„Pommes“ in Oberhausen – die Spaß-Alternative zur Fußball-WM

„Pommes – das fünfte Element?“ Für den gemeinen Ruhrpott-Ureinwohner ganz sicher. Und so müsste doch auch die olle, fettige Pommesbude, die der schwule Herr Humboldt von seinem Onkel geerbt hat, ganz leicht wieder eine Goldgrube werden können? Gerade, weil sie mitten in Oberhausen steht.

Hätte ja noch schlimmer kommen können. Die Bude hätte schließlich auch in Bottrop sein können oder – Gott bewahre – in Düsseldorf. Schlimm genug, dass einer aus der alten Clique abtrünnig geworden ist und als Makler in der Landeshauptstadt den großen Macker gibt.

"Pommes"-Ensemble mit Constanze Jung und (hinten von links) Hans Peter Lengkeit, Hajo Sommers, Kai Magnus Sting, Nito Torres. (Foto: Axel Scherer)

„Pommes“-Ensemble mit Constanze Jung und (hinten von links) Hans Peter Lengkeit, Hajo Sommers, Kai Magnus Sting, Nito Torres. (Foto: Axel Scherer)

„Inne Bude, am Fenster, bei die Rauchers“ – da haben sie sich früher immer getroffen, die vier Freunde. Nach langen Jahren stehen sie dort mal wieder beisammen, jeder auf seine Weise ratlos, wie es weitergehen soll. Mit der Stadt, mit der Pommesbude, mit ihnen selbst. Der aufschneiderisch makelnde Uwe mit seinem Smartphone; Martin, der traurige Trainer eines noch traurigeren Fußballvereins; Humboldt, der unerschütterlich optimistische Erbe der Pommesbude und ihr Chronist Malte, federschwingend beim örtlichen Lokalblättchen.

Was sie brauchen, ist nicht nur neue Farbe und ein paar Blümchen, sie brauchen Zuspruch, Optimismus und den Glauben daran, dass sich nochmal alles zum Guten wendet. Dieser Glaube kommt daher in Form der übersprudelnden Italienerin Silvia. Uwe hat sie im Urlaub kennengelernt, nun kündigt sie ihr Kommen an und die Frage: „Will sie Uwe oder sein Geld?“ kommt den Vieren gerade recht, um sich von ihren eigenen Problemen abzulenken. So ersinnen sie eine Scharade, Uwe wird Silvia als Pommesbuden-Besitzer präsentiert, Malte schreibt das Drehbuch und die Vier entpuppen sich als veritable Schauspieler. Und das nicht nur beim Spiel im Spiel, sondern auch auf der Bühne. Das haben sie zuvor auch schon in anderen Eigenproduktionen des Ebertbads bewiesen. Das Ensemble reißt das Publikum von den plüschigen Stühlen.

Die Regie bei „Pommes“ führt Oberhausens bekannteste Kabarettistin Gerburg Jahnke. Ihr beliebter, teils auch gefürchteter Witz schimmert durchaus durch. Doch zunächst einmal ist „Pommes“ Volkstheater im besten Sinne. Ruhrisches Volkstheater erlebt in den letzten Jahren so etwas wie eine kleine Renaissance und das Ensemble des schönen Oberhausener Ebertbads interpretiert das mit seinen Eigenproduktionen kreativ und überraschend.

„Pommes“ ist witzig, laute Lacher sind gewünscht, schenkelklopferisch wird es aber nur selten – und (obwohl gelegentlich spitz und scharfzüngig) es ist nie unter der Gürtellinie. Diesen Balanceakt beherrscht das Stück, genau wie den unbekümmten Wechsel zwischen den Genres. „Pommes“ ist Kabarett, Singspiel und Revue in einem. Für alle und von allet watt dabei eben.

Das Ebertbad Oberhausen zeigt das schon im vergangenen Jahr sehr erfolgreiche „Pommes oder das fünfte Element“ als Alternativ-Programm während der Fußball-WM. Auch in diesem Theaterstück geht es durchaus auch um richtige Taktik und Mannschaftsaufstellung. Denn schließlich ist „Pommes“ zuallererst ein Stück über das Ruhrgebiet – und das ist ohne Fußball nun mal undenkbar.

Infos über weitere Termine finden sich auf der Homepage Ebertbad Oberhausen.




TV-Nostalgie (16): Dieter Hildebrandt – die besten Jahrzehnte des Kabaretts

Heute bestreiten gewisse „Comedians“ ganze Abende mit dröhnenden Flachwitzchen darüber, dass Frauen auf Handtaschen und Schuhe versessen sind oder angeblich nicht einparken können. Welch ein himmelweiter Unterschied zum politischen Kabarett, das den Namen verdient! Da geht’s beim Lachen eben auch ums Nachdenken. Und wer hätte mehr dafür gestanden als Dieter Hildebrandt? Der Mann fehlt!

Sicher: Das parteipolitische Witzeln der 50er und 60er Jahre hatte sich irgendwann mal erledigt. Doch einer wie Hildebrandt lief zwar gewiss nicht jedem Trend hinterher, ging aber mit der Zeit und entwickelte gemeinsam mit jüngeren Begabungen das Kabarett weiter, so dass es in seinen besten Momenten auch gesellschaftliche Tiefenströmungen erfasste.

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären "Scheibenwischer"-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären „Scheibenwischer“-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Man schaue sich Ausschnitte seit den 80er Jahren an: Wie viele Talente er da mit untrüglichem Gespür für Qualität gefördert und selbst noch von ihnen gelernt hat! Bei ihm bekamen sie alle eine große Bühne – von Gerhard Polt bis Richard Rogler, von Konstantin Wecker bis Georg Schramm, dem wohl besten Kabarettisten der letzten Jahre, der sich jetzt leider aus der Öffentlichkeit zurückzieht.

Die Technik des Verhaspelns

Der gebürtiger Schlesier und Wahlmünchner Hildebrandt (übrigens Anhänger von 1860 München) war ein vorbildlicher, durch und durch uneitler Förderer, der andere gern neben sich gelten ließ und dafür sorgte, dass sie reifen konnten. Allein das war schon eine große Lebensleistung – ganz abgesehen natürlich von den eigenen Auftritten, bei denen er seine unvergleichliche Technik des (hellwachen) Verhaspelns kultivierte. Am Ende hatte er zwischen den Zeilen immer ungleich mehr gesagt, als Geradeaus-Sätze es vermocht hätten. Übrigens merkte man bei seinen Soli und im Ensemble auch immer wieder, dass er eine ordentliche Schauspieler-Ausbildung hatte.

Legendenstatus erlangten seine Fernsehreihen „Notizen aus der Provinz“ (1973 bis 1979 im ZDF) und „Scheibenwischer“ (1980 bis 2003 mit Hildebrandt in der ARD, danach noch bis 2008 ohne den Meister). Auch bei „Neues aus der Anstalt“ (ZDF) stand Hildebrandt noch Pate und war mit von der Partie, wenn auch nicht mehr in vorderster Linie.

Bei Konservativen oft „angeeckt“

Die „Notizen aus der Provinz“ waren ein vorproduziertes Magazin, beim „Scheibenwischer“ gab’s hingegen Live-Kabarett. Beiden Sendungen gemeinsam war allerdings, dass sie oft bei konservativen Politikern und Fernsehgewaltigen „aneckten“. Besonders heftig geführt wurde der Streit um die Ausgaben zum korruptionsträchtigen Wahnwitz des Rhein-Main-Donau-Kanals (1982) und zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl (1986). Aus der Letzteren klinkte sich der Bayerische Rundfunk aus.

Millionenpublikum mit „Lach & Schieß“

Begonnen hatten all die ruhmreichen Jahrzehnte mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, die Hildebrandt 1956 gemeinsam mit dem Sportjournalisten Sammy Drechsel gegründet hatte. Zwischen 1963 und 1971 hatte die Truppe ein Millionenpublikum mit ihrem ARD-Silvesterprogramm „Schimpf vor zwölf“. Nie wieder hat deutsches Kabarett so viele Zuschauer versammelt wie damals.

Nur nicht unverbindlich sein

Ende 1972 löste sich die Lach- und Schießgesellschaft auf. Willy Brandt war 1969 Kanzler geworden und das linksliberal ausgerichtete Kabarett in eine Sinnkrise geraten. Es drohte staatstragend zu werden. Doch Dieter Hildebrandt hat niemals unverbindliche Scherze getrieben. Bezeichnend, dass er sich noch viel später mit Mathias Richling überwarf, der nach 2008 just auch Comedians zum „Scheibenwischer“ holen wollte. Solche Späße waren Hildebrandt zu läppisch und er untersagte die weitere Verwendung des Titels „Scheibenwischer“.

Seit Hildebrandts Tod im November 2013 vermisst man schmerzlich eine solch gewichtige Figur, die die Szene gleichsam väterlich zusammenhalten könnte. Was er wohl dort oben über den Wolken treibt? So ganz ohne klugen Spott dürfte es auch dort nicht abgehen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), „Was bin ich?“ (15)




„Die Anstalt“: Harte Arbeit an der ZDF-Satire

Es sieht ganz so aus, als wollten sie nicht mehr in erster Linie komisch sein, sondern vor allem (ge)wichtig und relevant. Sie attackieren frontal die Deutsche Bank, sie zeigen gar deutliche Sympathien für Positionen der Linkspartei, als wollten sie die leitenden Herrschaften beim ZDF mal so richtig ärgern. Doch sie spielen auch schon die Illusion mit, die sich darin verbirgt.

Sie, das sind Max Uthoff und Claus von Wagner, die jetzt von Urban Priol und Frank-Markus Barwasser (Pelzig) die Satiresendung des ZDF übernommen haben. Die heißt nicht mehr „Neues aus der Anstalt“, sondern schlichtweg „Die Anstalt“ und hatte heute ihre Premiere.

Neue Chefs in der "Anstalt": Max Uthoff (li.) und Claus von Wagner (© ZDF/Jürgen Nobel)

Neue Chefs in der „Anstalt“: Max Uthoff (li.) und Claus von Wagner (© ZDF/Jürgen Nobel)

Was der Sendung leider fehlt, ist eine wirklich prominente und zugkräftige Leitfigur. Ersichtlich fahrig und hektisch strampelt man sich ab, um den mangelnden Bekanntheitsgrad wettzumachen. Man kokettiert mit der eigenen, mutmaßlich durchschlagenden Wirkungslosigkeit, erklärt die Sendung aber vollmundig für „besetzt“ und träumt nicht nur insgeheim davon, dass das ZDF einem „den Saft abdreht“. Doch dazu besteht vorerst denn doch wenig Anlass.

Gewiss. Man arbeitet sich nicht mehr so sehr parodierend an einzelnen Figuren des Politikbetriebs ab, wie es Urban Priol kräftezehrend vollführt hat. Doch so mancher personalisierende Kalauer (Gauck als „moralische Knautschzone“ usw.) rutscht auch jetzt noch durch. Sei’s drum.

Gewiss. Eine Wut über so manche Verhältnisse (Fernsehprogramm-Elend, Schwulen-Diskriminierung, irrwitzige Banken-Macht, unbarmherziger Umgang mit Flüchtlingen) ist spürbar. Doch das wirkt zum Auftakt noch etwas wahllos gestreut, ja mitunter geradezu diffus – und gelegentlich auch flau und undifferenziert.

Gewiss. Da gibt es den einen oder anderen erhellenden, aufklärerischen Moment. Doch vieles kommt noch herzlich unkomisch und somit flügellahm daher. Der depressive Gestus von Nico Semsrott und der dampfende Zorn von Matthias Egersdörfer setzen immerhin gegenläufige Akzente mit etwas Kontur. Simone Solga steht freilich ein wenig hilflos dazwischen.

Aus der Sendung kann jedoch noch etwas werden, wenn man nach und nach die richtigen Mitstreiter an Land zieht und einen wirklich eigenen Stil entwickelt. Wahrlich keine leichte Aufgabe, diese Kärrnerarbeit an der ZDF-Satire…




Geierabend 2014: Schwarzhumor aus der Grube

Flüchtlinge gucken vor Lampedusa. Foto: StandOut

Flüchtlinge gucken vor Lampedusa. Foto: StandOut

Einst war Kabarett relevant. Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt kommentierten mit Schärfe die Missstände in Politik und Gesellschaft. Ins Kabarett ging man nicht nur in Erwartung eines bierseligen Schenkelklopf-Abends, sondern durchaus in dem Bewusstsein, dort auf Standpunkte zu treffen, die dazu beitragen können, sich eine (andere) Meinung zu bilden. Solche Kabarettisten gibt es heute immer noch, sicher. Doch sie erreichen längst kein Massenpublikum mehr. Wenn ein Comedian heute Stadien füllt, dann mit flachen Witzen über die Geschlechter und ihren fortwährenden  Kampf, eine offenbar bodenlose Fundgrube.

Umso bedeutsamer ist, dass sich der Dortmunder Geierabend mit seinem aktuellen Programm („Späßchen in der Grube“) dazu entschieden hat, noch konsequenter auf Gegenkurs zu gehen. Die Comedy-Show zum Ruhrpott-Karneval, eine Art Stunksitzung des Reviers, geht in diesem Jahr in ihre 23. Session. Sie hat ihre treue Fan-Gemeinde, und viele warten vor allem auf die Kult-Nummern im Programm: „Die Zwei vonne Südtribüne“, besoffene Fußball-Philosophen, rülpsen ihre Weisheiten über den Sport, den Alkohol und das Leben. „Die Bandscheibe“ (die großartige Franziska Mense-Moritz) widersetzt sich Jahr für Jahr renitent dem Nichtraucherschutz („Wo ich bin, is Raucherecke!“). Die „Hossa Boys“ intonieren mit heiligem Ernst Bierhymne um Bierhymne. Darin sind die „Geier“ um Regisseur Günter Rückert groß; das Ensemble besteht aus versierten und professionellen Kleinkünstlern, Musikern und Comedians, die auch alleine Abende bestreiten können.

"Kimberley, komm vom Gerüst weg": Sandra Schmitz als Hartz 4-Mutti. Foto: StandOut

„Kimberley, komm vom Gerüst weg“: Sandra Schmitz als Hartz 4-Mutti. Foto: StandOut

Es sind jedoch  die Nummern dazwischen, die den Geierabend zu dem machen, was er heute ist: ein relevantes Stück Gegenöffentlichkeit. In einer Zeit, in der ein schwuler Fußballer auf mehr Interesse stößt als Umwelt- oder Abhör-Skandale und in einer Region, die sich überwiegend schon an die Existenz nur einer Zeitung vor Ort gewöhnt hat, holt der Geierabend das Politische auf die Bühne öffentlicher Unterhaltung zurück. Das ist altmodisch, aber heute sogar wichtiger als zu Blütenzeiten des Kabaretts vor drei, vier Jahrzehnten.

Es ist vor allem eine Nummer, bei der einem Großteil des Publikums das Lachen im Halse stecken bleibt: „Eine Seefahrt vor Lampedusa“. In der bitterbösen Satire hat eine Familie eine Seefahrt mit besonderer Attraktion gebucht: Flüchtlinge gucken. Walfische standen schließlich schon im vergangenen Jahr auf dem Programm. „Die hab‘ ich mir viel schwärzer vorgestellt“, sinniert der Vater (Murat Kayi), während das Kind (Sandra Schmitz) quengelt: Es will die über Bord gegangenen Flüchtlinge füttern, am liebsten einen mitnehmen. „Füttern verboten! Du darfst eines herausholen, aber hinterher kommt es wieder ins Wasser!“, mahnt der Kapitän (Roman Henri Marczewski). „Wenn ein Neger vor Lampedusa im Meer versinkt…“, singen die Geier auf die Melodie von „Bella Bella Marie“. Wer sich traut zu lachen, hält plötzlich erschrocken inne.

Hitler und sein Hund Eva. Foto: StandOut

Hitler und sein Hund Eva. Foto: StandOut

Denn politisch korrekt sind wir Deutschen ja – keiner kann das besser beurteilen als „Osman und Yüksel“ (Hans-Peter Krüger, Murat Kayi). „Roma? Wer Sinti?“, fragt der einbürgerungswillige Türke seinen bereits erfolgreich integrierten, ja assimilierten Landsmann. Dieser erklärt seinem Kollegen, wie wichtig die korrekte Wortwahl ist – Eiche rustikal reiche nicht, um ein guter Deutscher zu werden. Was wiederum Unverständnis provoziert: Ayshe rustikal? Am Ende ist man sich einig: Die Deutschen bürgern Türken wohl vor allem aus einem Grund ein: Damit es wieder einen Türken in Deutschland weniger gibt.

Mutti macht die Raute. Foto: StandOut

Mutti macht die Raute. Foto: StandOut

Diese Botschaft kommt in der Nummer „Neujahrsansprache der Kanzlerin“ so zwar nicht vor – dafür wird diese aber gereimt und gesungen. Mense-Moritz ist ein wunderbares Mutti-Double, zurzeit originalgetreu auf Krücken. Und selbst mit denen kann frau die berühmte Raute machen.

Es geht um weiterhin um die NSA und den Luxus liebenden Bischof, das Ende der FDP und die Zukunft des Ruhrgebiets, vegane Ernährung, singende Sauerländer und fliegende Holländer. Doch das bislang heftigste Erregungspotential birgt zumindest den Reaktionen auf Facebook zufolge eine Homöopathie-Nummer: „Der Steiger“ (Martin Kaysh) schluckt Geierabend für Geierabend den Inhalt einer zufällig ausgewählten Flasche Globuli. Ein Menschenversuch auf der Bühne. Auf der Facebook-Seite des Steigers entbrannten bereits engagierte Diskussionen über wahlweise Sinn und Unsinn dieses Experiments sowie der Homöopathie.

Wie geht es heute, das richtige Leben, und wird es durch Homöopathie besser? Das sind Fragen, die die Menschen bewegen – zumindest dazu bewegen, sich zu Wort zu melden. Es wird wirklich Zeit für mehr gutes Kabarett.

Wer es drei Stunden lang eingeklemmt zwischen bestens aufgelegten Mitmenschen auf Bierbänken aushält, dem sei der Geierabend 2014 warm empfohlen.

(Offenlegung: Die Autorin verfasst ab und zu Pressetexte für den Geierabend. Für diesen Beitrag wird sie jedoch nicht bezahlt).




„Oh, muss das sein, Miss Sophie?“: Vor 50 Jahren wurde das Silvester-Fernsehritual aufgezeichnet

Same procedure as every year ... Foto: NDR, Annemanrie Aldag

Same procedure as every year … Foto: NDR, Annemanrie Aldag

Wie wär’s mit folgendem Silvestermenü? Als Vorspeise wählen wir eine Mulligatawny-Suppe. Das ist eine Köstlichkeit aus Hühnerbrühe mit Gemüsen und vor allem Zwiebeln und Curry. Sie wurde in England gerne serviert und stammt noch aus der Kolonialzeit. Dazu reichen wir einen alten trockenen Sherry. Es folgt der Fisch, idealerweise Schellfisch aus der Nordsee, kredenzt mit einem Glas Weißwein, vielleicht einem Rheinriesling. Zum Fleischgang, einem Hühnchen, passt ein feines Glas Champagner. Und den süßen Abschluss bilden gesunde Früchte: Äpfel, Birnen, Mandarinen, Bananen. Ein süßer Portwein rundet dann das Mahl.

