Zum Tode verurteilt: Stefan Herheim verlegt Wozzeck an der Rheinoper in die Todeszelle

Fotos: © Karl Forster/Deutsche Oper am Rhein

Ein drastisches Szenario hat sich Regisseur Stefan Herheim für seinen Wozzeck an der Rheinoper Düsseldorf/Duisburg ausgedacht: Er verlegt Alban Bergs Oper nach dem Schauspiel von Georg Büchner in die Todeszelle.

Doch der Ansatz scheint folgerichtig, denn die tragische Geschichte des Woyzeck bzw. Wozzeck (ein banaler Lesefehler war wohl der Grund für die unterschiedliche Schreibweise von Schauspiel und Oper) geht auf einen authentischen Fall zurück: „Der 45jährige Johann Christian Woyzeck wurde öffentlich am 27. August 1824 auf dem Marktplatz zu Leipzig durch das Schwert hingerichtet – drei Jahre nachdem er seine fünf Jahre ältere Geliebte Johanna Christiane Woost abends um halb zehn im Hauseingang ihrer Wohnung mit einer abgebrochenen Degenklinge erstochen hatte, an die er nachmittags noch einen Griff befestigen ließ“, erläutert Alexander Meier-Dörzenbach, Dramaturg der Inszenierung im Programmheft.

Das Besondere an dieser historischen Gerichtsverhandlung allerdings war, dass unter Erstellung verschiedener medizinischer Gutachten nahezu zum ersten Mal auch die Frage der verminderten Schuldfähigkeit durch psychische Instabilität erörtert wurde. Woyzeck selbst half das nichts mehr, denn der Richter konnte damals nicht überzeugt werden, doch die Gesellschaft war sich der Legitimität einer Tötung von Staats wegen nicht mehr ganz sicher. Und wie sieht das heutzutage aus? In Zeiten, wo beispielsweise in der Türkei die Wiedereinführung der Todesstrafe droht?

Fotos: © Karl Forster/Deutsche Oper am Rhein

Stefan Herheim nimmt sich als Vorbild allerdings die USA: Der Bühnen- und Kostümbildner Christof Hetzer hat einen klinischen Hinrichtungs-Raum mit dem charakteristischen Sichtfenster für die Zeugen auf die Bühne gestellt, in der Mitte Wozzeck festgeschnallt auf der Todespritsche. Er, Marie und sein Freund Andres tragen rote Häftlingskleidung. Der Hauptmann sowie der gesamte Militärapparat sind zu Gefängniswärtern geworden, während sich der Doktor als Gefängnisarzt nahtlos in die Tötungsmaschinerie einfügt. Die Opernhandlung entfaltet sich dann in einer Art Rückblende, die erzählt, wie es zu dem Verbrechen kam, dessen Strafe nun vollstreckt werden soll.

Alban Bergs Musik, grandios gespielt von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Axel Kober, spiegelt die ganze Zerrissenheit, Gehetztheit und Zuspitzung des psychischen Ausnahmezustands der Hauptfigur wieder: Herumgeschubst vom Hauptmann und vom Arzt zu unangenehmen medizinischen Versuchen gedrängt, muss der arme Soldat Wozzeck auch noch mit ansehen, wie seine Verlobte Marie mit dem geckenhaften Tambourmajor fremdgeht. Da dreht er durch: Er ermordet Marie und ertrinkt selbst bei dem Versuch, die Tatwaffe aus dem See zu fischen.

Fotos: © Karl Forster/Deutsche Oper am Rhein

Die Titelpartie gestaltet Bo Skovhus musikalisch und schauspielerisch hervorragend und wird dafür mit Standing Ovations belohnt: Doch auch Camilla Nylund als Marie und Matthias Klink als Hauptmann sowie Sami Luttinen als Arzt spielen ihre Rollen psychologisch dicht und singen so eindringlich, dass all die Seelennöte, Abgründe und Getriebenheiten offen zutage treten – bis an die Schmerzgrenze.

Die Todeszelle sollen sie dabei die ganze Zeit nicht verlassen; selbst Maries Vergewaltigung durch den als Cowboy ausstaffierten Tambourmajor (Corby Welch) findet auf der Pritsche des Verurteilten statt. Erst gegen Ende räumen die Zeugen hinter der Glasscheibe ihren distanzierten Platz und kommen nach vorne an die Rampe. Doch der Sündenbock steht ohnehin schon fest: An Wozzeck wird das Exempel statuiert, da kann er noch so wüten in seinem Knast, er ist zum Tode verurteilt und alle anderen sehen bei seiner Hinrichtung zu.

