Zeitschriften (1): „Homes & Gardens“ – Die Welt als schöne Dekoration betrachtet

Nein, ich war nie ein Freund solcher Magazine und werde mein Lebtag auch keiner mehr sein.

Doch der Reihe nach: Ich wollte hier seit langem eine Serie über Zeitschriften starten, die in ihrer immer noch überbordenden Fülle tausenderlei Interessen zu bedienen scheinen – und hatte eigentlich vor, mit der offenbar gründlich zum Boulevard-Brüller mutierten „Bravo“ anzufangen. Doch die alte Tante unter den Jugendillustrierten gehört nicht zum Sortiment des Schmalspur-Händlers ums Eck.

Also spontan umdisponieren. Mein Blick fiel nun auf eine andere Regalreihe und ich dachte bei mir, als hätte ich Verbotenes im Sinn: Warum nicht mal stilvoll in der deutschen Ausgabe von „Homes & Gardens“ blättern? Den Titel muss man gleichsam oxfordianisch aussprechen. In Ermangelung einer zierlichen Coffee Table habe ich die Lektüre allerdings schnöderweise auf dem Schreibtisch vollzogen, was im Kosmos solcher Magazine schon an sich ein Vergehen ist. Ich bekenne mich schludrig, äh schuldig.

Das pastellfarbene Idyll besudeln

Und nun haltet mich fest. Denn schon bei genauerer Durchsicht einer einzigen Zeitschrift dieser Sorte erfasst mich nicht nur ein gewisser Unmut, nein: Ich würde diese durchweg unwirklichen, pastellfarbenen Welten am liebsten hie und da besudeln. Daraus könnten Psychologen sicherlich weitreichende Schlüsse ziehen. „Wie empfinden Sie das? Was macht das mit Ihnen?“

Materialien zu einer Kritik von "Homes & Gardens" (Foto: Bernd Berke)

Materialien zu einer Kritik von „Homes & Gardens“ (Foto: Bernd Berke)

Ruhe da! Derlei Petitessen trage ich mit mir selbst aus.

Ganze Seitenstrecken sind hier in bestimmten Farbtönen und zarten Kombinationen gehalten (Blauweiß und Mint, Jade und Blau oder auch Gelb und Zartrosa), als wäre vorerst – bis zur nächsten Trendwende – nichts anderes mehr erlaubt.

Was sich allzeit als „Inspiration“ oder „Idee“ versteht, gerät so im Handumdrehen zur zwar immer mal wieder wechselnden, doch nichtsdestotrotz faden Eintönigkeit. Unentwegt wird die „Individualität“ der Vorschläge beschworen, doch kann dieses Selbstlob nicht über eine gewisse Phantasiebegrenzung hinwegtäuschen.

Ziffern und Buchstaben aufstellen

So scheint es beispielsweise in diesen Kreisen Usus zu sein, im gesamten Domizil „Akzente“ zu setzen, indem man einzelne Ziffern und Buchstaben aufstellt oder hinhängt. Da gerät eine „2“ auch schon mal so monströs, dass man glatt darüber stolpern könnte. Andererseits sind die Behausungen ausnahmslos so weitläufig und großzügig, dass es auf ein paar Quadratmeter ohnehin nicht ankommt.

In der luftig sommerlichen Ausgabe Juli/August ist „Wohnen am Meer“ das Titelthema. Von konkreten Haus- und Grundstückspreisen ist da schon gar nicht mehr die Rede, man mag sie sich ausmalen und sich fragen, wer sich das leisten kann. Da gibt es Leute, die bereits höchst gediegen in Cornwall residieren und sich kurzerhand zusätzlich ein citynahes Stadthaus im sündhaft teuren London zulegen.

Wenn Erfolgspaare erzählen

Die Erfolgspaare, die da verzückt von ihren Traumhäusern erzählen, haben allesamt ähnliche „Geschichten“ parat. Sie haben sich samt und sonders ihren immobilen Lebenstraum erfüllt und (so die besonders beliebte Saga) teils etwas marode alte Häuser in jahrelanger, liebevoller Detailarbeit schönstens aufpoliert. Bis endlich die Leute von „Homes & Gardens“ vorbeigeschaut haben. Auf solche Weise wird das Lebensglück gekrönt, das man sich vorzugsweise lässig, entspannt und relaxed vorzustellen hat. Mithin etwas redundant. Also wohl auch ein bisschen langweilig.

So sehr ähneln sich die Berichte, dass man auf den verwegenen Gedanken kommt, einmal den jeweiligen Realitätsgehalt überprüfen zu wollen. Auch wäre man gern beim einen oder anderen Fotoshooting dabei gewesen, aber auch beim vorherigen Aufräumen und den nachherigen Verschönerungen mit Bildbearbeitungs-Programmen.

