Komödie aus Dortmund: Sag mir, wo das Schnitzel ist…

Was ist nur bei der ARD los? Nach dem sonntäglichen „Tatort“ stand heute schon der zweite abendfüllende, in Dortmund angesiedelte Fernsehfilm zur besten Sendezeit auf dem Programm: „Ein Schnitzel für alle“, Komödie mit Armin Rohde und Ludger Pistor.

Gut, dass es nun wieder mal eine Arbeitslosen-Geschichte aus Dortmund war, dürfte auf lokaler Ebene nicht allzu sehr erfreuen. Vor allem aber hätte man es heute wohl vorgezogen, in der Prime Time einen Themenabend zum Tod von Dieter Hildebrandt zu sehen. Aber solche beherzten Entscheidungen zur Programmänderung erwartet man vom kolossalen Senderverbund gar nicht mehr. Ab 21.45 Uhr ließen sie sich dann herbei…

Wittern ihre Chance: Wolfgang (Ludger Pistor) und Günther (Armin Rohde). (©WDR/Martin Valentin Menke)

Wittern ihre Chance: Wolfgang (Ludger Pistor) und Günther (Armin Rohde). (©WDR/Martin Valentin Menke)

Immerhin war die „Schnitzel“-Komödie nicht übel, wenn sie auch an jedem anderen Abend noch willkommener gewesen wäre. Man sah ein ausgefuchstes, in allen Gegensätzen bestens aufeinander eingespieltes Duo in den Hauptrollen des früheren Oberhemdenverkäufers Wolfgang (Pistor) und des ehemaligen Tierpflegers Günther (Rohde). Der eine träumt von einer Karriere als Anlageberater, doch seine Firma ist leider kriminell. Der andere möchte vom Arbeitsamt den Flug nach Kanada bezahlt haben, um dort fachgerecht Robben zu retten.

„Sie haben gar nichts zu wollen“, faucht die Fregatte vom Abeitsamt – und verpasst ihm einen 1,50-Euro-Job als Betreuer, Fahrer und Putzkraft für drei behinderte junge Leute: ein Mädchen mit Down-Syndrom, ein Typ im Rollstuhl, ein zweiter mit „Asperger“, also einem autistischen Befund. Wahrlich ein schwieriger Komödienstoff, der hier aber geschmacklich unfallfrei, wenn auch genregerecht vorwiegend optimistisch gemeistert wurde.

Damit setzt sich eine streckenweise leidlich komische Maschinerie in Gang, die vor allem von punktgenau geschrieben Dialogen und überhaupt von gekonntem Timing lebt (Drehbuch Katja Kittendorf, Regie Manfred Stelzer). Ich will das nicht haarklein nacherzählen, wohl aber erwähnen, dass Pistor als Frauenbecircer nahezu loriotsche Qualitäten entfaltete.

Natürlich geht es auch hier ums Thema Glück, die ARD muss ja in dieser Woche partout fast alle Formate in dieses Schema pressen. Der penible Junge mit dem Asperger-Syndrom ahnt nach vielen „Versuchsreihen“ Roulettezahlen voraus, was sich die beiden derangierten Filous zunutze machen. Dann geht’s auf und ab: gewonnen, zerronnen – und wieder gewonnen, diesmal natürlich mit sozialem Mehrwert.

Und der Titel? Nun ja, einmal darf Rohde ein Schnitzel verzehren. Punkt.

Von Dortmund sieht man übrigens mehr authentische Bilder als beim „Tatort“. Aber wahrscheinlich wird uns das Lokalblatt morgen wieder im ernsten Tonfall erzählen, dass da gar nicht das wirkliche Arbeitsamt zu sehen war, sondern das Gesundheitsamt und dass auch das real existierende Spielcasino völlig anders aussieht. Geschenkt!

Apropos Lokalblatt: Das heißt natürlich nicht „Ruhr Rundschau“, sondern dieser Titel ist wohl eine kleine Anspielung auf die Entlassung der WR-Redaktion und die gemeinsame Verwurstung des „Contents“. Und habe ich das richtig gesehen, dass das Dosenbier „Thierse“ statt „Thier“ geheißen hat? Oder habe ich mich verguckt?




Wo das Glück sich zeigen kann

Es hat schon ein wenig genervt, wie die ARD für ihre Themenwoche übers Glück vorab die Trommel gerührt hat. Sogar zum Tagesschau-Nachrichtenstoff wurde der eigene Programmschwerpunkt. Was aber Anke Engelke jetzt unter dem Titel „Sowas wie Glück“ präsentiert hat, war wirklich berührend.

Anke Engelke (vorn rechts) auf Glückssuche - hier bei einer Chorprobe. (© WDR/Tom Trambow)

Anke Engelke (vorn rechts) auf Glückssuche – hier bei einer Chorprobe. (© WDR/Tom Trambow)

Auf der Suche nach dem Glück begab sich die vor allem mit Komik bekannt gewordene Fernsehfrau auf Deutschlandreise. Anfangs konnte man noch argwöhnen, hier stelle ein Promi wohlfeile Betroffenheit zur Schau. Doch das war nicht der Fall. Anke Engelke erwies sich als richtige Besetzung fürs Thema: zuversichtlich, aber nicht bodenlos optimistisch; einfühlsam ohne unnötiges Drumherum; komisch nur dann, wenn der Augenblick es zuließ. Den etwas windschiefen Satz „Ich bin zuständig fürs Emotionale“ wollen wir ihr gern verzeihen.

Bewegende Weisheit der krebskranken Kinder

Vor allem ihre Gespräche mit krebskranken Kindern in einer Essener Klinik waren ungemein bewegend. Auch dort, wo man es nicht vermutet, gibt es große Glücksmomente. Wie früh diese Kinder gereift sind – weit über ihr Lebensalter hinaus. Wie da ein Mädchen, dem gerade der Magen wegoperiert worden ist, sich tapfer vornimmt: „Man muss für seine Eltern stark sein…“ Wie da ein unheilbar kranker Junge, der weiß, dass er sterben wird, seiner Mutter verkündet, er wolle nach seinem Tod ihr Schutzengel werden. Da darf man schon mal ziemlich feuchte Augen bekommen…

Die Fröhlichkeit beim Gesang

Per Zeitungsanzeige suchten Anke Engelke und ihr Team gezielt unglückliche Menschen, die beispielsweise ihre Partner oder die Arbeit verloren hatten. Aus ihren Reihen wurde ein Chor zusammengestellt, der schließlich nach zwölf Wochen Proben in der Kölner Philharmonie auftrat. Und siehe da: Das Singen in der Gemeinschaft schmiedete nicht nur zusammen, sondern setzte nachweislich Glückshormone frei. Wie schön war es, die strahlenden Gesichter beim Auftritt zu sehen – dieselben Gesichter, die Wochen vorher nur von Sorgen zerfurcht waren.

Schließlich jene rund hundertköpfige Dorfgemeinschaft im deutschen Südwesten. Gewiss, da wehte ein leicht esoterischer Hauch. Doch das Glück, das aus solcher Gemeinsamkeit fließen kann, war auch hier mit Händen zu greifen. Leute, die ihren höchst unterschiedlichen Besitz offenlegen, teilen und also niemanden abstürzen lassen, haben eben einiges für sich.

Lebendige Gemeinschaft

Immer wieder leuchteten unterwegs kleine oder größere Glücksanlässe auf: die „geerdete“ Arbeit im Garten, die Geburt eines Zickleins, eine 60 Jahre währende Ehe, wobei der Mann beinahe schon unverschämt glücklich wirkte.

Und das Fazit? Nun, dass Sex und Geld nicht platterdings als allerbeste Glücksquellen gepriesen wurden, durfte man wohl erwarten. Eher ging es in diese Richtung: Man sollte sein ganz persönliches Glücksbedürfnis mit wachen Sinnen wahrnehmen, es gleichsam hegen und pflegen. Man sollte sich mehr zutrauen. Gesundheit und lebendige Gemeinschaft sind hohe Güter, wenn nicht die höchsten. Was außerdem noch entstehen kann, wird sich dann beizeiten zeigen.




„Tatort“: Dortmund bleibt depressiv

Kommissar Faber (Jörg Hartmann) mit Kollgin Bönisch (Anna Schudt) am Dortmunder Phoenixsee. (© WDR/Thomas Kost)

Kommissar Faber (Jörg Hartmann) mit Kollgin Bönisch (Anna Schudt) am Dortmunder Phoenixsee. (© WDR/Thomas Kost)

Also gut. Jetzt weiß beinahe ganz Deutschland, dass der Clarenberg (ein paar Hochhäuser am Rande von Dortmund-Hörde) eine Problemecke ist.

Wer da leben muss, so war ausgiebig zu sehen, resigniert für immer oder will allzu heftig nach „oben“ – beispielsweise in den (fiktiven) Club „Century“, wo die jungen Schnösel aus allerbestem Hause Frischfleisch suchen und wo der arrogante Teilhaber fingerschnippend ruft: „Wodka für meine Freunde an Tisch drei!“

Für ein Clarenberg-Mädchen wie die 16jährige Nadine („Die wollte ‚raus aus der Scheiße hier“) endet die Berührung mit solch einem gegensätzlichen Milieu im Krimi allemal tödlich. Was zu beweisen war. Abermals habe ich mich an uralte Folgen mit Erik Ode selig in „Der Kommissar“ erinnert gefühlt. Auch da gingen blutjunge Menschen häufig an der drogensüchtigen Schickeria zuschanden.

Dass es im Dortmunder „Tatort“ (vielsagender Untertitel: „Eine andere Welt“) irgendwann eine Wasserleiche im künstlich angelegten Phoenix-See geben würde, war zu erwarten. Im wirklichen Leben gab’s da im letzten Sommer etwas lokale Aufregung um zerdepperte Bierflaschen und nächtlichen Lärm am Ufer. Zynisch bemerkt: Beim Kulturzentrum „Dortmunder U“ wäre man mutmaßlich froh, wenn es dort einen solchen „In“-Treff wie das „Century“ geben würde. Freilich wirkten Musik und Lichtgeflacker der sündigen Location einigermaßen gestrig. Aber ich kann da wohl nicht mehr mitreden.

Kommissar Faber (Jörg Hartmann) bleibt sich finster treu. Kein Verdächtiger oder Täter ist durchgeknallter als er, also kann er sich in sie alle hineinversetzen. „Ich weiß, wie sich das anfühlt“, sagte er diesmal zum Vater der vergewaltigten und ermordeten Nadine. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es war eine starke Szene.

Immerzu muss Faber in Abgründe blicken und schlimmste Antriebe ausagieren. Er ist und bleibt der depressivste aller „Tatort“-Ermittler. Notfalls schleicht er sich heimlich in die Pathologie und führt stumme Zwiesprache mit der Leiche. Nach und nach erfährt man stückweise etwas mehr über den biographischen Hintergrund. Fabers Frau und Tochter sind tot und er verbeißt sich in den Gedanken, dass sie ermordet worden sind. Diesmal zertrat er in aufschäumender Wut ein Waschbecken und kotzte sich mal wieder aus. Buchstäblich.

So isser eben: Faber (Jörg Hartmann) hat sich mal wieder ausgekotzt. (© WDR/Thomas Kost)

So isser eben: Faber (Jörg Hartmann) hat sich mal wieder ausgekotzt. (© WDR/Thomas Kost)

Auch was den „Tatort“ anbelangt, ist Dortmund so ziemlich das genaue Gegenteil der so ganz anderen westfälischen Hauptstadt Münster. Dort scherzen sie, dass sich die Balken biegen. In Dortmund ist unentwegt Psycho. Man muss sich halt absetzen und ein eigenes Profil pflegen. Wir sind hier schließlich auch nicht in München oder Düsseldorf. Auf die Frage „Haben wir hier eine Schickeria?“ kann die Antwort tatsächlich nur ungefähr so lauten: „Das sind die, die die Bratwurst mit Messer und Gabel essen.“

In Vorab-Kritiken war zu lesen, dies sei bislang der beste Dortmunder „Tatort“ gewesen. Mag ja sein. Ich find’s aber seit jeher gar nicht so übel, wie sie darauf bestehen, ziemlich verrückt zu sein. Im Ermittler-Team macht so ziemlich jede(r) einen eigenen Streifen. Da wächst was zusammen, weil’s nicht zusammen gehört.




Auf der Suche nach heilsamen Giften

Holla! Der Kulturkanal 3Sat lockt uns mit kraftvollen Titeln wie die Boulevardzeitung mit den großen Lettern: „Hitlers Museen – Die Jagd nach den Nazi-Schätzen“ wurde jetzt (nach den Münchner Kunst-Sensationsfunden) kurzfristig ins Programm gerückt. Dafür musste die ähnlich vollmundig benannte Sendung „Dschungelcamp für Homöopathen“ nach hinten rücken.

An Stelle der Forscher, die – auf der Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen – beschwerliche Reisen in den Regenwald unternehmen, wäre man über den „Dschungelcamp“-Vergleich wohl nicht gerade entzückt. Er zieht das ganze Projekt ein wenig ins Halbseidene. Aber wie war das noch: Mit Speck fängt man Mäuse.

Schlangen, Vogelspinnen und anderes Getier

Der Film selbst war hingegen alles andere als spektakulär, sondern wirkte durchaus bedächtig. Das Motto hätte gut und gerne lauten können: Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss.

Pharmazeut Robert Müntz (re.) und der einheimische Guide Orlando haben eine giftige Ameise gefangen. (© ZDF/ORF/seagull Film/Katrin Filenius)

Pharmazeut Robert Müntz (re.) und der einheimische Guide Orlando haben eine giftige Ameise gefangen. (© ZDF/ORF/seagull Film/Katrin Filenius)

Man begleitete den Pharmazeuten Robert Müntz und den Arzt Jan Scholten auf ihren Expeditionen durchs Amazonasgebiet von Peru. Ein einheimischer, des Englischen kundiger Führer zeigte ihnen allerlei Getier, vorwiegend der giftigen Art. Zitteraal, giftige Tausendfüßler und Riesenameisen, Vogelspinnen, Taranteln, Fledermäuse, Ochsenfrösche und natürlich etliche Giftschlangen. „Schönes Tier“, sagte Müntz beim Anblick fast aller dieser Kreaturen. Nun ja. Das ist wohl Ansichtssache.

Der furchtlose Robert Müntz entlockte den Tieren Proben ihrer jeweils spezifischen Giftstoffe, die (entsprechend zerrieben, gelöst und dosiert) eventuell als hochwirksame Arzneien taugen. Dass Müntz dabei auch nicht ganz ungefährliche Selbstversuche betreibt, nötigt Respekt ab. Der Mann lebt für seine Wissenschaft. Und wer weiß, ob nicht ein paar wegweisende Entdeckungen daraus hervorgehen.

Für kritische Fragen blieb kein Platz

Die beiden Forscher schworen aufs naturnahe Leben und auf die Homöopathie, die den Menschen – im Gegensatz zur Schulmedizin – als Ganzes betrachte, ebenso preiswert wie umweltfreundlich sei und weder Patente noch sonderliche Profite ermögliche. Es wird schon einige Wahrheit daran sein, doch hier klang es allzu unwidersprochen.

Eine etwaige Gegenstimme war nicht zu vernehmen. Offenbar hatte sich das Filmteam um Katrin und Götz Filenius mit den Forschern angefreundet, man stellte also keine skeptischen oder kritischen Fragen, erhob erst recht keinerlei Widerspruch. Dass Teams der Pharmakonzerne sehr wohl in den entlegensten Winkeln unterwegs sind, um irgendwann lukrative Patente und Exklusivrechte zu beanspruchen, kam in dieser heilen Homöopathenwelt nicht vor.




Mythos Kennedy: Wie gut, dass man nicht alles wusste

Am liebsten würden uns TV-Beiträge wie „Kennedy – Das Geheimnis der letzten Tage“ (ZDF) wohl direkt vors Schlüsselloch der Weltgeschichte setzen. Doch nichts Genaues weiß man nicht. Und gar manches muss Spekulation bleiben. Aber gerade so entstehen Legenden.

Eins steht allerdings für so ziemlich alle Zeiten fest: Wer immer damals schon bei wachem Bewusstsein war, für den ist Kennedy bis heute ein Mythos geblieben. Dieser strahlende, offenbar so kraftvolle US-Präsident, der der (westlichen) Welt so viel Hoffnung gegeben hat. Diese Ikone der frühen 60er Jahre – und dann sein tragischer Tod…

Sexsüchtig und ernsthaft krank

Nicht erst jetzt, fast genau 50 Jahre nach den tödlichen Schüssen von Dallas (22. November 1963), wissen wir leider etwas mehr. John F. Kennedy war ein geradezu sexsüchtiger Präsident, dem man rund 2000 (!) Affären nachsagt. Seinerzeit war das Thema für die Presse tabu. Heute sagt Mimi Alford, damals 19jährige Praktikantin im Weißen Haus, sie habe im Schlafzimmer der First Lady Jackie Kennedy ihre Unschuld verloren.

Offenbar strotzend vor Kraft: John F. Kennedy bei seiner Ankunft im Weißen Haus am 19. Januar 1961. (© ZDF/Abbie Rowe)

Offenbar strotzend vor Kraft: John F. Kennedy bei seiner Ankunft im Weißen Haus am 19. Januar 1961. (© ZDF/Abbie Rowe)

In Annette Harlfingers Film für die historische Reihe ZDFzeit wurden solche pikanten Befunde noch einmal weidlich, um nicht zu sagen genüsslich ausgekostet. Die Zeitzeugen-Befragungen waren mal wieder purer Standard, sie scheinen seit Jahr und Tag immer nach demselben Muster gefertigt zu werden.

Fatales Stützkorsett

Auch blätterte man abermals in der Krankenakte von JFK: Der Mann habe schon in seinen Zwanzigern an einer schweren Darmkrankheit gelitten, später kamen gravierende Nieren- und Rückenleiden hinzu. Mit Amphetamin-Spritzen („Speed“) wurden seine chronischen Schmerzen bekämpft. Er war also quasi drogenabhängig.

Mit Mitte 50, so mutmaßt man, wäre Kennedy an seinen Leiden höchstwahrscheinlich gestorben. Zeitweise ging er an Krücken, zudem trug er unterm Anzug ein Stützkorsett, das ihn fatalerweise aufrecht hielt, als die tödlichen Schüsse von Dallas fielen. So konnte er sich nicht wegducken.

Bewegende Trauer der US-Bürger

Wie gut, dass wir all das damals nicht einmal geahnt haben. Wir hätten uns in der Kuba-Krise noch viel mehr Sorgen gemacht als ohnehin schon. Und die Sowjets wären sicherlich viel dominanter aufgetreten.

Für eine wirklich fundierte Analyse war der Film zu kurz, er geriet hin und wieder ins ungute Hecheln. Die nachdrücklichsten Aufnahmen, noch heute ungemein bewegend, waren jene, die die tiefe und aufrichtige Trauer der US-Bürger nach dem Attentat zeigten. Da starb auch viel vom Optimismus einer Nation.

Der hohe Preis der Offenheit

Den zahlreichen Verschwörungstheorien, die über den Mord von Dallas kursieren, saßen die Filmemacher immerhin nicht auf. Während damalige US-Bodyguards sich bis heute mitschuldig fühlen, meinte ein deutscher Experte, nach Lage der Dinge habe Kennedy selbst einen hohen Preis für seine sträflich offenherzige Wahlkampftour durch Texas bezahlt.

Ausdrücklich bestand Kennedy (trotz mancher Warnungen und Drohungen) darauf, im offenen Wagen zu fahren, um dem Volk nahe zu sein. Die Personenschützer hatten derweil strikte Anweisung, sich zurückzuhalten und auf Abstand zum Präsidenten zu gehen. Was will man da machen?




„Spätlese“ zum 90. von Loriot: Eine Fülle bisher unbekannter Zeichnungen

Ach, um den Humor deutscher Bauart ist es nicht eben blendend bestellt, seit prägende Gestalten wie Robert Gernhardt und Loriot gestorben sind. Umso inniger sollte man der beiden und einiger anderer gedenken.

Es hat sich herumgesprochen: Loriot (1923-2011) wäre just heute 90 Jahre alt geworden. Gern geben Verlage zu solchen Anlässen Bücher aus dem Nachlass heraus, möglichst mit bislang unbeannten Schöpfungen. Ganz in diesem Sinne möchte Diogenes, dass wir nun eine „Spätlese“ des begnadeten Vicco von Bülow verkosten. Die Verlagswerbung scheut dabei den marktschreierischen Begriff „Sensation“ nicht.

Das Wort „Spätlese“ bezieht sich auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung, weniger auf die Entstehung der bisher nicht publizierten Blätter, rund 400 an der Zahl. Ein anfänglicher Schwerpunkt liegt gar auf Zeichnungen und Cartoons der 50er und frühen 60er Jahre.

Loriot

Das Etikett „unveröffentlicht“ ist nicht durchweg ein Qualitätssiegel. Anfangs wurden vereinzelte Einfälle von Illustrierten wie „Stern, „Quick“ und „Weltbild“ noch abgelehnt – öfter freilich auch, weil die Redakteure den eigentlichen Witz verkannt haben.

Sehr schnell zeigt sich jedoch, dass die anfänglichen Fingerübungen zügig in einen eigenen, unverwechselbaren Stil übergehen. Der typische Loriot-Duktus entwickelt sich, der szenische Phantasie freisetzt und mit herrlich trockenem Understatement daherkommt. In einem Atemzuge wird da die Realität bemäntelt und enthüllt.

Wie man hier sehen kann, dienten Loriot häufig unscheinbare, insgeheim groteske Zeitungsmeldungen und Kleinanzeigen als Anstöße. Da schlägt er manchen Funken scheinbar aus dem schieren Nichts. Unvergleichlich, wie der Humorist Freundlichkeit und Abgründigkeit verbindet. Nur ein Beispiel: Die geradezu diskret erscheinende Straßenbahn-Zeichnung „Nicht mit dem Führer sprechen“ holt Hitler gruselig in die Gegenwart.

Zeitdiagnostisch für die Wirtschaftswunder-Republik sind jene Szenen aus der Arbeitswelt, die von Drill und starrer Disziplin künden und damit das Militärische in den Alltag bringen. Weitere Themenfelder muss Loriot nicht lange suche, sie drängen sich geradezu auf: Das Verhältnis zwischen Firmen und Kunden, Gebrauchtwagenkauf, Restaurantbesuche, Massentourismus, Jagd, Bahnfahren und Fliegerei sind auch ihm nahezu unerschöpfliche Quellen. Doch er findet zumeist einen eigenen Dreh, der ihn von der Masse der bloßen „Witzzeichner“ abhebt.

Geradezu nostalgisch mutet aus heutiger Sicht an, wie Loriot die damals gängigen Telefon-Ansagedienste aufgreift. Beispielsweise den Dienst mit Kochrezepten. Leider hat die Platte einen Sprung und verkündet immer wieder denselben Schritt. Und also schlägt der Koch daheim ein ums andere Ei entzwei.

„Große Deutsche“ als Knollennasenfiguren sind ein weiteres Kapitel, man bestaune Goethe, Nietzsche, Wagner, Thomas Mann, die der Bildungsbürger Loriot in den 90er Jahren auf etwas andere Weise zeigt. Leider ist die Reihe unvollendet geblieben. Eine Liste zeigt, wen Loriot noch porträtieren wollte – übrigens neben all den Berühmtheiten auch einen unbekannten „Herrn Schultze“.