Wem dieses Menü bekannt vorkommt, hat in den letzten Jahrzehnten an Silvester gut zugeschaut: Es ist die Speisenfolge des „Dinner for one“, das Butler James zum 90. Geburtstag von Miss Sophie aufträgt. Wir kennen es alle: Die Dame hat vier Gäste geladen, die sich dummerweise aber infolge Ablebens nicht mehr von irdischer Speise nähren. So obliegt es dem Butler, zumindest die Pokale der vier Herren zu leeren, denn Miss Sophie legt Wert aufs Zutrinken und einen Trinkspruch. So nimmt das weinselige Schicksal seinen Lauf – und James kämpft nicht nur mit Tigerschädeln, Silbertabletts und Blumenvasen …

Vor 50 Jahren, 1963, wurde der Sketch mit May Warden und Freddie Frinton in der ARD-Sendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld“ ausgestrahlt und im Juli in Hamburg aufgezeichnet. Zwei Jahre zuvor lief er bereits in der Sendung „Lassen Sie sich unterhalten“ mit Evelyn Künneke. Davon gibt es aber keine Aufzeichnung. Seit 1972 gehört „Dinner for one“ zum festen Ritual der Silvester-Unterhaltung. Im Guinness-Buch der Rekorde landeten die achtzehn Minuten in Schwarz-Weiß 1988 als „weltweit am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion“.

Unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit: James, alias Freddie Frinton, und der Tiger. Foto: NDR, Annemarie Aldag

Unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit: James, alias Freddie Frinton, und der Tiger. Foto: NDR, Annemarie Aldag

Obwohl Frinton das Stückchen in den vierziger und fünfziger Jahren in England häufig bei Unterhaltungsshows in Seebädern und Großstädten spielte, ist es heute dort weitgehend unbekannt. Im britischen Fernsehen war er nie zu sehen. In vielen anderen Ländern, von Australien bis Südafrika, von der Schweiz bis Grönland, ist „Dinner for one“ dagegen ein ähnliches Kult-Ereignis wie in Deutschland. May Warden und Freddie Frinton haben sich mit dieser liebenswerten Miniatur ein Denkmal gesetzt – die beiden wären sonst längst vergessen. So heißt es – wie jedes Jahr – an Silvester wieder: „The same procedure as every year, James!“

Mehr als jeder dritte Bundesbürger – 37,5 Prozent – sieht sich an Silvester in der Regel im Fernsehen „Dinner for One“ an. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Apothekenmagazins „Senioren Ratgeber“. Wer sich in die Schar einklinken will: Der Sketch läuft in den Dritten Programmen der ARD zwischen 17.40 und 19.40 Uhr. Der WDR zeigt Miss Sophies Geburtstag um 18.50 Uhr. Für Spätgucker: Im NDR läuft er um 23.35 Uhr. Und nach dem Anstoßen auf 2014 kann man im Bayerischen Fernsehen gleich weitermachen: Auftritt von „James“ ab Mitternacht.

Der NDR widmet der unsterblichen Sendung eine Jubiläumsshow an Silvester: Von 09.10 bis 10.55 Uhr treten drei prominente Teams zu einem heiteren Wettkampf rund um „Dinner for one“ an. Heute, 30. Dezember, zeigt der NDR ab 22 Uhr eine einstündige Spurensuche rund um die – laut NDR – erfolgreichste Fernsehsendung der Welt: „Glückwunsch, Miss Sophie – 50 Jahre ‚Dinner for one‘: Das Erfolgsgeheimnis des Kultsketches“.Die Sendung wird an Silvester um 10.55 Uhr wiederholt.




Kaputtlachen in Dortmund

Dortmund hat sich als Metropole des Humors entwickelt, zumindest innerhalb der Metropole Ruhr.

Da können die Essener noch so scherzen, die Herner noch so fröhlich sein oder die Gelsenkirchener den schwarzen Humor noch so hervorfördern, in Dortmund wird das ganze Jahr gelacht, und zwar überwiegend gegen  Bezahlung. Da geben sich die Humorfestivals die Klinke in die bereitwillig winkende Hand.

Von Juni bis Oktober kann man sich alle schlechten Wetter weglachen, wenn man ins Spiegelzelt lustwandert, um das „RuhrHochDeutsch“-Programm zu besuchen. Da wird sich gefreut, dass sich die Balken biegen und die Spiegelbilder verzerren.

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: "Geierabend"-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals "Tante Amanda". (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: „Geierabend“-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals „Tante Amanda“. (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Sind wir so – wie wir es von der Bühne hören? Ist die Comedy nicht der wahre Spiegel der Gesellschaft? Muss wohl so sein, denn der Dortmunder und die Besucher aus dem landwirtschaftlichen Umfeld freuen sich über jeden Spaß, selbst, wenn sie ihn schon zigmal gehört haben. Das muss doch auch die Stimmung in der Stadt spiegeln.

Und weil die Herbstabende dunkler werden, folgt „Watt‘n Hallas“, das nächste Festival , das uns bei der Stange hält, denn ansonsten gibt es ja kaum Lachenswertes im Leben, in der Politik, im Zoo oder zuhause auf der Couch.

Im Schauspielhaus gibt’s auch nicht viel zu lachen. Da wirft man mit Senf. Und die Oper ist nicht für laute Äußerungen aus dem Publikum gedacht. Das Lachen ist in Dortmund eine ernste Sache. Deshalb gibt es auch noch eine dritte Reihe, die uns durch den Winter führt: den „Geierabend“. Es wird also hier im Revier fast ganzjährig durchgegeiert.

In so einer Stadt will man doch wohnen und die Zahlen zeigen es. Es gibt Zuwanderung aus anderen Teilen der Republik, Menschen, die sich am Lachen beteiligen wollen. Aber es gibt auch Gelegenheit, das subtile Lächeln zu pflegen, wenn man durch die Stadt geht. Ich, zum Beispiel, habe auch meine Freude. Jedes Mal, wenn ich das Dortmunder „U“ betrete, kann ich ein Grinsen nicht verhindern, vor allem, wenn wieder so einiges geschlossen oder nicht betretbar ist.

Heute habe ich wieder lachen können, als ich sah, wie die gesamte Innenstadt zu einem Kirmesbetrieb umgestaltet wurde. Das ist doch komisch, wenn der traditonsreiche Fahrbetrieb „Raupe“ sich, zusammen mit dem Kettenkarussell und einem Gauklerwagen mit der Aufschrift „Charlatan“, in die Innenstadt schmiegt und gleichzeitig verschiedene Schlager zu hören sind, bevor der Weihnachtsmarkt die Schlagerbühne übernimmt.

Wenn ich Segelboote auf dem Phoenixsee sehe, muss ich auch lächeln. Allerdings gehöre ich nicht zu den Leuten, die bei Spielen des BVB den Gegner auslachen. Wer nun gar nichts findet, um die Griesgrämigkeit loszuwerden, der beschäftige sich mit kommunaler Bürokratie, wo immer er oder sie auch sein mag. Das ist die beste Quelle fürs Totlachen.




Mehr Wahnsinn – die Show „Plüfolie“ im Essener Varieté-Theater GOP

GOPLange waren wir nicht da – im Essener Varieté-Theater GOP. Nach dem Ende der Show fragten wir uns: warum eigentlich nicht? Seit 1996 gibt es den Essener Ableger des Hannoveraner Traditions-Varietés. Noch nie sind wir enttäuscht worden. So auch diesmal nicht. Das aktuelle Programm in Essen trägt den Titel „plüfolie“ und der Name ist Programm. Denn in der Tat machte der „Wahnsinn“ auf der Bühne Lust auf mehr.

„Plüfolie“ ist die Fortführung von „la folie“, einer der erfolgreichsten Produktionen, die GOP an seinen Spielorten in den letzten Jahren hatte. Verantwortlich dafür zeichnet der französische Créateur Anthony Venisse, gemeinsam mit seiner Schwester Amelie. Die Geschwister tragen mit Pantomime und Clownerie die Rahmenhandlung der Show und stimmen die Zuschauer so ohne viele Worte, aber ausgefeilt und verständlich auf die Darbietungen der mitwirkenden Akrobaten ein. Ihre Einlagen schwanken zwischen schräg abgedreht und klamaukig, fangen sich aber immer wieder, bevor sie ein zu albernes Niveau unterschreiten.

Die mitwirkenden Akrobaten sind allesamt großartig und wissen zu begeistern. Besonders angetan hatten es dem Publikum die vier Jungs vom Quatuor Stomp, die eine ganz erstaunliche Partner-Akrobatik turnten, bei der einem so manches Mal der Atem stockte. Auch zeigten sie eine sehr schnelle, temperamentvolle Jonglage, die eindrucksvolle Bilder erzeugte.

Ich war absolut hingerissen von der Artistin Anna Ward und ihrer Darbietung mit dem Cyr. Ein Cyr ist ein riesiges Rad, ähnlich einem Rhönrad, aber mit nur einem Reifen. Anna Ward tanzte mit, auf und in diesem Reifen und erzeugte so ganz besondere magische, sinnliche und elegische Momente. Eine Suchmaschine in diesem Internet hat mir verraten, dass es bereits im Cirque du Soleil eine umjubelte Nummer mit dem Cyr gab, aber ich kannte das bisher nicht. So ist das GOP in einer Welt, in der man meint, schon alles irgendwann mal gesehen und erlebt zu haben, doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Die GOPs gibt es nun seit etwas mehr als 20 Jahren. Im November 1992 wurde der traditionsreiche Georgspalast (daher das Kürzel GOP) in Hannover als Varieté-Theater wiedereröffnet. Vier Jahre später testete man in Essen aus, ob das in Hannover erfolgreiche Konzept übertragbar ist. Der Test verlief erfolgreich. Mittlerweile gibt es GOP an fünf Standorten, der sechste folgt im September in Bremen. Auch mitten in der Woche war die Show nahezu ausgebucht, das Konzept der Besitzer geht auf: Bezahlbare Preise, freundlicher Service, plüschiges, aber nicht angestaubtes Ambiente, alle zwei Monate eine neue Show, gelegentlich Comedy-Veranstaltungen und zuverlässig Varieté mit Anspruch.

Homepage der GOP-Theater : www.variete.de
„Plüfolie“ läuft noch bis Ende April, zum Trailer der Show führt dieser Link.




„Kultgarage“: Was Kabarett mit Brandschutz zu tun hat

Seit drei Jahren gibt es das ungewöhnliche Experiment der „Kultgarage“ in Ennepetal: Die örtliche Sparkasse lädt junge Nachwuchs-Kabarettisten in ihr Haus ein und lässt sie frei schalten und walten. Kultgarage heißt die Reihe, weil sie ursprünglich in der ausgeräumten Tiefgarage der Bank stattfand – bis die örtlichen Brandschutzmeister einschritten. Seitdem findet die Unterhaltung im Veranstaltungssaal der Sparkasse statt.

Thilo Seibel

Thilo Seibel

Fünf Abende sind für 2013 bereits gesichert. Die Kurzbeschreibung der Künstler stammt vom Veranstalter:

Stefan Waghubinger – 10. Mai 2013

Von Benjamin Blümchen im Schlafzimmer über die ultimative Lösung der Klimakatastrophe bis zur Nahtoderfahrung beim Zahnarzt – niemand scheitert schöner am Leben. Stefan Waghubinger jammert auf höchstem (Bildungs-)Niveau.

Thilo Seibel – 14. Juni 2013

Ein Polit-Handwerker greift durch: Egal ob Griechenland-Krise, Wasserschaden oder Krankenhausnotaufnahme wegen verhakter Intimpiercings beim Seitensprung – der Fachmann weiß: Das wird teuer!

Barbara Ruscher – 12. Juli 2013

Warum schweigt der Mann am Grill? Weil er sich schämt, dass er die Wurst nicht selbst gejagt hat? Warum werden zigtausend Legehennen notgeschlachtet, nur Ursula von der Leyen nicht? Panierfehler! Ein Fischstäbchen packt aus…

Mia Pittroff – 9. August 2013

Humor, trocken wie Heizungsluft, gute Beobachtungen und wunderbar groteske Bilder, das sind die Markenzeichen von Mia Pittroff. Ein Fan: „Wie der frühe Polt. Nur weiblich halt …und hübscher!“

Hans Gerzlich – 13. September 2013

Wenn Sie reich sind, werden Sie erfahren, woher Ihr Geld kommt. Wenn Sie nicht reich sind, werden Sie erfahren, warum Sie es auch nicht mehr werden. Alles hängt zusammen: Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt vorne Ihr Auge.

Immer freitags, Einlass immer 19:30 Uhr, Kultstart immer 20:00 Uhr In Ennepetal-Milspe, Sparkassen-Souterrain, Eingang Südstraße.

Karten unter Telefon(0 23 33) 97 93 00.

 

 




Derrick trifft Grönemeyer – Klamauk mit Niveau im Essener Theater Courage

Plakat des Essener Theater Courage, aufgenommen an der Theater eigenen Wall of Fame Wer kennt ihn nicht? Wen hat er nicht durch das halbe Leben begleitet? Oberinspektor Stephan Derrick und seinen Harry-hol-schon-mal-den-Wagen-Hi-Wi. Drängende Fragen blieben aber immer unbeantwortet. Kann Derrick singen und wenn ja, in wie vielen Tonlagen? Ist Harry wirklich so dumm oder ist das nur ein Teil unzähliger Maskeraden? Hat Derrick eine Frau oder ist er schwul? Mehr noch – sind „Steeeephan“ und Harry vielleicht sogar ein Paar?

Das Essener Theater Courage hatte ein Einsehen und hat sich der Beantwortung dieser drängenden, dräuenden Fragen angenommen. Gerade noch rechtzeitig, denn Derrick steht kurz vor der Pensionierung und sein letzter Fall fordert ihm alles ab. Bis nach Kölle muss er, seine bajuwarische Kompetenz ist dort gefragt. Der Veranstalter eines Doppelgänger-Contest zur Wahl der Super-Niete von Nippes wurde ermordet, justamente während ein Elvis-Double als Heulboje agierte.

Aus dieser Vorlage machen die Schauspieler Stephan Tillmans und Falk Hagen ein Singspiel für zwei Personen. Mit einfachen Mitteln bieten sie Klamauk auf hohem Niveau. Die meisten Pointen sitzen gut, andere hat man sich wohl eher vom Stammtisch mitgebracht. Dafür überzeugen die musikalischen und parodistischen Qualitäten zwischen Rammstein und „Kein bißchen Frieden“ durchgehend. Mit Gitarre, Xylophon und dem guten alten Pömpel unternehmen sie eine musikalische Zeitreise durch die Jahre, in denen der Fernseh-Derrick Freitagsabends eine feste Größe nicht nur in deutschen Wohnzimmern war. Spaß macht schon zu Beginn die Adaption des Fanta4-Klassikers „Sie ist weg“, mein persönliches Highlight war aber Falk Hagens Grönemeyer-Parodie. Hätte ich mir einen ganzen Abend lang angucken können.

Nicht nur die beiden Darsteller haben erkennbar Freude an dem, was sie da tun, auch das Publikum kann gut und gerne als begeistert bezeichnet werden. Dabei zeigen Tillmanns und Hagen auch durchaus Talent für schnelle Improvisation. Wenn im engen Kellertheater einer hustet, versteht der Rest halt nichts mehr und eine Wiederholung wird geschickt eingebaut. Und wenn im Vorraum die Theaterkatze kläglich maunzt, können die Darsteller sich eben nicht konzentrieren und bauen eine kleine Katzen-Verscheuchung-Nummer mal eben so geschickt in ihr Programm ein, dass es Szenenapplaus gibt.

Ich war nach längerer Zeit wieder im kleinen Essener Theater Courage und habe mich gefreut, dass dieses sich so wacker hält und gut angenommen wird. „Harry, hol schon mal den Wagen“ wird zwar wohl erst im nächsten Jahr wieder auf dem Spielplan stehen, aber die Essener bieten eine bunte Palette von Eigen-Inszenierungen an.

Homepage des Theaters: Theatercourage.de




Albus und Debus lassen nicht locker: Das Ruhrgebiet muss endlich Hauptstadt werden !

Ein einflussreiches US-Magazin schmäht Berlin – und schon wird dort im vorauseilenden Gehorsam fieberhaft überlegt, ob man nicht eine neue Hauptstadt braucht. Zur Auswahl stehen München, Hamburg, Köln – und das Ruhrgebiet. Hossa!

Auf geht’s. Kanzlerin Merkel beauftragt den Berliner Sozialwissenschaftler John Fettersen mit der heiklen Angelegenheit. Dessen Gewährsfrau fürs Revier ist die zungenfertige (vulgo: geschwätzige) Mia Mittelkötter, mit je einem Bein im Sauerland und in Dortmund daheim. Fettersen muss die Dame brieflich intensiv nach etwaigen Vorzügen des Ruhrgebiets befragen.

Daraus entspinnt sich – wenn auch anders als jüngst bei Martin Walser („Das dreizehnte Kapitel“) – das Hin und Her eines Briefromans. Der heißt wortspielneckisch „In der Ruhr liegt die Kraft“ und ist eine gemeinsame Schöpfung der Kabarettistin Lioba Albus und des Journalisten Lutz Debus. Beide streuen auch ein paar autobiographisch inspirierte Prisen ins Geschehen ein.

Im Lauf der brieflichen Erörterungen werden jedenfalls Liebesbande geknüpft. Einmal entflammt, geht die mit einem Ex-Kartenkontrolleur frustig verheiratete Mia verbal dermaßen ran, dass selbst der erotisch heftig verklemmte Fettersen mählich auftaut. Ob sie sich wohl kriegen? Wir verraten nix. Allerdings wird der verkorkste Fettersen für seine Verhältnisse ziemlich gesprächig und flüstert Mia was von Jugendschwänken, beispielsweise mit Theodora und der Hure „Luna“, die er seinerzeit in Dortmund rund um Mallinckrodtstraße und Fredenbaumpark – nun ja. Je nun. War da was?

