Die Gesellschaft verzeiht nichts: „Max und Moritz“ in der Regie von Antú Romero Nunes bei den Ruhrfestspielen

Max und Moritz (Stefanie Reinsperger und Annika Meier) (Foto: JR/Berliner Ensemble/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Ein wenig nerven sie schon: Max und Moritz, die in Deutschland weltberühmten Wilhelm-Busch-Geschöpfe, die da auf der Bühne, ungelenk zunächst, ihre Gliedmaßen bewegen, ihre Beweglichkeit entdecken, etwas später auch den Körper erforschen, auch zwischen den Beinen, wo das kleine Fingerchen plötzlich zur Faust am ausgestreckten Arm wird.

Ist aber nur Spaß; wie das alles nur Spaß ist, köstliche Kinderalbernheit, begleitet von seligen Lustlauten in Teletubbi-Manier, „O-o“ in leicht abfallender Tonfolge. Man kriegt es nicht mehr aus dem Kopf, wenn es sich da einmal festgefressen hat. Max und Moritz also auf Pampers-Niveau? Zunächst schon.

Die Bilderwelt Wilhelm Buschs

In einer Koproduktion des Berliner Ensembles mit den Ruhrfestspielen erzählt Antú Romero Nunes die Bildergeschichte der beiden Knaben (mit ganzem Einsatz gespielt von Stefanie Reinsperger und Annika Meier) nach, die irgendwann natürlich dem Säuglingsalter entwachsen, aber doch Kinder bleiben.

Liebevoll sind auch die anderen Personen ausstaffiert und geschminkt, wurden die häufig recht ikonographischen Bildkompositionen Buschs nachempfunden oder – wie der Herd der Witwe Bolte – durch emsiges Bemühen um den Zusammenbau gleichsam reinszeniert. Manches Mal auch sorgt ein in das Geschehen ungelenk hineingefummelter Bilderrahmen für Widererkennbarkeit einer Szene und Aha-Effekt (Bühne: Matthias Koch, Kostüme: Victoria Behr). Und wüßte man es nicht besser und würde man Wilhelm Busch nicht kennen, so könnte man sich bei so viel anspruchsvoller Künstlichkeit auch in einer Produktion Robert Wilsons wähnen. Nur geht es hier noch viel lustiger zu.

Ein stolzer Hahn ist auch dabei (Foto: JR/Berliner Ensemble/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Hahn und Hühner

Zum Niederknien komisch gerät der Hühnermords bei Witwe Bolte, der akribisch genau nacherzählt wird – bis hin zu jener technisch anspruchsvollen Szene, in der Max und Moritz sich den Braten durch den Schornstein angeln. Schauspieler geben drei flatternde Hühner und einen arroganten Hahn, sind eine köstliche Lachnummer, die ausgiebig dargeboten wird. Doch amüsiert man sich hier etwa unter Niveau?

Todesstrafe

Keine Bange. Nunes veranstaltet keine krachkomische Nummernrevue, was der Vorlage ja durchaus entspräche, sondern zeichnet mit den Protagonisten – Witwe Bolte, Lehrer Lämpel, Schneider Böck, Onkel Fritze, Meister Müller – die Gesellschaft nach, in der all dies geschieht. Und die die Streiche von Max und Moritz mit dem Tod bestraft. Man bemerkt die Absicht möglicherweise nicht so schnell, in diesem Schwall nicht enden wollender Heiterkeit.

„Max und Moritz“ – und im Vordergrund die Witwe Bolte (Sascha Nathan) (Foto: JR/Berliner Ensemble/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Fallhöhe

Kluge Köpfe haben darüber spekuliert, ob Buschs Bildergeschichte nun Schwarze Pädagogik ist oder eine entwaffnende Kritik derselben. Nunes jedoch macht aus dem Stoff eine veritable Tragödie. Wenn sich die Kinder – nicht ganz der Vorlage gemäß – schließlich in der Backstube ausziehen müssen, wenn sie sogar ihre typischen Haartrachten abgeben müssen, um in der Mehlkiste gewendet und hernach gebacken zu werden, dann ist das unerwartet bedrückend, dann ist da plötzlich schwindelerregend viel kathartische Fallhöhe. Dann wird es auch sehr still im Zuschauerraum. Und man ist dem Regisseur dankbar, daß er das ganz finale „Rickeracke“ wegläßt.