Weitere Abschnitte des gewichtigen Bandes (fast 2,5 Kilo) widmen sich Möpsen (sozusagen in allen Lebenslagen) oder auch Zueignungen aus Anlass von Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten. So hat Loriot liebvolle kleine Hommagen etwa an „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein, den Kritiker Joachim Kaiser, Tagesschau-Sprecher Karl-Heinz Köpcke oder den Kollegen Robert Gernhardt verfertigt. Doch auch sein Briefträger bekam zum Ruhestand eine Widmung.

Die wohl größte Überraschung aber sind die „Nachtschattengewächse“ im Schlusskapitel. Diese ins Horrible reichenden Visionen sind ganz offenkundig in schlaflosen Nächten entstanden. Die oft kubistisch getürmt erscheinenden Alpträume haben mancherlei Quellen. Hier spukt Hitler ebenfalls, doch auch die eigenen Figuren haben Loriot in gespenstischer Verwandlung heimgesucht.

Nun muss doch noch getadelt werden. So interessant das ausgebreitete Material sein mag, so nachlässig wird es präsentiert. Ich rede nicht von der Drucktechnik, dem guten Papier und überhaupt von der imposanten Physis des Bandes, sondern davon, dass bis auf eine läppisch kurze Vorbemerkung und ein paar nichtssagende Zwischentexte keinerlei Würdigung oder Einordnung dieser unbekannten Werkkomplexe gibt.

Es scheint ganz so, als hätte sich die Arbeit der drei Herausgeber (darunter Loriots Tochter Susanne von Bülow) weitgehend auf Beschaffung, Sichtung, Auswahl und Sortierung beschränkt. Jammerschade!

Loriot: „Spätlese“. Rund 400 bisher unbekannte Arbeiten aus dem Nachlass. Hrsg: Susanne von Bülow, Peter Geyer, OA Krimmel. Diogenes Verlag, Zürich. 374 Seiten. 39,90 Euro.

Gleichfalls unter dem Titel „Spätlese“ steht die Loriot-Ausstellung, die bis zum 12. Januar 2014 im Literaturhaus München gastiert (danach ab 25.1.2014 bis 21.4.2014 Galerie Stihl, Waiblingen, und von 4.5.2014 bis 16.8.2014 im Wilhelm Busch Museum in Hannover)




Neuer Schimanski-Film „Loverboy“: Auch als Rentner noch ein Pfundskerl

Endlich mal wieder ein neuer Schimanski, werden seine Fans gedacht haben. Ein neuer? Nun, eigentlich ein in die Jahre gekommener. Am Anfang wurde er gleich mehrfach in seiner Männlichkeit demontiert und (mit einer gehörigen Prise Selbstironie) zum „alten Sack“ gestempelt. Er nennt sich ja inzwischen selbst so.

Zuerst war’s nicht das, was man argwöhnte, als Horst Schimanski (Götz George) da mit seiner Freundin Marie-Claire im Paternoster fuhr. Es ging nicht um Fleischeslust, sondern nur um den Sitz seines engen Anzugs. Kurz darauf frotzelte seine Liebste: „Auf die Größe kommt’s nicht an, müsstest du doch am besten wissen…“

Das Draufhauen nicht verlernt

Jaja, das ging schon fast in Richtung Diskriminierung, war aber natürlich liebevoll parodistisch gemeint. Dass „Schimi“ auch im gesetzteren Alter noch impulsiv draufhauen kann, wenn auch nicht mehr ganz so erfolgreich wie ehedem, das durfte er im Film „Loverboy“ (ARD) gleich mehrfach beweisen.

Er kann's noch: Allerdings nimmt Schimanski (Götz George) hier nur einen Schüler in den Schwitzkasten. (© WDR/Uwe Startmann)

Er kann’s noch: Allerdings nimmt Schimanski (Götz George) hier nur einen Schüler in den Schwitzkasten. (© WDR/Uwe Startmann)

Auf Bitten des im Knast sitzenden Gangsters Kaijewski (früher mal der „König vom Pott“, aber auch er ist nicht mehr der Jüngste) sollte Schimanski dessen verschollene Tochter Jessica (Muriel Wimmer) suchen. Die erst 14jährige, in Liebes- und Lebensdingen noch höchst unsicher, wurde vom smarten Loverboy Nils angebaggert, der es nur darauf anlegte, sie von ihren Eltern zu entfremden, damit sie alsbald für ihn und üble Kumpanen auf den Strich ging. Erst zuckersüßes Lächeln, Liebesschwüre und großzügiger Klamottenkauf in Duisburg, dann Gruppenvergewaltigung unter Drogen auf einem Kahn in Rotterdam…

Schäbiges Zuhältermilieu

Im Grunde war’s kein richtiger Krimi, sondern in erster Linie Milieuschilderung. Manchmal allzu breit und belehrend ausgemalt wurde die Schäbigkeit der Puff- und Zuhälterszene – im Kontrast zu verzweifelten Eltern, die um ihre blutjungen Töchter bangen. Das erinnerte stellenweise an die uralten „Kommissar“-Fälle mit Erik Ode selig, der nach 1968 so manches Mädchen aus dem damaligen Drogenmilieu rettete.

Nun, ganz so gütig und altväterlich wie einst Kommissar Keller ist Schimanski denn doch noch nicht. Aber er tut sich schwer mit manchen heutigen Dingen. Mit dem Handy kann er gar nicht umgehen und mit einem Schuss wehmütiger Bitterkeit stellt er kalauernd fest, dass es den alten (Ruhr)-„Pott“ nicht mehr gebe, sondern nur noch den iPod. Wie gut, dass ihm eine Gemüsehändlerin (Anna Loos) hilft, die einen Verein für die Opfer des Mädchenhandels gegründet hat.

Herz statt Handy

Vor allem seine Beherztheit und sein Instinkt sorgen dafür, dass Rentner Schimanski den Ex-Kollegen von der Polizei meist noch immer einen Schritt voraus ist. Also rettet er Jessica aus den Fängen der Zuhälter. Und nur dieser Pfundskerl weiß schließlich mit Sicherheit, wer den holländischen Loverboy Daan erschossen hat.

Dass Schimi am Ende die Mordwaffe ausgerechnet in die Glut eines Stahlwerks wirft und damit die Aufklärung verhindert, ist rechtlich besehen starker Tobak, doch man kann es nur zu gut nachempfinden. Oder etwa nicht?




Wunder gibt es immer wieder – drei neue Bücher über den Fußball im Westen

Fußball erledigt sich nicht dem dem 1:0 oder sonst einem Resultat. Will man übers Nachplappern von dürren Fakten und über die Betrachtung schwankender Formkurven hinaus gelangen, muss man die Ereignisse in Zusammenhänge bringen, gewichten und nachbereiten. Auch kurzatmiger Tagesjournalismus reicht dazu nicht aus. Deshalb gibt es Fußballbücher. Hier ein paar Neulinge auf dem Markt:

In bescheidener Taschenbuch-Ausstattung und denkbar schmucklos (ohne jede Illustration) kommt Daniel C. Schmidts Band „111 Gründe, Borussia Dortmund zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 Seiten, 9,95 Euro) daher. Der Untertitel klingt heranwanzend einschmeichelnd, als wollte der in Berlin ansässige Verlag den Fans um den Bart streichen: „Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt“. Nun ja.

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Außerdem nerven diese 111-, 101- oder 99-Bücher gelegentlich. Da werden die Themen oft in ein nicht so recht passendes Zahlenraster gepresst, es wird hier abgeschnitten und da angestückelt. Doch derlei Vorwürfe treffen auf den vorliegenden Band kaum zu. Der ausgiebige Streifzug führt tatsächlich durch weite Teile des BVB-Universums. Recht kundig und elegant elegant bewältigt der Autor die kurzweiligen Kapitel über Tradition, Finanzen, Rekorde, Abstürze und Wiedergeburten (und einige andere).

Daniel C. Schmidt (Berliner mit Studium in Manchester und London, wo er sicherlich britische Fankultur eingesogen hat, was ihn nahezu zwangsläufig zum BVB leiten musste) hat zudem einen Blick für nette Nebensachen und folgt gelegentlich der oft erhellenden popkulturellen Inspiration. Man liest solche Bücher nicht von A bis Z in einem Rutsch, doch hier liest man sich schon mal streckenweise fest. Nach der Lektüre versteht auch der bislang halbwegs neutrale Beobachter womöglich besser, was gerade diesen Verein so faszinierend macht. Aber es soll ja verbohrte Menschen geben.

Knapp angefügt: In derselben Reihe ist Kai Twilfers Buch „111 Gründe, den Ruhrpott zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 280 Seiten, 9,95 Euro) erschienen. Der Schalke-Fan und Bestsellerschreiber („Schantall, tu ma die Omma winken“), der zudem mit Regionalia handelt, grast so ziemlich alles ab, was man erwartet: Bude, Currywurst, Hochofen, Schimanski, natürlich auch Fußball… Als gegen Ende die 111 noch nicht erreicht sind, pappt er auch noch ein paar Abschnitte übers „Umland“ (Rhein-, Sauer- und Münsterland, Niederlande) an. Ungerecht verkürztes Fazit: Viel Zeilenschinderei, doch leider keinerlei touristischer Service.

Zurück zum Fußball – mit zwei Bänden, die auch auf dem Gabentisch etwas hermachen:

„Wir Kinder der Bundesliga. 50 Jahre Fußball erster Klasse an Rhein und Ruhr“ (Klartext Verlag, 366 Seiten, 24,95 Euro) heißt ein geradezu lexikalisch üppiger Band im Albumformat, dessen Titel etwas in die Irre führt. Es geht halt (aus NRW-Perspektive) um Geschichte und Geschichten der vor 50 Jahren in Dortmund gegründeten Liga, deren Fährnisse viele von uns seit Kindesbeinen begleitet haben. Nicht nur BVB und Schalke werden ebenso liebevoll wie kritisch durch die Jahrzehnte begleitet, sondern eben auch die Bundesliga-Vereine von Bochum, Essen, Duisburg, Köln, Düsseldorf und Gladbach.

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Es ist ein abwechslungs- und einfallsreiches Buch geworden. Nicht nur wechseln munter die Darstellungsformen (z. B. mit etlichen eingestreuten Interviews, die manche Innenansicht zur Liga-Historie bieten), sondern man hat sich auch ersichtlich viel liebevolle Mühe mit Bildauswahl und Layout gegeben. Die Herausgeber Heiko Buschmann, Ulrich Homann und Ralf Piorr weiten den Blick an vielen Stellen deutlich übers Fußballerische hinaus, so dass viel vom jeweiligen Zeitgeist der Jahrzehnte seit den 1960ern einfließt. Prognose: Ein erfrischend aufspielendes Buch, das sich in der Spitzengruppe festsetzen kann.

Ganz neu liegt Frank Fligges Anfang November erschienenes Buch vor, gleichfalls im soliden Katalogformat mit festem Einband: „Jetzt muss ein Wunder her. Die 25 grössten Spiele im Fussballtempel des BVB“ (Klartext-Verlag, 176 Seiten, 19,95 Euro). Das etwas unschöne Doppel-S verdankt sich jeweils der Versalien-Schreibung auf dem Titel.

Ich liebe Transparenz, daher ein paar Vorbemerkungen: Frank Fligge ist der Bruder des BVB-Pressesprechers Sascha Fligge, was kein Schaden gewesen sein dürfte. So kommt man doch noch etwas geschmeidiger an Hintergrund-Infos heran – und auch an prominente Gastbeiträge fürs Buch, die von Lars Ricken, Sebastian Kehl, Michael Zorc, Jürgen Klopp und Kevin Großkreutz stammen. Es wäre fahrlässig gewesen, solche Kontakte nicht zu nutzen.

Zweitens sollte gesagt werden, dass ich Frank Fligge aus gemeinsamen Jahren bei der „Westfälischen Rundschau“ kenne. Freilich weiß er, dass ich keine Gefälligkeits-Rezensionen schreibe. Inzwischen arbeitet der ausgesprochen ehrgeizige Journalist in der Zentrale der Funke-Gruppe (vormals WAZ-Gruppe) im Qualitätsmanagement. Auch der Essener Klartext-Verlag gehört zur Funke-Gruppe. Womit denn alles wunderbar offen zutage läge…

Layout 1

Dass das Buch ordentlich geschrieben ist, hat man vom studierten Literaturwissenschaftler Frank Fligge nicht anders erwartet. Ein mehr als heimlicher „Hauptdarsteller“ ist hier das 1974 mit einem Match gegen den ewigen Rivalen Schalke eingeweihte Westfalenstadion, jener „Tempel“ also, der heute einen Sponsorennamen trägt, welcher bei den Fans nicht gerade beliebt ist. Genau dieser Sponsor zählt zu den Förderern des vorliegenden Buchs. Dreimal dürft ihr raten. Eine schon fast dialektische These des Buches lautet übrigens, dass nicht nur der BVB das Stadion groß gemacht habe, sondern das Stadion auch den BVB.

Auswahl und Sortierung haben mich zunächst etwas irritiert. Hier geht es zwar weit überwiegend um den BVB, doch zählen auch in Dortmund ausgetragene WM-Partien (1974, 2006) sowie ein veritables UEFA-Cup-Finale (Liverpool – Alaves, 2001) zu den legendären Partien. Nun ja, auch diese Begegnungen mögen den Genius Loci bereichert haben.

Doch das ist letztlich nur Beigabe zu den großen Partien von Borussia Dortmund, seien es Relegations-Dramen, Derbys, Entscheidungen um die Meisterschaft oder europäische Auftritte. Hier kann man sie noch einmal nachschmecken, wobei die wahre Essenz solcher Spiele rein verbal nur ganz schwer zu vermitteln ist. Im Grunde müsste solchen Büchern eine DVD mit den markantesten Szenen beiliegen. Doch die hat man ja zum großen Teil im Kopf, oder?

Fligge ist zwar eindeutig glühender BVB-Anhänger, gibt aber den Verstand nicht am Drehkreuz vor der Tribüne ab. Auch dunkle Stunden und zwischenzeitliche Fehlentwicklungen kommen vor, es ist also ein wohlwollendes, aber kein haltlos jubelndes Buch.

Wenn es schon ums Stadion geht, hätte ich mir übrigens noch ein etwas ausführlicheres Kapitel zur Baugeschichte gewünscht – und vereinzelt etwas originellere Fotos. Optisch überwiegt denn doch die Jubelarie. Aber bitte: Nach einer schmerzlichen Woche wie dieser (mit BVB-Niederlagen gegen Arsenal und Wolfsburg) kann man derlei Augen- und Seelentrost gebrauchen.




Wie sich die WAZ über Götz George aufregt

Welch eine Aufregung! Ein Interview des Schauspielers Götz George mit „Spiegel online“ hat die WAZ in Aufruhr versetzt.

Geradezu stammelnd und nach verbaler Schnappatmung klingt der Einstieg zum Bericht auf Seite drei: „Götz George zieht her. Über Duisburg…“ Gar auf der Titelseite kommentiert der stellvertretende Chefredakteur Wilhelm Klümper den vermeintlich skandalösen Vorfall als Erregungsthema des Tages. Überschrift: „Der anmaßende Schauspieler“

Das knackige Gespräch, in dem Götz George („Schimanski“) Duisburgs Mitte zunehmend verwechselbar und manche Randbezirke verwahrlost nennt, hätte die WAZ sicherlich gern selbst geführt. Was der Schauspieler da gesagt hat, klingt übrigens ziemlich plausibel. Auch sein zorniger Befund über das Geschäftsgebaren des mit einem einzigen Euro eingestiegenen Karstadt-Käufers Nicolas Berggruen, der sich zu Unrecht als „Heilsbringer“ inszeniere, hat wohl einiges für sich.

Ausriss aus der WAZ-Titelseite vom 7. November 2013

Ausriss aus der WAZ-Titelseite vom 7. November 2013

Doch die WAZ muss natürlich partout das Ruhrgebiet in Schutz nehmen. Das ist sozusagen ihr ureigener Auftrag. Also schwingt besagter Wilhelm Klümper sich im schwer beleidigten Tonfall zum Sachwalter der kleinen Leute und quasi zum Volkstribun auf. Auf der falschen Seite steht diesem einfachen Weltbild zufolge Götz George, der sich „bei den Dreharbeiten schon immer gerne in den dreckigen Ecken gesuhlt“ habe. Dieser Schmutzfink aber auch! Und wer steht auf der richtigen Seite? Na, wer wohl: „Wir, die wir hier leben…“ Wobei wir die Frage nach den verschiedenen Wohnvierteln, in denen stellvertretende WAZ-Chefs und Durchschnittsleser siedeln, lieber gar nicht erst stellen wollen. WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz wohnt bis heute im etwas feineren Düsseldorf. Aber das nur ganz nebenbei.

George, so poltert Klümper jedenfalls weiter, sei erst als Schimanski und mithin durch Duisburg „so ganz groß herausgekommen“, er habe die Revierstadt als Kulisse gebraucht. Dann kommt’s richtig dicke, ganz nach Art eines Ätschibätschi-Gezänks im Kindergarten: „Duisburg und das Ruhrgebiet brauchen Sie aber nicht.“ Und nochmal, damit es auch der Letzte kapiert: „Götz George sollte uns allerdings in Ruhe lassen.“ Will sich der WAZ-Mann etwa auf die Spuren der häufig delirierenden „Bild“-Kolumne „Post von Wagner“ begeben?

Dabei streitet Klümper die Probleme der Region nicht einmal ab. Wie denn auch? Aber ihm passt die „janze Richtung“ nicht. Ein dahergelaufener Darsteller redet despektierlich übers Ruhrgebiet? Dann mal feste druff. Das erspart die inhaltliche Auseinandersetzung.

Übrigens: Am kommenden Sonntag (10. November, ARD, 20.15 Uhr) läuft endlich mal wieder ein neuer Schimanski-Krimi – mit dem Untertitel „Loverboy“. In diesem Zusammenhang hat Georges Interview vielleicht einen gewissen PR-Aspekt. Doch dieser Umstand entwertet nicht die Aussagen. Überdies hat Götz George, der (gerade im Umgang mit Journalisten) als mitunter schwieriger Mensch gilt, es eigentlich längst nicht mehr nötig, für sich die Trommel zu rühren.




Historische Ferne in Herne: Uruk – die erste Großstadt der Menschheit

Kostbare Leihgaben aus London, Paris und Berlin gastieren jetzt im Herner LWL-Museum für Archäologie. Inhaltlich geht es um den frühesten Vorläufer solcher Metropolen: das legendäre Uruk.

Diese erste Großstadt der Weltgeschichte ist vor rund 5000 Jahren in Mesopotamien entstanden, auf dem Gebiet des heutigen Irak, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, rund 300 Kilometer südlich vom späteren Bagdad gelegen. Uruk hat über Jahrtausende existiert, wobei die kulturelle Wirkung länger andauerte als die politische Macht. Der Zenit war gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. erreicht. Als Mittelpunkt der damaligen Welt wurde Uruk von Babylon abgelöst.

Sogenannte Uruk-Vase. Uruk, Uruk-Zeit 4. Jt. v. Chr., Marmor. Bagdad (Iraq Museum), Gipsabguss Berlin, Vorderasiatisches Museum. (© Staatliche Museen zu Berlin/Vorderasiatisches Museum/Olaf M. Teßmer)

Sogenannte Uruk-Vase. Uruk, Uruk-Zeit 4. Jt. v. Chr., Marmor. Bagdad (Iraq Museum), Gipsabguss Berlin, Vorderasiatisches Museum. (© Staatliche Museen zu Berlin/Vorderasiatisches Museum/Olaf M. Teßmer)

Just 1913, also vor 100 Jahren, hat in Uruk die erste deutsche Grabungskampagne begonnen, zeitbedingt im Zeichen des Kolonialismus und somit im Wettstreit vor allem mit England und Frankreich. Die missliche Lage im Irak lässt derzeit keine weiteren Grabungen zu, wie denn überhaupt in diesen 100 Jahren kriegerische Wirrnisse immer wieder die archäologische Arbeit unterbrochen haben. Die jetzige Grabungsleiterin Margarete van Ess kann, wie sie in Herne sagte, derzeit nur zu kurzen Visiten nach Uruk reisen.

Staunenswert, worüber man in Uruk schon verfügte: Da gab es Arbeitsteilung, was wiederum die Entstehung gesellschaftlicher Schichten und entsprechender Abhängigkeiten voraussetzte. Leider weiß man nicht, wie es zu dieser folgenreichen Differenzierung gekommen ist. Es gab kultisch-kulturelle Zentralbauten wie einen imposanten Stufentempel (Zikkurrat), Kanäle, öffentliche Wasserversorgung mit Rohrleitungen, regen Handel über weite Distanzen hinweg (außer Schilf und Lehm musste alles eingeführt werden) und deshalb auch eine funktionierende Verwaltung, der wir wiederum die Erfindung der ersten Schrift zu verdanken haben, lange vor den altägyptischen Hieroglyphen.

Tontafel mit Berechnung für die Bierherstellung. Uruk, Ende 4. Jt. v. Chr. Berlin, Vorderasiatisches Museum (© Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum/Olaf M. Teßmer)

Tontafel mit Berechnung für die Bierherstellung. Uruk, Ende 4. Jt. v. Chr. Berlin, Vorderasiatisches Museum (© Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum/Olaf M. Teßmer)

Auch eine der ältesten Dichtungen der Menschheit spielt in Uruk, nämlich das Gilgamesch-Epos, das von einem abenteuerlustigen König erzählt, der hernach geläutert in die Stadt zurückkehrt. Einige Funde kreisen um diesen Mythos, wie auch um die Stadtgöttin Innana (Ishtar), die vor allem für Liebe und Fruchtbarkeit stand.

Rund 90 Prozent der frühesten Keilschrift-Texte waren gleichsam bürokratische Aufzeichnungen, beispielsweise in Ton geritzte Urformen der „Lieferscheine“. Da findet man faszinierende Dokumente wie eine über einen Meter hohe Vase mit Erntedank-Motiven oder den Kopf eines Dämons namens Humbaba, dessen seltsam verschlungene Physiognomie von der Eingeweideschau kündet. Die Zukunft wurde damals offenkundig nicht nur aus den Sternen, sondern auch aus Gedärmen gelesen. Zum Orakel gibt es auch schriftliche Belege: Sahen die Eingeweide so aus wie jene dämonische Maske, so war es wohl schlecht bestellt…

Maske des Dämons Humbaba aus Sippar. Altbabylonisch, 18./17. Jh. v. Chr., gebrannter Ton. London, British Museum (© The Trustees of the British Museum)

Maske des Dämons Humbaba aus Sippar. Altbabylonisch, 18./17. Jh. v. Chr., gebrannter Ton. London, British Museum (© The Trustees of the British Museum)

Ausschlussreich alltagsnah auch die „Glockentöpfe“ (eine Art Wegwerfgeschirr), eine Tafel zur Bierproduktion (Zutaten und Mengenangaben) oder „lexikalische“ Listen wie jene, die 58 verschiedene Schweinearten verzeichnet. Überdies sieht man Aufstellungen zu Getreide- und Fischrationen für Arbeiter, die die 9 Kilometer lange und bis zu 9 Meter breite Mauer von Uruk errichten mussten. Apropos: Die Stadt umfasste etwa 5,5 Quadratkilometer, seinerzeit beispiellos, heute etwa der Altstadt von Tübingen entsprechend. Die Einwohnerzahl kann man nur grob schätzen, sie könnte zwischen 40 000 und 60 000 gelegen haben.