Ob das Ruhrgebiet wenigstens hier echte Chancen hat, neue deutsche Hauptstadt zu werden? Wenn’s nach Mia ginge, dann unbedingt. Hier, wo die Gefühle nur auf angenehmer Sparflamme köcheln („Ein Ruhri, der freut sich mehr so nach innen“), sind ohnehin alle Nationen beisammen, eine Mauer könnte man auch errichten, etwa rund um das Elendsmuseum Gelsenkirchen. Die regional ansässigen Bordellbetriebe bieten genug Entspannung für abgeordnete Biederleute aus CSU und anderen Fraktionen, die fern der Heimat kräftig was erleben wollen. Vom mitunter exquisiten Fußball und anderen dicken Pluspunkten gar nicht erst zu reden.

Kurzum: Warum sollte ein US-Präsident nicht eines Tages vor aller Welt ausrufen „Ich bin ein Dortmunder!“

Klingt unterhaltsam, nicht wahr? Ja. Da sind etliche Ansätze vorhanden. Auch gibt’s einige hübsche Portionen Lokalkolorit.

Aber: Auf einer nicht gerade geschickt layouteten 140-Seiten-Strecke, die einen schlankeren Satzspiegel verdient hätte, wirkt die eine oder andere Ausführung denn doch ein wenig umständlich.

Nicht alle Ideen und Gags sind vollends zur Güte gereift; zuweilen wird beherzt der nächstliegende Lachstoff versprüht, statt mehr aus dem Hinterhalt zu agieren.

Sieht ganz so aus, als hätte dieses allererste Buch im neuen Dortmunder FönNixe Verlag (Inhaber: just Albus und Debus) partout vor der Buchmesse fertig sein sollen. Hat ja auch geklappt. Ein gewisses regionales Interesse (wohl mit baldigem Verfallsdatum) dürfte dem Buch beschieden sein.

Nun gut. Die Geschichte, die gegen Schluss geheimdienstlich gefährlich zu werden droht, kulminiert (wo sonst?) im Dortmunder Stadion beim Match gegen Bayern München. Auch das erfreuliche Resultat auf dem Platz wird hier nicht verraten.

Lioba Albus/Lutz Debus: „In der Ruhr liegt die Kraft“. FönNixe Buchverlag, Dortmund. 140 Seiten. 11 Euro.

P.S.: Der Transparenz wegen sei’s gesagt, dass ich mit beiden Buchautoren via Facebook befreundet bin. Aber wie lange noch?




Zum Tod von Dirk Bach: Nun sind viele Bühnen ärmer

Sein adipöses Äußeres – 110 Kilogramm auf 168 Zentimeter Körperhöhe verteilt – nährte schon lange die Befürchtung, dass es um die Gesundheit des Dirk Bach ergänzungsbedürftig bestellt sein muss. Im Laufe der Jahre mehrte sich die Zahl seiner Doppelkinne bedenklich, hätte er eine Halskette getragen, wäre ein Lesezeichen praktisch gewesen, um diese wiederzufinden. Er nahm fröhlich jede sich anbahnende Anspielung auf sein umspannendes Gewicht vorweg („Ich bin dick im Geschäft“) und verkörperte im wahren Wortsinne die verschmitzt hintersinnige gute Laune eines wahrhaft knuddeligen Typen. Dirk Bach starb mit nur 51 Jahren, sein Tod macht die Gilde der deutschen Komiker ärmer und nimmt der Schauspielerei einen außergewöhnlichen Künstler.

Dirk Bach begann seinen Berufsweg, den er leidenschaftlich angriff, 1980 mit einer Rolle im „Prometheus“ von Heiner Müller, die er in verklärender Erinnerung als „erhaben“ gefühlt hat. Klar, und das war Dirk Bach, er musste unter anderem auf einem zwei Meter hohen Stahlstuhl sitzen. Er, der nie Schauspielerei an Instituten gelernt hatte, spielte in London, Amsterdam, Brüssel und sogar in New York. Dirk Bach nahm den Max Ophüls-Preis entgegen und wurde 1992 festes Ensemble-Mitglied am Kölner Schauspielhaus. Er sprach Kafka ebenso grandios wie „Urmel aus dem Eis“ und konnte mit seiner „Dirk Bach-Show“ selbst Gottschalks Late-Night-Quoten übertreffen. Er genoss die ungeteilte Förderung durch Alfred Biolek, wurde von Franz Xaver Kroetz als Darsteller gewünscht und für den bereits zitierten „Prometheus“ hatte ihn Hansgünther Heyme erkoren.

Was indes in Erinnerung bleibt, sozusagen der assoziative Schnellschuss zur Namensnennung, das ist die künstliche Hochebene über dem australischen Dschungel, auf der das grellbunte Würfelchen (assistiert von Sonja Zietlow) kongenial aufgeschriebene Läster-Dialoge über C-Promis mit dahinscheidendem Ruhm kübelt und liebenswert-hämisch den finalen Rettungsruf „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ skandiert. Nur diese beiden und ihre teils ätzenden Gespräche über die Schar würdearmer Selbstdarsteller/innen im grünen Basement machte die merkwürdige Show so attraktiv. Vermutlich wird sie nun „dermaßen an Bach“ verloren haben, dass sie als wahres TV-Leichtgewicht verkümmern dürfte.

Seine privaten Engagements bei „Amnesty international“, im Tierschutz oder sein hartnäckiges Ringen um die gleichberechtigte Anerkennung homosexueller Paare gehören ebenso zu dieser kleinen, aber wesentlich (ge)wichtigeren Person als gemeinhin angenommen wird. Dirk Bach – daheim im Millowitsch-Theater ebenso wie im Dschungelcamp – hat alle seine Bühnen zu früh verlassen. Und er war auf jeder (wie es das Fachorgan „Die Deutsche Bühne“ schrieb) „mit sich selbst identisch“.

Heute morgen schlug ein WDR5-Hörer vor, Dirk Bach möge posthum mit dem diesjährigen Fernsehpreis geehrt werden, dessen Gala heute Abend stattfindet. Ich schließe mich diesem Hörerwunsch an.




„Hütchen sind immens wichtig“ – Frank Goosen auf Lesereise

„Schnell rein, schnell raus. Keine Gefangenen.“ Dieser Plan ist schon bei Stefan, der Hauptfigur in Frank Goosens neuem Roman „Sommerfest“ nicht aufgegangen. Natürlich kommt auch der Erfinder des „Woanders-iss-auch-Scheiße-Koffergurts“ bei seiner Lesereise (z. B. jetzt im Ebertbad Oberhausen) nicht nur einfach schnell rein und schon gar nicht schnell wieder raus.

Will er wohl auch gar nicht. Goosen ist ja nicht nur Schriftsteller, sondern auch gelernter Kabarrettist. Die Erfahrungen aus den Lehrjahren mit den „Tresenlesern“ kommen ihm heute zugute.

Einen klug ausgewählten Querschnitt aus dem neuen Buch trägt er vor. Das Publikum bekommt einen guten Einblick, bleibt aber dennoch neugierig auf das große Ganze. Seine Romanfiguren, „die bedrohte, schützenswerte Sprache des Ruhrgebiets“ und „die Storys, die nur so auf der Straße liegen„, er erweckt sie gekonnt zum Leben. „Vorgelesen gewinnt das Buch enorm. Von mir aus kann er mir das jetzt auch ruhig ganz von Anfang bis Ende vorlesen, auch wenn ich es schon kenne“ – so eine begeisterte Dame im Publikum. Wie sich überhaupt das ganze Publikum dankbar mitnehmen lässt auf den teils nostalgischen, teils witzigen Road Trip durch ein Wochenende im  Ruhrgebiet. „Kennwa doch allet, ham wa genauso schon imma gesacht und gehört. Gut, datt datt ma einer aufschreiben tut.“ Da ist Frank Goosen ganz der Toto Starek aus dem Roman. Am besten ist Goosen aber immer dann, wenn er das starre Korsett des reinen Vorlesens verlässt und hintergründige Dönekes zur Entstehungsgeschichte des Buches erzählt.

Dennoch – das Ganze war „ja schließlich eine literarische Veranstaltung„. Wie es sich gehört bei so einer literarischen Veranstaltung, durften im Anschluss gerne Fragen zum Werk und zum Schaffen des Autors gestellt werden. Aber Goosen wäre nicht Goosen, das Ruhrgebiet nicht das Ruhrgebiet, wenn dieser gute Vorsatz auch nur die erste Frage überdauert hätte. Gibt ja schließlich auch noch andere Nebensachen, die das Leben des Frank Goosen und vieler Ruhrgebietler schön machen. Fußball zum Beispiel. Da sind sie alle sofort in ihrem Element. Auch wenn Goosen nicht unbedingt von unten in Richtung Champions League sticheln und sich nicht lange bei dem königsblauen Verein aufhalten will, der mehr Schulden hat als die Stadt Oberhausen… Da verläßt man auch mal kurz die kabarettistische Ebene und bekundet Solidarität mit Rot-Weiß-Oberhausen, die man auch jenseits des Gasometers gerne nicht viertklassig sehen möchte.

Ziemlich witzig wird es dann aber wieder, wenn Goosen von seinen ersten Erfahrungen als Trainer einer ambitionierten E-Jugend bei Arminia Bochum erzählt. Da erkennt sich mehr als eine Mutter oder Vater im Saal einwandfrei wieder. Der fußballverrückte Goosen erzählt, wie sehr geehrt er sich bei der Übergabe des Schlüssels zum Fußballplatz gefühlt hat und welch Aphrodisiakum dieser Schlüssel für ihn ist. Und dass er nun endlich seine Hütchen-Philosophie ungehindert ausleben kann. Hütchen sind nämlich immens wichtig beim Training, völlig zu Unrecht unterschätzt. Schön, dass dies nun auch geklärt wäre.

Man muss Frank Goosen das wirklich lassen. Erzählen kann er, frei von der Leber weg, schlagfertig und spontan. Da hält er es mit seiner Omma, „von der er datt Erzählen gelernt hat„. Wenn er dieser mit der Frage kam, ob das alles wirklich genauso passiert ist, hat sie wiederum ihn immer gefragt: „Und? Hasse Dich gelangeweilt?“ Nee, ma echt. Gelangweilt ham wa uns nicht. Goosen wächst immer mehr in die Rolle des Chronisten, des Geschichtenbewahrers des Ruhrgebiets hinein. Einige Termine stehen noch an. Karten sind allerdings schwer zu kriegen. Aber es lohnt sich.

Die nächsten Termine auf der Homepage des Autors.
Rezension des Buches in den Revierpassagen.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Goosens Management, der connACT Gmbh, Köln.




Wer erweckt dieses frühere Kino zum Leben?

Blick durch die geschlossene Glastür: Foyer des früheren Film-Casinos in Dortmund. (Foto: Bernd Berke)

Blick durch die geschlossene Glastür: Foyer des früheren Film-Casinos in Dortmund. (Foto: Bernd Berke)

Ich muss gestehen: Ich bin überrascht. Heute habe ich bei Facebook das auch hier beigegebene Foto eingestellt und folgende Zeilen daneben gesetzt:

„Eine Schande, dass dieses Dortmunder Innenstadt-Kino seit Jahren geschlossen ist und vor sich hingammelt. Es ließe sich was draus machen. Dann müssten ‚nur noch’ ein paar Leute kommen und Filme gucken.“

Mit der Vielzahl qualifizierter Wortmeldungen und „Gefällt mir“-Markierungen, die diese knappe Äußerung hervorgerufen hat, hätte ich nicht gerechnet.

Bei dem früher ausgesprochen schmucken Kino handelt es sich ums einstige Dortmunder Film-Casino (Passage am Ostenhellweg, gegenüber von C & A), das 1956 den Spielbetrieb aufgenommen hat und bereits seit dem Jahr 2000 leersteht. Letzter Betreiber war Hans-Joachim Flebbe.

Wenn man durch die Glastür schaut, ahnt man noch heute, welch ein Kleinod hier verloren gegangen ist.

Jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, frage ich mich, wie dieser Ort wohl wieder zum (kulturellen) Leben erweckt werden könnte. Ich denke, dass man hier (für einen winzigen Bruchteil der Kosten des „Dortmunder U“) beispielsweise eine prächtige Stätte etwa für so genannte „Kleinkunst“ und musikalische Darbietungen hätte schaffen können. Allerlei kulturelle Mischformen wären möglich gewesen, die diese Stadt gewiss bereichert hätten. Theater, Literaturhaus, Café. Der kombinatorischen Phantasie wären zunächst einmal keine Grenzen gesetzt. Nur als reines Kino dürfte man die Immobilie wohl nicht mehr betreiben, denn Dortmund ist alles andere als eine Cineasten-Stadt und hat mit Roxy, Camera sowie Schauburg Lichtspielhäuser, die den örtlichen Bedarf decken.

Manche Reaktionen aufs heutige Facebook-Posting haben gezeigt, dass dennoch auch einige andere Leute von einer neuen Nutzung träumen. Einer rief gar spontan aus: „Also, wer traut sich???“ Mit anderen Worten: Wer nimmt das Herz und das Geld in die Hand, um hier etwas zu bewirken?

Was das Herz angeht, scheint es etliche Leute zu geben, die dazu bereit wären. Eine Legende der Dortmunder Szene gibt gar zu Protokoll, er habe schon kurz nach der Kino-Schließung versucht, hier mit tragfähigem Konzept einzusteigen – leider vergebens.

Inzwischen, so andere Stimmen, wäre es schon baurechtlich (Brandschutz etc.) nahezu unmöglich, hier wieder eine „Versammlungsstätte“ zu gründen, mit welchem Konzept auch immer. Die Pacht, so heißt es weiter, sei dem Vernehmen nach exorbitant hoch angesetzt und schrecke etwaige Interessenten ab. Auch ist von einer offenbar hartleibigen Eigentümerin die Rede, die nicht mit sich reden lassen wolle. Wer könnte das Eis brechen? Oder sind schon alle Chancen vertan?

Zu vermuten steht, dass das ehemalige Kino seit zwölf Jahren (außer Verdruss) gar nichts mehr einbringt und somit totes Kapital darstellt. Ein absurder Zustand.




Schwerte: Langjähriger Kulturamtsleiter Herbert Hermes geht (nicht so ganz)

Zäsur fürs Kulturleben der Stadt Schwerte: Ende Januar hört der langjährige Kulturamtsleiter Herbert Hermes auf. Gestern wurde er im Kreise von Freunden und Wegbegleitern in der Schwerter Rohrmeisterei standesgemäß verabschiedet. Bis zuletzt hatte Hermes nichts von dieser Festivität geahnt. Schwerter können schweigen…

Fast 30 Jahre lang hat Hermes in Schwerte gewirkt – und dabei so wichtige Reihen wie die Schwerter Kleinkunstwochen oder das Welttheater der Straße begründet und kontinuierlich weiter entwickelt, bis sie überregionale Bedeutung erlangt hatten. Angesichts der nicht immer Vertrauen erweckenden Schwerter Lokalpolitik bleibt zu hoffen (und zu erstreiten), dass derlei Schöpfungen weitgehend erhalten bleiben und dass seiner Nachfolgerin Heike Pohl nicht allzu große Steine in den Weg gelegt werden.

Eine Überraschung für den scheidenden Kulturamtsleiter: Der Stelzenvogel schickt Herbert Hermes mit Konfetti in den Unruhestand. (unscharfes Foto: Bernd Berke)

Eine Überraschung für den scheidenden Kulturamtsleiter: Der Stelzenvogel schickt Herbert Hermes mit Konfetti in den Unruhestand. (unscharfes Foto: Bernd Berke)

Zu Hermes‘ Abschied gab es ein achtbares Kulturprogramm mit Auftritten von Fred Ape, den „Bullemännern“ und anderen.

Herbert Hermes will auf seine reiferen Tage noch ein Studium der Kunstgeschichte in Angriff nehmen und fürderhin ehrenamtlich Kulturarbeit leisten. Möge er damit nicht einfach das Stadtsäckel entlasten, sondern zusätzliche Kräfte entfalten helfen.

Von der Leinwand abgeknipst, als ein kurzer Film über Hermes lief.

Von der Leinwand abgeknipst, als ein kurzer Film über Hermes lief.




Theater Dortmund: Schräge Helden in der SpielBar

„Helden meiner Jugend“ – das klingt nach Leidenschaft, Liebe und ein wenig Nostalgie. Ein wenig von all dem, vor allem aber viel Charme hielt am Freitag die SpielBar im Institut (Theaterbar) des Schauspiels bereit, die Ensemblemitglied Sebastian Graf organisiert hat.

Einen musikalischen Auflauf hatte Sebastian Graf im Vorfeld angekündigt – und diesem Ruf waren viele erlegen: Das kleine, gemütlich hergerichtete Institut platzte aus allen Nähten, bevor der Schauspieler und seine zahlreichen Gäste auch nur den ersten Ton gespielt hatten. Mit dem ziemlich launigen „Ne Frau, die sich mich leisten kann“ und den ersten Zeilen „Ich bin ein fauler Knabe, daraus mach ich keinen Hehl und Faulheit kostet nun mal ihren Preis“ gab Sebastian Graf den Ton des Abends vor: lässig, ein wenig schnoddrig, sehr authentisch. Knüpfte der Start mit einigen „Joint Venture“-Liedern noch an den ersten Teil des „Helden meiner Jugend“-Abends an, sorgte Ensemblemitglied Uwe Schmieder anschließend für eine Zäsur: Im hautengen, schwarzen Kostüm mit Bürste auf dem Kopf drosch er auf ein Bierfass ein und brüllte, dass manchem Zuschauer fast das Trommelfell zerplatzte.

Danach war der Weg frei für die überzeugende Combo aus Paul Wallfisch am Klavier, Uwe Muschinski am Schlagzeug (ein Techniker des Schauspiels) und Gast David Schlax aus Köln an der Gitarre und mit beeindruckendem Gesang, die gemeinsam mit Sebastian Graf Liedern wie „Whisky in the Jar“ oder „Rebel Yell“ ihre eigene Interpretation aufdrückten. Für großes Amüsement sorgte Christoph Jödes Massenmörder-Version von „Umbrella“, während Bettina Lieder mit „Valerie“ berührte. Die größte Überraschung war aber sicherlich Maik Fuhrmann, der eigentlich als Techniker am Schauspiel arbeitet – diesmal aber mit Ukulele und vor allem klarer, schöner Stimme für Gänsehaut sorgte. Chaos und Improvisation taten ihr Übriges für einen schräg-charmanten Abend.

Die neue Theaterreihe SpielBar wird im Februar fortgesetzt.

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form in der Westfälischen Rundschau erschienen.




Treffsicher: Valentin-Preis an Helge Schneider

Wenn jemand einen Preis dieses Namens verdient, dann er: Helge Schneider. Er wird im Januar mit dem „Großen Karl-Valentin-Preis“ ausgezeichnet, darf sich der höchst treffsicheren Worte des Laudatoren Alexander Kluge ausgesetzt sehen und wird vermutlich mit Karl Valentin insgeheim einer Meinung sein: „Der nimmt das viel zu ernst!“ Gemeint ist mutmaßlicherweise der Kluge, dessen Name ihm als zu programmatisch erscheinen dürfte.