Weitere „Max und Moritz“-Szene (Foto: JR/Berliner Ensemble/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Empörung

Denn er hat ja recht. Was man den Kindern antut, ist empörend. Würde man einen Jugendrichter fragen, wie gravierend die Straftaten der beiden Knaben waren, würde der wahrscheinlich abwinken. Kaum der Rede wert. Dieses Unrecht empört Antú Romero Nunes, und ihm ist auch die ironische Sicht zu wenig. Da unterscheidet er sich natürlich von Wilhelm Busch, der gerne in der Pointierung die Wahrheit fand, der klarere Positionierungen in Leben und Werk aber vermied und lieber auf Distanz blieb. Hier nun, ganz plötzlich: Gesellschaftskritik, über deren Aktualität zu diskutieren wäre.

Ein großartiges Stück Theater

Jedenfalls ist diese Produktion ein großartiges Stück Theater geworden, überwiegend heiter und tragisch doch auch, voll Hochachtung vor dem Autor der Vorlage, deren biedermeierlich-gefährliche Kleinbürger und Bildentwürfe hier so wunderbar auf die Bühne gestellt werden. Der erzählerische Duktus ist von selten gewordener Souveränität, die Musik (Johannes Hofmann, auf der Bühne Carolina Bigge) fein gesetzt.

Das Berliner Ensemble unter der immer noch recht neuen Leitung von Oliver Reese hat sich nachdrücklich empfohlen. Begeisterter Applaus.

  • In Recklinghausen wird das Stück nicht mehr gespielt.
  • Die nächsten Berliner Termine: 22. und 26.5., 1., 2., 15. und 16.6.
  • www.berliner-ensemble.de



Was seit Wilhelm Busch geschah: 150 Jahre deutsche Comics in Oberhausen

Da hat man sich in Oberhausen hübsch was vorgenommen: Nicht weniger als die ganze Geschichte des deutschsprachigen Comics seit Wilhelm Busch will man in prägnanten Beispielen nacherzählen. Besucher der neuen Ausstellung „Streich auf Streich“ dürfen ausgiebig der Augenlust frönen, sehen sich aber auch gefordert.

In Zahlen: Die Tour durch 150 Jahre Comic-Historie ist in 15 Kapitel („Streiche“) unterteilt, rund 300 Originalzeichnungen und 60 Erstdrucke sind in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Die Schau erstreckt sich weitläufig über mehrere Etagen und umfasst die ganze mediale und stilistische Bandbreite. Gastkurator Martin Jurgeit zeigte sich höchst angetan von solchen Ausbreitungs-Möglichkeiten. Er kann in Oberhausen noch mehr auftrumpfen als in Hannover, für dessen Wilhelm-Busch-Museum er die Schau geplant hat.

Wilhelm Busch: Zeichnung aus "Max und Moritz", 1865 (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Wilhelm Busch: Zeichnung aus „Max und Moritz“, 1865 (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Der wahrhaft vielfältige Rundgang beginnt beim Vorvater und frühen Großmeister der Zunft: Wilhelm Busch hat tatsächlich bereits typische Merkmale der allmählich entstehenden Gattung entwickelt, die vor allem Erzählrhythmik, Dynamik und Lautmalerei betreffen.

Sein feinfühliger, oftmals auch zupackend furioser, stets trefflicher Strich prägt unvergängliche Bildergeschichten. Davon bekommt man auch in Oberhausen einige herrliche Kostproben. Man schaue nur seine fulminante Darstellung eines Klaviervirtuosen an, der wechselnde Tempi und Stimmungswerte erklingen lässt. Bewegter geht’s nimmer.

