Klangsammler mit feiner Feder: Das Konzerthaus Dortmund würdigte Beat Furrer zum 70. Geburtstag mit einer „Zeitinsel“

Der Komponist Beat Furrer deutet auf die schroffen Kalkgipfel im Gesäuse, einer Gebirgsgruppe in der Steiermark, die größtenteils zum Nationalpark erklärt wurde. (Foto: Konzerthaus Dortmund)

Er wehrt sich gegen das Bild des versponnenen Elfenbeinturm-Bewohners. Obwohl der Komponist Beat Furrer, gebürtiger Schweizer, in einem abgeschiedenen Forsthaus in den österreichischen Bergen arbeitet, beteuert er im Podiumsgespräch mit dem Konzerthaus-Intendanten Raphael von Hoensbroech: „Ich möchte mich nicht zurückziehen. Ich lebe in dieser Welt und nehme Anteil an ihr.“ Das Konzerthaus Dortmund würdigte Beat Furrer aus Anlass seines 70. Geburtstags mit einem fünftägigen „Zeitinsel“-Festival.

Nachdem die „Zeitinseln“ der vergangenen Jahre Sofia Gubaidulina und Arvo Pärt porträtierten, entwickelte das Konzerthaus-Team die aktuelle Ausgabe in enger, persönlicher Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Wie hoch die Musikwelt Furrers Werke schätzt, lässt sich an seiner Vita ablesen: Er ist Träger des Ernst von Siemens Musikpreises, des großen österreichischen Staatspreises für Musik und des goldenen Löwen der Biennale von Venedig, zudem Gründer des Klangforum Wien. In diesem Sommer war er Residenzkünstler beim Lucerne Festival.

Beat Furrer wurde am 6. Dezember 1954 in Schaffhausen geboren. (Foto: Manu Theobald)

Furrer ist ein Künstler, der seine Worte abwägt. Der gründlich nachdenkt, bevor er sich über sein Werk äußert. Statt ihm ungeduldig ins Wort zu fallen, gesteht der Konzerthaus-Intendant ihm im Podiumsgespräch die Zeit zu, seine Gedanken zu sortieren. So erfahren die Besucher Interessantes über diesen Klangsammler, der im steirischen Nationalpark, dem so genannten Gesäuse, oft den leisen Stimmen der Natur nachlauscht: dem Glucksen von Wasser, dem Flüstern des Windes, den nachts aus dem Wald tretenden Tieren. Er bezeichnet das nicht als Idylle, sondern als Ort der Konzentration.

Als „Komponist des Leisen“ ist er schon bezeichnet worden, aber in derlei Schubladen mag er nicht gesteckt werden. Furrer mag keine Verkürzungen, keine Klischees. Tatsächlich spielt das Laute, der Schrei, in seiner Musik eine nicht minder wichtige Rolle. Wenn er in Wien sei, verschließe der Lärm der Stadt ihm aber die Ohren: „Das sind Geräusche ohne Raum.“ Auch die Sprache spielt in Furrers Schaffen eine wesentliche Rolle, weil die Musik sich immer nah an der Stimme entwickelt hat.

Vergleiche sind heikel, aber womöglich sind Salvatore Sciarrino und Helmut Lachenmann zumindest Geistesverwandte dieses Komponisten, weil auch sie stille, oft geräuschhafte „Hörmusiken“ schaffen, die die Wahrnehmung schärfen. Luigi Nono hat ihn in jungen Jahren stark beeinflusst. Das Hören, sagt Furrer, sei „ein Weg zum anderen“. Er findet es bedenklich, wie sehr es in unserer Zeit abhandenzukommen droht.

Dirigent Zoltán Pad und das Chorwerk Ruhr gestalteten den ersten Abend der Furrer-„Zeitinsel“ im Konzerthaus Dortmund. (Foto: Oliver Hitzegrad)

Blickt man auf die feine Notenschrift in Furrers Partituren, bekommt man eine Ahnung davon, wie dieser Klangsammler sein Material sortiert und strukturiert. Qualität und Schlüssigkeit sind ihm wichtig, kein Ton darf zu viel sein. Das zeigt sich deutlich in seinem siebenteiligen „Enigma“-Zyklus. Es handelt sich dabei um A-cappella-Chorwerke auf Texte von Leonardo da Vinci, die das Chorwerk Ruhr zum Auftakt der Zeitinsel mit Gesängen aus der Renaissance verschränkt.

Furrers tönende Rätsel nehmen das Ohr sofort gefangen. In „Enigma I“ säuseln und sirren die Frauenstimmen, wogen hin und her wie ein fortwährendes Echo. Die Männerstimmen treten geheimnisvoll und leise hinzu, bis sich die Musik zum Aufschrei steigert. Viel Mysteriöses ist auch im weiteren Verlauf zu hören: Von Atemgeräuschen erfüllte Pianissimogefilde, isolierte Vokale, raunender Sprechgesang. Zu den Worten „Aus dunklen Höhlen wird etwas hervorkommen“ pirscht sich in „Enigma VI“ ein düster-diffuser Klang heran, leise und bedrohlich.

