger Pressevorstellung wohlweislich nicht gestellt. Es müssen ja auch Rätsel und Geheimnisse bleiben.

Wie auch immer: Jedenfalls will Anna Herzig in Dortmund an ihrem Roman „Die Auktion“ weiterarbeiten, der zu wesentlichen Teilen im Intercity zwischen Wien und Dortmund spielt. Das mag sich noch halbwegs gemächlich anhören, doch die Handlung spielt vor dem Hintergrund einer dystopischen (also unwirtlichen) Welt, in der die Männer den Krieg gegen die Frauen verloren haben. Im Mittelpunkt: drei Herrschaften, die damit erst einmal fertigwerden müssen. Ob sie wenigstens bei der besagten Auktion Glück haben? Und was es da wohl zu ersteigern gibt?

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Veranstaltungen mit Anna Herzig:

Virtuelle Matinee mit der Stadtbeschreiberin: „Meet & Greet“, moderiert vom Salzburger Comedian Sebastian Hochwallner. Link zur Teilnahme: https://bit.ly/3vsWCRa

Achtung! Die ursprünglich für den 20. Juni (11 Uhr) geplante Matinee muss aus Krankheitsgründen verschoben werden. Der neue Termin steht noch nicht fest.

VHS-Online-Kursus „Creative Writing“ mit Anna Herzig: nächster Termin am Dienstag, 15. Juni, 17.45 Uhr. Anmeldung online unter vhs.dortmund.de (Veranstaltungs-Nummer 211-62319W).

Drei Lesungen im Literaturhaus am Neuen Graben – mit weiblichen Gästen, die Anne Herzig selbst auswählen durfte und deren Auftritte sie moderieren wird: Irene Diwiak und ihr Roman „Malvita“ (24. Juli, 19.30 Uhr), Olivia Kuderewski  und ihr Roman „Lux“ (20. August, 19.30 Uhr) und schließlich Nora-Eugenie Gomringer mit Lyrik (2. Oktober, 19.30 Uhr).

 




Überraschung: Dortmunds Schauspielchef Kay Voges geht ans Wiener Volkstheater

Sein Weg führt von Dortmund nach Wien: Schauspielchef Kay Voges. (Foto: Marcel Urlaub)

Sein Weg führt von Dortmund nach Wien: Schauspielchef Kay Voges. (Foto: Marcel Urlaub)

Das darf man wohl eine Überraschung nennen: Kay Voges, noch amtierender Dortmunder Schauspielchef, geht nicht etwa nach Hamburg oder Berlin, sondern nach Wien. Ab der Saison 2020/21 wird er dort Direktor des Volkstheaters sein – als Nachfolger von Anna Badora.

Laut Pressemitteilung des Dortmunder Schauspiels sagte Voges in einer ersten Stellungnahme zu seinem bevorstehenden Wechsel, er empfinde es als Ehre, die Führung dieses bedeutenden Hauses „in der theater-verrückten Stadt Wien, im theater-verrückten Land Österreich“ übernehmen zu dürfen. Und weiter: „Theater ist die fünfte Macht im Staate und es ist wichtig, dass das Volkstheater die Stellung ein- und wahrnimmt, die dem Haus unter den führenden Bühnen Europas zusteht“. Das klingt beinahe draufgängerisch.

Man kann wohl davon ausgehen, dass Voges bereits den Begriff „Volkstheater“ deutlich fortschrittlicher auslegen wird, als es manche Wiener Bühnenfreunde bevorzugen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Völlig konfliktfrei wird seine Wiener Tätigkeit mutmaßlich nicht vonstatten gehen. Aber auch das gehört in Wien unbedingt dazu. Es soll dort Leute geben, die dem „Piefke“ Claus Peymann noch heute grollen…

Wie die Wiener Zeitung „Die Presse“ berichtet, hat Voges in ersten Überlegungen angekündigt, ein „niederschwelliges Theater“  anzustreben, eine – so wörtlich – „Factory für Theaterkunst in ästhetischer und politischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart“. Auch Performance-Elemente und Musik würden dabei wichtig sein. Zudem dürfte Voges seine in Dortmund so entschieden vorangetriebenen Digitalisierungs-Projekte nicht von heute auf morgen aufgeben.

Kay Voges wird sich schon vor Beginn seiner Wiener Intendanz als Regisseur in der Donaumetropole vorstellen. Am Burgtheater soll er in der ersten Spielzeit unter Martin Kusej eine „Endzeit-Oper“ in Szene setzen. Titel der Produktion: „Dies irae – Tag des Zorns“.

Voges‘ Nachfolge in Dortmund wird – wie mehrfach berichtet – zur nächsten Saison die 34-jährige Julia Wissert antreten.




Tropfen als akustische Skulpturen – Arbeiten des Ostwall-Preisträgers Albert Mayr

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Fragiler Brunnen von Albert Mayr: „Tropfenstudien“ von 2015, jetzt im Besitz des Dortmunder Museums Ostwall (Foto: Museum Ostwall/Courtesy Galerie Martinetz/Sophie Thun)

Die „Tropfenstudien“ sind fragile Gebilde, Gestelle aus Holz und Metall, denen sämtlich eigen ist, dass ein viel zu schwer wirkender Wasserbehälter auf ihnen steht. Aus der Medizin bekannte Infusionsregler steuern die Menge des durch dünne Schläuche abfließenden Wassers, die sich in Tropfen bemisst und auch beim Tropfen hörbar wird, wenn es – im Grund wie in einem klassischen Brunnen – von einer Ebene zur nächsten hinuntertropft.

Haben wir es hier mit Kunst zu tun? Und wenn ja, mit welcher? Klaus Fehlemann, Vorstandsvorsitzender der „Freunde des Museums Ostwall“, wähnt Arbeiten wie diese in der Tradition von Dada und Fluxus, doch spielen erkennbar auch Merkmale von Kybernetik und Arte Povera („arme Kunst“) ihre gewichtige Rolle. Denn die Stationen, die das Wasser tropfend hinter sich bringt, sind nicht Schalen aus Marmor oder Bronze, sondern alltäglichste Dinge, Reste einer PET-Flasche, eine Scherbe, ein Stückchen Blech und so fort. Ihnen allen ist eigen, dass an ihnen montierte kleine Mikrophone die Tropfgeräusche zu Verstärkern ableiten und so aus den „Tropfstudien“ zudem akustische Skulpturen machen.

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Der Wiener Künstler Albert Mayr (Foto: Museum Ostwall/Roland Gorecki)

Mit 10.000 Euro dotiert

Albert Mayr heißt der 1975 im österreichischen St. Pölten geborene, in Wien lebende Künstler, der diese eigenwilligen Brünnlein geschaffen hat und dafür mit dem MO-Kunstpreis ausgezeichnet wird, welchen die Dortmunder „Freunde des Museums Ostwall“ jetzt schon zum dritten Mal verleihen. Der Preis ist mit 10.000 Euro recht komfortabel dotiert, dafür bleiben die Tropfsteinstudien nach der Ausstellung in Dortmund und ergänzen die Sammlung.

