Halluzinationen von Wasser und Eiswüste – Collagen von Bernhard Brungs in Witten

Von Bernd Berke

In diesen „Swimmingpool“ sollte man nicht springen – weder kopfüber noch sonstwie. Zwar sieht das Spiel der Wellen mitunter fast echt aus. Doch das ist nur technisch hervorgerufene Halluzination.

Der aus Bielefeld stammende Künstler Bernhard Brungs (27) hat dem beweglichen Wesen des Wassers mit Filzstift nachgespürt und das zeichnerische Resultat sodann auf Videofilm gebannt. Die Projektion flirrt nun auf dem Fußboden des Märkischen Museums in Witten, ringsum liegen kleine Matten, als solle man hier lagern.

Brungs nennt das Arrangement, das Wirklichkeit nur vage zitiert und im Grunde von höchster Künstlichkeit zeugt, eine „Collage“. Genau für dieses Genre der Kunst war der erstmals vergebene, mit 3000 Mark dotierte Wittener Günter Drebusch-Preis ausgeschrieben, gestiftet vom örtlichen Kunstverein. Brungs also hat das noch in Euro umzumünzende Preisgeld mitsamt Einzelausstellung gewonnen.

An Elektronik kommt man nicht mehr vorbei

Die Jury tat sich anfangs schwer, Brungs‘ per Computer erzeugte Foto-Verschmelzungen und Installationen wie besagten Pool (oder einen Kamin mit Bildschirm-Feuerflackern im Schaumgummi-Gehäuse) als Collagen anzuerkennen. Doch der Collage-Begriff, so Museumsdirektor Wolfgang Zemter, muss längst erweitert werden. Es gehe nicht mehr bloß um Schere und Klebstoff, nicht mehr ums Zerschnipseln und anders Zusammensetzen. An der Elektronik komme man heute nicht mehr vorbei. Auch ein Collagen-Pionier wie der Surrealist Max Ernst wäre heute mit dem Computer zugange, glaubt Zemter. Möglich.

Fotomontagen bilden eine eigene Werkgruppe bei Brungs, der seine Ideen immer zuerst zeichnet. Beispielsweise versetzt er fremdartig wirkcnde Gipsobjekte in kargeLandschaften. Beinahe könnte man meinen, diese Dinge seien wie UFOs aus der Ferne angeschwirrt. Doch bedrohlich ist das nicht. Es ergibt sich ein matter Widerstreit, ja fast ein Geplänkel zwischen struppiger Restnatur und Künstlichkeit, zwischen weich und hart erscheinender Materie.

Etwas befremdlich auch die menschlichen Gestalten, die in solchen Szenarien auftauchen – ein bis auf die Zipfelmütze entblößter Mann in einer Art Eiswüste, ein anderer mit grotesk aufblasbarem Motorrad durchs „Death Valley“ zuckelnd. Ganz gleich, ob kalt oder heiß: Diese Gegenden sehen aus wie Vorboten einer leeren, doch irgendwie tröstlich harmlosen Zukunft.

Stetes Wachsen und Schwinden

Wir müssen noch ein Rätsel lösen. Der Namenspatron des Preises ist Günter Drebusch, er wurde 1925 in Witten geboren, wo er 1998 gestorben ist. Er gilt als wichtigster Künstler, den die Stadt in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. So richtig prominent wurde der Autodidakt, der es zum Professor für Zeichnen und Designtheorie in Münster brachte, freilich nicht. Es mag daran gelegen haben, dass er die Ölmalerei verschmähte und sich auf sein zeichnerisches Werk konzentrierte. Parallel zur Brungs-Schau ist jetzt ein Drebusch-Überblick im Obergeschoss des Wittener Museums zu sehen.

Paradox gesagt: Drebusch ist sich zeitlebens wandelbar treu geblieben. Immerzu verdichten und lichten sich die Gitter- oder Gestrüpp-Strukturen seiner abstrakten, doch naturwüchsig wirkenden Bilder. Es ist wie ein stetes Wachsen und Schwinden, wie ein ständiges Ein- und Ausatmen. Ein Werk von großer Konsequenz und heiterer Unbeirrbarkeit.