Das Chorwerk Ruhr versteht sich glänzend auf Furrers klangliche Aggregatzustände, auf seinen komplexen Reichtum von Klanglichkeiten. Unter der Leitung von Dirigent Zoltán Pad kontrastieren sie seinen Zyklus mit liturgischen Gesängen von Orlando di Lasso, Giovanni Gabrieli und Antonio Lotti. Da tritt dem Dunklen und Geheimnisvollen strahlende Glaubensgewissheit gegenüber.

(www.konzerthaus-dortmund.de)




Sonnengesang: Das Konzerthaus Dortmund ehrt die Komponistin Sofia Gubaidulina mit einem „Zeitinsel“-Festival

Gütig, offen, neugierig und engagiert: So wird die Komponistin Sofia Gubaidulina von denen beschrieben, die sie kennen. (Foto: Jan Northoff)

Für einen Moment kommen ihr fast die Tränen. „Sie müsste doch jetzt hier sein!“, sagt Elsbeth Moser mit zittriger Stimme, als sie auf der Bühne im Konzerthaus Dortmund über ihre langjährige Freundin spricht: über die 91-jährige Komponistin Sofia Gubaidulina, die hier eine große Ehrung erfährt, inzwischen aber zu krank ist, um das ihr gewidmete „Zeitinsel“-Festival mitzuerleben.

Vier Tage lang traten in Dortmund Menschen auf, die der im tatarischen Tschistopol geborenen Russin und ihrem Werk besonders nahestehen. Musikerinnen wie Elsbeth Moser, eine Virtuosin auf dem „Bajan“ genannten Knopfakkordeon aus Osteuropa, für die Gubaidulina viele Werke geschrieben hat. Wegbegleiter wie Hans-Ulrich Duffek, ehemals Direktor des Hamburger Musikverlags Sikorski, der ihre Werke im Westen verbreitet hat. Künstler wie der Bratschist Antoine Tamestit, der ihr half, die Solostimme ihres Bratschenkonzerts noch einmal zu überarbeiten, und der Cellist Narek Hakhnazaryan, Zögling des von ihr verehrten Mstislaw Rostropowitsch.

Sofia Gubaidulina im Gespräch mit dem Konzerthaus-Intendanten Raphael von Hoensbroech. (Foto: Jan Northoff)

So gewinnt das Porträt einer außergewöhnlichen Frau Konturen, die in der Sowjetunion staatliche Repression erlitt und sich trotzdem nicht beugte. Die von Dmitri Schostakowitsch auf ihrem Weg bestärkt wurde. Deren Violinkonzerte durch die Widmungsträger Gidon Kremer und Anne-Sophie Mutter in aller Welt erklangen. Die seit 1992 in der Nähe von Hamburg lebt und es wie kaum eine andere schafft, das Publikum mit zeitgenössischer Musik zu berühren. Es gibt einen sehr persönlichen Ton in ihren Werken, einen intensiven und sinnlichen Ausdruckswillen.

Der nimmt in ihrem Bratschenkonzert nahezu gestische Qualität an. Antoine Tamestit schickt die ersten Töne in den Raum wie einen Hauch, führt auf seinem Instrument ein einsames Selbstgespräch, das sich verdichtet. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien setzt unter Dirigent Duncan Ward erst spät ein, als gewollt düsterer, schwerfällig seufzender Gegenspieler. Wie Tamestit dagegen ackert und wühlt, wie Orchester und Solist dann zueinander finden, um sich erneut in der Isolation zu verlieren, ist ein Erlebnis.

Für die spirituelle Dimension der tief gläubigen, russisch-orthodoxen Komponistin steht ihr „Sonnengesang“ nach dem gleichnamigen Gebet des Franz von Assisi. Es ist eine Musik am Rande der Stille, erfüllt von Klosteratmosphäre, vom mystischen Sprechgesang tiefer Männerstimmen. Im Dauerklingen von Wassergläsern gerät manches silbrig ins Schweben.

Elbeth Moser spielt das „Bajan“ genannte osteuropäische Knopfakkordeon, Gewicht: 13 Kilogramm. (Foto: Petra Coddington)

Das ist bei Gubaidulina kein Anbiedern an esoterische Moden, sondern ähnelt eher den Klanggespinsten eines Anton Webern. Dieser asketische Ernst wird von den Interpreten unterstrichen. Das Chorwerk Ruhr, der Cellist Narek Hakhnazaryan und zwei Schlagzeuger entfalten unter Dirigent Michael Alber großartige Kompetenz. Die Uraufführung des für die gleiche Besetzung geschriebenen Auftragswerks „Lo frate sole“ von Martin Wistinghausen wird so ebenfalls zum Erfolg.