Egal. Hier genießen alle den direkten, unverstellten Seeblick – ob auf den Pazifik in der Villa zu Queensland (Australien), auf die britische See in der Doppelhaushälfte aus dem 18. Jahrhundert zu Devon (England) oder auf den Lago Trasimeno (Italien). Hach ja.

Erschütternd geschmäcklerisch

Wie der Titel der Zeitschrift schon ahnen lässt, liegt ein Schwerpunkt auf englischen Deko-Anregungen. Ich vermute mal, dass manch ein Beitrag aus der englischen Ausgabe übernommen wird, das eventuell als öde eingeschätzte Deutschland kommt eher am Rande vor. Es ist nicht zu bestreiten, dass dies oder jenes Objekt recht geschmackvoll aussieht, doch in der Summe und in der allfälligen Etepetete-Perfektion ist der Heftinhalt schier erdrückend geschmäcklerisch und keimfrei.

Apropos: Die Badezimmer-Tipps haben mir den Rest gegeben. Obwohl: Die Dusche, die verschiedene Regenarten simuliert und dabei diverses Nebelwallen, Lichtspiele und feine Düfte absondert, die haben wir ja inzwischen längst alle daheim installiert, oder etwa nicht? Doch das WC für schlanke 1420 Euro mit Fernbedienung, programmierbarer Komfortdusche und Warmluftföhn nötigt einem denn doch ein Wimpernzucken ab. Kann man da gar von obszönem Luxus sprechen? Ach, nicht doch! Immer gleich diese Ideologie aus purem Neid. Aber ein wenig ungerecht wird man doch mal sein dürfen.

Zusätzliche Ausstattung-Tipps kommen übrigens in aller Regel von den Frauen, wie denn auch die Zielgruppe eindeutig weiblich ist. Bis auf einen Direktor besteht überdies die gesamte deutsche Redaktion aus Frauen. Vielleicht kann ich deswegen überhaupt nicht mitreden. Ich Ignorant habe ja auch vorher keinen Gedanken darauf verschwendet, was „Poufs“ sind (im Bedarfsfalle bitte selbst recherchieren). Vor allem aber weiß ich, dass die Liebste einigen Elementen dieser Zeitschrift etwas abgewinnen kann. Sei’s drum. Es lebe die Verschiedenheit.

Blumen pressen, Brotkörbe basteln

Dafür weiß ich jetzt, dass der „Shabby Style“ (angeblich kein Trend, sondern ein „Lebensgefühl“!) alles andere als schäbig ist. Und wenn man wenigstens die Mehrzahl der Flohmarkt-Käufe und Erbstücke weiß anpinselt, kann man – wie es hier heißt – Kitsch vermeiden. Wie schön, dass das so einfach ist.

Auch wäre ich vorher nicht auf den Einfall gekommen, dass Frauen Seife für sich selbst als Geschenk verpacken (sollen), um sich auf jedes neue Stück zu freuen wie eine Schneekönigin. Dem Heft nach zu urteilen, haben manche von ihnen offenbar ziemlich viel Zeit übrig. Wenn sie nicht gerade shoppen oder in Wohnideen schwelgen, sollen sie nicht nur emsig Blumen pressen (ausgeschildert als „Comeback“ eines Hobbys aus viktorianischer Zeit), sondern zum Exempel auch Brotkörbe aus Hanfstoff basteln. Die Schritt-für Schritt-Anleitung wird für die gleichwohl weltoffene Lady natürlich anders durchnummeriert: Step 1 – Step 2… Heiligs Hänfle!

Warnung an apulische Bauern

Dass bei all dem nie die Bezugsquellen fürs Shopping vergessen werden, dass überhaupt der Übergang zwischen redaktionellen Teilen und Anzeigen zuweilen recht fließend ist, versteht sich beinahe von selbst. Das Äußere Erscheinungsbild, sprich Layout und Typographie, scheint hier bereits die Hauptarbeit zu sein. Die Texte hingegen funktionieren offenbar nach vorgegebenem Schema. Überraschungen sind nicht zu erwarten.

So sehr gerät hier alles zur Deko und zum schicken Accessoire, dass man den Reisehinweis (Apulien mit „ursprünglichen Bauerndörfern“) mit Unbehagen liest. Bevor die Leser(innen) dort einfallen, möchte man den Bauern am liebsten zurufen: Bleibt standhaft! Gebt nur eure alten Sachen nicht her!

Ich glaube, als nächstes brauche ich etwas Brachiales. Vielleicht eine Heavy-Metal-Zeitschrift?




Die Böden, auf denen wir leben

Reden wir mal kurz über Oberböden und Bodenbeläge. Über das, was wir täglich mit Füßen treten.