Sogenannte Glockentöpfe, Massenprodukte aus Uruk, Ende 4. Jt. v. Chr. (© Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum/Olaf. M. Teßmer)

Sogenannte Glockentöpfe, Massenprodukte aus Uruk, Ende 4. Jt. v. Chr. (© Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum/Olaf. M. Teßmer)

In Herne möchte man verwittertes Sein und Wesen von Uruk trotzdem griffig mit heutigen Mega-Städten assoziieren, in der Pressekonferenz war sogar vage von Bezügen zur Ruhrgebiets-Metropole die Rede. Nun ja, geschenkt. Das ist die übliche Kultur-PR, die mit Klappern Leute locken soll. Im Vorderasiatischen Museum, wo die Schau schon zu sehen war, hatte man damit wahrlich Erfolg, es kamen über 400000 Besucher. Dort und in Mannheim (Reiss-Engelhorn-Museen) ist das Konzept ersonnen worden, das auf stockseriösen Forschungen basiert, die eben halbwegs populär umgesetzt werden müssen, will die Wissenschaft nicht im eigenen Saft schmoren.

In Wahrheit sind uns all diese Dinge natürlich nicht so nah. Es handelt es sich um fragmentarische Funde aus einer unvordenklich fernen Zeit, die erst einmal für sich gewürdigt und interpretiert werden müssen. Das ist vor allem Sache der Experten, die aus winzigen, vielfach schadhaften Gegenständen mit bewundernswerten Scharfsinn eine ganze Lebenswelt zu rekonstruieren suchen. Daraus ließe sich übrigens auch ein Plädoyer für die so genannten „kleinen Fächer“ an den Unis herleiten, die heute häufig von Sparmaßnahmen bedroht sind.

Wer aber würde der Versuchung widerstehen wollen, Uruk zur Gänze digital in 3-D-Manier zu rekonstruieren und virtuell zu überfliegen, wie es hier geschieht? In dieser Perfektion war das vor wenigen Jahren noch nicht möglich. Also nutzt man die Chance.

3D-Rekonstruktion des "Weißen Tempels", der auf einer 12 Meter hohen Terrasse steht. Uruk-Zeit, um 3450 v. Chr. (© artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: Deutsches Archäologisches Institut)

3D-Rekonstruktion des „Weißen Tempels“, der auf einer 12 Meter hohen Terrasse steht. Uruk-Zeit, um 3450 v. Chr. (© artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: Deutsches Archäologisches Institut)

Man müht sich eben rundum nach Kräften, die rund 300 Exponate (darunter auch Abgüsse) ins Heute und an die fachlich nicht vorbelasteten Besucher heranzuholen. Das führt mitunter zur Überinszenierung. So werden etwas Ansammlungen kleinster Tontäfelchen von hoch aufragender Ausstellungs-Architektur überwölbt.Da fällt es mitunter nicht leicht, sich auf die oft unscheinbaren, aber bedeutsamen und gut erläuterten Exponate zu konzentrieren.

40 deutsche Grabungskampagnen hat es seit 1913 gegeben. Die Engländer waren schon Jahrzehnte früher zugange. Dennoch sind erst rund 5 Prozent (!) des Areals ausgegraben, es bleibt also reichlich Arbeit für die nächsten 500 Jahre, wie Grabungsleiterin van Ess versichert. Wer weiß, welche Überraschungen da noch schlummern.

„Uruk. 5000 Jahre Megacity“. 3. November 2013 bis 21. April 2014. LWL-Museum für Archäologie, Herne, Europaplatz 1. Öffnungsziten: Di, Mi, Fr 9-17 Uhr, Do 9-19 Uhr, Sa/So/Feiertage 11-18 Uhr (geschlossen 24., 25. Und 31. Dez, 1. Jan.). Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro, Schüler 2 Euro, Familienkarte 11 Euro. Katalog im Museum 24,95 Euro, sonst 39,95 Euro. Internet: http//www.uruk.lwl.org




Mercedes gegen BMW: Duell des Zufalls

Das hört sich so simpel an wie eine Kinderfrage: Welches Auto ist besser – BMW oder Mercedes? Allen Ernstes wollte das ZDF diese Frage beantworten. Allen Ernstes? Naja, doch nicht so ganz.

Wahrlich ein Luxusproblem. Dass zwei solch starke Edelmarken aus Deutschland kommen, ist ja nun wirklich ein Pfund. Und dann gibt’s auch noch Audi, Porsche und ein paar andere. Man muss es sich diese Laufkultur nur leisten können…

Sinnarme Hektik

In knapp 45 Minuten sollte „BMW gegen Mercedes – Das Duell“ entschieden sein. Da ging es um Fahrverhalten, Wirtschaftlichkeit, Service-Qualität, „Kultfaktor“, Sicherheit, Werthaltigkeit beim Wiederverkauf und faire Arbeitsbedingungen bei der Herstellung. Bei so wenig Zeit und so vielen Kriterien war sinnarme Hektik angesagt.

Mercedes kontra BMW (@ ZDF/Uwe Kielhorn)

Mercedes kontra BMW (@ ZDF/Uwe Kielhorn)

Mal davon abgesehen, dass nur bestimmte Modelle miteinander verglichen wurden (Ober- und Mittelklasse, Geländewagen), wurde vielfach dem puren Zufall Tür und Tor geöffnet. Beispiel: Gerade mal zwei Werkstätten der beiden Marken sollten die Service-Qualität der Konzerne belegen. Zwei andere Autohäuser hätten vielleicht schon völlig andere Ergebnisse gebracht. Immerhin war’s wirklich peinlich, dass in beiden Fällen von sieben (durch Manipulation bewusst erzeugten) Fehlern nur je zwei gefunden wurden. O jemine! Und das bei diesen ziemlich teuren Fahrzeugen und den gesalzenen Reparaturpreisen…

Peinlichkeit beim Pannendienst

Drastischer und womöglich noch aussagekräftiger fiel der Vergleich der zentralen Pannendienste aus: BMW war nach 20 Minuten zur Stelle und sorgte gratis für Abhilfe, der angebliche „24-Stunden-Dienst“ von Mercedes war freitags um 16:30 Uhr gar nicht mehr erreichbar. Schönes Wochenende, kann man da nur sagen.

Unangenehm für BMW fiel allerdings der kurze Geländewagen-Test aus: Der X 5 kam ziemlich lädiert aus der Marterstrecke heraus, während das ML-Modell von Mercedes unbeschadet seine Bahnen zog.

Ansonsten wurden einige Vorurteile tendenziell bestätigt: BMW ist in aller Regel etwas agiler und innovativer, Mercedes dafür gediegener. Dass Mercedes am Ende mit hauchdünnem Vorsprung „siegte“, lag am minimalen Unterschied beim Blitzertest: 3,3 Prozent der BMW-Fahrer fuhren zu schnell, hingegen lediglich 2,4 Prozent der Mercedes-Fahrer. Auch hier gilt: Gestern oder morgen wär’s vielleicht anders ausgegangen.

Kinder sollten entscheiden

Geradezu auf alberne Weise wurde der Punkt „Kultfaktor“ zugunsten von Mercedes entschieden. Bis dahin gab’s ein Patt, deshalb durften 7 Kinder aus der Kita entscheiden, welche von den acht Bobby-Cars (je vier im Design der beiden Marken) sie bevorzugen. Ein BMW-Spielzeugauto blieb unbeachtet stehen, also ging diese Wertung an Daimler-Benz. Da hätte man gleich würfeln oder Münzen werfen können.

Die flotte, leidlich unterhaltsame, streckenweise aber auch etwas flapsige Sendung wird uns also die eigene Entscheidung nicht abnehmen können. Vielleicht mögen wir ja auch ganz andere Marken. Ja, es soll sogar Menschen geben, die sich vollends vom Auto abwenden.

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Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




Ein Stöckchen geht von Blog zu Blog…

Ich weiß nicht, wem dieses Spielchen zuerst eingefallen ist und wo das „Stöckchen“ ursprünglich herkommt. Eigentlich mag ich solche Kettengeschichten nicht, aber bitte: Ich möcht‘ ja auch kein Spielverderber sein.

Außerdem kann ich ja schlecht „Nein“ sagen, wenn der Blogger Hans J. Schiebener (http://www.schiebener.net/wordpress/), der auf seinem Diaspora-Posten draußen im Sauerland unermüdliche Aufklärungsarbeit leistet, wenn also dieser schätzenswerte Mann schreibt: „Das Blog-Stöckchen geht weiter an den von mir sehr geschätzten Dortmunder Journalisten und Facebook-Bewohner Bernd Berke, der mit seinem Blog ‚Revierpassagen‘ (…) die Kultur im Ruhrgebiet und darüber hinaus professionell pflegt.“ Eiwei, da werde ich ja rot. Außerdem gäb’s dieses Blog nicht ohne die großartigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich reiche das dicke Lob gerne an sie weiter.

Dargebracht von weiblicher Hand: Der Blog-Stock wandert fort und fort... (Amateurfoto: Bernd Berke)

Dargebracht von weiblicher Hand: Der Blog-Stock wandert fort und fort… (Amateurfoto: Bernd Berke)

Äh, worum ging’s nochmal? Ach ja. Man sieht schon, hierbei wäscht eine Hand die andere. Jemand hat sich also ausgedacht, dass ein imaginärer Staffelstab („Blogstöckchen“) von Blog zu Blog wandern möge. Dabei sollen jeweils zehn vorgegebene Fragen beantwortet werden, um mal von Hölzchen auf Stöckchen zu kommen. Auf geht’s:

Welches soziale Netzwerk ist dir das Liebste – und warum?
Trotz aller Bedenken: Facebook. Weil ich nirgendwo anders Mitglied bin. Für ein weiteres Netzwerk schreibe ich TV-Kritiken. Das war’s dann aber auch schon. Ich bekenne zerknirscht, nicht einmal zu twittern.

Was ist das Dümmste, was du je über Facebook gehört hast?
Dass da alles nur virtuell und unverbindlich sei. Einspruch! Wenn man im Netzwerk die passenden Leute kennt, geht es gesprächsweise oft substanzieller (oder auch auf schöne Art alberner) zu als vielfach im wirklichen Leben. Und wenn man diese Menschen dann in der Realität trifft, bestätigt sich der Eindruck auch noch.

Wie wichtig findest du das Monitoring deiner Online-Aktivitäten für dich? (Besucherzahlen, Likes, Follower etc.)
Manchmal ganz hilfreich, wenn man sich vom reinen Zahlensalat auch nicht terrorisieren lassen sollte. Allerdings: Solche Instrumente der Selbstkontrolle hätte ich mir früher bei der Tageszeitung gewünscht. Da aber gab’s in aller Regel nur jene Großen Vorsitzenden, die aus ihrer eingebildeten Machtvollkommenheit heraus meinten, sie – und nur sie – wüssten genau, was „der“ Leser will.

Welche Blogs sollte man unbedingt lesen?
Bitte auf die Links in der Blogroll schauen. Da finden sich einige der besten, die mir bekannt sind.

Welche Online-Tools nutzt du am liebsten?
Soll ich jetzt sagen Word und WordPress? Ach nee, jegliche Feinheiten auf diesem Gebiet überlasse ich den auf Technik versessenen Experten.

Wie heißt das Buch, das du gerade liest oder zuletzt gelesen hast?
Auf dem Tisch türmt sich ein ganzer Stapel, der der Lektüre harrt. Zuletzt waren es Hans Ulrich Gumbrecht „Nach 1945 – Latenz als Ursprung der Gegenwart“, Louis Begley „Erinnerungen an eine Ehe“ (hier im Blog rezensiert) und Verschiedenes von Hermann Lenz („Verlassene Zimmer“, „Andere Tage“). Möge die NSA aus diesen Mitteilungen ihre Schlüsse ziehen – wie auch aus der folgenden:

Hast du eine Zeitung abonniert?
Süddeutsche und FAZ, einschließlich FAZ-Sonntagszeitung. Zur regionalen Ergänzung, nicht aus sonderlicher Begeisterung: die WAZ. Nur noch sporadisch schaue ich in die „Zeit“, weil ich das pralle Blatt schlichtweg nicht auch noch schaffe.

Vervollständige einen dieser Sätze: “Print ist…” oder “Fernsehen ist…”
(Auch) das kann nur auf arg pauschale Antworten hinauslaufen. Also lasse ich’s bleiben.

Wenn du noch einmal von vorne anfangen könntest, was würdest du werden?
Musiker. Aber bitte nur ein richtig guter. Sonst lieber nicht.

Über welches Video, Gif, Meme oder welchen Tweet hast du zuletzt gelacht?
Täglich über mehrere. Und seltsam: Bei Meme muss ich immer an Memme denken. Noch Fragen?

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Großer Trommelwirbel. Hiermit reiche ich das symbolische „Blogstöckchen“ weiter an Stefan Laurin, den Spiritus Rector der „Ruhrbarone“, welchselbe die Referenzgröße für (im weitesten Sinne) politische und soziale Blog-Berichterstattung aus dem Ruhrgebiet sind. Aber damit trage ich ja Eulen durchs Revier.

Bin mal gespannt, wie Stefan Laurin diese Fragen beantwortet:

Welches soziale Netzwerk ist dir das Liebste – und warum?
Was ist das Dümmste, was du je über Facebook gehört hast?
Wie wichtig findest du das Monitoring deiner Online-Aktivitäten für dich? Besucherzahlen, Likes, Follower etc.)
Welche Blogs sollte man unbedingt lesen?
Welche Online-Tools nutzt du am liebsten?
Wie heißt das Buch, das du gerade liest oder zuletzt gelesen hast?
Hast du eine Zeitung abonniert und warum (nicht)?
Vervollständige einen dieser Sätze: “Print ist…” oder “Fernsehen ist…”
Wenn du noch einmal von vorne anfangen könntest, was würdest du werden?
Über welches Video, Gif, Meme oder welchen Tweet hast du zuletzt gelacht?




Zweierlei Herbst des Lebens: Louis Begleys Roman „Erinnerungen an eine Ehe“

Der Schriftsteller Philip hat Frau und Tochter durch tragische Umstände verloren. Früher hat er in Paris und New York komfortabel gelebt, jetzt aber hat er sich zurückgezogen.

Durch Schmerz und Trauer ist er gleichsam ein Außenstehender geworden, doch betrachtet er die Dinge des Lebens aus freundlicher Distanz, mit mildem Sinn.

9783518423929

Eines Abends trifft er im New Yorker Ballett-Publikum seine mondäne Jugendfreundin Lucy, eine geborene De Bourgh und somit dem Ostküsten-(Geld)-„Adel“ zugehörig, der quasi schon mit der „Mayflower“ in die Neue Welt gekommen ist und daraus einige Privilegien herleitet. Sie lädt Philip ein und will reden, reden, reden. So beginnt Louis Begleys Roman „Erinnerungen an eine Ehe“, dessen illusionslos-lakonische Vorgabe so lautet: „Lucy war alt; ich war alt.“ Sie beide kennen inzwischen längst mehr Tote als Lebende.

Einst hat Philip auch Lucys inzwischen verstorbenen Mann Thomas Snow gekannt, Sohn eines Automechanikers, nach Lucys Verständnis also ein „Emporkömmling“, der steile Wirtschaftskarriere machte, jedoch gesellschaftlich nie so richtig ganz oben ankam. Unter diesem Zeichen hat auch die Ehe von Lucy und Thomas gestanden – eine Verbindung, die wohl niemals hätte geschlossen werden dürfen. Sollte sie am Ende nur sein Entrée in die höheren Schichten und überdies seine Hure gewesen sein? Und wie sehr hat der Sohn Jamie unter seinen Eltern gelitten?

Interessiert einen das? Möchte man genauer wissen, warum jene (einst so lebenslustige) Lucy nun dermaßen verbittert ist, inwiefern sie vielleicht ihr Leben verpfuscht hat? Bis etwa zur Hälfte des etwas zähflüssigen Buches hätte ich diese Fragen eher verneint.

Philip lässt sich jedenfalls nach und nach in Lucys Ehe- und Lebensgeschichte hineinziehen, als könnte das Stoff für einen Roman ergeben. Sicher ist er sich freilich nicht. Er trifft und befragt einige Menschen, die jeweils ein paar Mosaiksteine zu einem möglichen Gesamtbild beitragen sollen – doch da rundet sich nichts. Dieses beinahe zu Ende gelebte Leben der Lucy Snow bleibt letztlich ungreifbar, auch wenn noch so viele „Zeugen“ einvernommen werden. All die Gespräche kreisen – in manch’ widersprüchlichen Facetten – immerzu um ein nebulöses Zentrum.

Wir erfahren von diversen Affären, von psychiatrischen Behandlungen und Alkoholismus. Alles natürlich vor höchst gediegenem, kultiviertem Hintergrund. Was das weltläufig-metropolitane Leben in „besseren“ Kreisen halt so hergibt. Doch wie’s da drinnen aussieht…

Jetzt ist Lucy so allein wie Philip – nein, im Grunde ist sie ganz anders allein, nämlich verzweifelt einsam. Betrüblicher Befund: „Die frühere Lucy – das lustige, originelle, draufgängerische Wesen (…) ist einfach verschwunden.“ Philip hingegen hat seine schlimmste Trauerzeit offenbar hinter sich gelassen und wirkt trotz aller Zurückgezogenheit geradezu heiter und aufgeschlossen. Zweierlei Herbst des Lebens…

Louis Begley gestattet sich allerlei Umschweife, er erzählt mitunter umständlich. Lange wirkt es so, als wollte sein Roman gar nicht recht „in Gang“ kommen, als seien dies alles nur Vorstudien. Doch unaufdringlich, ja kaum merklich spielt sich die wehmutsvolle Handlung vor der Folie des heillosen kriegerischen Eingreifens der USA im Irak ab. Auch stellt sich die dringliche Frage, ob man unter linksliberalen, egalitären Gesichtspunkten überhaupt abfällig von einem „Emporkömmling“ reden sollte. So erhält das Geschehen nach und nach einen weiteren Horizont und etwas mehr Tiefenschärfe. Immerhin.

Zudem scheint es, als geriete Philip in den „Bannkreis“ Lucys, woraus sich ein gewisser Spannungsbogen ergibt. Doch die Erinnerung an seine nicht nur nachträglich umsonnte Ehe mit Bella hat diesen Mann für alle verbleibende Zeit so gefestigt, dass er am Ende leichten Herzens eine souveräne Entscheidung trifft…

Louis Begley: „Erinnerungen an eine Ehe“. Roman. Suhrkamp Verlag. 222 Seiten. 19,95 Euro.




Veronica Ferres als Seelsorgerin: Barmherzige Bibelsprüche und viel Psycho-Jargon parat

Weiß der Himmel, woran das liegt: Jedenfalls ist Veronica Ferres eine Schauspielerin, an der sich die Geschmäcker scheiden. Gern gebe ich zu, dass ich nicht zu ihren Anhängern zähle und daher auch ihren neuesten Fernsehfilm „Lena Fauch – Gefährliches Schweigen“ (ZDF) mit gehöriger Skepsis eingeschaltet habe.

Lena Fauch (Veronica Ferres, li.) spendet Muriel (Xenia Assenza) Trost. (© ZDF/Bernd Schuller)

Lena Fauch (Veronica Ferres, li.) spendet Muriel (Xenia Assenza) Trost. (© ZDF/Bernd Schuller)

Nun muss man aber zugestehen, dass die Geschichte alles in allem ordentlich erzählt wurde. Kameraarbeit und Musikeinsatz konnten sich sehen bzw. hören lassen, wenn auch die Stilmittel der Zeitlupe, der leeren weißen Flächen und der tröpfelnden Klavierklänge eine Spur zu oft verwendet wurden. Aber egal. Seien wir nachsichtig.

Wüste Kreuz- und Querbezüge

Polizeiseelsorgerin Lena Fauch (Ferres) siedelt aus dörflicher Idylle nach München um und lernt dort gleich so manche Härten des Berufsalltags kennen. Vor allem der höchst aggressive Polizist Gregor Hoffmann (Normann Hacker) macht ihr zu schaffen. Er ist zutiefst verfeindet mit dem selbstgerechten Kollegen und bibelfest-bigotten Christenmenschen Christian Fenn (Alexander Held).

Obwohl Fenns Tochter Muriel in den anschließenden Kriminalfall um Drogenhandel, Sex und Erpressung verwickelt wird, ermittelt der Vater in der Sache weiter. Überhaupt sind die Kreuz- und Querbezüge der Handlung zuweilen etwas wüst und wildwüchsig. Sehr bald weiß man auch, wo das Böse sitzt, nämlich im Zweifelsfalle bei den Männern. Dennoch entbehrt der insgesamt passable Film (Regie: Johannes Fabrick) nicht einer gewissen Spannung – in einzelnen Szenenfolgen.

Hinderliche Schweigepflicht

Die ach so einfühlsame „Frau Pastorin“ Lena Fauch weiß alsbald mehr über die Tathergänge als die Kommissare, weil zumal die Frauen sich ihr anvertrauen. Sie reitet geradezu darauf herum, dass sie allerdings der seelsorgerischen Schweigepflicht unterliege und also nicht direkt zur Klärung beitragen könne. Freilich lenkt sie das Geschehen doch noch bestimmt, aber sanftmütig im Sinne der höheren Gerechtigkeit.

Zum Ausgleich fürs Schweigegebot hat Lena Fauch alias Veronica Ferres nicht nur stets den besseren, weil barmherzigeren Bibelspruch parat (notfalls tun es auch Gandhi-Zitate), sondern darf auch allerlei gestanzte Merksätze aus dem Psycho-Jargon vom Stapel lassen: „Im Herzen, ist es da wahr?“ – „Was hat Sie so zynisch gemacht?“ – „Hören Sie auf zu hassen!“ – „Liebe, die Bedingungen stellt, ist keine.“ Und so weiter, und so fort.

Mit dem Fahrrad unterwegs

Sie müsste aber im Grunde nicht einmal den Mund auftun, sondern nur verständnisvoll und betroffen dreinschauen. Dass sie ein guter, naturnaher und nachhaltiger Mensch ist, kann man schon ahnen, wenn sie in der Polizeikantine ein vegetarisches Gericht wählt und hernach immerzu mit dem Fahrrad unterwegs ist.

Die Titelfigur ist also ein wenig arg konstruiert und redet manchmal daher, dass das Drehbuchpapier vernehmlich raschelt. Damit hat es Frau Ferres in dem beachtlichen Ensemble nicht gerade leicht. Ich sage beileibe nicht, dass sie die schwächste Darstellerin war, jedoch wurde sie hie und da übertroffen und war bei weitem nicht so überragend, wie einige Vorab-Kritiken sie haben sehen wollen.

Dass die Kirche als Zuflucht immer mal wieder vorkommt, gehört ebenfalls zum Rollenprofil und gleichsam zur Geschäftsgrundlage. Man wüsste ja gerne, ob das Filmteam kirchliche Beratung oder Unterstützung in Anspruch genommen hat. Nur mal so.




„Zeitreise-Show“: Kerner ist wieder beim ZDF

Früher war der Mann aus dem ZDF-Programm gar nicht wegzudenken: Da hat Johannes B. Kerner bei den Mainzern alles wegmoderiert, was angefallen ist. Sport, Talk, Shows. Egal. 2009 kam der Karriereknick. Bei SAT.1 häufte Kerner einige Misserfolge an. Jetzt ist er – nach fast vier Jahren Pause – wieder beim ZDF.

Von der „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ war schon vorab die Rede. Aber gemach. So biblisch muss man das wirklich nicht formulieren. Sagen wir’s einigermaßen nüchtern: Sein neuer Job ist „Die große Zeitreise-Show“ – und dabei handelt es sich um ein Geschichtsquiz, das überwiegend mit Raten, manchmal auch mit schlauem Schlussfolgern, aber nicht so sehr mit Wissen und der Kenntnis von Zusammenhängen zu tun hat.

Haltlos johlendes Saalpublikum

Das schon anfangs haltlos johlende Saalpublikum gab die Vorschusslorbeeren nach Anweisung. Muss das sein? Am Schluss durfte Kerner eine Viertelstunde überziehen. Eine Prestigefrage.

