Familienfreuden XXX: Das leuchtende Fest

Familie zu Weihnachten

Weihnachten – ein leuchtendes Fest für die Familie. Zu diesem besonderen Anlass gibt es einen künstlerischen Gastauftritt von Fi, die dieses Bild gemalt hat.

Rituale – das klingt mit dem rollenden „R“ vorneweg ein wenig altbacken. Und trotzdem gibt es für mich gerade zur Weihnachtszeit ein paar, die mir lieb sind. Nicht von ungefähr wünsche ich auf meinen Weihnachtspostkarten oft ein „leuchtendes“ Fest.

Der erste Advent ist so etwas wie der Weckruf für mich. Dieses Jahr, das muss ich zugeben, hätte ich ihn allerdings beinahe verschlafen. Der 27. November erschien mir innerlich irgendwie zu früh. Aber als mir die Menschen im Supermarkt unisono ein schönes Adventswochenende wünschten, wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Schnellen Schrittes und mit entschlossener Miene ging ich unverzüglich in den Keller – in einem Michael Bay-Film wäre es Zeit für eine Zeitlupe mit hochschießenden Flammen im Hintergrund kurz vor dem Finale gewesen. In unserem Kellerregal drängen sich mittlerweile diverse große Kisten, prall gefüllt mit unserem Weihnachtsschmuck.

Ein Anfall von Energiespardrang

Zielgerichtet zog ich den Beutel mit den Lichterketten heraus und wühlte darin. Letztes Jahr hatte ich in einem Anfall von Energiespardrang eine Außenfestbeleuchtung mit Mini-Solarpanel erstanden. Jetzt rammte ich sie neben unseren Kirschbaum und balancierte wackelnd auf einem Tritt, um die Lichter einigermaßen gleichmäßig über die Äste zu verteilen. Mit Abstand betrachtete ich mein Werk. Das kleine Plastik-Panel und die im Wind baumelnden, dunkelgrünen Kabel ergaben nicht gerade ein elegantes Bild – aber im Dunkeln würde das sicher ganz anders aussehen. Nun war der große, rote Stern an der Reihe, der allerdings nur mit Steckdose zum Leuchten gebracht werden konnte. Unverzagt hängte ich ihn ebenso über den Baum und holte eine ellenlange Verlängerungsschnur, um die Meter zur Terrasse zu überbrücken.

Kabelsalat für Nager

Ich hielt inne und sah zu unseren Meerschweinchen. Hmmm… wenn die kleinen süßen, aber nicht unbedingt zu unmäßiger Reflektion neigenden Nager in unserem Garten herumrennen würden, könnten sie durchaus auf die Idee kommen, auch mal eine Kostprobe von dem Kabel zu nehmen. Keine schöne Vorstellung. Also spannte ich die Konstruktion so hoch, dass sie für unsere drei Damen aus dem Stall unerreichbar war.

Jetzt aber flott nach drinnen. Adventskranz dekorieren, Sterne aufhängen, Lichterkette um die Treppengeländer winden, Kerzenständer aufstellen… Diesmal hatte ich sogar Schneespray für die Fenster gekauft. Ich sage mal: Stylingschaum für die Haare ist nichts dagegen! Mühsam wischte ich die klebrige Masse, die zuhauf von den Schablonen abgefallen war, vom Boden. Am Ende der Deko-Attacke fühlte ich mich ähnlich erschöpft wie nach einem Halbmarathon (den ich allerdings noch nie gelaufen bin).

Schmucke Stolperfalle

Als Normen nach Hause kam, saß ich gerade nach Luft schnappend auf dem Sofa. Er sah die Sterne, die Kerzen, schmunzelte über die Schneebilder – und blickte nach draußen. „Meinst Du nicht, dass Du da eine ziemliche Stolperfalle gebaut hast, vor allem im Dunkeln?“, fragte er vorsichtig mit Blick auf mein außer Meerschweinchen-Reichweite gespanntes Kabel. „Ach Quatsch! Wir rennen doch abends sowieso nicht mehr im Garten herum“, tat ich den Einwurf ab.

Inzwischen war es dunkel geworden. Die solarbetriebene Lichterkette sprang an. Und in dem Moment fiel mir wieder ein, was ich erfolgreich verdrängt hatte: Dieses Fest der Beleuchtung war mit acht verschiedenen Modi ausgestattet: von hektischem Blinken über schnelles Hin- und Herspringen bis zu einer Art Fading. Nur, wenn man mehrfach auf einen Knopf drückte, konnte man es schaffen, dieses Feuerwerk einzufrieren und konstantes, nicht zu einem Besuch in der Augenklinik führendes Licht einzustellen. Und das J-E-D-E-N Abend aufs Neue! Ich rannte raus. Stolperte beinahe über das Kabel. Fluchte. Drückte den Knopf.

Eine einsame Kerze

Am Abend erzählte ich einer Freundin von meinem Dekowahn. Sie lachte sich kringelig. „Hast Du denn schon geschmückt?“, fragte ich. „Ach Nadine, Du kennst mich doch. Mir reicht es, wenn ich eine Kerze anzünde.“ Ich war fassungslos. Normen und Fi immerhin auch. „Wenn Du nicht schmücken würdest, hätte ich das gemacht“, meinte Normen. „Irgendwie gehört das doch zu Weihnachten.“

Eben! Und der Höhepunkt von all dem ist natürlich: der Weihnachtsbaum.

Die Erweckung

Dessen Erweckung folgt erst recht gewissen Regeln. Die erste: Lasst mich besser in Ruhe, wenn ich die Lichterketten aufhänge! Früher hat es mich gefühlte Stunden und diverse Tobsuchtanfälle gekostet, sie überhaupt auseinander zu friemeln. Aufwickeln hat dieses Problem immerhin gelöst. Bleibt noch, die Kabel so über die voluminöse Tanne zu wuchten, dass sie sich a) nicht verheddern, b) die Lichter gleichmäßig verteilt sind und c) die natürlich kaputten Lämpchen zwischendurch nicht auffallen.

Normen hält sich aus dieser Schmück-Challenge seit Jahren wohlweislich raus. Fi hingegen scheint mittlerweile ein Gespür dafür zu haben, wann sie sich wieder nähern kann. Die Lichter hingen, die Ungeduld war verraucht, die Weihnachtslieder konnten angemacht werden, die Stimmung wurde langsam festlich. Zu „Last Christmas“ – Rolf Zuckowski geht gar nicht mehr – verteilten Fi und ich unsere Lieblingskugeln: eine Kuh mit Kochschürze, einen Drachen mit Weihnachtsmütze, einen dirigierenden Frosch und, neu in diesem Jahr, einen Weihnachtsmann im Fesselballon.

Willkommen Becky!

Jetzt strahlt der Baum bunt und ein bisschen verrückt in unserem Wohnzimmer. Wir haben ihn „Becky“ getauft. Entspannt sehe ich ihn an, wie er dem Dunkel draußen ein festliches Leuchten entgegensetzt. Ich seufze und freue mich. Da bemerke ich draußen ein hartnäckiges Blinken. Die Lichterkette! Sorry, ich muss kurz raus: einen Knopf drücken!

 

Fi, Normen und ich wünschen allen Leser*innen der Revierpassagen frohe und natürlich leuchtende Weihnachten!

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(Diesen Wünschen schließen sich die weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Revierpassagen selbstverständlich vollumfänglich an).




Familienfreuden XXIX: Ohren bohren

Nix einfacher als Ohrlochstechen. (Bild: Albach)

„Ohrlochen stechen GRATIS!“, stand in verschnörkelten Lettern auf roséfarbenem Grund am Eingang des Modeschmuck-Ladens, an dem ich vorbeieilte. Ohrlöcher stechen? Gratis? Das klingt ja vertrauenerweckend, dachte ich bei mir und musste grinsen. Es gab eine Zeit, da hätte Fi ihre Füße in den Boden gerammt und versucht, mich in den Laden zu zerren.

Fi gehört wahrlich nicht zu den Kindern, die, kaum dass sie einen geraden Satz herausbringen konnten, schon nach Löchern in den Ohren verlangten. Und auch ich betrachtete Babys, bei denen nicht nur ihr Lächeln, sondern auch Schmucksteine strahlten, eher mit Argwohn. Als die Grundschulzeit sich aber dem Ende näherte, drehte der Wind. Als hätte jemand den Schmuckschalter umgeworfen, gab es für Fi plötzlich kaum einen dringenderen Wunsch als jenen, ihre Ohren durchbohren zu lassen. Sicherlich wirkte die Tatsache, dass all die Freundinnen ringsum vorlegten, wie ein Brandbeschleuniger. Plötzlich blinkten und glitzerten an den kleinen Lauschern Blumen, Sterne oder Einhörner um die Wette.

Ohrringe? Jetzt schon?

Anfangs bäumte sich noch ein klein wenig Gegenwehr in mir auf. Ohrringe? Jetzt schon? Dann aber schlich sich meine eigene Geschmeide-Geschichte in mein Gedächtnis zurück, die wohl auch schon in der Grundschule begonnen hatte – und ich stimmte zu.

Bei mir damals hatte einfach der Juwelier ein Gerät angesetzt, das einem großen Tacker verdächtig ähnelte und ohne viel Federlesens dem Schmerz in ihrer Zierlichkeit entgegengesetzte, kleine Sternchen in meine Ohrläppchen geschossen. Heute, lernte ich, soll das hygienisch nicht mehr der letzte Schrei sein. Und somit hatte Fiona wenige Tage später gemeinsam mit einer Freundin einen Termin – im Piercing-Studio.

Ich muss gestehen: In ein solches hatte ich selbst noch nie einen Fuß gesetzt. Zu der Zeit, als es gerade schwer in Mode war, alle sich anbietenden Körperteile (und auch die anderen) durchstechen zu lassen, kam für mich allein ein Stecker in der Nase in Frage. Und den redeten meine Eltern mir mit Verweis auf meine heftigen Allergien erfolgreich aus. Also auch für mich: Premiere!

Grinsende Totenköpfe allüberall

Als wir den Laden betraten, war klar, dass kleine Kinder nicht die durchschnittliche Klientel darstellten: Ein Totenkopf grinste uns vom Empfangstresen entgegen, seine kleineren Geschwister grüßten von diversen Schmuckstücken. In den Glasvitrinen reihten sich Rosen, Kreuze, Pistolen und allerlei Kinkerlitzchen, die auch Jack Sparrow gut zu Gesicht gestanden hätten. In der Kategorie „Was Kunden vor ihnen interessiert hat“ zeigte eine Galerie an der Wand, dass Tiger, Schmetterlinge, Krieger und Skelette auf diversen Körperteilen unter den Top Ten waren.

Weitere Motive schlängelten sich auf den Armen der jungen Frau, die uns fröhlich mitteilte, dass Martin, der Piercer, gerade noch mit dem Durchbohren anderer Kundschaft beschäftigt war. Beeindruckt setzten wir uns auf knatschende Ledersofas und warteten. Ein weiterer Totenkopf auf dem Couchtisch leistete uns zähnebleckend Gesellschaft. Die Aufregung wuchs. „Wenn Ihr 18 seid, kann ich Euch ja ein Tattoo stechen“, flachste die Mitarbeiterin in Richtung Fi und ihrer Freundin.

Wir konnten das Thema nicht weiter vertiefen, weil Martin plötzlich vor uns stand. Lange weiße Haare, weißer Bart, rundliche Statur, kurze Hose, Hawaiihemd, Turnschuhe. Martin sah aus, wie der coole Bruder des Weihnachtsmannes, der statt Geschenken lieber Nadeln sprechen ließ.

„Dann wollen wir mal!“, sagte er und klatschte in die Hände. Fi quetschte meine Hand. Die Aufregung wuchs weiter.

Die Stunde der Wahrheit

Der Piercing-Raum war im Vergleich zum Entrée überraschend klinisch und nüchtern. Martin setzte sich auf einen Rollhocker und erklärte, munter rollend, mit sonorer Stimme, was nun geschehen würde. Bei ihm klang das so einfach wie Einkaufen. Die Aufregung wuchs trotzdem weiter.

Martin spürte wohl, dass der entscheidende Moment noch nicht gekommen war. Er zog den letzten Trumpf zur Vorab-Beruhigung: eine Kiste, in der winzige Steinchen glitzerten. Schmuckauswahl. „Aurora borealis, das Polarlicht. Gute Entscheidung“, brummte Martin, als Fi und ihre Freundin einstimmig auf den gleichen Stein zeigten.

Die Stunde der Wahrheit. Martin klatschte erneut in die Hände. „So Mädels! Wer von Euch will zuerst?“ „Ich!“, rief Fi (für mich) überraschend. „Prima!“ Als wir uns gemeinsam auf die „Behandlungs“-Liege setzten, war die Durchblutung meiner Hand inzwischen arg gefährdet.

Die Möglichkeit eines Einhorns

Martin aber machte eine der erstaunlichsten Transformationen durch, der ich je beiwohnen durfte. Dieser doch recht gestandene Mann von eher derbem Humor und zupackender Art redete nun ganz sanft. Erzählte von seinen Töchtern. Seiner Frau. Seinen Plänen für den Abend. Schließlich sogar von dem letzten Barbie-Film, den er mit seinen Kindern gesehen hatte. Hätte Martin sich in ein Einhorn mit bunter Mähne verwandelt, es hätte mich auch nicht überrascht. Schließlich nickte Fi. Martin griff zur Nadel. „Oh Gott! Ist die groß!“, dachte ich und hätte jetzt beinahe umgekehrt Fionas Hand zerquetscht. Martin zögerte nicht lang. Ein Stich. Zwei. „Das war’s“, sagte er. „Ehrlich?“, fragte Fiona überrascht. Und ich atmete wieder aus.

Einige Zeit später glitzerte es endlich in insgesamt vier kleinen Ohren. Auch Martin war erleichtert. Ungerührt hatte er seinen Feierabend mindestens um eine halbe Stunde nach hinten geschoben. Intuitiv wusste er wohl genau: das Stechen der ersten Ohrlöcher ist ein Ereignis, das sich in das persönliche Erinnerungs-Tagebuch brennt. Vielleicht war ja etwas dran an der Verwandtschaft zu Santa Claus.

Persönliche Polarlichter

Für das Erinnerungsfoto platzierte er sich zwischen den Mädels. Alle drei setzten einen ultracoolen Gesichtsausdruck auf, als hätte es nie etwas einfacheres gegeben, als diesen Termin, die Hände vor der Brust verschränkt. An den Ohren strahlte weithin: das Polarlicht. Und das passt ja irgendwie zum Weihnachtsmann.




Familienfreuden XXVIII: Adieu, Grundschule!

Ein Hoch auf die Grundschule! (Bild: Albach)

Morgen ist es vorbei, vier Jahre Grundschule – ade. Eine kleine Ära im Leben von Fi endet.

Ich frage mich jetzt schon, wie viele Packungen Taschentücher ich mitnehmen soll. Und ob ich am besten eine Sonnenbrille aufsetze, damit es nicht ganz so offensichtlich ist, dass ich Rotz und Wasser heule. Fis Grundschule ist nämlich in Sachen Abschied das, was Steven Spielberg für das Kino ist: ein Meister der Inszenierung. Als die Grundschule startete, sind die Erstklässler:innen durch bunte Blumenbögen in das Schulgebäude eingezogen. Morgen – man ahnt es – ziehen sie durch eben jene Bögen wieder aus. Der Kreis schließt sich, die Symbolik passt. Pech, wenn man da nah am Wasser gebaut ist.

Die beste Lehrerin, die man sich wünschen kann

Es ist der Abschied von einem wichtigen Abschnitt in Fis Leben. Und es ist der Abschied, von der ganz subjektiv besten Lehrerin, die man sich wünschen kann. Das hat sich schon am allerersten Tag gezeigt, als Fi mit dieser großen Neuerung kämpfte. Kaum sah ihre Lehrerin Fis Tränen, drückte sie ihr kurzerhand ihren Schlüssel in die Hand. „Auf den musst Du jetzt aufpassen. Den vertraue ich nicht jedem an, Und wo der ist, da bin ich nicht weit“, sagte sie. Eine geniale Lösung. Ein „Du bist stark!“ und „Ich bin für Dich da“ in einer Geste. Fi erinnert sich bis heute daran.

Ein schräges Klassenzimmer

Als die Corona-Pandemie begann, hatten wir als Eltern unsere liebe Not, an diese besondere Beziehung anzuknüpfen. Als Mama und Papa sind wir ja etabliert. Aber Lehrerin und Lehrer? Not so much. Nicht falsch verstehen: Fi hat ihre Sache hervorragend gemeistert, aufmerksam alle Online-Stunden besucht, beflissen ihre Aufgaben erledigt und als es zurück in die Präsenz ging, ohne Wissenslücken weitermachen können. Und trotzdem war mein Geduldsfaden eher dünn gestrickt bei der Jonglage zwischen Arbeit und Erklärungsversuchen von Multiplikation & Co. – während Fi sich wahrscheinlich fragte, in welches schräge Klassenzimmer sie da geraten war.

Die Grundschule war, zumindest in unserem Fall, ein Nest und ich hätte Fi gegönnt, dessen Wärme vier Jahre ganz unbeschwert zu genießen, ohne einen nicht im Curriculum vorgesehenen Schnellkurs in Virenkunde, Hygiene und sich ständig ändernden Vorschriften.

Aber ich bin unendlich dankbar, dass Fi dieses Nest gespürt hat und sich in dessen Schutz schnell entwickeln konnte.

Die Schauspielschule ruft

Bei der Abschiedsfeier hat die ganze Klasse ein Theaterstück aufgeführt, eine rasante Revue über ihre Schulzeit. Fi stand dort auf der Bühne, in der ersten Reihe und fragte laut in den Saal: „Wolltet ihr nicht noch meine Geschichte zur Klassenfahrt hören?“, um dann mit sicherer Stimme von Limbotänzen, Treibsand-Spielen und nassen Socken zu erzählen. Ob wir sie schon in der Schauspielschule angemeldet hätten, fragten uns andere Eltern hinterher.

Ein Hoch

Gestern schickte eine Mutter von Fis Freundin ein Video von der Einschulung. Darauf sind sie zu sehen, die bunten Bögen und Fi, wie sie durch sie hindurch in die Schule läuft. Sie schaut sich unsicher um, da steht ihre Lehrerin schon wieder neben ihr, sagt „Da bin ich wieder!“ und nimmt ihre Hand.

Bei dem Abschiedsfest legte Fi ihre Hände auf die Schultern ihrer Freundinnen, auf der Bühne. „Ein Hoch auf uns!“ schallte aus den Lautsprechern. Alle sangen laut mit.

Ein Hoch auf die Grundschule – und danke für diese Zeit!




Familienfreuden auf Reisen: Von Bergziegen und Meerschweinchen

Kein Wunder, dass wir uns Meerschweinchen gekauft haben. Wir sind selbst welche. Also glücklicherweise nicht ganz so kugelrund wie unsere drei Damen vom Südamerika-Grill. Und auch weniger schreckhaft. Aber das Meer, das könnte auch vor unseren Namen stehen. Meer-Nadine. Meer-Normen. Meer-Fi. Dieses Jahr aber haben wir uns als Bergziegen versucht.

Wo bitte geht es zum Meer? Wenn Meerschweinchen sich als Bergziegen versuchen. (Bild: Albach)

Urlaub und Corona, das klang vielleicht früher mal gut, als jeder noch an das Bier und niemand an ein Virus gedacht hat. Seit 2020 aber ist Urlaub für uns mit vielen Fragen verbunden. Können wir überhaupt Urlaub machen? Wohin? Wie sind dort die Inzidenzen? Und wenn doch etwas passiert: Wie weit wollen wir von Zuhause weg sein?

Die Welt war plötzlich sehr klein

Letztes Jahr fiel die Antwort sehr schreckhaft aus (Meerschweinchen-Panik!). Wir wollten, aber nicht weit. Ich hatte tatsächlich ein Haus im Münsterland gebucht. Sagenhafte 50 km von Zuhause entfernt. Die Welt war plötzlich sehr klein. Es regnete viel. Und das Gewässer vor unserem historischen Gemäuer war eher ein Tümpel mit vielen Fischen. Aber hey: Wir waren gesund. Wir konnten wegfahren. Das war zu diesem Zeitpunkt sehr viel.

Dieses Jahr wollten wir trotzdem mutiger sein. Fliegen trauten wir uns noch nicht (Meerschweinchen-Panik!). Aber weiter wegfahren. Österreich, Kleinwalsertal, ließ die Augen der Nachbarn beim Erzählen leuchten. Und sollte uns doch das innere Meerschweinchen übermannen, wir wären in 20 Minuten wieder in Deutschland.

Wer hat die Fototapete vergessen?

Uns erwartete eine neue Welt. Immer, wenn ich in den ersten Tagen das Wohnzimmer unserer Ferienwohnung betrat, fragte ich mich, wer vergessen hatte, die Fototapete wieder einzurollen. Berge! Majestätisch, schön, beeindruckend – und hoch. Das hätte uns ja mal jemand sagen können!