Doch was heißt hier treten? Da gibt es erhebliche Unterschiede. Je nach Befindlichkeit seiner selbst und nach Beschaffenheit des Untergrunds schreitet, schwebt oder schlurft man. Zwischen „klinisch gefliest“ und „mit schweren Orientteppichen belegt“ tun sich Welten auf. Wenn man nur genau genug nachforschte, ließen sich aus den Oberböden nicht nur finanzielle Potenzen, sondern wahrscheinlich auch politische und sonstige Präferenzen herauslesen. Zeige mir deine Bodenfliesen-Ornamente und ich sage dir, wer du bist.

Ganz früher waren wir mit schlicht gesprenkeltem Steinzeug oder Linoleum in abenteuerlichen Schmutzfarben zufrieden. Notfalls hätt es wohl auch der rauhe Estrich getan. Es scheint einem ja kaum der Erinnerung wert, worüber man damals gelaufen ist. Wir blickten nicht unter uns, sondern immer nur wirtschaftswunderlich nach vorn. Hoho.

Später machten wir es uns auf mehr oder weniger flauschigen Teppichböden schrecklich bequem. Keineswegs keimfrei. Einen Flokati zu sehen, erträgt man heute nur mühsam mit Fassung, spontan verspürt man so etwas wie angewiderte Rührung.

Wahnsinnig angesagt: Parkett mit Kratzern. (Foto: Bernd Berke)

Wahnsinnig angesagt: Parkett mit Kratzern. (Foto: Bernd Berke)

Diverse Parkettsorten vermittelten uns einen Begriff von gediegener Bürgerlichkeit. Dann kam irgendwann das Laminat. Da schwang das Wort Imitat schon reimgerecht mit. Man mag übrigens gar nicht dran denken, welche Verheerungen die Baumarkt-Ästhetik im verbliebenen Wohnungsbestand angerichtet hat. Davon vielleicht ein andermal. Und ja: Heutzutage gibt es auch ganz tolles Laminat, jaja, wirklich.

Außerdem gibt es ja die Guten, die Geschmackvollen, die sich im Vollgefühl ihrer unentwegten Korrektheit wiegen. Die so genannten Gentrifizierer, die sich in den schicken Stadtvierteln heuschreckenhaft über Altbauten mit Stuckdecken und Flügeltüren hermachen, bevorzugen in der Regel Schiffsparkett oder Dielenböden. Die knarren und knarzen so herrlich authentisch. Das Schwelgen in weiteren Klischees ersparen wir uns. Obwohl wir ganz genau wissen, welche Kinderwagen-Marke in diesen kreativen Kreisen am liebsten gekauft wird.

Andere Geldmenschen, die buchstäblich mit Luxus glänzen wollen, staksen oder schlittern über ungemein blankpolierte Steinböden mit exorbitanten Quadratmeterpreisen. Auf Marmor und Granit protzt es sich am besten. Die Redewendung „Bei mir beißt du auf Granit“ spielt untergründig mit. Ach, wie bodenlos!

Falls ich auf den schwankenden Böden der Tatsachen neuere Trends mitsamt Retro-Irrsinn verpasst haben sollte, sagt mir bitte Bescheid. Im Namen einer allgemeinen Mobilität und Bindungslosigkeit, so habe ich gestern im FAZ-Feuilleton lesen dürfen, werde auch das Wohnen immer beweglicher und schier grenzenlos wandelbar. Wer weiß: Vielleicht zieht man uns zwecks verschärfter Hipness bald den Boden unter den Füßen weg.




Bilder aus einer aufgeräumten Welt – Der neue Ikea-Katalog ist da / Nur die Bibel und Harry Potter haben höhere Auflagen

Von Bernd Berke

Bei diesem Druckwerk ist die Multi-Millionenauflage garantiert. Fast alle haben es dieser Tage im Briefkasten. Die einen nennen es den neuen Ikea-Katalog. Für andere ist es auch ein Dokument zur Alltagskultur.

„Lebst du schon?“, ruft einem der diesmal 380 Seiten starke Bilderroman vom Wohnen auf der Titelseite zu. So ist denn auch der Anfangsteil gleichsam der Lebensphilosophie vorbehalten. Kernsatz: „Arbeiten, machen, tun, hierhin hetzen, dahin hetzen – wo ist es geblieben, das herrliche Nur-zu-Hause-Sein im gemütlichen Nest daheim?“ Nachdrückliche Werbe-Prosa mit dem Verstärker-Effekt der variierten Wiederholung: zu Hause, daheim, Nest. „Einfach mal einen Termin sausen lassen“, rät man uns sodann. Alles klar, Chef. Nein, nein, in solchen Fragen hören wir nur bedingt auf Ikea.