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen "Vater und Sohn", 1930er Jahre (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen „Vater und Sohn“, 1930er Jahre (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Fast schon tragisch zu nennen, dass es dem Schöpfer von „Max und Moritz“ (1864/65) und vieler anderer berühmter Gestalten peinlich war, auf solche Weise sein Geld zu verdienen. Dabei überragte er seine Zeitgenossen auf diesem Gebiet bei weitem. Doch schon mit 51 Jahren zog er sich, mit Tantiemen bestens versorgt, aus dem unterhaltenden Gewerbe zurück und malte fortan nur noch „seriös“ – aber beileibe nicht genial. Wie hat der Mann, offenbar fehlgeleitet von klassischen Bildungsidealen, sich selbst verkannt!

Mittelbar hat das Werk von Wilhelm Busch auch den Anstoß für zahlreiche Kreationen in der Frühzeit der US-amerikanischen Comics gegeben. Im Auflagenkampf der Zeitungsmogule (Hearst vs. Pulitzer) waren die gezeichneten Geschichten ein unverzichtbares Mittel, um Tagesblätter populär zu machen.

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Von deutschstämmigen Zeichnern verlangte der Verleger Hearst ausdrücklich Strips im Gefolge des Wilhelm Busch, wortwörtlich: „something like Max and Moritz“. Und so geschah es. Rudolph Dirks, aus Heide (Schleswig-Holstein) in die Staaten ausgewandert, schuf mit „The Katzenjammers Kids“ (ab 1897) eine Inkunabel des Comics, die pfeilgerade bei Wilhelm Busch ansetzte. Es war damals nicht der einzige deutsche Einfluss auf diese aufstrebende Kunstform. Selbst der Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger gab mit „The Kin-der-Kids“ einen lange nachwirkenden Impuls.

Die opulente Schau verfolgt Traditionslinien noch und noch. So ist ein Kapitel der (politischen) Satire gewidmet. Im Blickpunkt stehen hierbei der legendäre „Simplicissimus“ (Olaf Gulbransson, Th. Th. Heine), der von 1896 bis 1944 erschien. Diese Überlieferung riss freilich ab. Erst ab Anfang der 1960er Jahre belebten Zeichner wie Robert Gernhardt, F. K Waechter und Chlodwig Poth diesen Strang im Satiremagazin „Pardon“ neu, beim nominellen Nachfolger „Titanic“ pflegt man das Genre nicht mehr.

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Die Illustriertencomics der bundesdeutschen Nachkriegszeit (Anfänge etwa seit 1949) kommen gleichfalls in Betracht: HörZu („Mecki““), Quick („Nick Knatterton“) und Stern waren die Vorreiter. Der „Stern“, für den zeitweise auch Loriot arbeitete, leistete sich die Kinderbeilage „Sternchen“, die ihr Publikum nicht zuletzt mit Comics unterhielt.

Selbstverständlich kommt man um Heftchenreihen wie Disneys Micky Maus (in Deutschland ab 1951 und gleich konkurrenzlos vollfarbig) oder den deutschen Nacheiferer Rolf Kauka und sein „Fix und Foxi“ (ab 1953) nicht herum. Durch die mehr als kongeniale Übersetzung von Erika Fuchs erhielten auch Micky Maus und Donald Duck sozusagen eine „deutsche Tönung“. Außerdem legten später etliche deutsche Zeichner Hand an.

Hendrik Dorgathen: "Bubbles" (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Hendrik Dorgathen: „Bubbles“ (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Und weiter, weiter: Da geht’s vorbei an Abenteuercomics im Streifenformat („Sigurd“, „Akim“ und Artverwandtes), an Comic-Alben der 70er bis 90er Jahre, in denen beispielsweise Gerhard Seyfried und Walter Moers („Das kleine Arschloch“) eminente Auflagen erzielten, an Autorencomics, z. B. von Ralf König und Volker Reiche, die beide auch das edle FAZ-Feuilleton mit täglichen Beiträgen zierten…

Überhaupt hat sich der Comic, der bis in die 60er Jahre hinein noch unter Schundverdacht stand, längst auch in der Hochkultur etabliert. Seit einigen Jahren floriert die sogenannte „Graphic Novel“, in der Comic-Erzählweisen aufs Niveau ambitionierter Romane geführt werden und ästhetisches Neuland erobern. Solche Schöpfungen erscheinen denn auch als Bücher in den großen literarischen Verlagen. Auf diesem Gebiet zählen deutsche Künstler abermals zur internationalen Vorhut. Ein Mann wie Hendrik Dorgathen zeichnet auf professoralen Reflexionshöhen. die gleichsam immer die lange und windungsreiche Geschichte des Comics mitbedenken.