Trotzdem machten wir uns todesmutig an die erste Gipfelbesteigung. Ok, ein bisschen geschummelt mit Seilbahn-Support. Aber den Rest umso stürmischer allein. Und dabei lernten wir die erste Lektion des Bergziegen-Daseins: Never leave the house without ordentlich viel Blasenpflaster. An dieser Stelle noch einmal danke an die Drei-Generationen-Wanderdamen, die Fis kleine Zehen liebevoll beklebten und damit vor weiterem Ungemach durch ahnungslose Eltern retteten.

Die Bergziege im Pfeffer

Nach dieser Erfahrung ahnte Fi recht schnell, wo der Hase, ähm, pardon die Bergziege im Pfeffer liegt. „Wie viele Stunden wandern wir heute?“, fragte sie morgens bang.

Deswegen haben Normen und ich in diesem Urlaub ganz nebenbei eine Weiterbildung zu Animateuren gemacht, die eines 5-Sterne-Resorts würdig wären. Wir liefen durch die Breitachklamm und sprudelten über bei der Bejubelung der Wasserfälle. Wir machten auf einer steinigen Talwanderung die Alp mit dem besten Kaas-Press-Knödel der Welt ausfindig. Wir betörten Eichhörnchen, die uns die Nüsse aus den Händen klaubten. Wir fanden jeden Wanderstein und hoben alle Geocaches (inklusive 100 Ohrenkneifern, die es sich in einem von ihnen gemütlich gemacht hatten). Fiona bedachte unsere Mühe mal mit höflicher Zustimmung, mal echter Begeisterung. Letztere vor allem dann, wenn uns die vielen Schritte zu kühlen Bergseen führten.

Es war ein schöner Urlaub. Wir haben ungeheuer viel erlebt. Und doch hat mich Fionas Resümee nicht überrascht: „Wie hat es Dir gefallen?“ fragten wir sie. Sie antwortete mit unserem Familien-Bewertungsschema, indem sie den Daumen nach oben reckte. „Und im Vergleich zu Kreta?“, fragte Normen weise mit Blick auf unsere Strandurlaube vor Corona. Fiona zögerte kurz. Ihr Daumen zeigte auf Viertel vor – gut, aber nicht gigantisch. Wir nickten.

Bergziegen sind wirklich tolle Tiere. Aber nächstes Jahr, da lässt uns Corona hoffentlich wieder ausleben, was wir im Herzen sind. Eben Meerschweinchen.




Familienfreuden XXVII: Die Drei-Minuten-Lern-Biene

Zähne putzen ist ja so eine Sache, über die man als Erwachsener nicht mehr viel nachdenkt – es gehört einfach zum Tag dazu. Für Fiona hingegen gibt es viele Wege zu sauberen Zähnen. Der jüngste ist: die Drei-Minuten-Lern-Biene.

Zähneputzen wird zur existentiellen Begegnung. (Bild: Albach)

Vor einiger Zeit brachte ich den Müll raus. Plötzlich macht es „Platsch“. Eine dicke, weiße Pampe landete unmittelbar neben mir auf den Steinen. Erst hatte ich die Taube im Verdacht, die regelmäßig in unserem Baum nistet. Als ich aber nach oben blickte, sah ich keineswegs ein graues Federtier – sondern meine kichernde Tochter, die oben an der Brüstung des Badezimmerfensters lehnte. Im Schlafanzug, die Zahnbürste in der Hand, eine irgendwie für die Zahnpasta-Werbung verdrehte Version der Julia auf dem Balkon.

„Was machst Du denn da?“, fragte ich entgeistert und zugleich nicht besonders schlagfertig. „Zähneputzen!“, antwortete sie prustend. Hatte ja schließlich keiner gesagt, dass man das über dem Waschbecken machen müsste. Oder doch, ich, mindestens hundert Mal – nur dass das gleichbedeutend mit nichts ist, wenn man mit seinem Kind redet. Nur durch diesen Zufall also fand ich es heraus, dass unsere Tochter jeden Abend das Fenster sperrangelweit aufgerissen, sich an die Gitterstäbe gelehnt, in den Himmel geschaut, geschrubbt und dabei offensichtlich auch reichlich Spucke-Zahnpasta-Gemisch gen Erdboden geschickt hatte. Für die Nachbarn muss das eine herrliche Abendvorstellung gewesen sein. Und ich verstand nun immerhin, woher die weißen Flecken auf unseren Steinen stammten.

Blitzende Hauer

Diese Episode war allerdings nur eine auf dem holperigen Weg zu sauberen Zähnen. Keine Ahnung, wie es bei anderen Kindern ist – bei Fiona war immer ein gewisser Entertainment-Hunger bei diesem Thema vorhanden, der nicht allein durch Erzählungen von blitzenden Hauern gestillt werden konnte. Es fing recht harmlos an, mit einer kleinen, bunten Sanduhr, die wir an die Badezimmerwand pömpelten. Kurze Zeit war das Umdrehen und Rieseln des pinken Sandes eine ganz wörtlich feine Sache. Bis Fiona in den Kindergarten kam. Und sich dort einer fast ein Meter hohen Sanduhr gegenübersah, vor der sie mit einer Horde kichernder Freundinnen schrubbte und wuppte.

Für jede Lebenslage die passende App

Der nächste, immerhin langlebigere Versuch war digitaler Natur. Die Erkenntnis, dass es für jede Lebenslage die passende App gibt, bestätigte sich auch hier: Wir entdeckten eine Zahnputz-App. Darin konnte sich Fiona einen Zeichentrick-Charakter aussuchen und ließ sich von pinken Mäusen, frostigen Prinzessinnen und vergesslichen Fischen anfeuern, die drei Minuten durchzuwienern. Fortan tönte aus dem Bad eine eindringliche Melodie, die Normen und ich bis heute selbst dann summen können, wenn man uns aus dem Tiefschlaf weckt – beendet mit einem optischen und auditiven Feuerwerk. Jeder erfolgreiche Durchgang wurde außerdem mit einem Bild in einem virtuellen Sammelalbum belohnt. Dass dieses selbstverständlich vor jedem Zubettgehen durchgeblättert werden musste und sich entsprechend die Nachtruhe verschob, ist selbstredend.

Zum Wohle der Kauleiste

Die jüngste Erfindung zum Wohle der Kauleiste ist aber das, was ich die „Drei-Minuten-Lern-Biene“ getauft habe. (Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an den in grauer Vorzeit geprägten Ohrwurm der Fünf-Minuten-Terrine?) Fiona muss allwöchentlich in der Schule neue Lernwörter verinnerlichen und so zum Beispiel auswendig lernen, dass man „Katong“ doch ein wenig anders schreibt, als es gesprochen wird. Ihre Lehrerin hatte den Tipp ausgegeben, die Wörter der Woche irgendwo hinzukleben, wo die Kinder sie täglich sehen. Fiona – welch Wunder – wählte den Badezimmerspiegel. Und so steht sie nun da, an jedem Morgen und jeden Abend, schaut auf einen mit Pferden und Herzen verzierten Zettel und sieht, wie essen, sein und haben durchkonjugiert werden. Drei Minuten lang, sechs Minuten täglich.

Sein oder Nicht-Sein hat bei uns nun plötzlich sehr viel mit Zähneputzen zu tun.




Zahnfee, Du Verräterin!

Weihnachten liegt hinter, Ostern vor uns – und beide Feste sind ganz anders als zuvor. Vorbei ist es mit Wispern, Raunen und Fabulieren: Unsere Tochter glaubt nicht mehr. Weder an den Weihnachtsmann noch an den Osterhasen. Und wer ist schuld? Die Zahnfee!

Weihnachtsmann! Ostern! Zahnfee! Alles ihr! (Zeichnung: Nadine Albach)

Ich muss diesen Text mit einem kurzen, nostalgischen Seufzer anfangen.

Hach.

Als Fiona noch an Weihnachtsmann & Co. glaubte, lag ein bisschen Magie in der Luft. Wir konnten zehn gefärbte Eier so oft verstecken, dass es eigentlich 50 waren. Und als wir per Fernbedienung Glockengeläut von Spotify aktivierten und eher ungeplant eine tiefe Männerstimme ansagte „Die Glocken des Kölner Doms“, rief Fi mit weit aufgerissenen Augen: „Der Weihnachtsmann! Ich habe den Weihnachtsmann gehört!“ Warum der so merkwürdige Sachen sagte, geschweige denn, was der Kölner Dom damit zu hatte, wurde nicht hinterfragt.

Du lachst ja!

Das ist jetzt vorbei. Die Zahnfee hat den ganzen Spaß mit dem mythischen Personal zunichte gemacht. Wahrscheinlich gab es beim Auftritt dieser jungen Dame schon ein Grundproblem: Ich kenne sie nicht. Als ich klein war, wurde ich für meine ausgefallenen nur mit neuen Zähnen belohnt. Fiona hingegen war von ihren Freundinnen schon gebrieft. Mit dem ersten Wackelzahn kamen auch die Nachfragen: Wie das genau funktionieren würde, dieser Tausch, Zahn gegen Geschenk? Ich versuchte zu erklären. Dichtete herum, wand mich. Da rief Fiona plötzlich: „Du lachst ja! Du bist die Zahnfee!“

Ich wehrte mich noch ein wenig. Aber dann gab ich doch auf. Richtig lügen geht schließlich auch nicht. Wie Trumpfkarten warf Fiona mir daraufhin ihre Erkenntnisse hin: „Weihnachtsmann! Osterhase! Nikolaus! Alles ihr!“

Geschenkespürsinn

Traurig machte sie all das nicht. Ganz im Gegenteil: Ihr detektivischer Spürsinn ist seitdem geweckt. Und leider ist er dank Justus Jonas & Co. auch mächtig geschult.

Weihnachten zum Beispiel ahnte sie (zurecht), dass die Pakete im Waschkeller versteckt sein könnten. Fiona schloss sich in ihr Zimmer ein und entwarf einen Plan, der Sherlock Holmes hätte blass werden lassen. „Nachz prüfen ob alle schlafen“ stand da als erster Punkt. „Luft rein, ja / nein“ folgte als Option zum Ankreuzen. Runterschleichen, Suchen, Geschenk aufreißen – Informatiker sprechen bei so etwas glaube ich von einer „If-else-Schleife“. Bei den Zeilen „Wen das Aufreisen nicht klapt nem ein Meser“ wurden Normen und ich allerdings blass.

Ein letztes Geheimnis

Jetzt haben wir einen Geschenke-Verstecken-Pakt mit den Nachbarn abgeschlossen. Aber das – bleibt unser Geheimnis!




Familienfreuden XXVI: Sozialismus beim Tornisterkauf

Wer geht hier mit wem spazieren? (Zeichnung: Albach)

Kinder zu haben, hat manchmal etwas vom real existierenden Sozialismus: Besser, man hat einen Fünf-Jahres Plan. Beispiel: Wir haben einen Tornister gekauft.

Ein bisschen hatte mich die Zeit der Schwangerschaft ja schon gewarnt. Dort hatte ich gelernt: Es gibt Menschen, die haben sich ihr ganzes Leben auf ein Kind vorbereitet. Kaum war der Strich auf dem Schwangerschaftstest zu erkennen, buchten sie schon Schwangerschaftsyoga -/- schwimmen /-gymnastik, luden ihre Hebamme zum Tee ein und parkten den Kinderwagen in der Garage. Ich gehöre nicht zu dieser Spezies und nahm, was übrig blieb.

Entsprechend war ich sensibilisiert, als sich eine wichtige Etappe für unsere Tochter ankündigte: der Schulbesuch. Durch Zufall bekam ich ein konspiratives Gespräch zwischen zwei Kindergartenmüttern mit, in dem Informationen zum Tornisterkauf gehandelt wurden wie Hehlerware. „Im November gibt es die Vorjahresware günstiger…“ wisperte die eine. „Ich muss auf jeden Fall schnell einen Termin machen“, die andere.

Es ist kein Zuckerschlecken

Immerhin wusste ich schon von meinem Patenkind: Tornister kaufen ist kein Zuckerschlecken. Besser, man checkt vorher mal den Kontostand, bevor man die preismäßig durchaus mit Designer-Handtaschen vergleichbare Ware zu erstehen gedenkt. Und ein Termin, bei dem geguckt wird, ob der zu meiner Schulzeit noch liebevoll als „Tonne“ verunkte Transportbehälter ansatzweise ergonomisch wertvoll ist, leuchtete mir auch so ein. Aber dass man hier schon wieder einen Zeitplan wie seinerzeit bei einer Trabbi-Lieferung in der DDR auf dem Schirm haben musste…

Ein Wesen mit eigenem Geschmack

Ich ergab mich in unser Schicksal und machte einen Termin in dem von den wispernden Müttern favorisierten Laden. Dort wurde ich schon mal zackig gebrieft: „Wir Erwachsenen gucken, ob der Tornister passt. Aber ihre Tochter sucht das Design aus. Sie haben ihr Kind zu einem Wesen mit eigenem Geschmack erzogen – da müssen sie durch“, warnte mich der Verkäufer vor. Vermutlich eingedenk 1000er erlebter Streitgespräche über augenkrebserzeugende Tornister, an die sich kleine Kinder verzweifelt klammerten, während ihre Eltern versuchten, sie in die Ecke mit den einfarbigen, pädagogisch wertvollen Varianten zu zerren.

Pink mit Pferden

Ich seufzte. Als ich Fi gefragt hatte, wie ihr Tornister aussehen soll, hatte sie gesagt: „Pink! Am besten mit Pferden oder Schmetterlingen.“ Normen und ich nahmen uns fest vor, uns trotzdem rauszuhalten.

Fiona wiederum hielt sich an unsere Absprache: Gleichmütig schaute sie sich Tornister mit Dinosauriern, Fußballern oder Robotern an. Sie wusste, ihre Stunde würde noch kommen. Normen und ich waren derweil überwältigt. Vage erinnerten wir uns noch unsere schlichten „Amigo“-Tornister – eine Marke, die längst ausgestorben ist. Jetzt erblickten wir Regale voll unterschiedlichster Modelle; im Lager gäbe es insgesamt 500, erklärte der Verkäufer. Ich sagte alle Termine für den Nachmittag ab.

Fiona, verschnürt

Der Verkäufer indes zückte einen Schmöker von Umberto Eco’schem Ausmaß und verstaute ihn in dem ersten Testmodell. Er verschnürte Fiona. Ließ sie los. Und sie – fiel fast hinten rüber. Mit Mühe wuchtete sie sich nach vorn, um das Gleichgewicht zu halten, und wankte los. In Gedanken meldete ich sie schon im Fitnessstudio an, um die für die Einschulung anscheinend notwendigen Muskeln aufzubauen.

Und so ging es weiter: Entweder, die Tornister schnürten ihr den Hals ab – oder sie gingen mit Fi spazieren, nicht umgekehrt. Ich fühlte mich wie bei der Suche nach meinem Hochzeitskleid: damals hatte ich auch gedacht, es gäbe einfach nicht das richtige für mich.

Der Lichtblick

Dann aber der Lichtblick: ein Tornister passte wie angegossen. Es war der mit den auffälligsten Designs. Der Verkäufer baute nun die in Frage kommenden Varianten vor uns auf. Als er ein Modell in Pink mit leuchtenden Glitzersternen und wiehernden Einhörnern platzierte, schien unser Schicksal besiegelt. Ich schluckte. Das Teil hatte sogar feine roséfarbene Zierschleifen. Für mich ein Albtraum. Ich würde trotzdem glücklich lächeln, nahm ich mir vor – und zwar die ganze Grundschulzeit hindurch.

Dann aber geschah etwas, was mich an die durchschlagende Wirkung von Stoßgebeten glauben lässt. Fiona schritt die Reihe der Tornister ab, schaute sich das Rosa-Rüschenmonster an. Und ging weiter. Sie blieb vor einem blaugewellten Modell mit Delphinen stehen. „Den will ich!“, sagte sie. „Der passt super zu mir. Ich schwimme doch so gern!“

Ich atmete aus. Wir nickten. Und freuten uns. Sogar ganz ehrlich.




Familienfreuden XXV: Glitzer jucheh! Oder: Über Geschmack lässt sich streiten

Mit Geschmack ist das ja so eine Sache. Erben lässt er sich nicht, erzwingen auch nicht. Und wie ein Mensch ihn entwickelt – keine Ahnung. Gute Beispiele sind sicher nicht verkehrt. Aber Freiheit auch nicht. Es geht, kurzum, darum, dass Fi in einer akuten Glitzerphase steckt. Eine Shopping-Odyssee.

Verzückung ob größtmöglicher T-Shirt-Niedlichkeit (Bild: Albach)

Man merkt schon, ich laviere herum, wenn ich auf das Thema komme. Fi soll schließlich einen eigenen Geschmack entwickeln können. Aber ich muss auch zugeben, dass meine Toleranz bisweilen endlich ist – und ich außerdem manchmal darüber nachdenke, ob pinke Leggins, Blümchenrock und wild gestreiftes Oberteil zu Schreikrämpfen bei Passanten auf dem Bürgersteig führen könnten. Denn was die Kombination von Mustern angeht, ist unsere Tochter mehr als großzügig. Wenn sie vor ihrem Schrank steht, sind mir die Auswahlkriterien schleierhaft. Nur eine Sache kommt immer gut an: Glitzer. Und Pailletten. Von mir hat sie das nicht.

Schwerer Fehler im System

Gestern habe ich dann einen schweren Fehler begangen. Es ist nämlich eine Zeit angebrochen, in der ich nicht einfach Klamotten kaufen kann – die werden gegebenenfalls bei Missfallen komplett ignoriert. Sprich: die junge Dame von Welt sucht selbst aus. Allerdings kann die Auswahl der Läden ja zumindest eine gewisse Richtung vorgeben. Und deshalb der Ratschlag: wenn ihr eine Tochter habt, solltet ihr ab einem bestimmten Alter einen von ihr begleiteten Besuch bei einem schwedischen Modeunternehmen meiden. Hatte ich aber vergessen. Und das lief dann so ab:

Undefinierbares, großäugiges Ding

Auftritt Fiona im schwedischen Modeladen.
Erster Gang (zielsicher) auf einen Aufsteller voll mit Glitzerklimbim.
„Mama, was ist das?“ Fiona hält ein undefinierbares, plüschiges, gerolltes, großäugiges Ding in der Hand.
Ich: (kurz sprachlos):„…ein Armband????“
Fiona (holt Luft)
Ich, sofort: „Nein, das kannst Du nicht haben!“

Verneinung im Maschinengewehr-Takt 

Und so ging es weiter. Fiona hatte nacheinander einen goldenen Tüllrock, ein Hasenkleidchen mit anfassbaren Öhrchen, ein Oberteil mit SovielGlitzerwienurmöglich und Unterhosen mit Disney-Schönheiten in der Hand. Ich ratterte wie ein Maschinengewehr: Neinneinneinneinneinnein! Schließlich blieb Fi wie paralysiert vor einem T-Shirt mit einem Kätzchen im Airbrush-Stil stehen. Ein Alptraum für mich, ein Wunschtraum für sie. Hier wurde ihrerseits ein bisschen mehr investiert, um mich zum Kauf zu überreden. Erfolglos. Auch bei einem Shirt mit glubschäugigem Einhorn blieb ich hart.

Glitzerherzen als kleinstes Übel

Dann fiel mir die Sache mit dem eigenen Geschmack wieder ein. Und ich stimmte schließlich einem Oberteil mit kleinen rosafarbenen Glitzerherzen zu. Gar nicht ihre Farbe. Aber definitiv das kleinste Übel.

Endlich an der Kasse angekommen, musste ich nur noch die Frage nach einem Einhornkuscheltier und Lipgloss in Tierform überstehen. Als wir aus dem Laden eilten, hörte ich noch, wie das Mädchen hinter uns ihre Mutter mit exakt den gleichen Wünschen traktierte.
Was Fiona später wohl einmal gut finden wird?

Zuhause jedenfalls erzählten wir Normen von dem Shopping-Ausflug. Fiona schilderte das Angebot in den schönsten Farben. „Und was hat Mama dazu gesagt?“, fragte Normen. „Neinneinneinneinneinnein“, gab Fi meinen Abgesang originalgetreu wieder und kicherte.




Familienfreuden XXIV: Heiliger Geist, bitte kommen! Oder: Wie man am schnellsten Sauerländisch lernt

Pippi Langstrumpf hat es schon gesungen: „Ich mach‘ mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt…“ Vielleicht ist Fiona zumindest in dieser Hinsicht eine Nachfahrin der berühmten Seefahrerfamilie.

Eine Portion Sauerländisch. (Bild: N. Albach)

Denn Fi etwas zu erklären, ist manchmal, wie Stille Post zu spielen: Mal schauen, was am Ende rauskommt.

Da ist zum Beispiel die Sache mit Gott. „Warum“, fragte Fi mich heute, „sind Kirchen eigentlich größer als alle anderen Häuser?“ Das war noch relativ einfach zu erklären. Schwieriger wurde es schon, als sie einmal wissen wollte, wo die Engel eigentlich aufs Klo gehen in den ganzen Wolken.