Johannes B. Kerner in seiner neuen ZDF-Show (© ZDF/Max Kohr)

Johannes B. Kerner in seiner neuen ZDF-Show (© ZDF/Max Kohr)

Und wie war’s wirklich?

Eine echte Familie (diesmal die Nimbachs aus Braunschweig, übrigens allesamt BVB-Fans) tritt gegen Promis an, zum Start waren das Barbara Wussow, Barbara Meier, Christian Neureuther und Hannes Jaenicke. Es geht um 50 000 Euro. Vier mögliche Antworten stehen jeweils zur Wahl, es gibt zwischendurch „Action“-Spiele und in der Finalrunde kann man Joker setzen.

Flackerndes Brimborium

Die Regeln sind im Prinzip so simpel, dass es keiner Jury bedarf. Da aber jeweils nur ein Mitglied eines Teams an der Reihe ist, können die anderen ihren Mitstreitern Zeichen geben und damit „vorsagen“. Wo ist die gute alte Kabine geblieben, in der Quizkandidaten zwischendurch verschwinden können?

Dass Kerner vorher nicht weiß, in welche Jahre und Epochen seine „Zeitreise“ führen wird, kann er – wie man so sagt – seiner Großmutter erzählen. Die vorbereiteten, teils etwas albernen Einspielfilmchen heben jedenfalls genau auf die Jahre ab, die der Quizmaster mit seinem „Zeitreise-Hebel“ erreicht hat. Auch das „futuristische“ Studio-Design und das ganze technisch flackernde Brimborium drumherum sind ein wenig lächerlich. Aber bitte. Irgendwie muss man die Sache ja verpacken.

Immer noch der Schwiegersohn

Ansonsten gibt Kerner das Gute-Laune-Bärchen. Auch mit 48 Jahren ist er noch der jungenhafte Schwiegersohn-Typ, immer etwas harmlos wirkend. Bringt er einen Gag, so merkt man gleich, dass es eingeübt und forciert ist. Nicht immer sind seine Scherze geschmackssicher. Als es um die Einführung der Notrufnummern 110 und 112 ging, witzelte er, bei Reiner Calmund und Minister Peter Altmaier käme beim Notruf das Pizza-Taxi…

Trotzdem war’s stellenweise unterhaltsam. Man hangelte sich durch allerlei Fragen zu den 1970er Jahren, dem antiken Rom, dem 19. Jahrhundert und dem Jahr 1989. Manche richtige Antwort war verblüffend. Hätten Sie gewusst, dass Cäsar und Kleopatra einen Sohn gezeugt haben? Hie und da konnte man sogar eine Kleinigkeit hinzulernen.

Schließlich entschied die Stichfrage zur DDR-Einwohnerzahl von 1989. Die Familie räumte 50000 Euro ab. Rührend war’s, wie der 84jährige Großvater zuvor mit seiner Enkelin vor lauter Spannung Händchen gehalten hat.

Und jetzt? Jetzt gucken alle auf die Zuschauerquoten, die Kerner erzielt hat. Da kann er noch so nett und freundlich sein: Das ist es, was heute in erster Linie zählt.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen)




Jetzt auch im Kulturkanal: Lamento über den erbärmlichen Zustand der Straßen

Das höchst zweifelhafte Geschäftsgebaren des Limburger Bischofs beschäftigt offenbar weite Teile der Nation – und also gab’s einen ARD-„Brennpunkt“ dazu. Doch jetzt mal nüchtern betrachtet: Über den Herrn werden wir noch ein paar Tage oder schlimmstenfalls Wochen reden. Der Zustand unserer Straßen wird uns hingegen noch viele Jahre lang aufregen. Also bin ich meinem Vorhaben treu geblieben und habe mir die Sendung „Geflickt und zugeschüttet – Schlaglochrepublik Deutschland“ angesehen.

„Die Republik bröckelt“

Dem knackigen Titel nach zu urteilen, ist das ganze Lamento wohl bei RTL gelaufen? Weit gefehlt. Wenn’s drauf ankommt, findet man auch beim kulturgeneigten Kanal 3Sat markige Worte. Dann klingen die Sätze beispielsweise so: „Deutschland bremst sich aus.“ Oder auch so: „Die Republik bröckelt.“ Oder klischeehaft wie in der Schlussbilanz: „Straßen sind die Lebensadern unserer mobilen Gesellschaft.“ Wer hätte das gedacht?

Vor allem der stetig wachsende Schwerlastverkehr setzt den Straßenbelägen zu. (Foto: © ZDF/Sven Kiesche)

Vor allem der stetig wachsende Schwerlastverkehr setzt den Straßenbelägen zu. (Foto: © ZDF/Sven Kiesche)

Die Straßenbau-Industrie könnte Carsten Binsacks Film künftig glatt für ihre Lobbyarbeit einsetzen. Denn allüberall wird hier dringlicher Nachholbedarf ausgemacht und eingefordert, vor allem in den finanziell klammen Kommunen. Mindestens 6,5 Milliarden Euro seien jährlich zusätzlich erforderlich, um die Straßen wieder in einen annehmbaren Zustand zu versetzen. Da wir alle täglich Erfahrungen mit Schlaglöchern machen, ist auch sicher etwas dran am Befund.

Nuancen gingen verloren

Doch im Eifer des Gefechts gingen auch schon mal die Nuancen verloren. An einer Stelle hieß es, 40 Prozent aller deutschen Straßen seien „stark geschädigt“, später dann war abermals von jenen 40 Prozent die Rede, allerdings mit der deutlich harmloseren Bezeichnung „beschädigt“. Mit Verlaub, das ist nicht nur ein sprachlicher Unterschied.

Immer und immer wieder hieß es, der teilweise erbärmliche Zustand der Verkehrs-Infrakstruktur gefährde auch die Volkswirtschaft. Das ist sicherlich richtig, doch hier wurde es einem geradezu perfide eingehämmert.

Moniert wurde vor allem die bloße „Flickschusterei“ am Bestand: Kaltasphalt aufs Schlagloch gekippt, planiert – und fertig. Doch schon bald bricht an selber Stelle wieder die Straßendecke auf. Der TV-Beitrag plädierte folglich für eine nachhaltige Grundsanierung, die auf Dauer günstiger komme.

Streifzug durch Asphalt-Labore

Die interessanteren Teile des Reports führten in Versuchsanstalten und Labore, wo Fachleuchte vieler Fakultäten (Ingenieure, Chemiker, Geologen usw.) über neue, haltbarere Straßenbeläge nachdenken. Das eine Team testet neue Bitumen-Zusammensetzungen, das andere recycelt abgetragene Straßenreste und veredelt sie mit Wachs und Öl zum erneuten Gebrauch.

Doch solche frischen Ideen kämen viel zu langsam zum Zuge, ließ Carsten Binsack verlauten. Hie und da schien er dabei allzu technikgläubig und unkritisch zu sein. Fragen nach etwaigen wirtschaftlichen Interessen kamen beim ihm gar nicht erst auf. Er dachte nur in eine Richtung.

Blick in die fernere Zukunft

Auch um den beklagenswerten Zustand der Brücken ging es, und da kann einem tatsächlich angst und bange werden. Wir wollen mal inständig hoffen, dass deutsche Experten – wie von einem Beteiligten behauptet – tatsächlich ungleich bessere Prüfsysteme haben als die US-Kollegen. In Minneapolis stürzte 2007 eine Brücke mitten im Berufsverkehr ein…

Wie so manche Straßenbaukolonne die Schlaglöcher, so füllte auch der TV-Reporter hie und da nur notdürftig seine Themenlücken. Zwischendurch ging es nämlich gar nicht mehr um Straßenschäden, sondern gleich um Stauvermeidung, Abgasreduzierung und die „Intelligente Straße“ der Zukunft, die als Kunststoffhaut mit Sensoren versehen wird, dadurch alle Risiken erfasst und die entsprechenden Infos den betroffenen Autofahrern in Echtzeit übermittelt. Schöne neue Welt. Aber bis dahin fahren wir noch so manchen Kilometer.




Kindheit und Pubertät in der hessischen Provinz: Andreas Maiers Roman „Die Straße“

Wie macht Andreas Maier das bloß? Von ihm geschildert, erscheint der ganz normale Alltag, wie ihn viele von uns früher erlebt haben, auf einmal so anders und befremdlich, doch plötzlich auch so ungeahnt kenntlich.

„Die Straße“, der gewiss stark autobiographisch geprägte Roman (über die Gattungsbezeichnung für diese Abhandlung ließe sich trefflich streiten) des 1967 in Bad Nauheim geborenen Autors, führt abermals in die hessische Provinzkindheit und in die Pubertät eines Jungen in den 1970er und frühen 80er Jahren. Die Wetterau rund um Friedberg/Taunus wird bei diesem breit angelegten Projekt (bisher u. a.: „Wäldchestag“, „Onkel J“, „Das Zimmer“, „Das Haus“) zum literarischen Gelände besonderer Güte. Und wieder einmal zeigt sich, wie sehr die Provinz auch die Welt bedeuten kann.

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Auch diesmal handelt es sich um eine langsame Einkreisung der Verhältnisse. Es beginnt just mit der Straße und dem anfangs angstvollen Gang aus dem elterlichen Haus in andere Häuser. Dort ist zunächst alles bestürzend fremd, obwohl doch eigentlich so furchtbar ähnlich wie in den täglich vertrauten Zimmern der eigenen Familie.

Heikle Berührungen

Nach und nach werden familiäre und darüber hinaus reichende Netzwerke sichtbar, die vor allem aus (vorwiegend heiklen, verbotenen oder verweigerten) Berührungen bestehen. Wie die Väter damals die Freundinnen ihrer kleinen Töchter auf den Schoß genommen haben. Wie sich die zu kurz gekommenen Mütter mit den kindlichen Söhnen mittäglich ins Bett begeben haben, um ach so harmlose Zärtlichkeiten auszutauschen, wenn die Männer zur Arbeit waren. Wie etwas später die Mädchen untereinander – so auch die Schwester des Erzählers mit ihrer Clique – Körperspiele rund um die sexuelle Initiation vollführt haben. Wie dieser Erzähler damals noch gar keine Begriffe hatte für all das, was sich da ringsum abspielte…

Die Beobachtungen fügen sich zu einer streckenweise aufregend dichten Studie zwischen Kindheit und Adoleszenz, zwar zeitbedingt getönt, doch auch darüber hinaus gültig.

Das Ausmaß der Verdrängung

Und weiter, mit zunehmendem Alter hinaus auf die Plätze und in die Gassen der Altstadt, wo ganze Kohorten schmieriger alter Männer nicht nur Blicke auf die blühende Jugend erhaschen, sondern am liebsten zugreifen wollen. Zugleich bildet sich in der Siedlung eine Bürgerwehr, als von einem Unhold und Exhibitionisten geraunt wird. Welch eine enge Spießerwelt, welches Ausmaß an Verdrängung und Verlogenheit! Da wird manche Erinnerung für viele Jahre verhüllt – und kommt vielleicht eines Tages unversehens wieder hoch.

Von Normalität kann rundum nicht die Rede sein, allenfalls vom nicht in Frage gestellten Sosein einer buchstäblich erdrückenden Mehrheit. Da wagt sich auch die erwachende Lust der Jungen eher als Angstlust, als Gemisch aus Ekel und Gier hervor.

Anleitungen zur Sehnsucht

In diese verkorkste Gemütslage stieß alsdann die „Bravo“ mit ihren abgezirkelten Sexualtipps, dargebracht in dürrer Doktorsprache. Es war, so heißt es hier sinngemäß, wie ein starrer Plan der Sehnsucht und des Begehrens, den die Jugendlichen in allen westdeutschen Gegenden getreulich nach Text- und Gefühls-Bausteinen ausführen sollten. Und so haben denn alle mehr oder weniger dieselben Sätze in ihre Tagebücher geschrieben. Später werden Nackthefte oder auch harte Pornographie solche gemeinsamen Strukturen vorzeichnen. Wie denn überhaupt und andererseits das bloße Leben, das sich über alle Individuen erhebt und sprachlich kaum zu fassen ist, zentrales Thema und Triebkraft dieses Buches ist.

Sodann die eigentliche Jugendzeit, mithin die großen Verheißungen von Freiheit. Die schier unverwundbaren Gruppen auf dem Marktplatz, die in der Hierarchie obenan stehenden „Königspaare“, von allen bewundert. Solche Beobachtungen gipfeln in Sätzen, die die wundersame Aura nicht nur jener Jahre, sondern wohl aller Jugendzeiten erfassen: „Für viele wird es später ihre größte Zeit gewesen sein, als sei das Sein genau einmal gewesen, nämlich da. Einmal ganz und gar wirklich. Und sie mittendrin. Und alles eigentlich für sie.“

Traum von Amerika

Maier verwendet zumeist eine recht einfache, gleichwohl nicht ungeschliffene Sprache, die sich dem Alltäglichen anschmiegt und sich der Realität Schritt für Schritt nähert, zögerlich, vorsichtig, jedoch umso zielsicherer. Wie zum Ausgleich verstören dann aber jene kurzen Passagen, die die Beschreibung unterbrechen und überwölben; reflektierende Einsprengsel, die aufgeladen sind mit elaborierter Begrifflichkeit wie aus einer soziologischen Studie. Sie wirken demgemäß wie Fremdkörper.

Den vagen, ungefähren Traum von Amerika, dem sich die Mädchen der Wetterau überließen, die an Deutschland zu ersticken meinten, greift Maier ebenfalls auf. Es war wohl die massenhaft befolgte Regel, dass die zahlreich im Hessischen stationierten GIs zum Zuge kamen. In diesem Zusammenhang erzählt Maier die vordergründig groteske, im Grunde aber zutiefst betrübliche Geschichte eines amerikanischen Austauschschülers und kommt damit zurück auf die abgründige, noch unbegriffene Traurigkeit, die schon so manchen Kindheitstag verdunkelt hatte.

Andreas Maier: „Die Straße“. Roman. Suhrkamp Verlag. 194 Seiten. 17,95 Euro.




Das süßliche Werben um die SPD – Günther Jauchs Talkrunde über Koalitionen

Das aktuelle Ringen um Koalitionen war diesmal Talk-Thema bei Günther Jauch – und er hatte auch eine Schlüsselfigur zu Gast, nämlich die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die eine Große Koalition mit CDU/CSU sehr skeptisch sieht, aber auch nicht ausschließen mag.

Warum denn auch? Erst einmal verhandeln und schauen, welche eigenen Inhalte durchzusetzen sind. So lautet die vernünftige Devise.

Talk-Moderator Günther Jauch (© ARD/Marco Grob)

Talk-Moderator Günther Jauch (© ARD/Marco Grob)

Wer auch immer da geglaubt haben mag, Frau Kraft würde vorzeitig eine deutliche Tendenz erkennen lassen, der wurde naturgemäß enttäuscht. Gottlob wird Politik immer noch nicht in solchen Fernsehrunden gemacht. Allenfalls springt die eine oder andere (meist kurzatmige) Nachricht dabei heraus.

War Politik früher ehrlicher?

Immerhin wurde klar, dass Vertreter der Union um die Mitwirkung der Sozialdemokraten werben. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und der sympathisch entspannte CSU-Altvordere Theo Waigel säuselten geradezu süßlich in Richtung der SPD. Waigel sprach von einer „stolzen Partei“, die sich nun der Verantwortung fürs ganze Land stellen müsse, Altmaier lobte den fairen Wahlkampf ohne persönliche Angriffe. Es herrschte offenbar eitel Harmonie zwischen den Volksparteien. Zumindest an der Oberfläche. Eigentlich schade, dass kein Grünen-Politiker zugegen war.

Die Runde wurde erweitert durch Bernhard Bueb (früherer Leiter der Eliteschule in Salem), der sich am Eindruck geradezu festbiss, die heutigen Politiker seien unehrlicher als früher. Dass der stocksteif und bierernst wirkende Mann ausgerechnet das florierende deutsche Kabarett zum Zeugen für seine schmale These anrief, war indes unfreiwillig komisch.

Ein unvermeidlicher Gast

Leider saß auch mal wieder der in politisch angehauchten Talkshows schier unvermeidliche Journalist Michael Jürgs dabei. Eigentlich hatte man längst gehofft, dass es in Talk-Redaktionen eine gewisse Sperrfrist für Leute gibt, die sich dermaßen oft im Sessel gelümmelt haben. Kurzum: Jürgs kann mal eine längere Pause vertragen. Vielleicht sollte er mal einen schönen Urlaub machen.

Der von Bernhard Bueb beklagten Entpolitisierung der Gesellschaft wurde jedenfalls in der Einleitung kräftig Vorschub geleistet. Günther Jauch wurde nicht müde, die „Sondierungen“ vor etwaigen Koalitions-Verhandlungen als strategisches „Spiel um die Macht“ und gar als eine Art Variante des Doppelkopf-Kartenspiels darzustellen. Nun gut: Irgendwie musste er sein Thema ja populär „verkaufen“.

Die Perspektive von Wanne-Eickel

Geradezu dümmlich aber waren die Einspielfilmchen, die Hannelore Kraft quasi den Blickwinkel einer Lokalfürstin aus Wanne-Eickel unterstellten und darin der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Überschrift: „Geistiger Ruhrpott“) blindlings folgten. Andererseits wurde bereits geraunt, dass es eines Tages zum Kanzlerinnenduell Merkel kontra Kraft kommen werde. Doch auch dazu muss man kein großer Prophet sein.

Einen Fauxpas leistete sich Günther Jauch übrigens noch ganz zum Schluss. Direkt nach der Einblendung von „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth, der unter anderem ein wenig Bundesliga-Spannung verhieß, verriet Jauch zumindest tendenziell das (allerdings schon weithin bekannte) Resultat eines der Sonntagsspiele. Sonderlich kollegial war das trotzdem nicht.

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Ein Stadtviertel zwischen Luxus und Niedergang

Durch das citynahe Dortmunder Stadtviertel verläuft eine Hauptstraße, auf der jahraus, jahrein kräftige Fluktuation herrscht. Ständig schließen Geschäfte, etwas zögerlicher werden dann neue eröffnet. Zwischendurch gibt es Leerstände, die viele Monate dauern.

So eine Straße ist – mitsamt dem Geflecht der Nebenstraßen – ein Organismus. Sie lebt, sie atmet, doch sie kann auch ersticken und vergehen.

Besagte Straße (Foto: Bernd Berke)

Besagte Straße (Foto: Bernd Berke)

Vor wenigen Jahren hat es hier noch ein paar kleinere Geschäfte gegeben, die von einem bestimmten Typus älterer Damen betrieben wurden. Diese betrachteten vielfach die Einnahmen als schöne Nebensache und hatten in ihren Läden lauschige Eckchen eingerichtet, die vor allem dem Gruppenschwatz dienten. Da waren oft ganze Kränzchen beisammen. Geradezu klischeegerecht. Die wohl bemerkenswerteste Unternehmung bestand allerdings aus einem winzigen Verschlag mit schmaler Durchreiche, hinter der eine Näherin in drangvoller Enge saß. Ich wüsste gerne, wie sich das Leben hier in den 1960er Jahren abgespielt hat. Beispielsweise.

Nur selten ein „Verweile doch…“

Die langfristige Tendenz in der Straße scheint leider auf abnehmende „Aufenthaltsqualität“ hinzudeuten. Geschäfte, die irgend zum Verweilen einladen, verschwinden zusehends, dafür kommen zahlreiche Versicherungsbüros und ähnliche Langweiler ohne belebende Laufkundschaft.

Billige Glitterbranchen wie Nagelstudios und Goldankäufer bilden jetzt das eine Ende des Spektrums, Luxusläden mit ziemlich unverschämten Preisen das andere. Die goldene Mitte ist hingegen schmaler besetzt als ehedem. Traditionell gediegenes Gewerbe (Weinhandel, Parfümerie) behauptet sich noch. Doch sind die menschlichen Originale, die früher den Charme des Quartiers ausgemacht haben, größtenteils nicht mehr da. Beispielsweise jene liebenswerte, keineswegs verkommene Schnapsdrossel, eine Mittachtzigerin, die unverdrossen mit ihrem Hündchen unterwegs war und sich allabendlich ein paar Gläschen im damals noch zünftigen Ecklokal genehmigt hat. Heute residiert an selber Stelle ein Edelitaliener.

Diffuse Ängste vor dem „Norden“

Solch teuren Lokalitäten zum Trotz: Nicht wenige Leute vermuten, dass das Viertel „kippen“, also irgendwann herunterkommen könnte. Dieses vage Gefühl, das vorwiegend verängstigte Kleinbürger befällt, verbindet sich mit diffusen Ängsten vor der berüchtigten, nicht allzu weit entfernten Dortmunder Nordstadt, deren arge Sozialprobleme angeblich nach und nach gleichsam „herüberschwappen“.

Hierbei wiederum spielen auch fremdenfeindliche Haltungen hinein. Man achte auf manche Zwischentöne in ganz alltäglichen Gesprächen. Wenn es denn bei Zwischentönen bleibt. Und man staune, wie manche „Migranten“, die schon länger hier leben, oft zu den heftigeren Gegnern der neuesten Einwanderer zählen.

Da spukt in etlichen Köpfen eine Art „Domino-Theorie“, derzufolge ein Viertel nach dem anderen zu fallen droht. Und tatsächlich wäre es ja eine beunruhigende Vision, dass wir irgendwann nicht nur die Ausdrücke „No-go-Area“ und „gated communities“ aus dem angloamerikanischen Sprachraum übernehmen, sondern auch die entsprechenden Zustände.

Ganoven mancher Sorte

Das vergleichsweise attraktive, immer noch urbane, mit einigen schönen Altbauten gesegnete Viertel zieht jedenfalls auch ein paar Ganoven mancher Art und Herkunft an. Hier könnte ja etwas zu holen sein. Kürzlich trieb eine vierköpfige Gruppe ihr Unwesen, die reihenweise Ladeninhaber dermaßen in Beschlag nahm und ablenkte, dass der Diebstahl quasi nebenbei erfolgen konnte. Ein Trick, den die Kripo inzwischen kennt, bestand darin, dass einer vom Quartett ein höchst auffälliges Tattoo am Hals trug. Das sei unklug, weil man ihn dann gleich wiedererkennt? Im Gegenteil. Das Ding war nur aufgeklebt, dominiert aber hernach alle Täterbeschreibungen.

Aber wir schweifen ab. Wichtiger ist dies: Ein Supermarkt auf der besagten Hauptstraße bietet seit ein paar Jahren Spätverkauf bis 22 Uhr an. Damit lockt man teilweise ein prolliges Publikum, das ehedem zur „Tanke“ fuhr, um noch schnell dringlichen Alkoholbedarf zu decken.

Personenschützer vor dem Supermarkt

Gewiss: Arme Teufel und desolate Menschen sind darunter, die hier bestenfalls noch einen Rest von Sozialkontakt aufrecht erhalten. Das ist schon beim bloßen Hinsehen betrüblich. Doch solche Phänomene sind in weiteren Teilen der Stadt zu beobachten. Hier ist das Leben offensichtlich härter und zermürbender als etwa im schickeren Düsseldorf. Und hier leben ersichtlich mehr Menschen „an der Armutsgrenze“ als anderswo.

Nicht allen Gestalten aus der abendlichen Kundschaft möchte man gern begegnen. Bedrohlich sind aggressive Gruppen mit Hang zum Marodieren. Und so sieht sich die Supermarktkette veranlasst, zu späteren Stunden sehr eckig aussehende Personenschützer am Eingang zu postieren. Auf jeden Fall gilt die Regel, dass abends keine reine Frauenbesetzung mehr dort arbeiten darf. Was da wohl vorgefallen ist? Nicht selten tauchen – vor dem Hintergrund einer allgemein aufgeladenen Stimmung – Trüppchen auf, die kurzerhand Bierdosen aus den Regalen nehmen, sie sofort grölend austrinken und dann zügig verschwinden. Hassu Problem damit?