Im Manga-Stil: Martina Peters, "Miri Maßgeschneidert", 2012 (© Martina Peters)

Im Manga-Stil: Martina Peters, „Miri Maßgeschneidert“, 2012 (© Martina Peters)

Rund 150 Jahre sind seit „Max und Moritz“ vergangen. Die letzten Ausläufer der verzweigten Schau lassen ahnen, dass endlich auch einmal Frauen von sich reden machen, und zwar vor allem mit „Germangas“, also der deutschen Spielart japanischer Mangas. Außerdem tut sich schließlich das weite Feld der Internet-Produktionen auf, die wiederum neue Erzählstrukturen hervorbringen. Hier können neuerdings deutsche Künstler regelmäßig US-Actioncomics zeichnen, ohne deshalb gleich auswandern zu müssen.

Gewiss: Man hätte entschiedener Schwerpunkte setzen, Schneisen schlagen und dafür anderes auslassen können. Der ehrgeizige Gesamtüberblick droht hie und da zu zerfasern. Aber wenn man sich Zeit lässt und dazu etwas nachlesen kann…

„Streich auf Streich“. 150 Jahre deutschsprachige Comics seit Max und Moritz. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Vom 14. September 2014 bis zum 18. Januar 2015. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 4 €. Booklet 4 €.




Wilhelm Busch: Lustvolle Zerstörung der Idylle

Gleich hinterm Eingang blickt der Besucher in einen Zerrspiegel. So sieht man sich nicht gern. Doch im Schloss Oberhausen geht’s ja auch um einen Verzerrer der sichtbaren Wirklichkeit: Wilhelm Busch, Urahn vieler späterer Comic- und Cartoon-Künstler.

Der Schöpfer von „Max und Moritz”, „Hans Huckebein” und zahlloser weiterer Bildergeschichten hat klassisches Rüstzeug an Kunstakademien erworben. Wenn er will, kann er etwa im Stile der alten Holländer malen. Doch schon beim anfänglichen Maschinenbau-Studium karikiert er seine Dozenten. Schalkhafte Blätter aus Kollegheften zeugen davon.

Die Ausstellung „Herzenspein und Nasenschmerz” stellt Wilhelm Buschs Werke in Zusammenhänge mit Vorläufern und Nachfahren. Karikierende Tendenzen gab es z. B. schon bei Francisco Goya (Verzerrung durch Schmerz), beim Franzosen Grandville oder beim Engländer William Hogarth, der mit Vorliebe die Folgen von Alkohol und Hurerei drastisch darstellte – moralische Appelle wider den Verfall der Sitten.

Vorbilder waren also da. Kennzeichen: entlarvende Übertreibung typischer Wesensmerkmale, eine vordem ungeahnte Dynamik, gewollt schräge Perspektiven, Mut zum Hässlichen. Bald begnügte man sich nicht mehr mit Einzelbildern, sondern zeichnete Handlungsabläufe.

An solche Traditionen kann Wilhelm Busch anknüpfen. Fotografien oder auch Franz von Lenbachs gemaltes Busch-Porträt zeigen einen selbstgewissen Mann, der sich für den Markt zu inszenieren weiß. Allerdings ist er auch Pessimist und traut keinem bürgerlichen Frieden. Häufig die Szenen, in denen er eine (romantische oder biedermeierliche) Idylle gründlich zerstört.