Komplizierte Feiertagsgeschichten

Und noch komplizierter wird es, wenn es an Feiertage und Geschichten geht, bei denen ja selbst viele Erwachsene nicht ganz so genau wissen, wie der Ablauf nochmal war. Zum Beispiel Pfingsten. Ich mühte mich ab, Fiona etwas vom Heiligen Geist zu erklären und davon, dass er in die Jünger gefahren ist, woraufhin diese fremde Sprachen beherrschten und hinaus in die Welt zogen. Ich war einigermaßen stolz auf mich, dass ich das so zusammenklauben konnte. Und ich hatte auch den Eindruck, dass Fionas Gesicht nicht nur voller Fragezeichen war.

Vor kurzem bekam ich allerdings mit, dass sie sich ihren eigenen Reim auf die Geschichte gemacht hatte. Eine Freundin von ihr war zu Besuch – sie lebt im Sauerland. Vorher hatte ich Fi öfter gesagt, wie toll es ist, dass Mia extra hierherkommt. Vielleich ein bisschen zu oft. Und vielleicht auch ein bisschen zu sehr so, dass der Eindruck entstehen musste, dass Mia wirklich von weit weg angereist war.

Die Sache mit dem Sauerländischen

Denn als die beiden in Fionas Zimmer waren, hörte ich, wie unsere Tochter ihren Besuch fragte: „Mia, warum sprichst Du eigentlich kein Sauerländisch?“ Längeres Schweigen. Mia, ein bisschen bedrückt: „Das kann ich nicht.“ „Aber Du kommst doch aus dem Sauerland!“ „Ich kann das aber trotzdem nicht.“ Fiona überlegte kurz. Anscheinend hatte sie das Gefühl, einen wunden Punkt berührt zu haben. „Macht doch nichts“, sagte sie also aufmunternd. „Weißt Du, Du musst nur ein bisschen warten. Dann kommt der Heilige Geist. Und dann kannst Du alle Sprachen – auch Sauerländisch!“ Ich konnte bildlich vorstellen, wie Mia nickte und Fi zufrieden war. Die beiden stürzten sich auf ihre Puppen.

Ich aber habe mir vorgenommen, mir diese Geschichte zu merken. Bis Fiona zur Schule geht und an Französisch, Englisch oder irgendeiner anderen Sprache verzweifelt. Dann werde ich zu ihr sagen: „Macht doch nichts, Fi. Du musst nur ein bisschen warten…“




Familienfreuden XXIII: Schnipp-schnapp, Pony ab!

Haare sind bei uns im Moment ein höchst sensibles Thema. Fiona, die lange zu den Sinead O’Connors unter den Kleinkindern gehörte und mit schöner Regelmäßigkeit in der Stadt mit „Oh, was für ein süßer Junge!“ angesprochen wurde, hält – möglicherweise auch deswegen – jetzt ziemlich viel auf ihre Langhaarmähne. Was die Frage aufwirft, wer die guten Strähnen bearbeiten darf.

Salonzauber: Fiona beim Friseur (Bild: Albach)

Normalerweise ist das Ganze ziemlich einfach: Wir kennen unseren Coiffeur schon so lange, dass er im Grunde zur Familie gehört, zumal er zum Zwecke des Haarschnitts sogar zu uns nach Hause kommt. Eine weitaus bequemere Praxis als das, was eine gute Freundin mit ihrem Sohn erleben musste: Sie hatte ihn, als er noch sehr klein war, immer schlafend zum Friseur gebracht, wo dieser auf Zehenspitzen die „Matte“ stutzte. Bis der Trick irgendwann nicht mehr funktionierte und das Kind leider wenig Zutrauen zu dem Herrn mit der Schere hatte, den er ja offiziell bis dato noch nicht kannte.

Fiona hingegen war längst mit unserem Haus- und Hof-Schneidemeister vertraut, als auch ihre Haare fallen mussten. Für sie gab es dann immer einen Riesen-Schokoladen-Cookie, für den Rest Kuchen, ein bisschen Geplaudere – und dann schnipp-schnapp, Haare ab.

Chewbaccas Verwandte

Unser Friseur war aber kürzlich krank, leider auch länger. Als wir schließlich vor Weihnachten alle aussahen wie Chewbaccas Verwandte, war der Zustand nicht mehr tragbar. Geschlossen wanderte die Familie zu einem Salon in unserer Nähe. Für Fiona eine völlig neue Welt.

Gebannt blätterte sie mit mir in den Frauenzeitschriften („Die sieht toll aus! Oh, die ist sooo schön! Ich möchte gern aussehen wie dieeee!“), bis drei sehr freundliche und auch im echten Leben sehr hübsche Haarschneiderinnen vor ihr standen (es war gerade recht leer).

Unserer Tochter wurde ein kunterbunter Kinderumhang umgeworfen, der Stuhl einen halben Meter hochgepumpt und der Sirenengesang gestartet: „Bist Du aber süß!“ flöteten die Damen. „Und sooooo schöne Haare hast Du!“ Fiona strahlte wie der Weihnachtsstern, die Friseurinnen auch. Als ihr am Ende noch eine prächtige Flechtfrisur zuteil wurde, für die ich mir die Finger verrenkt hätte, und ein Lolli in ihren Händen lag, war mir klar, was kommen würde: „Ich will immer hierhin. Immer!“ rief sie begeistert beim Verlassen des Ladens.

Ein Stück Familiengeschichte

Das Beweisfoto: Chewbaccas Verwandtschaft (Bild: Albach)

Ich muss nun einschieben, dass Fi einen Pony hat. Genau den, den mysteriöserweise ziemlich viele kleine Mädchen tragen. An dem Schnitt scheint sich auch seit Jahrzehnten nichts geändert zu haben: Ich selbst hatte als Kind genau den gleichen, dichten Vorhang über der Stirn hängen (siehe Beweisfoto). Ich kann mich nicht entsinnen, wann die Entscheidung gefallen ist, auch unsere Tochter in diese Föhnreihe einzugliedern – noch, wer sie getroffen hat. Jedenfalls waren die drei Damen vom Salon beim Schneiden des guten Stücks sehr behutsam vorgegangen. Was zur Konsequenz hatte, dass Fi schon zwei Wochen später nicht mehr allzu gut durch ihren Pony sehen konnte.

Selbst ist die Friseurin

Bei Normen und mir hingegen saß noch alles bestens. Ein Friseurbesuch zwischendurch war mir zu aufwändig. Ich kaufte also eine Haarschneideschere. Mein letzter „Selbst ist die Frau“-Versuch war allerdings nicht so gut gelaufen. Fionas Tagesmutter hatte damals sofort den Ursprung des neuen Schnitts erkannt und trocken kommentiert: „Sag Deiner Mama, nächstes Mal soll sie mit Dir zum Friseur gehen.“ Deswegen bemühte ich YouTube. Zu dritt schauten wir gebannt einer Schweizerin zu, die dank ihres Dialekts und Gemüts ein bisschen länger brauchte, bis sie zum Punkt kam. Als sie aber einen Ikea-Gefrierbeutel-Clip an ihren Pony heftete, damit er nicht schief würde, waren wir begeistert.

Fiona wurde vor den Spiegel gesetzt. Handtuch drum. Clip dran. Augen zu. Schnipp. Zitter. Schnapp. Pony ab. Blinzel. „Jaaaaaa!“, rief Fi, als sie sich sah und startete einen Freudentanz. Auch ich fiel nicht in Ohnmacht. Ich bin sogar versucht, nochmal mit Fiona bei der Tagesmutter zu klingeln.




Golden Globe für die Amazon-Serie „Goliath“ – Jetzt aber endlich mal `reinschauen!

Die Golden Globes sind verliehen: „LaLaLand“ ist mit sieben Trophäen der große Gewinner; Meryl Streep und Moderator Jimmy Fallon setzten Spitzen gegen Trump. Der Preis für den besten Darsteller in einer Serie für Billy Bob Thornton macht noch einmal auf eine Serie aufmerksam, die es verdient hat: „Goliath“.

Billy Bob Thornton als Anwalt in der Serie "Goliath". (© Amazon Prime Video)

Billy Bob Thornton als Anwalt in der Serie „Goliath“. (© Amazon Prime Video)

Es war ein Überraschungsgewinn für Billy Bob Thornton. Er hat ihn für eine ungewöhnliche Rede genutzt: Anstatt sich bei unzähligen Crew-Mitgliedern, Freunden und Familie zu bedanken oder die eigene Leistung in den Vordergrund zu stellen, würdigte er den Produktionsassistenten Luke Scott, der mit gerade einmal 23 Jahren gestorben ist. Wegen ihm sei er gern zur Arbeit gekommen, so Thornton.

Menschlicher Straßenhund

Wenn man „Goliath“ (eine Amazon-Serie) sieht, kann man sich vorstellen, dass Luke Scott nicht der einzige Grund dafür war – so menschlich und differenziert spielt Billy Bob Thornton. Wenn man ihn in seiner Rolle als Billy McBride allerdings das erst Mal zu Gesicht bekommt, ist es ein Schock: Hager, abgehalftert, gezeichnet wirkt dieser ehemalige Star-Anwalt, das menschliche Pendant zu den Straßenhunden, die ihm so am Herzen liegen.

Das Vermögen, das er als Gründer und einstiger Vorzeige-Verteidiger der riesenhaften Kanzlei „Cooperman & McBride“ angehäuft hatte, ist längst versoffen. Seine Existenz spielt sich zwischen seinem heruntergekommenem Motel-Zimmer und seiner Stammkneipe ab. Die Talfahrt wird gestoppt, als Billy ein scheinbar aussichtsloser Fall angetragen wird: Vor Jahren starb ein Mann bei einer Bootsexplosion auf dem Pazifik, seine Witwe wurde mit einer Selbstmord-Geschichte abgespeist. Jetzt aber kommt der Verdacht auf, dass der Rüstungskonzern BornsTech illegale Tests verschleiern wollte. Billy McBride wittert den Fall seines Lebens – und die Chance, sich an seiner einstigen Kanzlei zu rächen, die den Gegner vertritt.

Klares Schema

Zugegeben, die Rollen sind in dieser Serie klar verteilt: Genau, wie der Titel es erwarten lässt, tritt hier ein Underdog gegen einen scheinbar unbesiegbaren Riesen an. McBrides winziges Team besteht aus gesellschaftlichen Außenseitern, der Kontrahent verfügt über schier unendliche Geld- und Personalmittel und keinerlei lästige Moralvorstellungen.

Was aber zwischen diesen klaren Eckpfeilern geschieht, ist mitreißend: Billy Bob Thornton spielt McBride nicht als strahlenden Helden, sondern als zweifelnden, zynischen, zutiefst misstrauischen Gefallenen, der sich ein letztes Mal gegen den scheinbar unaufhaltsamen Untergang aufbäumt und dabei beinahe (psychisch und physisch) zu Grunde geht. Als einsamer Outlaw wirkt er den Menschen entwöhnt; ein knurriger Kämpfer, der zur Erreichung seiner Ziele durchaus auch nicht immer moralisch glänzt. Seine Fehler aber verblassen angesichts seines Kontrahenten Mr. Cooperman, den William Hurt so überzeugend als personifiziertes Böses gibt, dass es einem übel wird.

Sein eigener Feind

Ohnehin greift einen die Serie regelrecht an, so viel leidet man mit dem Anti-Helden McBride mit: Letztlich sind es nicht nur die empfindlichen Rückschläge, die er von der Gegenseite einstecken muss. Dieser verkappte Romantiker ist sich selbst eigentlich schon Feind genug.

Die harte, graue Tonalität ist somit ganz anders, als man es von David E. Kelley erwarten könnte, der „Goliath“ gemeinsam mit Jonathan Shapiro für Amazon produziert hat. Einst nämlich machte er mit lustigen Anwälten wie in „Ally McBeal“ und „Boston Legal“ von sich Reden.




Familienfreuden XXII: Die Auswegloslösungsmaschine

Seit ich Ma bin, wünsche ich mir manchmal eine kleine Maschine: Sie wäre so groß wie ein Smartphone, hätte ein Mikrofon und an einer Seite einen Schlitz, aus dem kleine Druckwerke kommen können.

Heiß ersehnt: Die Lösungsmaschine für Situation, in denen Eltern Ratlosigkeit packt. (Bild: Albach)

Heiß ersehnt: die Lösungsmaschine für Situationen, in denen Eltern Ratlosigkeit packt. (Bild: Albach)

Immer dann, wenn ich mal wieder in eine Situation mit Fiona geriete, bei der ich nicht weiter weiß, würde ich das Maschinchen anwerfen, es ein paar Minuten mithören lassen und schwups – käme ein feiner, kleiner Zettel heraus mit dem ultimativen Ratschlag zur Lösung des Problems. Bis dieser Wunderapparat erfunden ist, müssen Normen und ich leider weiter improvisieren.

Die armen Nackten

Das Fiese ist ja, dass solche Situationen oft ohne große Ankündigung kommen. Ok, man merkt natürlich schon, wenn Fionas Stimmung fragil ist. Was aber zum tatsächlichen Ausbruch führt, ist unkalkulierbar, völlig unlogisch.

Es war im Urlaub. Wir hatten gerade gemütlich gefrühstückt, es ruhig angehen lassen und waren nun (zu bester Mittagssonne) am Strand angekommen. Der schönste Abschnitt wurde vorrangig von FKKlern besucht und obwohl wir selbst keine Freikörperkultur-Anhänger waren, fühlten wir uns dort wohl. Fi hatte die nackten Menschen beim ersten Mal lange beobachtet und schließlich gefragt: „Mama, sind die arm?“ „Nein, wieso?“ „Weil die nichts anhaben!“ „Das finden die Menschen schön.“ „Ach so…“ Diese Irritation war also längst ausgeräumt.

Flucht bei Ankunft

Diesmal aber sah uns eine ältere Dame ankommen und stand, kaum dass wir fünf Meter von ihr entfernt unsere Strandmuschel aufgebaut hatten, auf, um sich einen Platz weit von uns entfernt auszusuchen. Möglicherweise hätte ich das als Omen begreifen sollen.

Fi verlangte einen Keks. Ich: „Wir haben gerade gefrühstückt, Du bekommst jetzt nichts Süßes.“ „Aber ich habe Hunger!“ „Dann hättest Du beim Frühstück mehr essen sollen. Ich habe Dich fünf Mal gefragt, ob Du Deinen Fruchtjoghurt aufessen willst. Hier kannst Du ein Stück Brot haben.“ „Ich will JETZT meinen Joghurt!“ „Der steht zu Hause!“ „Ich will nach Hause!“ „Wir sind gerade erst angekommen, wir fahren jetzt nicht wieder.“

Vulkanausbruch

Zack – da war es geschehen! Vulkanausbruch. Fi brüllte. Weinte. Warf sich hin. Trat um sich. Die Sandmuschel schluckte zumindest ein bisschen von dem Geschrei, so dass nicht auch alle anderen Strandbesucher aufstanden und umzogen.

Ich durchlaufe in diesen Momenten immer ein Standardprogramm, das sich in drei Phasen gliedert:

1. pädagogisch wertvolles Auftreten (Erklärungsversuche und wohlformulierte Appelle, die keiner hört außer mir).

2. Wut („Jetzt HÖR BITTE AUF!!!“ – komplett wirkungslos).

3. Mitleid. Schweigend sahen Normen und ich einige Zeit zu, wie sich unsere Tochter im Sand lautstark und erfolgreich selbst panierte. Dann sah man langsam die Rage aus ihr weichen und ein Häufchen Elend überbleiben.

Vergessen

Ich nahm sie in den Arm und fragte, ob sie vielleicht mit ins Meer wolle. Schniefend nickte sie. Wir gingen schwimmen, sie warf sich jauchzend in die Wellen. Das Unglück war vergessen.

Drei Stunden später fuhren wir zurück zu unserem Ferienhaus. Fi schlief vor Erschöpfung ein.

Als wir angekommen waren, wachte sie auf. Sie blinzelte – und sagte bestimmt: „Ich will jetzt meinen Joghurt essen!“




Familienfreuden auf Reisen: „Einmal Apfelsaft mit Wasser, aber Wasser mit!“

Zauberei! (Bild: Nadine Albach)

Zauberei! (Bild: Nadine Albach)

Ein Kind zu haben, ändert meine Sicht auf die Welt. Klingt völlig platt. Ist es aber gar nicht. Weil damit winzige Momente gemeint sind, die ich nur durch Fiona so sehe und erlebe und die einen ganz eigenen Zauber bekommen.

„Und, was möchtest Du denn trinken?“ Fiona windet sich kurz, die Kellnerin beugt sich neugierig zu ihr runter. „Einmal Apfelsaft mit Wasser, aber Wasser mit“, sagt unsere Tochter schließlich.

Ich hätte es mitsprechen können. Fi bestellt ihr Getränk immer genauso. Nie würde sie schnöde eine Apfelschorle ordern. Nie dauert ihr diese Art der Bestellung zu lang. Es ist genau das, was sie will: Einen Apfelsaft mit Wasser und das Wasser mit Kohlensäure. Herrlich. Von Zeitoptimierung und Effizienz meilenweit entfernt. Kurz überlege ich, ob ich „ein Glas Sekt, aber den Sekt mit rot und orange“ bestellen soll, sage dann aber doch „Aperol Spritz“.

Wer lernt von wem?

Trotzdem, auch wenn ich es mich nicht getraut habe, frage ich mich in solchen Momenten, wer eigentlich von wem lernt. Denn ich käme nie auf die Idee, die Seite aus dem Rätselblock herauszureißen, die eigentlich dazu gedacht war, unterschiedlich gemusterte Tassen, Kannen und Schüsseln zu sortieren, und stattdessen jedes Teil sorgsam auszuschneiden und dann auf den Frühstückstisch zu legen. Die gepunkteten für Mama, die gestrichelten für Papa und die geblümten für Fiona. Kann ein Tisch schöner gedeckt sein?

Ich gebe zu, ich bin nicht in jeder Situation für den Zauber dieser Perspektive empfänglich. Wenn ich es gerade eilig habe, will ich nicht wie ein Hund auf der Erde herumwuseln und nach dem Schlüssel bellen, der wundersamerweise in einen Knochen transformiert wurde.

Ein Zauberreich

Aber jetzt gerade sind wir im Urlaub. Und deshalb darf sich alles um uns herum in ein Zauberreich verwandeln. Während die anderen Besucher des Freiluftmuseums staunend und eher schweigend die Wege abgelaufen sind, rennen Normen und ich Staub aufwirbelnd hinter Fiona her, spielen fangen und verstecken uns hinter in Würde und voller Spinnweben gealterten Gebäuden. Unsere Tochter können wir gerade noch davon abhalten, sich in die strohgedeckten historischen Schlafstätten zu werfen. Und ohne Frage schmeckt der friesische Klüntje-Tee hinterher besonders gut, sobald der Saft einer anderweitig entwendeten Orangenscheibe in ihn hineingedrückt ist. Das Leben ist ein Abenteuerspielplatz!

Irgendwann übermannt Fiona ob all der Ideen und fantastischen Möglichkeiten der Schlaf. Sie sackt im Fahrradkindersitz zusammen, der Kopf gondelt gefährlich nach rechts und links, an Erwachen ist auch beim Hinauszerren und in die Wohnung tragen nicht zu denken. Eine Stunde komatöser Schlaf. Dann Erwachen mit erberstend schlechter Laune. Tanzen, Geschichten erzählen, kitzeln – alles doof. Bis der Blick wieder auf den Rätselblock fällt und diesmal auf eine Seite mit verschiedenen Tieren. Eine halbe Stunde später verlassen wir das Feriendomizil. Jeder von uns nennt nun einen bunt angemalten Hund sein eigen, der einen Bindfaden um den Hals gebunden hat. Wir gehen jetzt Gassi mit unserem neuen Familienzuwachs. Was denn sonst?




Mindestens ein Manuel Harder – in Carsten Brandaus Stück „Die Anmaßung“

Manuel Harder in "Die Anmaßung". (Quelle: Theater Dortmund)

Manuel Harder in „Die Anmaßung“. (Quelle: Theater Dortmund)

Die titelgebende „Anmaßung“ in dem Stück von Carsten Brandau beginnt schon mit der Regieanweisung: Es brauche „mindestens einen Manuel Harder“. Ein Stück, nur für einen Schauspieler geschrieben, versetzt mit biographischen Versatzstücken: Es ist ein Vexierspiel zwischen Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Illusion, dem der Zuschauer ausgesetzt wird – zu sehen als Gastspiel im Bochumer Zeitmaultheater.

Schon einmal gab es im Ruhrgebiet ein denkwürdiges Zusammentreffen von Manuel Harder mit Carsten Brandau: Der Schauspieler hatte „Wir sind nicht das Ende“ in Dortmund inszeniert – ein Stück über die Frau eines der Terrorpiloten von 9/11, aufgeführt in einem klaustrophobisch kleinen Container.

