Was ist denn wohl ein Aminaschlupferle? – Neues Buch über „Wörter, die es nicht auf Hochdeutsch gibt“

Keine Frage: Dialekte und Mundarten bereichern die Hochsprache seit jeher. Ein schmales Buch versammelt nun rund fünfzig Ausdrücke, die im Hochdeutschen (angeblich) überhaupt keine direkte Entsprechung haben.

Die sammelfreudige Herausgeberin Sofia Blind berichtet im Vorwort von Hunderten von Wörtern, die auf ihren Vorschlagslisten gestanden haben. Da hieß es gründlich aussortieren: Schimpf- und Kraftworte (schon wegen der ungeheuern Vielzahl) schob sie gleich ganz beiseite; ebenfalls alle Wendungen, die hochsprachlich leidlich ersetzt werden können. Außerdem: Wenn etwas unentwegt vorkommt und sozusagen alles oder nichts bedeuten kann („Schmäh“ aus dem Wienerischen, „fei“ in Bayern, „Allmächd!“ im Fränkischen), so war es für ihre Zwecke auch nicht tauglich.

Nun überzeugt die schließlich getroffene Auswahl allerdings nicht rundweg. So fragt man sich, warum „boofen“ (Sächsisch für „unter freiem Himmel schlafen“ – vergleiche das allbekannnte „poofen“/„pofen“), hudeln, Leiberl oder Plörre aufgenommen wurden, die sich doch ebenso breit durchgesetzt haben wie Berliner Worte (Bammel, mittenmang, jottwede) – letztere kommen in diesem Buch überhaupt nicht vor, und zwar just just mit der Begründung, sie seien halt im gesamten deutschen Sprachraum vertraut. Außer der mitunter so großmäuligen Hauptstadt werden aber eigentlich alle deutschsprachigen Gegenden berücksichtigt. Mehr oder weniger.

Es gibt einige sehr schöne Fundstücke in dem Band, den man sich gerade deshalb etwas umfangreicher gewünscht hätte. So aber erreicht er gerade mal etwas mehr als ein mittelprächtiges Mitbringsel-Format.

Vollends überzeugt hat mich beispielsweise das Wort Aminaschlupferle, das auf der dritten Silbe betont wird, also Aminaschlupferle. Will heißen: „an mich heran“. Die Gesamtbedeutung meint ein kleines Kind, das sich gern bei jemandem ankuschelt. Gebräuchlich im Allgäu.

Eher im entspannten Plauderton und nicht belehrend oder gar wissenschaftlich werden auch alle weiteren Wörter kurz erläutert. Mir haben es einige Exemplare aus dem Schweizerischen angetan, beispielsweise „heimlifeiss“ aus dem Berner Dialekt. Es bedeutet, dass jemand seinen Wohlstand bewusst n i c h t zur Schau stellt, also nur „heimlich feist“ ist und somit im gewissen Gegensatz zum gefallsüchtigen hessischen „Gasseglänzer“ steht. Mal eben zurück nach Bern: Auch die „Hundsverlochete“, ein Hundebegräbnis, hat was für sich – als drastische Kennzeichnung einer „wenig lohnenden Veranstaltung“, wie es mit schönem Understatement heißt.

Gar hübsch auch das „Fluchtachterl“, das letzte Glaserl Wein vorm Aufbruch in Wien. Nebenher abgehandeltes Pendant in und um Hamburg: das „Auf und zu“, ein finales Bierchen, für das der Zapfhahn nur ganz kurz aufgedreht wird.

Als Dortmunder habe ich selbstverständlich nachgesehen, ob auch das Westfälische vertreten ist. Ist es. Mit „Dönekes“ und „fisseln“. Bedeutungen bitte im Buch nachschauen, falls nicht ohnehin bekannt. Wir wollen hier nämlich nicht den ganzen Inhalt verraten.

Doch halt! Eins noch: Gar nicht vergessen darf man die schönen Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Sie sind ein Vergnügen für sich, lassen so manches kostbare oder kuriose Wort so recht anschaulich hervortreten und machen sicherlich mindestens die Hälfte vom Reiz des Buches aus.

Sofia Blind/Nikolaus Heidelbach: „Wörter, die es nicht auf Hochdeutsch gibt“. Dumont, 112 Seiten, 18 Euro.

 




„Lost in Translation“: Das Wort für die Zeit, die man braucht, um eine Banane zu essen – und mancher treffliche Ausdruck mehr

Das ist doch mal eine nette Buchidee, unterhaltsam und durchaus mit geistreicher Substanz behaftet: Ella Frances Sanders hat für ihren Band mit dem kinobekannten Titel „Lost in Translation“ treffliche Worte aus aller Welt gesammelt, die als unübersetzbar gelten und nur mit länglichen Umschreibungen einigermaßen zu fassen sind.

In jedem dieser Worte sind – wunderbar vielfältig – kollektive Erfahrungen aufgehoben. Nicht alle sind gleichermaßen prägnant, doch bei vielen klingt (auch fürs deutsche Sprachempfinden) manches Bedeutsame an und nach, beileibe nicht nur Exotik. Erstaunlich genug, für welche speziellen Phänomene es in manchen Sprachen eigene Worte gibt.

Das Rentier als Maß der Dinge

Man muss Beispiele nennen – und möchte am liebsten gar nicht mehr damit aufhören: So bezeichnet das schwedische mångata die „Spiegelung des Mondes auf dem Wasser, die wie eine Straße aussieht.“ Das malaiische pisan zapra steht für die (ungefähre) Zeit, „die man braucht, um eine Banane zu essen.“ Den Finnen ist  hingegen ist die Entfernung wichtiger, die ein Rentier ohne Pause zurücklegen kann, sie heißt poronkusema.