Eine von vielen: Helge Schneiders CD "I brake together" (2007, Century Media EMI)

Eine von vielen: Helge Schneiders CD "I brake together" (2007, Century Media EMI)

Er ist Helge Schneider aus Mülheim an der Ruhr, ein überzeugter Anarchist, ein Jongleur mit Wörtern, deren Sinn manche niemals, viele erst später und wenige sofort und gern durchschauen. Er ist Helge Schneider, einzig wahrer Bruder in der Gesinnung des großen Karl Valentin, der enormen Wert darauf legte, mit scharfem „V“ prononciert zu werden, schließlich sage man zu seinem Vater auch nicht „Water“. Er ist Helge Schneider, dessen Kunst es immer war, sein für jedermensch sofort verständliches „Können“ nur dann zu zeigen, wenn er wen völlig überraschend aus der Fassung bringen wollte; der Helge Schneider, dessen skurrile Satzgebilde gern mal Ratlose unter irgendeiner Kuppel zurückließen.

Ich bin so was von gespannt auf Helges Kommentar zu der ganzen Ehrerei. Indes, mein Kompliment an diejenigen, die erst seit 2007 diesen Preis an werthaltige deutsche Komik vergeben: Sie zeichnen den „Valentin“ unserer Zeit aus und haben den ultimativ Richtigen mit einer Ehrung getroffen, die den Vorzug hat, aus eben nichts zu bestehen.




Otto ist jetzt die Otto-Waalkes-Coverband

Gitarre her, Finger fliegen, Ulkgesicht, Gag, Gag, Stimme hoch, runter, Zack, Pfiff, Schnalz, Gag, Gag, Gitarre in die Ecke rumpeln und weiter geht’s.

Das war Otto damals – in den 70ern. Es wird Nacht, Señorita, klonk-zisch-kuckuck-pfeif, und ich habe kein Quartier…

Solche Dinge Lacher halt. Rasant, anarchisch, chaotisch. Unerreicht.

 

Die alten Stücke – nur langsamer

Otto 2011 ist anders. Otto 2011 ist: Hollerahitti, schaut mal, wen das kleine Ottili euch mitgebracht hat. Louis Flambé, Harry Hirsch, die Ottifanten und Robin Hood, der Rächer der Enterbten. Puh, war das anstrengend – erst mal ’ne Pause!

Otto Waalkes ist gewissermaßen eine Otto-Waalkes-Coverband geworden. Er spielt die alten Stücke nur an, selten zu Ende, viel langsamer als damals, dafür mit mehr Pausen und viel mehr Publikums-Beteiligung.

Hallo Dooortmund. – Hallo Oootto.

 

Das Publikum singt selbst

Dreist wird es, als sich Otto die Gitarre schnappt, rhythmisch anschlägt und singt: „Weine nicht, wenn der Regen fällt.“ Der Saal antwortet mit „Dam dam“, mit dem ganzen Rest von „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Waalkes treibt das Spiel weiter. „Er gehört zu mir“, „Wahnsinn“, „Das geht ab“, „Ein Stern“ – Otto spielt Gitarre, das Publikum singt minutenlang. Jede Coverband würde sich freuen, so leicht ihr Geld zu verdienen.

Dann hätte ja eigentlich er Eintritt bezahlen müssen, witzelt Otto. Der Saal lacht. Zwei Stunden später denkt manch ein Zuschauer sicherlich: Stimmt, Otto, das hättest du tatsächlich.

 

Imitieren, improvisieren, grimassieren

Otto kann immer noch schnellsprechen, imitieren, grimassieren, die Stimmlage nach Belieben wechseln. Wenn etwas schiefgeht, improvisiert er gekonnt. Er platziert neue Gags punktgenau. Das Handwerkszeug beherrscht er.

Waalkes (63) geht auf Nummer sicher. Mario Barth, Lady Gaga, Satellite-Lena und Unheilig sind bekannt genug, dass er ihnen Platz im Programm gibt. Ansonsten tun’s halt wieder Peter Maffay, Reinhard Mey, Udo Lindenberg.

 

Hingehen? Höchstens deshalb

Also hingehen? Waalkes wählen? Otto onschauen? Höchstens aus zwei Gründen:

  1. die gelungene Zeichensprachen-Nummer. „Schwerte“, „Obercastrop“, „Langendreer“, „Lütgendortmund“ und „Hombruch“ werden anzüglich und mit zwei Fahnen dargestellt.  Wer seinen Ort mal so sehen will – ab an die Restkarten.
  2. Ottos Status. Waalkes Superstar. Er ist nun einmal der Comedy-Urahn in Deutschland. Wer denkt „den muss man doch irgendwann mal live gesehen haben“, der sollte ihn mal live sehen gehen.

 

Allen anderen: www.youtube.com

Oder – noch besser: „Live im Audimax“, am allerbesten aus der alten Plattensammlung.




Abschied von Loriot

Es darf doch nicht wahr sein. Es soll doch bitte nicht stimmen!

Die Nachricht vom Tode Loriots macht sehr, sehr traurig. Doch sie macht die meisten nicht sprachlos. Denn nun lassen alle die Loriot-Sprüche oder sonstigen Werkpartikel vom Stapel, die ihnen ans Herz oder gleichsam ans Zwerchfell gewachsen sind. Auch das Netz vibriert heute vor lauter Hoppenstedt, Müller-Lüdenscheidt, Die Ente bleibt draußen, Heinzelmann und allem anderen. Wie wohltuend und entlastend, wenn man die Trauer ins kollektive Lachen kleiden kann – oder wenigstens in eine wehmütige Erinnerung an einstigen Frohsinn. Möge man ihn nur nicht irgendwann auf den „Hausschatz des goldenen Humors“ reduzieren. Er steht für ganz andere Dimensionen.

Das weithin presseübliche Verfahren, einen alten Artikel (etwa zum 80. oder 85. Geburtstag) „wiederzubeleben“, indem man ihn beinahe wortgleich wiederholt, um Geschehnisse der letzten Jahre sowie ein paar Trauerformeln ergänzt (und an den richtigen Stellen in die Vergangenheitsform setzt), das alles wollen wir uns hier ersparen.

Wir setzen nur noch schnell einen Link.

Dann sind wir endlich still und blättern abends leise in seinen wundervollen Büchern.




Horst Evers: Notizen aus dem skurrilen Alltag

Für Eile fehlt mir die Zeit Wenn sie ihm auch für Eile fehlt, für eine neue Buchveröffentlichung hat Kabarettist Horst Evers die Zeit gefunden. Wie in den fünf vorangegangenen Büchern ist auch dieses eine Sammlung von Alltagsgeschichten – von skurril bis surreal.

Evers, der den Namen seiner Geburtsstadt Evershorst (Niedersachsen) als Pseudonym benutzt, ist leidgeprüfter Wahlberliner und findet nicht nur, aber bevorzugt dort die Sujets seiner mit Lokalkolorit gewürzten Geschichten. „Wir nehmen allen Berlinern die Hunde weg und geben ihnen dafür 4 Eier. Dann lägen auf den Bürgersteigen Eier und wir hätten das ganze Jahr Ostern“. Spätestens seit dem „Ganzkörperadventskalender“ und Auftritten beim „Satiregipfel“ in der ARD ist er auch über die Grenzen seiner Wahlheimat hinaus bekannt.

Die Erzählungen sind unterteilt in die Abschnitte Frühling, Sommer, Herbst, Winter und zweiter Frühling. In ihnen beschreibt Evers Alltagssituationen mit hohem Wiedererkennungswert – vom heimischen Innenhof bis zur Fahrt mit der deutschen Bahn. So wie die Geschichte vom Vater, der verzweifelt versucht, zur Vervollständigung der Hausaufgaben seiner Tochter ein Säugetier mit U zu (er)finden. Wobei der Leser die Situationen zwar oft wiedererkennt, aber mit einem insgeheimen Seufzer der Erleichterung denken mag „Gut, dass wir soweit noch nicht sind.“ Um mit dem nächsten Seufzer zu zweifeln „Könnte aber jederzeit so weit kommen“. Manch überzeichenete Alltagssituation ist eben nur einen Schritt von der Real-Satire entfernt.

Horst Evers zeichnet seine Figuren und Geschichten wohl mit spitzer Feder und zumeist feiner Ironie, doch ein Meister der gehobenen Bösartigkeit ist er nicht und möchte das wohl auch nicht sein. Zielsicher legt er den Finger in die Wunden, aber er dreht ihn nicht auch noch um. Sich selber und seine zuweilen eigenwilligen Erziehungs- und Lebensbewältigungsmethoden verschont er dabei nicht. Nicht immer gelingt ihm dieser sprachliche Balanceakt. Kalauer wie „hätte,hätte, Herrentoilette“ sind der Lesbarkeit nicht unbedingt dienlich. Evers beginnt seine Geschichten witzig, um im Laufe des Erzählflusses vom „Höcksen auf Stöcksken“ zu kommen. Das ist zwar recht unterhaltsam, führt aber dazu, dass sich die Kreise seiner Geschichten nicht immer rund schließen und manchmal auch ins Klamaukige abdriften. Gut hingegen gelingt ihm der Kunstgriff, Figuren wie „Jack Bauer“ oder „Captain Kirk“ in seine Geschichten einzubauen und zu zeigen, wie diese die Situationen gelöst hätten.

Informiert man sich im Internet über Evers, sei es auf seiner Homepage oder in diversen Videoaufzeichnungen seiner Auftritte, verdichtet sich der Eindruck: Das Buch alleine funktioniert nur bedingt. Als Gesamtkunstwerk – mit den Hintergrunderläuterungen auf seiner Website oder gehört und vorgetragen – wirken die Geschichten erst richtig.

Im Internet wird  Horst Evers im Übrigen schon lange heimlicher und unerkannt gefeiert. Obwohl ich vor der Lektüre weder Leseproben noch Videos zu den Geschichten gesehen hatte, kam mir doch etliches sehr bekannt vor. Wohl aus dem Kurznachrichtendienst meines Vertrauens, wo der ein oder andere Spaßvogel sich griffiger Evers-Sätze bedient und diese ins „Twittuniversum“ zwitschert. Verständlich. So manche seiner Sätze und aufgeworfener Fragen wie „Was könnte man nicht alles machen, wenn man sich mal die Mühe machen würde“ oder mein Favorit: „Solche Orte gibt es ja, wo ein Gespräch über Tanztheater einfach nicht richtig in Gang kommt“ funktionieren in der Tat einzeln signifikant besser als im Kontext. Die alte Formel „Nachahmung ist eine hohe Form der Anerkennung“ gilt wohl auch für Horst Evers.

Horst Evers: „Für Eile fehlt mir die Zeit“. Rowohlt Verlag, Berlin. 222 Seiten, 14,95 Euro

Homepage des Autors:  www.horst-evers.de




Im Kino: Udo ist eben doch nicht Kurt Krömer

Mal wieder ins Kino gegangen, weil im WDR ein Interview mit Kurt Krömer über seine Rolle als „Udo“ zu sehen und zu hören war. Hat es sich gelohnt?

Natürlich ist Kurt Krömer im Detail immer ein Hinsehen wert. Im Film „Eine Insel namens Udo“ spielt Krömer aber gar nicht seine Rolle als Kurt Krömer, sondern einen eher schüchternen, etwas zerbechlichen Mann, ohne Krömers markante Brille. Er ist der Kaufhausdetektiv Udo, der von allen übersehen wird – „schwersichtbar“ eben – bis die Managerin Jasmin kommt und ihn wahrnimmt, samt Flecken im Hemd und seiner schrulligen Art. Sie ist auf ihre Weise eben selbst ein wenig kauzig, und so endet diese Komödie dann auch etwas naiv romantisch.

Gelohnt hat sich der Kinobesuch wegen der teils witzigen Dialoge und der schrägen Bilder. Auch die Grundidee, dass Udo unsichtbar sein kann und nur von seinen engen Freunden und eben von Jasmin gesehen wird, hat einen gewissen Reiz. Allerdings habe ich mich in der Mitte auch ein wenig gelangweilt, denn die Geschichte wird doch sehr in die Breite gewalzt. Übrigens waren wir im Kino auch fast allein – „Bad Teacher“ zieht doch mehr Leute an.

Im Abspann konnte man lesen, dass ARTE und der WDR die Mitfinanzierer waren. Also aufgepasst: Demnächst auf Ihrem Bildschirm „Eine Insel namens Udo“. Wahrscheinlich um Mitternacht.




Der verzerrte Spiegel

Ich konnte es noch nie leiden, wenn zum Kabarett Sekt gereicht wird und dies ohne Ironie. Aber offenbar wird dies weiterhin an die kommenden Generationen weitergereicht. Man braucht eine Ausstellung, einige Redner und Sekt. Manchmal trägt noch ein Künstler was vor, vorzugsweise Musik. Ein Ritual. Wenn es dann noch kleine Schnittchen gibt, stimmt alles. Im Ruhrgebiet werden zahlreiche Ausstellungen und all das eröffnet, was eine Eröffnung braucht – wie anderswo in der Republik auch. In Polen gab es allerdings warmen Weißwein und Wodka, in der Slowakei süßen Likör und in Tallinn Orangensaft mit Keks. Aber ich schweife ab.

Vor dem Dortmunder „U“ steht wieder das Spiegelzelt, das beim Festival RuhrHOCHdeutsch fast alles im Programm hat, worüber in Deutschland gelacht wird. Vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen über die Bullemänner, Frank Goosen und Dr. Stratmann, bis hin zur legendären Münchener Lach- und Schießgesellschaft, die ich als junger Mensch damals immer im Fernsehen verfolgen konnte. Schon damals war klar, dass Kabarett nur wirkt, wenn es etabliert ist, wenn unten im Publikum die sitzen, die auf der Bühne kritisiert oder veräppelt werden. Daran hat sich nichts geändert, ob lokal oder national. Dass heute Comedian und Kabarettist in einen Raum gesteckt werden, ist der Vielfalt geschuldet, die überall politisch korrekt ist. Und über die tatsächliche Haltung der Vortragenden kann sich der Zuschauer live ein Bild machen, wenn er dem Zuhören zuneigt.

Gleichzeitig mit der Eröffnung des atmosphärischen Spiegelzeltes wird eine Ausstellung eröffnet: 110 Jahre Kabarett. Gezeigt werden allerdings nur Tafeln aus dem Besitz des Kabarett-Archivs in Mainz aus dem Zeitraum 20er bis 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, aus einer Zeit also, wo sich das Kabarett von Tingeltangel bis zum lebensbedrohlichen Bühnenvortrag ausbreitete. Das politische Kabarett war ein Ort des Widerstandes, der subtilen Wahrheitsvermittlung. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei – zumindest hier in Alemannia. Heute ist das Lachen kein befreiendes, sondern eher ein Mittel zur Gesundheitsförderung. Also schauen wir die Exponate an und warten auf Fröhlichkeit.

Die Betrachter halten ihr Sektglas zwischen den Fingern, auf der Bühne wird die Schönheit der Stadt Dortmund beschworen, der Veranstalter entpackt ein bei Ebay ersteigertes altes Kofferradio, was die Versammelten mit einem gemeinsamen „Oh“ quittieren. Und später wird mit dem Abendprogramm gewartet, bis die Ratssitzung zu Ende ist, damit die heimische Politik an der gemeinsamen Fröhlichkeit teilnehmen kann. Die Gags brauchen zur Bestätigung von Wirkung öffentlichen Raum und wenn gelacht wird, dann haut man sich vertraulich auf die Schultern.
Wie sagt noch der Vertreter der hiesigen Sparkasse über das Kabarett oder Cabaret (na ja): „Hier und da wird gar politisch argumentiert.“ Da muss man durch.

Zwischen Kabarett und Zeltminiaturen

Es gab schon immer Blödelbarden, überhaupt wunderbare Blödelei. Das braucht der Mensch, sonst verbittert er. Für die ernsteren lustigen Vorgänge war das Kabarett im Keller zuständig, in den alternativen Sälen der Städte. Heute ist die demokratische Gesellschaft lange schon im Konsens darüber, dass der Quatsch, die Comedy und auch das Kabarett zur Grundversorgung gehören und keinerlei ernsthafte Wirkung mehr haben, außer der, weitere Nachahmer zu finden, damit uns das Lachen nicht vergeht. Fast alles ist ja gut und man wird sehen, welche Nuancen die Programme bieten. Wie gesagt – mich stört nur der Sekt und das Gehabe. Aber das ist mein Problem, wenn ich mich den gängigen Ritualen entziehe. Der Kellerraum, in den ich zum Lachen verschwinde, ist mit Plüsch ausgelegt.

U am Zelt

Eine Eröffnung ganz anderer Art wird am Stadtgarten in Dortmund begangen: 100 Zelte – Kunst – unbehaust, eine Aktion u.a. zur Unterstützung von „Bodo“, der Dortmunder Obdachlosenzeitung. Kleine Zelte aller Art bilden unter Mitwirkung und Moderation des Schauspielchefs Kay Voges eine Minizeltstadt und wollen aufmerksam machen. Am Ende werden sie versteigert. Junge Menschen regen sich auf über die Welt, die Gesellschaft, Konsum und drücken dies aus, indem sie die Zelte entsprechend verzieren, bestücken, zerstückeln. Und man erhält Luftballons. Es hat was von Kindergeburtstag und naturgemäß spielt auch eine Band. Jede Aktion, die interveniert und auf Missstände aufmerksam macht, ist besser als keine. Ob man unbedingt von einer Kunstaktion sprechen will, ist Diskussionsstoff. Und auch hier gibt es Sekt, aber aus der Kiste in kleinen Flaschen. Prost. Hier stößt das Schauspielhaus mit seinem Slogan „Stadt ohne Geld“ wieder auf die, die Raum brauchen für Ausdruck und Werk, die jungen Naiven und Haltungssucher und -träger.

Kaputtes Zelt mit Griff

Aber diese Stadt – wie auch die meisten anderen – ist keine ohne Geld, so wie der Staat keiner ist ohne Geld. Ganz im Gegenteil. Zelt Nummer 26 hat mir gefallen. Aus dem Inneren drang eine Stimme in englischer Sprache von John Dunn. Es heißt auf der Hinweistafel: „Das ist ein komplett unorganiertes Daherreden. So mache ich keinen Fortschritt für die Gesellschaft. Ich bringe die Kunst nicht weiter. Ich bringe auch die Forschung nicht weiter. Im Grunde genommen verschwende ich meine Zeit…“

Zeltdorf

(Fotos: Dman)




Lang lebe das Lichtbild

Weil es in diesem Beitrag etwas dauert, bis ich zum Punkt komme, hier eine kurze Einordnung: Es geht um einen Lichtbild-Vortrag der Bochumer Gruppe „Dunix“ mit dem Titel „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“, kürzlich zu sehen im Sissikingkong, und um Dia-Karaoke im Rasthaus Fink am Nordmarkt – zwei gelungene Versuche, eine sterbende Form der gepflegten Abendunterhaltung, eben die Dia-Schau, am Leben zu erhalten. Eingeflochten sind dabei Betrachtungen über die (Dia-)Fotografie im Allgemeinen und Besonderen. Und los geht’s!