Querverbindungen zu Johann Sebastian Bach dürfen bei diesem Festival nicht fehlen. Elsbeth Moser (Bajan), Kathrin Rabus (Violine) und Narek Hakhnazaryan (Cello) verschränken die Werke „Silenzio“, „In croce“ und „De profundis“ mit Auszügen aus Bachs Suiten für Violoncello solo. Sie alle ruhen auf einem unsichtbaren Gerüst von Zahlen, schaffen innere Ordnung, sprechen von nicht erklärbaren Gewissheiten. Auch dies vielleicht ein Grund für die Anziehungskraft von Gubaidulinas Musik: Sie gibt Halt in den Wirren der Zeit, einen festen Punkt außerhalb der Erde, der es vermag, die Welt aus den Angeln zu heben.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)




Formstrenge hüben wie drüben: Pierre-Laurent Aimard verschränkt in Dortmund Musik von Kurtág und Bach

Der Pianist Pierre-Laurent Aimard hat mit vielen Komponisten unserer Zeit eng zusammengearbeitet. (Foto: Marco Borggreve)

Pierre-Laurent Aimard ist ein großer Meister darin, bekannte Musik in neuem Licht erscheinen zu lassen. Unvergessen ist sein Klavierabend im Liszt-Jahr 2011, bei dem er eine frische Sicht auf die grandiose h-Moll-Sonate des Komponisten ermöglichte.

Indem er sie in den Kontext der „Schwarzen Messe“ von Alexander Skrjabin und der Klaviersonate Opus 1 von Alban Berg stellte, schenkte er dem viel geschundenen Stück seine eminente Bedeutung auf dem Weg zur musikalischen Moderne zurück.

Wie viel Gedankenarbeit der Franzose in seine Programme steckt, war jetzt auch bei der Kurtág-Zeitinsel im Konzerthaus Dortmund zu erleben. Kurze Klavierstücke des Ungarn, entnommen der noch immer anwachsenden Sammlung „Játékok“ (Spiele), verschränkte er mit Musik von Johann Sebastian Bach, vornehmlich mit den Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“.

Pierre-Laurent Aimard wurde 2007 mit dem renommierten Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet. (Foto: Marco Borggreve)

Diese Idee ist zwar nicht gänzlich neu: Bereits auf einer 1997 erschienen CD kombinierten Kurtág und seine Frau Márta vierhändige „Játékok“-Stücke mit Bach-Transkriptionen. Gleichwohl verrät die von Aimard getroffene Werkauswahl unendlich viel Sorgfalt. Denn wie sich Spielfreude und Formstrenge bei beiden Komponisten vereinen, zeigt sich oftmals in den Übergängen. Kurtágs Klavierstück für Dóra Antals Geburtstag schließt so passgenau an Bachs leuchtende Fuge Nr. 17 As-Dur (BWV 862) an, als handle es sich um ein zeitgenössisches Echo.

Bei Aimard reiht sich ein erhellender Augenblick an den nächsten. Wenn Bach in Präludium und Fuge Nr. 16 g-moll (BWV 861) mit allmählich schneller werdenden Trillern experimentiert, folgt gleich darauf eine Kurtág-Miniatur, die vom Wechselspiel zwischen zwei Noten lebt. Die gläsernen Spieluhr-Klänge des Präludiums Nr. 23 H-Dur (BWV 868) finden in Kurtágs „Spiel mit dem Unendlichen“ eine direkte Entsprechung.

Wer den Konzeptkonzerten von Pierre-Laurent Aimard folgt, gerät unweigerlich ins Nachdenken. Warum sind die meisten von uns bereit, einer mit mathematischer Akribie konstruierten Bach-Fuge zu folgen, während wir gegen zeitgenössische Musik nur allzu leicht den Vorwurf erheben, sie klinge verkopft und wie auf dem Reißbrett entworfen? Weckt ein komplizierter Kontrapunkt aus Bachs „Kunst der Fuge“ wirklich mehr Emotionen als Kurtágs vielfarbig oszillierendes Stück „In memoriam András Myhály“?

Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Aimard das Stück „In memoriam György Szoltsányi“ beinahe ohne Pause in die Fuge Nr. 12 f-moll (BWV 857) übergehen lässt. Man möchte sich die Ohren reiben: Haben die Töne, die der Pianist mit der linken Hand spielt, überhaupt noch einen harmonischen Bezug? Ist das jetzt noch Kurtág oder doch schon Bach? Erst als die Nebenstimmen hinzukommen, erkennen wir den Thomaskantor wieder.

Von Aimards unbedingtem Ausdruckswillen, der zuweilen auch heftiges Schnaufen und Brummen zur Folge hat, von seiner Konzentrationsfähigkeit und vom wunderbaren Farbenreichtum seines Spiels war bis hierher noch nicht einmal die Rede. Indessen ist dies auch als Kompliment zu verstehen. Aimards sensationell kluge Programme lassen alles pianistische Handwerk in den Hintergrund treten.