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Eine Trommel auf dünnen Spinnenbeinen: „Arachnotom“ von 2010-2016 (Foto: Museum Ostwall/Courtesy Galerie Martinetz/Albert Mayr)

Rhythmische Kunst

Eine kleine Ausstellung im „Schaufenster“ des U-Turms zeigt noch einige weitere Arbeiten des Preisträgers, der sich in der Jury übrigens gegen 10 Mitbewerber und Mitbewerberinnen durchsetzte. Ein durchgängiges Motiv in seinen Arbeiten ist der Beat, der Puls, der Schlag, der – anders als bei den Tropfsteinstudien – häufig auch mit regulären Trommeln erzeugt wird.

Jedenfalls sieht es so aus, als ob in einigen Videoarbeiten mit einer Gurke, einem Holzstock oder einer Möhre geschlagen wird. In Wirklichkeit dienen die Trommelfelle lediglich als Leinwände für Rückprojektionen, doch die Geräusche sind halt da, kräftige, unregelmäßige, manchmal verzerrte Schläge von der Tonspur. Stören sie nicht das filigrane Plätschern der Tropfskulpturen im selben Raum? Nein, findet Künstler Mayr, sie bilden so etwas wie einen akustischen Vorhang, das Ganze sei durchaus zu verstehen als eine einzige Klanginstallation.

Übrigens steuert auch ein Brünnlein aus zwei Lautsprecherboxen, die in Strahlen Wasser lassen („Stereo auf Mono“, 2007), mit seinem Rauschen zum Gesamtklang des Raumes bei. Fließendes Wasser, harte Beats, leichtes Tropfen, Trommelskulpturen auf wackeligen Beinen – das sind wesentliche Elemente im Schaffen Albert Mayrs.

„In-A-Gadda-Da-Vida“

Eine Arbeit, die eigentlich eine Performance ist, trägt einen (in der Fachwelt) berühmten Namen: „In-A-Gadda-Da-Vida“ war in den 70er Jahren der Titel eines langspielplattenlangen Musikstücks der Gruppe „Iron Butterfly“, das ein besonders langes, intensives Schlagzeugsolo prägte. Dem Wesen dieses Musikstücks spürt Mayr nun nach, indem er im Halbkreis aufgestellte Trommeln verschiedener Größe mit einem beweglichen, harten Wasserstrahl zum Tönen bringt. Die Aktion fand am 18. November nach der Preisverleihung auf dem Vorplatz des Dortmunder U statt.

  • „MO Kunstpreis für Albert Mayr“, Museum Ostwall im Dortmunder U, 4. Ebene, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund.
  • Noch bis zum 12. März 2017
  • Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr, Eintritt 5 €.
  • www.museumostwall.dortmund.de



Von der Ruhr nach Wien: Karin Bergmann am Burgtheater, Tomáš Netopil an der Staatsoper

Das Wiener Burgtheater hat sich in den letzten Wochen über einen Mangel an Schlagzeilen nicht beklagen können – wohl aber über ihren Inhalt: ein weitreichender Finanzskandal, dubiose Praktiken in der Geschäftsführung, der Rausschmiss von Direktor Matthias Hartmann, das Bekanntwerden üppiger Zusatzgagen und Produktionskosten, drohende Steuernachzahlungen in Millionenhöhe, ebenso ein deftiges Minus in der Bilanz. Nun soll es eine Frau aus dem Revier richten: Karin Bergmann leitet das größte Ensembletheater der Welt interimistisch bis 2016. Die 60jährige, die sich selbst als „Theaternarr seit Jugendtagen“ beschreibt, stammt aus Recklinghausen. Zum ersten Mal steht mit Bergmann eine Frau an der Spitze des Burgtheaters.

Aus Recklinghausen nach Wien: Karin Bergmann. Foto: Reinhard Werner, Burgtheater

Aus Recklinghausen nach Wien: Karin Bergmann. Foto: Reinhard Werner, Burgtheater

Das Ensemble habe sie mit tosendem Applaus begrüßt, hieß es in der österreichischen Presse. An der Burg ist Bergmann keine Unbekannte: Sie kam schon 1986 mit Claus Peymann als Pressesprecherin ans Haus. 1993 holte sie Intendant Rudi Klausnitzer als Pressesprecherin und Direktionsmitglied an die Vereinigten Bühnen Wien, bis sie 1996 in den gleichen Funktionen zu Klaus Bachler an die Volksoper Wien wechselte.

Als Bachler 1999 an das Burgtheater berufen wurde, nahm er Karin Bergmann als stellvertretende Direktorin mit. 2008 übernahm er parallel zum Burgtheater die Münchner Staatsoper; Bergmann führte für ihn in Wien die Geschäfte und organisierte den Übergang zur Matthias Hartmann, bei dem sie als seine Stellvertreterin noch in der ersten Spielzeit 2009/10 blieb. Bergmanns Theaterlaufbahn hatte 1979 unter Peymann am Schauspielhaus Bochum begonnen.

Für die Interims-Direktorin geht es nun darum, das wirtschaftlich schlingernde Haus zu stabilisieren und die Spielzeit 2014/15 zu planen. Ob sie sich für die Zeit nach 2016 auf die Burgtheater-Direktion bewerben wird, ließ Bergmann im Interview noch offen.

Tomás Netopil dirigiert in Wien und Dresden. Foto: TUP

Tomás Netopil dirigiert in Wien und Dresden. Foto: TUP

Auch für Tomáš Netopil zeigen die Wegweiser nach Wien: Der Essener Generalmusikdirektor debütiert an der Wiener Staatsoper. Am 5., 10. und 13. September leitet er drei Aufführungen von Antonín Dvořáks „Rusalka“ mit Kristine Opolais als Rusalka und Piotr Beczala als Prinz. Auch die Dresdner Semperoper hat eine Neuproduktion mit Netopil am Pult angekündigt: Am 18. Oktober hat an der Elbe Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ in einer Regie von Frank Hilbrich Premiere, bis 9. Dezember folgen sechs weitere Aufführungen.

Man wird sehen, ob Netopil die „Rusalka“ auch nach Essen bringen wird – in seine Linie slawischer Opern würde das Werk passen. Freilich war „Rusalka“ erst 2012 in Gelsenkirchen zu sehen: Aus dem breiten slawischen Repertoire gäbe es durchaus Werke, die seit Jahren nicht – oder noch nie – im Ruhrgebiet zu erleben waren.




Spinxen erlaubt: das Dortmunder Ballett probt „G’schichten aus dem Wiener Wald“

Morbide Szene im Wiener Wald: Mark Radjapov als "Der Tod". Foto: Bettina Stöß

Morbide Szene im Wiener Wald: Mark Radjapov als „Der Tod“, mit Untoten. Foto: Bettina Stöß

Theaterproben anschauen, das Unfertige also beäugen, um daraus möglicherweise zu schließen, wie denn die komplett erarbeitete Produktion einmal aussehen wird, hat etwas von der Eigenart, dem Koch in die Töpfe zu gucken. Da brodelt oder brutzelt etwas, und vielleicht wird’s ja eine gute Suppe oder ein saftiges Steak.