Dia aus der Dunix-Schatzkiste

Glückliche Kindheit, dokumentiert im Dia - aus der Dunix-Schatzkiste

Es gibt eine Menge Erlebnisse, die unsere Kindern vermutlich vorenthalten werden. Zum Beispiel der Moment, in dem man ungeduldig noch im Laden die zugeklebte Tüte mit den selbst fotografierten, frisch entwickelten Fotos aufreißt. Zum Beispiel das Bezahlen solcher Fotos. (Wie, jedes einzelne Foto hat Geld gekostet?) Zum Beispiel das Gefühl, mit anderen mehr oder weniger interessierten Bekannten in einer Diashow zu sitzen, ermüdend schlecht fotografierte Landschaftsimpressionen zu betrachten und das Klicken des Projektors als hochwillkommene Abwechslung vom langatmigen Vortrag des Fotografen zu empfinden.

Dia-Shows! Für jüngere Leser: Das funktioniert so ähnlich wie eine Slideshow im Internet. Oder nein: So, als würde man sich mit einem Beamer auf die Leinwand geworfene Fotos anschauen, nur dass die Dia-Positive jeweils in kleinen Plastikrähmchen stecken und in einem Karussell auf Knopfdruck weiter und weiter, bis ins Licht befördert werden. Manchmal steckten die Dias auch falsch herum im Karussell, dann musste der Dia-Vortragende sie erst umdrehen. Manchmal war ein Steckfach leer, dann konnte man sich die feinen Unebenheiten und Kratzer auf der Linse ganz genau auf der Leinwand anschauen. „Die praktischen Vorteile des Diafilms liegen vor allem in der hohen Schärfe und Farbtreue sowie dem großen Tonwertumfang des Diapositivs. Diese Vorteile treten in der Projektion klar zu Tage“, weiß Wikipedia. Es ist nicht überliefert, ob die  fotografierende Menschheit in ihrer Masse in den 1960er, 1970er Jahren von diesen Vorteilen wusste. Überliefert ist nur, dass sie massenhaft Dias produzierte, vermutlich aus einem anderen Grund: Weil man dann so prima Dia-Shows veranstalten konnte. So kommt es, dass sich auf Flohmärkten und in Trödelhallen heute sorgfältig sortierte Dias in ihrem zierlichen Plastikrahmen in Holz- oder Plastikkisten stapeln.

Sport oder Trinken? Sporttrinken. Aus der Dunix-Schatzkiste.

Sport? Trinken? Sporttrinken - aus der Dunix-Sammlung.

Gottseidank gibt es Menschen, die damit noch etwas anzufangen wissen. Mindestens zwei Veranstaltungsreihen im Revier beleben derzeit das Format Dia-Show neu. Die Bochumer Alex Schwegl und Florian Biedermann haben irgendwann damit begonnen, Flohmarkt-Dias zu sammeln und zu sortieren – in Kategorien wie „Urlaub“, „Tiere“, „Weihnachten“ oder „Menschen vor Blumen“. Dann haben sie Serien zusammengestellt, Dramaturgien ersonnen und Musik dazu ausgesucht. Schon seit Jahren zeigen sie ihre Shows, bevorzugt im Dortmunder Sissikingkong und in Bochumer Kneipen und Cafés. Die aktuelle Show heißt „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“ und zeigt genau das: privatpornografische Aufnahmen aus der Zeit vor Youporn, feucht gewordene und angeschimmelte Dias (die, auf die Leinwand projiziert, von ganz erstaunlich abstrakter Originalität sind, sowohl farblich als auch kompositorisch) und Dias, in denen die Fotografen familiäre Ereignisse rund um Krankheit und Tod festhielten. Außerdem eine sensationelle, mit Avantgarde-Musik unterlegte Serie von der Riesen-Baustelle Brasilia, der futuristischen Hauptstadt Brasiliens, aufgenommen während der Bauarbeiten Ende der 1950er Jahre. Gequatscht wird während des Dunix-Lichtbildvortrags nicht – dazu ist die liebevoll ausgewählte Musik auch viel zu laut. Wenn Death Metal zu Bildern von Buffet-Schlachten läuft oder ein Liebeslied aus den 1920er Jahren zu den Szenen einer Rentner-Ehe, braucht es keine weiteren Erläuterungen.

Das ist beim Dia-Karaoke, einer Erfindung des Rasthaus Fink auf dem Dortmunder Nordmarkt, ganz anders. Hier ist das Quatschen Programm, hier kann man damit sogar einen Preis gewinnen. Dia-Karaoke ist keine durchkomponierte Show, jeder Abend verläuft anders. Dia-Serie an die Wand geworfen, die allen Anwesenden völlig fremd ist. Fremde Menschen in einer nicht näher bestimmten Zeit tun Dinge an einem unbestimmten Ort. Dazu improvisiert der Vortragende nun spontan eine Geschichte, so überzeugend, wie er nur kann. Gleiches tun die anderen Kandidaten mit Zunächst braucht es einige Freiwillige, die gegeneinander antreten wollen. Dann wird eine jeweils anderen Dia-Serien. Am Ende entscheidet das Publikum, wer die überzeugendste, verrückteste, unterhaltsamste Geschichte ersonnen hat.

Beide Veranstaltungen sind toll – weil sie Erinnerungen zurückholen und sie zugleich ironisch brechen. Und weil sie vor Augen führen, dass der Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie weit mehr bedeutet als nur eine technische Neuerung.

Wer um 1900 fotografierte, schuf mit der Fotografie sein Bild für die Ewigkeit – ein Foto war so teuer (und so umständlich herzustellen), dass es mit heiligem Ernst zelebriert wurde. Als das Fotografieren in den 1950er Jahren erstmals für den Normalbürger bezahlbar wurde, änderte sich das Fotografierverhalten nur langsam. Zwar wurde nun viel mehr fotografiert, doch der Gedanke dahinter war der Alte geblieben: Fotografieren ist Verewigen. Fotos konnte sich zwar jedermann leisten, doch hinter jedem „Klick“ lag noch immer eine bewusste Entscheidung, eine Komposition („Stell dich mal da hin!“). Ich hinterlasse der Nachwelt ein Bild von mir und meinem Leben, so wie ich von anderen gesehen werden möchte.

So erklären sich all die Aufnahmen von Landschaften und Städten (Seht her, dort war ich!), von Ehemännern und -frauen, Kindern und Haustieren vor bunten Blumen (So harmonisch ist mein Familienleben!), von Statussymbolen wie Autos, Wohnwagen, Fernsehern und Schrankwänden (Das kann ich mir leisten!) und Feierlichkeiten (So beliebt bin ich, so lustig ist mein Leben!).

Wer ist das? Und wieso so bunt? Aus der Dunix-Schatzkiste.

Der Umbruch, den die digitale Fotografie mit sich bringen wird, ist vielleicht noch revolutionärer als der zwischen den Anfängen der Fotografie und ihrer Massentauglichkeit. Wenn man für Bilder nicht mehr zahlen muss und Speicherplatz fast unbegrenzt vorhanden ist, wird viel, viel, viel mehr fotografiert. Gleichzeitig sind die Fotografien erst mal nicht greifbar, sondern bleiben Daten in privaten Speichermedien – so lange, bis sie zum Beispiel in Communities veröffentlicht werden. Dass diese Umstände Auswirkungen auf die Motivwahl, auf das Fotografieren selbst haben, liegt auf der Hand. Welche, das werden wir vielleicht in einem halben Jahrhundert erfahren. Dann, wenn unsere Enkel oder Urenkel unser Fotomaterial kreativ weiterentwickeln.




Knochenarbeit im Bergwerk des Humors – Vor 100 Jahren wurde Heinz Erhardt geboren

Er muss ein geradezu besessener Arbeiter im Bergwerk des Humors gewesen sein. Er selbst und seine Familie haben unter seiner nie versiegenden Schaffenswut gelitten. Doch kaum betrat der rundliche Kerl die Bühne, so war er eine Seele von Mensch – und vor allem: ein Schelm! Heute vor 100 Jahren wurde der Komiker Heinz Erhardt geboren.

Eine deutsche Ahnenreihe der Hochkomik sähe in den Grundzügen wohl ungefähr so aus: Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Heinz Erhardt, Loriot, Robert Gernhardt, F. K. Waechter, Otto Waalkes, Hape Kerkeling, Helge Schneider. Mögen da auch ein paar Bindeglieder fehlen (bitte wunschgemäß freihändig einsetzen), so gehören doch die Genannten hinzu. Heinz Erhardt steht dabei als singulärer Humor-Produzent für die 50er und frühen 60er Jahre, er war der Komiker des „Wirtschaftwunders“.

Erhardt kam am 20. Februar 1909 in der heutigen lettischen Hauptstadt Riga zur Welt. Sein Vater war Kapellmeister, der Großvater (bei dem er aufwuchs) ein achtbarer Klavierspieler. Heinz Erhardts Jugendtraum, Konzertpianist zu werden, erfüllte sich allerdings nicht. Erst 1994 kamen aus dem Nachlass einige seiner Kompositionen in klassischer Manier auf CD heraus.

1932 stand er erstmals in einem Lustspiel auf der Bühne des Deutschen Schauspiels in Riga. Entscheidender Schritt: 1938 wurde er ans Berliner Kabarett der Komiker geholt. Den Weltkrieg überstand er als schon recht prominenter Spaßmacher in der Truppenbetreuung, was ihn vor dem Dienst an der Waffe bewahrte.

Neubeginn in der Trümmerzeit: 1946 knüpfte Erhardt Kontakte zum NWDR in Hamburg, wo er Unterhaltungsprogramme wie „So was Dummes“ moderierte. Auch stand er in Komödien auf diversen Hamburger Bühnen. Seine Alleinunterhalter-Qualitäten sprachen sich schnell herum, so dass er bald erste Tourneen unternahm.

Durchaus auf der Basis traditionell überlieferter Verskunst und sprachlich manchmal höchst raffiniert, trieb Erhardt seine vorwiegend wortspielerisch grundierten Scherze. Das 1963 erschienene Buch mit dem Titel „Noch’n Gedicht“ wurde zum Verkaufsschlager. Es enthielt auch Erhardts wohlbekannte Zeilen über „Die Made“: „Hinter eines Baumes Rinde / saß die Made mit dem Kinde. / Sie ist Witwe, denn der Gatte, / den sie hatte, fiel vom Blatte …“ Und so weiter. Sein Erscheinungsbild war das eines allzeit netten, manchmal leicht verwirrten Onkels mit treuherzigem Mondgesicht. Er gab sich bewusst tollpatschig und gehemmt. So einen Menschen mochte man einfach gern, weil er so gar keine Bedrohung darstellte.

Vor allem im Kino (erste Hauptrolle 1957 als Marmeladenfabrikant in „Der müde Theodor“) hat er etlichen Klamauk mitgemacht und dabei zuweilen sein Talent unter Wert verschleudert. Möglicher Grund: Wie es heißt, war er ein Paniker, was seine finanzielle Situation anging. Auch sein Lampenfieber war legendär. Er soll es auch mit dem einen oder anderen Schnaps bekämpft haben.

1971 erlitt der bis dahin so rastlose Erhardt einen Schlaganfall und musste fortan deutlich kürzer treten. Er starb in der Nacht zum 5. Juni 1979. Etwa um 1983 kam es zu einer überraschenden Renaissance. Gerade Jüngere fanden plötzlich Gefallen an alten Erhardt-Filmen, die nun in den Programmkinos liefen. Und heute führt er ein beinahe schon gespenstisches Nachleben in Internet-Portalen wie „YouTube“, wo man viele Szenen mit ihm aufrufen kann. Was dort so flüchtig wirken mag, ist in Wahrheit unvergänglich.

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Infos

  • Filme (Auswahl): „Witwer mit fünf Töchtern“ (1957), „Immer die Radfahrer“ (58), „Natürlich die Autofahrer“ (59), „Der letzte Fußgänger“ (60), „Drei Mann in einem Boot“ (61), „Unser Willi ist der Beste“ (71).
  • Internet-Seite: http://www.heinzerhardt.de (betrieben von Heinz Erhardts Erben). Dort Hinweise auf viele Bücher, CDs und DVDs.

(Der Beitrag stand am 20. Februar 2009 in ähnlicher Form in der „Westfälischen Rundschau“)




Elche!

Um 1963 war F. W. Bernstein (gemeinsam mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter) Mit-Urheber der „Neuen Frankfurter Schule“ des parodistischen Humors. Diese drei Hochbegabten schufen damals die legendäre Beilage des Satiremagazins „Pardon“: „Welt im Spiegel“ (WimS).

Bernstein verdanken wir auch den ewigen Zweizeiler-Klassiker

„Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche.“

und natürlich so manches andere Kleinod höheren Witzes.

Seine gesammelten Gedichte sind im Verlag Antje Kunstmann erschienen. Eine nachdrückliche Buch-Empfehlung! Daraus, ganz willkürlich gewählt, das

Beziehungslied

Ich und du, Müllers Kuh,
geht’s bei uns nicht friedlich zu?
Ach ich ach ich ach ich glaub,
ich bin stumm und du bist taub.

Ab und zu sagt Müllers Kuh
ganz unheimlich leise:
Mmmmmmann o Mann,
das kann ja kein Schwein
aushalten!

Ich wage zu behaupten: Ohne Bernstein, Gernhardt & Waechter wären manche Entwicklungen in den Bereichen Comedy und Cartoon (Bernd Pfarr, Rattelschneck etc.) so nicht denkbar gewesen. Auch für Kolumnisten wie Max Goldt haben sie erste Breschen geschlagen. Und selbst ein Mann wie Walter Moers dürfte sich ihnen verpflichtet fühlen.




Helge – der Schamane des Unsinns / Programm „I Brake Together“: Auftakt zur langen Tournee in Paderborn

Von Bernd Berke

Paderborn. „Paaaderboorn – Bi-hie-lefeld – Minden.“ Der Kerl macht sogar aus den Ortsnamen seiner ersten Tournee-Stationen noch einen kleinen Song. Helge Schneider ist wieder unterwegs, und die Reise soll bis ins Jahr 2008 dauern.

Jetzt gab’s den Auftakt just im kreuzbraven Paderborn. Ein Testgelände abseits der kulturellen Hauptrouten. Helge treibt natürlich seine kleinen Scherze mit der Stadt. Mal nennt er sie „Kaff“, mal „kafkaesk“. Alles furchtbar nett gemeint. Daran, dass hier und andernorts nichts los ist, sei ohnehin nur Angela Merkel schuld, bemerkt er feixend.

„I Brake Together“ heißt sein neues Musikprogramm. Das kann man kaum übersetzen. Genau genommen, hieße es nicht „Ich breche zusammen“, sondern etwa „Ich bremse zusammen.“ Aber bei Helge Schneider darf man nicht zum Wortklauber werden. Kichernde Sinn-Zerstäubung ist seit jeher sein Pläsier.

Hauptsächlich besteht der Abend aus exzellent dargebotenen Jazz-Spielarten, Blues und traditionssattem Rock’n’Roll – meist in schön verjaulte Schräglage versetzt, was die Musik oft erst richtig auf den Begriff bringt.

Dass Helge (51) ein Virtuose auf vielen Instrumenten (Klavier, Saxofon, Trompete, E-Gitarre etc.) ist, hat sich herumgesprochen. Und wer einen Pete York in seiner (betagten) Begleitband hat, muss sich erst recht keine Sorgen um den Sound machen. Der seit den frühen 1960er Jahren aktive Drummer (Spencer Davis Group, Hardin & York etc.) bekommt auch bei Helge sein bärenstarkes Solo. Wow!

Vor allem aber lechzt das überwiegend junge Publikum nach Helge Schneiders Liedtexten und Überleitungen. Es giert nach herrlich hirnrissigen Titeln wie „Lady Suppenhuhn“ oder „Telefonmann“, die dieser Schamane des Unsinns schlichtweg gekonnt herunter-eiert. Sein neuer Hit vom „super-sexy Kä-Kä-Käsebrot“ zerrt einen biederen Tonfall („Käsebrot ist ein gutes Brot“ – das klingt wie aus den 50er Jahren) über alle Zwischenzeit hinweg ins Jetzt. Er bringt auch solche halsbreçherischen Sachen halbwegs heil um die Kurve.

Gipfelpunkt ist seine ingeniöse Parodie auf Udo Lindenberg. Da scheint tatsächlich „uns‘ Udo“ zu röhren – im schlingernden Dialog mit einem gewissen Helge Schneider. Der bringt es sogar fertig, beide Singstimmen (fast) auf einmal ertönen zu lassen. Und beim neuen Lied „Trompeten von Mexiko“ („sie laden dich ein“) spielt er dieses Blasinstrument und das Piano zugleich. Solche simultanen Zauberstücke macht ihm so leicht keiner nach.

Man spürt, dass er mittlerweile entspannt in sich ruht. Er muss sich und uns nichts mehr beweisen. Wo er ehedem schon mal etwas krampfhaft witzelte, lässt er’s heute durchweg locker laufen. Und es blitzen sogar Zwischentöne durch – allerhand Sottisen gegen Konsumwahn und TV-Flachsinn inbegriffen. Besser so. Heute ist heute, morgen improvisiert er gewiss wieder ganz anders. Und bei all dem wird dieser Chaot unversehens zum Perfektionisten.

Blöd ist er sowieso nicht. Es springen gar hinterhältige (Anti)-Weisheiten heraus. Etwa diese Erkenntnis über Einsamkeit, die auf Gelegenheiten lauert: Liebe bestehe doch oft darin, dass man jemanden „irgendwo abfängt“. Oder zum Ladenschlussgesetz: „Endlich kann man mal bis 20 Uhr pennen.“ Zur Weihnachtszeit mahnt er als oberstes Ziel „Zufriedenheit“ an. Was man jetzt überhaupt nicht gebrauchen könne, seien Leute, die „ins Tannenbaumzimmer rasen und in die Ecke pinkeln“. Ist doch wahr!

Das Publikum in der ausverkauften Paderhalle ist lachlustig. Die Fans goutieren ja praktisch alles, was Helge so treibt. Doch enthusiastisch steigert sich der Beifall nur stellenweise. Vielleicht liegt’s ander mitunter bedächtigen ostwestfälischen Wesensart?