Kurz, kürzer, Kurtág: Das Konzerthaus Dortmund ehrt Ungarns großen Komponisten mit einem fünftägigen „Zeitinsel“-Festival

György Kurtág und seine Frau Márta bei der Probenarbeit mit dem Bariton Benjamin Appl. (Foto: Konzerthaus Dortmund)

Wie der Zoom einer leistungsstarken Kamera wirken die „Zeitinseln“ im Konzerthaus Dortmund. Wenn das mehrtägige Minifestival Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts in den Fokus nimmt, erscheinen diese plötzlich verblüffend nahe. Ob Alban Berg oder Olivier Messiaen, Béla Bartók oder György Ligeti, George Benjamin oder Bernd Alois Zimmermann: Sie alle nehmen durch diese Konzertreihe faszinierend lebendige Gestalt an.

Daran haben die jeweils eingeladenen Interpreten einen großen Anteil, wie sich auch in der kommenden Zeitinsel zeigen wird. Vom 2. bis 6. Februar ehrt das Konzerthaus Dortmund den Ungarn György Kurtág, einen der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit. Er gilt als Meister der musikalischen Miniatur, als einer, der einen extrem verknappten, nachgerade aphoristischen Stil pflegt, der gleichwohl maximalen Ausdruck erreicht.

Dortmunds Konzerthaus-Intendant Raphael von Hoensbroech zeigt sich von dieser strengen Konzentration auf das Wesentliche äußerst fasziniert: „Es ist unglaublich, wie er mit ein paar Tönen ganze Welten öffnet.“ Mehr als ein Jahr Vorbereitungszeit und mehrere Reisen nach Budapest haben er und sein Team in diese Zeitinsel investiert. Kurtágs Vorstellungen in die nächste Generation zu tragen, sei dabei das Hauptanliegen, sagt der Intendant.

György und Márta Kurtág (Foto: Judith Marjai)

Folgerichtig bildet ein Gesprächskonzert mit dem jungen Bariton Benjamin Appl (3. Februar) das Herzstück der kommenden Hommage. Er wurde von Kurtág ausgewählt, um unter seiner Anleitung die „Hölderlin-Gesänge“ für Bariton, Posaune und Tuba einzustudieren. An den Proben im Budapester Music Center nahm auch Kurtágs Frau Márta teil, die im Oktober 2019 verstarb – nach mehr als 70 Jahren Ehe.

Wie bereichernd diese exklusive, aber auch anstrengende Arbeit letztlich für alle Seiten war, hat das Konzerthaus per Film festgehalten. Wenn Appl die Hölderlin-Gesänge am 3. Februar aufführt, werden Teile dieser Dokumentation im Anschluss zu sehen sein. Ein Podiumsgespräch mit dem Sänger wird weitere Einsichten eröffnen, bevor er das Werk ein zweites Mal interpretiert. Dieser nachgerade musikvermittlerische Abend wird durch die Uraufführung von Kurtágs Hölderlin-Vertonungen „Das Angenehme dieser Welt“ und „Brief an die Mutter“ gekrönt.

Den Startschuss am 2. Februar gibt indessen das Arditti Quartett mit György Kurtágs Streichquartett op. 1, mit dem der Komponist sich aus einer fundamentalen Schaffenskrise befreite. Die vier Streicher, deren Erfahrung auf dem Gebiet der musikalischen Moderne kaum überboten werden kann, lassen diesem wichtigen Meilenstein Quartette von Anton Webern und György Ligeti sowie zwei weitere Kurtág-Werke folgen.

Der Franzose Pierre-Laurent Aimard bereichert die Kurtág-Zeitinsel am 4. Februar durch einen Klavierabend. (Foto: Marco Borggreve)

Péter Halász, Kurtágs Lektor bei der Edition Musica Budapest, wird am 4. Februar die Einführung zu einem Klavierabend von Pierre-Laurent Aimard geben. Der Franzose, der eng mit vielen Komponisten unserer Zeit zusammenarbeitete, wird Kurtágs „Játékok“-Miniaturen im Wechsel mit den Präludien und Fugen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ spielen, um das Spiel mit Proportionen und Formprinzipien aus der Perspektive zweier Epochen zu beleuchten.

Ähnlich aphoristisch wie Kurtágs Tonsprache sind die Verse der russischen Dichterin Rimma Dalos, die den Komponisten zu seinem Liedzyklus „Szenen aus einem Roman“ inspirierte. Er bildet am 5. Februar den Schluss- und Höhepunkt eines Konzerts der Reihe „Musik für Freaks“. Caroline Melzer (Sopran), Nurit Stark (Violine), Luigi Gaggero (Cymbal) und Uli Fussenegger (Kontrabass) umrahmen den Zyklus mit Musik von Claudio Monteverdi bis Béla Bartók.

Ein moderiertes „Happy Hour“-Konzert gibt das WDR-Sinfonieorchester Köln am 6. Februar. Unter der Leitung des Rumänen Cristian Macelaru erklingen Kurtágs „Grabstein für Stephan“ für Gitarre und Orchester und sein Werk „Stele“ op. 33. Hinzu treten Béla Bartóks Rhapsodie für Violine und Orchester op. 15c sowie „Levante für Orchester“ des 52-jährigen Rumänen Dan Dediu. Bereits ausverkauft ist der Abschluss der Zeitinsel: Die „Kafka Fragmente“ op. 24 für Sopran und Violine werden am 6. Februar im „domicil“ an der Hansastraße aufgeführt, unterstützt von filmischen Installationen. Caroline Melzer (Sopran) und Nurit Stark (Violine) unternehmen diesen musikalischen Streifzug durch die Lebenswelt des berühmten Schriftstellers.