Das Lupfen des Vorhangs, um Einblick zu gewähren, was denn passiert, bevor sich zur Premiere eben jener Vorhang hebt, hat manches Opern- oder Schauspielhaus zu seiner Maxime erhoben. Gewissermaßen als geschickter dramaturgischer Akt, das Publikum ans Theater zu binden. Und siehe: Neugierige gibt es genug. Sie wollen mehr als nur konsumieren, wissen, was dahinter steckt.

Gleichwohl existiert nach wie vor der andere Zuschauertypus, der den Premierenzauber genießen will, ohne sich in der Werkstatt bereits umgesehen zu haben. Der sich der Überraschung hingibt und der Hoffnung auf grenzenlose Faszination. Dann geht der Vorhang auf und alles ist neu. Und mancher mag sich fragen: Wie haben die das bloß gemacht?

Wie dem auch sei: Das Dortmunder Ballett hat nun einen Vorgeschmack geliefert auf die „G’schichten aus dem Wiener Wald“. Hat uns teilhaben lassen an ersten Szenenfolgen in kärglicher Kulisse, mit Musik von Johann Strauß und Alban Berg, die noch elektronisch zugespielt wird, mit der Umsetzung eines einstudierten Bewegungsvokabulars auf der großen Bühne. Das alles sieht noch derart nach Arbeitsprozess aus, dass eine Einschätzung, wie es denn wohl wird, nur eine Frage der Spekulation sein kann.

(Marianne) Monica Fotescu-Uta verliebt sich in Alfred (Dmitry Semionov). Foto: Bettina Stöß

(Marianne) Monica Fotescu-Uta verliebt sich in Alfred (Dmitry Semionov). Foto: Bettina Stöß

Andererseits, erste Gestaltungslinien werden erkennbar. Die Choreographie des Dortmunder Ballettchefs Xin Peng Wang setzt zunächst einmal auf Reduktion. Denn Ödön von Horváths Volksstück, die „G’schichten“ über die kleinen Leute des 8. Wiener Bezirks, bietet eigentlich ein üppiges Personaltableau von einsamen, unglücklichen, einfältigen, aufbegehrenden oder sich in Nostalgie flüchtenden Menschen in der Zeit des aufkeimenden Faschismus. Wang aber fokussiert sich auf nur vier Charaktere, nutzt das Corps de Ballet als eine Art kommentierenden Chor, und führt zwei neue Figuren ins Geschehen ein: den Tod und das Mädchen.

Morbide also wird’s, wenn die Geschichte Mariannes, die den gediegenen, aber langweiligen Fleischermeister Oscar heiraten soll, die sich aber dem Hallodri Alfred an den Hals wirft, der dafür seine Geliebte, die etwas derangierte Valerie sausen lässt, in Form eines großen Totentanzes aufgerollt wird. Einer alten Wiener Legende folgend, dass einmal im Jahr die Toten eine Chance haben, alles besser zu machen als im einstigen Leben. Die daran natürlich scheitern. Wie eben auch Horváths Figuren. Wie denn auch Mariannes uneheliches Kind sterben muss.

Dortmunds Ballettdirektor Xin Peng Wang choreographiert die "G'schichten". Foto: Philip Lethen

Dortmunds Ballettdirektor Xin Peng Wang choreographiert die „G’schichten“. Foto: Philip Lethen

Dabei wird die Frage zu beantworten sein, ob Horváths Sozialstudien, inklusive psychologischer Ausleuchtung, ihre Entsprechung in Bewegung, Gestik und Mimik finden können. Oder anders gefragt: „Sind Tanz und Musik (Strauß’ Walzer und Bergs Zwölftonklangfarbenwucht reiben sich bisweilen aufs Heftigste) in der Lage, die Atmosphäre des Horváthschen Wien einzufangen?

Das Lupfen des Vorhangs hat uns Probenatmosphäre schnuppern lassen, mehr ist kaum zu sagen. Andererseits hat die bewährte Kooperation von Ballett und Dortmunder Harenberg-Haus den Weg gewiesen zu Horváth und seiner Welt. Mit einer wunderbaren Lesung von Eva Dité (Klavierbegleitung: Ursula Schwarz), die Veza Canetti („Die gelbe Straße“) zu Wort kommen lässt – Schilderungen aus dem Wiener Arbeitermilieu, treffliche Typenzeichnungen. Und die Hertha Pauli zitiert, aus deren Buch „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ liest, speziell vom Begräbnis Ödön von Horváths. Der Schriftsteller war 1938 im Pariser Exil durch einen herabfallenden Ast erschlagen worden. „Gemütliche Bestialitäten“ heißt das Programm, und damit ist vieles gesagt.

Xing Peng Wang und seine Compagnie haben sich einiges vorgenommen. Weltliteratur in Tanz umzusetzen ist nicht neu, doch stets eine Herausforderung. Egal, ob Probenbesuch oder nicht, spannend wird’s allemal.

 

„G’schichten aus dem Wiener Wald“ erlebt seine Premiere im Dortmunder Opernhaus am 22. Februar, 19.30 Uhr. Am 22. März lädt Chefdramaturg Christian Baier im Harenberg-Haus zu einem literarischen Spaziergang durch Wien und will einiges berichten, „was die Reiseführer der Stadt (wohlweislich) verschweigen“.




„Nach dem Applaus“ – ein Krimi aus dem Theatermilieu in Berlin und Wien

Es ist bitterkalt. Schnee und Eis haben die Mitte Europas fest im Griff. Eigentlich möchte man sich es sich nur noch mit einem heißen Getränk und einem guten Buch in der gut geheizten Wohnung gemütlich machen. Doch dann müssen der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt und seine Wiener Kollegin Anna Habel doch vor die Tür und hinaus ins Frostige.

In den Hauptstädten Deutschlands und Österreichs geschehen Morde, die offensichtlich enger zusammenhängen, als es auf den ersten Blick scheint. In Berlin wird eine junge Schauspielerin grausam zerstückelt, die noch vor gar nicht langer Zeit in Wien große Bühnentriumphe feierte. Und war sie nicht mit jener Frau näher befreundet, deren kopflose Leiche man in Wien auf den Gleisen eines Rangierbahnhofs findet?

978-3-257-60344-6

„Nach dem Applaus“ heißt der neue, nunmehr dritte „Fall für Berlin und Wien“, den das Autoren-Duo Bielefeld & Hartlieb mit liebevoll-zynischer Lust geschrieben hat. Nachdem der Berliner Literaturkritiker Claus-Ulrich Bielefeld und die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb ihr unterhaltsames Spiel mit den blutigen Machenschaften unter Schriftstellern und Verlegern („Auf der Strecke“) und mit den politischen Irrungen und Wirkungen unter ehemaligen RAF-Terroristen („Bis zur Neige“) geführt haben, wagen sie diesmal einen Ausflug ins Theatermilieu. Das ist schon deshalb nicht ohne Hintersinn und Humor, weil Berlin und Wien seit jeher um die Theaterkrone im deutschsprachigen Raum kämpfen.