Ob Bernhard Brungs eines Tages auch solch ein individuell geprägtes Oeuvre vorweisen kann? Verfrühte Frage.

Märkisches Museum Witten, Husemannstr.; Bis 17. Februar. Di-So 10-13 und 14-17 Uhr.




Museum in Witten: Doppelter Platz und viel mehr Licht – Wiedereröffnung nach gründlichem Umbau

Von Bernd Berke

Witten. „Mehr Licht!“ – mit diesem Goethe-Zitat könnte man hier seine helle Freude ausdrücken; denn freundliche Helligkeit empfängt den Besucher des für 8,7 Mio. DM um- und ausgebauten Märkischen Museums der Stadt Witten gleich im Foyer – und sie bestimmt die Eindrücke auf allen Etagen.

Auf mehr als verdoppelter Ausstellungsfläche (14 500 statt 7000 qm) kann Museumsleiter Dr. Wolfgang Zemter ab 7. Oktober endlich mehr vom Eigenbesitz des Hauses zeigen. Durch die lange „Zwischenlagerung“ an sechs verschiedenen Stellen und durch Umzüge haben nur ganz wenige Stücke Schaden gelitten. Einen Schwerpunkt der Sammlung bilden Arbeiten des Informel (Fred Thieler, K. O. Götz usw.), wie überhaupt die unmittelbare Nachkriegszeit und die 50er Jahre‘ gut vertreten sind. Ende der 40er Jahre, so weiß, Museumsdirektor Zemter, hatte in Witten bereits der Ausstellungsbetrieb wieder begonnen, damals freilich in einer Art „Museums-Ruine“.

Solche Notlagen und auch die unbefriedigende Situation der letzten Jahre gehören endgültig der Vergangenheit an. Der Neubau, der jetzt eine Einheit mit dem gründlich umgestalteten alten Trakt bildet (gleich nebenan: das Heimatmuseum), war allerdings keine leichte Geburt. Ein Architektenwettbewerb, an dem sich seinerzeit auch Prominente beteiligten, erwies sich aus Sicht der Stadt Witten als Flop. Also nahm das Städtische Hochbauamt die Sache in die Hand – in enger Absprache mit der Museumsleitung. Baubeginn war Mitte 1985. Zemter: „Wir haben funktionell geplant, sozusagen von innen nach außen.“ Folglich blieb zwar die (denkmalgeschützte) historische Fassade des Altbaus erhalten, der Neuanbau aber prunkt nicht, sondern ist anmutig-schlicht und zweckmäßig. Die Stockwerke sind als Halbetagen gegeneinander versetzt, das Haus wirkt daher luftig und durchlässig. Pyramidenförmige Glaskörper auf dem Dach lassen viel Tageslicht herein, das auf Knopfdruck mit Rollos gedämpft werden kann.

Stolze Besitztümer des 1886 privat gegründeten Museums setzen jetzt gleich rechts hinter dem Eingangsbereich Signale: die „Strünkede-Gruppe“, ein barockes Figurenensemble (in einer Großaktion komplett in Münster restauriert), die Figur des „Heiligen Engelbert“ (13. Jhdt.) und das „Herbede-Relief“ aus der Renaissance-Zeit. Diese Exponate verweisen ebenso auf Traditionsbindung wie das wertvolle Münzkabinett. Direkt unter dem Renaissance-Relief hängt eine weitere „Ikone“ des Museums, allerdings aus neuerer Zeit: ein Gemälde von Fred Thieler. Tradition und Moderne schließen sich hier nicht aus.