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HINTERGRUND

Platte, Buch, Kinofilm und Tournee

  • Helge Schneider kommt jetzt in diversen Medien auf uns zu:
  • Die CD zur Tournee „I Brake Together“ kommt am 19. Januar 2007 heraus.
  • Kürzlich ist sein neues Buch „Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas“ erschienen.
  • Am 11. Januar 2007 startet Dany Levys Kino-Tragikomödie „Mein Führer“ – mit Helge Schneider in der Rolle Adolf Hitlers…
  • Die langwierige Tournee führt u. a. nach Mülheim (16. und 17. Dez. 2006), Essen (15.2.2007) – und erst im Herbst 2007 nach Gelsenkirchen, Olsberg, Attendorn, Hamm, Dortmund und Hagen.

 




„Bio“ erzählt seine Fernsehgeschichte – Alfred Biolek begibt sich auf Bühnentournee / Auftakt in Köln mit Harald Schmidt

Von Bernd Berke

Köln. Wenn ein Bühnenabend „Mein Theater mit dem Fernsehen“ heißt, erwartet man womöglich Enthüllungen. Aber doch nicht bei Alfred Biolek! Dieser Menschenfreund begleicht keine offenen Rechnungen, schon gar nicht öffentlich. Er erinnert sich einfach an über 40 Jahre Fernsehgeschichte, die er hie und da mitgeprägt hat. Am Samstag war im Kölner Schauspielhaus Premiere, nun beginnt eine ausgedehnte Tournee.

Biolek sitzt sinnend auf der Bühne, plaudert von früher und „zappt“ sich dabei durch „Best of „-Ausschnitte aus seinen zahlreichen TV-Sendungen, die man auf einer Großbildwand sieht. Da ist man also Theaterbesucher, doch gleichzeitig auch irgendwie „Couch-Kartoffel“. Jedenfalls darf man nostalgieren: Anfangs gab Biolek (noch in Schwarzweiß) gut gemeinte Tipps für Autofahrer. Als spürsinniger Produzent holte er später u. a. Rudi Carrell („Am laufenden Band“) und die britische Komikertruppe „Monty Python“ in deutsche Programme. Vor allem Letzteres ist ein Verdienst für die mittlere Ewigkeit.

Im Gang durch die Zeiten wird klar: Dieser Mann, der 1963 als Hausjurist beim ZDF begonnen hat, hat dringlich selbst vor die Kameras gehört. Da kam er zur rechten Zeit an die richtigen Plätze. Als einer, der keck und kokett so manchen Fez mitmacht, doch dabei stets in erster Linie andere gelten lässt, zur Geltung bringt.

Mit Gästen von Franz-Josef Strauß bis Paul McCartney geplaudert

In seinen Shows und Talks lockerten sich so unterschiedliche Charaktere wie etwa CSU-Chef Franz-Josef Strauß, Paul McCartney, Arnold Schwarzenegger oder Michael Schumacher, den Bio damals zur allgemeinen Gaudi irrtümlich als „Harald“ begrüßte. Nur: Wenn’s mal ernsthaft politisch wurde, passte Bioleks heiterer Stil nie so recht. Er selbst deutet auf diese Beschränkung hin, in weiser Selbsterkenntnis.

Leider werden manche Ausschnitte gar zu abrupt abgebrochen, weil bei aller Gemütlichkeit doch die Zeit drängt und Biolek partout auch noch was zur Klavierbegleitung singen will. Hilfreich wäre es, die TV-Schnipsel mit eingeblendeten Jahreszahlen zu versehen. Und wenn sich herumspricht, was er da im Einzelnen ausgeheckt hat, wird Biolek wohl gelegentlich Belegstücke auswechseln müssen. Er hat ja genug parat.

Böse Kritiken mag er nicht mehr hören

Ohne Eitelkeit sei sein Metier undenkbar, gesteht Biolek freimütig. Mit ihm und dem Show-Gewerbe sei es freilich wie mit der flugunfähigen Hummel, die dennoch ständig Flugversuche unternehme. Überhaupt hält sich Selbstbeweihräucherung in angenehm ironisierten Grenzen. So stülpt er sich geräuschdämmende Ohrmuscheln über, als die zehn übelsten Kritiker-Verrisse seiner Laufbahn („Biolek – eine Folter“) zitiert werden.

Zwischendurch holt er eigens eine Zuschauerin als „Zeugin“ auf die Bretter, um klarzustellen: Niemals sei er betrunken gewesen bei seiner Kochsendung „alfredissimo“. Das eine oder andere Glas Wein – gewiss! Doch keins über den Durst hinaus. Darauf sollten wir anstoßen.

Und noch einen bittet Biolek ins Scheinwerferlicht: den für Köln engagierten Spezialgast Harald Schmidt. Da erweist sich: Biolek ist doch eher ein harmloser Rampen-Uhu, die wahrhaft wilde „Rampensau“ ist Schmidt. Sogleich zieht er die Agenda an sich und lässt Bio für rund 20 Minuten wie freundliches Beiwerk erscheinen. Ja, er hat ihn kurz zuvor sogar schon tot gesehen: Aus der vierten Reihe betrachtet, sei ihm Bio zwischen der sparsamen Bühnen-Deko (weiße Lilien) „wie aufgebahrt“ vorgekommen, scherzt Schmidt. Da schmeißt sich Biolek mal wieder buchstäblich weg vor Lachen…

Totgesagte leben ja ohnehin munterer. Doch selten bekommen sie derart rauschende Ovationen wie Biolek in Köln.

Nächste Termine: Berlin 23. Okt., Hamburg 13. Nov. – NRW kommt zum Schluss an die Reihe: Düsseldorf 28. April 2007, Essen 10. Mai, Oberhausen 12. Mai, Bochum 13. Mai.

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ZUR PERSON

Vor und hinter der Kamera

  • Alfred Biolek wurde am 10. Juli 1934 in Freistadt (Tschechien) geboren. 1946 flüchtete er mit seinen Eltern nach Deutschland.
  • Ab 1954 studierte er Jura in Freiburg. München und Wien.
  • 1963 wurde er Justitiar beim damals neu gegründeten ZDF.
  • 1970 ging er als TV-Produzent zur Bavaria Film nach München.
  • Bekannte eigene Sendungen: „Kölner Treff“ (mit Dieter Thoma, 1976-80), „Bio’sBahnhof“ (1978-82), „Mensch Meier“ (1985-91), „Boulevard Bio“ (1991-2003), Kochshow „alfredissimo“ (seit 1994, soll im Frühjahr 2007 auslaufen).
  • Kürzlich sind seine Erinnerungen als Buch erschienen: „Bio – Mein Leben“(Kiepenheuer & Witsch, 18,90Euro).



Eine Instanz wird geschlossen – Nach 23 Jahren nimmt Dieter Hildebrandt Abschied vom „Scheibenwischer“

Bernd Berke

Ein wenig ist der Abschied vergiftet, wenn Dieter Hildebrandt heute zum letzten Mal den satirischen „Scheibenwischer“ (ARD. 21.00 Uhr) surren lässt. Gern hätte er einen nahtlosen Übergang zu einer vergleichbaren Nachfolge-Sendung gehabt. Doch „die Herren von der ARD“, so Hildebrandt etwas verbittert, hätten dies nicht gewollt.

Statt dessen möchten sie so altgedienten Hildebrandt-Mitstreitern wie Mathias Richling oder Bruno Jonas eine Pilotsendung abverlangen; ganz so, als müssten die den Beweis ihres kabarettistischen Könnens erst noch erbringen. Doch nicht um Fähigkeiten geht es beim geplanten Test, sondern allemal um die Einschaltquote. Wer weiß, ob ohne Hildebrandt auch noch rund 3 bis 4 Millionen Zuschauer dabei sein wollen.

Die große Zeit des TV-Kabaretts ist ohnehin vorüber

Die große Zeit des TV-Kabaretts dürfte ohnehin längst vorüber sein – jene Jahre etwa, als die Zuschauer noch keine Alternative zum Ersten Programm hatten und Hildebrandt mit der „Lach- und Schießgesellschaft“ wahre Straßenfeger-Quoten erzielte. Der „Scheibenwischer“, der (wie das Vorbild am Auto) auch bei widrigen Verhältnissen die Sicht freihalten und rasch für Klarheit sorgen soll, hat etliche aufklärerische Verdienste.

Im oft kurzatmigen Fernsehen darf dies als kleine Ewigkeit gelten: Seit 23 Jahren ist die Sendung im Programm und hat immer mal wieder für heftigen Unmut gesorgt, besonders in konservativen Kreisen. Reiz-Stichworte waren z. B. Nachrüstungsbeschluss, Tschernobyl und Rhein-Main-Donau-Kanal.

Als es noch richtige Feindbilder gegeben hat

Legendär wurde der Spruch des einstigen CSU-Vorsitzenden Strauß, Hildebrandt betreibe „Giftmischerei“. Politische Feindbilder solcher Prägung, auf die man mit Worten trefflich zielen konnte, gibt’s heute nicht mehr. Also arbeitet sich selbst ein Hildebrandt heute oft etwas mühselig an den unübersichtlichen Zeitläuften ab. Die Konkurrenz zur politisch oft reichlich bedenkenlosen Comedy kommt erschwerend hinzu.

Hildebrandt (75) ist dennoch zuversichtlich, was die Zukunft seines Metiers angeht. Landauf landab gebe es viele beachtliche Kleinkunstbühnen. Auch wenn manche Fernseh-Chefs Kabarett lieber auf Nachtschienen rangieren würden, sei die Gattung vital.

Im Fernsehen, so Hildebrandt kürzlich in einem Interview, gehe allerdings Bühnenflair verloren: „Das Glitzern im Auge sieht man über den Schirm nicht.“ Dafür sieht Hildebrandt nicht, wie wohl so mancher Zuschauer heute etwas feuchte Augen bekommt. Kleiner Trost: Am 2. Oktober soll’s noch eine Sonderausgabe geben.

Und nun sind wir gespannt, welche Themen und Figuren sich Hildebrandt heute vorknöpft und wem er sein letztes Solo widmet. Mach’s nochmal. Dieter!




Das Erbe von „Tegtmeier“ wirkt weiter – Jürgen von Manger wurde vor 80 Jahren geboren

Von Bernd Berke

Nun ja, es stimmt: Nirgendwo sonst als in Koblenz wurde Jürgen von Manger am 6. März. 1923 (also morgen vor 80 Jahren) geboren. Die Stadt am Mittelrhein in allen Ehren, doch wir wollen sie nun ganz rasch ausblenden. Denn das, was Manger alias „Tegtmeier“ ausgemacht hat, begann, als er mit 9 Jahren nach Hagen kam. Hier, am Saum des Ruhrgebiets und von außen her kommend, hat er wohl ein besonders genaues Gespür für die Sprache dieser Region entwickeln können.

Der 1961 von ihm ersonnene und seither bodcnständig verkörperte Rcvier-Kumpcltyp „Adolf Tegtmeier“ hat die an Ruhr und Emscher gesprochene Mundart in die letzten Winkel Deutschlands getragen; auf zahllosen Tourneen, via Hörfunk, Fernsehen oder Schallplatte – und übrigens auch auf einer Scheibe, die er seinerzeit eigens für die Leser der Westfälischen Rundschau produzierte.

Die immensen Mühen der Bildungssprache

Es war kein redseliges Idiom, das Tegtmeier im Munde wälzte. Letztlich war’s eine Kunstsprache, freilich gespeist aus dem wirklichen Wortgebrauch der Gegend. Stets merkte man Tegtmeier die immensen Mühen des Satzbaus an, die Reibung der Alltagsausdrücke mit Hoch- und Bildungssprache. Aus solchen Nöten erwuchs Komik, jedoch keine hämische. Denn hier zeigten sich auch Wahrhaftigkeit und Würde der „kleinen Leute“. Nur deshalb konnte die Figur Identität stiften – bis heute, wo etwa ein Herbert Knebel die Tradition fortführt.

Anhand einer neuen CD-Edition (mit vier Scheiben) kann man ihn nun nachschmecken – diesen ureigenen Humor, der nie schnellfertig oder brachial daherkommt, sondern sich stets langsam entfaltet: Noch einmal sind hier die makabren Einlassungen des „Schwiegermuttermörders“ vor Gericht („Da hab‘ ich ’se gesächt“) zu hören; abermals erleben wir mit dem freudig-beflissenen Halb-Banausen Tegtmeier „Wilhelm Teil“ im Theater. Trefflicher ist die (überwindbare) Schwellenwirkung der hehren Kultur .selten geschildert worden. Der Gang zum „Heiratsvermittler“, Gedanken über „Feines Benehmen“ und „Die Mieterversammlung“ – all‘ dies und noch viel mehr ist drauf auf den Silberlingcn.

Jugendzeit und erste Auftritte in Hagen

Zurück nach Hagen: Hier hatte Jürgen von Manger das Fichte- und das Dürer-Gymnasium besucht, hier war er bereits von 1939 bis 1941 Statist (u. a. im „Tell“) beim Theater.

Von 1941 bis 1945 war Jürgen von Manger Soldat. Die bitteren Erfahrungen in Russland blitzten zuweilen auch in späteren Sketchen auf. Schon 1945 kehrte er ans Hagener Theater zurück, diesmal als regulärer Darsteller (Stücke von „Othello“ bis „Maria Stuart“). 1947 zog es ihn ans von Saladin Schmitt geleitete Bochumer Schauspielhaus, zeitweise spielte er auch in Gelsenkirchen. Parallel dazu absolvierte Jürgen von Manger zudem ein komplettes Jura-Studium in Köln. Es kam beizeiten auch Tegtmeier zupass: Sein Ringen mit Juristen- und Amtsdeutsch beruhte auf Kenntnis.

1985 erlitt Jürgen von Manger einen Schlaganfall und konnte fortan nicht mehr auftreten. Mit 71 Jahren starb er am 15. März 1994 in Herne, beigesetzt wurde er in Hagen-Delstern. Seine Witwe, Ruth von Manger, die heute bei Kassei lebt, hat dem Bochumer CD-Label Roof Music den gesamten Nachlass ihres Mannes anvertraut.

Jürgen von Manger: „Wunderbar“. 4 CDs (25,90 Euro) bei Roof Music, Bochum (Tel. 0234/29878-16). Indigo-Bestell-Nr.: 21612 / Internet: www.roofmusic.de




„Väterchen Franz“ wird 70 – Franz Josef Degenhardt, einer der bedeutendsten politischen Liedermacher dieser Republik

Von Bernd Berke

Wer weiß, wer weiß, welche Zufälle im Leben mitspielen: Es hätte gut so kommen können, dass Franz Josef Degenhardt heute einer der Top-Experten für Europäisches Recht wäre, denn das hat er eingehend studiert. Doch irgend etwas muss ihn in den frühen 60er Jahren gepackt und aufs Terrain der politischen Liedermacher gezogen haben. Sonst hätten wir ihn nie als „Väterchen Franz“ kennen gelernt. Kaum auszudenken!

Heute vor 70 Jahren wurde der Barde und Bänkelsänger der deutschen Linken in Schwelm geboren. Obwohl er längst in Quickborn bei Hamburg lebt, zeugen zumal seine Romane (am bekanntesten wurde der Erstling „Zündschnüre“) von westfälischer Bodenständigkeit sozialistischer Lesart. Degenhardt selbst hat seine Herkunft aus einer „militant katholischen und antifaschistischen Familie mit frühen Bezügen zum sozialistischen Milieu“ stets gern betont.

Öko-Bewegung war seine Sache nicht

Phasenweise hat er höchst aggressive Saiten angeschlagen. „Zwischentöne sind nur Krampf – im Klassenkampf“, dieser ungute Agitprop-Refrain klingelt immer noch in den Ohren. Auch hat Degenhardt die aufkommende Alternativ-Bewegung in den späten 70ern übel missverstanden, ja aus seiner orthodox-kommunistischen Sicht wohl verkennen müssen. Lieder, die er in diese Richtung abfeuerte, bewegten sich manchmal gar am Rande der Denunziation.

Schon die APO um 1967/68 fand nicht seine Billigung. Zwar war er mit Rudi Dutschke befreundet, doch die meisten Aktionen der Studentenbewegung hielt er für Streiche der Kinder besserer Leute. Vermutlich lag darin sogar ein Körnchen Wahrheit.

Und natürlich verdanken wir dem Mann, der immer noch unverdrossen der DKP anhängt (1971 wurde er wegen solcher Neigungen aus der SPD ausgeschlossen), auch einige der wirksamsten Balladen, Chansons und Polit-Songs der Nachkriegszeit. In seinen besten Zeiten waren ihm (jeder auf seine besondere Art) allenfalls Biermann und Hüsch ebenbürtig.

Manches eignete sich auch zum Grölen

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ wurde zur oft zitierten Legende. Dutzende von Liedern fallen einem da ein, die früher in linken Kneipen zu fortgeschrittener Stunde und bei erhöhtem Pegel auch schon mal selig gegrölt wurden; wohl ganz im Sinne von „Väterchen Franz“, der im Lied als „versoff’ner Chronist“ auftrat. Doch es gibt auch viel fein gesponnene Poesie in seinem Werk.

Nur ein paar Nostalgie-Stichworte: „Horsti Schmandhoff“ (ewiges Stehaufmännchen seit Nazi-Zeiten), „Deutscher Sonntag“ (genialische Provinz-Beschreibung), „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ (sarkastische Zeile: „Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz“). Hellsichtig auch die satirischen Rollenporträts des satten Bürgertums, so in „Notar Bolamus“ oder „Wenn der Senator erzählt“.

Mütterchen, die Lenin lesen

Überhaupt hat Degenhardt manches früh kommen sehen – erstarkenden Neonazismus und Kriegslüsternheit etwa. Später kamen leider auch einige spröde Helden-Epen aus dem Geiste eines volkstümlich getönten sozialistischen Realismus hinzu, etwa von wackeren proletarischen Mütterchen, die Marx, Engels und Lenin zu lesen beginnen.

Seit den 80er Jahren differenziert Degenhardt in seinen Texten wieder genauer. Auch musikalisch entdeckte er vielfältigere Ausdrucksformen, seit er mit Gruppen wie „Ougenweide“ oder „Randy Pie“ arbeitete und schließlich eine eigene Band hatte. Mehr Instrumente – das bedeutete nicht nur mehr Klangfarben, sondern just auch wieder dialektische, melancholische oder zynisch-heitere Zwischentöne Es wäre ja auch nicht zu fassen, wenn“ ein solch kluger Mensch nicht hinzulernen würde. Nur sich ändert, bleibt sich treu.




„Herbert Knebel ist kein Kotzbrocken“ – Gespräch mit dem Komiker Uwe Lyko über seine Revier-Figur

Von Bernd Berke

„Herbert Knebel“, der Ruhrgebiets-Frührentner mit Prinz-Heinrich-Mütze, Trevira-Jacke und Hornbrille, ist samt „Affentheater“ wieder auf Tour: Zumal über Auswüchse des Strukturwandels im Revier kann sich Knebel alias Uwe Lyko auf der Bühne mächtig komisch aufregen.