Obwohl der legendäre Komponist seine Wohnung im Budapester Music Center aufgrund seines hohen Alters nicht mehr verlässt, kommt man ihm durch dieses Festival denkbar nahe. Im Konzerthaus-Foyer rundet eine Ausstellung mit Zitaten, Zeichnungen und Manuskripten von Kurtág die Zeitinsel ab. Die Hommage verdankt sich auch der engagierten künstlerischen Planung der Konzerthaus-Mitarbeiterin Marie-Sünje Schade und der Unterstützung durch die Kunststiftung NRW.

(Informationen/Karten: https://www.konzerthaus-dortmund.de/kurtag/ )




Gleißende Hysterie: George Benjamins Oper „Written on skin“ im Konzerthaus Dortmund

Konzerthaus Dortmund. Written on Skin. Von und mit George Benjamin. © Pascal Amos Rest

„Written on Skin“ – der britische Komponist George Benjamin dirigiert das fulminante Mahler Chamber Orchestra. Foto: Pascal Amos Rest

Das Beste kommt zum Schluss. Ein Musikdrama, das uns wie ein wirbelnder Strudel verschlingt. Mit erstklassigen Sängern, die vor keiner emotionalen Entäußerung zurückschrecken. „Written on skin“ – George Benjamins Oper entpuppt sich als ein Stück gleißender Hysterie, als Schwester der „Elektra“ oder des „Wozzeck“. Die Aufführung im Konzerthaus Dortmund ist eine Herausforderung fürs Publikum – und wird mit Jubel belohnt.

Der Brite Benjamin steht selbst am Pult des höchst intensiv spielenden Mahler Chamber Orchestra, dirigiert gewissermaßen mit körperlichem Understatement, gleichwohl ungeheuer präzise. Er ist charmanter Vertreter einer neuen Musik, deren stetiger Fluss uns bannt, weil nichts dahinplätschert. Zuweilen rütteln eruptive Klangballungen auf, immer fasziniert die Vielfalt instrumentaler Farben. „Written on skin“ wird so zum Höhepunkt der dreitägigen Zeitinsel, die das Konzerthaus dem Komponisten gewidmet hat.

Benjamin ist ein Musiker, der viel schreibt und ebenso viel verwirft. Seine Skizzenblätter übertreffen deutlich das gedruckte Werk. Etwa 40 Kompositionen in 40 Jahren sprechen die Sprache eines äußerst skrupulösen Künstlers. „Written on skin“ entstand 2012, sechs Jahre nach seiner ersten Oper, „Into the little hill“, eine moderne Fassung des „Rattenfängers von Hameln“; sie war ebenfalls im Konzerthaus zu erleben.

Der "Beschützer" (Christopher Purves, l.) blickt auf die Kunst des Malers (Tim Mead). Agnés (Barabara Hannigan) schaut gleichfalls interessiert. Foto:  Pascal Amos Rest

Der „Beschützer“ (Christopher Purves, l.) blickt auf die Kunst des Malers (Tim Mead). Agnés (Barabara Hannigan) schaut gleichfalls interessiert. Foto: Pascal Amos Rest

Für Benjamin gilt aber auch das akribische Bemühen um die Weiterentwicklung seiner Ausdrucksmittel. Für „Written on skin“ etwa setzt er als charakterstarke Farbe eine Kontrabassklarinette ein, mischt Harfen- und Banjoklang, verweist mit einer Glasharmonika in sphärische Weiten, blickt mit einer Viola da Gamba auf alte Zeiten.

Denn die Geschichte, die hier verhandelt wird, fußt auf einer Sage des 13. Jahrhunderts. Ein Maler soll all die Herrlichkeit eines hohen Herrn aufs Papier, damals noch „auf die Haut“, bannen. Der Künstler verführt die Frau des Hauses, der gekränkte Gatte reißt dem Nebenbuhler das Herz heraus und zwingt seine Frau es zu essen. Die stürzt sich aus dem Fenster.

Ein archaischer, blutrünstiger Stoff, den Benjamin und Librettist Martin Crimp in die Moderne überführt haben. Drei zynische Engel schaffen eine brutale Welt, der hohe Herr gilt als „Beschützer“ seiner Frau Agnés, entpuppt sich indes als fieser Sklavenhalter. Agnés‘ Zorn, Trotz, Widerstand und Betrug wird durch die Verführungskraft des Malers genährt. Benjamin hat die Rolle mit einem Counter besetzt, und wenn sich die Stimme Tim Meads mit dem Wundersopran Barbara Hannigans vereint, scheint das emotionale Zentrum der Oper erreicht. Doch erst ihr Ehebruchgeständnis ist der eigentliche Kulminationspunkt. Hannigan wächst zur Rachefurie, das Orchester schreit und überwältigt mit grausamen Schlägen.