Natürlich war die in Berlin ermordete Schauspielerin eine Lieblings-Diva von Claus Peymann, dem ehemaligen Chef des Wiener Burgtheaters, der seit einigen Jahren das Berliner Ensemble leitet und immer wieder vollmundig verkündet, sein Theater solle Reißzahn im Hinterteil der Herrschenden sein. Peymann wird im Krimi zwar nicht direkt beim Namen genannt, aber auch so ist jedem Leser klar, wer da seine aufbrausenden Bühnenweisheiten und arroganten Kunstsentenzen von sich gibt.

Dass der Theaterdirektor ausgerechnet von einem Kommissar namens Thomas Bernhardt (mit „dt“) verhört wird, raubt dem ehemaligen Weggefährten des (fast) gleichnamigen österreichischen Schriftstellers (mit „d“) beinahe den Verstand. Auch als Kommissar Bernhardt in eine Schauspielprobe platzt, bei der „Peymann“ sich an einer Bühnenversion von Georg Büchners „Lenz“-Erzählung abarbeitet und sich – ausgerechnet! – vom prolligen Volksbühnen-Kollegen Frank Castorf ein paar Ratschläge erbittet, ist der Humorfaktor groß.

Aber bei allen komischen Seitenhieben auf die Theaterszene kommt das bizarre mörderische Treiben nicht zu kurz. Ein zum Eisklotz gefroren toter Schriftsteller im See, ein in luftiger Höhe an die Flügel eines Windrades gebundener Schauspieler, ein Kunst-Mäzen, der gern Gutes tut, aber selbst nicht ohne Makel ist: Es wird Zeit, dass Bernhardt und Habel, die nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander können, gemeinsam am komplizierte Fall bosseln.

Ob die beiden bei ihren Recherchen in Szene-Cafés oder Theater-Kantinen Station machen, immer spürt man, dass jedes Detail stimmt und jede Anspielung bis aufs I-Tüpfelchen durchdacht ist. Zwar versichern Bielfeld&Hartlieb, dass alle Personen und Ereignisse frei erfunden sind. Trotzdem ist es ein kriminalistischer Spaß, die Fantasie mit der Realität abzugleichen.

Bielefeld & Hartlieb: „Nach dem Applaus“. Kriminalroman. Diogenes Verlag, Zürich. 390 Seiten, 14,90 Euro.




Labyrinth aus Liebe und Lügen – William Boyds Roman „Eine große Zeit“

Wien ist nicht nur die Hauptstadt des galanten Selbstmordes und der morbiden Friedhofskultur. Die österreichische Metropole ist auch der Geburtsort der Psychoanalyse. Wenn Anfang des vorigen Jahrhunderts ein an traumatischen Kindheitserlebnissen und erotischen Unpässlichkeiten leidender junger Engländer dorthin flüchtet, wo Sigmund Freud gerade über Traumdeutung, Totem und Tabu nachdenkt und die auf seiner Couch liegenden Patienten auf ihrer Reise ins verdrängte Innerste ihrer Seele begleitet, so ist das eine einleuchtende Idee.

Für William Boyd, den 60jährigen britischen Autor, der seine Leser mit einem fein ausgetüftelten psychoanalytischen Spionagethriller begeistern will, liegt die Idee jedenfalls auf der Hand. Sein Held wider Willen, der englische Jungschauspieler Lysander Rief, hält sich im Jahr 1913, also am Vorabend des Ersten Weltkrieges und des katastrophalen Zivilisationsbruchs, in Wien auf. Eigentlich will er in der (gleich bei Freud um die Ecke liegenden) psychoanalytischen Praxis von Dr. Bensimon nur seinen Macken und Marotten auf den Grund gehen. Doch dann steigt er nicht nur in die Abgründe seiner Ängste hinab, er verfällt auch den unergründlichen Augen und den erotischen Reizen einer sexbesessenen Frau. Hettie Bull, so heißt die rätselhafte Schöne, blendet, betört und heilt den kopflos Verliebten, aber sie verwickelt ihn auch in eine brisante politische Affäre und stößt ihn in einen Strudel aus Lug und Betrug, Geheimnis- und Landesverrat.

William Boyd, der hierzulande mit „Ruhelos“ und „Einfache Gewitter“ zwei veritable Erfolge hatte, liebt das literarische Spiel mit Erzählweisen und Perspektiven. Dichtung und Wahrheit liegen bei ihm oft ununterscheidbar beieinander. In der fiktiven Künstlerbiografie über den Maler „Nat Tate“ hat er das Verwirrspiel so weit getrieben, dass viele Leser und Künstler beschwören wollten, den erfundenen Nat Tate und seine Bilder gekannt zu haben. In seinem neuen Roman „Eine große Zeit“ erfindet er nicht nur eine abenteuerliche Spionagestory, er führt den Leser auch in eine von Mythen und Märchen, Lügen und Legenden bis zur Unkenntlichkeit durchdeklinierten Epoche des wissenschaftlichen Fortschritts und politischen Irrsinns. Es geht, wie immer bei Boyd, um Unruhe und Rastlosigkeit, Identitätssuche und Selbstbetrug – und um den schmalen Grat, der aus einem brillanten ein gescheitertes Leben machen kann.

Lysander Rief ist neugierig und intelligent, aber auch naiv und leicht zu beeinflussen: ein gefundenes Fressen und gefügiges Opfer für sexuelle und politische Manipulation. Nicht nur Hettie Bull treibt ihr Spiel mit dem jungen Schönling, auch der britische Geheimdienst weiß, wie man sich die Schauspieltalente Lysanders zu Nutzen machen kann. Kaum ist der Krieg ausgebrochen, wird man den Mimen zum Agenten umformen und ihn an die Spionagefront schicken. Das allein wäre vielleicht ein spannender, doch noch kein großer Roman. Aber Boyd weiß um seine literarischen Stärken und entwickelt, parallel zum immer komplizierter werdenden Labyrinth aus Liebe und Verrat, ein schillerndes Spiel mit Erzählweisen. Neben dem allwissenden Erzähler gibt es auch den Ich-Erzähler Lysander Rief. Auf Anregung seines Psychoanalytikers führt er ein Tagebuch seiner geheimsten Wünsche. Diese Tagebuchpassagen sind voller poetischer und zweifelnder Gedanken, manchmal erweitern, manchmal konterkarieren sie die vom allwissenden Erzähler vorangetriebene Handlung. Ist das, was geschieht, vielleicht nur ein literarisches Spiel des Autors oder eine Einbildung des psychisch lädierten Ich-Erzählers? Um dem Geheimnis dieses sich zwiebelartig häutenden Erzählwerkes auf den Grund zu kommen, braucht der Leser Geduld. Aber die Lösung ist eigentlich ganz einfach. Sie liegt offen zutage. Man muss nur den Mut haben und in der Lage sein, sie zu sehen und wahrzunehmen.