Wenn die Schnösel kommen

Andererseits sind in einigen Nebenstraßen die Zeichen der vielbeschworenen „Gentrifizierung“ unverkennbar. Anders gesagt: Die Schnösel kommen auf breiterer Front. Alteingesessene Einwohnerschichten sterben aus oder räumen allmählich das Feld, statt dessen ziehen Yuppies zu, denen die Mieten, die hier jetzt aufgerufen werden, offenbar nicht zu hoch sind. Und so breitet sich tagsüber auch eine Latte-macchiato-Fraktion mit Bugaboo-Kinderwagen aus, als gelte es, mit deutlich geringeren Ressourcen den Prenzlauer Berg und dergleichen In-Viertel nachzuahmen.

Nun könnte man natürlich achselzuckend sagen, all das Skizzierte mache in seiner widersprüchlichen Vielfalt just eine großstädtische Umgebung aus. Sofern es denn eine belebte und belebende Mischung bliebe, wäre es ja auch recht so. Noch ist die Mixtur im Kiez größtenteils spannend, wenn sie auch hier und da auszufransen droht und sich kleine Anzeichen der Verwahrlosung mehren. Man möchte das Viertel gern in Schutz nehmen wie ein Lebewesen.




„Neues aus der Anstalt“: Abschied mit Wehmut

So. Das war’s. Jetzt hat das deutsche Fernsehen vorerst keine Kabarettsendung mehr, die diesen Namen verdient. „Neues aus der Anstalt“ mit Urban Priol und Frank-Markus Barwasser (alias Erwin Pelzig) ist Geschichte.

Wirklich schade. Man wird sie vermissen. Rund sieben Jahre und 62 Sendungen lang haben sie tapfer die Stellung gehalten. Zum Schluss und so kurz nach den Bundestagswahlen haben sie – zwischen gepackten Koffern und Umzugskartons – noch einmal einiges aufgeboten. Beim Abschied kehrte der grandiose Georg Schramm zurück, der allerdings inzwischen weit übers bloße Kabarett hinaus zu sein scheint.

Der Ernst des Georg Schramm

Schramm hat inzwischen leider nicht nur dem Fernsehen, sondern auch Live-Auftritten vor kleinerem Publikum abgeschworen. Er wirkte denn auch ernst und überhaupt nicht „lustig“ im landläufigen Sinne. Aber jeder seiner Sätze über die „Drogendealer“ der Wirtschaft regt zum Nachdenken an. Schramm lässt prägnante Fakten vom Krieg der Reichen gegen die Armen sprechen – und da läuft es einem kalt den Rücken herunter.

Urban Priol (li.) und Frank-Markus Barwasser in "Neues aus der Anstalt" (© ZDF/Tobias Hase)

Urban Priol (li.) und Frank-Markus Barwasser in „Neues aus der Anstalt“ (© ZDF/Tobias Hase)

Auch Volker Pispers zählt auf seine Weise zu den Besten der Zunft. Er zergliederte die deutsche Sehnsucht nach einer Königin-Mutter („Queen Mum(m)“), die von Angela Merkel nahezu perfekt bedient werde. Von Politik hält die Frau eigentlich gar nichts, aber sie ist eben furchtbar gern Kanzlerin…

Den Laden zusammenhalten

Neben solchen Größen muss sich Urban Priol schon ziemlich anstrengen. Wie hat er sich all die Jahre an der Kanzlerin abgearbeitet – und nun dieses Wahlergebnis nahe der absoluten Mehrheit! Da bleibt ihm nur die Freude am Schicksal der FDP. Priol ist ein anderes Kaliber als Schramm und Pispers, doch als allzeit aufgeregter, ja geradezu elektrisierter „Herbergsvater“ (oder eben Anstaltsleiter) auch eine Figur von eigenen Graden. Er hat den Laden zusammengehalten.

Ganz zu schweigen vom feinsinnigen Frank-Markus Barwasser, der diesmal mit Schramm ein geradezu philosophisches Gespräch über den Unterschied zwischen Lügnern und Verlogenen führte. Und Hausmeister Jochen Malmsheimer? Nun gut, der musste immer mal wieder seine etwas erkünstelten sprachlichen Finessen vorführen. Ein knorriger Kerl wie ein Baum, der sich schon mal in sein eigenes Reden vernarrt. Ein Gegensatz in sich. Auch er gehörte dazu.

Ritterschlag von Hildebrandt

Die wirklich großen Zeiten des Fernseh-Kabaretts („Lach- und Schießgesellschaft“, „Stachelschweine“) sind freilich schon lang vorbei. Doch es war bezeichnend, dass der große Altvordere Dieter Hildebrandt den Leuten um Priol die Ehre erwiesen hat und gelegentlich als amüsierter Zuschauer oder gar als Mitwirkender zugegen war. Es war wie ein Ritterschlag.

Man kann nur hoffen, dass im ZDF oder sonstwo etwas Gleichwertiges nachfolgt. Doch ich habe da so meine Zweifel.

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„Polizeiruf“ rund um einen Kindergarten: Die Hölle der ehrgeizigen Eltern

Wenn ein „Polizeiruf“-Krimi schon „Kinderparadies“ heißt, dann kann man ziemlich sicher sein, dass er gleichsam mitten in die Hölle führt. Und so war es dann auch.

Man lernte einen Kreis pädagogisch versierter Eltern aus der gehobenen Mittelschicht kennen, die ihren eigenen, höchst ambitionierten Kindergarten betrieben. Ganz klar: Sie alle wollten nur das Allerbeste für ihre Kinder, die hier im zarten Alter von zwei, drei oder vier Jahren schon mit chinesischer Sprache, klassischer Musik und Theater wie Shakespeares „Sommernachtstraum“ vertraut werden sollten.

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller - in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller – in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Lauter psychische Wracks

Das war ziemlich dick aufgetragen, wenngleich es gewisse Vorbilder in der Wirklichkeit gibt. Mit entsprechender Zerstörungslust wurden solche idyllischen Lebenslügen in diesem Film (Regie: der theatererfahrene Leander Haußmann) ebenso genüsslich wie gründlich demontiert. Statt liebevoller Eltern lernte man einige psychische Wracks kennen, die einander in Hass und Eifersucht verfolgten.

Das mag sich recht schematisch anhören, doch die Frage ist, wie so etwas gespielt wird. Und da muss man sagen: Es war – bis in die Nebenrollen hinein – darstellerisch überwiegend exzellent. Angefangen vom Münchner Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) bis hin zu den Elternrollen (u. a. Annika Kuhl, Johannes Zeiler, Markus Brandl). Filmisch erging man sich vielfach in bloßen Andeutungen und Impressionen, so dass sich mancher Sachverhalt nur nach und nach zusammensetzte – wie ein Mosaik. Es war schon ein besonderes Stück Fernsehen, keineswegs alltäglich.

Momente der Hoffnung

Letzten Endes konnten einem alle Figuren zutiefst leid tun, allen voran natürlich die Kinder, die unter den furchtbar deformierten Erwachsenen zu leiden hatten. Doch selbst die Täterin, die unglaublich brutal zu Werke gegangen war, war ein solch erbarmungswürdiges Häufchen Elend…

Die insgesamt ziemlich niederziehende Milieustudie beschränkte sich gottlob nicht nur auf bitteren Ernst, sondern nahm sich auch Zeit für einige parodistische Momente und ein paar Lichtblicke. So beispielsweise, als die versammelten Kripo-Spurensicherer im Gefolge des Kommissars „Heile heile Gänschen“ brummelten, um die kleine Lara zu beruhigen. Die wurde so etwas wie die heimliche Hauptperson des ganzen düsteren Dramas, indem sie auf sehr anrührende Weise ein Stück Hoffnung verkörperte. Als Vater einer gerade vierjährigen Tochter weiß ich erst recht, was ich da sage.

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„Das ist Spitze!“: Wie Kai Pflaume die Rosenthal-Show „Dalli Dalli“ neu beleben will

Hurra! Wir haben mal wieder einen Showmaster, der kräftig überziehen darf: Kai Pflaume machte „Das ist Spitze!“ (ARD) nicht nur bis 21.45 Uhr, sondern fast eine halbe Stunde länger als geplant. Aber das gehört wohl dazu, wenn man unbedingt eine Legende wiederbeleben will.

Wir reden natürlich von Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ (1971 bis 1986). Da soll Pflaume anknüpfen. Um diesen (doch etwas überzogenen) Anspruch zu unterstreichen, hatte man zur Premiere im „Ersten“ Rosenthals Witwe Traudl, seinen Sohn, seine Tochter und sogar seine jüngste Enkelin Debora eingeladen, die nun gemeinsam mit Jan Hofer in der Spiel-Jury sitzt.

Kai Pflaume vor Rosenthal-Dekoration (Bild: © NDR/Thorsten Jander)

Kai Pflaume vor Rosenthal-Dekoration (Bild: © NDR/Thorsten Jander)

Jede Menge Vorschusslorbeeren

Die Rosenthals verteilten schon zu Beginn der Sendung jede Menge Vorschusslorbeeren und versicherten pflichtschuldigst, Kai Pflaume sei genau der richtige Mann, um diese Show zu leiten.

Und wie war’s nun wirklich?

Nun ja. Man versuchte, hie und da den speziellen Charme der 1970er Jahre neu aufleben zu lassen. Doch das klappt natürlich nur sehr bedingt. Zumindest die vier Prominenten-Duos (darunter Kati Witt, Henry Maske, Florian Silbereisen, Matthias Opdenhövel, Jutta Speidel), die da beim Schnellraten und neckischen Wettspielchen gegeneinander antraten, hatten ersichtlich ihren Spaß. Auch das Saalpublikum fühlte sich wohl recht gut unterhalten. Immerhin. Man ist ja schon froh, wenn einem in solchen Sendungen gröbere Peinlichkeiten erspart bleiben.

Hektik als Prinzip

In dieser Show (die es beim NDR seit 2011 gibt) regiert – wie eh und je – die Hektik als Prinzip. Hauptsache schnell sein, alles andere ist Nebensache. Diese Vorgabe sorgt für einige Turbulenzen und manchmal gar für sanften Irrsinn. Es ist wie bei einem bunten Kindergeburtstag – eben zuweilen etwas infantil und albern, aber doch manchmal ziemlich lustig.

Kai Pflaume ist ein hinreichend lockerer Spielleiter, der im Zweifelsfalle aber auch mal zur Ordnung rufen kann. Ob er tatsächlich den legendären Status eines Hans Rosenthal erreichen kann, ist hingegen eine ganz andere Frage.

Die alten Einfälle nachahmen

Da reicht es eben nicht, den optisch „eingefrorenen“ Freudensprung („Das war Spitze!“) nachzuahmen, der damals in den 70ern eine TV-technische Meisterleistung war und heute eine leichtere Übung ist. Auch genügt es nicht, so manche Spielidee variierend nachzuempfinden. Mal ganz nebenbei gefragt: Gibt’s beim Fernsehen eigentlich keine neuen Einfälle mehr, so dass man immer wieder die alten hervorholen muss?

In der Eile passiert der eine oder andere Lapsus: Michelangelos „David“ sei in Rom zu bestaunen, Europa sei der weltweit größte Kontinent, Mosel und Rhein flössen in München zusammen – so lauteten ein paar grundfalsche Antworten in den Raterunden. Gerade das macht teilweise den Reiz einer solchen Show aus. Ein bisschen Schadenfreude ist dabei. Doch wer weiß, ob man’s selbst vor einem Millionenpublikum viel besser machen würde.

Kontrolliertes Ausarten

Wenn dann noch eine Riesenkaffeemühle und ein Wahlplakatschredder eilends bedient werden oder Cocktailgläser mit dem Mund angesaugt und transportiert werden müssen, dann überschlägt sich die Gaudi zum Steinerweichen. Dann erreichen die zur Alarmsirene rotierenden tausend Lampen höchste Lichtverschmutzungswerte – und es kommen jene offenbar unvermeidlichen, leicht frivolen Scherzchen zum Vorschein: So wurde Henry Maske streng ermahnt, die Banane an seinem „Baströckchen“ doch bitte nach hinten zu drehen. Nennen wird es mal „kontrolliertes Ausarten“, was da vor sich geht.

Am Ende wurden dann die erzielten (und multiplizierten) Spielpunkte in Euro umgerechnet. Die fließen an die Rosenthal-Stiftung zugunsten von Familien, die unverschuldet in Not geraten sind. Fast 21000 Euro kamen diesmal zusammen. Dagegen kann man nun wirklich nichts sagen.

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„Pimmel ab“ oder: Was Vierjährige hören sollen

So manches Mal habe ich mich schon gefragt, wie die Altersangaben auf Büchern, CDs, Spielen oder Puzzles für Kinder zustande kommen.

Inzwischen glaube ich, dass dabei wohl vielfach auf gut Glück verfahren wird. Nicht selten werden babyhaft leichte Aufgaben erst ab 6 Jahre ausgeschildert. Andererseits gibt es gelegentlich auch den umgekehrten Fehlgriff.

Vor mir liegt eine Hörspiel-CD mit einer Produktion des Berliner Grips Theaters: „Bella, Boss und Bulli“ erzählt die Geschichte des Mädchens Bella, das murrend in ein anderes Stadtviertel umziehen muss, weil die allein erziehende Mutter dort Arbeit gefunden hat. Bella lernt dort zwei höchst unterschiedliche Jungen kennen: Bulli war schon mal im Erziehungsheim, Boss wird vom livrierten Chauffeur im Benz zur selben Schule gebracht. Mit solchen Kontrasten erzählt es sich natürlich besser. Also geschenkt, ob es realistisch ist, dass alle drei Kinder in derselben Gegend wohnen und in eine Schulklasse gehen.

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Im weiteren Verlauf der Geschichte kommt es zu „Erpressungen im schulischen Umfeld“, um es mal vornehm auszudrücken. Ein größerer Junge hat Bulli beim Diebstahl beobachtet und droht nun, ihn zu verpfeifen – falls er ihm nicht hier mal fünf, dort mal zehn Euro gibt.

Das alles wird gekonnt als Hörspiel aufbereitet (Text: Volker Ludwig) und mit zündenden Liedern (Musik: Birger Heymann) garniert. Gewohnte Grips-Qualität eben. Nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht. Kinder ab 7 oder 8 können hier auf unterhaltsame Weise was lernen. Beispielsweise, wie man Erpressern das Handwerk legt.

Doch darum geht es hier nicht. Der Patmos Verlag, in dem die CD erschienen ist und der übrigens traditionell vorwiegend religiöse Bücher herausbringt, nennt das Ganze ein „Hörspiel ab 4 Jahren“. Also haben wir die Platte guten Glaubens für unsere Tochter gekauft, die in einigen Tagen 4 wird. Auf dem Cover deutet nichts auf eine sonderlich ruppige Gangart hin.

Heute haben wir die CD zusammen angehört. Recht unvermittelt wird da ein Junge von einem anderen bedroht: „Geld her – oder ich schneid‘ dir den Pimmel ab!“ Und dergleichen weitere Nettigkeiten. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig in Erklärungnot geraten bin.

Wahrscheinlich gibt es Leute, die das ganz dool großstädtisch, „cool“ oder prima punkig finden und wegwerfend sagen, ein solch rauher Tonfall komme spätestens in der Grundschule ohnehin zum Zuge. Ich kann auch sagen, wie ich die Altersangabe finde: ungemein dämlich und unverantwortlich. Angesichts des sonstigen, schwer katholisch geprägten Verlagsprogramms sollten die Zuständigen sich vorsehen, dass sie nicht weitere Punkte für die Vorhölle sammeln.




Der Wahlabend im Fernsehen: Diese gut geölte Maschinerie könnte ewig laufen

Ganz ehrlich: Ich mag jetzt erst einmal keine Balken-, Torten- und sonstigen Diagramme mehr sehen. Wer sich gleichfalls ab 17 Uhr den ganzen Abend mit der Wahlberichterstattung im Fernsehen um die Ohren geschlagen hat, der weiß, wovon ich rede.

Es waren schon prägnante Nachrichten, die dabei herauskamen: CDU/CSU bundesweit zumindest in Reichweite der absoluten Mehrheit, die FDP erstmals seit 1949 nicht mehr im Bundestag. Doch ob und wie es zu Koalitionen kommt, ist sowohl im Bund als auch in Hessen (die Landtagswahl ging im Trubel beinahe unter) einstweilen unklar. Wird es Schwarz-Grün, gibt es eine Große Koalition? Wir werden es erleben.

In der Obhut von ARD und ZDF

An solchen Tagen bin und bleibe ich in der Wahl der TV-Programme konservativ und begebe mich – wie seit jeher – vor allem in die Obhut von ARD und ZDF. Von etwaigen Sympathien oder Abneigungen mal ganz abgesehen, haben die einfach die meisten Leute im Einsatz (was freilich nicht unbedingt in Qualität umschlagen muss).

Für die ARD im Einsatz: Ulrich Deppendorf und Caren Miosga (Archivbild: © ARD-Hauptstadtstudio/Axel Berger)

Für die ARD im Einsatz: Ulrich Deppendorf und Caren Miosga (Archivbild: © ARD-Hauptstadtstudio/Axel Berger)

Tatsächlich machten die Teams unter Leitung von Caren Miosga, Ulrich Deppendorf und Zahlenjongleur Jörg Schönenborn (ARD) sowie Bettina Schausten und Theo Koll (ZDF) ihre Sache nach den üblichen Maßstäben recht ordentlich. Größere Pannen waren nicht zu verzeichnen. Ironie hin, Sarkasmus her – da sind schon routinierte Profis am Werk. Im akuten Stress eines solchen Wahlabends muss man erst einmal dermaßen die Übersicht behalten.

Die Grenzen der Vergnügungssucht

Übrigens wirkte auch Peter Kloeppel (RTL) diesmal, anders als kürzlich beim Merkel-Steinbrück-Duell, ziemlich souverän und locker. Freilich schaltete sich sein Sender später ins Geschehen ein und verließ die Wa(h)lstatt auch deutlich früher. Schon bald verlegte man sich zudem aufs leicht schrill angehauchte „Menscheln“. Das Zappen zu Phoenix, N-TV und N24 habe ich mir denn doch erspart. So vergnügungssüchtig war ich nun auch wieder nicht.

Allerdings ist die Routine auch allseits das Problem. Man absolviert die immergleichen Rituale. Ein paar neue Formen täten sicherlich gut. Außerdem zeigten sich auch bei den Öffentlich-Rechtlichen wieder die ebenfalls üblichen, ziemlich grundsätzlichen Schwächen: Immerzu lockt die Versuchung, das politische Geschehen gnadenlos zu personalisieren und auf ziemlich simple Begriffe herunterzudimmen. Bei ARD und ZDF war man sich immerhin bewusst, dass man es mit griffigen Formeln wie „Stinkefinger“, „Raute“, Halskette und „Veggie Day“ zuletzt etwas übertrieben hat. Doch man kann nicht ganz davon lassen.

Als die Hochrechnungen sich erst einmal stabilisiert hatten, schnurrte bei den großen Anstalten die volle Routine der gut geölten Maschinerien ab. Das Ganze geriet in einen Selbst- und phasenweise auch Leerlauf, als hätte es (selbst noch nach „Elefantenrunde“ und Jauch-Talk) schier endlos so weitergehen sollen.

„Erst einmal in Ruhe analysieren“

Auch die Politiker sagen halt das, was sie bei solcher Gelegenheit immer sagen: Erst einmal Dank an alle Helfer und Wähler. Erst einmal das Endergebnis abwarten. Erst einmal mit den Gremien sprechen. Erst einmal in Ruhe analysieren. In den nächsten Tagen werden wir mehr wissen. Gottlob wird die eigentliche Politik nicht im Fernsehen gemacht.

Derweil gieren die Fernseh-Journalisten (nicht minder eitel als manche Politiker) stets nach neuen Personalien und hätten am liebsten schon heute verkündet, dass ab morgen Jürgen Trittin als Vizekanzler antritt oder Christian Lindner neuer FDP-Chef wird. Doch auch diese Herrschaften lassen sich natürlich nicht aus der Reserve locken. Warum auch?

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen).




Hohe Belastung mit Umweltgift PCB: Uni Bochum reißt zwei Großgebäude ab

Luftbild der Bochumer Ruhr-Universität (© Pressestelle der Ruhr-Uni)

Luftbild der Bochumer Ruhr-Universität (© Pressestelle der Ruhr-Uni)

Was muss man da heute lesen? Die Ruhr-Uni Bochum (RUB) will bis März 2015 gleich zwei ihrer Großgebäude abreißen.

Und zwar nicht etwa aus ästhetischen Gründen, um vielleicht den architektonischen Brutalismus rückgängig zu machen. Im Gegenteil: Die beiden Bauten der Ingenieurwissenschaften (Kürzel IA und IB) sollen bis 2017 in gleicher Form und Höhe an selber Stelle wieder erstehen, um die „denkmalwürdige Silhouette“ der Ruhr-Uni zu erhalten.

Doch das ist zwar ein Aspekt, aber beileibe nicht der aktuelle Kern der Sache. Der Abrissgrund klingt nämlich durchaus beunruhigend. Es ist die offenbar viel zu hohe PCB-Belastung in den Gebäuden. Nicht nur als jemand, der einige Jahre in anderen Uni-Gebäuden (vornehmlich GA und GB) zugebracht hat, fragt man sich bang, was es damit auf sich hat. Mag sein, dass ich da etwas verpasst habe. Doch ich kann mich nicht daran erinnern, dass das Thema bisher in einer breiteren Öffentlichkeit über Bochum hinaus debattiert worden wäre.

Offiziell heißt es, bei „Voruntersuchungen zur geplanten Kernsanierung“, die auf dem gesamten Campus nach und nach erfolgt, habe sich gezeigt, dass die PCB-Belastung in IA und IB „ungleich größer“ ist als im gerade sanierten IC-Gebäude vor der Modernisierung.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung der RUB: „Es kann nicht sichergestellt werden, dass sich das gesundheitsgefährdende PCB vollständig entfernen lässt.“ Mehr als nur „interessant“ wäre es nun zu erfahren, wie sich die Belastung mit der Krebs auslösenden Substanz wohl auf die Menschen ausgewirkt hat, die bislang in diesen Gebäuden als Lehrende, Studierende oder sonstwie tätig gewesen sind.

Bei IA und IB handelt es sich um die ältesten Bauten der gesamten Uni. Baubeginn war am 2. Januar 1964, bereits Mitte 1965 wurde der Lehrbetrieb aufgenommen.

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Näheres zum Thema PCB findet sich zum Beispiel hier:
http://www.lfu.bayern.de/umweltwissen/doc/uw_53_polychlorierte_biphenyle_pcb.pdf




Schopf und Schöpfung: Oberhausen zeigt „HAIR! Das Haar in der Kunst“

In der „flotten Schreibe“ älterer Machart hätte man formuliert, die neue Ausstellung in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen sei „eine haarige Angelegenheit.“ Und was der Redensarten mehr sind. Richtig ist, dass „HAIR! Das Haar in der Kunst“ das Titelthema rundum abhandelt. Wer da noch eine wesentliche Lücke entdeckt, ist wirklich findig.