Vor vielen Jahren gab’s mal in Berlin eine dann konsequent abgesagte Veranstaltung mit null (!) Zuschauern. Doch längst sind „Knebel“ und Gruppe populär – zumal in der Region. Die WR traf Uwe Lyko (46) in der Essener „Zeche Carl“ zum Interview.

Wie verwandelt sich Uwe Lyko in Herbert Knebel?

Uwe Lyko: Ich merke eigentlich nichts davon. Ich setz‘ Kappe und Brille auf und bin hinterm Vorhang noch Uwe Lyko. Dann geht das Licht im Saal aus, ich nehme eine andere Körperhaltung an, eine andere Stimme. Dann bin ich auf einmal Herbert Knebel. Was da vor sich geht, könnt‘ ich nicht sagen.

Wie kann man’s nennen: Kabarett? Comedy?

Lyko: Dat hat von allem wat. Als wir angefangen haben, da gab’s den Begriff Comedy in Deutschland noch gar nich‘. Wir haben uns damals Musiktheater genannt so wie „N8chtschicht“ in Dortmund. Dann hat Knebel immer mehr Raum eingenommen, und der hat durchaus kabarettistische Züge. Der ist nicht nur reiner Komödiant. Er ist auch Geschichten-Erzähler. Egal. Hauptsache, die Leute lachen.

Woher nehmen Sie den Ruhrgebiets-Sound? Kneipe, Kiosk, Stadion?

Lyko: Ach, den hat man ja teilweise selber. Ich bin in Duisburg aufgewachsen. Und ich hab ne schrullige Oma. Von der hab ich so’n bisschen die Sprache übernommen, weil die sonne ungelenke Ausdrucksweise hat – wie viele Leute im Ruhrgebiet, die mit der Grammatik kämpfen müssen und dabei witzigerweise eine eigene Grammatik entwickelt haben. Ich mach‘ mich nich‘ drüber lustig. Ich bin ja selber so.

Ist Knebel im weiteren Sinn eine proletarische Figur?

Lyko: Ach, dat weiß ich nich. Der Knebel ist nicht am Reißbrett entstanden, sondern intuitiv. Übrigens ist er kein Kotzbrocken. Er ist zwar ständig am Rumnörgeln. Er hat aber wat Menschliches. Sonst hätte die Figur nie diesen Erfolg gehabt.

Inzwischen haben Sie einen Plattenvertrag mit dem Konzern Sony Music. Was hat sich dadurch verändert?

Lyko: Gar nix. Wenn Sony morgen sagt: Wir wollen euch nicht mehr; dann sagen wir: Ja, und? Einmal drängten die, dass wir endlich ’n Hit machen. Da haben wir gesagt: Nee! Wir verdienen ja unser Geld live, kaum mit CDs.

Könnte Knebel ein „Verfallsdatum“ haben? Weil sich das Ruhrgebiet so entwickelt, dass die Figur nicht mehr funktioniert?

Lyko: Das kann passieren. Aber er wirkt nicht nur, weil er Ruhrgebiets-Dialekt spricht, sondern auch als Typ. Er ist kein Auslaufmodell.

Ganz am Anfang Ihrer Laufbahn haben Sie auch mal mit Helge Schneider auf der Bühne gestanden…

Lyko: Ja, damals kannte uns noch kein Mensch. Privat war’s sehr witzig, aber mit dem Helge kann man nicht zusammenarbeiten. Unmöglich! Der ist viel zu chaotisch – was ja auch einen Teil seiner Genialität ausmacht.

Beim Gelsenkirchener Gastspiel im Schatten der Schalke-Arena kamen Buhrufe, sobald die Worte Dortmund oder Borussia fielen.

Lyko: Es iss einfach so, dat ich Borussia-Fan bin. Seit meiner .Kindheit. Und ich bin kein Populist, der extra für Gelsenkirchen eine Schalke-Nummer schreibt.

Sie kommen auch nach Südwestfalen. Klappt dieser Komik-Export?

Lyko: Es gibt da keine Humorgrenze. Im Gegenteil. Im Sauerland gibt’s ein sehr euphorisches Publikum. Das Sauerland iss richtich klasse!




Opas Kino – fett und krass: Michael „Bully“ Herbigs Film „Erkan & Stefan“

Von Bernd Berke

Dass manche Leute jeden, aber auch jeden Vorgang mit dem Beiwort „cool“ markieren, daran haben wir uns längst gewöhnt. Mit dem Comedy-Duo „Erkan & Stefan“ hält vergleichsweise sprachliche Vielfalt Einzug.

Die beiden teilen die Dinge des Lebens in fünf Kategorien ein: alles ist entweder krass, extrem, konkret, fett oder schwul. Nach diesem Schema entstehen so hinreißend ausgefeilte Formulierungen wie „Ich langweile mich fett“, „Gib mir dein schwules Handy“ oder auch „Hey, die Braut is‘ ja krass“. Oder auch „endskrass“, was eine Steigerung bedeutet. Man lernt nie aus.

Leibwächter durch einen blöden Zufall

Auf diese Idee muss man erst einmal kommen: die beiden zappeligen Typen mit ihrem seltsamen Kauderwelsch in eine Thriller-Handlung zu verpflanzen. Als denkbar ungeeignete Leibwächter sollen „Erkan & Stefan“ (alias Erkan Maria Moosleitner und Stefan Lust) in Michael „Bully“ Herbigs Film die niedliche Chefredakteurs-Tochter Nina vor knallharten CIA- und BND-Agenten schützen.

Dumme Verwechslung: Die Blondine hat zum Flug von Hamburg nach München nicht ihre Sprachkurs-Kassette mitgenommen, sondern ein Band, das ihrem Vater zugespielt wurde. Es dokumentiert angeblich die wahre Todesursache des CDU-Politikers Uwe Barschel (Stichworte: Schleswig-Holstein, Ehrenwort, Genfer Hotel, Badewanne). Ein journalistischer „Knaller“, vermutlich welterschütternd.

Niemals in sie reinverlieben!

Nina ist also in tödlicher Gefahr. Da zufällig alle Münchner Bodyguards ausgebucht sind, trifft es halt irgendwie Erkan:und Stefan. Die freuen sich fett und und extrem, als sie ihre süße Schutzbefohlene Nina sehen, obwohl sie die Grundregeln für Leibwächter kennen: „Niemals darfst du sie aus den Augen rauslassen! Niemals darfst du dich in sie reinverlieben!“

Ganz schön krass, in der Tat. Vor allem, weil Stefan und Erkan ihre hyper-nervösen Slapstick-Nummern durchziehen – völlig unbeeindruckt von sämtlichen Geheimdiensten. Selbstverständlich liegt über den beiden Blödianen stets eine unsichtbar schützende Hand. „Mit die Doofen is‘ Gott“, hätte man früher in solchen Fällen gescherzt.

Doch all das ist weder spannend noch sonderlich lustig. Der hanebüchenen Story zum Trotz, gerät nichts an diesem Film originell, sondern alles elend selbstverständlich und selbstbezüglich. Beispiel: Natürlich düsen Erkan und Stefan mit einem zerbeulten Transporter herum, und natürlich wackelt selbiger mordsmäßig, wenn auf den Rücksitzen Liebe gemacht wird. Und wenn sie noch so krasse Sprüche klopfen: Das ist Opas Kino.




Essenz des Reviers mit Kassenbrille: Herbert Knebel stellt seine neue CD „Live in Gelsenkirchen“ vor

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen. Pressekonferenz mal anders: „Besorcht euch mal da drüben Schnittkes, dann könnter zwei Sachen zugleich tun: fressen und fragen“. So locker springt Herbert Knebel mit Journalisten um. Anlaß: Im Dunstkreis des Schalker Parkstadions will er Appetit auf seine neue CD wecken.

„Herbert Knebel – Live in Gelsenkirchen“ heißt das neue Werk des oft saukomischen Comedy-Mannes, der vor allem als ewig nörgelnder Frührentner den Ruhrgebiets-Humor bereichert hat. Die 13 Sketche tragen lakonische Titel wie „Zahnschmerzen“, „Hundescheiße“, „Spaßbad“ und „Vampire“. Bis zum 16. August müssen die Fans freilich auf die Scheibe warten.

Wenn Knebel (bürgerlich: Uwe Lyko, wohnhaft in Essen) seine Requisiten (Prinz-Heinrich-Mütze, Kassenbrille) absetzt, erkennt man ihn kaum. Sobald er aber verkleidet ist, wächst er von selbst in seine Rolle hinein. So auch gestern „auf Schalke“. Originalton Knebel: „Meine CD kannze so wechhören, da lachße dich scheckig, echt“.

Die „Knechte von Sony“ (Knebel), Leute von der Plattenfirma also, lassen eine kurze Kostprobe hören: Jener Frührentner begibt sich samt Enkeln ins Spaßbad zu Herne-Wanne („Wanne hattense also schon, mußte nur Wasser rein“), das ihm allerdings wie ein „Terrorbad“ vorkommt, denn ein kleiner Steppke klaut ihm die Brille. Knebel wankt blindlings aufs Dreimeterbrett – und dann beginnt das Chaos, das eben keiner so schräg erzählen kann wie er.

Warum Gelsenkirchen? Weil die Schalker (allen voran Fußballmanager Rudi Assauer, der Knebel zur Seite sitzt) so nett sind, „da können sich die Schwatzgelben aus Dortmund ’ne Scheibe von abschneiden“. Außerdem sei Gelsenkirchen „die Essenz des Reviers“.

Von Musicals („Jupp‘ m Essen – is doch Seh…“) hält Knebel ebenso wenig wie vom Strukturwandel im Revier, der sei vielfach das Werk seelenloser Technokraten. Und der Wandel entzieht, so mag man hinzufügen, seiner Rentnerfigur ein wenig den Wurzelboden.

Sportlicher Schlußpunkt: Fußballfan Knebel, als Jugendlicher bei Hamborn 90 am Ball („Ganz gemächlich im Mittelfeld – wie Effenberg“), tritt auf Schalke zum Torwandschießen gegen einen anderen Revier-Komödianten, Piet Klocke, an. Sie treffen beide nicht.




Komik des Kosakenzipfels – Deutschlands prominentester Humorist Loriot wird heute 75 Jahre alt

Von Bernd Berke

So feinsinnig, charmant und verbindlich wirkt der distinguierte Herr, daß man kaum merkt, wie rigide seine Komik manchmal ist. Aber ja! Wir reden wirklich von Vicco von Bülow alias Loriot, der heute 75 Jahre alt wird.

Er selbst hat einmal Buster Keaton und W. C. Fields als Vorbilder genannt, denn deren Komik sei „erbarmungslos“. Charlie Chaplin hingegen sei, bei allem Respekt, zu sentimental und moralisch. Bei Loriot „menschelt“ es nicht nur unverbindlich daher, sondern er zielt und trifft. Schon die steifen Posen des deutschen „Wirtschaftswunders“ hat er dem Gelächter preisgegeben. Und dabei wirkten seine Knollennasen-Männchen aus Büchern wie „Der gute Ton“ oder „Der Weg zum Erfolg“ doch so harmlos.

Was wirkliche Haltung und was bloße „Mache“ war, weiß der in Brandenburg geborene Sproß einer alten preußischen Offiziersfamilie gewiß haargenau zu unterscheiden.

„Man muß sich über alles wundem“

Mit solchem Gespür begabt, mußte man in den verdrucksten 50er Jahren nur noch mit offenen Augen durch die Welt gehen, um an jeder Ecke komische Situationen zu entdecken. Wenn sich gewisse Leute im Bewußtsein des „Wir sind wieder wer!“ reckten, so schrie das ja geradezu nach humoristischer Weiterverarbeitung. „Man darf nichts als selbstverständlich hinnehmen und muß sich über alles wundern“, so lautete eine von Loriots Humor-Regeln. So ist es.

Mit Cartoons und Sketchen in Fernseh-Sendereihen wie „Cartoon“ (ab 1967), „Telecabinet (ab 1974) oder „Loriot I bis VI“ (1976) erlangte er unverwüstliche Popularität. Endlich war da mal einer, der nicht die vordem landläufige, eher krachlederne Variante „deutschen Humors bediente! Loriot (französisches Wort für Pirol – der Vogel ist das Wappentier seiner Familie) dürfte Einflüsse ausgeübt haben, die etwa über die „Neue Frankfurter Schule“ (Robert Gernhardt & Co.) bis hin zur Kabarettszene neuester Prägung unterschwellig gewirkt haben.

Unvergeßliches TV-Requisit war jenes Gründerzeit-Sofa, auf dem Loriot mit gekräuselten Lippen seine Beiträge ansagte. Man fängt schon an zu grinsen, wenn man nur an all diese Szenen denkt, die längst zum Standard-Repertoire gehören. Da war z. B. jener Mann, der sich im Restaurant eine glühende Liebeserklärung abquält („Sagen Sie jetzt nichts, Fräulein Hildegard!“) und dabei einen Nudelrest in seinem Gesicht nicht bemerkt, während die Angebetete (Lieblings-Sketchpartnerin Evelyn Hamann) immerzu fassungslos dorthin starren muß.

Von der Gummiente zum Jodeldiplom

Urkomisch auch die Herren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner, die aus unerfindlichen Gründen in derselben Hotelbadewanne stranden und nun streiten, ob und wie man die Gummiente „zu Wasser lassen“ solle.

Man könnte endlos weiter memorieren: den ausufernden Streit zweier Ehepaare, die sich im Campingurlaub kennengelernt haben. Anlaß: jene Nachtisch-Leckerei namens „Kosakenzipfel“; das „Jodeldiplom“ für die unausgefüllte Hausfrau („Da hat man was Eigenes“); das Ehepaar Hoppenstedt und seine Chaos-Besuche beim Herrenausstatter oder in der Bettenabteilung. Es waren im Grunde kleine Tragödien einer allseits gründlich fehlschlagenden Kommunikation, die einen trübsinnig machen könnten, wenn bitterernste Autoren sie aufbereitet hätten.

Apropos Paare: Nicht nur bei den Hoppenstedts und der ehelichen Groteske ums Vierminuten-Ei erweist sich die tiefe Wahrheit der Loriot-Formel „Frauen und Männer passen eigentlich nicht zusammen“. Sie versuchen’s halt immer wieder, ob’s nicht doch geht…

Daß die von Loriot gezeichneten Maskottchen „Wum und Wendelin“ jahrzehntelang für die „Aktion Sorgenkind“ warben, haben wir bei all dem noch gar nicht erwähnt. Bayreuth-Stammgast Loriot hat zudem gelegentlich Opern inszeniert und zwei der erfolgreichsten deutschen Kinofilme der letzten Jahrzehnte gedreht, „Ödipussi“ und „Pappa ante portas“.

Die Ruhe, die er sich neuerdings antut, sei ihm von Herzen gegönnt. Doch wie schade auch, daß er, sich so zurückhält! Wir vermissen etwas.

Das ARD-Fernsehen bietet heute um 21.45 Uhr viel Prominenz auf, um Loriot gebührend zu gratulieren. Programmänderung: Um 23.45 Uhr schließt sich Theatermann August Everding als Solo-Gratulant an.




Ausblick ins Wunderbare – Neues Programm im Dortmunder „Luna“-Varieté

Von Bernd Berke

Dortmund. Wohin nimmt man Besuch von außerhalb mit, wenn man zeigen will, daß Dortmund eine „richtige Großstadt“ ist? Vielleicht ins Westfalenstadion. Doch es ist nicht immer Samstag, und Borussia-Karten sind rar. Na, dann eben in die Westfalenhalle. Oder aber: ins Variété „Luna“! So etwas hat beileibe nicht jede Gemeinde. Und dort gibt’s jetzt auch noch ein knackfrisches Programm.

„Live aus dem Luna“ lautet das Motto. Allabendlich kommen sogar die Typen eines (aktiven) Fernsehsenders, der die Show ausstrahlt und aufgekratzte Stimmung verlangt. Zwei schrille Regie-Helferinnen zeigen dem Publikum auf Täfelchen, was zu tun ist: „Applaus total!“ oder „Ausflippen!“ Wie es bei manchen echten Sendern eben so zugeht.

Das Variété hat gut spotten. Denn die Konkurrenz solcher TV-Mätzchen braucht man nicht zu fürchten. Die Zuschauer haben hier alles ganz nah vor Augen. Und nebenbei liegt das Genre auch im Trend des internationalen Theaters, das sich immer mehr circensische Elemente einverleibt.

Was also gibt es live zu sehen? Zum Beispiel das „Duo Nico“ aus Prag. Der junge Mann nimmt einen Dolch in den Mund und balanciert Trinkgläser auf dieses Messers schmaler Schneide. Wenn er den Dolch Spitze auf Spitze mit einem Schwert setzt und mit den wackligen Waffen gefährlich herumturnt, stockt dem Publikum der Atem. Seine Partnerin zeigt später, wie irrwitzig sie Dutzende von fluoreszierenden Hula-Hoop-Reifen kreisen lassen kann. Schön fürs Auge, hart für die Hüfte.

Triumph über die läppische Schwerkraft

Die beiden „Perris“ aus Rom führen Balanceakte an den Grenzen der Physik vor. So überaus schräg „klebt“ die Artistin droben an der Leiter, daß einem ein Sturz viel wahrscheinlicher vorkommt als das Gelingen. Toller Triumph über die scheinbar läppische Schwerkraft.

Für die komische Note sorgen – neben dem Berliner Conférencier Michael Genähr, der mit trockenem Charme durchs Programm führt – diesmal die „Stepinskis“. Die zwei Damen werden als VHS-Kursteilnehmerinnen aus Sprockhövel vorgestellt, kommen aber in Wahrheit auch von der Spree und sind natürlich alles andere als blutige Anfängerinnen. Bei ihren Stepptanz-Nummern gucken sie so begnadet blöd aus der Wäsche, daß man fast vergißt, wieviel Können in ihrer Darbietung steckt.

Fürs Übersinnliche sorgt der Bühnenzauberer Patrick Droude aus Paris. Sein Auftritt mit morbidem Beigeschmack ist ästhetisch so ausgeklügelt, daß er auch einen Weltstar „magischen“ Theaters wie Robert Wilson begeistern müßte. Eine Metallkugel, die wundersames Eigenleben entwickelt, und eine kerzengerade im Raume schwebende Frau – sie erscheinen nicht wie bloße Tricks, sondern wie Ausblicke ins wahrhaft Unerklärliche.

Übrigens: Zu einem Nonsens-Quiz werden jeweils zwei Leute aus dem Publikum auf die Bühne geholt. Bei der Premiere hat’s auch mich erwischt. Doch davon kein Wort mehr.

Luna-Varieté. Dortmund-Hombruch. Harkortstraße 57 a (Tel. 0231 / 77 31 96). Bis 29. Juni, Mi-Fr 20.00 Uhr, Sa 20 und 23 Uhr, So 15 und 19 Uhr.