Alles wirkt so adrett und fürsorglich

Welche lebenswerte Welt gaukelt uns dieser Katalog vor? Eine durchweg aufgeräumte. Hin und wieder tollen hier zwar Kinder herum, um zu demonstrieren, dass die Möbel es aushalten würden. Doch das Chaos soll keine Chance haben. An vielen Stellen wird betont, wie man seinen Alltag übersichtlich ordnen könne. Alles wirkt hier so adrett, fürsorglich, praktisch, robust – und gibt sich den Anstrich des Zeitlosen. Der Katalog gilt für zwölf Monate, er muss alle Jahreszeiten überdauern und darf sich nicht auf gar zu kurzatmige Moden einlassen.

Dennoch ahnt man, dass es mit Zeitlosigkeit nicht getan ist, dass vielmehr ganze Abteilungen bei Ikea die soziologischen Trends studieren. Kuschelige „Nestwärme“ in einer kalten, hektischen Welt wäre demnach als Zuflucht mal wieder angesagt. Nicht erst seit gestern.

Jugendliche und Senioren kommen kaum vor

Die jeweils kurz vorgestellten Designer, mehrheitlich aus der 30-plus-Generation, haben überdies nicht nur Form und Funktion, sondern allzeit auch Ökologie, soziale Standards und das Wohl der Dritten Welt im Blick. So jedenfalls die vorgegebene Linie. Man wird schon wissen, was man der angepeilten Klientel schuldig ist. Und man wird gewiss viel diskutiert haben, bevor man damals auf den Elch als Werbe-Emblem verzichtet hat oder als man 2004 beschlossen hat, auch die deutschsprachige Kundschaft einfach zu duzen. In solchen Arbeitsgruppen möchte man gerne mal Mäuschen spielen.

Der Katalog zeichnet dezent das Bild der idealen Ikea-Familie: jüngere Leute mit Kindern bis höchstens zehn oder elf; mehrheitlich brave Töchter, die oft beim eifrigen Lesen gezeigt werden. Der einstige Multikulti-Touch im Ikea-Kinderzimmer scheint jedoch deutlich abgenommen zu haben. Jugendliche und Senioren kommen praktisch gar nicht vor. Es sind wohl keine Zielgruppen.

Was sagt Anna zur Hochzeits-Frage?

Auffallend sind die offenbar exakt kalkulierten Farbenwechsel. Über viele Seiten hinweg geht es zurückhaltend zu, doch dann kommen zuverlässig schrillere, buntere, gelegentlich gar orientalisierende Anwandlungen –  vielleicht für eine wachsende Kundschaft mit Migrations-Hintergrund? Jedenfalls: Bloß keine Monotonie aufkommen lassen. Dies gilt auch für den Mix aus Klassikern und Neuerungen. Zur Beruhigung: Das Billy-Regal ist immer noch dabei.

Hübsch sind manche Details: So etwa der stolz ganzseitig präsentierte, kopfüber auf der Spüle stehende Kaffeebecher, dem man eigens eine Rinne zum Abfluss des Wassers spendiert hat. Oder der Stuhl, dessen Röhren man ohne Schraubarbeit zusammensteckt. Alle, die schon mal beim Aufbau eines Ikea-Teils geflucht haben, werden hier aufmerken.

Zum guten Schluss sind wir bei Ikea ins Internet gegangen und haben die virtuelle blonde Anna, die einem dort weiterhelfen soll, spaßeshalber gefragt: „Willst du mich heiraten?“ Was hat sie geantwortet? „Liebe ist für viele ein sehr wichtiges Thema… Aber frage mich doch lieber etwas über Ikea.“ So sind sie halt. Immer nett und freundlich. Aber manchmal auch ein wenig nüchtern.

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HINTERGRUND

Gesamtauflage 175 Millionen Exemplare

  • Seit Montag wird der deutsche Ikea-Katalog in einer Auflage von 31~Millionen Exemplaren (!) an die Haushalte verteilt.
  • Weltweite Auflage des Katalogs: 175 Millionen Stück. Laut Wikipedia-Onlinelexikon werden nur Bibel und Harry Potter-Bücher häufiger gedruckt.
  • Die Namensgebung hat System: Stühle und Schreibtische erhalten Männernamen, Betten norwegische, Teppiche dänische Ortsbezeichnungen usw.
  • Das Möbelhaus wurde 1943 in Schweden vom damals erst 17jährigen Ingvar Kamprad gegründet. 1951 gab es den ersten Ikea-Katalog.
  • Die erste deutsche Ikea-Niederlassung wurde 1974 in Eching bei MÜnchen eröffnet. Derzeit gibt es 38 Häuser in Deutschland. Es ist weltweit der größte Markt für die Schweden.