William Boyd: „Eine große Zeit“. Roman. Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky. Berlin Verlag, 446 Seiten, 22,90 Euro.




Als Hörde noch groß und wichtig war

Ein Reprint einer Landkarte aus dem Jahre 1791 kam mir vorgestern in die Hände. Da sieht man, welche Maßstäbe damals der Wiener Kartograph Freiherr von Reilly setzte.

Eine noch ältere Karte der Grafschaft Mark.

Der Ort Hörde ist neben Bochum und Wattenscheid als gleichwertige Stadt dargestellt, daneben gibt es noch den Weiler „Lutken Dortmund“, und Blankenstein an der Ruhr sieht genauso groß aus wie „Herdicke“ und „Westhoven“. Radevormwald hieß noch „Radt vor dem Walde“, das heute recht beschauliche Breckerfeld wird als Zentrum dargestellt, ebenso wie Limburg und „Elverfeld“. Natürlich gab es den Namen Wuppertal noch nicht.

Wien war ja weit weg, und so schlichen sich auch wohl einige Hörfehler ein: Stiepel findet sic h in der Karte als „Stieget“, Albringhausen im heutigen Wetter ist als „Alvinghausen“ aufgeführt, und statt des uralten „Gut Rochholz“ in Gevelsberg an der Ennepe heißt es bei Reilly „Rothholz“.

Straßen oder Chausseen, wie man früher sagte, findet man übrigens nicht eingezeichnet, und – na klar – Autobahnen schon gar nicht. Interessant ist aber der Titel der Karte, denn der sagt etwas über die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Sauerland“ („Süderland“) aus. Er lautet in voller Länge: „Der Grafschaft Mark Sauerland oder der Südliche Theil mit der Grafschaft Limburg und der Abtey Werden“.




Ortsbegehungen in Mahlers Welt

Nicht nur im laufenden Mahler-Gedenkjahr, auch lange noch darüber hinaus, werde ich sehr gerne zu dem schönen, geschmackvoll edierten Lebensbuch greifen, das der Residenz Verlag unter dem Titel „Mahlers Welt / Die Orte seines Lebens“ unlängst hat erscheinen lassen. Alle, die sich für Mahlers große Symphonik interessieren, sich für sie zu interessieren beginnen, sie vielleicht sogar schon lieben, werden sich mit diesem stattlichen Band auf Dauer anfreunden können.

Man könnte dieses Buch, wenn man es in einem durch liest, im fortwährenden Ausgang von den akribisch aufgeführten und detailreich kommentierten, recht zahlreichen Wohn- und Aufenthaltsorten und innerstädtischen Wohnadressen Mahlers her als eine besondere Art Mahler-Biographie lesen, oder aber es chronologisch und vom sehr hilfreichen Register her recht vorteilhaft als Nachschlagewerk benutzen. Zudem: Wer im letzten Jahr im Wiener Palais Lobkowitz die Ausstellung „Gustav Mahler und Wien“ gesehen hat oder eine der bedeutenderen Biographien zu Gustav Mahler (z. B. die von Jens Malte Fischer) bereits kennt, findet in diesem Buch eine gute Ergänzung.

Aber auch jener, der ohne allzu große Vorkenntnisse ist, und, ohne dass er den Zugang zu den Mahlerschen Kompositionen bereits gefunden hätte, unversehens auf dieses Buch stößt, könnte bei der fortlaufenden Erkundung und der fortlaufenden, durch etwa 600 Photographien gestützten Besichtigung der Orte von Mahlers Lebens einen zumindest sekundären Zugang zu Mahlers Schaffen gewinnen.

Ohnehin kann einem der Gedanke kommen, ob nicht auch so schon jedes Menschenleben auf seine Weise interessant ist und gebührendes Interesse verdiente; und wie es wäre, wenn man nicht nur das Leben der Berühmten, sondern auch das der Obskuren Revue passieren ließe; ja sogar, wie es wäre, wenn man das Leben Nahestehender oder auch das eigene Leben in der Chronologie der jeweiligen Wohn- und Aufenthaltsfolge in ihrem Leben einmal etwas genauer unter die Lupe nähme. Gewiss: die Vita der bereits Berühmten wird immer – auch buchmarktsmäßig gedacht – von größerem Interesse sein. Aber seit welchem Jahrhundert (wenn nicht dem Zeitalter der Renaissance in Italien) gibt es überhaupt ein Interesse an Künstler…-Viten? Und liegt diesem Interesse am Biographischen bei Künstler…n nicht fast immer die affektiv besetzte Beachtung der von den Künstler…n geschaffenen Kunstwerke ursächlich voraus?

Und war es nicht auch bei Gustav Mahler ähnlich? Wie schändlich lange hat es doch posthum gedauert, bis er in der Öffentlichkeit die ihm und seinem schöpferischen Werk auch nur einigermaßen angemessene Würdigung endlich und erst nach erfolgter Schleusenöffnung geradezu boomartig gefunden hat! Anlässlich des vorliegenden, über 400 Seiten starken Bandes „Mahlers Welt“ (ein Titel, der einen an den des größten Bucherfolgs von Jostein Gaarder erinnert), male ich mir aus, wie ein ähnlich zugeschnittener Band mit Blick auf andere Künstler aussähe, die ähnlich häufig wie Mahler von Ort zu Ort, von Adresse zu Adresse gezogen sind. Mir kommen da auf Anhieb Kleist, Grillparzer, Dostojewskij, auch Kafka, in den Sinn, um von den bedeutenden exilierten Künstlern mal ganz zu schweigen.

Wer also, sagen wir im Ruhrgebiet, z. B. wissen will, was Mahler mit dem Ruhrgebiet zu tun gehabt hat, wird im Register nach Ruhrgebietsstädten Ausschau halten und dabei auf die Seitenhinweise zur Stadt Essen stoßen. Auf Seite 261 erfahren wir, dass Mahler im Januar 1907 in Berlin unter anderem „den Gründer des Essener Folkwang-Museums Karl Ernst Osthaus“ getroffen hat, und auf den Seiten 303f. wird uns ausführlich mitgeteilt, was es mit Mahlers Mai-Aufenthalt 1906 in Essenfür eine Bewandtnis hatte. Auf S. 304 z. B. ist u. a. zu lesen: „Am 27. Mai um 17.30 Uhr fand im Städtischen Saalbau die zwiespältig aufgenommene Uraufführung von Mahlers VI. Symphonie unter der Leitung des Komponisten statt. Das aus 111 Musikern bestehende Orchster setzte sich aus den Städtischen Orchestern Essen und Utrecht zusammen. Mit der Eisenbahn wurde aus Paris von der Firma Musel Père et Fils, Paris IX.ar., 46 Rue de Douai, die in der Partitur vorgeschriebene Celesta herangeschafft, die laut erhaltenem Frachtbrief-Duplikat ein Gewicht von 101 kg hatte und 450 fl kostete.“