Nicht minder ausdrucksstark singt Christopher Purves den „Beschützer“ seiner Frau, ein zynischer Machtmensch, der sich selbst am meisten gefällt, der manchmal aber nur dasitzt wie ein geprügelter Hund. Es ist nicht zuletzt diese Mimik, abgeleitet aus der emotionalen Urgewalt der Musik, die uns auf die Stuhlkante treibt. „Written on skin“ ist Beispiel dafür, dass die komponierende Avantgarde durchaus zur Darstellung des Sinnlichen fähig ist. Mag George Benjamin auch einer jener Künstler sein, die ihr Werk akribisch konstruieren, ist diese Oper alles andere als ein um sich selbst kreisendes Konstrukt. Theater wie Bonn und Detmold haben sich ihrer angenommen, andere Häuser sollten den Mut aufbringen, ihr oft eingefahrenes Repertoire zu erweitern. Es lohnt sich.

(Der Text ist zuerst in ähnlicher Form in der WAZ erschienen.)




Subversive Untertöne: Sergej Prokofjews „Die Verlobung im Kloster“ in Dortmund

Valery Gergiev ist künstlerischer Leiter und Intendant des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg (Foto: Alexander Shapunov/Konzerthaus Dortmund)

Valery Gergiev ist künstlerischer Leiter und Intendant des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg (Foto: Alexander Shapunov/Konzerthaus Dortmund)

1936 löste Sergej Prokofjew seine Wohnung in Paris auf. Just in den finsteren Jahren des stalinistischen Terrors zog er mit seiner Frau und zwei Söhnen endgültig nach Moskau zurück. Es war nicht nur Heimweh, das ihn zu diesem folgenreichen Schritt bewog.

Nachdem er im Westen darunter gelitten hatte, vor reichen Gönnern, Agenten, Verlegern und Orchesterchefs katzbuckeln zu müssen, verführte ihn Stalins Propaganda vom „Kulturarbeiter an der künstlerischen Front“, vom Künstler „als führendes Mitglied der neuen Sowjetgesellschaft.“

Die Vorteile waren zunächst erheblich. Prokofjew erhielt jährlich garantierte Aufträge, Vorschüsse, eine kostenfreie Wohnung, Studienreisen, kostenlose Schule für die Kinder, freie Krankenversicherung und Sonderprämien. Er feierte große Erfolge, aber die bittere Rechnung blieb nicht aus. In der berüchtigten „Formalismusdebatte“ ritten Kulturfunktionäre scharfe Attacken gegen sein Schaffen. Stalins immerzu schwankende Richtlinien von der wahren Sowjetkunst führten unter Künstlern und Intellektuellen zu einem Klima ständiger Angst.

Auch Prokofjews lyrisch-komische Oper „Die Verlobung im Kloster“, nur ein Jahr vor Hitlers Überfall auf Russland vollendet, wurde als „typische Erscheinung des Formalismus“ gegeißelt und erhielt Aufführungsverbot. Dabei hatte der Komponist für diese sechste seiner insgesamt acht Opern einen heiteren, volkstümlichen Stoff gewählt.

Der Vierakter handelt von Liebeswirren im Sevilla des 18. Jahrhunderts. Zwei junge Paare finden erst nach erheblichen Turbulenzen zueinander, ganz wie im „tollen Tag“ von Mozarts „Le Nozze di Figaro“. Das ist kein Zufall, denn der irische Dramatiker Richard Brinsley Sheridan, der das Theaterstück „La Dueña“ und somit die Vorlage schrieb, war ein Zeitgenosse des französischen Schriftstellers Pierre Augustin Beaumarchais – und damit auch von Mozart.

Als Rarität bereicherte „Die Verlobung im Kloster“ die aktuelle Prokofjew-Zeitinsel im Konzerthaus Dortmund. Die buffoneske Heiterkeit des rund dreistündigen Werks entpuppt sich dabei als keineswegs harmlos. Vielmehr würzte Prokofjew die Partitur mit unterschwelliger Ironie. Sein Gespür für das Lächerliche treibt dabei Blüten, die eine feine Perfidie verströmen.

Auf solch subversive Untertöne verstehen sich Chor, Orchester und Sänger des Mariisnky-Theaters St. Petersburg offenbar blendend. Kraftvolle Motoren des turbulenten Spiels sind Evgeny Akimov (Don Jeronimo) und der kurzfristig eingesprungene Sergei Aleksashkin (Mendoza): ein auf geldwerten Vorteil bedachter Vater der eine, ein ungehobelter, aber reicher Fischhändler der andere. Wie diese beiden miteinander um Don Jeronimos Tochter Luisa schachern, wie sie wüten und sich winden, ist ein köstliches und stimmstarkes Schauspiel. Mendoza, der vermeintlich Bauernschlaue, entpuppt sich dabei als Trottel, weil er sich hereinlegen und mit der alten Hauswirtin abspeisen lässt (spanisch: Dueña). Und Don Jeronimo, der unbedingt den lukrativen Kuhhandel um seine Tochter über die Bühne bringen will, ist einer jener Choleriker, deren Zorn leicht ins Lächerliche verrutscht.

