Vom Königsthron hinab ins Schulungshotel – Peter Handke und Susanne Schneider bei den Mülheimer Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. „Heute ein König!“ schallt es uns aus einer Pils-Werbung entgegen. „Künftig ein König!“ rufen uns die Dramatiker Botho Strauß und Peter Handke zu. Ihre neuen Stücke sorgten für den wahrhaft majestätischen Auftakt der Theatertage in Mülheim. Dann freilich ging’s steil hinab in die Niederungen des ökonomischen Alltags. Susanne Schneiders „Wir Verkäufer“ war der dritte von acht Beiträgen im Wettbewerb.

Nachdem in Botho Strauß „Ithaka“ der alte Odysseus sein Königtum blutrünstig zurückerobert hatte, bekamen es die Zuschauer mit Handkes monarchischen Phantasien zu tun: Das Frankfurter Schauspiel gastierte mit „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“. Schon der Titel läßt ahnen, daß Handkes Sprache gleichsam wallt wie ein Königsgewand. Wohltönend und vielschichtig ist Handkes Sage aus der abgelegenen Enklave, der ein neuer König ein ewig währendes Gesetz allumfassenden Friedens (darunter tut man’s nicht mehr) geben soll. Claus Peymann hatte seine Darsteller bei der Wiener Uraufführung durch eine Art Feenmärchen tändeln lassen. Die Figuren der Frankfurter Fassung (Regie: Hans Hollmann) staksen indes stocksteif einher.

Den Vorhang zu und alle Fragen offen

Im Mittelgrund der stets düsteren Bühne baumelt geometrisch geordnetes Gestänge. Ästhetische Avantgarde der 50er Jahre. Dies gilt auch für die maßvoll neutönerische Musik, die immer wieder erklingt. In dieser Inszenierung mit ihren stur-schematischen Auf- und Abgängen wenig inspirierter Darsteller hat man nicht einmal den Umgang mit dem Vorhang rationell gelöst: Zuweilen wird für eine Fünfzehn-Sekunden-Szene eigens langwierig zu- und dann wieder aufgezogen. Warten ist das halbe Leben.

„Verstanden?“ fragte Handkes Wander-Erzählerin mehrmals textgemäß in die Publikumsrunde. „No!“ schallte es in Mülheim aus vielen Mündem zurück. Tatsächlich ist es schwer, in diesem Drama den Faden zu finden. Anhand der Frankfurter Darbietung scheint es sogar aussichtlos.

Schneeberg soll soziale Kälte anzeigen

Den roten Faden sah man in „Wir Verkäufer“ um so schneller. Denn die Stuttgarter Autorin Susanne Schneider, die in der Gast-Inszenierung (Badisches Staatstheater Karlsruhe) auch Regie führt, gibt über weite Strecken mit biederem Realismus den Ablauf einer Verkaufsschulung wieder, die eine Westfirma arbeitslos gewordenen Ostdeutschen angedeihen läßt. Schmerzlich beigebracht werden den „Ossis“ in diesem kapitalistischen Fegefeuer die Psychotricks des Verhökerns. In den Schulungspausen gibt’s Kummersuff, Karaoke-Singsang und natürlich Fragmente aus beschädigten Ost-Biographien.

Video-Aufnahmen von echten Schulungen dienten der Autorin als Anregung. Wie Fertigteile baut sie aus der DDR überkommene Redewendungen („Fakt ist.. ..“, „…hat Weltniveau“) ein. Auch sonst kommt einem vieles reichlich bekannt vor. Und es hätte schon um 1990 exakt so geschrieben werden können. Heute wirkt es abgestanden. Daß gar ein immer höher werdender Schneeberg rund ums Schulungshotel als Sinnbild für wachsende soziale Kälte herhalten muß, ist kläglich. Rar sind die Szenen-Momente, in denen das deutsch-deutsche Elend sich wenigstens halbwegs verdichtet.

Dank der großartigen Münchner Inszenierung muß derzeit Botho Strauß „Ithaka“-Text favorisiert werden. Man darf aber wohl die Prognose riskieren: Strauß wird den Preis trotzdem partout nicht bekommen, und zwar wegen politischer Bedenken. Außerdem folgen bis zum 6. Juni ja noch fünf konkurrierende Stück, darunter die von Elfriede Jelinek und Urs Widmer.




Handke im Sonnenschein – Claus Peymann inszeniert „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ am Wiener Burgtheater

Von Bernd Berke

Wien. Auf der Bühne des Burgtheaters war am Samstag viel von Vorfrühlings-Hoffnung die Rede. Und als die Uraufführung von Peter Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ nach vier Stunden vorüber war, funkelte eitel Sonnenschein: Der Dichter, sonst allen Auftritten vor der Menge abhold, kobolzte – nach kurzer Verlegenheitsfrist – mit Regisseur Claus Peymann vor dem frenetisch jubelnden Publikum.

