Die Fassade bröckelt

Eigentlich kreisen alle seine Bücher seit vier Jahrzehnten um die Lust auf Sex, Rausch und Drogen, den Hang zu kernigen Typen und rauflustigen Boxern. Wolf Wondratschek (Jahrgang 1943) ist vielleicht der letzte Macho der deutschen Literatur.

Doch jetzt, immerhin sind die besten Jahre vorbei und die Lebensuhr rückt unbeirrbar weiter, bröckelt die selbst gezimmerte Fassade. Der harte Kerl wird nostalgisch, lässt sein Leben Revue passieren und wird, wenigstens ein bisschen, gefühlig. Das liegt vor allem daran, dass Chuck, sein literarisches Alter Ego, in späten Jahren Vater eines Sohnes geworden ist und nun, mit Mitte 60, schwer ins Grübeln kommt. Zwar liebt Chuck seinen pubertierenden Sohn abgöttisch, aber er erreicht ihn nicht. Und verstehen kann er ihn schon gar nicht. Wie sollte er auch, ist der Sohn doch das Ebenbild seines Vaters als junger Mann: ein aufmüpfiger Mensch, der von den autoritären Erziehungsmethoden der Alten nichts hält und seine eigenen Erfahrungen machen will.

In „Chuck´s Zimmer“, einer 1974 im Alternativverlag „Zweitausendeins“ erschienenenen Sammlung mit Gedichten und Liedern, hatte Wondratschek sich zu einem drogen- und sexsüchtigen Intellektuellen stilisiert, der gegen alle politischen Ideologien und festen Beziehungen rebelliert. Das Gedicht „Warum Gefühle zeigen?“ endete mit den Zeilen: „Chuck, der sein Kind liebt, / das nie zur Welt kommen wird.“ Das wäre wohl auch zeitlebens so geblieben. Doch irgendwann hat der Zufall zugeschlagen. Weil Chuck mal wieder pleite war und kein Geld hatte, um in die Suchtklinik zu fahren, ging er in eine Bar und lernte eine Frau kennen, die ihm „Das Geschenk“ eines Sohnes machte.

Nun hockt Chuck alias Wondratschek am Schreibtisch und weiß nicht recht, was er mit diesem Geschenk anfangen soll. Weil Chuck seinen bei der Mutter lebenden Sohn selten sieht und sich zwischen ihnen emotionale Abgründe auftun, möchte der Vater sich dem Sohn durch Erzählen nähern. Er greift tief in die Erinnerungskiste, gräbt verschüttete Erlebnisse aus, versucht dem Sohn zu zeigen, dass auch der strenge Vater nicht immer nur ein alter Sack, sondern einmal ein junger Spund war. Dabei entstehen ein paar wunderbar witzige literarische Miniaturen. Der Besuch bei einer attraktiven Urologin: eine kabarettistische Glanznummer. Das Ansinnen, bei einem Treffen der Pharmaindustrie als Dichter aufzutreten: ein Abgesang auf die Rolle des Schriftstellers als Weltveränderer. Der Exkurs über Donald Duck als Genie des Scheiterns: eine an Samuel Beckett anknüpfende, absurde Kapriole.

Doch den hintergründig-humorvollen Sentenzen und aufgekratzten Selbstbespiegelungen haftet auch etwas Trauriges und Melancholisches an: ein eitler Pfau spreizt sich noch einmal und mutiert vom Macho zum nostalgischen Rentner. Der merkt denn auch gar nicht, dass ihm der Sohn als Zuhörer schon längst entflohen ist. Chuck spricht eigentlich nur noch mit sich selbst und benutzt den Sohn als Projektionsfläche seiner Reminiszenzen. Kein großes Buch, aber auch kein schlechtes.

Wolf Wondratschek: „Das Geschenk“. Hanser Verlag, München. 173 S., 17,90 Euro.




„Das Leben ist ein Festival der Zufälle“ – Gespräch mit Wolf Wondratschek auf der Buchmesse

Von Bernd Berke

Wolf Wondratschek (60) zählte zeitweise zu den meistgelesenen deutschen Schriftstellern. Einst galt er, mit Bänden wie „Chucks Zimmer“ und „Carmen oder Ich bin das Arschloch der achtziger Jahre“, als führender „Pop- und Rock-Poet“ des Landes. Außerdem erregte er Aufsehen mit Texten über die ruppigen Milieus der Boxer und Bordelle. Die WR sprach mit ihm auf der Frankfurter Buchmesse:

Sein neuer Roman „Mara“ (Hanser, 202 Seiten, 17,90 Euro) gibt sich thematisch gediegener: „Titelheld“ ist ein berühmtes Stradivari-Cello (Beiname „Mara“ nach dem ersten Besitzer). Es erzählt in Ich-Form seine fast dreihundertjährige Geschichte quer durch die Epochen. Und es schildert das Leben der Virtuosen, die sehr unterschiedliche Temperamente verkörpern.

Das Instrument gibt es also tatsächlich, es ist viele Millionen wert. Heute spielt es der Österreicher Heinrich Schiff, mit dem der Roman denn auch endet. Dass es noch existiert, grenzt an ein Wunder. Denn 1963 ging es bei einer Havarie vor Argentinien über Bord und wurde zu nassem Kleinholz. Wahre Könner haben es wieder restauriert.