Die Komik gipfelt in einer zirkusreifen Hausmusik-Szene, in der ein Trio aus Klarinette, Trompete und Basstrommel quietschfidel vor sich hin dilettiert, vom Hausherrn aber dauernd unterbrochen wird. Der findet es schließlich angesagt, die Leitung des Trios selbst zu übernehmen. Evgeny Akimov (alias Don Jeronimo) nutzt die Gelegenheit, um Chefdirigent Valery Gergiev zu imitieren: die flatternden Handbewegungen und der auf Zahnstocher-Format geschrumpfte Taktstock haben köstlichen Wiedererkennungswert. Die nächste böse Parodie lässt nicht lange auf sich warten. Im Kloster findet ein allgemeines Besäufnis statt, begleitet von scheinheiligen Chorälen. Die Mönche, die da Wein trinken und lärmen, predigen mit größter Strenge Wasser, sobald der heiratswillige Besuch eintrifft.

Das Orchester des Mariinksy-Theaters ist bei diesen komischen Eskapaden weit engagierter bei der Sache als am ersten Abend der Prokofjew-Zeitinsel. Es nimmt seinen Hang zum knalligen Forte zurück, um den Sängern den Vortritt zu lassen, Ironisches fein zu untermalen und mancher Farce die rechte Farbe zu geben. So löst sich für Prokofjews Figuren und für die Dortmunder Zuhörer alles in Wohlgefallen auf.

 (Die nächste „Zeitinsel“ im Konzerthaus Dortmund gilt dem schwedischen Jazzposaunisten und Sänger Nils Landgren. Informationen: http://www.konzerthaus-dortmund.de/abonnements_details.html?id=253&saison=201415)




Auf den Spuren eines Modernisten: Prokofjew-Zeitinsel im Konzerthaus Dortmund

Valery Gergiev (l.) und der Pianist Behzod Abduraimov (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Valery Gergiev (l.), der Pianist Behzod Abduraimov und das Orchester des St. Petersburger Mariinsky-Theaters (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Nicht einmal Blumen gab es für seinen Sarg. Alle Floristen und Gewächshäuser in Moskau waren leer gekauft am 5. März 1953, als der Komponist Sergej Prokofjew starb: am gleichen Tag wie der Despot Josef Stalin, dessen Schatten er selbst im Tode nicht entkam.

Die sowjetischen Zeitungen nahmen vom Ableben des Komponisten keine Notiz. Es war die New York Times, die am 9. März zuerst darüber berichtete. Prokofjews erste Frau Lina Codina, zu diesem Zeitpunkt in einem sibirischen Lager inhaftiert, erfuhr die traurige Nachricht erst im Sommer.

Der da fast unbemerkt verschied, war weit mehr als der Schöpfer des weltweit beliebten musikalischen Märchens „Peter und der Wolf“. Er war ein Neuerer, der sich in der Rolle des skandalträchtigen Modernisten wohl fühlte, der die russische Romantik à la Rachmaninow, Skrjabin und Tschaikowsky mit genialischem Schwung vom Tisch fegte. An Politik im Grunde wenig interessiert, richtete er sich nach seiner Rückkehr aus dem Ausland gleichwohl in der Rolle des Staatskünstlers und Stalin-Preisträgers ein. Vor den Angriffen bornierter Kulturfunktionäre und Verfolgungen des Regimes schützte ihn das aber nicht.

Das Konzerthaus Dortmund beleuchtet Prokofjews Schaffen jetzt im Rahmen einer dreitägigen „Zeitinsel“, gestaltet von dem Dirigenten Valery Gergiev und dem Orchester des St. Petersburger Mariinsky-Theaters. Viel Interessantes gibt es dabei zu entdecken, so zum Beispiel die nur wenigen Musikfreunden bekannte komische Oper „Die Verlobung im Kloster“, die Dmitri Schostakowitsch einst mit Verdis „Falstaff“ verglich. Die Musik zu Sergej Eisensteins Monumentalfilm „Iwan der Schreckliche“ ist am dritten und letzten Abend in der Oratorienfassung von Abram Stassewitsch zu erleben. Ihr gehen Auszüge aus der Ballettmusik zu „Cinderella“ voraus.

Denis Kozhukhin, geboren 1986 in Nishni Nowgorod, ist Sohn einer Musikerfamilie (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Denis Kozhukhin, geboren 1986 in Nishni Nowgorod, ist Sohn einer Musikerfamilie (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Gewiss ist es eine sinnvolle Idee, die Prokofjew-Zeitinsel mit einer Gesamtaufführung der fünf Klavierkonzerte zu beginnen, vermitteln sie doch einen Eindruck von der Experimentierfreude des Komponisten sowie von seinen überragenden pianistischen Fähigkeiten. Valery Gergiev, der diesen Prokofjew-Marathon zuvor bereits in St. Petersburg realisierte, brachte vier Pianisten nach Dortmund mit, die dem Mariinksy-Theater besonders verbunden sind: Alexej Volodin, Denis Kozhukhin, Behzod Abduraimov und Sergei Babayan.

