In den Zeiten der Trauer – Wilhelm Lehmbrucks Entwürfe für Grabmäler in Duisburg

Von Bernd Berke

Manchmal muss man Sammlungen nur nach anderen Gesichtspunkten sortieren – und schon erschließen sich ungeahnte Einsichten. In Duisburg hat, als vermeintlich geringfügiger Anstoß, eine vor drei Jahren überlassene Dauerleihgabe auf die neue Spur geführt.

„Die Seele“ heißt das Relief des Museums-Namensgebers und großen Plastikers Wilhelm Lehmbruck (1881-1919). Es zeigt eine ätherische Frauengestalt, die sich anschickt, gen Himmel zu entschweben. Kaum tauchte die Arbeit im Lehmbruck-Museum auf, gruppierten sich – fast wie von selbst – immer mehr Skizzen, Zeichnungen und Skulpturen aus dem reichen Fundus um sie herum. Sie haben allesamt innig mit dem November-gemäßen Thema „Tod“ zu tun.

Lukrative Einnahmequelle

Katharina Lepper, Kuratorin der Ausstellung „Wilhelm Lehmbruck: Grabmäler – Entwürfe für Leben und Tod“, fand heraus: Dieser Künstler hat nicht nur (noch mehr als vermutet) weite Teile seines Frühwerks dem Tod gewidmet, sondern auch etliche Entwürfe für Grabmäler und Gedenksteine geschaffen wie für einen Musterkatalog. Einiges wurde auf Friedhöfen ausgeführt, das meiste ist nicht erhalten geblieben. Es kann aus Relikten bestenfalls indirekt erschlossen werden.

Fest steht, dass aufwändige Grabmäler, etwa mit Figureninventar und Säulen-Architektur, seinerzeit eine äußerst lukrative Einnahmequelle waren. Umso erstaunlicher, dass der damals gerade 25-jährige Lehmbruck einschlägige Aufträge erhielt. Erfahrene Kollegen erblassten vor Neid.

Zugeständnisse an die Verwertbarkeit

Freilich musste Lehmbruck auf diesem anfangs der ökonomischen Verwertbarkeit künstlerischen Tribut zollen. Wollte er reüssieren, so hatte er sich an die enge Konvention, ja gelegentlich gar an triviale Muster zu halten. Einige bewegt sich nah am religiösen Trauer-Kitsch. Serien von Kinderbildnissen („Junge Liebe“, um 1906) oder Mutter-und Kind-Darstellungen (unklar: ob es wirklich Trauerbildnisse sind und wer gestorben war), sind recht süßlich geraten, ein Bergmanns-Relief weicht kaum vom damals üblichen Duktus ab. Keine kühne Form-Reduktion weist in Richtung Moderne.

Dennoch kann man erahnen, dass Lehmbruck seinen künstlerischen Durchbruch schon in dieser Frühzeit hatte. Nach und nach entfernte er sich von akademischen Skizzen (das Nachzeichnen von Grabmälern gehörte zur Ausbildung) und tastete sich zur eigenen Auffassung vor. Zudem changieren einige Arbeiten zwischen Traurigkeit und Lebensfeier. Wahrhaft tief Empfundenes lässt sich eben nicht festlegen. Man könnte hier leicht auf die uralte Idee zurückkommen, der Tod führe just in ein neues Leben. Eine Glaubensfrage.

Was der Schlaf bedeuten kann

Die Ausstellung bewegt sich, dem Gegenstand entsprechend, auf teils unsicherem Gelände. Zuweilen entscheidet die Präsentation eines Werks über die Deutung mit: Der Kopf einer schlafenden Frau könnte, aufrecht an der Museumswand postiert, ein normales Porträt sein. Legt man ihn jedoch auf einen Sockel, so stellt sich gleich der Gedanke an das Fragment eines Grabmales ein. Dann würde der Schlaf den Tod bedeuten.

Inwieweit das Todesthema Lehmbrucks psychischer Disposition (starke Neigung zu depressiven Phasen) entgegenkam, darüber lässt sich nur spekulieren. Schmerzlich verbürgt ist, dass der Künstler sich am 25. März 1919 das Leben genommen hat.

Bis 9. Februar 2003




Auf dem Wege zum Urbild – Alexej von Jawlensky und einige Zeitgenossen in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Für hiesige Museumsbesucher ist Alexej von Jawlensky (1864-1941) wahrlich kein Unbekannter: 1998 gab es eine reich bestückte Retrospektive am Dortmunder Ostwall, sodann eine (wegen Fälschungs-Verdachtes) höchst strittige Schau im Essener Folkwang-Museum. Nun ist Jawlensky gleichsam noch ein Stück weiter nach Westen gewandert und im Duisburger Lehmbruck-Museum „angekommen“.

Hier hat man einen etwas anderen Ansatz gefunden, um den Meister der Klassischen Moderne zu präsentieren. Unter den 100 Exponaten stammen 48 von Jawlensky. Das ist kein Manko, im Gegenteil. Sinnfällig wird sein Werk auf den künstlerischen Kontext der Zeit bezogen. Dabei konzentriert man sich vornehmlich auf Jawlenskys Schweizer Jahre von 1914 bis 1921. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte der russische Künstler, der bis dahin in München lebte (wo er mit Franz Marc die Gruppe „Blauer Reiter“ gründete), Deutschland verlassen müssen.

Kontrast zur wilden Szene der Dadaisten

Zunächst siedelte er sich in einem Dorf bei Lausanne an, wo er in Isolation verharrte und hauptsächlich wehmutsvolle Einsamkeits-Blicke aus seinem Fenster malte. Dann aber zog es ihn in die äußerst fruchtbare Emigranten-Szene Zürichs. Vor allem die Dadaisten hatten sich dort versammelt und provozierten als eine Art wüster Spaß-Guerilla mit oft grotesken Aktionen das Bürgertum. In Duisburg beschwören u. a. phantasievolle Masken den kreativen Mummenschanz.