Je eine der etwa 600 in Einheitsgröße kleinen Abbildungen des Gesamtbandes findet sich auf den beiden Mahlers 1907er-Aufenthalt in Essen betreffenden Seiten 303 und 304. Auf Seite 304 ist der von 1904 bis 1943 existente zweite Essener Saalbau, ein „Jugendstil-Bau“, abgebildet, in dem Mahlers „Sechste“ 1907 uraufgeführt wurde.
Durchgängig sind die Abbildungen des Bandes kleiner als Postkarten, aber deutlich größer als die Briefmarkenabbildungen in älteren Michel-Katalogen. Dadurch bekommt zwar einerseits der jeweilige Text ein größeres Gewicht, andererseits verkümmert das Bild ein wenig zum bloßen Anhaltspunkt. Mir hat Letzteres allerdings nicht allzuviel ausgemacht. Mir hat die Einheitlichkeit in der jeweiligen Bildgröße des so unterschiedlichen Bildmaterials aus gesamtästhetischen Gründen durchaus gefallen. Zur Not hätte ich mir mit einer Lupe geholfen, wenn nicht ohnehin schon die Internet- und CD-Rome-Gewohnheit, kleine Bilder durch Zoomen jederzeit vergrößern zu können, bei mir inzwischen deutlich innerlich nachwirken und kleinste Bilder wie von selbst auch innerlich weiten würde.

Notorische Zweifler fragen jetzt vielleicht noch: 1.) Ist „Mahlers Welt“ denn nicht vordringlich in der von ihm komponierten Musik zu finden? 2.) Kann man denn erwarten, dass Mahlers „Welt“ sich aus chronologisch aneinandergefügten Stationen und Aufenthaltsorten als „Welt“ im wahrsten Sinne des Wortes zusammensetzen ließe?

Zur 2. Frage ist Folgendes zu sagen:
Erstens schränkt der Untertitel „Die Orte seines Lebens“ den Haupttitel „Mahlers Welt“ schon etwas ein.
Und zweitens wird in allen ortsbezogenen Beiträgen überzeugend und erfolgreich Wert darauf gelegt, sie in deutlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Menschen und ihrer Geschichte zu bringen. Briefzeugnisse Gustav Mahlers und anderer werden da, wo ihr Ort ist, in die jeweiligen Artikel ebenso einbezogen wie passende, erhellende Dokumente und in unermüdlicher Akribie erzielte Rechercheergebnisse. Manchmal erfährt man sogar, wie nebenbei, wie eine bestimmte Straße einst zu ihrem Namen gekommen ist (vgl. beispielsweise auf S. 25 die Namensgeschichte des „Rennwegs“ in Wien).
Drittens ist auf diesem strikt faktenbezogenem Wege ein sehr informatives, reichhaltiges und anregendes Buch entstanden. Zur Freude derer, die noch mehr über Mahler erfahren wollen, und als verlockende Möglichkeit für jene, die über unverbiestert zuverlässige Biographie- und Kulturgeschichtsfragmente vielleicht doch noch einmal einen eigenen Zugang zu Mahlers Musikwelt zu finden trachten, auch wenn sie es vorher vielleicht gar nicht erhofft hatten.

Helmut Brenner / Reinhold Kubik: „Mahlers Welt. Die Orte seines Lebens“. Residenz Verlag. 408 Seiten, 39,90 Euro.




Für eine hübsche Welt – Der Künstler Friedensreich Hundertwasser starb mit 71 Jahren

Von Bernd Berke

Einen Friedensreich Hundertwasser konnte man nicht mit dem Vorwurf beirren, er produziere Kitsch. „Die Abwesenheit von Kitsch macht unser Leben unerträglich“, hat er einmal darauf geantwortet. Tatsächlich haben seine malerischen und architektonischen Zeichen-Landschaften ja etwas Anheimelndes, etwas Wärmendes inmitten der manchmal so unterkühlt wirkenden Moderne.

Mit 71 Jahren ist Hundert an Bord des Kreuzfahrtschiffes „Queen Elizabeth II“ gestorben, mit dem er aus seiner Wahlheimat Neuseeland nach Europa unterwegs war. Seinem Testament gemäß soll er auf seinem neuseeländischen Landgut beigesetzt werden, im sogenannten „Garten der glücklichen Toten“.

Die Liebe zur Spiralform

Die bunte Spirale war sein Grundmotiv. Seitdem er diese Form für sich gefunden hatte(es war anno 1953), ließ er sie allüberall einfließen. Sie wurde zum universell verwendbaren Markenzeichen, das sich später nahtlos in die Poster-Kultur und auch ins ornamentale Massendesign etwa für Tassen oder Bettwäsche einschleusen ließ.

Doch Hundertwasser begann als Außenseiter der Szene. An der Kunstakademie hat es der gebürtige Wiener (bürgerlich: Friedrich Stowasser) 1948 nur drei Monate ausgehalten. Lieber orientierte er sich ohne professorale Umwege an Vorbildern wie Gustav Klimt oder Egon Schiele. Auch begab er sich auf ausgedehnte Reisen durch Nordafrika, was seinen Stil gleichfalls prägte. Berühmt wurde sein „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ von 1958. Er empfahl, Zersetzungs-Substanzen über glatten Beton zu ließen, auf dass die Natur in Gestalt von Schimmelpilzen sich Bahn brechen könnte. Mit derlei Ideen waren nur ganz wenige Bauherren zu begeistern. Auch provozierende öffentliche Nacktauftritte machten seinen Namen bekannt.

Auf seinen zahllosen Bauten, allen voran dem „Hundertwasserhaus“, das längst eine Wiener Touristenattraktion ersten Ranges geworden ist, schimmert das Dekor in allen Regenbogenfarben und immer wieder in Gold, die Fenster sind bewusst „windschief“ gesetzt, die Böden bucklig ausgeführt – und obenauf krönen Dachgärten oder Zwiebeltürmchen die gefälligen Werke. Ein Hauch von Disneyland, dessen Bauten ja auch ohne wirklichen Bezug zur umgebenden Welt entstehen, umweht das Ganze.

Als Einzelstück hie und da mochte das Genuss bereiten, doch Hundertwasser schickte sich an, etlichen Städten diese (so der vielfache Kritiker-Schimpf) „Verhübschungen“ angedeihen zu lassen.

Ökologisches Gedankengut

Es gab nichts, was er nicht in seinem Sinne (um)baute – von der japanischen Müllverbrennungsanlage über den Plattenbau in Wittenberg bis zur neuseeländischen Toilettenanlage. Zuweilen ließ Hundertwasser, der sich die eigene Ortsbesichtigung zuletzt häufig ersparte, nur die Außenhaut der Gebäude nach seinen Vorstellungen umgestalten, während drinnen alles beim Alten blieb. Mit ökologischen und pazifistischen Gedanken, die Hundertwasser seinen Arbeiten beimaß, war das manchmal nur noch schwer zu vereinbaren.