Der Maestro selbst ließ indes auf sich warten. Erst um 19.10 Uhr traf der von manchen überbeschäftigt genannte Arbeitswütige am Dortmunder Hauptbahnhof ein, weshalb der für 19 Uhr geplante Konzertbeginn spontan um eine halbe Stunde verschoben werden musste. Die Einstudierung in Dortmund hatte Gergiev einem Assistenten überlassen. Eine Anspielprobe fiel folglich flach. Immerhin muss der Musikzar aus St. Petersburg noch Zeit gefunden haben, auf dem Weg von der Bahnsteigkante auf die Konzerthausbühne fix in den Künstlerfrack zu hüpfen – und dies trotz erheblicher Rückenschmerzen.

Sein Dirigat wirkt an diesem Abend pauschal mit einer Neigung zur Fahrigkeit. Die Streicher fallen durch einen Hang zu uninspiriertem Mezzoforte-Brei auf, die Blechbläser mit dem zu unkultivierter Lautstärke. Nur selten sind die Holzbläser in diesem hypertroph aufgeblähten Klangballon zu vernehmen. Dass es bei manchem Tempowechsel merklich im Getriebe knirscht und fast alle Musiker so nach hinten gelehnt sitzen, als seien sie am Rückenteil ihrer Stühle festgeklebt, vervollständigt das Bild einer eher lustlosen Professionalität. Gergiev, seit 1988 Chefdirigent dieses traditionsreichen Orchesters, mag über die Köpfe und die Fingerfertigkeit der Musiker verfügen: ihre Herzen erreicht er an diesem Abend nicht.

Alexei Volodin (l.) ist in der aktuellen Konzertsaison Residenzkünstler des Mariinsky-Theaters (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Alexei Volodin (l.) ist in der aktuellen Konzertsaison Residenzkünstler des Mariinsky-Theaters (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Besonders konturlos und verschwommen klingt das Klavierkonzert Nr. 1, für das der junge Prokofjew den mit der Schenkung eines Konzertflügels verbundenen Anton-Rubinstein-Preis erhielt. Alexei Volodin bleibt trotz aller Virtuosität zu stark einem gefälligen Schönklang verhaftet, um die Neuartigkeit und die kompositorischen Kühnheiten des Werks aufleuchten zu lassen. Da geht Denis Kozhukhin schon ganz anders zur Sache: Er verdichtet den dissonanzenreichen, hochvirtuosen Satz des 2. Klavierkonzerts zu spannungsvollen Exzessen, ohne darüber das Gespür für feine Groteske und traumversunkene Lyrik zu verlieren. Mag manche Passage noch nach Rachmaninow klingen, so wischt Kozhukhine diesen Eindruck durch frenetische Steigerungen zur Seite, die ahnen lassen, warum die Uraufführung 1913 in Pawlowsk zu einem Skandal geriet.

Furios auch die Leistung von Behzod Abduraimov, unter dessen Händen das 3. Klavierkonzert sich entfaltet wie ein abwechslungsreiches Feuerwerk. Abduraimov versteht sich auf motorische Wucht ebenso wie auf kapriziös-nervöse Farben. Er kann tändeln, irisierende Klangnebel aufsteigen lassen, aber auch orgiastische Oktav-Gewitter in die Tasten donnern, ohne lärmend zu klingen oder die Trennschärfe seines Anschlags einzubüßen. Nach diesem spektakulären Husarenritt wirkt das 4. Klavierkonzert für die linke Hand, komponiert für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, beinahe ein wenig lahm. Alexei Volodin bleibt als Interpret blass, das Werk entbehrt unter seinen Händen der Magie, der Atmosphäre.

Sergei Babayan, zu dessen Schülern auch Daniil Trifonov zählt, ist Amerikaner armenischer Herkunft (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Sergei Babayan, zu dessen Schülern auch Daniil Trifonov zählt, ist Amerikaner armenischer Herkunft (Foto: Petra Coddington/Konzerthaus Dortmund)

Den Schlusspunkt zu setzen, bleibt dem armenischstämmigen Pianisten Sergei Babayan vorbehalten. Er meistert das 5. Klavierkonzert mit markantem Ton, verleiht ihm imperialen Glanz und hämmernde Wucht. Die Bässe reißen Abgründe auf, im Diskant herrscht gleißende, fast schmerzende Helligkeit. Und doch gönnt Babayan uns auch schillernd fragile, nachgerade zärtliche Klänge, wie wir sie aus der Ballettmusik zu „Romeo und Julia“ kennen. Prokofjew, das wandelbare Genie, war zuweilen ein rechtes Chamäleon.

Die nächste „Zeitinsel“ im Konzerthaus Dortmund gilt dem schwedischen Jazzposaunisten und Sänger Nils Landgren. Nähere Informationen: http://www.konzerthaus-dortmund.de/abonnements_details.html?id=253&saison=201415