Domenico Gnoli: "Hair Partition" (Scheitel), 1968 (© Museum Ludwig im Statlichen Russischen Museum St. Petersburg/VG Bild-Kunst, Bonn 2013)

Domenico Gnoli: „Hair Partition“ (Scheitel), 1968 (© Museum Ludwig im Statlichen Russischen Museum St. Petersburg/VG Bild-Kunst, Bonn 2013)

Gleich der erste Raum verheißt große zeitliche und ästhetische Bandbreite, die dann auch eingelöst wird: Bei Tilman Riemenschneiders „Marientod“ (um 1515) spielt die Haar- und Barttracht der Figuren eine entscheidende, charakterisierende Rolle – bis hin zur so genannten „Petrus-Locke“, die eben genau diesen Apostel kennzeichnet. Direkt gegenüber hängt eine Fotografie von Cindy Sherman, auf der die Künstlerin als steinreiche, überschminkte Dame der besseren Gesellschaft erscheint. Auch hier macht die Frisur einen Unterschied.

Cindy Sherman: "Untitled # 464", 2008 (© Hendrik Kerstens, courtesy NUNC Contemporary, Antwerp, Belgium)

Cindy Sherman: „Untitled # 464“, 2008 (© Hendrik Kerstens, courtesy NUNC Contemporary, Antwerp, Belgium)

Für viele Jahrhunderte bedeutete „ordentliches“ Haar auch geordnetes Denken oder gar Gottesnähe. Aus heutiger Sicht kuriose Dinge wie ein Echthaar-Kruzifix oder eine Maria Magdalena mit Ganzkörperbehaarung gibt es zu sehen, wobei das wallende Haupthaar selbstverständlich ihre jungfräuliche Scham bedeckt.

Spätestens nach der Hälfte des Rundgangs fragt man sich jedenfalls, wieso noch niemand zuvor auf die Idee gekommen ist, dieses Thema zwischen Schopf und Schöpfung zum zentralen Gegenstand einer Kunstausstellung zu machen. Museumsleiterin Christine Vogt und ihr Team haben insofern tatsächlich Neuland betreten.

Denn nach und nach zeigt sich, wie vielfältig der ikonographische Anspielungsreichtum des menschlichen Haares ist. Mal hat es religiöse, mal erotische Bedeutung, mal drückt es Machtverhältnisse oder soziale Zugehörigkeiten aus. Der Griff ins Haar oder die erzwungene Entfernung stehen für Demütigung und Stufen der Gewaltsamkeit. Auch kommt immer wieder der unaufhörliche Geschlechterkampf in Betracht.

Tilman Riemenschneider: "Marientod", um 1515 (© Sammlung Marks/Thomée, Aachen - Foto: Anne Gold, Aachen)

Tilman Riemenschneider: „Marientod“, um 1515 (© Sammlung Marks/Thomée, Aachen – Foto: Anne Gold, Aachen)

Haare haben überdies innig mit Tod und Vergänglichkeit zu tun, gerade weil sie das Letzte sind, was vom menschlichen Leibe nach dem Aushauchen erhalten bleibt. Im 19. Jahrhundert gedachte man der Verstorbenen deshalb nicht selten mit Lockenbildern.

Rotes Haar dient traditionell als Zeichen der Sündhaftigkeit, doch auch Blond (Warhols Monroe-Siebdruck, Roy Lichtensteins dekorativ weinendes Comic-Mädchen) und Schwarz (Otto Dix’ geradezu „dreckiges“ Hurenbild „Akt mit Zigarette“) haben ersichtlich ihre starken Reize.

Andy Warhol: "Geburt der Venus nach Bitticelli", 1984 (© The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./Artists Right Society (ARS), New York - Foto: Anne Gold, Aachen)

Andy Warhol: „Geburt der Venus nach Bitticelli“, 1984 (© The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./Artists Right Society (ARS), New York – Foto: Anne Gold, Aachen)

Und so geht es wechselhaft voran, mit 134 einschlägigen Exponaten von der Antike bis heute, kreuz und quer durch Bestände der diversen Ludwig-Sammlungen, hie und da um Stücke aus anderen Kollektionen ergänzt. Es wird klar, dass die Peter und Irene Ludwig keineswegs nur Pop Art erworben haben, sondern Kostbarkeiten aus nahezu allen Epochen. Zum Umfang der Ausstellung zählt übrigens auch reichlich altes Silber aus dem Besitz von Irene Ludwig, das davon zeugt, wie im 18. Jahrhundert noch Körper- und Haarpflege sozusagen beim Frühstück betrieben wurden. Hier hat man halt den verstorbenen Stiftern gehuldigt, ansonsten wäre es nicht zwingend nötig gewesen.

So manche Legende der Kulturgeschichte wird nicht zuletzt durchs Haar definiert, so etwa durchs Medusenhaar (auf dem Bild „Die Pest“ des Franz von Stuck). Auch das wallende Haar der sexuell bedrängten Susanna im Bade wäre zu nennen. Oder Judith, die den Schädel des enthaupteten Holofernes bei den Haaren packt.

Edvard Munch: "Madonna - Liebendes Weib", 1902 (© The Munch Museum / The Munch Ellingsen Group / VG Bild-Kunst, Bonn 2013 / Foto: Anne Gold, Aachen)

Edvard Munch: „Madonna – Liebendes Weib“, 1902 (© The Munch Museum / The Munch Ellingsen Group / VG Bild-Kunst, Bonn 2013 / Foto: Anne Gold, Aachen)

Streckenweise gerät die Schau also beinahe zur kulturgeschichtlichen Beispielsammlung, doch überwiegt insgesamt der künstlerische Impuls; vor allem, weil vornehmlich einige Gegenwartskünstlerinnen (jawohl, es ist offenbar überwiegend ein Frauenthema) frische Akzente gesetzt haben. Sie können auf alles zurückgreifen, mit Bestandteilen der ganzen Tradition jonglieren. Nicht sämtliche Arbeiten kommen über den bloßen Gag hinaus, doch einige gewinnen der Frisur neue Facetten ab.

Bedrohlich wirkt Rebecca Horns 1974/75 hergestellter Film vom simultanen Haareschneiden mit zwei Scheren, zu dem der jüngst verstorbe Otto Sander einen Text gesprochen hat. Anita Brendgens versetzt Fragmente eines ganzen Friseursalons in ein sanftes Schweben. Die vom Hardrock herkommende Patricia Murawski führt ihre langen Haare fotografisch beim selbstvergessenen „Headbanging“ vor. Und Billie Erlenkamp beweist, dass es möglich ist, die Umrisse eines weiblichen Akts in die dichte Behaarung eines Männerbeins zu kämmen.

Unbekannter Meister: "Erhebung der Maria Magdalena" (Maria Aegyptiaca), um 1480) (© Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen - Foto: Anne Gold, Aachen)

Unbekannter Meister: „Erhebung der Maria Magdalena“ (Maria Aegyptiaca), um 1480) (© Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen – Foto: Anne Gold, Aachen)

Wie bitte? Die Haarlosigkeit sei vergessen worden? Nichts da! Jim Raketes Porträtfoto des Schauspielers Jürgen Vogel und ein Selbstbildnis von Max Beckmann lassen mehr als nur lichte „Geheimratsecken“ sehen. Wuchernde wie abrasierte Intim- und Brustbehaarung kommen gleichfalls vor. Und schließlich darf auch das – aus modischen oder religiösen Gründen – bedeckte Haar nicht übergangen werden. Eine Arbeit der Iranerin Shirin Neshat erhebt hierbei subtilen Einspruch gegen den Tschador. Sieh an, sieh an, die Darstellung der Haare kann also auch gleichsam körperpolitisch gewendet werden.

„HAIR! Das Haar in der Kunst“. 22. September bis 12. Januar 2014 in de Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50, ermäßigt 3,50 Euro.

Nähere Informationen: www.ludwiggalerie.de




Der Mann mit den wuchtigen Meinungen – Zum Tode von Marcel Reich-Ranicki

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (Foto: Dirk Vogel / http://www.vogelgrafie.blogspot.de)

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (Foto: Dirk Vogel / http://www.vogelgrafie.blogspot.de)

Prägnante Szene bei einer schon länger zurückliegenden Frankfurter Buchmesse: Am Stand der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) wird Marcel Reich-Ranicki von Bewunderern umlagert wie ein Popstar. Einer ruft ihm die (wahrhaft müßige) Frage zu, wer denn wohl der größte russische Autor aller Zeiten sei. Von ihm hat man eben literarische Urteile wie von einer höchstrichterlichen Instanz erwartet.

Jetzt wird diese Instanz für immer fehlen. Marcel Reich-Ranicki, der mit Abstand prominenteste Literaturkritiker deutscher Zunge, der sogar vielen Banausen ein flüchtiger Begriff war, ist heute im Alter von 93 Jahren gestorben.

Der „Großkritiker“ ließ sich damals in Frankfurt – wie üblich – nicht lange bitten, mochte sich freilich in jenem Falle nicht so recht festlegen: Tolstoi sei ein ganz Großer gewesen, aber auch Gogol, Puschkin und Dostojewski hätten „sehr gut geschrieben“. Aha! Aus derlei Frage- und Antwort-Spielchen hat er zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine Rubrik bestritten, bei deren Lektüre man sich zuweilen an den Kopf fasste.

Entweder herrlich oder grrrrrrässlich

Bei Licht betrachtet, waren die Maßstäbe des höchst belesenen, im Literaturbetrieb ungemein beschlagenen Reich-Ranicki recht simpel: Entweder gefiel ihm ein Buch – oder es langweilte ihn „grrrrrässlich“; zuweilen schon dann, wenn es im „falschen“ Land spielte, zu umfangreich geraten oder zu unkonventionell erzählt war. Manchmal hat man sich schon gewundert, wie es jemand mit einem solchen Raster so weit hat bringen können. Doch natürlich war er auch in der Lage, differenzierte Rezensionen zu schreiben, an denen man seine helle Freude haben konnte; besonders dann, wenn er Autoren hoch schätzte, wie etwa den ewigen Leitstern Thomas Mann. Mit seinen Verrissen war Reich-Ranicki allerdings oftmals ungerecht schnell bei der Hand.

Marcel Reich-Ranicki hat seine stets glasklaren, selten von Selbstzweifeln angekränkelten Meinungen mit solcher Wucht und Verve vertreten, dass man schwerlich dagegen ankommen konnte. Er war bestens „vernetzt“ und verstand es wie kein Zweiter, die Klaviatur der literarischen Einflussnahme zu bedienen. Auch stillte er wohl eine gewisse Sehnsucht nach eindeutigen, leidenschaftlichen, zuweilen auch etwas groben Stellungnahmen. Welt und Literatur waren ansonsten unübersichtlich genug. Da sollte mal einer Schneisen schlagen – notfalls mit der Machete. Den Beinamen „Literaturpapst“ wurde er jedenfalls nicht mehr los, auch wenn er auf seine älteren Tage schon mal unumwunden zugegeben hat, nicht „unfehlbar“ zu sein.

Bewegende Biographie

Rund 1,2 Millionen Exemplare wurden von seiner bewegenden Autobiographie „Mein Leben“ verkauft. Eindringlich schilderte Reich-Ranicki seine Kinderheit in Polen und Berlin, sein unvorstellbar schwieriges Leben in der NS-Zeit, von dem er 2012 auch in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag Zeugnis abgelegt hat. Reich-Ranickis Eltern wurden im KZ umgebracht, er selbst musste sich vor den Nazi-Schergen versteckt halten. Wer wollte es ihm da ernsthaft verübeln, dass er später vorübergehend dem polnischen Geheimdienst angehörte und der KP beitrat? Bald aber wandte er sich ab und wurde wegen „ideologischer Fremdheit“ aus der Partei ausgeschlossen.

1958 kam er wieder nach Deutschland. Ab 1960 schrieb er für die „Zeit“, von 1973 bis 1988 war er Literaturchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Doch erst „Das Literarische Quartett“ (1988 bis 2001) im ZDF hat Reich-Ranickis Entertainer-Qualitäten vollends zur Entfaltung kommen lassen. Nach den Sendungen mussten die Bestsellerlisten immer flugs umgeschrieben werden. Man möchte lieber gar nicht wissen, was die Verlage angestellt haben, um dort besprochen zu werden. Jedenfalls musste ein Mann wie Reich-Ranicki einfachs ins Fernsehen, wo er so manche schwankende Seele für die Literatur gewonnen haben dürfte. Wie hat man sich seinerzeit amüsiert, als er seine öffentlich-rechtlichen Bücherstreits mit Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und Jürgen Busche ausfocht. Manchmal war’s herrliches Kasperltheater mit anderen Mitteln…

Grass und Walser haderten mit ihm

Deutschlands bekannteste Schriftsteller wendeten sich freilich vielfach mit Grausen – mit Ausnahme von Siegfried Lenz. Literaturnobelpreisträger Günter Grass war Reich-Ranicki gram, seit der den Roman „Ein weites Feld“ (1995) verrissen und auf dem legendären „Spiegel“-Titelbild regelrecht zerfetzt hatte. Als Reich-Ranicki die Hand zur Versöhnung reichen wollte, schlug Grass sie aus. Und damals wusste man noch nichts von Grass’ Waffen-SS-Vergangenheit in den finsteren Zeiten…

Auch Martin Walser (umstrittener Schlüsselroman: „Tod eines Kritikers“) gehörte beileibe nicht zu Reich-Ranickis Verehrern. Selbst mit dem langjährigen Freund Walter Jens war Reich-Ranicki zwischenzeitlich heillos zerstritten. Die Einsamkeit des Kritikers, allen Mitstreitern und Medienmächten zum Trotz.

Heimat Literatur, Zuflucht Teofila

In mehr als einer Hinsicht war dies tragisch, hat Reich-Ranicki doch bekannt, wie er sich seit den schrecklichen Erlebnissen im Warschauer Ghetto ohnehin stets als Außenseiter gefühlt hat – selbst in den Redaktionen von „Zeit“ und FAZ. Als wahre Heimat hat er hingegen immer die (deutschsprachige) Literatur begriffen.

Und es gab noch eine sehr dauerhafte Zuflucht: Über 70 Jahre lang lebte er mit (der 2011 verstorbenen) Teofila zusammen, die er unter schlimmsten Umständen im Ghetto kennen gelernt hatte. Auch wenn er gelegentlich damit kokettierte, auf erotische Nebenwege erpicht zu sein – nehmt alles nur in allem, so ist er wohl sicherlich treu gewesen. Und jetzt, wer weiß, kann sie vielleicht „dort droben“ seine harmlosen kleinen Eskapaden mit jenem weisen, wissenden Lächeln quittieren, das ihr zu eigen war.




Dieses übliche Leben im Mittelmaß – Daniel Kehlmanns Roman „F“

978-3-498-03544-0.jpg.661869„Sehen Sie der Wahrheit ins Gesicht. Sie werden nie glücklich sein. Aber das macht nichts. Man kann auch so leben.“ Solche Sätze hören sich ähnlich ernüchtert an wie der alte Begrüßungs-Klassiker: „Wie geht’s? – Muss. – Hauptsache.“

Aber wir wollen uns nicht belustigen. In Daniel Kehlmanns neuen Roman mit dem fauchend kurzen Buchstabentitel „F“ müssen praktisch alle Figuren damit zurechtkommen, dass sie auf ihrem Gebiet allenfalls Mittelmaß darstellen. Da stellt einer schon zeitig fest: „Was bedeutet es, mittelmäßig zu sein – plötzlich ließ die Frage mich nicht mehr los.“ Nun mal ehrlich: Ist das nicht, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, unser aller Lebensthema?

„Mein Name sei Niemand“

Gewiss, sie wehren sich hin und wieder gegen die Erkenntnis, dass sie nicht allzu besonders sind: Arthur, der auf seine mittleren Jahre mit Titeln wie „Mein Name sei Niemand“ ein paar Erfolge als Schriftsteller hat, jedoch alsbald wieder literarisch verstummt; seine Zwillingssöhne Eric (windiger Spekulant, der ein paar Milliönchen macht, dann aber in der Krise scheitert) und Iwan, der in perfider Personalunion als Künstler, Kunsthändler, Kunstkritiker und Kunstfälscher agiert.

Aber was heißt schon „Fälschung“, wo doch Iwans Geliebter, der alternde Künstler Eulenböck, durchaus damit einverstanden ist, dass Iwans Schöpfungen unter seinem Namen auf den Markt kommen und zeitgeistig reüssieren. Und außerdem ist da noch Martin, der linkische Halbbruder von Erik und Iwan, der Priester wird, obwohl er partout nicht an Gott glauben kann und sein bisschen Selbstbewusstsein vornehmlich aus der virtuosen Handhabung des Rubik-Würfels bezieht.

Hypnotische Einflüsse

Dieses durchs Leben schlingernde Quartett haben wir anfangs, als die Söhne noch Kinder waren, im Publikum eines Hypnotiseurs erlebt. Dieser persönlich verstörte, auf der Bühne aber weit über sich hinaus wachsende Lindemann hat damals den Vater Arthur auf die Bühne geholt und mit seinen Suggestionen wohl den Anstoß für alles Folgende gegeben. Die geradezu lachhaft läppische Verwechslung einer Sekretärin, die den falschen Bruder (nämlich Martin statt Iwan) zum beratenden Krisengespräch bei Erik bittet, sorgt schließlich für eine gewaltsam tragische Verkettung.

Das Geschehen schwankt zwischen extremen Polen, die durch Kern- und Schlüsselsätze markiert werden: Einerseits heißt es, niemand könne irgend etwas Genaues über einen anderen Menschen wissen. Also müsste schrankenlose Freiheit des Denkens und Tuns herrschen. Andererseits heißt es: „Jeder kann jeden dazu bringen, sein Leben zu ändern.“ Ganz so, als wäre man ein Spielball, in eigener Sache vollkommen machtlos, jedem Einfluss ausgesetzt. Ein weiterer Haupt- und Merksatz besagt, „dass jeder Mensch tun muss, was ihn rettet (…)“ Wie in Stein gehauen stehen solche Sentenzen da.

Es waltet der Zufall

Kehlmann stellt die uralte Frage: Haben wir ein fremd- oder vorherbestimmtes Schicksal, oder sind wir in der Lage, unsere Wege selbst zu wählen? Und so steht denn auch das große „F“ nicht nur für Friedland, den Familiennamen der genannten Hauptfiguren, sondern vor allem fürs Fatum, also das Schicksal und Verhängnis. Über einige Seiten hinweg wird der Familienstammbaum der Friedlands rückwärts aufgeblättert und man ahnt, welch eine traurig-absurde Häufung von Zufällen eine Rolle gespielt hat, bis die Heutigen zur Welt kamen. Da fragt sich abermals, was der Einzelne überhaupt vermag.

Doch so konstruiert, wie das vielleicht anmuten mag, ist Kehlmanns Roman keineswegs. Die Handlung wird spannungsreich, ja oft geradezu süffig erzählt, der Auto zieht so manche Register. In den besten Passagen ist es, als erzähle sich das Geschehen von selbst, gleichsam ohne spezielle Urheberschaft.

Perspektivensprünge

Doch natürlich hält Kehlmann die meisten Fäden in der Hand – zuweilen auch als allwissender Erzähler. Ab und zu wechselt er die Perspektiven, springt von der Ich-Erzählung in die Distanz und wieder zurück. Die Wechselhaftigkeit entspricht dem Flirren der Identitäten. So ist Eric im eigenen, unwirklich wattierten Leben nicht zu Hause, Sex und Geld sind ihm gleichermaßen öde und uneigentlich. Derweil maskiert Iwan sein ganzes Dasein als Künstler. Um einen alten Buchtitel von Hans Magnus Enzensberger aufzugreifen, stecken die Figuren just zwischen „Mittelmaß und Wahn“ fest.

Gepriesen sei Kehlmanns Kunstfertigkeit. Der Mann ist drauf und dran, einer der ganz großen deutschsprachigen Schriftsteller zu werden. Die Bühnenshow des Hypnotisieurs – atemberaubend geschildert. Die unstillbaren Glaubenszweifel während des Vollzugs der Liturgie und des Beichtsakraments – herrlich in Szene gesetzt. Und so weiter, bis zum Schluss. Dieser Roman ist einfach gut gemacht und das ist nicht etwa relativierend gemeint, sondern aus vollem Herzen lobend, quasi im angelsächsischen Sinne eines „well made“. Und wer da glaubt, derlei Unterhaltsamkeit müsse auf Kosten des deutschen „Tiefgangs“ gehen, der lese und staune doch selbst!

Daniel Kehlmann: „F“. Roman. Rowohlt. 380 Seiten.




Navigation ins Nirgendwo

Mit diesen obskuren Objekten, die Navigationsgeräte („Navis“) heißen, stehe ich seit jeher auf Kriegsfuß. Im Prinzip ist das ja eine famose Erfindung, die man sich früher gewünscht hätte. Allerdings habe ich damit im Lauf etlicher Jahre fast nur schlechte Erfahrungen gemacht.

Schon mehrere „Montagsgeräte“ haben mir den Nerv geraubt. Die Marke Becker (allenfalls zögerliche Zielfindung) kann ich demnach ebenso wenig empfehlen wie Navigon (seinerzeit unglaublich umständlicher Download von Aktualisierungen, erbärmlicher Support). Reiner Zufall? Bloßes Pech? Inzwischen längst verbessert? Mag sein.

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Doch der Fluch verfolgt mich weiter. Neuerdings ist es ein Apparat von TomTom, der wegen Bildschirmsalat und anschließendem Totalausfall bereits kurz nach dem Erwerb zweimal zur Reparatur eingeschickt werden musste, sodann im Rahmen der Garantie ausgetauscht wurde. Das neue Exemplar bringt nun keinerlei GPS-Empfang zustande, kann also nicht einmal feststellen, wo es sich befindet. Bei der Service-Hotline (wenn man sie denn nach langer Warteschleife erreicht) kenne ich mittlerweile fast alle Stimmen.

Liegt es an der Aura?

Inzwischen suche ich auch nach übersinnlichen Erklärungen fürs Dauerdesaster. Entweder besitze ich eine Aura, welche die Navis von ihrem eigentlichen Tun ablenkt, oder diese Technik ist – unabhängig vom jeweiligen Hersteller – immer noch nicht richtig ausgereift; was Multimilliarden-Geschäfte keineswegs ausschließt.

Eine ins absurde ragende Episode muss noch erzählt werden. Für einen Kurzurlaub ging’s neulich auf die Nordseeinsel Borkum. Vorsichtshalber haben wir nicht nur mein gerade frisch umgetauschtes TomTom-Gerät mitgenommen, sondern auch das Medion-Maschinchen meiner Frau. Doppelt abgesichert, ha! Da konnte ja wohl überhaupt nichts mehr schiefgehen.

Die Affäre mit der Fähre

Doch das erstgenannte Teil konnte just keine Satelliten-Signale empfangen und sich somit gar nicht erst positionieren. Ein Debakel. Also flugs das zweite Gerät angeworfen, das seltsamerweise eine kolossale Fahrtdauer von fast 7 Stunden bis zum Fähranleger in Eemshaven (Holland) vorhersagte. Normal wäre etwa die Hälfte.

Waren da etwa schon Seewege mit einberechnet worden? Egal. Es hätte uns jedenfalls sehr, sehr stutzig machen sollen. Leider haben wir uns trotzdem ohne Kartencheck auf die Wegführung verlassen – und sind geradewegs zum Anleger nach Emden geleitet worden, für den wir freilich keine Fähren-Reservierung hatten. Für eine Umkehr war es schon zu spät.

Kurzum: Wir haben unsere gebuchte Fähre verpasst und konnten in Emden nur noch als Fußgänger mitschippern, was auch schon ein Glücksfall war. Das Auto musste anderntags nachkommen. Während der Umbuchung hieß es bei der Reederei, dass derlei navigatorische Fehlleitungen zum falschen Fährhafen täglich vorkämen. Es war also alles andere als ein Einzelfall.