Alle rechten Winkel und geladen Linien gerieten ihm derart zu ästhetischen Feind-Bildern, dass sich die Abneigung zum konservativen Dogma zu verfestigen drohte. Doch wenn man sich die oft lieblos hingeklotzte Nachkriegs-Architektur in jener falsch verstandenen Nachfolge des „Bauhauses“ vergegenwärtigt, kann man für Hundertwassers Aversionen Verständnis aufbringen.




Handke im Sonnenschein – Claus Peymann inszeniert „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ am Wiener Burgtheater

Von Bernd Berke

Wien. Auf der Bühne des Burgtheaters war am Samstag viel von Vorfrühlings-Hoffnung die Rede. Und als die Uraufführung von Peter Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ nach vier Stunden vorüber war, funkelte eitel Sonnenschein: Der Dichter, sonst allen Auftritten vor der Menge abhold, kobolzte – nach kurzer Verlegenheitsfrist – mit Regisseur Claus Peymann vor dem frenetisch jubelnden Publikum.

Zwei Herren, die schon einige Kapitel Theatergeschichte geschrieben haben, benahmen sich für ein paar Sekunden wie zwei fröhliche kleine Knaben.

Kein Gegenwartsautor, ausgenommen Botho Strauß, hat sich so sehr dem weihevollen Ton verschrieben wie Handke. Auch im neuen Stück spricht er oftmals wie ein Seher oder Prediger. Dies wird wieder Scharen von Spottdrosseln auf den Marktplatz rufen. Doch nach Peymanns Uraufführung werden sie’s nicht leicht haben.

Schwere Passagen wirken federleicht

Denn der hat vorgebaut. Er hat mit seinem Ensemble diesem hie und da zum monologischen Vortrag neigenden Text wundersames Bühnenleben eingehaucht. Ohne ironisch zu denunzieren oder die Sache herabzustufen, läßt er selbst schwerste Passagen federleicht und gelöst erscheinen.

Schutt- und Aschelandschaft, schräg zum Zuschauerraum hin gekippt (Bühnenbild: Achim Freyer): Dies ist die namenlose, lang isolierte, dann von fremder Macht kriegerisch unterworfene Enklave. Man hat schon gerätselt, welche Ländereien Handke meint. Österreich, von Deutschland beherrscht? Anspielungen auf Ex-Jugoslawien? Halten wir’s mit Goethe: Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen.

Verheißungsvolle Augenblicke sammeln

In der Enklave, die später aufblüht, lebt ein Volk, das in seine Niederlagen immer vertieft und vernarrt war, das nie einen Helden oder nennenswerte Historie hervorgebracht hat. Fruchtbarer, gleichsam jungfräulicher Humus also für völligen Neubeginn. Und damit ein Nährboden für das fortwährende Projekt des Peter Handke: Durchs wahrhafte, gänzlich unvoreingenommene Anschauen der Dinge Raum, Ziel und Maß zu gewinnen für ein würdigeres Erdendasein. Dies sind denn auch „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“: beständiges Ansammeln verheißungsvoller Dinge und Augenblicke, um, wenn schon nicht gleich zum Sinn, so doch vorderhand zum „Nicht-Unsinn des Lebens“ (Stückzitat) vorzudringen.

Zwei merkwürdige Helden, die in der Enklave geboren werden, sollen die neue Ära ins Werk setzen: die Vettern Pablo (Gert Voss), stets drangvoll kampf- und siegbereit, und Felipe (Johann Adam Oest), ein ewig fröhlicher Versager. Jeder hat seinen Teil der Wahrheit. Der eine pulvert auf, der andere besänftigt. Grandios, wie Voss und Oest diese eher als Prinzipien entworfenen Wesen als Charaktere von Fleisch und Blut gestalten.

Das weitere Personal wirkt wie ein fernes Nachglühen praller Shakespeare-Welten: Die Erzählerin (Anne Bennent), als holde Elfe im regenbogenfarbenen Röckchen, mit taubeglänzter Sprache und träumerischen Gesten alle beschwingend; ein Idiot (Urs Hefti) als gelegentlich weiser Narr; das durch eine einzige Figur dargestellte Volk (Martin Schwab), allergisch gegen Botschaften, mit bescheidenem Wohlstand zufrieden…

Zwischen Drachen und Fabeltieren

Sprachmächtiges Künden, aber auch Clownerie wechseln mit Passagen wortloser Begebenheiten, bei denen das „ganz Andere“ als Möglichkeit aufscheint. In der herrlich wandelbaren Szenerie, in der Drachen aufsteigen, Vögel fleuchen oder Fabeltiere einherziehen, entfaltet sich ein kaum erschöpfliches Denk- und Sinn-Spiel, ein eigentümlicher Sagen- und Legendenstoff von neuem, unerhörtem Königtum und Gesetzgebung zum ewigen Frieden.

Lauscht man genau, hat freilich schon Handke selbst dem Pathos immer wieder die Spitze geknickt. Das „Königsdrama“ (Untertitel) handelt weniger von Gekrönten als vom Königsweg zur befriedeten Menschlichkeit. Es ist von hier und jetzt, auch wenn es entschieden übers „Heute“ hinaus will. Und jene allzeit die Enklavenbewohner bedrohende „Raumverdränger-Rotte“, die mit „1-D-Brillen“ und Echo-Saugern alle räumlichen oder zeitlichen Staffelungen (und damit jede Sehnsucht) von der Erde tilgen will, kann man sich gut als Vorhut einer entseelten, technisch-virtuellen Zukunft vorstellen.




Gefährlich lockt das Weib – Frankfurt: Groß angelegte Kunstschau zur Erotik in der Wiener Moderne

Von Bernd Berke

Frankfurt. Wie haben sich diese Herren mit dem Bildnis der Frau abgeplagt! Sie war ihnen die gefährlich lockende Sirene, das animalische Wesen oder die rätselhafte Sphinx. „Sehnsucht nach Glück“ heißt eine großartige Frankfurter Ausstellung zur Wiener Moderne der letzten Jahrhundertwende. Wo aber ist das Glück?

Zentralfiguren der umfangreichen, mit Raritäten gespickten und aus allen Weltteilen zusammengetragenen Schau (rund 200 Exponate) sind Gustav Klimt und Egon Schiele. Zudem wird der Umkreis der 1897 gegründeten „Secession“ einbezogen, mit deren Wirken die (gleichfalls in Beispielen gezeigte) akademisch-bombastische Salonkunst von „Malerfürsten“ wie Hans Makart überwunden werden sollte. Spitzenwerke von internationalen Gästen der damaligen Gruppenausstellungen (z. B. Edvard Munch) runden das pralle Zeitbild ab.