Zwei Herren, die schon einige Kapitel Theatergeschichte geschrieben haben, benahmen sich für ein paar Sekunden wie zwei fröhliche kleine Knaben.

Kein Gegenwartsautor, ausgenommen Botho Strauß, hat sich so sehr dem weihevollen Ton verschrieben wie Handke. Auch im neuen Stück spricht er oftmals wie ein Seher oder Prediger. Dies wird wieder Scharen von Spottdrosseln auf den Marktplatz rufen. Doch nach Peymanns Uraufführung werden sie’s nicht leicht haben.

Schwere Passagen wirken federleicht

Denn der hat vorgebaut. Er hat mit seinem Ensemble diesem hie und da zum monologischen Vortrag neigenden Text wundersames Bühnenleben eingehaucht. Ohne ironisch zu denunzieren oder die Sache herabzustufen, läßt er selbst schwerste Passagen federleicht und gelöst erscheinen.

Schutt- und Aschelandschaft, schräg zum Zuschauerraum hin gekippt (Bühnenbild: Achim Freyer): Dies ist die namenlose, lang isolierte, dann von fremder Macht kriegerisch unterworfene Enklave. Man hat schon gerätselt, welche Ländereien Handke meint. Österreich, von Deutschland beherrscht? Anspielungen auf Ex-Jugoslawien? Halten wir’s mit Goethe: Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen.

Verheißungsvolle Augenblicke sammeln

In der Enklave, die später aufblüht, lebt ein Volk, das in seine Niederlagen immer vertieft und vernarrt war, das nie einen Helden oder nennenswerte Historie hervorgebracht hat. Fruchtbarer, gleichsam jungfräulicher Humus also für völligen Neubeginn. Und damit ein Nährboden für das fortwährende Projekt des Peter Handke: Durchs wahrhafte, gänzlich unvoreingenommene Anschauen der Dinge Raum, Ziel und Maß zu gewinnen für ein würdigeres Erdendasein. Dies sind denn auch „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“: beständiges Ansammeln verheißungsvoller Dinge und Augenblicke, um, wenn schon nicht gleich zum Sinn, so doch vorderhand zum „Nicht-Unsinn des Lebens“ (Stückzitat) vorzudringen.

Zwei merkwürdige Helden, die in der Enklave geboren werden, sollen die neue Ära ins Werk setzen: die Vettern Pablo (Gert Voss), stets drangvoll kampf- und siegbereit, und Felipe (Johann Adam Oest), ein ewig fröhlicher Versager. Jeder hat seinen Teil der Wahrheit. Der eine pulvert auf, der andere besänftigt. Grandios, wie Voss und Oest diese eher als Prinzipien entworfenen Wesen als Charaktere von Fleisch und Blut gestalten.

Das weitere Personal wirkt wie ein fernes Nachglühen praller Shakespeare-Welten: Die Erzählerin (Anne Bennent), als holde Elfe im regenbogenfarbenen Röckchen, mit taubeglänzter Sprache und träumerischen Gesten alle beschwingend; ein Idiot (Urs Hefti) als gelegentlich weiser Narr; das durch eine einzige Figur dargestellte Volk (Martin Schwab), allergisch gegen Botschaften, mit bescheidenem Wohlstand zufrieden…

Zwischen Drachen und Fabeltieren

Sprachmächtiges Künden, aber auch Clownerie wechseln mit Passagen wortloser Begebenheiten, bei denen das „ganz Andere“ als Möglichkeit aufscheint. In der herrlich wandelbaren Szenerie, in der Drachen aufsteigen, Vögel fleuchen oder Fabeltiere einherziehen, entfaltet sich ein kaum erschöpfliches Denk- und Sinn-Spiel, ein eigentümlicher Sagen- und Legendenstoff von neuem, unerhörtem Königtum und Gesetzgebung zum ewigen Frieden.

Lauscht man genau, hat freilich schon Handke selbst dem Pathos immer wieder die Spitze geknickt. Das „Königsdrama“ (Untertitel) handelt weniger von Gekrönten als vom Königsweg zur befriedeten Menschlichkeit. Es ist von hier und jetzt, auch wenn es entschieden übers „Heute“ hinaus will. Und jene allzeit die Enklavenbewohner bedrohende „Raumverdränger-Rotte“, die mit „1-D-Brillen“ und Echo-Saugern alle räumlichen oder zeitlichen Staffelungen (und damit jede Sehnsucht) von der Erde tilgen will, kann man sich gut als Vorhut einer entseelten, technisch-virtuellen Zukunft vorstellen.