Ähnlich dicht auf die Pelle rückt einem Manuel Harder auch in „Die Anmaßung“ – so scheinbar tief geht der Blick in den Menschen, der da vor einem steht. Oder doch nicht?

Wer spricht mit wem?

„Manuel Harder“ ist in großen Lettern auf die Bühne projiziert: Doch so, wie eine Projektion ja auch ein Spiel mit Licht ist, spielt auch dieser Abend mit Wirklichkeit und Illusion. Am Anfang führt Harder ein Zweigespräch, fordert von sich, alles zu zeigen, auf die Bühne zu gehen, aufrecht zu stehen.

Doch wer spricht hier mit wem? Der Manuel mit dem Harder, wie der den Namen trennende Vorhang nahelegt (Bühne: Julian Marbach) – der Autor, der dem Schauspieler die Worte in den Mund legt oder der Regisseur, der Anweisungen erteilt? „Ich war nie dabei, es war immer nur eine Möglichkeit“, sagt Manuel Harder selbst. Und kurzerhand macht Regisseur Florian von Hoermann „Die Anmaßung“ zu einer Reflexion über die Wechselwirkungen von Bühne und Kunst, Mensch und Leben: Wieviel von dem, was wir sehen, ist echt – und gibt es das überhaupt, die Echtheit? Was ist der Schauspieler bereit, von sich selbst zu geben? Und wie sehr kitzelt uns dieser voyeuristische Moment?

Geteert und gefedert

Nach dieser eher intellektuellen Kitzelei ändert „Die Anmaßung“ ihren Ton: Manuel Harder lässt wortwörtlich die Hosen runter, reißt sich bildlich das Herz aus dem Leib und teert und federt sich selbst. Dafür, dass er eine Entscheidung gefällt hat: Er hat einen Menschen verlassen, den er womöglich noch geliebt hat. Tiefe Verzweiflung, zerreißender Schmerz über eine Trennung, einen Verlust – womöglich auch eines Teils von sich selbst.

Carsten Brandau hat absolut recht, wenn er für ein Stück wie dieses einen Manuel Harder fordert: zynisch, dämonisch, herausfordernd, verzweifelt, verletzlich – mit atemberaubender Wahrhaftigkeit geht er von einem ins andere über. Manuel Harder lebt das Stück und das Stück lebt ihn.




Das Revier im Paket: Adolf Winkelmanns Ruhrgebiets-Filme im Kino und auf DVD

Der legendäre Spruch aus "Jede Menge Kohle". (Grafik: Winkelmann / Turbine Medien)

Der legendäre Spruch aus „Jede Menge Kohle“. (Grafik: Winkelmann / Turbine Medien)

Witz, Gefühl und Lebensechtheit hat der berühmte Kritiker Hellmuth Karasek Adolf Winkelmann 1981 im „Spiegel“ für den Film „Jede Menge Kohle“ attestiert. Komplimente, die sich auf die gesamte Ruhrgebiets-Trilogie des Regisseurs ausweiten lassen. Sie kommt jetzt, technisch frisch poliert und mit einigem Bonus-Material, passend zum 70. Geburtstag Winkelmanns (10. April), noch einmal in Dortmund ins Kino und in einer DVD-Box auf den Markt.

Wenn man (wie ich) 1978 geboren wurde, hat man zwar das „Entstehungsdatum“ mit den „Abfahrern“ gemein, hat aber gleichwohl den ursprünglichen Kult um die drei Ruhrgebietsfilme von Adolf Winkelmann nicht live miterlebt. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig die Distanz zu der Zeit und ihrem Lebensgefühl der Rezeption schadet: Gerade bei den Abfahrern erstaunt die Frische, die Unverbrauchtheit und Authentizität des Films.

Die Geschichte der drei arbeitslosen Jugendlichen, die aus Langeweile den Lkw einer Möbelspedition klauen und so planlos wie vergnügt in die Nacht fahren, um skurrile Abenteuer zu erleben, hat einen so situativen Witz und eine Lässigkeit, wie man sie vielen deutschen Filmen nur wünschen kann.

Der Dortmunder Winkelmann hat schon in diesem Film einen Blick für kleine Perlen des Ruhrgebietsalltags – und das, ohne die Region und ihre Menschen für einen billigen Gag zu verkaufen. Die Musik von den Schmetterlingen – die übrigens eigentlich eine österreichische Band waren und sich in das Ruhrpott-Idiom einfach hineinsangen (mit dem Titelsong „Wir sind die Gang von Johnny Vermessen“) geht einem tagelang nicht mehr aus dem Ohr.

Klischees ohne Schablonen

Das Talent, Klischees zwar zu thematisieren, aber nie ins Schablonenhafte oder Zynische zu überführen, prägt auch „Jede Menge Kohle“: Der Bergmann Katlewski, der unter Tage von Recklinghausen nach Dortmund läuft, um vor seinem alten Spießerleben mitsamt gescheiterter Ehe und hohen Schulden zu fliehen, erinnert an die Tragik mancher Figur aus der Hochliteratur. Und trotzdem gibt es genügend Szenen, die gerade durch die präzise Beobachtung und die Lust an der Anarchie besten absurden Humor entfalten. Inhaltlich wirkt „Jede Menge Kohle“ wie eine Fortschreibung der Abfahrer. Tatsächlich sagt Adolf Winkelmann, dass er nichts schlimmer fände, als sich zu wiederholen: „Ich fühle mich nur wohl, wenn ich nicht gefangen bin in Konventionen.“

Technisches Neuland

Deswegen wollte er nach seinem kleinen, ‚dreckigen‘ Erstlingswerk nun einen Streifen drehen, der „technisch Neuland war: Alles, was nicht ging und noch keiner gemacht hatte, wollten wir schaffen.“ Seinen Tonmann Hans Peter Kuhn stellte er vor die Herausforderung, Dolby Stereo im Originalton aufzunehmen – ein Verfahren, das laut Winkelmann kein Spielfilm danach mehr genutzt habe. Was Dolby für Ton, war damals Cinemascope für das Bild: Winkelmann und sein Kameramann David Slama fuhren eigens nach London zu dem Panavision-Hersteller Samuelson, um ein Problem zu lösen. Denn unter Tage durften sie nur ohne Elektrizität drehen, wegen des Funkenflugs. „Die kamen dann tatsächlich mit einer Art Schuhkarton aus Blech aus ihrem Museum wieder und statteten ihn extra für uns mit dem Objektiv aus“, berichtet Winkelmann.

Eine Spur Verrücktheit

Geschichten wie diese hält die neue Box von Turbine Medien im Bonus-Material bereit: Interviews, Drehortbesuche, Fotografien ermöglichen einen Blick auf die drei Filme, der ein Gefühl von Aufbruch, Unkonventionalität und einer Spur Verrücktheit hinterlässt – verbunden mit der Frage, ob Ähnliches in dem überregulierten Filmgeschäft heute überhaupt noch realisierbar wäre.

Mit dem dritten Film im Bunde schließlich vollzieht Adolf Winkelmann einen harten Bruch: Zeigte er die schrägen, unheldenhaften Protagonisten bis dato mit einem liebevollen Blick, ändert sich in „Nordkurve“ Ton und Perspektive drastisch. In diesem Film, bei dem sich viele kleine, menschliche Tragödien rund um den Kulminationspunkt, das Fußballspiel, ereignen, wird der Zuschauer mit Gewalt, Suff, Sex konfrontiert. Enthemmte Menschen sind da zu sehen, offen brutal auf der Fanseite, verschlagen und noch viel skrupelloser auf Manager-Ebene. „Unser Ziel war es, jede einzelne Figur bis auf die Haut nackt auszuziehen“, sagt Winkelmann.

Alles auf einmal

Alle drei Filme sind jetzt, am Freitag, 8. April (20 Uhr), in der Dortmunder „Schauburg“ (Brückstraße 66 – Tel.: 0231 / 95 65 606) zu sehen. Adolf Winkelmann und einige Schauspieler bzw. Beteiligte sind anwesend. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft. Die DVD-Box mit der Ruhrgebietstrilogie kommt ebenfalls am 8. April heraus.

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Und hier noch eine kurze Impression: https://www.youtube.com/watch?v=lqycf2CugnI

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P. S.: Transparenz ist uns immer wichtig. Also sei’s offen gesagt: Revierpassagen-Autorin Nadine Albach moderiert den erwähnten Winkelmann-Abend in der Dortmunder „Schauburg“. Deshalb hat sie sich intensiv mit seinem Werk befasst.

 




Familienfreuden XXI: Der Schlüssel zum Osterfest

Der Schlüssel zum Osterfest. (Bild: Albach)

Der Schlüssel zum Osterfest. (Bild: Albach)

Fiona ist im Osterfieber. Schließlich ist die Zeit zwischen Weihnachten und Sommer-Geburtstag aber auch so verdammt lang. Also: Hasen, Eier, Schokolade – immer her damit!

Der Schneemann sah wirklich nicht mehr schön aus: Das Glibber-Klebematerial, aus dem er bestand und das sich zuverlässig an jede Fensterscheibe saugt, hatte bereits alle Haare und Staubflocken der Umgebung angezogen. Ich fühlte mich kurz erinnert an die Yps-Gummihand, mit der ich als Kind für glückliche zwei Stunden alles in meinem Umfeld versucht hatte herbeizuziehen, bis sie eben auch aussah wie Kaugummi, das man durch verschiedene Dreckschichten gezogen hatte.

Ich hatte Mitleid mit dem Schneemann und auch Fiona muss gespürt haben, dass seine Zeit gekommen war. Auf Zehenspitzen stellte sie sich an ihr Fenster, knibbelte den kalten Gesellen runter und schüttelte die an ihr klebenden Reste ungeduldig ab. „Wir müssen was Neues basteln!“, stellte sie fest. Und gab ihre Bestellung auf: „Hasen, Eier, Bäume, Schmetterlinge, einen Korb, eine Möhre…“

Fensterdeko am Fließband

Akkordbasteln! Wie am Fließband schnitt ich die geforderten Rohlinge aus, die Fiona großzügig mit Wasserfarben bedachte. Der beste Ehemann von allen steuerte eine Möhre bei. Fertig war das bunte Osterbild. Dass Symmetrie im Allgemeinen oder gar Konzepte wie die Petersburger Hängung nur etwas für Spießer und Eltern ist, bewies Fiona durch ihre ganz eigene Fensteraufhängung: die wild durcheinandere. Nur bei einer Sache blieb sie strikt: „Die Eier müssen hinter die Bäume!“ – „Warum?“ – „Na, weil der Osterhase sie dahinter versteckt hat!“ Was im Ergebnis dazu führt, dass wir die schönen Eier nun nur noch von draußen sehen können.

Pusten!

Der nächste Schritt zum glücklichen Osterfest war ein externer Auftrag: Der Kindergarten hatte ausgepustete Eier bestellt. So viele wie möglich. Ich schaute mir erst einmal auf YouTube an, wie das überhaupt geht. Neugierig sah Fiona anschließend zu, wie ich mit hochrotem Kopf das Innere des Eis hinauspustete, pustete, pustete – bis endlich mit einem „Plopp“ auch die Hagelschnur herauskam. Mehr als zwei Mal konnte ich mich nicht dazu überwinden. Und die Puste-Beute verarbeiteten wir zwar tapfer zu Rührei – das abends aber auch keiner mehr so recht essen wollte. Immerhin: Nun baumeln zwei wunderschön bunt bemalte Eier in Fis Kindergarten.

Süße Tänze

Gestern dann war ich mit Fiona einkaufen. Versonnen stand sie vor den Türmen aus Süßigkeiten. Hasen, Lämmer, Küken lächelten sie verführerisch an. „Zu Ostern gibt es viel Schokolade, oder?“, fragte sie. „Ja.“ „Juchuh“, rief sie und vollführte einen kleinen Tanz.

Ein wahres Fest war für Fiona aber die Dekoration: Alles, was nicht schnell genug fortgelaufen war, wurde mit bunten Eiern behängt. Sträucher. Bäume. Türen. Wir immerhin nur temporär.

Es ist also beinahe alles bereit für Ostern. Heute Morgen aber fiel Fiona noch ein entscheidendes Detail ein: Wir hatten ihr erklärt, dass wir die Eier bemalen und der Osterhase sie dann abholt und versteckt. „Aber dann“, sagte sie ernst zu mir, „müssen wir doch noch einen Schlüssel für den Hasen hinlegen. Wie soll er denn sonst hier reinkommen?“




Familienfreuden XX: Die Spielzeug-Sekte

Das "richtige" Spielzeug. (Bild: Albach)

Das „richtige“ Spielzeug. (Bild: Albach)

Kinder sind Ideologie pur. Und seitdem Fiona da ist, weiß ich: Die Kampflinie verläuft zwischen Plastik und Holz!

Es war auf den Straßen von San Francisco, Fiona schlummerte selig in ihrem Kinderwagen, als uns eine Frau freundlich ansprach: „Sorry, are you from Germany?“ Normen und ich schauten uns erstaunt an: Wir waren es schon gewohnt, dass wir, kaum dass wir den Mund aufmachten, als Deutsche identifiziert wurden, aber just in diesem Moment hatten wir golden geschwiegen. Woran sie denn das erkannt habe, fragten wir neugierig. Zielsicher und mit breitem Grinsen zeigte sie auf die Spielzeugkette, die an Fionas Kinderwagen baumelte. Sie war – aus Holz. „In the US, this would be plastic!“

Niemals hätte ich gedacht, dass meine Nationalität einmal am Spielzeug unserer Tochter ablesbar sein würde. Bunte Bilder von aufblasbaren Eiffeltürmen, Spaghetti aus Stoff oder Holz-Frikandeln futschen durch meinen Kopf – willkommen in Klischeetanien!

Demarkationslinie zwischen Holz und Plastik

Dabei muss ich der spielzeugweltgewandten Dame doch entschieden widersprechen – schließlich gibt es sie auch in Deutschland selbst, die ideologische Demarkationslinie zwischen Plastik- und Holzspielzeug. Und noch vor einigen Jahren wäre ich selbst fahnenschwingend und „Ostheimer“-rufend für Holz als einzig echten, wirklich wahren Spielzeug-Werkstoff auf die Barrikaden gegangen.

Inzwischen bin ich da vorsichtiger geworden. Denn inzwischen bin ich ihr begegnet: der Spielzeug-Sekte.

Ein Graus!

Es war zu Fionas erstem Geburtstag. Meine Schwiegermutter wollte Fiona unbedingt eine Puppe schenken. Sie hatte eine diese ganz klassischen Babypuppen ausgesucht – für mich ehrlich gesagt ein Graus! Ich gestand ihr meine Aversion mit Bauchschmerzen. Sie reagierte ganz entspannt: „Dann such‘ Du doch einfach eine aus!“

Erleichtert ging ich in die Stadt. Dort hat man die Auswahl zwischen zwei Spielzeugläden – und zwei Weltanschauungen: Der eine hat sich auf das qualitativ hochwertig, pädagogisch wertvolle Spielzeug spezialisiert. Der andere verkauft einfach alles, was der Markt hergibt. Meine Schwiegermutter hatte sich für die gute Seite der Macht entschieden. Dachte ich.

Mission Umtausch

Ich betrat den Laden, ohne zu ahnen, dass es ein Kriegsschauplatz würde. Meine Mission: Baby- gegen Stoffpuppe umtauschen. Naiv wurde ich bei einer Verkäuferin vorstellig. Kaum hatte ich mein Sätzchen aufgesagt, fiel die gute Dame fast in Ohnmacht. „WAS wollen sie?“, rief sie empört, die Augen vor Entsetzen geweitet. „Diese wunderschöne Puppe umtauschen?“

Schon etwas vorsichtiger geworden, nickte ich nur. Sie holte zum Rundumschlag aus. Noch NIE in ihrer 40-jährigen Verkäuferinnenkarriere habe sie etwas Derartiges erlebt. „Also nein! Das ist doch eine Puppe für die Ewigkeit! Darüber freut eine Frau sich auch noch im hohen Alter, wenn die im Schrank steht und sie anlächelt.“ Attacke, versenkt. Ich stand nur noch wackelig auf den Beinen und murmelte, dass das doch vielleicht Geschmackssache sei. Sie entlud einen weiteren Hagel Fassungslosigkeit.

Tief fliegendes Kaufladen-Obst

Als sie erkannte, dass ich trotz allem standhaft blieb, sah sie mich an, als erwöge sie, gleich die UN-Puppenrechtskonventionen zu zitieren oder mich mindestens noch mit Kaufladen-Obst (aus Holz natürlich) zu bewerfen. Doch sie zuckte nur mit den Schultern ob so einer Ignoranz und sagte: „Tja, wenn sie sich sicher sind (kurze Pause), DANN müssen sie eben zur Kasse gehen.“

Mit gesenktem Kopf tat ich wie geheißen. An der Kasse wiederholte ich mein Anliegen – in der Hoffnung, das Schlimmste nun überstanden zu haben. Stattdessen erwischte mich die neue Zermürbungstaktik kalt. Die ältere Dame an der Kasse sah mich strafend und schweigend an. Dann nahm sie mir die Puppe ab, legte sie wie ein echtes Baby in ihre Arme, schaute sie mitleidig an und sagte: „Hast Du kein Zuhause gefunden? Och, Du Arme! Dann kommst Du wieder zu uns! Bei uns bist Du willkommen!“

Wie eine Menschenhändlerin

Ich brach fast zusammen. Das Geld nahm ich mit dem Gefühl, eine Menschenhändlerin zu sein.

Draußen auf der Straße plagten mich Gewissensbisse. Warum hatte ich diese Puppe nicht lieben können? Ich rief meine beste Freundin an. Jemand musste mir jetzt versichern, dass ich nicht der schlechteste Mensch auf diesem Planeten bin.

Als ich wieder hergestellt war, ging ich zu dem Spielzeugladen, der alles verkauft. Vorsichtig sah ich mich um. Keine Verkäuferin, die mir eine Moralpredigt halten wollte. Keine Schilder, die mir anzeigten, welches Spielzeug „gut“ oder „schlecht“ war. Ich nahm eine Stoffpuppe. Schaute mich um. Ging schnell zur Kasse. Bezahlte. Keiner kommentierte meine Auswahl. Ich hatte selbst entscheiden dürfen! So, wie es Fiona jetzt tun soll – auch wenn es dann eben Plastik oder eine Babypuppe ist. Denn das war der Tag, an der ich der Spielzeug-Ideologie abschwor.




Familienfreuden XIX: Von endgültigen Abschieden

Heute wird es nicht ganz so freudig in den Familienfreuden. Es geht um den Tod. Fiona ist noch nicht ganz drei Jahre alt – aber das Thema Sterben ist für sie schon präsent.

Abschiede werfen Fragen auf. (Bild: Albach)

Abschiede werfen Fragen auf. (Bild: Albach)

Es gibt viele wunderschöne Momente, unbezahlbare, leuchtende, die wir mit Fiona erleben. Dann auch nervige. Ärgerliche. Traurige. Aber bei dem Thema Tod merke ich, dass ich vor allem eins bin: verunsichert. Wie soll man mit einem kleinen Kind darüber reden? Was kann man ihm zumuten – und was nicht?

Als ein lieber Mensch letztens schwer krank im Krankenhaus lag, fand ich eine Broschüre. Dort stand klar, man solle Kindern sagen, was los sei – egal, wie alt sie sind. Ihnen erklären, dass XY sehr krank ist, aber die Ärzte sich gut um XY kümmern. Also fasste ich mir ein Herz und erklärte Fiona genau das. Sie hörte sich alles mit großen Augen an und es schien zunächst, als habe das Gesagte sie nicht sonderlich beeindruckt. Wenige Stunden später aber wirkte sie völlig verstört, ganz anders als sonst, in sich gekehrt und bedrückt. Als ich sie fragte, was los sei, antwortete sie, dass sie Angst hätte – vor einem Mann, der immer so traurig sei.

Ich beschloss: Uneingeschränkt sagen, was los ist, ist zumindest für unsere Tochter keine gute Idee.

Ich merkte aber auch, wie schwierig der Umgang mit dem Thema Tod und Sterben ist, weil er es auch für mich ist. Das klingt erst einmal banal. Es hat mir aber doch deutlich gezeigt, wie weit weg ich dieses Thema bisher aus meinem Leben gehalten habe. Wie also erklärt man einem Kind, was einen selbst beunruhigt?

Ich recherchierte viel. Und fand Internetseiten von Trauerberatern. Auch dort hieß es, man solle möglichst offen mit den Kindern reden. Bei einem Fallbeispiel lag der tote Vater sogar tagelang in der Wohnung der Familie, damit seine Kinder sich von ihm verabschieden konnten.

Ich bekam zunehmend das Gefühl, das keiner dieser Ratschläge sich wirklich an der Lebensrealität einer nicht ganz Dreijährigen orientierte – zumindest nicht an der unserer Tochter. Das Krankheit auch zum Tod führen kann, ist für sie unvorstellbar: Sie nimmt bei Husten ihren Saft und ist nach ein paar Tagen wieder gesund.