Suche nach dem Heiligen Gral

Soll ich nun weiter nach der klaglos funktionierenden Navigation suchen wie nach dem Heiligen Gral? Soll ich mich dabei in den Ruin und in den Wahnsinn treiben lassen?

Es empfiehlt sich wohl die reumütige Rückkehr zur guten alten Landkarte nebst Stadtplänen und der Befragung von Passanten via Seitenfenster. Doch wehe, wenn dann einer dämlich zurückfragt: „Haste denn keine Navi?“




Deutschland – Österreich: Die alte Hassliebe – diesmal völlig unaufgeregt

Lange nicht mehr einen solch leidenschaftslosen Fußballabend erlebt wie diesen. Das Resultat beim alten Hassliebe-Duell Deutschland gegen Österreich war mit 3:0 klar wie Kloßbrühe.

Das Münchner Stadionpublikum blieb denn auch vergleichsweise still. Und der ZDF-Kommentator Oliver Schmidt fiel allenfalls durch Zurückhaltung auf. Der Mann versucht gar nicht erst zu glänzen oder aufzutrumpfen. Ob er es im Fall des Falles könnte, lassen wir mal dahingestellt.

Ein Duo zwischen Krampf und Komik

Das Geplänkel vor dem Spiel tue ich mir in der Regel nicht an. Da wird doch meistens enorm viel heiße Luft in den Äther geblasen. Diesmal mussten Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Experte Oliver Kahn (unterstützt von optisch aufgemotzten Einspielfilmchen) rund eine halbe Stunde bis zum ersehnten Anpfiff überbrücken.

ZDF-Fußballexperte Oliver Kahn (Foto: ZDF/Sascha Baumann)

ZDF-Fußballexperte Oliver Kahn (Foto: ZDF/Sascha Baumann)

Dieses Duo wirkt immer ein wenig verkrampft. Während sie die Tendenz hat, leichthin über alles hinwegzutraben, windet und kämpft er sich mühsam zu Meinungen durch, die meist darin gipfeln, dass Oliver Kahn „mehr Aggressivität“ von den Spielern einfordert. Im Zusammenspiel sind die beiden hin und wieder unfreiwillig komisch.

Gerne einer Meinung mit „Jogi“

Ansonsten bestätigt Kahn immer gern die Meinung des Bundestrainers Löw oder rudert sogar eilends zurück, falls er mal nicht mit „Jogi“ übereingestimmt hat. Dass der Ex-Bayer Kahn vor allem im Dortmunder Mats Hummels (der heute auf der Ersatzbank blieb) einen Sündenbock für Defensiv-Defizite ausgemacht hat – geschenkt! Löw hatte Hummels ja nicht aufgestellt, also konnte Kahn quasi nach Herzenslust über den BVB-Spieler herziehen.

Eine Bemerkung zwecks größerer Transparenz: Ja, das sage ich als Dortmunder, aber nicht von ungefähr. Kahns Bayern-Lastigkeit ist ebenso nachvollziehbar wie überprüfbar. An seinem ARD-Pendant Mehmet Scholl (ebenfalls ein Bayer) könnte er sich in jeder Hinsicht ein Beispiel nehmen.

Irgendwann begann das Spiel dann endlich. Es war nicht übel, aber eben auch nicht allzu spannend. Insofern konnte man auch vom Kommentator keine emotionalen Ausbrüche erwarten. Allerdings hätte er in einem Match, in dem die Ellenbogen derart häufig und gesundheitsgefährdend eingesetzt wurden, diese arg rustikale Spielweise thematisieren müssen.

Die altbewährte Namens-Sirene

Stellenweise war man allerdings schon froh, dass das ZDF diesmal nicht den sonst allzeit präsenten Béla Réthy einsetzte, so dass einem dessen oft unsinnige Prosa erspart blieb. Immerhin pflegt Oliver Schmidt eine Marotte, nämlich das unnötig eingeschobene „Ja“. Beispielsatz: „Deutschland und Österreich, zwei Länder, die sich – ja – sehr nahe sind.“ Größere Chancen quittiert er mit der altbewährten Namens-Sirene: „Öziiiiiil…“ Und wenn er auf Bayerisch „dahoam“ (daheim) sagen will, hört sich das an wie verunglücktes Englisch.

Nach dem Spiel lobte Oliver Kahn – na, was wohl – die „Aggression“ der deutschen Mannschaft, aber auch die „Kreativität“. Katrin Müller-Hohenstein rief abermals aus, Miroslav Kloses 68. Länderspieltor sei etwas „für die Geschichtsbücher“. Kann jemand der Frau bitte mal erklären, was wirklich geschichtsträchtig ist?

Zum Ritual eines Länderspielabends gehört es seit jeher, das Statement des Bundestrainers abzuwarten. Doch auch das blieb diesmal ziemlich blass und farblos. Alles in allem: eine Partie, nach der man vollkommen ruhig schlafen kann. Und das ist doch auch etwas!

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„Das TV-Duell“ – und wer war jetzt „besser“?

Du meine Güte, wie hoch ist „Das TV-Duell“ zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück schon seit Wochen eingeschätzt worden! Ganz so, als hinge das Schicksal der Nation davon ab. Zumindest soll der Ausgang der Bundestagswahl am 22. September angeblich wesentlich von dieser Begegnung beeinflusst werden.

Ja, wo sind wir denn? Kann es sein, dass sich die Fernsehleute manchmal gar zu wichtig nehmen und dass andere ihnen dabei auf den Leim gehen? Die Aussicht auf rund 15 Millionen Zuschauer schien nicht nur Günther Jauch zu berauschen, der für die ARD den Countdown vor der eigentlichen Sendung und hernach die Talkshow zum Thema moderierte. „Das TV-Duell“, das praktisch alle Parteien außer CDU und SPD ausblendete, wurde zeitgleich von ARD, ZDF, RTL, Pro 7 und Phoenix übertragen. Die mediale Aufregung ist kaum zu ermessen.

Angela Merkel, Peer Steinbrück. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Angela Merkel, Peer Steinbrück. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Angela Merkel begann ungewohnt nervös

Die Gefahr bei dieser Sendeform ist, dass die Optik am Ende stärker zählt als jedes noch so treffende Argument. Auch täuscht der Eindruck, es handle sich hier um eine Frage des persönlichen Zweikampfs, über den wahren Sachverhalt demokratischer Wahlen hinweg. Naja, geschenkt. In die körpersprachliche Analyse wollen wir hier nicht einsteigen. Das überlassen wir anderen.

Aber lassen wir uns mal versuchsweise auf die Vorgaben ein. Wer war denn jetzt „besser“? Nun, das wird jede Zuschauerin und jeder Zuschauer für sich entscheiden wollen. Tatsache ist, dass Frau Merkel anfangs ungewohnt nervös wirkte und sich einige Male sprachlich verhaspelte. Eigentlich kein Wunder, bei diesem immensen Druck. Doch in dieser Hinsicht fing sie sich schon bald – und erst recht im Laufe der 90 Minuten. Mehrfach fiel auf, dass sie keinerlei kritische Gegen- und Zwischenfragen zulassen mochte, sondern stets geradewegs und manchmal beinahe blindlings darüber hinweg redete. Zudem verfiel sie wieder vielfach in den Tonfall des begütigenden Einlullens.

Peer Steinbrücks trockener Humor

Ihre hauptsächliche Verteidigungslinie bestand praktisch durchweg darin, dass sie mahnte, Deutschland nicht schlecht zu reden. Vieles habe ihre Regierung getan, doch vieles sei auch noch zu tun. Es war, als wollte sie anfügen: Alles wird gut. Nun lasst uns doch bitte in Ruhe weitermachen. War das nicht hin und wieder ein wenig dürftig?

Peer Steinbrück gab sich naturgemäß etwas angriffslustiger: Der Stillstand unter der Regierung Merkel müsse endlich aufhören. Hie und da klang Steinbrück auch etwas belehrend. Allerdings wirkte er – für meine Begriffe – wirtschaftlich kompetenter und zeigte sich in mancher Detailfrage besser im Bilde. Insgesamt hatte er einen recht guten Abend und lief phasenweise sogar zu einer Art Hochform auf.

Ob freilich seine Wesensart beim Wahlvolk ankommt, ist eine ganz andere Frage. Sein trockener Hanseaten-Humor ist nicht unbedingt mehrheitsfähig. Und bei der Frage, ob Politiker genug verdienen, kam er denn wider Willen doch ins Schwimmen, indem er strikt jede Aussage zum Thema verweigerte. So geht’s ja nun auch nicht. Man möchte lieber nicht wissen, wie viele Zuschauer an der Stelle bitter aufgelacht haben.

Stefan Raab fügte sich ins Ritual ein

Angela Merkel ließ sogar eine veritable Nachricht vom Stapel. Sie sagte, mit ihr werde es (entgegen dem Druck der Seehofer-CSU) keine Pkw-Maut geben. So klar hat sie das bisher noch nie gemacht. Erbärmlich hingegen ihre spürbaren Wissensdefizite beim Thema NSA-Spionage und Datenschutz. Lesen US-Geheimdienste etwa deutsche E-Mails mit? Merkels Einlassung: „Es kann sein…“

Die Fragestelleri(innen) - von links: Peter Kloeppel, Maybrit Illner, Anne Will und Stefan Raab. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Die Fragesteller(innen) – von links: Peter Kloeppel, Maybrit Illner, Anne Will und Stefan Raab. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Und wie waren die TV-Leute? Die vorab heiß diskutierte Personalie, dass der zuweilen rustikale Entertainer Stefan Raab als Fragesteller für Pro 7 antrat, erwies sich zu 99 Prozent als harmlos. Er fügte sich weitgehend ins Ritual und ins übrigens allzu enge Korsett aus Proporz und Sekundenmessung. Lediglich in der Gestik gab er sich ein wenig anders. Seine Fans werden das nicht sonderlich cool gefunden haben. Aber was soll’s.

Die Deutungshoheit der Fußballspieler

Ansonsten darf man dankbar sein, dass der selbstgefällige Frank Plasberg n i c h t zum Team zählte, sondern die derzeit besten Talkerinnen Maybrit Illner (ZDF) und Anne Will (ARD) zum Zuge kamen, die ihre Sache insgesamt nicht schlecht machten. Peter Kloeppel von RTL fiel demgegenüber ab. Seine Frage an Angela Merkel, ob ihr Peer Steinbrück nicht leid tue, war sogar richtig daneben. Um das Mindeste zu sagen.

Und jetzt muss noch jemand erklären, warum ARD und ZDF in ihren anschließenden Diskussionsrunden mit Paul Breitner und Christoph Metzelder jeweils einen Fußballspieler aufgeboten haben. Haben Kicker jetzt einen Teil der politischen Deutungshoheit an sich gezogen oder sollte es ein populistisches Zugeständnis sein?

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Das Begehren in den Zeiten der Krise – Uwe Timms Roman „Vogelweide“

Auf der deutschen Nordsee-Insel Scharhörn lebt nur ein einziger Mensch, nämlich ein Vogelwart. Genau auf diesen Außenposten hat sich Eschenbach zurückgezogen, die männliche Hauptfigur in Uwe Timms neuem Roman „Vogelweide“. Von hier aus wird weitschweifig rückblickend erzählt.

Durch wirtschaftliche Wechselfälle hat der Mittfünfziger Eschenbach ein paar Jahre zuvor seine einst gut gehende Berliner Softwarefirma verloren, in der man alle denkbaren Abläufe hat beschleunigen und optimieren wollen. Das Ende einer solchen Unternehmung ist schon per se vielsagend. Da platzt sozusagen eine neoliberale Blase, wenn nicht gleich eine ganze Weltanschauung.

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Die Krise vertieft sich ins Existenzielle, als Eschenbach (von Haus aus eigentlich Theologe!) seine große Leidenschaft verliert. Jene Kunstlehrerin Anna war zuvor mit dem Architekten Ewald liiert, Eschenbach selbst mit der Silberschmiedin Selma. Man traf sich zu viert. Beide Paare lebten in gutsituierter Zufriedenheit, ja Sättigung. Als erst einmal das maßlose, unabweisbare Begehren entfacht war, konnten Eschenbach und Anna für eine Zeit nicht mehr voneinander lassen – bis Annas Schuldgefühle als Ehefrau und Mutter überwogen. Schnitt.

Wenn man diese Vorgaben hintereinander liest, so hört sich das ebenso altbekannt wie angestrengt ausgedacht an, wie aus dem Baukasten gefügt. Gar zu umständlich, durchreflektiert und druckreif gezurrt klingen denn auch manche Dialogpassagen in diesem Buch, dessen Autor sich immer wieder kleine Abschweifungen gestattet, als sei er zwischendurch das lineare Erzählen leid. Insgesamt ist dies aber ein konventionell konstruierter Roman.

Geld weg, Job weg, Frau weg. Der alte Blues. Sodann die Flucht von Berlin auf die einsamste deutsche Insel: der alte Mann und das Meer. Auch sinnreiche Lebensentwürfe für ein würdiges Alter (Eschenbachs linksgerichtete Eltern sind in einen Alten-WG gezogen) bilden einen Themenstrang des Romans. Man muss ja nicht gerade als Hippie-Veteran enden.

Im Kern geht es darum, das schiere Begehren gegen alle Berechnungen zu bewahren. So will eine Meinungsforscherin (seltsam herbeigezerrte Persiflage auf die Altvordere Elisabeth Noelle-Neumann) den Software-Fachmann Eschenbach gewinnen, um im Sinne von Internet-Partnerbörsen die Glückschancen algorithmisch auszuloten. Alsbald steigt er aus dem Projekt aus. Überhaupt hat er begonnen, zielgerichtete Planungen zu verabscheuen, die nach seinem Empfinden doch eines Tages im Chaos enden werden. Und also ist vieles im Schwinden begriffen. Von Sprachverlusten ist vielfach die Rede, von bedrohten Völkern und Idiomen. Und überhaupt. Was hat Bestand?

Nun also das karge Eremitendasein auf Scharhörn. Ringsum die rauhe Meeresnatur. Abstand von allem. Inventur. Die Menschen seines Lebens spuken manchmal nachts durchs Eschenbachs Kopf und Kammer. Am Schluss des Romans darf ihn ausnahmsweise Anna noch einmal über Nacht besuchen, die ansonsten längst als Galeristin in Kalifornien lebt. Es wird ein betrüblicher Abschied, für immer.

Wir haben es hier übrigens mit anspielungsreichen Namen zu tun. Eschenbach erinnert – besonders im Hinblick auf dem Titel des Romans – an den mittelhochdeutschen „Parzival“-Dichter Wolfram von Eschenbach. Und der Name „Vogelweide“ führt uns vollends in die Zeiten der Minne. Weit weg jedenfalls aus unserer formlos rasenden, leerlaufenden Zeit.

Uwe Timm: „Vogelweide“. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 336 Seiten. 19,99 €.




Neues von der „Generation Farbbeutel“

Zunächst wollte ich Anfang Juli ja selbst am so genannten „Holi Festival of Colours“ im Dortmunder Fredenbaumpark teilnehmen. Warum sollte man’s nicht mal ein bisschen bunter treiben? Doch dann habe ich zwischendurch nicht mehr dran gedacht. Plötzlich war die Chose bereits ausverkauft. Und als ich erfuhr, wie hoch die Eintrittspreise waren, habe ich eh gern verzichtet.

Kurz darauf gab’s im Internet einen Film vom „Event“, von dem ich vorher gar keine rechte Vorstellung hatte. Viele Leute auf einer großen Wiese, es erschallten teils meditative, teils aber auch nervtötend technoide Klänge. Zwischendurch ließen sich die Menschen nur gar zu gern mit Farbpulver bewerfen oder besorgten dies selbst – bis alle halt über und über knallbunt waren. Vorwiegend hochsommerlich leicht bekleidet, hie und da halbwegs verzückt tanzend.

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Nun ja. Eine relativ neue Spielart des üblichen Weekend-Hedonismus eben, von dem man dann wochentags zehrt. Man hat einmal wieder seinen Körper gespürt, was im Büro ja nicht so gut geht. Noch dazu mag man sich einbilden wollen, an einer alten indischen Tradition geschnuppert zu haben. Ungemein sinnlich war es natürlich auch noch. Und irgendwie spirituell. Oder wenigstens tauglich als Fotomotiv.

Es gab Zeiten, das hätte man sich in derlei Fällen um die Reinigungskosten gestritten, aber bitte: Wer sich von Kopf bis Fuß freiwillig bepudern lassen will, soll sich eben bepudern lassen. Die Generation Farbbeutel wird schon wissen, was sie tut.

Wer das Ganze aber ziemlich infantil findet, der darf das auch. Fröhliche Fingerfarbenmalerei in der Kindertagesstätte scheint mir ungleich fruchtbringender zu sein als die hippen Farborgien der nahezu Erwachsenen. Aber ich kann da nicht so richtig mitreden. Ich habe ja auch früher nie das Bedürfnis verspürt, gemeinsam mit Hunderten in einem Schaumteppich zu versinken.

Nun lese ich, dass Weglaufen auch nicht mehr gilt. Im Gegenteil: „Jetzt wird Laufen bunt“, verspricht der Veranstalter, der erstmals die in den USA erfundenen „Color Runs“ (Trademark!) nach Deutschland bringt und damit am 25. August im Dortmunder Westfalenpark gastiert, wie denn überhaupt Dortmund zu den Hochburgen der Farbenfeste zu zählen scheint. Die Einzelläufer oder Teams, die sich dazu angemeldet haben, erhalten weiße T-Shirts samt Farbbeuteln und dürfen sich in den „Color Zones“ der 5 Kilometer langen Strecke von freiwilligen Helfern mit Farbpulver bewerfen lassen. Im Ziel wird kräftig gefeiert. Was denn auch sonst?

Ach so, ja: Viel Spaß dabei!




„Deutschlands neue Slums“: TV-Reportage über das Elend in Dortmund und Bulgarien

„Deutschlands neue Slums“ hieß die gerade mal halbstündige Reportage im ARD-Programm. Da wird es ja wohl weitläufig von Ost nach West und von Nord nach Süd gegangen sein? Weit gefehlt! Das WDR-Team um „Monitor“-Redakteurin Isabel Schayani und Autor Esat Mogul machte einzig und allein in der Dortmunder Nordstadt Station, um zu zeigen, wie vor allem Bulgaren und Rumänen unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen.

Mag sein, dass diese Betrachtungsweise etwas einseitig gewichtet war. Doch die Empörung in der verbliebenen Dortmunder Tageszeitung ist höchstens im Ansatz berechtigt. Das Image der Stadt und der Stadtverwaltung, die inzwischen immerhin gelegentlich an Brennpunkten eingreift, ist angesichts der unbestreitbar desolaten Gesamtlage nur zweitrangig. Wenn ab 1. Januar 2014 die komplette Freizügigkeit zwischen Deutschland, Bulgarien und Rumänien herrscht, werden sich solche Probleme wohl in einigen Großstädten enorm verschärfen.

Bulgaren in der Dortmunder Nordstadt - auf der Suche nach einem Quartier für die Nacht. (Bild: © WDR)

Bulgaren in der Dortmunder Nordstadt – auf der Suche nach einem Quartier für die Nacht. (Bild: © WDR)

Für exorbitante Beträge, die auf dem örtlichen „Arbeiterstrich“ erst einmal wieder hereingeholt sein wollen, werden in etlichen Dortmunder Nordstadt-Häusern bloße Matratzenlager, manchmal gar nur Pappunterlagen in maroden und völlig verdreckten Häusern als Schlafplätze an Armutsflüchtlinge vermietet. Derweil nehmen die offiziellen Notunterkünfte, so hat es den Anschein, auch bei bitterer Winterkälte keine Menschen aus Bulgarien oder Rumänien auf. Den Rest regelt der wildwüchsige, private Markt „ganz unten“. Für eine schlichte 50-Quadratmeter-Wohnung, hoffnungslos überbelegt mit 8 Menschen, lassen sich so monatlich 1600 (!) Euro Miete erzielen. Normal wären etwa 330 Euro.

Es drängt sich die Frage auf, wer an solchen Verhältnissen verdient. Diese Fährte wurde in der Reportage aufgenommen, die an manchen Stellen Empathie und Betroffenheit erkennen ließ. Die Fernsehleute stießen an allen Ecken und Enden immer wieder auf einen türkischen Mann mit Goldkettchen, der wie ein gewiefter „Pate“, Patriarch oder Schutzherr der Nordstadt erschien, aber natürlich jegliche ungute Absicht weit von sich wies. Fragt man ihn selbst, so hilft er, wo er nur kann…

Wie schlimm das Elend ist, das die Menschen trotz aller Widrigkeiten nach Deutschland und Dortmund treibt, erwies sich bei einer Fahrt nach Stolipinowo (Bulgarien). Rund 3000 Leute aus diesem Ort, so hieß es, lebten zumindest zeitweise in Dortmund. Wenn man da überhaupt von „Leben“ sprechen kann. Jedenfalls ist es kaum zu fassen, welche wahrhaftigen Slums in dem EU-Mitgliedsland Bulgarien wuchern. Vor allem Roma vegetieren dort unter Bedingungen, wie man sie nur in der „Dritten Welt“ vermutet hätte. Da erscheinen selbst die übelsten Häuser der Dortmunder Nordstadt als Linderung des Elends. Übrigens war jener besagte „Schutzherr“ auch in Stolipinowo anzutreffen – rein zufällig auf Besuch bei Freunden.

Die Suche nach womöglich mitverantwortlichen Nordstadt-Hausbesitzern führte auf verschlungenen Wegen zu dänischen Investoren, die ebenso wenig preisgeben wollten wie Schalke-Präsident Clemens Tönnies, in dessen gigantischer Fleischfabrik zu Rheda-Wiedenbrück zahlreiche Kolonnen aus Bulgarien und Rumänien auf der Basis von Werkverträgen schuften – allerdings keine Roma, die kommen nicht einmal an solche Jobs heran. Wohl kaum ein deutscher Arbeitnehmer würde mit den Schweinezerlegern tauschen wollen. Akkord-Arbeitszeiten zwischen 12 und 15 Stunden seien vielfach die Regel, hieß es in der TV-Reportage. Auch das wird natürlich offiziell bestritten. Tatsache ist, dass die deutsche Wirtschaft in Bulgarien und Rumänien von neuen Absatzmärkten profitiert und dort billige Arbeitskräfte rekrutieren kann.

Eine halbe Stunde war für das komplexe Geflecht bei weitem zu wenig, vieles konnte nur knapp angerissen werden. Insofern kann man nachvollziehen, dass nicht noch in weiteren deutschen Städten gedreht worden ist. Dennoch: Vielleicht hätte sich dann das Bild noch etwas differenziert und mehr Tiefenschärfe gewonnen. Das Thema muss jedenfalls gründlich weiter verfolgt werden.




So macht Lernen Freude: Mit Jürgen Becker kreuz und quer durch die Kunstgeschichte

Solch einen Lehrer hätte man sicherlich gern gehabt: Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker verabreicht selbst schwierige Lektionen auf eine Weise, dass man unentwegt lacht – und gar nicht merkt, dass man unterwegs eine Menge gelernt hat; so auch in seinem Programm „Der Künstler ist anwesend“, das jetzt noch einmal bei 3Sat zu sehen war.

Es handelt sich um einen höchst unterhaltsamen Streifzug durch die Kunstgeschichte, der von der vorzeitlichen Höhlenmalerei in Lascaux bis zu Joseph Beuys führt. Am allerliebsten hält sich Jürgen Becker bei den Passagen auf, in die das Religiöse hineinspielt, denn da ist er wahrlich Fachmann.