Theater der Grausamkeit, Schauplatz niederer Instinkte: Wie allerlei Körperteile malträtiert werden, führt Busch mit detailfreudiger Lust am Schaden aus. Dabei spielt er das verfügbare Bildvokabular virtuos durch, erweitert es wohl auch, so etwa mit rasanten Wechseln zwischen Totale und Nahansicht, die bereits Bildstrategien des Kinos vorwegnehmen. Die Original-Zeichnungen lassen einen scharfen, harten Strich erkennen. Man spürt noch, wie Erregung und Aggression darin nachzittern.

Busch ist so populär, dass auch andere Künstler ihn zur Kenntnis nehmen müssen. Diese Einfluss-Linien will die Oberhausener Schau sichtbar machen. Einige Beispiele sollen Wilhelm Buschs Fernwirkung bis hin zum frühen US-Comic belegen. Die Serien entstehen anfangs vielfach mit Blick auf deutsche Einwanderer in den Staaten. Der deutschstämmige Rudolph Dirks erfindet die „Katzenjammer Kids” (publiziert ab 1897), Winsor McCay „Little Nemo in Slumberland” (ab 1905) und Lyonel Feininger die „Kin-der Kids” (1906). Seitenblicke gelten den Disney-Figuren Mickey Mouse und Donald Duck. Auch für sie, so die These, habe Busch das Terrain bereitet. In welcher genauen Hinsicht Busch sie alle inspiriert hat, das wäre reichlich Stoff für Doktorarbeiten. Bemerkenswert jedenfalls, dass August Macke Busch den „ersten Futuristen” nennt.

In Richtung Gegenwart franst die vom Hannoveraner Busch-Museum bestückte Ausstellung etwas aus. Politisierende Karikaturen, Comics und Cartoons von Tomi Ungerer bis F. K. Waechter, von Paul Flora bis Tullio Pericoli lassen just viele Verzweigungen ahnen. Aber man kann Wilhelm Busch nicht jede Vaterschaft andichten.

„Herzenspein und Nasenschmerz. Wilhelm Busch und die Folgen”. Schloss Oberhausen. Konrad-Adenauer-Allee 46. Bis 24. Feb. 2008. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 28 €.

_________________________________________

ZUM LEBENSLAUF:

  • Wilhelm Busch wurde am 15. 4. 1832 in Wiedensahl bei Hannover geboren.
  • 1847-51 Maschinenbau-Studium in Hannover.
  • Kunstakademien: 1851 Düsseldorf, 1852 Antwerpen, 1854 München.
  • Ab 1858 Mitarbeit an den „Fliegenden Blättern”.
  • 1865 erscheint „Max und Moritz”, 1867 „Hans Huckebein”, 1872 „Die fromme Helene”, 1879 „Fipps der Affe”, 1883 „Balduin Bählamm”.
  • Nach 1884 liefert Busch keine Bildergeschichten mehr, sondern verlegt sich ganz auf Malerei. Das aktive künstlerische Schaffen reicht bis etwa 1895.
  • Tod am 9. Januar 1908 in Mechtshausen/Harz.



Die Kultur des Rauchens schwindet

Tja, Leute, bald ist es so weit. Dann darf man an vielen, vielen Orten nicht mehr ungestraft rauchen. NRW-Gaststätten werden ab 1. Januar 2008 vermutlich fast durchweg zur qualmfreien Zone, bei der Bahn ist ab 1. September auch in Fernzügen Sense. Das bedeutet auch, dass eine Kulturepoche verrinnt. Pflichtschuldiger Hinweis: Dieser Zeitungsartikel wird Ihrer Gesundheit nicht schaden!

Die europäische Ära des gekräuselten blauen Dunstes hat im Prinzip mit Kolumbus begonnen, in dessen Gefolge das von Anfang an umstrittene Tabakszeug aus der „Neuen Welt” zu uns kam. Es gab Zeiten, in denen manche Ärzte das Laster sogar als gesund einstuften. Doch früh wurde es auch als „Saufen des Nebels” geschmäht. Goethe war strikt dagegen, Hitler auch. Aber was besagt das schon?