Vor wenigen Wochen ist ein guter Bekannter sehr plötzlich gestorben. Fiona war einige Zeit danach bei seiner Frau zu Besuch. Hinterher fragte sie mich: „Wo war der Mann?“ „Er ist gestorben. Das heißt, er ist nicht mehr da und er kommt leider auch nicht mehr wieder“, sagte ich, um Ehrlichkeit bemüht. „Warum?“ kam unausweichlich die Nachfrage. Ich atmete tief ein. Und griff auf den einzigen Ratschlag zurück, den ich bei meiner Recherche für annehmbar gehalten hatte: Ich suchte nach einem Bild, das für sie ansatzweise vertraut ist. „Er ist jetzt ein Stern. Und immer, wenn wir abends in den Himmel schauen, können wir ihn sehen und ihm winken.“ Fiona schaute mich nachdenklich an. „Schläft er auf einer Wolke?“ „Ja.“ „Auf einer blauen!“, beschloss sie – und schlief ein.

Am nächsten Morgen beim Frühstück spukte ihr das Gespräch noch im Kopf rum. Sie ging alle Menschen durch, die ihr nahe stehen, und fragte, ob sie gestorben seien. Wir schluckten ein bisschen und sagten, dass sie alle leben. Fiona aß ihr Brötchen weiter.

Als wir später zum Spielplatz liefen, lag eine tote Hummel gekrümmt auf dem Boden. Fiona und ich schauten sie genau an. Dann nahmen wir eine ihrer Schaufeln und schoben die Hummel darauf. Fiona trug das kleine Tier zu den Beeten und legte es zu den Blumen.




Familienfreuden XVIII: Österliche Schonfrist

„Fiona“, fragte ich gestern Abend, „weißt Du eigentlich, was morgen ist?“ „Vogelparty?“ Letztens hatte die Tagesmutter Karneval nachgeholt und Fi hing dem flatterhaften Event immer noch sehr hinterher. „Nein, die war doch schon. Weißt Du, was morgen ist?“ „Ja!“ …. „Was denn?“ Sie überlegte kurz. „Weiß gar nicht.“ Diese Formulierung gehört mittlerweile zu unseren geflügelten Worten. „Morgen ist doch Ostern!“ In Fionas Augen stahl sich ein Strahlen. „Schokolade!“

Große Ostergeschichten sind noch nicht gefragt. (Bild: Albach)

Große Ostergeschichten sind noch nicht gefragt. (Bild: Albach)

Seit einigen Tagen schon hatten wir erzählt, dass bald Ostern ist. Ihr Geschichten dazu vorgelesen. Ihr auch vom Osterhasen erzählt. Aber das einzige, was hängen geblieben war: Es gibt Schokolade! Und das ist gut so – weil es ablenkt und Misstrauen gar nicht erst aufkommen lässt. Davon, dass Normen und ich unsere Ausbildung beim CIA (Club der IntelligentvorFeiertagen AgierendenEltern) noch nicht abgeschlossen haben. Oder anders ausgedrückt: Die Geheimhaltungsstufe ist bei uns im Moment noch viel zu niedrig angesetzt.

Vor ein paar Tagen habe ich zum Beispiel Geschenkpapier gekauft, ziemlich auffällig, mit vielen Küken drauf. Fiona entdeckte es und spielte vergnügt mit der bunten, großen Rolle. Als sie heute Morgen ihre Ostergeschenke auspackte, schien sie sich nicht darüber zu wundern, wie der Osterhase an unser Geschenkpapier gekommen war.

Oder die Süßigkeiten. Wir gehen eigentlich immer mit Fi einkaufen. Und natürlich ist der Versuch, die österlichen Naschwaren unbemerkt in den Einkaufswagen zu schmuggeln, gnadenlos gescheitert. Ganz im Gegenteil bestand sie darauf, die Schokoladenküken bis zur Kasse in der Hand zu halten. Immerhin konnten wir die Maus davon abhalten, die Packung auch gleich aufzureißen und den Inhalt aufzuessen. Aber auch hier: Keinerlei Verwunderung, dass die Küken heute in ihrem Nest lagen.

Und der krudeste Coup: die Ostereier! Samstagmorgen starteten Fi, meine Ma und ich die Fließbandproduktion und färbten, bemalten, betupften, beklebten 30 Eier, jedes für sich genommen ein kleines, wunderschönes Kunstwerk. Ich bemühte mich redlich, Fiona zu erklären, dass der Osterhase unsere Unterstützung braucht, weil er ja schließlich nicht alle Eier für alle Kinder anmalen kann. Sie nickte zwar ernst. Aber ich hätte glaube ich genauso gut von einem sprechenden Auto erzählen können.

Wir haben also noch Schonfrist. Jetzt nimmt Fi die Dinge noch hin – Hauptsache, es gibt Schokolade. Für die nächsten Osterfeste müssen wir uns aber besser präparieren. Ostercodes entwickeln. Geheime Einkaufstouren organisieren. Eine falsche Hasenidentität entwickeln. Oder: Den Berg an Schokolade einfach größer werden lassen.




Familienfreuden XVII: Im Land des freien Willens

Es ist jetzt keine Überraschung. Schließlich kann man das in jedem Elternratgeber nachlesen. Und gut ist es ja im Prinzip auch. Nämlich: Unsere Tochter ist gerade auf Erkundungstour in das Land ihres freien Willens – und wir alle müssen mit. Sofort!

Kein "Nein" mehr beim Tanzen. (Bild: Nadine Albach)

Kein „Nein“ mehr beim Tanzen. (Bild: Nadine Albach)

Unsere Tagesmutter hat es letztens auf den Punkt gebracht: „Fiona wird einmal einen Job mit Weisungsbefugnis bekommen“, stellte sie lapidar fest. Und berichtete dann, wie unsere Tochter zwei andere zweieinhalbjährige Mädchen instruiert hatte, mit ihr eine Bank zu tragen – bis diese endlich da stand, wo sie sie haben wollte. Die beiden anderen Mädchen hatten ohne Widerspruch getan, was Fiona von ihnen wollte.

Ehrlich gesagt würden wir das auch gern manchmal tun. Denn wehe dem, der sich Fionas Ideen in den Weg stellt. Oder ich drücke es mal anders aus: Den Dickkopf hat sie sicher von uns beiden geerbt. Auch wenn wir nicht ganz so viel bei der Durchsetzung unserer Interessen schreien.

Aber: Wir sind die Eltern. Und damit auch immer wieder in der Rolle der Verhinderer, im-Weg-Steher, Bedenkenträger, des „Geht jetzt nicht“ oder schlicht des „Nein“. „Nicht immer Nein sagen“, ruft Fiona dann. Aber es hilft ja nix. Allein über die Straßen gehen, die Küche unter Wasser setzen oder auch noch stundenlang bauen, wenn wir zur Arbeit müssen – das alles sind nicht so richtig tolle Ideen. Und außerdem wollen wir ja auch nicht, dass Fiona zu einem kleinen Monstrum mutiert, das immer bekommt, was es gerade will.

Wille prallt auf Wille

Dumm nur, dass es am Tag gefühlte 234 Situationen gibt, in denen Wille auf Wille prallt. Die einschlägige Ratgeberliteratur hat uns einen kleinen Lichtblick beschert mit dem Tipp, Fiona vor Handlungsalternativen zu stellen, so dass sie das Gefühl bekommt, die Entscheidung selbst getroffen zu haben. Wenn sie also Freunden nicht Tschüss sagen will, schlagen wir vor, dass sie ein „Goodbye“ loslässt – und es klappt! Auch die Frage, ob sie abends lieber zuerst Zähne putzen oder den Schlafanzug anziehen will, lässt die Diskussion gar nicht erst aufkommen, ob ins Bett gehen überhaupt eine Option ist. Allerdings verknotet sich mein Gehirn bei dem Versuch, in jeder Situation interessante Alternativvorschläge zu finden. Wenn Fi sich gerade ein Glas Wasser über den Kopf schütten will – soll ich ihr dann vorschlagen, es stattdessen bei mir auszuprobieren?

Das Drama leben

Manchmal also kommt man nicht umhin, das Drama zu leben. „Nein“ zu sagen. Punktum. Und dann: Ohren zu und durch. Schreien. Weinen. Laufende Nase. Stampfen. Auch mal auf den Boden werfen. Schon mal gar nicht in den Arm nehmen lassen. Für Minuten, gefühlte Stunden. Wut ist ja auch mal ganz gut.

Aber – es gibt auch die schwachen Momente. Die, in denen man weich wie Butter ist, wie die Mädchen, die die Bank getragen haben. Es sind die Situationen, in denen Fi ihre ganze Weisungskompetenz zeigt.

Hooked on a feeling

Letztens zum Beispiel. Fiona wollte tanzen. Sie verlangte nach ihrem aktuellen Lieblingslied, „Hooked on a feeling“ von Blue Swede. Wenn das fordernde „ugachaka ugachaka“ das Wohnzimmer füllt, wissen Normen und ich schon, was wir zu tun haben: Fi stürmt die Couch, unsere Positionen sind rechts und links vor ihr. Jeder bekommt ein Kuscheltier zugewiesen. Wir hüpfen. Wir schwingen die Hüften. Wir lassen die Kuscheltiere fliegen. Und wenn der Sänger „Aaaaaah!“ ruft, werfen wir die Arme in die Luft und schließen die Augen vor lauter Inbrunst.

Ach ja. Manchmal kann nachgeben sooo schön sein!




Familienfreuden XVI: Von Klokletten und anderen Erfindungen

Die einen sagen so, Fiona sagt "Komate". (Bild: Nadine Albach)

Die einen sagen so, Fiona sagt „Komate“. (Bild: Nadine Albach)

Wer mich kennt, für den dürfte das keine besondere Überraschung sein: Fiona redet gerne – und viel. In der Hinsicht also ganz die Mama. Sie scheint allerdings auch eine andere Vorliebe von mir geerbt zu haben: die des Worterfindens.

Als ich noch bei der Zeitung gearbeitet habe, hat ein Kollege tatsächlich mal eine der Kulturseiten unter seiner Schreibtischauflage aufbewahrt, weil ich in einer Schlagzeile eines meiner erfundenen Worte untergebracht hatte – ich glaube, es war „Kuschelpuschen“ oder so etwas in der Art.

In meiner Tochter habe ich nun allerdings meine Meisterin gefunden. Denn egal, wie oft man ihr das richtige Wort – beiläufig oder explizit – nennt, bei bestimmten Dingen ist sie nicht davon abzubringen, dass sie so und nicht anders heißen.

Komatöse Zustände

Die Tomate zum Beispiel ist für sie eine KOMATE. Was bei mir zu der Überlegung geführt hat, ob diese ja schon signalrot leuchtende Frucht tatsächlich bei übermäßigem Verzehr zu komatösen Zuständen führt. Wer könnte schließlich von sich behaupten, einmal 100 Tomaten direkt hintereinander gegessen zu haben und somit das Gegenteil beweisen? Eben. Wenn aber etwas dran wäre, so könnten Jugendliche fortan doch beim „Komatensaufen“ zumindest ein paar Vitamine zu sich nehmen.

Klangverwandtschaften

Ähnlich schön klingt in meinen Ohren das Wort „KLOKLETTE“. Logisch, mit zwei Jahren ist dieser ganze Themenkomplex ohnehin ein wichtiger für Fiona. Wenn sie kleine Duplo-Türme baut, setzt sie in der Regel immer eine Figur obendrauf – und die macht Pipi. Vielleicht liegt in diesem Kontrast von öffentlicher Zurschaustellung der Ausscheidungsvorgänge im Gegensatz zu dem Rückzug auf das stille Örtchen für Fiona auch die Faszination für die „Kloklette“. Wer auf einem Turm sitzt, zeigt alles – wer eine Tür zumacht, verbirgt dahinter vielleicht ein Geheimnis. Für mich jedenfalls ist „Kloklette“ durch die Klangverwandtschaft zur Yogurette erstmal positiv assoziiert. Vielleicht spielt Fiona aber auch darauf an, dass wir Erwachsenen ständig in dieses mysteriöse Zimmer verschwinden, folglich wie Kletten daran hängen, während sie mit ihren Windeln frei von solchen Zwängen ist – wer weiß?

Ewiges Leben

Mein absolutes Lieblingswort aber ist – entschuldigt, liebe Vegetarier – die „LEBEWURST“. Ach, wie herrlich klingt doch dieser banale Aufstrich erst, wenn man ihn von einem einzigen „R“ befreit. Ein Elixier des Lebens, vielleicht sogar die Discounter-Variante des heiligen Grals, der ja schließlich auch ewiges Leben verhieß? Oder, ganz schlicht, einfach ein tolles Wort.




„Minority Report“ in Dortmund: Wie ein Blockbuster auf die Bühne kommt

Björn Gabriel als John Anderton (Foto: Birgit Hupfeld)

Björn Gabriel als John Anderton (Foto: Birgit Hupfeld)

„Wo ist mein Minority Report?“ Diese Frage reicht aus, damit Kinogänger Tom Cruise vor ihrem geistigen Auge sehen, verbissen anrennend gegen ein aus den Fugen geratenes Kontrollsystem, atemberaubend verfilmt von Steven Spielberg, basierend auf einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick. Das Schauspiel Dortmund aber findet: „Das wahre Kino der Zukunft und das wahre Theater der Zukunft sind eins“ – und schon kann auch ein Blockbuster zu einem Bühnenexperiment (mit App!) werden, wie Regisseur Klaus Gehre jetzt im Studio bewiesen hat.

Eine Zeitreise ohne großes Budget? Geht! Man nehme einfach die riesige Jahreszahl 2014, lasse die Schauspieler die Ziffern tauschen – und schon ist man im Jahr 2041 gelandet und die Phantasie wirft den Science-Fiction-Blick an. Womit auch schon ziemlich genau beschrieben ist, wie Klaus Gehre – der übrigens auch schon „Fluch der Karibik“ auf die Theaterbühne gebracht hat – es schafft, einem millionenschweren Actionfilm die Stirn zu bieten: mit der Gabe, selbst einfachste Mittel so (bestenfalls) anarchistisch zu nutzen, dass sich eine neue Erlebniswelt auftut.

Mörderisches Barbie-Drama

Eine wilde Flucht per Auto etwa – in Hollywood teure Bewährungsprobe für Special-Effects-Könner – braucht hier nicht mehr als einen Spielzeugwagen in einer Glasröhre, von einer Taschenlampe beleuchtet und vielfach vergrößert auf die Leinwand projiziert. Und ein mörderisches Ehe-Drama wird kurzerhand mit harmlosen Barbie-Puppen inszeniert.

Atemlose Spannung

So schafft es der Regisseur tatsächlich, die in dem Plot angelegte, atemlose Spannung zu erzeugen – schließlich geht es um ein echtes Science-Fiction-Drama: In dieser Zukunft nämlich werden Mörder festgenommen, bevor sie überhaupt morden können – dank des Frühwarnsystems „Precrime“. Das funktioniert mit Hilfe eines fast gottähnlichen Wesens, dem Precoq Agatha, das in einer Mischung aus Hellseherei und geschickter Auswertung allumfassender Daten die Delikte voraussagt.

Polizist John Anderton (Björn Gabriel) nimmt die zukünftigen Mörder fest, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie eigentlich noch nichts verbrochen haben. Das ändert sich, als Agatha erneut einen Mord voraussagt – und Anderton der Täter sein soll. Auf seiner Flucht erlebt er nicht nur, wie gnadenlos der Überwachungsstaat mit seinen gefallenen Bürgern umgeht, sondern findet auch heraus, dass „Precrime“ längst nicht so zweifelsfrei funktioniert wie angenommen.

Julia Schubert in Minority Report (Foto: Birgit Hupfeld)

Julia Schubert in Minority Report (Foto: Birgit Hupfeld)

Die Schauspieler sind alles

Es ist dem ungeheuren Einsatz der Schauspieler – Björn Gabriel, Julia Schubert, Merle Wasmuth und Ekkehard Freye – zu verdanken, dass sich vor und in den Zuschauern tatsächlich so etwas wie ein Live-Film abspielt. Denn sie sind alles auf einmal, und das voller Energie: Puppenspieler, Lichtkünstler, Kamerakinder, Bühnenbauer, Soundmeister und eben auch Schauspieler, natürlich in jeweils multiplen Rollen. Ihr Tun ist perfekt wie ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt und wird, dank des Live-Schnitts von Mario Simon, auf drei große Leinwände übertragen.

Über mangelnde Sinneseindrücke also kann sich hier wahrlich keiner beschweren. Alles findet vor den Augen des Publikums statt, die Illusion wird live erzeugt und zugleich gebrochen, Bild ist Wahrheit und doch nicht. Regisseur Gehre geht sogar so weit, den Zuschauer mit in das Geschehen eingreifen zu lassen – dank einer Abstimmungs-App! Das alles ist schrill und frech und anders und an vielen Stellen inspirierend.

Das Gewürz fehlt

Nur eines kommt zu kurz – die Tiefe. Das Stück ist wie ein exotisches Gericht, das vor bunten Zutaten nur so schillert– und dem doch das entscheidende Gewürz fehlt. Individuelle Freiheit versus staatliche Überwachung, gläserner Mensch und Big Data, freie Wahl oder determiniertes Sein… das Stück streift die vielen Angebote der Geschichte maximal. Da hilft es auch nicht viel, dass eine Figur einmal kurz mittendrin darüber sinniert, wie es um behinderte Kinder bei den heutigen Möglichkeiten prenataler Diagnostik steht. Gehre bietet keine Neuinterpretation des Stoffs auf inhaltlicher Ebene – er erzählt den Film nur mit anderen, zugegeben sehr vergnüglichen Mitteln nach.

Im Grunde also bietet er nichts anderes als ein Hollywoodfilm: gute Unterhaltung.

http://www.theaterdo.de/detail/event/minority-report-oder-moerder-der-zukunft/




Rockoper über Kevin Gilbert – die Wiederentdeckung eines musikalischen Genies

Madonna, Michael Jackson, Sheryl Crow – es sind Persönlichkeiten mit großen Namen, die im Leben des musikalischen Genies Kevin Gilbert eine Rolle spielten. Seinen Namen hingegen kennt kaum jemand. Das will Singer-Songwriter Stefan Weituschat jetzt ändern („Er hätte der John Lennon seiner Generation werden können“) und organisiert die europäische Uraufführung von Gilberts Rockoper „The Shaming of the True“ am 9. November in der Stadthalle Oer-Erkenschwick. Ein Projekt, das vor Herzblut, Verrücktheit und echter Liebe sprüht.

Stefan Weituschat bei der Probe von "The Shaming of the True". (Fotos: Tim Jansen)

Stefan Weituschat bei der Probe von „The Shaming of the True“. (Fotos: Tim Jansen)

Die Geschichte beginnt vor 15 Jahren, bei einem Konzert von „Spock’s Beard“ in Düsseldorf. Bevor die US-Prog-Rock-Band die Bühne entert, dröhnt ungewöhnliche Musik durch die Lautsprecher. Stefan Weituschat (38) kommen ein paar Worte, ein paar Zeilen davon bekannt vor. Sie erzählen von der Liebe zur Musik, der Sehnsucht nach Erfolg, den Schachzügen der Plattenindustrie. Stefan Weituschat ist selbst ein junger Musiker; er kennt diese Kämpfe, dieses Hin und Her zwischen Kunst und Kommerz, Hoffnung und Enttäuschung. Das Gehörte lässt ihn nicht los. Es ist „The Shaming of the True“ von Kevin Gilbert. Stefan Weituschat stürzt sich in die Recherche – und stößt auf ein kurzes, aber außergewöhnliches Musikerleben.

„Der talentierteste Musiker, den ich je getroffen habe“

„Der talentierteste Musiker, den ich je getroffen habe“ – so sprechen einstige Kollegen von Kevin Gilbert. Und tatsächlich sieht es anfangs gut aus für den gebürtigen Kalifornier: Schon als Teenager nimmt er mit seiner Band „Giraffe“ erste Tracks auf, gewinnt einen großen Musikwettbewerb, trifft die richtigen Leute, ist dabei, als Michael Jackson und Madonna Songs aufnehmen.

Die Probe von "The Shaming of the True". (Fotos: Tim Jansen)

Die Probe von „The Shaming of the True“. (Fotos: Tim Jansen)

Gemeinsam mit anderen Songwritern trifft er sich jeden Dienstag, um Songs zu schreiben und aufzunehmen – der „Tuesday Music Club“. Kevin Gilbert bringt irgendwann eine junge Frau mit, ebenso Musikerin, bisher aber ohne großen Erfolg. Ihr Name ist: Sheryl Crow. Fortan geht es in den dienstäglichen Treffen um ein Album für sie.