Auf eigenen Pfaden unterwegs

Die Frankfurter Auswahl ist im Zusammenklang mit dem Österreich-Schwerpunkt der Buchmesse entstanden. Und siehe da, es verhält sich ähnlich wie auf dem Felde der Literatur: Auch die bildenden Künstler des Alpenlandes haben sich ihre speziellen Pfade zur Moderne gebahnt. Mit Schubladenbegriffen wie Symbolismus und Jugendstil ist dies schwerlich zu fassen.

In der Schirn-Kunsthalle hat man gut daran getan, die Beweisführung nicht ausufern zu lassen, sondern sich auf ein Thema zu konzentrieren – eben die Darstellung von Eros und Sexualität.

Obwohl die Grundformel eigentlich „Kunst plus Weib gleich Lebensglück“ lauten sollte, erbeben die meisten Werke in lasziven Angst-Lust-Phantasien vor der Frau. Das Weib erscheint fast immer im Rollenschema zwischen Hure und Madonna. Kein Zweifel allerdings, daß gerade aus derlei seelischen Verkantungen und Zerklüftungen mitreißende Kunst erwachsen ist.

Gustav Klimt läßt einige nackte Damen als stumme und gänzlich anonyme „Goldfische“ (1901/02) durchs erotische Bassin schwimmen. Nach historisierenden Anfängen mit plüschig wucherndem Dekor, erobert sich Klimt mit dem Bildnis der „Sonja Knips“ (1898) buchstäblich neuen Freiraum, denn er beläßt eine große leere Fläche neben der eleganten Frauenfigur. Alsbald wird er solche Felder mit Ornamenten füllen – ein Weg in die Abstraktion. Schlüsselbild für diese Entwicklung ist „Pallas Athene“ (1898), die damals mit ihrer in Goldflitter eingefaßten, unerbittlich fordernden Erotik für Skandale sorgte. Gipfelwerk einer zum Sprechen gebrachten Ornamentik ist „Die Jungfrau“ (1913), sogkräftige Zusammenschau der Stufen von Unschuld und „Sünde“.

Der Mann als Opfer seiner Triebe

Dem Manne bleibt in solchen Szenarien und (jeweils anders abgestuft) in denen etlicher Zeitgenossen (u. a. Oskar Kokoschka, Lovis Corinth, Fernand Khnopff) meist nur die Rolle eines an den Rand gedrängten Voyeurs, eines hilflosen Opfers der Triebe. Tödlicher Akt des Verderbens: Max Klingers nixenhafte „Sirene“ (1895) reißt ihren Partner ins wild wogende Meerwasser der Lüste. Es wirkt wie ein verzweifelter Gegenangriff, wenn Egon Schiele das Fleisch der Frauen zeigt, als sei es gegeißelt worden. Vollends auf die Nachtseite treibt der mit exquisiten Tuschfederzeichnungen vertretene Alfred Kubin das Thema. Er wirbelt den dunklen Bodensatz der sexuellen Alpträume auf.

Die Summe des Unglücks und der gescheiterten Ansprüche, Kunst und Leben zu versöhnen, verrät sich in den Selbstporträts. Besonders angesichts der hochmütig-verkrampften Abwehrposen, mit denen sich Egon Schiele selbst vergegenwärtigt hat, kann einen das Frösteln erfassen.

„Wiens Aufbruch in die Moderne“. Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main (Römerberg). Bis 3. Dezember, tägl. außer montags 10-19 Uhr. Mi/Do 10-22 Uhr. Katalog 49 DM.




Bochums OB: Aussichten für Peymanns Bleiben gestiegen – „Krisensitzung“ mit Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Bochum/Düsseldorf. Ist er mit dem Wiener Burgtheater handelseinig geworden, oder bleibt Claus Peymann doch am Bochumer Schauspielhaus? Es darf weiter gerätselt werden – auch nach der dreistündigen „Krisensitzung“, zu der Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck Peymann und (als Vermittler) NRW-Kultusminister Hans Schwier am späten Montagabend nach Wattenscheid gebeten hatte.

Manfred Gutzmer, Pressesprecher der Stadt Bochum: „Der Oberbürgermeister ist optimistisch und beziffert die Chancen dafür, daß Peymann bleibt, jetzt wieder auf über 50 Prozent.“ Das Gespräch mit dem OB und dem Kultusminister habe „Eindruck auf Peymann gemacht“.

Nach Auskunft von Michael Rüdell, Pressesprecher des Kultusministeriums, sind Peymann von keiner Seite aus bindende Zusagen gemacht worden. Insbesondere Peymanns kostspielige Forderung nach einer zweiten Schicht seiner Technik (nötig für häufige Auswärts-GastspieIe) könne vom Land ebensowenig erfüllt werden wie sein Wunsch, die Bühne zu einem höher bezuschußten „Staatstheater“ zu machen. Rüdell: „Zur Bereitstellung von ein paar Hunderttausend Mark würden sich Mittel und Wege finden.“ Man könne, um die notwendigen Mittel freizumachen, notfalls den gesamten Haushalt des Kultur-Ressorts auf Einsparmöglichkeiten durchforsten oder auch beim Finanzministerium sogenannte „überplanmäßige Mittel“ beantragen. Die Hauptlast der finanziellen Zugeständnisse müsse gegebenenfalls aber die Stadt Bochum tragen. Dort war zu erfahren, daß man sich „über gewisse Steigerungsraten“ beim 17,5-Mio.-Zuschuß fürs BO-Theater durchaus verständigen könne.

Bochums OB Eikelbeck ging gestern auf Reisen – dem Vernehmen nach nicht in Richtung Wien, sondern rein privat nach Paris. In Wien jedenfalls gehen alle beteiligten Stellen davon aus, daß Peymann an die „Burg“ kommt; es ist gar von einer „Zusage“ die Rede, wobei in der Schwebe gelassen wird, ob bereits Unterschriften geleistet wurden.

Schwiers Sprecher Rüdell faßt die in Wattenscheid gewonnenen Eindrücke bündig zusammen: „Ein Pokerspiel, und zwar auf fallen Seiten.“ Minister Schwier, der in Begleitung eines Finanzexperten erschienen war, habe Peymann nahegelegt, sich genau zu überlegen, „was er da eigentlich gegen seine Tätigkeit in Bochum eintauschen würde.“ Der Kultusminister wolle Peymann zwar in NRW halten, werde dem Intendanten aber „nicht nachlaufen“. Schwier habe mit seiner Vermittlerrolle Oberbürgermeister Eikelbeck „eine Gefälligkeit erweisen wollen“. Nun erwarte man in Kürze eine von Peymann angekündigte Erklärung. Da Peymann Eikelbeck versprochen hat, zuerst ihn persönlich von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, wird die Erklärung vermutlich frühestens nach der Rückkehr Eikelbecks am 5. April erfolgen. Bis dahin soll Rolf Paulin, Verwaltungsdirektor des BO-Theaters, mit Schwiers Finanzexperten Vorverhandlungen aufnehmen.