Über diesem quirligen Umfeld schwebte der schon etwas ältere Jawlensky als eine Art Vaterfigur, vielleicht nicht so ganz von dieser Welt. Hatte er in München noch farbglühende Landschaften und Porträts geschaffen („Spanierin“, um 1911), so begab er sich nun mit religiöser Inbrunst auf den Weg vom Abbild zum Urbild des menschlichen Antlitzes.

Asketisch schmale Lippen

Immer meditativer und ikonenhafter geraten nun die Serien der frontalen Gesichter, meist in suggestiver Nahansicht. Charakteristisch die strichförmig geschlossenen Augen und asketisch schmallippige Mundlinien. Auf früheren Bildern hatten diese erleuchteten Wesen noch gelegentlich groß geschaut (oder: das Jenseits ins Auge gefasst), doch auch da standen ihre Pupillen schon seltsam senkrecht, von mystischer Entrückung kündend.

Dies alles wäre schon eine Ausstellung wert, doch gibt es zudem erhellende Querbezüge. Bestens trifft es sich, dass der Duisburger „Hausheilige“ Wilhelm Lehmbruck damals gleichfalls eine Zeit lang in der Schweiz weilte und sich Vergleiche mit seinen Skulpturen anbieten; beispielsweise mit jener Plastik, die Lehmbruck nach dem Bilde der aussichtslos vergötterten Schauspielerin Elisabeth Bergner („Betende“, 1918) schuf.

Auch bei Lehmbruck wird ein Drang ins Jenseitige spürbar, der Impulse von Jawlensky bezogen haben mag. Vielleicht war ja unerfüllte Liebe ein beiden Künstlern gemeinsamer Sublimierungs-Quell, denn auch Jawlenskys langjährige Verbindung mit der Malerin Marianne von Werefkin gilt als zwiespältig und erotisch nebulös. Nun aber Schluss mit Spekulation und Tratsch!

Vergeistigung durch Krankheit

Fakt ist, dass die Duisburger auch einige Exponate aus dem dadaistischen Bereich (Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Marcel Janco, Hans Richter) zeigen – sozusagen als fröhlich-chaotische Kontrapunkte, neben denen Jawlenskys spirituelle Wesensart umso deutlicher hervortritt.

Dem Streben Jawlenskys näher verwandt sind jene wundervoll sanftmütigen Arbeiten von Paul Klee oder die ebenfalls famosen Bilder des Schweizers Ferdinand Hodler, der z. B. immer wieder eine Freundin porträtierte – zunächst in der Blüte ihres Lebens, später von Krankheit gezeichnet. Eine tief betrübliche, vom körperlichen Verfall erzwungene Vergeistigung.

Jawlenskys Schweizer Jahre endeten 1921, als er von Ascona nach Wiesbaden umzog, weil dort seine Förderin Emmy Scheyer wohnte. Bis zu seinem Tod (1941) lebte er dort. Zunehmend von Arthrose (Gelenksteife) geplagt, konnte Jawlenksy in den 30er Jahren nur noch formal einfache Bilder hervorbringen. Keineswegs zynisch gemeint: Vielleicht kam dies seinem Hang zum stillen, frommen Schauen sogar entgegen.

Jawlensky in der Schweiz. Lehmbruck-Museum, Duisburg. Bis 9. September. Di-Sa 11-17, So 10-18 Uhr. Eintritt 6 DM, Katalog 48 DM.

 




Gewagter Vergleich von Lehmbruck und Beuys in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Das LehmbruckMuseum besitzt, wie könnte es anders sein, Zeichnungen von Wilhelm Lehmbruck (1881-1919). Es besitzt auch Zeichnungen von Joseph Beuys. Da Beuys in seinem Todesjahr 1986 den Duisburger Lehmbruck-Preis bekommen hat, fahndete Museumsleiter Christoph Brockhaus nach Verbindungslinien zwischen beiden Künstlern — und fand praktisch keine.

„Intuitiv“ habe man die von einer Tournee nach Duisburg zurückgekehrten Zeichnungen von Lehmbruck und jene von Beuys ausgewählt, um einen „Vergleich des Unvergleichbaren“ zu wagen, sagt Brockhaus selbst. Was nun als „Mentale Plastik — Zeichnungen von Lehmbruck und Beuys“ (bis 18. August) daherkommt, ist kaum mehr als umgruppierter und halbherzig ergänzter Eigenbesitz. Auch werden die Arbeiten beider Künstler nicht miteinander konfrontiert, sondern separat auf zwei Etagen gezeigt.

Nun gut. „Beseelte Linienführung“ und vielfach ein ätherisches Verblassen der Formen kann man beiden Künstlern nachsagen. Auch hat Beuys eine „Kriechende Frau“ gezeichnet, die mit der Lehmbruck-Serie der „Gestürzten“ in Beziehung gesetzt werden kann. Doch damit erschöpfen sich die „Gemeinsamkeiten“ auch schon. Lehmbruck bleibt Lehmbruck, Beuys bleibt Beuys. Sie unterscheiden sich nicht wie Tag und Nacht, aber wie Morgen und Abend.

Das alles heißt nicht, daß man keinen Kunstgenuß vorfände. Beispiel: Lehmbrucks „Macbeth“-Serie, in der es zu wahren „Körperexplosionen“ kommt. Hauchfein den Sinnen sich entziehend sind diese Figuren gezeichnet — wie Erscheinungen nah am Urzustand.