Um nur ein paar Beispiele aus der Hochkultur zu nennen: Ist Bert Brecht ohne Zigarre denkbar? Kann man sich Humphrey Bogart oder James Dean ohne Zigarette vorstellen? Hat man Jean-Paul Sartre je ohne Kippe gesehen? Was wären die Romane eines Weltklasse-Autors wie Italo Svevo („Zeno Cosini”, „Ein Mann wird älter”) ohne die allzeit gültigen Passagen übers Rauchen? Der Mann hat gewusst, wie verdammt schwer das Aufhören ist.

Jawohl, es gibt so etwas wie Rauchkultur. Diese genüssliche, gesundheitsschädliche Gewohnheit (Zwischenruf: „Sucht!”) enthält ein reiches Repertoire an Gesten und Ausdrucksweisen. Zahlreiche Filmszenen wären ohne die (lässigen, eleganten oder schäbigen) Rituale nicht halb so prägnant. Eine Grundform sieht bekanntlich so aus: Er will ihr kavaliershaft Feuer geben, doch sie pustet mit einem lasziven Hauch das Flämmchen aus. Blende.

Volles Verständnis für Nichtraucher, die sich gestört und belästigt fühlen. Da hat man unbedingt Rücksicht zu nehmen. Doch beim Feldzug gegen das Rauchen waltet manchmal auch Übereifer. Hysteriker sind stets an vorderster Front, wenn es ums Untersagen geht. Vor Monaten forderten einzelne Stimmen, in Privatautos solle nicht mehr geraucht werden. Die „grüne” Europa-Abgeordnete Hiltrud Beyer wollte zudem Biergärten erfassen, sprich: Auch unter freiem Himmel sollte das Verbot greifen. Das ging selbst Sabine Bätzing, der Suchtbeauftragten der Bundesregierung, zu weit. Man wüsste nur zu gern, was psychologisch hinter derlei verbotswütigen Forderungen steckt: allgemeiner Frust, Missgunst, Reinheitswahn, verquaste Paradies-Vorstellungen oder Heilserwartung?

Zurück in kulturelle Gefilde. Die Hallen der Frankfurter Buchmesse, ehedem geradezu ein Hort des blauen Dunstes, werden in diesem Jahr erstmals rauchfrei sein. Etliche Autoren werden dort noch nervöser umhertigern als ohnehin schon. Vielleicht wird da manches Gespräch vorzeitig abgebrochen, damit man sich draußen in der Oktober-Kühle eine anzünden kann. Und jüngst hat man in Großbritannien einem der wohl ärgsten Raucher der Gegenwart, Keith Richards von den „Rolling Stones”, das Qualmen auf der Bühne verleidet.

Die Vorreiter
des Verbotswahns

Wie man weiß, kommt der Verbotswahn vornehmlich aus den USA. Achtung, jetzt wird’s polemisch: Dort, wo man Schusswaffen jederzeit frei kaufen kann, ist man uns eben in Sachen Puritanismus voraus. Der Disney-Konzern hat verkündet, nur noch Nichtraucher-Filme zu produzieren. Schade. Da kann man die „Bösen” gar nicht mehr dadurch brandmarken, dass sie ekelhaft tabaksüchtig sind. Fehlt noch, dass man die alten Streifen digital manipuliert und Humphrey Bogart nachträglich zum nikotinfreien Chorknaben macht.

_______________________________________________

P. S.: Der Autor dieser Zeilen hat seinen täglichen Zigarettenkonsum von cirka 40 (oh, du meine Güte!) auf rund 15 Stück (naja!) reduziert.