Das Drama mit Sheryl Crow

Ihr Debüt – bezeichnenderweise mit dem Titel „Tuesday Night Music Club“ – wird ein Riesenerfolg, vor allem auch durch den Song „All I Wanna Do“. Was dann geschieht, vergleicht Joel Selvin vom San Francisco Chronicle mit einem klassischen Hollywood-Drama: Künstler trifft Künstlerin, wird ihr Mentor, bis sie erfolgreich ist – und wird geschasst. Es kommt zu Streitigkeiten über die kreative Urheberschaft. Selvin zufolge gab es Gilbert den Rest, als Sheryl Crow den Song „Leaving Las Vegas“ in der David Letterman-Show als autobiographisch bezeichnet. Kevin Gilbert bekommt zwar als Koautor von „All I Wanna Do“ 1995 einen Grammy. Zwischen Sheryl Crow und ihm aber kommt es zum großen Bruch. Die Verletzung, die Enttäuschung ist riesig.

Die Kraft der Musik hat alle bei der Probe von "The Shaming of the True" gepackt. (Fotos: Tim Jansen)

Die Kraft der Musik hat alle bei der Probe von „The Shaming of the True“ gepackt. (Fotos: Tim Jansen)

Gilbert stürzt sich in seine eigenen Projekte. Der Erfolg aber bleibt aus. 1996 findet sein Manager ihn tot in seiner Wohnung, erstickt. Kevin Gilbert ist gerade 29 Jahre alt.

Das letzte große Werk – nach dem Tod veröffentlicht

Sein Freund Nick D’Virgilio (Gitarrist von Spock’s Beard) und Manager Jon Rubin sorgen dafür, dass sein letztes großes Werk nach seinem Tod veröffentlicht wird: die Rockoper „The Shaming of the True“. Die Geschichte des Rockmusikers Johnny Virgil, der auf seinem Weg nach ganz oben in Drogen und Alkohol versinkt und sich selbst verliert, hat durchaus autobiographische Züge. „Aber es ist auch heute, in einer Welt der Casting- und Popstars, die dem Erfolg hinterherrennen, eine wichtige Botschaft: dass es in Wirklichkeit nicht auf die Dollarscheine ankommt, sondern darauf, sich selbst zu akzeptieren“, sagt Stefan Weituschat.

Erstmals in Europa

Bis heute wurde das Werk erst zwei Mal in den USA aufgeführt. Die Idee, es erstmals auch in Europa zu zeigen, kam Stefan Weituschat vor einem Jahr, bei einem Spaziergang. „Natürlich wollte ich das schon immer spielen, seit ich es entdeckt habe. Aber allein auf der Gitarre fehlt unglaublich viel. Dafür braucht man eine Rockband.“ Also trommelte der Singer-Songwriter, der sich zum Beispiel als „Der feine Herr“ oder mit der Band „anna.luca“ Gehör verschafft hat, seine Musikerfreunde zusammen: Neben ihm als Frontmann wirken Thomas Elsenbruch (Keyboards, Vocals), Christoph Granderath (Gitarren, Vocals), Freddi Lubitz (Bass, Vocals), Sven Hansen (Schlagzeug) und Max Klaas (Percussion) mit. Er nahm auch Kontakt zu Jon Rubin und Nick D’Virgilio auf – und erntete Begeisterung.

Kevin Gilberts Musik ist "authentisch und stark" - fanden die Musiker bei der Probe von "The Shaming of the True". (Fotos: Tim Jansen)

Kevin Gilberts Musik ist „authentisch und stark“ – fanden die Musiker bei der Probe von „The Shaming of the True“. (Fotos: Tim Jansen)

 

Authentisch und stark

Die Arbeit allerdings ging damit erst los. Denn außer der CD gibt es keinerlei Material für „The Shaming of the True“ von Kevin Gilbert – keine Noten, keine Regieanweisungen, nichts. „Deswegen wird es kein Musical, sondern eher ein Konzert mit Geschichte“, erklärt Stefan Weituschat.

Damit die Zuschauer Johnny Virgils Weg folgen können, gibt es immer wieder szenische und atmosphärische Videofilme. Vor allem aber ist es die Musik, die spricht. Eingängig sei die und voller Emotionen, vergleichbar mit Peter Gabriel, Steely Dan, Sting, Spock’s Beard, Marillion und Jellyfish, mal sehr rockig, mal melodiöser, dann epochal. Die Kraft der Musik packte auch Stefan Weituschat und seine Bandkollegen bei der ersten Probe:

"Dafür braucht man eine Rockband": Die Probe von "The Shaming of the True". (Fotos: Tim Jansen)

„Dafür braucht man eine Rockband“: Die Probe von „The Shaming of the True“. (Fotos: Tim Jansen)

„Wir waren alle durch die Bank überrascht, dass das so authentisch und stark ist. Das Material lebt schon so lange in mir, aber erst mit der Band habe ich gemerkt, wie nah einem das alles ist. Beim Singen habe ich richtig Gänsehaut bekommen.“

„Er hätte der John Lennon seiner Generation werden können“

Dieses Herzblut, hofft Stefan Weituschat, kommt auch bei den Zuschauern an. „Ich möchte, dass dieser Funke, der mich damals gepackt hat, auch die Leute vor der Bühne erreicht.“ Ein wenig hofft er auch, etwas wieder gut machen zu können für Kevin Gilbert, dieses verkannte Genie. „Diese Musik hat einfach noch zu wenige Ohren erreicht. Er hätte der John Lennon seiner Generation werden können“, sagt Stefan Weituschat. „Unser Anspruch ist, dass er stolz wäre.“

Übrigens – die Aufführung von „The Shaming of the True“ am 9. November könnte weitere Kreise ziehen: Mark Hornsby, musikalischer Leiter der letzten US-Produktion, hat eine Zusammenarbeit mit ihm und Nick D’Virgilio für die Zukunft nicht ausgeschlossen. „Eine Tour mit den beiden wäre natürlich ein Traum“, so Stefan Weituschat.

Fakten: 9. November 2014, 20 Uhr, Stadthalle Oer-Erkenschwick, Tickets bei der bei Stadthalle Oer-Erkenschwick oder eventim, mehr Infos auf Facebook




Familienfreuden auf Reisen: Der Engel im Clownskostüm

 

Die Versuchung ist groß - der Wille auch. (Bild: Albach)

Die Versuchung ist groß – der Wille auch. (Bild: Albach)

Sommer, Sonne, Strand – diesmal kein Klischee, sondern Realität: Wir sind auf Menorca! Und Fi gewöhnt sich langsam an die hiesige Lebensart.

Wir waren bewaffnet. Für den Flieger meine ich. Gefühlte 20 Pixi-Bücher, Handpuppen, Fruchtriegel, Windeln, Feuchttücher. Für jede Eventualiät gerüstet. Und was geschah? Fi ließ fröhlich die Beine in ihrem Sitz baumeln, kaute ihr Sandwich, lugte durch die Sitze zu dem Jungen vor ihr und schlief sogar irgendwann ein. Kind, wer hat Dich erfunden?

Vielleicht hat Fi geahnt, dass ein kleines Paradies auf sie warten würde. Der Eingang dazu entpuppte sich als Strandbar mit selbst hergestelltem Eis. Auch mit der Sorte SchokoLADE im Sortiment. Kleine Hände können eine Eiswaffel sehr fest umklammern. Und jeder der Strandspaziergänger, denen wir anschließend begegneten, musste grinsen angesichts dieses schokobärtigen Kindes, das aussah, als sei es kopfüber in flüssige Schokolade gefallen. Mal anders ausgedrückt: Der elterliche Wille, das Kind gesund und vielseitig zu ernähren und nicht mit Konsum zu überschütten, wird arg angekratzt, wenn einem nonstop andere Nachwüchse über den Weg laufen, die Eis schlecken, Pommes essen oder sonstwie von der Fast food Industrie als Werbeträger angeheuert wurden.

Auch der Gang in den Pool wird zur Abwehrschlacht: Wir haben einen Schwimmring und einen Eimer dabei. Fi sieht: Schwimmende Fische, Krokodile, Boote. Und lernt das Wort „kaufen“! „Auch Boot kaufen, auch Fisch kaufen“, lautet der Sirenengesang, dem man sich kaum entziehen kann. Hart bleiben kommt einem plötzlich grausam und so spielverderberisch puritanisch vor.

Fi jedenfalls passt sich schnell an die Umgebung an. Die spanischen Damen begrüßt sie schon mit „Hola“! Und erntete dass aufgeregte Gekreische und wilde Geküsse der Kellnerinnen anfangs noch einen entsetzten Gesichtsausdruck und einen Fluchtimpuls in den elterlichen Arm, streckt Fi jetzt bereits ihre Wange hin und verteilt selbst schmatzende Luftküsse.

Das größte aber ist eine Einrichtung, die wir wahrscheinlich sträflich missachtet hätten, wären unsere Nachbarn mit Tochter im gleichen Alter nicht so freundlich gewesen, uns darauf aufmerksam zu machen: die Mini-Disco! Menschen ohne Kinder dürften sich eher mit Grausen abwenden, wenn das kleine Animatoren-Team mit seinem Lautsprecher anrückt, die grellen Töne erklingen und die Kinder loshüpfen.Für Fi ist es der Himmel. Und der Engel darin ist in Form einer ansehnlichen Dame auf die Erde gekommen, die sich allabendlich in ein neues Clownskostüm wirft, die Lippen rot schminkt und einen Glitzerhut aufsetzt. Fiona kann den Blick nicht von ihr lassen, während ihre kleinen Beinchen auf und ab hüpfen. Und die Eltern? Die klatschen verzückt mit, das Eis für später in der Hand, das Gummiboot im Supermarkt nebenan in Gedanken schon gekauft.

Glück hat eben viele Gesichter.

 

Mehr über Nadine Albach unter www.medienwiese.tv




Jörg Albrecht kann Abu Dhabi verlassen

Aufatmen: Jörg Albrecht darf aus Abu Dhabi ausreisen. Der Schriftsteller war wegen angeblicher Spionage festgehalten worden.

Heute morgen kam die Nachricht von Holger Bergmann, künstlerische Leitung Ringlokschuppen, und Thorsten Ahrend, Wallstein Verlag, sowie weiteren Künstlern über Change.org, wo sie eine Online-Petition für die Ausreise des Autoren verfasst hatten: Demnach hat Jörg Albrecht gestern, am 13. Mai, nachmittags geschrieben, dass er die Vereinigten Arabischen Emirate verlassen dürfe. Auch die ZEIT berichtet, dass laut Informationen des Göttinger Wallstein-Verlages und des Auswärtigen Amtes die Ausreisesperre aufgehoben worden sei.

In Ihrer Mail schreiben Ahrend, Bergmann & Co., dass Jörg Albrecht sich schon darauf eingerichtet hatte, „dass alles viel länger dauern könnte. Hat es aber nicht. Und das ist auch euch allen zu verdanken“. Über 6000 Menschen hatten demnach den offenen Brief unterzeichnet.

Jörg Albrecht war am 1. Mai zur internationalen Buchmesse in die Hauptstadt der Arabischen Emirate gereist. Dort wurde er einige Tage inhaftiert und durfte danach nicht ausreisen. Er hatte in einer Straße Fotos gemacht, in der auch Botschaften ansässig sind, und wurde deshalb der Spionage verdächtigt – siehe auch den ersten Bericht auf Revierpassagen.

Die Verfasser der Online-Petition schreiben weiter: „Erstmal holen wir jetzt Jörg hoffentlich vom Flughafen ab. Dann atmen wir auf. Ihr wart großartig! Danke, danke, danke für alles!“

Gute Heimreise!

P.S. mit kurzem Update: Anne Levy, die die Online-Petition mitinitialisierte, hat einen Tweet mit den Worten „united! #joergalbrecht #friendshipisthenewlove“ veröffentlicht, der auf ein Instagram-Foto mit Jörg Albrecht und seinen Freunden verweist.




Der Schriftsteller Jörg Albrecht wird in Abu Dhabi festgehalten – ein Hilferuf

Die Petition von Holger Bergmann und Thorsten Ahrend für die Ausreise von Jörg Albrecht auf change.org. (Screenshot von http://www.change.org)

Die Petition von Holger Bergmann und Thorsten Ahrend für die Ausreise von Jörg Albrecht auf change.org. (Screenshot von http://www.change.org)

Jörg Albrecht ist ein Sprachkünstler. Ein leiser, ein höflicher Mensch. Einer der zuhört, einer der viel überlegt. Einer, der voller spannender und bemerkenswerter Gedanken steckt. Und einer, der sich nicht im Eindimensionalen bewegt. Einer, der sich für andere Menschen, andere Kulturen interessiert, der neugierig und aufgeschlossen ist, reflektiert und respektvoll. So habe ich den mittlerweile in Berlin lebenden Jörg Albrecht in seiner Heimat Dortmund kennengelernt, bei Gesprächen und Interviews zu seinen Büchern und Theaterinszenierungen.

Jetzt sitzt Jörg Albrecht in Abu Dhabi fest. Der Vorwurf: Spionage. Eingereist war er als Gast der Internationalen Buchmesse. In einem Interview mit ZEIT Online berichtet er, dass er unmittelbar nach seiner Ankunft am 1. Mai in der Nähe seines Hotels Bauten fotografierte, die ihn architektonisch interessierten. Daraufhin wurde er festgenommen und inhaftiert.

ZEIT und NZZ schreiben, man habe ihn der Spionage verdächtigt, da er in einer Straße fotografiert habe, in der auch Botschaften seien. Den Berichten zufolge ist Jörg Albrecht zwar wieder aus der Haft entlassen worden, dürfe das Land derzeit aber nicht verlassen. In dem ZEIT-Interview sagt Albrecht, er fürchte, „bald psychisch“ einzubrechen, „da ich hier nun erst mal auf mich gestellt bin“.

Ein Alptraum.

Holger Bergmann und Thorsten Ahrend haben eine Online-Petition für seine Ausreise ins Leben gerufen. Hoffentlich haben sie schnell Erfolg.

 




Familienfreuden XV: Ostern von seiner Schokoladenseite

Wenn "Lade" lockt, braucht man mit Möhrchen nicht mehr zu kommen. (Bild: Nadine Albach)

Wenn „Lade“ lockt, braucht man mit Möhrchen nicht mehr zu kommen. (Bild: Nadine Albach)

So ist das ja meistens mit den Sachen, die man sich auf eine ganz bestimmte Weise sooo schön vorgestellt hat – sie laufen ganz anders als geplant. Oder mit anderen Worten: Ostern mit einer fast Zweijährigen.

Eier und Geschenke verstecken, Gäste herzlich begrüßen, vielleicht noch etwas vom Osterhasen erzählen – und dann das Startsignal für die große Suche im Garten geben, bei der alle freudig die Tulpen nach Buntebemaltem durchforsten. So in etwa sah meine Vorstellung vom Osterfrühstück mit den beidseitigen Großeltern aus. Ich hatte die Rechnung ohne den Forschungsdrang von Fiona gemacht.

Von wegen gutes Timing

Die Großeltern waren für halb Elf bestellt. Gut eine halbe Stunde vorher hatte ich – im Osterhasen-Stellvertreter Amt– alles versteckt. Gutes Timing, dachte ich. Prima, dachte Fi, die gerade vom Vierrad-Fahren mit Normen zurückkehrte, die Gartenpforte öffnete – und mit messerscharfem Blick das erste Ei erblickte. Soviel auch zu meiner Theorie, dass die Eier besser nicht zu schwer versteckt sein sollten…

Fi stürzte sich „Ei! Ei! Ei!“ brüllend auf das eben so Beschrieene, reckte es stolz empor wie einst die Affen den Knochen in Kubricks „2001“ – und donnerte die Beute auf die Natursteinmauer. Hatte ich schon erwähnt, dass Fiona Eier ungefähr so liebt, wie andere Kinder Süßigkeiten – und Ostern somit für sie Weihnachten gleichkommen dürfte? Jedenfalls: Das erste Ei war schneller in ihrem Mund verschwunden, als ich ein Versteck dafür ersonnen hatte. Als das zweite Ei dem gleichen Schicksal anheim zu fallen drohte, klingelte es glücklicherweise an der Tür…

Lebensmittel-Konkurrenz

Der Vormittag verging friedlich mit der Suche nach den immer wieder neu versteckten Eiern. Ein Lebensmittel aber machte dem Produkt glücklicher Hühner ernsthafte Konkurrenz. „LADE!“ Ich bin sicher, wenn Fiona einmal eine Partei gründen sollte – dies wird ihr Schlachtruf: „LADE für alle!“ Alle Menschen werden sie dafür wählen, denn wer isst sie nicht gern – die Schokolade?

Fiona jedenfalls öffnete sich zu Ostern eine Tür in eine neue Welt, die wir zu Weihnachten noch geschlossen halten konnte: Die verlockend lächelnden Hasen, die süßen Eier in allen Größen die Küken und Käfer – sie alle präsentierten sich ihr diesmal ungehemmt von ihrer Schokoladenseite. Von den Großeltern, der Nachbarin, auch ein wenig von uns. Wir hatten keine Chance.

Versteckspiel nur umgedreht

Irgendwann mussten wir das Versteckspiel umdrehen und die bereits gefundenen Schoko-Schätze außer Sichtweite bringen, damit das Ganze nicht in einer Orgie endete, für die jeder Zahnarzt uns gekreuzigt hätte.

Einen Tag später hatten wir fast alle Spuren beseitigt. Fionas Spürnase allerdings ist jetzt schon äußerst ausgeprägt, so dass sie zielsicher und für uns unerwartet einen lächelnden Schokohasen in der Hand hielt, der so groß war, dass er ihr ein ehrfürchtiges „Boah!“ entlockte.

Nicht allein

Übrigens, wir sind nicht allein. Als wir – ja, Schande über uns – heute den beiden Nachbarskinder ein verspätetes Schokoladen-Nest reinreichten, fielen die Eltern fast in Ohnmacht.

P.S.: Wir haben jetzt mit den besagten Nachbarn ein „No-Schoko-Agreement“ beschlossen  – kurz NSA.

 

(Mehr von Nadine Albach gibt es übrigens auf der Medienwiese).




Familienfreuden XIV: Eine Lektion Babyschwimmen

Es gibt solche Eltern. Und es gibt solche Kinder. Oder: Wir waren beim Babyschwimmen. Eine Lektion in Demut, Erziehung und dem ganz normalen Wahnsinn.

Ich bin sicher, es gibt sie. Kinder, die nie nölen, schreien oder laut protestierend ihren Willen durchsetzen wollen. Die nie im unpassenden Moment in die Windel machen, für den nächsten Keks fast den Kinderwagen zum Umfallen bringen oder an der Supermarktkasse eine Revolte anfangen, gegen die die Französische Revolution ein Fliegenpups ist. Die allerdings schon mit sieben Monaten das Laufen begonnen haben, mit acht Monaten das Sprechen und ab anderthalb den ersten Kurs an der Uni besuchen. Und es gibt sicher auch die Eltern, die nie die Nerven verlieren, die immer genau wissen, was gerade mit ihrem Kind los ist und die nie auch nur ein gekauftes Gläschen an ihren Nachwuchs verfüttert haben.

Tropische Gefühle beim munteren Babyschwimmen. (Bild: Albach)

Tropische Gefühle beim munteren Babyschwimmen. (Bild: Albach)

Ich gestehe: Wir gehören nicht dazu.

Der Auslöser für diese Zeilen? Wir waren beim Babyschwimmen.

„Was ein Stress“

Normen watete mit Fi ins Wasser, ich stand am Beckenrand. Als ein Vater einen anderen mit leidendem Gesichtsausdruck und den Worten „Oh, was ein Stress! Wir müssen gleich noch zu Babyone!“ begrüßte, versuchte ich, das nicht als böses Omen zu werten.

Und tatsächlich: Fi lachte, planschte, paddelte – das Glück hatte ein Gesicht.

Nur ich hätte es beinahe nicht gesehen, weil mir schwarz vor Augen wurde. Die Schwimmhalle war auf gefühlte 50 Grad aufgeheizt. Die anderen Väter und Mütter am Beckenrand standen in luftigen Sportklamotten da – ich in meiner Winterkleidung drohte gleich, ins Wasser zu kippen.

Als ich einer Mutter sagte, dass mir die Hitze zu schaffen machte und die anderen Eltern ja schlauerweise dünner angezogen seien, schaute sie mich von oben bis unten an und sagte: „Mit gutem Grund!“

Ich schluckte es runter wie Fi das Chlorwasser.

Wickeln im Stehen

Hinterher in der Kabine, neben mir eine Mutter, die ihr Kind anzog, die Oma daneben. Ein eingespieltes Team, das sah man sofort. Fiona hingegen verstand unter Einspielen etwas anderes, als sich ruhig hinzulegen und anziehen zu lassen. Sie blieb zeternd stehen. Wickeln im Stehen gehört mittlerweile zu meinem Standardrepertoire – in normalen Situationen. Eine winzige Umkleide bei tropischer Hitze sprengt allerdings den normalen Rahmen. Wir arbeiteten uns millimeterweise vorwärts, ich beruhigend auf Fi einredend, sie zappelnd.