Mal züchtig und mal splitternackt

Es kommt keine Minute Langeweile auf. Das Spektrum der 90-minüten Vortrags ist ungemein breit, es reicht von den Lackaffen, die man bei Galerie-Vernissagen antreffen kann, über Beziehungen zwischen ägyptischer, griechischer und altrömischer Kunst, bis hin zu Gerhard Richters umstrittenen Kirchenfenstern für den Kölner Dom.

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Streifzug durch die Kunsthistorie: Kabarettist Jürgen Becker (© WDR/ZDF/Annika Fußwinkel)

Der vergnügliche Parforceritt führt kreuz und quer durch alle weiteren Epochen und Wechselfälle. Eine Leitlinie gibt zum Beispiel die Frage vor, wann sich die Kunst züchtig verhüllte und wann sie in Nacktheit schwelgte. Wie Becker etwas vom Wesenskern der Gotik oder des Barock in wenigen markanten Sätzen skizziert, das ist jedenfalls aller Ehren wert.

Keine Angst vor Kalauern

Ganz wie die großen Künstler oft das Höchste und das Alltäglichste erhellend kontrastiert haben, so lässt auch Becker gern die Luft aus allem allzu Aufgeblasenen und Erhabenen heraus, wobei er den einen oder anderen Kalauer keineswegs scheut. Lassen sich Bezüge zwischen hehrer Hochkultur und – zum Beispiel – den rheinischen Institutionen Karneval, „De Höhner“, Trude Herr oder dem 1. FC Köln herstellen, so wird nicht lange gefackelt. Nicht jeder Wortwitz ist subtil, doch einem wie Becker kann man kleine Fehlgriffe nicht krumm nehmen.

Jürgen Becker zählt als Kabarettist keineswegs zu den „harten Hunden“ der unerbittlichen Fundamentalkritik. Gerne lässt er fünfe gerade sein und auch schon mal menschliche Milde walten. Doch gar manche seiner Spitzen treffen sanft, aber wirksam ins Mark.

Die Wahrheit über die röhrenden Hirsche

Immer wieder schwenkt die Kamera der WDR-Produktion ins Publikum. Da sieht man nicht nur köstlich amüsierte Mienen, sondern auch Leute, die Becker geradezu atemlos wissbegierig folgen. Kein Wunder, erklärt er doch beispielsweise endlich einmal, was die millionenfach reproduzierten Bilder von röhrenden Hirschen wirklich zu bedeuten haben (es hat, ganz vornehm gesprochen, mit Arterhaltung zu tun).

Inzwischen ist die Szene längst höchst unübersichtlich geworden. Wer sagt uns denn, dass der Feuerlöscher an der Museumswand nicht auch wieder ein Kunstwerk sein soll? Doch ganz zum Schluss löst Jürgen Becker auf kölsche Weise sogar die knifflige Frage, was denn eigentlich Kunst sei. In der Stadt mit der weltgrößten Kunstspedition namens Hasenkamp kann die Antwort wohl nur so lauten: „Kunst ist alles, was von Hasenkamp transportiert wird…“

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Viel Porto fürs Schneckentempo: Wie die Deutsche Post Bücher befördert

Immer nur auf der Deutschen Bahn herumzuhacken, das ist doch öde. Zwischendurch muss man auch mal auf die Telekom oder auf die Deutsche Post einsticheln. Wohlan denn!

Da habe ich doch vorhin eine Büchersendung zum Postamt gebracht. Aufregend, nicht wahr? Was ich freilich bisher nicht gewusst habe: Wenn man auf die Büchersendung auch „Büchersendung“ draufschreibt (Voraussetzung: Sie muss dann mit einem schnellen Griff zu öffnen sein – Gibt’s da etwa Stichproben auf den Inhalt?) und redlich sein ermäßigtes Porto bezahlt, verwirkt man damit die Aussicht auf normale Beförderung.

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Vollends abstrus wird der Vorgang, weil – wie man mir am Schalter erläuterte – der Postbote am Zielort die Sachen herausfischt, die mit ermäßigtem Porto versehen sind, um sie für den nächsten oder übernächsten Tag beiseite zu legen.

Das heißt, der Zusteller macht sich eigens Sortierarbeit, um hernach etwas n i c h t gleich weiterzubefördern. Nach dem Verständnis der Post (offiziell ein Dax-Unternehmen, im Wesenskern noch immer eine Behörde) handelt es sich bei Büchersendungen quasi um unterbezahlte Fracht. Die wird nur dann einigermaßen zügig zugestellt, wenn im Bezirk sonst nicht viel anliegt.

Aus dem Tagebuch einer Schnecke: Während sich die Post seit Jahr und Tag viel auf ihre Formel „E plus 1“ (Sendung soll einen Tag nach Einlieferung am Bestimmungsort ausgehändigt werden) zugutehält, können solche Büchersendungen in Deutschland bis zu vier (!) Werktage unterwegs sein oder genauer gesagt: vor allem herumliegen.

So ist das also, wenn die Post einem die Gnade einer Ermäßigung gewährt. Dann signalisiert sie einem: Du verschickst ja nur Bücher. Ist doch zweitrangig, wann die ankommen.

Nachtrag am 27. August 2013 / Helvetische Episode

Als ich die vorherigen Absätze geschrieben habe, wusste ich noch gar nicht, was wirklich teuer und langwierig ist.

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Heute habe ich ein Buch in die Schweiz versendet. Die Adressatin hatte per Überweisung 10 Euro fürs Porto vorgelegt, was ich überreichlich fand. Bei der Post wurde ich eines Schlechteren belehrt. Dort wollte man mir für das knapp über 1 Kilogramm schwere Päckchen 15,90 Euro (!) abknöpfen. Nach langem Hin und Her schlugen sie in ihren Bestimmungen nach und boten an, eine internationale Büchersendung für 11 Euro auf den Weg zu bringen – allerdings wiederum mit der Maßgabe, dass dies ja eigentlich „unterbezahlt“ sei und daher eventuell langsamer ausgeliefert werde.

Und jetzt ratet, wie lange eine solche Sendung ins Nachbarland Schweiz unterwegs sein kann. 3 Tage? 5 Tage? 7 Tage? 10 Tage?

Alles falsch. Bis zu 14 Tage! Und dafür wollen sie 11 Euro haben.

Halten zu Gnaden, aber: Die spinnen, die Postler!




Angela Merkel im ZDF-Porträt: Fast perfekte Machtstrategie – mit einem Schwachpunkt

„Wenn man sie unterschätzt, hat man verloren“, sagt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) über Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Wahrheit dieses Satzes haben schon manche erfahren müssen, vor allem etliche Parteifreunde aus der CDU.

Und so lautete denn auch eine Prognose im Merkel-Porträt des ZDF, dass die CDU am Boden liegen dürfte, wenn diese Kanzlerin irgendwann aus ihrem Amt scheidet. Die geradezu beängstigenden personellen Verluste in den eigenen Reihen, die Merkels Weg nun einmal pflastern, sind offenkundig eine Schwäche ihres ansonsten perfekten Machtsystems. Apropos: Dass Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch sich nur zu nichtssagenden Aussagen durchringen mochte, ist doppelt schade. Er hätte uns verraten können, wie sich eine Niederlage gegen Merkel anfühlt. Aber er wird schon wissen, warum er sich so zurückhält.

Das Kanzleramt als Trutzburg

Man kann sich derzeit kaum vorstellen, dass jemand im Duell um die Kanzlerschaft gegen Merkel eine nennenswerte Chance hat. Der Kanzleramtsbau wirkte in der Darstellung von „Macht Mensch Merkel“ wie eine Trutzburg, an der alles abprallt oder abgleitet. Aus jeder Krise scheint die Amtsinhaberin unbeschadet oder gar gestärkt hervorzugehen.

Angela Merkel Ende Mai 2013 bei einem Staatsbesuch. (© ZDF/Regina Schmeken)

Angela Merkel Ende Mai 2013 bei einem Staatsbesuch. (© ZDF/Regina Schmeken)

Ganz gleich, ob holprige Energiewende, Griechenland- und Euro-Desaster oder ausufernde Bespitzelung durch US-Geheimdienste, Frau Merkel scheint noch stets einen Ausweg zu finden; notfalls, indem sie einfach ihre Worte hütet. Das mehrt ihren Nimbus. Ihr Machtinstinkt ist phänomenal, mit ihrer „Strategie des Kümmerns“ (so eine Leitformel des Films von Bettina Schausten und Mathis Feldhoff) umschifft sie anscheinend alle Klippen. Dass sie vielen Südeuropäern verhasst ist, spielt für unsere Wahlen keine Rolle.

Selbst Gysi wird nicht giftig

Man hatte insgesamt den Eindruck, dass dieser Beitrag der Kanzlerin weniger ans Leder wollte (und konnte), als vor Wochenfrist das Steinbrück-Porträt am gleichen Programmplatz. Übrigens: Während Steinbrücks Frau Gertrud recht ausgiebig zu Wort kam, glänzte Merkels Ehemann Joachim Sauer im ZDF-Film durch totale Abwesenheit. Und noch eine Abschweifung: Sowohl Merkel als auch Steinbrück sind in Hamburg geboren. Da kann man fast vom Hanseaten-Duell sprechen. Fast.

Alles in allem herrschte der oft etwas langweilige, allseits ausgewogene und abgezirkelte Proporz. Beide Sendungen waren selbstverständlich gleich lang und ungefähr nach dem gleichen Muster gestrickt. Maßvoll kritische Stimmen wurden jeweils nach dem Goldwaagen-Prinzip eingestreut. Selbst Linksaußen Gregor Gysi sprach nicht etwa giftig, sondern eher augenzwinkernd über Angela Merkel. War’s etwa ein heimlicher Solidarpakt Ost?

Überhaupt wurde hier der weithin bekannte Stand der Dinge recht solide zusammengefasst, doch erfuhr man beileibe nichts Neues. Es sei denn, man betrachte die Einschätzung eines Physikers, die einstige Fachkollegin Merkel zeichne sich durch kleine Schritte, pragmatisches Vorgehen und Geduld aus, als entscheidenden Durchbruch in der Merkologie.

„Alles gemanagt, nichts gestaltet“

CDU-Mann Jörg Schönbohm brachte Merkels Regentschaft immerhin auf einen plausibel klingenden Begriff. Es werde offenbar „alles gemanagt, aber nichts mehr gestaltet“. Merkels letzte verbliebene Rivalin, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), ist unterdessen klug genug, sich einstweilen vollkommen loyal zu geben. Wer weiß, vielleicht erleben wir es eines Tages, dass sie gegen Hannelore Kraft (SPD) antritt und es somit zur reinen Kanzlerinnen-Wahl kommt.

So bleibt als schmale „Erkenntnis“ vor allem haften, dass Angela Merkel sich mit den Jahren verändert habe. Mittlerweile beherrsche sie, anders als früher, auch den Bierzelt-Wahlkampf zur Blasmusik. Andererseits sei sie mit den Jahren auch härter geworden, hieß es. Mit anderen Worten: Nichts Genaues weiß man nicht. Und genau darin liegt wohl eine ihrer größten Stärken. Die Undurchsichtigkeit kommt ihr zupass.




TV-Nostalgie (4): „Raumpatrouille“ – Als „Orion“ in die märchenhafte Zukunft schwebte

So hat man sich vor 47 Jahren die Zukunft vorgestellt: Die Menschen leben in einer keimfreien Unterwasserwelt. Das Mobiliar sieht poppig und furchtbar avantgardistisch aus. Leute in Einheitskluft vollführen schon mal seltsam roboterhafte Tänze. Vor allem aber brechen sie tagtäglich in die unendlichen Weiten fremder Galaxien auf.

Willkommen bei der „Raumpatrouille“, der legendären Science-Fiction-Spielserie aus den 1960er Jahren! Willkommen an Bord des Raumschiffs „Orion“!

Der „alte Adam“ ist noch lebendig

Als „Märchen von übermorgen“ wird das Ganze schon im Vorspann der einstündigen Auftaktfolge bezeichnet, die ich mir jetzt noch einmal angesehen habe. Unter den Erdbewohnern herrscht Frieden, es gibt keine Nationalstaaten mehr. Doch der blaue Planet muss sich unentwegt gegen extraterrestrische Angreifer wehren – allen voran die geheimnisvoll glitzernden, ungreifbaren „Frogs“, gegen die auch Laserpistolen nichts ausrichten können. Trotzdem sind sie an einem Punkt verwundbar…

Dietmar Schönherr, Wolfgang Völz und Eva Pflug in der Auftaktfolge von "Raumpatrouille". (Screenshot von http://www.youtube.com/watch?v=FGcIy76N9sY)

Dietmar Schönherr, Wolfgang Völz und Eva Pflug in der Auftaktfolge von „Raumpatrouille“. (Screenshot von http://www.youtube.com/watch?v=FGcIy76N9sY)

Auch der „alte Adam“ ist in dieser fernen Zukunft noch lebendig. Es gibt immer noch Hierarchien und Intrigen, aber auch Teamgeist und Freundschaft. Und es gibt immer noch diese uranfängliche, zuweilen etwas komplizierte Sache zwischen Männern und Frauen.

Dietmar Schönherr als smarter Kommandant

Im Zentrum der am 17. September 1966 gestarteten, siebenteiligen ARD-Reihe schwebt natürlich das Raumschiff „Orion“ unter dem Kommando des smarten Allister McLane (Dietmar Schönherr). Weil der oft allzu husarenhaft und eigenmächtig vorgegangen ist, degradieren ihn die Chefs für eine Bewährungsfrist von drei Jahren. Auch stellen sie ihm als Aufpasserin die rigide Sicherheitsoffizierin Tamara Jagellovsk (Eva Pflug) zur Seite, was der eingeschworenen „Orion“-Besatzung gar nicht in den Kram passt. Ein Hauptstrang der Serie schildert denn auch gruppendynamische Prozesse.

Der „Kalte Krieg“ und die Verweigerung

Man beachte den russisch klingenden Namen Jagellovsk und stelle sich vor, dass das alles mitten im Kalten Krieg (und vor der ersten Mondlandung) gesendet wird. Da ist es schon eine kleine Sensation, dass jene Tamara gelegentlich menschliche Seiten durchschimmern und mit sich reden lässt. Das Dauerthema Gehorsams-Verweigerung deutet, wenn man so will und genau hinhört, schon zaghaft auf die Rebellion von 1968 voraus. Jedenfalls ist es sozusagen sternenweit entfernt vom „Kadavergehorsam“ im Zweiten Weltkrieg, der damals gerade erst 21 Jahre zurücklag.

So erlesen auch das Darsteller-Ensemble war (außer Schönherr und Pflug u. a. Wolfgang Völz, Benno Sterzenbach, Friedrich Joloff usw.), wurde es doch beinahe in den Schatten gestellt, nämlich von den ungemein kreativ ausgeklügelten Spezialeffekten, die mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt wurden. Computer im heutigen Sinne gab es halt noch nicht. Aber Phantasie und Tüftlergeist waren reichlich vorhanden!

Spezialeffekte mit Reis, Rasierklinge und Bügeleisen

So wurde ein interstellarer Lichtsturm mit Hilfe hochgeworfener Reiskörner erzeugt. Kosmische Strahlen? Die ritzte man mühsam in die einzelnen Filmbilder ein – per Handarbeit mit einer gewöhnlichen Rasierklinge. Berühmtheit erlangte das Bügeleisen, aus dem im Handumdrehen ein Bestandteil der futuristischen Raumschiff-Armaturen wurde. Oft halfen bewusst unscharf aufgenommene Bilder, viele aufgeregt blinkende Glühbirnchen oder wallende Nebelschwaden, um den galaktischen Budenzauber zu inszenieren. Und dabei haben wir noch gar nicht die futuristische Geräuschkulisse mit ihren bizarren Halleffekten erwähnt.

Es wurde spannend erzählt, doch keineswegs ohne Humor und einen Schuss Selbstironie. Der technische Jargon wurde bis zur Parodiereife ausgereizt, menschliche Schwächen geradezu wonnewoll ausgekostet. Trotz tollster Raumfahrttechnik lebten die uralten Instinkte aus Verfolgungsjagden in Dialogen dieser Art fort: „Sie kommen!“ – „Nichts wie weg hier!“ So ähnlich muss sich das schon in der Steinzeit angehört haben.

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Warum das 100-Meter-Finale der Männer keinen richtigen Spaß mehr macht

Ach nein, es macht keinen richtigen Spaß mehr. Nicht so wie früher, als man an wirkliche Leistungen, an den Lohn für Talent und Trainingsfleiß geglaubt hat. Ich spreche vom 100-Meter-Finale der Herren, das heute die Leichtathletik-WM in Moskau krönen sollte. Doch vor einem bestenfalls halb ausverkauften Stadion erlebte man eine sehr gedämpfte Show.

Der Jamaikaner Usain Bolt, der den Endlauf in 9,77 Sekunden (bei Regen und Gegenwind) geradezu selbstverständlich gewann, wirkte für seine Verhältnisse sehr zurückgenommen. Seine berühmte, himmelwärts gerichtete Bogenschützen-Geste vollführte er nur noch wie eine Pflichtübung. Auch ihm selbst scheint die einst unbeschwerte Freude abhanden gekommen zu sein.

Eiertanz des ZDF-Kommentators

Für den ZDF-Kommentator Peter Leissl geriet das Ganze zu einem verbalen Eiertanz. Einerseits will man das Ereignis, das man da (für viel Gebührengeld) überträgt, möglichst nicht kleinreden. Andererseits kommt man nicht umhin, über den Doping-Verdacht zu reden, der mittlerweile fast über allen Disziplinen schwebt und die Wettbewerbe schleichend (oder auch rasend) vergiftet.

Der vorher zum Showdown „Einer gegen alle“ hochgejubelte Lauf erwies sich – im Schatten des allgegenwärtigen Verdachts – als ziemlich glanzlos. Ein Merksatz hieß „Bolt gehen die Gegner aus“, denn einige, die ihm bislang nahezu das Wasser reichen konnten, sind in letzter Zeit wegen Dopings disqualifiziert worden. Außerdem gibt es ja neuerdings noch jene Studie, die den Argwohn auch auf frühere Zeiten, andere Sportarten und Recken vieler Nationen ausweitet. Es ist schon niederdrückend.

Ein Rennen, das keiner gewinnen kann

Reporter Peter Leissl etikettierte die Veranstaltung denn auch als „Rennen um Glaubwürdigkeit“, das eigentlich nicht zu gewinnen sei. Wie denn auch? Laufen sie zu langsam, geraten alte Spitzenleistungen unter Verdacht, laufen sie zu schnell, misstraut man ihnen hier und jetzt umso mehr.

Norbert König, der altgediente (und meist servile) Interviewer am Rande der Laufbahn, traute sich erst gar nicht, im gehetzten Kurzdialog mit Bolt das leidige Thema anzusprechen. Denkbar auch, dass Bolt sich solche Fragen vorab verbeten hatte. Sonst wäre er vielleicht nicht zum ZDF-Mann gekommen. Vielleicht ist er ja auch einfach genetisch im Vorteil…

Was darf man noch für bare Münze nehmen?

Früher habe ich schon mal ganze Nachmittage lang Leichtathletik im Fernsehen verfolgt. Doch diese Zeiten sind vorbei. Bei Licht betrachtet, gibt es reichlich Leerlauf zwischen den einzelnen Auftritten, die meist nur mit Zusammenschnitten überbrückt werden. Es mag sein, dass man unduldsamer geworden ist. Vor allem aber weiß man nie, ob man das, was man da sieht, überhaupt noch für bare Münze nehmen kann.

Ach ja, richtig: Der Zehnkämpfer Michael Schrader hat übrigens Silber im Zehnkampf geholt, es war die erste Medaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband in Moskau. Also bitte, nun freuen wir uns mal. Ganz verhalten.




Endlich wieder Bundesliga! – Doch der ARD mangelt es an Spielpraxis

Endlich rollt der Ball wieder. Die 51. Bundesliga-Saison ist eröffnet. Manche(r) wird seufzen, andere werden frohlocken. Jedenfalls war – selten genug – die ARD mal wieder mit einer Live-Übertragung der Liga an der Reihe. Wenn man so selten zum Zuge kommt, kann sozusagen keine richtige Spielpraxis entstehen.

ARD-Kommentator Gerd Gottlob (© NDR/Marcus Krüger)

ARD-Kommentator Gerd Gottlob (© NDR/Marcus Krüger)

Bayern München gegen Borussia Mönchengladbach hieß die Paarung, der Klassiker der 70er Jahre also. Bereits nach 16 Minuten stand es 2:0 für die Bayern, es drohte jene Langeweile, die viele (wohl etwas voreilig) für die ganze Saison befürchten. Abwarten! Zwischendurch wurde es – durch ein Eigentor von Dante – ja auch noch mal ein wenig spannend, bevor die Münchner mit dem doppelten Handelfmeter zum 3:1 alles klar machten.

Neckische Turnübungen vor dem Anpfiff

Das Geplänkel vor dem Anpfiff uferte zwar zeitlich nicht aus, zog sich aber dennoch gefühlt in die Länge. Spürbar war das Bemühen, die derzeit erfolgreichste Liga der Welt für die Zuschauermärkte in Asien usw. zu inszenieren. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass wirkliche Fußballfans irgendwo auf dem Erdball für die neckische Turnerei von 210 weiß Gewandeten empfänglich sind, die unter anderem das Logo des deutschen Liga-Verbands nachstellen. Zyniker könnten sagen: Doch! In Nordkorea weiß man so etwas vielleicht zu schätzen. Aber just dort wird es nicht übertragen…

Ein „Messias“ namens Pep Guardiola

Bayerns neuer Trainer Pep Guardiola muss so etwa wie der Messias sein, so sehr stand er im Mittelpunkt der Live-Sendung. Kommentator Gerd Gottlob wunderte sich ein ums andere Mal, wie unaufhörlich der Coach an der Seitenlinie gestikulierte.

Auch sonst schilderte Gottlob das Spielgeschehen ziemlich schlicht, er verbreitete gepflegte Langeweile ohne jedes verbale Risiko. Freunde, die das Spiel parallel beim Bezahlsender Sky gesehen haben, sind freilich mittendrin mit fliegenden Fahnen zum „Ersten“ gewechselt, weil bei Sky mal wieder der gar sehr von sich überzeugte Marcel Reif zugange war. Gottlob-Sätze wie „Die Bayern sind heute nicht unverwundbar“ oder sein häufiges bübisches Kichern („Gleich drei gegen Ribéry-hi-hi“) reißen einen aber auch nicht gerade vom Sessel.

Mehmet Scholl und die Freude am Fußball

Erfrischend wie immer war hingegen Mehmet Scholl. Der Experte, von Haus aus geradewegs ein Bayer, redet ebenso freimütig wie fundiert, ohne sich selbst allzu wichtig zu nehmen. Er vermittelt glaubhaft und ansteckend das Gefühl, auf die Feinheiten des Spiels gespannt zu sein. Er hat einfach Freude am Fußball. Und er bleibt dabei weitgehend neutral.

Moderator Matthias Opdenhövel verkörpert für meinen Geschmack zu sehr den Yuppie-Typus, wie er seit den 80er Jahren gängig ist, aber bitte: Er macht keine groben Schnitzer und schaukelt die Sendung mit einer gewissen Routine.

Fazit: Angesichts der Tatsache, dass sie so selten übertragen dürfen, machen die ARD-Leute ihre Sache doch noch recht passabel.

Aber den anschließenden „Sportschau-Club“, der wieder aus dem Revier (Herten) kam, den habe ich mir zu später Stunde nicht mehr angetan. Das ist denn doch etwas für die Hartgesottenen.

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