P.P.S. am 26. Juni 2011: Der Autor dieser Zeilen hat im September 2008 aufgehört zu rauchen, manchmal leidet er immer noch daran. But it’s getting better all the time…

_______________________________________________

Zitate zum Thema:

„Das Rauchen macht dumm; es macht unfähig zum Denken und Dichten (. . .) Die Raucher verpesten die Luft weit und breit und ersticken jeden honetten Menschen . . .” (J. W. v. Goethe)

„Ich verstehe nicht, wie jemand nicht rauchen kann, – er bringt sich doch, sozusagen, um des Lebens bestes Teil . . .” (Thomas Mann in „Der Zauberberg”)

„Männer, die sich das Rauchen abgewöhnt haben, sind mir unheimlich.” (Jeanne Moreau)

„Drei Wochen war der Frosch so krank! / Jetzt raucht er wieder. Gott sei Dank!” (Wilhelm Busch)

„Es ist ganz leicht, sich das Rauchen abzugewöhnen; ich habe es schon hundert Mal geschafft.” (Mark Twain)

„So geht es mit Tabak und Rum / erst bist du froh, dann fällst du um.” (Wilhelm Busch).
(Quellen: Wikipedia, zitate.net)




Wilhelm Busch: Ernste Kunst blieb seine Privatsache – Oberhausen zeigt Gemälde des berühmten Humoristen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Wenn einem der Ruf des Humoristen anhaftet, gibt es hierzulande schwerlich die höheren Weihen der Kunst. Diese Befürchtung hegte auch Wilhelm Busch, der volkstümlich berühmte Urheber von Comic-Vorläufern wie „Max und Moritz“ oder „Hans Huckebein“. Ernsthafte Tafelmalerei betrieb er daher nur ganz privat.

In Oberhausen kann man jetzt eine breite Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen betrachten. Das Wilhelm-Busch-Museum zu Hannover wird umgebaut, daraus ergab sich die solche Chance der umfangreichen Ausleihe.

Zeitlebens ist Wilhelm Busch (1835-1908) mit diesem Teil seines Werkes nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Heimlich, still und leise hat er geübt, hat zahllose Bleistift-Skizzen und Ölbilder gefertigt. Man nimmt an, dass es schließlich 2000, vielleicht auch 4000 Arbeiten gewesen sind. die er hortete – in Wiedensahl bei Hannover, weit abseits der Kunstmetropolen.

Die „Dornröschen“-Szenen von 1855 atmen noch den Geist lieblicher Märchen-Romantik. Aber dann! Es ist unverkennbar, dass um 1870 Anstöße von den alten niederländischen Meistern kamen, besonders Frans Hals ist zu nennen. Auf einem Selbstbildnis zeigt sich Busch als Holländer; auch der „Mann in Tracht mit Glas“ gehört in diesen Kontext. Sogar „Prügelszenen“, die man thematisch den humoristischen Bilderbögen zuordnen würde, kommen in altmeisterlicher Manier daher. Die Farbpalette könnte von Rembrandt stammen.

Abgeschottet vom damaligen Kunstbetrieb

Einerseits bekam er in der Provinz kaum Rückmeldung aus der „Szene“, andererseits musste Busch hier keine öffentlichen Ansprüche bedienen (es war die Zeit der monumentalen Historien-„Schinken“), sondern konnte lustvoll experimentieren. So kam es, dass die ungeheure, schon „filmreife“ Dynamik seiner Bildergeschichten sich als moderner Impuls auf die Malerei übertrug. Die Rasanz der Pinselschläge bekam zunehmend Eigenwert, die Farben verselbstständigten sich als Ausdruck von Stimmungen. Eine Landschaftsskizze wie „Durchblick“ (1890/95) gerät bereits an den Saum der Abstraktion.

Freilich wird man in Oberhausen auch durch diverse Übungs-Stadien geführt. Winzige Skizzen (Busch nutzte noch den letzten Rest vom Bleistiftstummel für derlei Etüden) werden in großmächtigen Rahmungen vorgeführt – ein Effekt, den Busch selbst gewiss bizarr gefunden hätte. Natürlich zeigt die Ludwig Galerie auch etliche Bilderbögen, jene dramaturgisch treffsicheren Klassiker boshaften Witzes. Gerade heraus gesagt: Hierin war Busch wirklich ein Genie und seiner Zeit voraus. Als Maler war er gleichfalls gut, jedoch nicht einzigartig.

Ludwig Galerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). 4. Dez. 1999 bis 19. März 2000. Tägl. außer Mo 11-18 Uhr. Eintritt 8 DM, Familie 15DM, Katalog 38 DM.