Blick von links. Missbilligend. Vielsagendes Räuspern. „Schau mal, Arabella“, sagte die Mutter neben mir honigsüß zu ihrer Babytochter, „DA wird noch diskutiert. DIE Phase haben wir ja schon hinter uns. DU wirst einfach hingelegt – und gut ist!“

Kennt Ihr die Folge des Tatortreinigers, bei der er von einem Nazi verbal belagert wird und in Tagträumen überlegt, wie er gern reagieren würde? Ich will keine Details nennen, aber mein Tagtraum hatte mit Fi’s voller Windel zu tun…

Glück zählt

Was soll ich sagen? Wir werden trotzdem wieder hingehen. Fi schließlich hat es glücklich gemacht – das zählt.

Das nächste Mal aber werde ich daran denken, was Normen beim Umziehen in der Männerkabine mitangehört hat. Dass nämlich der eine Vater den anderen fragte, ob er demnächst mal wieder joggen werde. Und der nur resigniert sagte, er habe nun Familie, Job, Haus. Da sei sowas wirklich nicht mehr drin.




Familienfreuden XIII: Sterne im Tiefflug

Weihnachten glänzt anders, seit Fiona da ist. Entspannter sind die Vorbereitungen aber auch nicht geworden.

Könnte Fiona wählen, wäre wohl immer Weihnachten. Allein schon die Sache mit dem Essen. Normalerweise sind ihre Mahlzeiten immer recht gesund. Jetzt müssen wir aufpassen, dass die Bratwurst-Keks-Waffel-Crêpe-Mischung, die ihr von allerlei wohlmeinenden Seiten (zugegeben auch von unserer) angedeiht, wenigstens ab und zu durch banales Gemüse durchmischt wird. Das Gute: Wenn wir auf dem Weihnachtsmarkt die dollsten Sachen füttern, freut Fi sich meistens trotzdem über Getreide-Obst-Stangen!

Kaum an, schon ausgeblasen: Fiona macht der Kerze den Garaus. (Bild: Albach)

Kaum an, schon ausgeblasen: Fiona macht der Kerze den Garaus. (Bild: Albach)

Der Weg ist das Ziel

Und jeden Morgen krabbelt sie zum Adventskalender ihrer Patentante, um das nächste Geschenk einzufordern, öffnet mit Wonne und Sorgfalt das Papier – und wirft den Inhalt dann achtlos weg; eine kindgerechte Adaption von „Der Weg ist das Ziel“. Deswegen schenken wir ihr vielleicht einfach drei Rollen Geschenkpapier.

Großer Gesang

Normen und ich haben außerdem gelernt, dass unsere Gesangskünste, die sonst zuverlässig jeden Baum in die Schieflage gebracht haben, sehr wohl gefragt sind – wenn wir sie durch großes Schauspiel untermalen. Zuverlässig, auch beim größten Geschrei, sorgt unsere Interpretation von „Wann kommst du Weihnachtsmann“ mit weit aufgerissenen Augen und hoch gestreckten Armen (für die Zeile „mit dem GROSSEN Schlitten“ an) für Gelächter – aber das wäre wahrscheinlich auch bei Erwachsenen im Publikum so.

Sterne fliegen wunderbar

Außerordentlichen Respekt verspürt Fi allerdings nicht gegenüber all den Weihnachts-Devotionalien. Wenn es um ihre Lieblingsbeschäftigung geht – packen, was in der Nähe ist und flott die Treppe runterschummeln, bevor die Eltern sich dazwischen werfen können – sind ihr Sockenpaare ebenso recht wie Weihnachtskerzen. Der schöne blaue Holzstern zum Beispiel hat sich heute noch erfolglos mit seinen Zacken zu verkanten versucht. Jetzt ist er ein Fall für den Sekundenkleber geworden.

Pustefix

Eine von Fi’s Marotten ist besonders knuffig: Nachdem ihre Oma ihr beigebracht hat, wie man Kerzen auspustet, wird jedes kleine Flämmchen mit einem aufgeregten „Pffft! Pfft!“ begrüßt. Das Problem ist nur: Fiona will die Kerzen schon auspusten, kaum dass sie angezündet wurden. Sonst gibt es Rabatz!

Also schauen wir mal, ob wir am 24. am festlich gedeckten Weihnachtstisch sitzen, den Bratenduft in der Nase – umgeben von völliger Dunkelheit! Naja, Besinnlichkeit und Frieden kann man auch so finden…

So oder so: Wir wünschen allen von Herzen fröhliche Weihnachten, Frieden, Glück und Zufriedenheit!

 




Familienfreuden XII: Papa-lapap

Egal, ob Fiona einmal Männer oder Frauen liebt – sie alle werden es schwer haben. Denn Fi’s Held steht jetzt schon fest. Es gibt scheinbar keine Minute, die ohne seinen Namen auskommt. Es ist: ihr Papa!

Es kann nur einen Papa geben. (Bild: Albach)

Es kann nur einen Papa geben. (Bild: Albach)

Fiona kann inzwischen ein wenig plappern. Oder Geräusche machen. Wenn sie wach wird und gute Laune hat, dreht sie sich gern mit einer schwungvollen Rolle (und die muss ihr in dem Schlafsack erst mal einer nachmachen!) um, zeigt auf ihr Vogel-Mobile und ruft „Da!“ Letztens reichte sie mir ihre Zahnbürste und als ich mich artig bedankte, sagte sie ganz selbstverständlich „Bitte“. Und heute, urplötzlich, im Auto, wir unterhielten uns gerade, forderte sie ganz klar „lauter!“. Das alles aber sind sprachliche Marginalien im Vergleich zu dem einen, dem nahezu ausschließlichen Wort: PAPA.

Ob es die schönen P-Plopp-Laute sind? Oder die Möglichkeit, das eine Wort in tausend Varianten zu sprechen? Fiona kann sehr fordernd „Papa“ rufen, sie kann es fragen, sie kann es kreischen, dass fast die Gläser springen oder auch die PaPaPas perlen lassen wie prickelnden Sekt.

Steve McQueen

Das Merkwürdige ist nur: Papa ist alles. Wenn wir uns die Bilder anschauen, die per Magnet am Kühlschrank pappen, wird die Hexe aus dem Harz, der reitende Geistliche aus Griechenland oder auch das fliegende Schaf zu Papa. Der eigentlich mit dem Namen gemeinte Normen war letztens in Hochstimmung, als Fiona auf Steve McQueen zeigte und ihn überzeugend als Papa titulierte. Wer will schließlich nicht so aussehen wie Steve McQueen? Und auch Elvis ließen wir uns noch gefallen. Als Fi allerdings auch auf Sigmar Gabriel deutete, sanken Normens Mundwinkel enttäuscht nach unten – sicher isst er gern, aber das…

Es gibt Tage, da sind fünf Papas auf einem Bild. Joghurt ist Papa, Birne ist Papa, das BobbyCar ist Papa. Sind wir nicht alle ein bisschen Papa? Mama hingegen wird eher in Notsituationen (kein Keks mehr da, Handschuh lässt sich nicht abschütteln…) bemüht. Als Fi allerdings jüngst die ältere Dame hinter der Fleischtheke – die, zugegeben, eine tiefe Stimme hatte – als Papa benannte, protestierte ich doch lautstark.

Mittagsschlaf

Normen selbst verfolgt die Papa-Manie freudig bis amüsiert. Immerhin: Als er am Wochenende mit Fiona Mittagsschlaf hielt und nach einer Zeit aufwachte, betrachtete Fiona ihn neugierig, spitzte den Mund und sagte voller Inbrunst und zugleich Überraschung: „Oh!“

Wer weiß, vielleicht war Papa ihr diesmal zu offensichtlich!




Zum Tod von Christian Tasche

Gestern kam mein Mann die Treppe runter, ganz blass, und fragte: „Du kennst doch Christian Tasche, oder?“ Ich nickte. „Er ist tot.“

Das hier wird kein Nachruf, keine Ansammlung von Daten und Fakten. Ganz sicher gibt es Menschen, die Christian Tasche sehr viel besser und enger kannten. Das hier ist eine Sammlung persönlicher Erinnerungen, ein Fluss von Gedanken, es ist das Mindeste, was ich jetzt für Christian tun kann und es ist auch der ganz persönliche Versuch, diesem Gefühl von Irrealität zu begegnen, das ich seit gestern habe. Vor anderthalb Wochen habe ich noch mit Christian Tasche telefoniert – und jetzt ist er gestorben, am letzten Donnerstag, 7. November, „plötzlich und unerwartet“, wie es der WDR schreibt.

Hüftschwung

Viele kennen Christian Tasche als Staatsanwalt Wolfgang von Prinz im Kölner Tatort, an der Seite der Kommissare Ballauf und Schenk. Ich habe ihn in einer weitaus weniger knorrigen, sehr viel schillernderen Rolle kennengelernt – als Dortmunder Ensemble-Mitglied bei den „Liebesperlen“. Als ich als Kulturredakteurin in Dortmund anfing, kannte ich die Kult-Revue nicht. Aber als Elvis-Fan fielen mir sein Hüftschwung und sein Timbre natürlich direkt auf. In dieser bunten Sammlung von Akteuren aufzufallen, ist nicht einfach – Christian Tasche hat es immer geschafft.

Christian Tasche in einem Kölner "Tatort" (© WDR/Uwe Stratmann)

Christian Tasche in einem Kölner „Tatort“ (© WDR/Uwe Stratmann)

Und das gilt für ihn auch neben der Bühne. Als Journalist kommt es häufig vor, dass man für Andere vor allem für einen bestimmten Zweck wichtig ist. Christian Tasche begrüßte mich schon nach der zweiten Begegnung mit Namen, ganz ohne Allüren. Er fragte nach, er interessierte sich für Menschen, nicht allein für ihre Funktion.

Von Herzen

Ich habe Christian Tasche als jemanden kennengelernt, der sagte, was er dachte – und gleichzeitig stets Humor zeigte. Selbst, als er einmal bei einer Probe ein wenig grummelte, weil die Choreographie nicht passte, trällerte er im nächsten Moment gut gelaunt ein von Herzen kommendes „Viiiiita bella!“

Apropos Herz. Christian Tasche hatte ein ganz großes. Das habe ich persönlich erlebt, als die Redaktion der Westfälischen Rundschau schloss und er mich sofort empört anrief. Das hat aber auch sein Handeln allgemein bestimmt – im Großen wie im Kleinen: Er hat sich mit dem Verein „Tatort – Straßen der Welt“ für benachteiligte Kinder engagiert. Und das Festival „FatPigtures“ in Unna zur Förderung des Filmnachwuchses zur Herzensangelegenheit gemacht.

Ungerechtigkeit trieb ihn zur Weißglut. Um einer Freundin in Not jüngst zu helfen, lotete er jede Möglichkeit aus, telefonierte, fragte, bat.

„Nur Mut“

Wenn ich mit ihm sprach, schien vieles aus seinem Mund leicht – ohne oberflächlich zu sein. Als ich ihm erzählte, dass meine Tochter sieben Wochen zu früh zur Welt gekommen war, meinte er: „Nur Mut, die Kleinen werden später mal ganz groß!“

Sein sonores Lachen habe ich immer noch im Ohr.

„Möge Euch 2013 alles gelingen“ schrieb er in einer Mail zum neuen Jahr. Das geht jetzt nicht mehr.

 




Familienfreuden XI: Die Lauschabschaltautomatik

Ich freue mich schon wahnsinnig auf die Zeit, sobald Fiona sprechen kann. Wenn sie ein bisschen nach mir kommt, sollte es da mit der Quantität keine Probleme geben.

Ob sie wohl auch Wörter erfinden wird? Bei mir heißen bequeme Pantoffeln zum Beispiel Kuschelpuscheln und wenn ich nicht gut drauf bin, aber nicht weiß warum, bin ich unduchtig.

Vielleicht wird es in Fi’s Leben auch kuriose Szenen geben wie jene, die ich zwischen einem Jungen und einem Mädchen hörte, beide sahen aus wie 12: „Damit Du auf dem aktuellen Stand bist“, sagte er und sie nickte eifrig: „Ich und Luise waren so zwei, drei Jahre zusammen.“ Damit war auch ich auf dem aktuellen Stand und außerdem sehr erstaunt.

Kinder - die Meister der Worterfindungen! (Zeichnung: Albach)

Kinder – die Meister der Worterfindungen! (Zeichnung: Albach)

Einfach und wahr

Am schönsten aber finde ich es, wenn Kinder sehr einfache Sachen sagen, die aber so wahr sind, dass sie schon wieder eine philosophische Dimension haben.

Ich saß mit Fiona in der U-Bahn, uns gegenüber eine Oma mit ihrer Enkelin.

„Oma“, sagte das Mädchen, „ich kann nichts mehr hören. Weißt Du warum?‘

„Nein, warum denn?“

„Weil meine Ohren sagen: wir haben heute genug gehört.“

Ist das nicht eine großartige Vorstellung? Das Hören einfach abzuschalten, wenn man genug hat für den Tag?

Ein sanftes „Bssss“

Eine Freundin erzählte zum Beispiel, sie habe im Zug eine Dreiviertelstunde mit anhören müssen, wie sich drei Mitreisende über Katzenhaare unterhielten. Wo die so hinfielen, wie man sie wegkriegte… Da wäre eine Art Mini-Rollo doch schön, das man dezent per Kippschalter (hinter dem Ohr versteckt) über dem Gehörgang herunter ließe. Ein leises „bsss“ – und dann Ruhe!

Es gäbe so viele Situationen, in denen das höchst praktisch wäre: Gespräche über Gebrechen, die detaillierte Beschreibung des Krimis, den man noch sehen wollte, das Fußballergebnis des Spiels, das man extra aufgenommen hat, der 1000. Ratschlag zum Thema Kindererziehung, unangenehme Herbeizitiersituationen auf der Arbeit… Man könnte der Liebsten zuliebe sogar auf ein, sagen wir mal, DJ Bobo-Konzert mitgehen… Einfach „bss“… und alles ist gut!

Automatik-Schutz

Sicher ließe sich auch ein maximales Wortkontingent einführen, nach dessen Erreichen die Rollade automatisch runter geht. Für manche Beziehung könnte das aber schwierig werden. Es sei denn, man unterhielte sich nur noch mit ganz langen Worten – womit wir wieder bei den Wortschöpfungen wären.

Ach Fiona, was wirst Du mir erzählen? Ich weiß jedenfalls schon jetzt, dass deine Rollade bei einem Satz eine Runterlassautomatik haben wird: „Räum doch mal dein Zimmer auf!“




Familienfreuden auf Reisen: Die Visitenkarte des Weihnachtsmannes

Ach ja, die Sonne scheint, ich sitze im T-Shirt vor dem Laptop, die Blumen blühen – da kann man schon mal in Weihnachtsstimmung geraten. Zumindest suggeriert mir das mal wieder unser Supermarkt um die Ecke, bei dem es schon Lebkuchen und Spekulatius gibt. Das zumindest passt hervorragend zu unserem Reiseabschluss – denn Fi ist dem Weihnachtsmann begegnet.

Der Weihnachtsmann - der Spannung halber hier anonymisiert.

Der Weihnachtsmann – der Spannung halber hier anonymisiert.

Wenn ich an den Weihnachtsmann denke, ist neben dem üblichen Bart und der roten Kleidung eigentlich immer auch irgendwo Schnee im Bild, auch Tannengrün und ein paar leuchtende Weihnachtsbaumkugeln gehören dazu.

Die Realität sah anders aus, ganz anders. Wir stießen die Tür unseres Campingwagens auf und da stand er: Santa Claus – und bändigte unser Grillfeuer! Mit einem Pusterohr, ganz entspannt. Auch sonst stimmte einiges nicht an dem Bild: Santa trug ein gemütliches Karohemd und Jeans. Und er war mit Freunden da, die allesamt nicht wie Kobolde aussahen. Das, was allerdings am meisten von meiner Vorstellung abwich, war die Tatsache, dass der Weihnachtsmann Harley Davidson fuhr.  Die stand da, blitzblank leuchtend, und war nicht einmal rot.

Trotzdem gab es keinen Zweifel, dass es sich bei dem Mann an unserem Grill um den echten Weihnachtsmann handelte. Fi muss das sofort gespürt haben, denn sie war mucksmäuschenstill und schaute den bärtigen Herrn nur mit großen Augen an und ließ sich sogar von ihm den Kopf streicheln. „Ich habe etwas für Eure Tochter“, sagte der Mann verschwörerisch, „und Ihr müsst mir versprechen, dass Ihr es so lange aufbewahrt, bis sie groß genug ist, um es selbst zu lesen.“ Wir nickten gespannt.

Er kramte in seiner Hemdtasche. Und zog etwas Kleines hervor.

Eine Visitenkarte! Vom Weihnachtsmann!

Damit war auch bei uns Erwachsenen jegliches Misstrauen weggepustet. Zumal auf der Karte auch eine Liste mit seinen Lieblingssachen stand, die ich Euch hier nicht vorenthalten will. Also:

Lieblingsgetränk: Milch
Lieblingsjahreszeit: Winter
Lieblingstier: Rentier
Lieblingshobby: Kunst und Handwerk
Lieblingsfarben: Rot und Braun

Informationen, die Gold wert sind!

Santa lächelte uns freundlich an. „Ich sage den Kindern immer: So lange Ihr an mich glaubt, komme ich auch zu Euch.“ Wir nickten und prägten uns jedes Wort für Fi ein. Trotzdem schaute er uns prüfend an und meinte seufzend: „Wisst Ihr, manchmal ist es so, dass man nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt. Dann dauert es sehr lange, bis der Glaube zurückkehrt – meistens dann, wenn so ein Wunder geschieht, wie die Geburt eines Kindes.“

Wir schluckten und nickten erneut. Als er weg war, sahen wir noch lange in die glimmenden Kohlen.

Wir hatten den Weihnachtsmann wiedergefunden. Und Fi können wir eines Tages sogar seine Visitenkarte geben.




Jung sein war für sie keine Frage des Alters: Zum Tod der Schauspielerin Helga Uthmann

Für viele war sie der „Inbegriff von einer Schauspielerin“ und so mancher schaute sich ein Stück nur an, um sie zu erleben: Die Kammerschauspielerin Helga Uthmann ist gestorben.

Als Journalistin hat man Termine, auf die man sich freut und solche, zu denen man sich schleppt. Helga Uthmann zu treffen, war jedes Mal wie ein Lichtstrahl. Stets sorgsam gekleidet, die Haare hoch gesteckt, so zuvorkommend, so freundlich, so lebensfroh und interessiert an ihrer Umwelt, an ihrem Gegenüber. Und so aufgeregt.

Das Theater Dortmund trauert um Helga Uthmann. (Screenshot www.theaterdo.de)

Das Theater Dortmund trauert um Helga Uthmann. (Screenshot www.theaterdo.de)

Jahrzehnte auf der Bühne waren wie weggewischt, wenn Helga Uthmann plötzlich selbst im Zentrum des Interesses stand. Kein Regisseur, kein Text, keine Vorgaben. „So privat zu sein! Grauenhaft! Ich möchte weglaufen“, rief sie einmal an einem Theaterabend, der ihr gewidmet war. Und das von einer Frau, die allein am Schauspiel Dortmund 30 Jahre lang zum Ensemble gehörte.

Niemals eine Diva

Doch Helga Uthmann wollte nie Diva oder Grande Dame sein. „Theatermama“ nannten sie manch jüngere Kollegen liebevoll. Sie selbst sprach gern von sich als der „komischen Alten“. Und komisch sein, das konnte Helga Uthmann. Wenn sie lachte, dann mit dem ganzen Gesicht, dem ganzen Körper, der ganzen Seele. Ein Lachen, dem sich keiner entziehen konnte.

Es passte zu ihr, diesem so sympathischen Menschen, dass ihr Werdegang buchstäblich auf der Straße anfing, beim Theaterspiel unter Freunden. „Ich war die böse Schwiegermutter. Die Prinzessin fand ich ungeheuer langweilig“, erzählte sie mir einmal in einem Interview. Glamour, Allüren – Fremdworte für sie.

„Ich komm‘ schon noch“

Helga Uthmann legte keine aalglatte Karriere hin. Nach der Folkwangschule blieben viele ihrer Kollegen in Essen – sie ging an das Kleine Theater in Mülheim. Und erlebte eine anstrengende, eine prägende Zeit, in der vom Soufflieren bis zum Wände anmalen alles dazu gehörte – fast wie in einer freien Gruppe. Selbst die ersten Auftritte vor dem Publikum fand sie abschreckend: so fremd, so ausgeliefert. Und doch dachte sie bei sich: „Ich komm‘ schon noch“.

Bemerkenswert an Helga Uthmanns Weg ist, dass er immer auch einer jenseits der Zeit war: Am Anfang lagen ihr die jungen Rollen nicht und sie freute sich über jedes Jahr des Älterwerdens – später ab schien sich ihre Lebensspirale andersherum zu drehen. „Ich werde innerlich immer jünger. Ich bin noch 30″, sagte sie mir, als sie vom Papier her 75 war.