Was Museumsleute andernorts über sich ergehen lassen mußten, nämlich Etatkürzungen nach einem Neubau, gab es in Witten nicht. Mit rund 50.000 DM pro Jahr kann man jedoch auch keine „großen Sprünge“ auf dem Kunstmarkt machen. Direktor Zemter muß sich helfen, indem er Arbeiten von (noch) unbekannten Künstlern erwirbt und sich auf Graphik konzentriert. Das Fachpersonal wurde aufgestockt, gespart wird aber bei der Bewachung. Nicht Wärter, sondern Videokameras übernehmen den „Job“.

Eröffnet wird am 7. und 8. Oktober (ab 14 bzw. 10 Uhr) – nicht einfach mit einem Streichquartett, sondern mit einem zweitägigen Kunstpektakel inklusive Theatergruppen und viel Musik.

Ausstellungen zur Eröffnung: Radierungen von Fred Thieler; „Deutsche Kunst“ seit 1900″ (Überblick aus dem Eigenbesitz); Wittener Notgeld“, „Taler geistlicher Territorien“.




Kriegspropaganda auf Postkarten – Ausstellung in Witten

Von Bernd Berke

Witten. Andächtig steht das kleine Mädchen vor dem Wandbild: „O du mein Hindenburg!“ lautet die schmachtende Unterzeile. Was aus heutiger Sicht wie Satire wirkt, muß vor dem (tod)ernsten Hintergrund der Entstehungszeit gesehen werden.

Die kitschbunte Postkarte gehört zu einer Ausstellung, die ab Montag im Wittener Märkischen Museum zusehen ist und sich unter dem Titel „Schwarz-weiß-rot Heldentod“ dem Ersten Weltkrieg und seiner Propagierung auf Postkarten widmet.

Rund 1500 dieser Trivial-Dokumente für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“ hat man in Witten zusammengetragen (das Museum kooperierte dabei mit der VHS Witten-Wetter-Herdecke). Hinzu kommen 500 weitere Belege – vom Mobilmachungsbefehl bis zum „Entlausungs-Paß“.

Vorteil: Die Postkarten lassen, anders als hochoffizielle Dokumente und aller Deutschtümeiei zum Trotz, manches vom Alltag der Soldaten und der Zivilbevölkerung ahnen. Nachteil: Kritische „Reflexion“ kommt fast überhaupt nicht vor. Hilfestellung gibt diese Ausstellung nur in Ansätzen. Ein aufschlüsselnder Katalog ist unbezahlbar. Lediglich einige Arbeiten von Otto Dix beziehen sich unmittelbar auf die Schrecken des Krieges. Alles andere muß „gegen den Strich“ betrachtet werden.

Sämtliche Exponate stammen aus dem Eigenbesitz des Wittener Museums. Einiges befindet sich schon seit 1918 in seinen Mauern. Zahlreiche Stücke sind während der dreieinhalbjährigen Vorbereitungszeit hinzugekommen. Museumsleiter Dr. Wolfgang Zemter tat sich auf Auktionen um, wenn irgendwo alte Postkarten offeriert wurden. Viele Bürger schauten in ihren „Privatarchiven“ nach und steuerten manche Raritäten bei, die der Ausstellung einen starken Lokalbezug verleihen. So fand sich zum Beispiel ein Foto, auf dem tausende von Pickelhauben „made in Witten“ säuberlich aufgeschichtet ihrer Bestimmung harren. Makaber auch, daß nicht einmal Geburtstagskarten der kriegerischen Motive entraten konnten: „Herzlichen Glückwunsch“ mit U-Boot.

Eine Erkenntnis, die man dieser Ausstellung abgewinnen kann, ist die, daß manch eine Propaganda-Form des deutschen Faschismus schon zwischen 1914 und 1918 bis zur Verwechselbarkeit vorgeprägt war. So sandten die (natürlich strenger Postzensur unterliegenden) Frontsoldaten aus Osteuropa Karten, die „Russische Typen“ (Originalzeile) zeigten – Vorform der widerlichen „Untermenschen“-Hetze der Nazis. Die Kaiserreich-Farben Schwarz, weiß und rot tauchten eben nicht zufällig in den Fahnen wieder auf, die den Nazis voranflatterten.