Karten und Termine:
www.operamrhein.de




Ein Mensch zerbricht: Alban Bergs „Wozzeck“ im Konzerthaus Dortmund

Johan Reuter als "Wozzeck" (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Mit versteinertem Gesicht steht er da: Ein Bär von einem Mann, bebend, die Hände an der Hosennaht. Sichtlich gequält, aber wehrlos. Ein gefesselter Gigant, ein Vulkan kurz vor der Eruption.

Das ist Johann Christian Woyzeck, in der Oper von Alban Berg schlicht „Wozzeck“ genannt. Ein armer Soldat, der sich für ein wenig Geld krumm macht, der von seinen Vorgesetzten schikaniert und von seinen Mitmenschen mitleidlos ausgenutzt wird. Eine Kreatur wie ein geprügelter Hund.

Es hat ihn um 1800 wirklich gegeben, den Sohn eines Leipziger Perückenmachers, der aus Eifersucht zum Mörder wurde. Sein Schicksal befeuerte Georg Büchner zu seinem berühmten Dramenfragment und Alban Berg zu seiner bahnbrechenden Oper. Die Alban Berg gewidmete „Zeitinsel“ im Konzerthaus Dortmund erreichte durch einen exzellent besetzten „Wozzeck“ jetzt erschütternd intensive Stunden.

Vom Bariton Johan Reuter kann dabei kaum die Rede sein, denn der ist eigentlich gar nicht da. Der in Kopenhagen geborene Sänger muss sein wahres Ich wohl in der Garderobe abgelegt haben, um sich ganz und gar in Wozzeck zu verwandeln. Und so hetzt er über die Bühne als ein Getriebener, der Stimmen hört und die Erde unter seinen Füßen wanken fühlt. Wie mit Überdruck bricht die Titelfigur aus diesem großartigen Sängerdarsteller heraus. Seine Stimme gibt uns den Rest: vibrierend vor Erregung, steigert sie sich schubweise zu Ausbrüchen einer Verzweiflung, deren Wucht uns fortreißt wie eine Naturgewalt. Wozzeck stammelt, er stöhnt, er brüllt auf. Da gibt es kein Entrinnen: Seine Verstörung springt uns förmlich auf den Schoß, seine Qual wird die unsere.

Die wunderbare Angela Denoke ist als Marie eine herrlich vielseitige Partnerin. Aus ihrem klaren, reifen Sopran klingt die Einsamkeit der vernachlässigten Frau, die Rat- und Trostlosigkeit angesichts eines Mannes, dessen Zustände sie immer weniger versteht. Zugleich ist sie zärtlich als liebende Mutter, giftig als zänkische Nachbarin, buhlerisch schmeichelnd im Flirt mit dem Tambourmajor. Auch die Denoke kann sich bis zum stöhnenden Aufschrei steigern. Ins schier Uferlose aber wächst Maries Jammer, wenn sie in stiller Verzweiflung um Vergebung ihrer Sünden betet.

Die Nebenrollen sind erwartungsgemäß stark besetzt: der Hauptmann (mit leichter Tendenz zur Überzeichnung: Peter Hoare), der Doktor (zu Beginn etwas steif: Tijl Faveyts) und der Tambourmajor (mit auftrumpfender Macho-Attitüde: Hubert Francis) sind ein treffliches Trio infernale, das Wozzeck das Leben zur Hölle macht. Zum Erlebnis wird der Abend auch deshalb, weil das Philharmonia Orchestra und die Sänger der Dortmunder Chorakademie immer wieder punktgenaue Schlaglichter auf das Geschehen werfen. Bergs bestechend dichte, psychologisch aufgeladene Partitur wird so zum Kommentar, der mehr sagt als tausend Worte. Zuweilen greift Esa-Pekka Salonen am Dirigentenpult so beherzt in die Fortissimo-Skala, dass die Gesangssolisten nur mehr als Farbe in der Klangorgie wahrzunehmen sind. Rauschhaftem Musikgenuss steht das aber nicht unbedingt entgegen. Es war diesmal nicht die Lautstärke, die das Publikum zum Jubeln brachte.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)