Diese unbändige Spiellust

Wer sie in Mathias Franks Inszenierung von Peter Turrinis „Josef und Maria” mit Claus Dieter Clausnitzer erlebt hat, weiß, was das für die Bühne bedeutete: so voller Lebenslust, so kraftvoll und bezaubernd das Sein umarmend war sie da zu sehen, dass die Zuschauer nur so in das Stück pilgerten. Sie wollten erleben, wie diese beiden vermeintlich Alten plötzlich Tango tanzten, Wange an Wange, jede Widrigkeit des Lebens verlachend. Jung sein ist keine Frage des Alters.

Man konnte sich regelrecht vorstellen, dass Helga Uthmann auch schon mal vor einer Vorstellungen laut brüllte: „Ich hab‘ Lust! Ich hab‘ Lust!“

Und doch sagte Helga Uthmann vor fünf Jahren, ihre Kraft lasse nach, sie wolle kürzer treten. Jürgen Kruses Ruf ans Schauspiel Köln ist sie trotzdem noch einmal gefolgt, als der sie anbrüllte: „Und wenn Du 130 wärst – Du spielst!”

Sie ist leider nicht 130 geworden.

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Menschen, der so wundervoll warmherzig war, so groß im Leben und auf der Bühne. Für Helga Uthmann war es ein Kompliment, wenn jemand sie bodenständig nannte. Oder, wie sie es sagte: „Ich muss auch mal dreckige Hände haben und in der Erde wühlen.“




Gedanken zum Tod von Otto Sander

Otto Sander ist tot. Ein Schlag in die Magengrube, als ich das gelesen habe. Otto Sander, dieses Gesicht, diese Stimme.

Otto Sander hat mir bewiesen, dass man sich auch in eine Stimme verlieben kann. Als ich damals Oscar Wildes „Das Gespenst von Canterville“ hörte, da wusste ich zunächst nicht, dass ich Otto Sander lauschte. Ich war einfach verzaubert, von dem Kratzen, der Tiefe, diesem einzigartigen Klang, der die Geschichte zu Bildern formte. Otto Sander war schon mit seiner Stimme ein Schauspieler. „Das Gespenst von Canterville“ gehört seitdem für mich zu den Klängen, die Weihnachten einläuten.

Wirkung

Ich will hier nichts schreiben von Otto Sanders Biographie, seinen vielen Auftritten, mit wem und wann er gearbeitet hat – das können andere viel besser, das wäre anmaßend von mir. Ich kann nur schreiben über die Wirkung, die Otto Sander auf mich hatte.

Da gibt es zwei Worte, die für mich unbedingt zu ihm gehören: Tiefe und Authentizität. Otto Sander konnte selbst den kleinsten Dingen Bedeutung geben, nichts an ihm erschien banal oder oberflächlich. Das Gesicht, so voller Furchen, jede einzelne die Verheißung einer Geschichte, die Augen, so bodenlos. Das ist es, was ich nicht vergessen werde, die Stimme, das Gesicht.

An der Bar

Dann gab es noch diesen Abend, eine Lesung mit Benjamin von Stuckrad-Barre im Schauspielhaus Bochum. Er habe, erzählte der Autor, Otto Sander gerade an der Bar gesehen – vielleicht käme er ja später noch dazu. Immer wieder an diesem Abend erwähnte Stuckrad-Barre Otto Sander. Ich weiß gar nicht, ob er schlussendlich wirklich in den Saal, auf die Bühne kam, so lange ist das schon her. Aber im Grunde war das auch unnötig. Es war einfach dieses Bild, das blieb: Otto Sander, an der Bar, vielleicht rauchend, vielleicht ein Glas vor sich, vielleicht allein.

Danke für viele unvergessliche Momente.




Familienfreuden auf Reisen: Die Sache mit Axel

Fiona hat wochenlang nichts mit anderen Babys zu tun gehabt. Und das, wo sie sonst einmal pro Woche mit der Pekip-Spielgruppe und beim Babyschwimmen alles zum Einstürzen bringt.

Trotzdem waren die Wochen alles andere als langweilig. Fiona hat riesige Redwoods bestaunt, Oregons bewegte Küste stumm bewundert, mit lustigem Gebrabbel einen Berg nach dem anderen besungen und sogar quietschend einen Schneespaziergang (!) mit uns gemacht (Normens Kommentar für andere Wandernde: „We brought our own sound system.“) Aber Babys? Immer nur in Tragehilfen verpackt oder aus der Ferne, in ihrem Kinderwagen, so dass maximal ein sehnsüchtiges Winken drin war. Wochenlang keine adäquate Unterhaltung. Und dann kam Axel.

Keine anderen Babys weit und breit. (Foto: Normen Ruhrus)

Keine anderen Babys weit und breit. (Foto: Normen Ruhrus)

Normen und ich waren durch unser Frühstück – French Toast mit Würstchen und Omelette, oh yeah! – abgelenkt, aber Fiona sah ihn schon aus dem Augenwinkel. Braunes Haar (zumindest der Ansatz), braune Augen, todschicke Latzhose und geringeltes Oberteil. Was für ein Mann (to be). Axel! Dass Fi’s Patenonkel (auf Englisch viel cooler „Godfather“) auch so heißt, war sicher ein gutes Entrėe. Fi schien sich in ihrer Blümchenjacke aufzusetzen.

Das wiederum blieb von Axel nicht unbemerkt. Sehnsüchtige Blicke aus dem Augenwinkel, schüchternes Winken? Axel war kein Mann der subtilen Annäherung. Um ehrlich zu sein: er ließ einfach einem Sabberfaden freien Lauf.

Kaum rückten wir die beiden näher aneinander, berührten sich die Babystühle, gab es einen Mini-Urknall: „Jadaddada!“ eröffnete Fi die Konversation. „Bababababa!“ stimmte Axel gut gelaunt zu. Für uns das Signal: Was auch immer wir in dem Urlaub tun würden, Grimassen, Lieder, die Eröffnung von Bergen, Seen und Tieren – es würde immer nur die zweite Wahl bleiben. Keine Chance gegen Axel. Finger berührte Finger, Hand landete auf der Nase, Finger im Auge… – die Liebe war kurz, aber heftig.

Lange noch winkte Fi Axel hinterher als wir das Café verließen. Und wir summten leise: „Bye, bye, Mister American Pie!“

P.S.: Falls sich jemand über unsere Aufenthaltsdauer wundern sollte – Kolumnen kann man auch aus der Erinnerung schreiben :-)!




Familienfreuden auf Reisen: Wie wundersam!

Camping in Reih und Glied (Foto: Normen Ruhrus)

Camping in Reih und Glied (Foto: Normen Ruhrus)

Fünf Wochen verreisen! So viel Zeit, so viele wundervolle, herrlich schräge, freundlich skurrile Menschen – die sich besonders zwischen Zelten und Campern zu versammeln scheinen.  Und wenn man mit einem so süßen Baby wie Fiona auf dem Arm auf einem Campingplatz umherläuft, ist das fast eine Garantie, auch mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Da war zum Beispiel jene freundliche Frau in ihren Mittfünfzigern. Normen saß gerade spielend draußen mit Fiona auf der Picknickdecke, als sie ihn ansprach und schnell auch die Frage stellte, wo wir denn herkämen. Als Normen antwortete „Aus Deutschland“, überlegte sie kurz, um sich dann zu erkundigen, wo das denn genau sei. Die Auskunft „in Europa“ kommentierte sie mit einem „Oh, das hatte ich mir beinahe schon gedacht.“

Mülltonnen-Alarm!
Am Lake Tahoe war es, wo wir erstaunt beobachteten, dass plötzlich eine Armada von Ranger-Fahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn an uns vorbeiraste. Der Campingplatz war eigentlich extrem ruhig und dieser Ausbruch an Hektik machte uns neugierig: Ein kleiner Brand in einer Mülltonne war es, der den Alarm ausgelöst hatte. Als die gesamten Ranger von Lake Tahoe versammelt schienen, fehlte nur noch einer: Der „Host“, einer jener zumeist im Rentenalter befindlichen Herren und Damen, die bei freiem Logis Unbedarften Auskunft erteilen und Hilfestellung leisten. Dieser spezielle Host nun brauste (soweit möglich) in einer Art Golfcaddy an uns vorbei, mit bitterernster Miene, den Ort des Unglücks fest im Blick, die Amerika-Fahne eifrig flatternd. Und anscheinend war ihm sein Dasein auf dem Platz bislang allzu ruhig vorgekommen  – denn er hatte ein ganzes Bündel voller Holzscheite aufgeladen, vielleicht, um das Feuer noch ein wenig dramatischer zu gestalten.

Toilettenteppiche
Campen, zumal dauerhaftes, scheint zudem wie unter einem Brennglas persönliche Marotten zu offenbaren: Bei einer Zwischenübernachtung trafen wir auf einen Campingplatz, bei dem doch tatsächlich Teppiche vor den öffentlichen Toiletten lagen – mitsamt Bordüre an der Wand und kleinen Vorhängen vor den Fenstern. Dass der Besitzer außerdem gern abends seine Gäste mit einer Lok umherfuhr – wen wundert’s. Als ich dieses besondere Vergnügen für Fiona in Betracht zog und fragte, was es denn bei der Lokfahrt so zu sehen gebe, schaute er mich erstaunt an und meinte: „Na, den Campingplatz!“

An einem anderen Ort trafen wir auf eine Art Pleasantville des Campers, wo Bingo & Bibelstunde zum wöchentlichen Vergnügen gehörten. Und morgens, pünktlich um neun Uhr, wurde die CD für die Wassergymnastik eingeschaltet, die am Ende der Stunde auch brav plärrte: „Hope we’ll see us again!“

Klopf, klopf machte es derweil eines nachmittags: Ein freundlicher älterer Herr stand vor uns, Milch und Kakao in der Hand. Er wolle jetzt mit seiner Frau nach Alaska fahren, da habe er dafür keine Verwendung mehr – ob wir nicht…?

Ein wenig unheimlich wurde es uns allerdings, als wir in der Nähe des Olympic National Park an einem äußerst gepflegten Campingplatz eintrafen: Hier war alles picobello, der Rasen frisch gemäht, die Linien auf dem Parkplatz noch glänzend weiß und alles so ordentlich, wie sonst nur in Doris Day-Filmen. Der Ranger, nachdem er gemerkt hatte, dass ich keine Amerikanerin bin, sprach äußerst langsam mit mir, unterstrich die Erklärung des Reservierungsvorgangs, indem er mir einen Zettel mit dem Wort „Reserved“ vor die Nase hielt und verzog bei all dem keine Miene. Dass sein Name auch noch dem des Mannes ähnelte, der damals Polanskis Frau Sharon Tate ermordete, ließ uns regelrecht frösteln. Als er am nächsten Tag erneut sorgsam den Rasen auf seiner Mähmaschine trimmte, versteckten wir Fiona vorsichtshalber vor seinen Blicken.

Fernsehen wird draußen erst schön
Die Tendenz zu Größenrekorden gibt es auch bei Campern: Unsere siebeneinhalb Meter halten zwar trefflich als Fionas Abenteuerspielplatz her, sind aber regelrecht lächerlich im Vergleich zu den Gefährten, mit denen viele  Amerikaner anrücken und die an Tourbusse von Rockbands erinnern. Mit diesen Ungeheuern passen sie natürlich in keinen kleinen Naturpark, sondern nur auf jene teuren privaten Plätze, die zwar eher unattraktiv, dafür aber mit jeglichem Komfort ausgestattet sind. So sahen wir eine Familie die, umgeben von Wald, Spielplatz und Swimmingpool, all dies missachtete, zwar ein Feuer anzündete (unerlässlich!) – dafür aber lieber einträchtig von draußen auf den Flachbildfernseher sah, den man selbstverständlich aus dem Camper herausfahren konnte.

Herrlich skurril mögen es einige Hundebesitzer. Freundlichst unterhielten wir uns mit unseren Nachbarn auf einem idyllischen Campingplatz in Washington (nicht DC), ein älteres Ehepaar, das schon 48 von 50 US-Staaten bereist hatte. Doch eben jene Leute, die gerade noch interessante Details zum amerikanischen Bildungssystem preisgegeben hatten, ließen uns an jener seltsamen Szene teilhaben: Der Mann sagte zu seiner Frau, er mache noch einen kleinen Spaziergang und ging los. Die beiden Dackel aber, die sie dabei hatten, durften nur zusehen – von einem kleinen Gitterparcours aus, der extra für sie errichtet wurde.

Heute haben wir diese Liebe zur Eingrenzung dann in puristischer Reinform erlebt: Wir fuhren umher, einen Stellplatz suchend. Dabei sahen wir eine Frau und einen Mann. Sie lächelten uns freundlich an, das Feuer knisterte neben ihnen fröhlich. Um sie herum aber, da glänzte, recht  eng gefasst  – ein hüfthoher Stahlzaun. Ohne Hund wohlgemerkt.

Ach ja, vielleicht, wer weiß, ist es neben der Naturnähe genau das, was Campen ausmacht: Diese wundersamen, herrlichen Begegnungen.




Familienfreuden auf Reisen: Polka Dots!

Modisch ganz weit oben.(Foto: Albach)

Modisch ganz weit oben.(Foto: Albach)

Sicher, das Geschlecht eines Babys zu bestimmen, ist nicht einfach. Schon in Deutschland musste ich mehrfach erklären, dass es sich bei Fi um ein Mädchen handelt. Aber die Taktrate, mit der die Amerikaner sie für einen Jungen halten, macht mich doch stutzig.

Immerhin, die Rezeptionistin in San Francisco, einmal eingeweiht, begrüßt Fiona fortan mit breitem Grinsen und großem Enthusiasmus für die „polkaaaa dots!“, die ihre kleinen Lederschlappen zieren. Die gefallen auch der Dame in dem winzigen Fischrestaurant-Verhau an einem kleinen Hafen von Oregons Küste. Doch auch sie hält Fiona für einen Jungen. Mit Rotweinglanz in den Augen, noch im Kostüm von dem Kirchenbesuch, erzählt sie selig von ihrer Gemeinde und der Aufregung, die sie einmal ausgelöst hat, als sie einmal einem weiblichen Baby eine Leggins angezogen hat, das daraufhin alle für einen Jungen hielten. „Aber sie hat doch auch Kleider?“, fragt sie mit besorgtem Blick auf Fi, die fröhlich die wackeligen Wände auseinander nimmt. Als ich nicke, wirkt sie beruhigt. Sie zahlt und steht unsicher auf ihren riesig hohen Stilettos auf. Wir stellen uns vor, wie sie an den Hafenarbeitern vorbei schwankt oder vielleicht angeschwipst in ihr Auto steigt und zu dem Hotel braust, das sie in dem Ort führt.

Als wir schließlich in einem Disney-Store landen, werden all meine emanzipativen Alpträume wahr. Auf den Bügel hängen glitzernde, paillettenbewehrte Prinzessinnenkleider, eines schimmernder als das andere. Gut, dass Fiona lieber verzückt der Dame lauscht, die mit ganzem Körper und Stimmeinsatz nahezu sämtliche Charaktere aus dem neuesten Monster-Animationsfilm vormacht. Uns sind die Schlafanzüge auch lieber, auf denen steht „Mommy’s little Monster“. Die Kassiererin begrüßt Fi daraufhin natürlich mit „Hi, guy!“

Als wir rausgehen, erleben wir, wie kleine Mädchen kreischend auf die Kleider losrennen. Wir ahnen: die Zeit, in der Fi für einen Jungen gehalten wird, ist nur eine Schonfrist.




Familienfreuden auf Reisen: Verrückte Hühner

San Francisco versus Normen mit Kinderwagen. (Foto: Albach)

San Francisco versus Normen mit Kinderwagen. (Foto: Albach)

San Francisco wurde nicht für Kinderwagen gebaut. Ganz sicher nicht. Kaum wagen wir uns in die spannenden Gebiete der Stadt vor, wird es anstrengend.

Sportlicher Kinderwagen hin oder her, ich gebe ziemlich schnell auf und an Normen weiter. Der ächzt und stemmt sich mit seinem ganzen Körper gegen Fionas Porsche, um die gefühlten 90 Grad. Steigung zu packen. Wir sehen Autos die berühmte Lombard Street hinab fahren, Fiona lallt fröhlich unter ihrem Regenschutz und Normen kommt ins Schwitzen. Wir suchen Erfrischung in einem Café, Fi sucht Erleichterung. Wickeltisch? (Was heißt das bloß auf Englisch?) Fehlanzeige. Wir entwickeln Wickelfindigkeit und schaffen den Wechsel auf einem halbem Quadratmeter vor dem Klo.

Später, an Fishermans Wharf, zeigt Fi wenig Gespür für die vom Lonely Planet vorgeschlagenen Sehenswürdigkeiten und bestaunt statt der strunzenden Seelöwen die herrlich im Wasser glitzernde Sonne.

Dabei zeigt sie durchaus so etwas wie Tierliebe oder zumindest Interesse. Gut, den Elchen, die wir in den Redwood State Parks sehen, kann sie nur aus der Ferne zuwinken – was mehr an unserer Zurückhaltung liegt als an ihrer. Aber der Riesenameise, die an ihrer Picknickdecke vorbeikrabbelt, will sie am liebsten direkt hinterher. Und der lustige blaue Vogel mit Punkerfrisur erntet Applaus. Unser Zusammenzucken bei jedem knackenden Ast im Wald nimmt sie hingegen verwundert zur Kenntnis – die Propaganda, wonach überall Bären lauern, die selbst auf unsere Brötchenkrümel scharf sind, lässt Fi kalt.

Erstaunt beobachtet Fi allerdings den schrägsten Tierbesuch: ein kleiner Vogel fühlt sich durch unseren Camper so gestört, dass er aufgeregt auf unserer Motorhaube entlang hüpft und die Spiegel angreift. Noch beim Einschlafen hören wir ein rhythmisches toctoctoc. Radkappe gegen Vogel, Eins zu Null.




Familienfreuden auf Reisen: Die mauen Herren

Ankommen! Und das möglichst gut. Das war eigentlich der einzige Gedanke, der uns antrieb beim Abflug. Dass unsere Reise in die USA mit Fiona zu einer ganzen Reihe von seltsamen Begegnungen mit mauen und merkwürdigen Herren werden würde, konnten wir ja nicht ahnen.

Startschuss war schon am Gate. Ein kleiner, wohlproportionierter Herr mit Lupe in der Hand fragte uns mit unnachgiebiger Miene und Ungeduld im Blick, ob wir unser Gepäck a) selbst gepackt und b) jemand anders dazu Zugang gehabt hätte. Fi schaute den Herren ebenso erstaunt an, wie wir beide.

Trotzdem schafften wir es in den Flieger. Obwohl wir fast eine Stunde bis zum Abflug warten musste und die arme Fiona schrie wie am Spieß, sagte der ältere Herr in der Reihe hinter uns später zu mir, wir würden einen sehr guten Job machen und tätschelte meinen Kopf. Als Fi eingeschlafen war, war ich geneigt, seinen Worten Glauben zu schenken – vor allem, als die Landung ohne befürchtete Druckausgleichsschreie erledigt war. Elf Stunden Flug – wir hatten es geschafft!

Oder zumindest fast. Uns stand noch der immigration process bevor. Der Herr mit der schnittigen Frisur (gerade wie ein Lineal) und dem dazu stark kontrastierenden Armtattoo sagte, kaum, dass er einen Blick auf uns geworfen hatte: „Guten Abend!“ und demonstrierte fortan sein bestes Deutsch. Da wundert man sich nach elf Stunden Flug schon. Bereitwillig erzählte er, dass er in Deutschland stationiert gewesen war. „In Bad Tölz. Aber ich bin nicht der Bulle von Tölz! Dafür fehlen mir ein paar Kilos.“ Breites Lachen. Waren wir wirklich gerade in Amerika angekommen?

Der asiatische Taxifahrer, der uns nahezu alle unsere Gepäckstücke einladen ließ, bevor er meinte, dass das wohl doch nicht passe, wunderte uns da schon kaum noch. Als wir schließlich, die Augen kaum noch auf haltend, in unserem Hotel ankamen, schien es kein Geringerer als der Bruder von Forest Whitaker zu sein, der uns die Tür aufhielt und uns herzlich willkommen hieß. Fiona goutierte alles mit einem königlichen Winken.

Die seltsamste Begegnung bescherte uns allerdings ihre Schlafstätte: Als wir um ein Babybett baten, klopfte wenige Minuten später ein Herr an unsere Zimmertür: Schwarzer langer Mantel, Sonnenbrille, Goldkette – und vor allem zwei Uhren, so groß wie Joghurtbecher, in strahlendem Gold, besetzt mit unzähligen, glitzernden Diamanten. In der einen Hand hielt er: Fionas Babybett! Er, der sonst sicher eher unliebsame Klienten zurechtstutzte oder kruden Geschäften seinen Segen gab, ächzte nun beim Zusammenbauen des kleinen Bettchens. Ein Bild, das uns in unsere Träume begleitet hat.