„Ich höre immer noch Grateful Dead“

Früher schrieb er über Jagger und Zappa, jetzt entstehen Romane über Mozart und Cellomusik. Hat sich Wondratschek mit den Jahren bürgerlich bemhigt? Der Autor wehrt sich gegen diese Annahme:

„Ich habe die klassisehe Musik keineswegs neu für mich entdeckt, sie ist nur in den Vordergrund getreten. Ich habe als Kind selbst Cello gelernt, lange bevor ich die erste Dylan-Platte hatte. Doch die Medien haben mich nun mal als Rock-Poeten inthronisiert.“

Es gebe keinen Bruch, allerdings verschlage es ihn von Zeit zu Zeit in andere Bereiche. Wondratschek: „Das Leben ist ein Festival der Zufälle. Aber der Autor von ,Mara‘ kennt sich immer noch sehr gut in ,Chucks Zimmer‘ aus. Ich höre immer noch Stones, Grateful Dead und Miles Davis. Aber eben auch Haydn. Vieles besteht nebeneinander.“

„In der Kunst ist man stets gefährdet“

Überdies gebe es Parallelen zwischen Komponisten, Cello-Virtuosen und Rockstars. Auch früher hätten Musiker in ihrer Kunst Dämonen heraufbeschworen und vielfach Drogen genommen. „Wenn man in der Kunst, egal in welcher, das Äußerste wagt, so ist man stets gefährdet; ganz gleich, ob am Schreibtisch, im Atelier oder auf der Bühne.“ Das heutige Konzertpublikum wisse von diesen Extremen meist nichts. Daher könne es weder diese Musik richtig verstehen noch einen Maler wie Immendorff. Wondratschek: „Man kann kein friedliches Familienleben führen und dann so denken wollen wie Nietzsche. Das Absolute ist kein Spaß!“

Ihm selbst sei seine Bordell-Thematik als Etikett angeheftet worden. Manche hätten naiv gerätselt, ob er schon mal ein Etablissement aufgesucht habe. Wondratschek: „Lächerlich! Ich bin nicht nur einmal trunken hineingewankt, sondern habe zehn Jahre auf St. Pauli gelebt, war mit Zuhältern und Mädchen befreundet. Ähnlich war es im Box-MiIieu. Ich war nie bloßer Tourist. Ich lasse mich auf Lebensumstände ein. Anders geht es auch gar nicht.“

Auch der Cello-Roman verlangte tiefes Eintauchen ins Thema. Wondratschek: „In den 300 Jahren ist unglaublich viel passiert. Es gab anfangs keine Sinfoniekonzerte im heutigen Sinn, Musik wurde nur im kleinen Kreis gespielt, sie war dem Adel vorbehalten. Also kommt die ganze Gesellschaftshistorie mit hinein. Und natürlich eine Liebesgeschichte…“




Anekdoten aus dem Leben eines eitlen Bordellfürsten – Wolf Wondratscheks eindimensionaler Roman „Einer von der Straße“

Von Bernd Berke

Sehen wir einmal davon ab, ob Wolf Wondratschek wirklich (wie es kolportiert wurde) gegen Bargeld die Lebensgeschichte eines eitlen Bordellfürsten aufgezeichnet hat, der auch noch in die Literaturgeschichte eingehen wollte.

Schauen wir lieber auf das schriftstellerische Resultat, auf die Romanstory über jenen Gustav Berger, genannt „Johnny“, der zwischen den Ruinen der Nachkriegszeit „wild“ aufwächst, alsbald Kinderbanden leitet, sich später (zur „Halbstarken“- und Rock’n’Roll-Zeit) im Knast gegen übelste Typen sozialdarwinistisch „durchbeißt“ und schließlich eine tolldrastische Zuhälter-Karriere in München und Hamburg macht.

Das alles hätte vielleicht den Stoff für einen Roman über die ‚, Kehrseiten der „Wirtschaftswunder“-Jahre abgeben können. Doch was haben wir da? Eine erzkonventionelle Erzählweise mit einem sogenannten „allwissenden Erzähler“, der aber dann doch manchmal reichlich beschränkt zu sein scheint. Eine markige Anekdote nach der anderen, die stets wie mit beifälligem Grunzen mitgeteilt werden. Fast alles entspricht haargenau den Erwartungen, rastet schnell ein, wirkt schrecklich eindimensional und wie naturwüchis – hauptsächlich, weil der Autor nur flott heruntergeschrieben und weniger nachgedacht hat.

Kaum verhohlen die Bewunderung, mit der hier der schmutzige Aufstieg des Helden begleitet wird. Geradezu bebend vor Respekt stammelt die Erzählstimme: „Mit seinen zweiundzwanzig Jahren war Johnny damit Deutschlands jüngster Bordellbesitzer.“ Jede Schlägerei, die „Johnny“ gewinnt, wird als männliche Tat geradezu jubelnd gefeiert, mit einer Gewalt-Choreographie wie in manchen Videoclips.

Ein kurzatmiger Roman, seiner immensen Überlänge zum Trotz. Der Autor sitzt eben einer naiven Vorliebe für bloße Schauwerte auf. Und irgendwann kann man dann das großsprecherische Gelaber über die Taten von „Finger-Hannes“ oder „Totenkopf-Fred“ dann wirklich nicht mehr lesen,, zumal auch die Sprache dürftig bis schlampig ist.

Von dem einstigen „Rock-Poeten“ und Lyriker Wondratschek („Chucks Zimmer“), der sich hier erstmals als Autor eines längeren Romans versucht hat, durfte man mehr erwarten.

Wolf Wondratschek: „Einer von der Straße“. C. Bertelsmann Verlag. 484 S., 44 DM