Ein geradezu lachhaft schlechter Witz

Mit dem knappen Ausdruck tíma benennt man in Island die Weigerung, „Zeit oder Geld in etwas zu investieren, obwohl man es sich leisten könnte.“ Ganz ähnlich liest sich das Wort tiám aus der iranischen Sprache Farsi, es bedeutet „das Funkeln in den Augen, wenn man einen Menschen das erste Mal sieht“. Universell verwendbar ist auch der indonesische Ausdruck jayus, mit dem ein Witz gemeint ist, der so schlecht ist, dass man nur noch entwaffnet lachen kann.

Einige Worte muten so skurril an, dass man sie einfach mögen muss, so etwa das lettische kaapshljmurslis für das Gefühl, in einem öffentlichen Verkehrsmittel eingequetscht zu sein. Tatsächlich sieht schon die bloße Buchstabenfolge recht gepresst aus.

Das Kribbeln vor dem Whiskey-Schluck

Kaufen Sie öfter mal Bücher und legen sie dann gleich ungelesen weg? Das nennt man in Japan tsundoku. Kribbelt Ihre Oberlippe, bevor Sie einen Schluck Whiskey trinken? In Irland, wo man sich damit auskennt, sagt man auf Gälisch sgrìob dazu. Stecken Sie Ihr Hemd nicht in die Hose? Dann sind Sie (im karibischen Spanisch) ein cotisuelto.

Wie man sieht, gibt es für so ziemlich jede Lebenslage ein passendes Wort, man muss halt „nur“ den reichlichen Vorrat an Sprachen durchforsten. Jede dieser Sprachen öffnet einen anderen Horizont, eine andere (Klang)-Welt. Auch davon bekommt man mal wieder eine Ahnung, wenn man die Wörter in diesem Buch nachschmeckt.

Im Anhang des Buches, das sich übrigens bestens als Geschenk eignet, steuert auch das Deutsche ein paar kaum übertragbare Kostbarkeiten bei: Kummerspeck, Kabelsalat, Waldeinsamkeit…

Wir wollen ja nicht übermäßig drängeln, aber: Wann kommen endlich der zweite und der dritte Band heraus?

Ella Frances Sanders: „Lost in Translation. Unübersetzbare Wörter aus der ganzen Welt.“ Aus dem Englischen übertragen von Marion Herbert. 112 Seiten (ohne Paginierung). Durchgehend mit farbigen Zeichnungen der Autorin illustriert. DuMont Verlag, Köln. 18 €.




Familienfreuden XI: Die Lauschabschaltautomatik

Ich freue mich schon wahnsinnig auf die Zeit, sobald Fiona sprechen kann. Wenn sie ein bisschen nach mir kommt, sollte es da mit der Quantität keine Probleme geben.

Ob sie wohl auch Wörter erfinden wird? Bei mir heißen bequeme Pantoffeln zum Beispiel Kuschelpuscheln und wenn ich nicht gut drauf bin, aber nicht weiß warum, bin ich unduchtig.

Vielleicht wird es in Fi’s Leben auch kuriose Szenen geben wie jene, die ich zwischen einem Jungen und einem Mädchen hörte, beide sahen aus wie 12: „Damit Du auf dem aktuellen Stand bist“, sagte er und sie nickte eifrig: „Ich und Luise waren so zwei, drei Jahre zusammen.“ Damit war auch ich auf dem aktuellen Stand und außerdem sehr erstaunt.

Kinder - die Meister der Worterfindungen! (Zeichnung: Albach)

Kinder – die Meister der Worterfindungen! (Zeichnung: Albach)

Einfach und wahr

Am schönsten aber finde ich es, wenn Kinder sehr einfache Sachen sagen, die aber so wahr sind, dass sie schon wieder eine philosophische Dimension haben.

Ich saß mit Fiona in der U-Bahn, uns gegenüber eine Oma mit ihrer Enkelin.

„Oma“, sagte das Mädchen, „ich kann nichts mehr hören. Weißt Du warum?‘

„Nein, warum denn?“

„Weil meine Ohren sagen: wir haben heute genug gehört.“

Ist das nicht eine großartige Vorstellung? Das Hören einfach abzuschalten, wenn man genug hat für den Tag?

Ein sanftes „Bssss“

Eine Freundin erzählte zum Beispiel, sie habe im Zug eine Dreiviertelstunde mit anhören müssen, wie sich drei Mitreisende über Katzenhaare unterhielten. Wo die so hinfielen, wie man sie wegkriegte… Da wäre eine Art Mini-Rollo doch schön, das man dezent per Kippschalter (hinter dem Ohr versteckt) über dem Gehörgang herunter ließe. Ein leises „bsss“ – und dann Ruhe!

Es gäbe so viele Situationen, in denen das höchst praktisch wäre: Gespräche über Gebrechen, die detaillierte Beschreibung des Krimis, den man noch sehen wollte, das Fußballergebnis des Spiels, das man extra aufgenommen hat, der 1000. Ratschlag zum Thema Kindererziehung, unangenehme Herbeizitiersituationen auf der Arbeit… Man könnte der Liebsten zuliebe sogar auf ein, sagen wir mal, DJ Bobo-Konzert mitgehen… Einfach „bss“… und alles ist gut!

Automatik-Schutz

Sicher ließe sich auch ein maximales Wortkontingent einführen, nach dessen Erreichen die Rollade automatisch runter geht. Für manche Beziehung könnte das aber schwierig werden. Es sei denn, man unterhielte sich nur noch mit ganz langen Worten – womit wir wieder bei den Wortschöpfungen wären.

Ach Fiona, was wirst Du mir erzählen? Ich weiß jedenfalls schon jetzt, dass deine Rollade bei einem Satz eine Runterlassautomatik haben wird: „Räum doch mal dein Zimmer auf!“