Kleine Wunder – im Dortmunder „Luna“-Varieté

Charlie Chaplin in Dortmund? Quatsch! Stimmt natürlich nicht. Aber es gibt doch eine täuschend ähnliche „Wiedergeburt“.

„Chaplin“ ist ein Highlight im neuen Programm des Dortmunder „Luna“-Varietés. Knapp ein Jahr gibt es diese Stätte der schönen, so schwer erarbeiteten Leichtigkeit. Man mag sie nicht mehr missen.

Zurück zu Charlie: Hinter dem steckt der Schweizer Angel Emah. Der hat nicht nur das Aussehen, sondern auch die Bewegungsabläufe des weltberühmten Vorbilds bis ins Allerkleinste studiert. Was er im neuen Programm „Comedy? Varieté!“ zeigt, erscheint zunächst banal, ist aber subtil. Er holt sich Freiwillige aus dem Publikum und verwandelt sie mit sanfter Gewalt auf offener Bühne. Dem einen wird eine liebevolle Rasur verpaßt, dem anderen ein Toupet auf den Kopf gedrückt, dann werden die Jacken ausgetauscht usw. Nachher ist alles etwas schräg, aus der Ordnung gebracht- und der gewöhnliche Alltag wie weggepustet. Komische Poesie mit anarchistischer Würze.

Kleine Balance-Wunder vollbringt der Kanadier mit dem Künstlernamen „Mr. Pepper“. Er scheint die physikalischen Gesetze zu überlisten, indem er sich so fragile Brettergerüste baut, daß man meint, es müsse im Nu alles in sich zusammenstürzen. Doch dann steht der Mann plötzlich obenauf – und langt bis an die Spitze des Eiffelturm-Modells heran, das er hier aufstellen will.

Viel wäre zu erzählen von einem solchen Abend, dessen Reiz darin besteht, daß man dem Zauber so nah sitzt. Von den Einrad-Kunststücken des Italieners Paolo Bogino könnte man schwärmen, die waghalsige Sprungbrett-Akrobatik des rumänischen „Trio Valentino“ müßte man rühmen. Auch was Sandy Sun (Frankreich) am Trapez und die Spanierin Consuello Reyes beim Jonglieren vollbringen, zählt zur Sonderklasse.

Der einzige deutsche Mitwirkende, Conférencier Werner Rausch, verhaspelte sich zur Premiere ein paarmal. Gar nicht schlimm. Sobald er zeigen darf, was er sonst noch kann (nämlich jonglieren), redet er plötzlich mit sicherer Zunge. Auch er also: Körpermensch, kein Mundwerker.

Nächste Vorstellungen im „Luna“ (Dortmund, Harkortstraße 57a): 14.,15., 18., 19. Jan., 20 Uhr (sonntags auch 15.30 Uhr). Telefon: 0231/77 31 96.




„Tegtmeier“ lebt nicht mehr – Ruhrgebiets-Komiker Jürgen von Manger mit 71 Jahren in Herne gestorben

Von Bernd Berke

Für alle Auswärtigen war er die idealtypische Verkörperung des Ruhrgebiets-Kumpels: Jürgen von Manger, der mit 71 Jahren in Herne gestorben ist, erfand 1962 seine Figur „Adolf Tegtmeier“ – und verschmolz nahezu mit dieser Rolle.

Landauf landab verbinden die Menschen das Revier mit seinen Auftritten und glauben zu wissen, wie die Leute hierzulande reden. Was „Tegtmeier“ von sich gab, war allerdings niemals echtes Revier-Deutsch, sondern ein Kunstdialekt.

Tegtmeier war jener „kleine Mann“ von der Straße, der sich freilich bildungsbeflissen gab, sich möglichst gepflegt ausdrücken wollte – und dabei immer wieder in arge Sprachnöte geriet. Komischer Kontrast: Gerade wenn ihm eigentlich die Worte fehlten, war dieser Tegtmeier höchst mitteilungsfreudig. Und er hätschelte seine gesammelten Vorurteile, als seien es Weltweisheiten.

Mit Schiller trieb er besonders viel Schabernack

Besonders am hohen und pathetischen Ton eines Friedrich Schiller konnte sich dieser Tegtmeier regelrecht aufreiben. Unvergessen sein Bericht von einer „WaIlenstein“-Aufführung („Dat is von dem, der auch Schillers Räuber geschrieben hat“). Ähnliche Wirkung erzielte er mit eigenwilligen Deutungen von „Maria Stuart“ und ..Wilhelm Teil“.

Tegtmeier hatte natürlich auch das Patentrezept gegen jeden Bildungsballast parat: „Bleibense Mensch'“ empfahl er stets. Mit anderen Worten: Nur nicht zu weit abheben, alles halb so hoch hängen. Und das war nun wiederum ganz nach Art des Menschenschlags im Ruhrgebiet.

Jürgen von Manger stammte jedoch gar nicht aus dem Revier, er wurde am 6. März 1923 in Koblenz geboren. Seine Schulzeit erlebte er dann allerdings bereits in Hagen, wo er das Humanistische Gymnasium besuchte und im Jahr 1941 Abitur machte. Der Sohn eines Staatsanwalts studierte von 1954 bis 1958 in Köln und Münster Rechtswissenschaften, hatte aber zuvor schon erste Bühnenerfahrungen gesammelt, zunächst als Statist.

Nach einer soliden Schauspiel- und Gesangsausbildung wirkte er an den Bühnen in Hagen (bis 1947), Bochum (1947 bis 1950) und Gelsenkirchen (1950 bis 1963). Dabei spielte er auch unter dem legendären Bochumer Theaterchef Saladin Schmitt.

Die Markenzeichen gepflegt

Jürgen von Manger bekam im Theater zwar mitunter einige ernste Rollen, war aber schon bald als Spezialist für das Fach „Charakter-Komik“ gefragt.

Wie jeder bekannte Komiker, so pflegte auch Jürgen von Manger seine Markenzeichen. Da waren Schnauzbart und Kappe (die er angeblich wegen seiner „Maläste mitte Ohren“ trug), der immer irgendwie schiefgestellte, die Buchstaben geradezu genüßlich-quälerisch mahlende Mund, der so recht ahnen und mitfühlen ließ, wie Tegtmeier nach Worten rang, wenn er uns Gott und die Welt nach seinem Strickmuster erklären wollte; da war das listige Blinzeln unter den buschigen Augenbrauen, und da waren schließlich die immer wiederkehrenden Formeln und Floskeln wie das berühmte „Also äährlich!“

Hinter der etwas biederen Maskierung entfalteten sich manchmal ganz schön makabre Gedanken, zum Beispiel, wenn Jürgen von Manger einen seiner bekanntesten Sketche zum besten gab: den vom „Schwiegermuttermörder“. Dieser Mörder („Da hab‘ ich se gesäächt“) war weder teuflisch noch reumütig, sondern schilderte ganz beiläufig die Einzelheiten seiner Tat, so als gehe es um das Selbstverständlichste von der Welt. Es war übrigens eines der allerersten „Stücksken“ von Manger, mit dem er eigentlich nur die Wirkung beim Publikum testen wollte. Sie war durchschlagend, und er kam von der Figur nicht mehr los.

Makabre und peinliche Situationen

Manger ließ Tegtmeier fortan in alle möglichen und unmöglichen peinlichen Situationen geraten – von der Fahrschulprüfung („Hier hat die Omma Vorfahrt“) bis ins Eheinstitut (wo er eine Dame „mit dicke Oberaahme“ suchte), von der Delinquentenzelle bis in den Lehrgang für Unteroffiziere: „Womit wäscht sich der Soldat? – Mit Seife, Herr Unteroffizier! – Nein, mit nacktem Oberkörper.“ Tegtmeier geriet jedenfalls immer vom Regen in die Traufe, stolperte von einer Kalamität in die nächste. Doch er wurstelte sich immer irgendwie durch.

Großen Anklang fanden nicht nur Mangers insgesamt zwölf Langspielplatten, sondem auch seine Fernsehreihen wie zum Beispiel „Tegtmeiers Reisen“ mit gelegentlich hintersinnigen Plaudereien an den Orten des Massentourismus, wo er auch schon mal einen besonders schönen Kartoffelsalat und Übernachtungen in Jugendherbergen empfahl.

Im August 1985 erlitt Jürgen von Manger einen schweren Schlaganfall und war seither halbseitig gelähmt. Auch das Sprachzentrum wurde in Mitleidenschaft gezogen. Tapfer kämpfte er gegen die Krankheit an und hatte sogar schon bald wieder Pläne für neue Auftritte. Doch er mußte die Pläne aufgeben. Er hat sich nie wieder ganz erholt. Zuletzt lebte der Opern- und Antiquitäten-Kenner sehr zurückgezogen mit seiner Frau Ruth in Herne.




Lore Lorentz: First Lady des deutschen Kabaretts – „Kom(m)ödchen“-Gründerin starb mit 73 Jahren

Von Bernd Berke

Sie hat auf der Bühne so manche geschliffene Boshaftigkeit von sich gegeben. Doch zwei Dinge milderten noch ihre schärfste Kritik: ihr gespielt naiver Augenaufschlag und das „R“, das sie mit böhmischem Zungenschlag so herrlich rollen lassen konnte. Lore Lorentz, die mit 73 Jahren in Düsseldorf starb. war die First Lady der deutschen Brettlbühnen.

Die Wut aufs mißliche politisehe Getriebe, befeuert durch Zeitungen, die sie stapelweise las, hat sie lange jung gehalten. „Wir dürfen die Demokratie nicht verplempern“, das war ein Leitspruch. Die letzten Jahre waren freilich nicht mehr ihre Zeit. Wer sie im September 1993 auf ihrer Hausbühne, dem Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“ in dem Programm „Verfassungslos“ erlebte, sah eine gebrechliche, durch den Tod ihres Mannes gebrochene Frau. Bewegend der Moment, als sie mit großer Würde dennoch ihren kurzen Chanson-Auftritt absolvierte.

Sie kam bis zuletzt noch täglich ins „Kom(m)ödchen“-Büro, um nach dem Rechten zu sehen, doch die Leitung der Bühne hatte sie im letzten Sommer ihrem Sohn Kay Sebastian übertragen. Zuletzt bekundete sie vor allem ihre „ungeheure Angst“ vor einem neuen Nationalismus in Deutschland. Viele Vorgänge nach der deutschen Vereinigung waren ihr nicht recht geheuer. Sie fand, daß manches schlichtweg gar nicht mehr „kabarettabel“ sei.

Besonders in den 50er und 60er Jahren hatte sie noch ein ganz anderes Feld und kernigere Gegner vorgefunden. Da trafen etliche Spitzen gegen tiefschwarze Politiker wie etwa Franz-Josef Strauß. Die kleine Bühne von Lore und Kay Lorentz (er starb im Januar 1993) wurde zu einem Hort unbeugsam-kritischen Geistes in der Adenauer-Ära. Doch man fraß auch nicht den Sozialdemokraten aus der Hand, sondern erinnerte sie vielmehr hartnäckig an ihre „unverwirklichten guten SPD-Grundsätze“.

Zudem gelang eine Verbindung politischer Aussagen mit literarscher Qualität, wie sie in Deutschland sonst kaum zu finden war. Dafür sorgten nicht zuletzt die Stammautoren Martin Morlock und Eckart Hachfeld. Als studierte Germanistin mit Gefühl für die Feinheiten der Sprache hatte Lore Lorentz dabei mehr als ein Wörtchen mitzureden. Und ohne ihre Vortragskunst wären die besten Texte sowieso vergebliche Liebesmüh‘ gewesen.

Wie es so oft geschieht: Lore Lorentz, am 12. September 1920 als Tochter eines Ingenieurs in Mährisch-Ostrau (heute Ostrava/Tschechien) geboren, hatte durch Zufall zum Kabarett gefunden. Mit Ehemann Kay arbeitete sie 1946 für die Brettl-Bühne eines gemeinsamen Freundes – als Kassiererin. Erst als eine Darstellerin ausfiel, sprang Lore Lorentz ein und konnte zeigen, was in ihr steckte. 1947, in der zerbombten Altstadt von Düsseldorf, schlug dann die Geburtsstunde für das „Kom (m)ödchen“. Das erste Programm hieß „Positiv dagegen“. Zahlreiche Auslandsgastspiele machten die Truppe alsbald auch zu Botschaftern eines besseren Deutschland.

Lore Lorentz, die „mit freundlich-dankbarer Entschiedenheit“ das Bundesverdienstkreuz ablehnte, trat mehrfach auch in Produktionen des Düsseldorfer Schauspielhauses auf (z. B. als „Mirandolina“ von Goldoni, als „Jenny“ in Brechts „Dreigroschenoper“) und war ab 1978 zeitweise Professorin an der Folkwang-Hochschule in Essen. Dort unterrichtete sie die Fächer Chanson, Song und Musical. Kabarett brachte sie den Studenten allerdings nicht bei. Denn das, so meinte sie, „kann man nicht lehren.“




„Marktplatz Ruhrszene“: Literatur an der Wäscheleine, Schülerzeitung auf Video und vieles mehr

Von Bernd Berke

Bochum. Mit rund 150 Auftritten und Selbstdarstellungen in 80 Kojen hat von Freitag bis gestern der 4. „Marktplatz Ruhrszene“ etwa 9000 Besueher in die Bochumer Ruhrlandhalle gelockt. Vor zwei Jahren waren 12 000 Besucher in die Essener Grugahalle gekommen.

Die Talentbörse des Reviers wurde in Bochum erstmals auf drei Tage ausgedehnt. Am Freitag hatte der „Schulhof Ruhrszene“ Premiere, bei dem Schulklassen aus dem Revier ihre Künste vorführen konnten, darunter gar eine „Schülerzeitung auf Video“. Die jüngsten Teilnehmer des „Schulhofs“ waren 10 Jahre alt. Gestern wurde beschlossen, diese Talentprobe der Allerjüngsten zum festen Bestandteil des „Marktplatzes“ zu machen.

Neu gegenüber den ersten drei Marktplätzen in Dortmund, Essen und Hamm war auch die Einrichtung eines eigenständigen Literatur-Forums, als dessen sichtbarste Ankündigung eine 50 Meter lange „Wanne-Eickeler Literaturschlange“ auf einer Wäscheleine hing. Zwar etwas abseits im „Judo-Raum“ der Halle postiert, hatten die Autoren diesmal immerhin keine übermäßige Stimmgewalt nötig, um gegen die wieder besonders vielfältig vertretene Rockmusik anzukommen. Der Gelsenkirchener Arbeiterdichter Richard Limpert machte sich allerdings einen verbitterten Reim darauf: „Die Literaten sind geprellt, hinterm Lokus abgestellt“.

Auf der Bühne 3, die der Kleinkunst vorbehalten war, konnten am Samstag vor allem die Dortmunder Blasmusiker von „Atemgold“ und die Duisburger Travestie-Truppe „Pink Chatal Revue“ das Publikum für sich gewinnen. Exotisches war ganz offensichtlich „angesagt“.

Zwischen Bauchrednern, Clowns, Feuerschluckern, Kabarettisten, Musikern (von Rock bis Renaissance), Pantomimen, Puppenspielern, Tänzern und Zauberern aus dem Revier sorgten gestern unter dem Motto ..Szene der Nachbarn“ auch Amateure und Halbprofis aus anderen Ländern und Regionen für Abwechslung. Folkore aus der Türkei, Griechenland, Spanien und Afrika gehörten ebenso dazu wie etwa „plattdeutsche Disco-Musik“ made in Papenburg. Ziel des Veranstalters (Verein „Pro Ruhrgebiet“): Die Ruhr-Szene solle nicht ausschließlich „im eigenen Saft kochen“.

Für den „Marktplatz Ruhrszene“ muß, zumindest bei den Auftrittswilligen, kaum noch geworben werden. Dermaßen etabliert, wird sich der „Marktplatz“ allmählich auch selbst „historisch“. So kamen unter dem Titel „Ruhrszene-Spitze“ einige der erfolgreichsten Gruppen der letzten Jahre, darunter vor allem solche aus Dortmund („Ace Cats“, „Rocktheater Nachtschicht“, „Acoustic Groove Band“), erneut ins Programm.

Vom Erfolg der Letztgenannten können die meisten der über 1000 Mitwirkenden nur träumen. Immerhin war Fachpublikum (Konzertveranstalter, Plattenproduzenten) angereist, darunter – zur Überraschung aller – sogar Talentsucher eines belgischen Privatsenders namens „Distel“.




Kultur-Rummel mit Niveaugefälle – Dritter „Marktplatz Ruhrszene“ in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Hawaii-Klänge made in Duisburg, Karibik-Sound aus Dortmund – so exotisch kann’s im Revier zugehen, wenn der „Marktplatz Ruhrszene“ zum Kulturrummel bittet.

Regionaltypisch hingegen die Orte des Geschehens: die ehemalige Waschkaue und die Werkstatthalle der seit langem stillgelegten Hammer Zeche Maximilian wurden am Wochenende von über 1000 Mitwirkenden in einen betriebsamen Börsenplatz der heimischen Künste verwandelt. Doch der „Börsenkursindex“ deutete auf Stagnation. Die zum drittenmal vom Verein Pro Ruhrgebiet aufgezogene Veranstaltung war ganz offensichtlich nicht so verlaufen, wie die Vorgänger in Dortmund und Essen. Mögliche Gründe: Der Reiz des Erstmaligen ist verflogen, das Landesgartenschaugelände im Hammer Osten befindet sich in äußerster Randlage des Reviers, und das Wetter wollte auch nicht so recht mitspielen.

Präzise Besucherzahlen für den Marktplatz dürften diesmal nur geschätzt werden können (der Veranstalter spricht von 18 000), galten doch die am Wochenende verkauften Eintrittskarten sowohl für die Gartenschau als auch für das Kulturspektakel. Daraus resultierte immerhin eine erfreuliche „Durchmischung“ des Publikums: Viele, die ansonsten wohl selten mit Rockmusik oder freiem Theater in Berührung geraten, schauten bei Gelegenheit ihrer Gartenschau-Visite auch mal in die Hallen oder ließen sich zur „Aktionsmulde“ auf dem Freigelände locken.

Während die Waschkaue zwei Tage lang im Rhythmus aller möglichen (bisweilen unmöglichen) Spielarten von Rock- und Popmusik sanft erzitterte, ging es auf Bühne III in der Werkshalle quer durch den Garten der Epochen und Kulturen: von Barockmusik über keltische Lieder bis hin zu Schnulzen im Stil der vierziger Jahre, dazu jede Menge Theater – es gab beinahe nichts, was es nicht gab.

In 80 Marktkojen stellten sich überwiegend Literaten und Freizeitkünstler (Spannweite von Nippes bis zur Avantgarde) dar. Zur in Hamm beabsichtigten Gründung einer „Literatur-Initiative im Revier“ kam es wegen organisatorischer Probleme noch nicht.

Im hektischen Getriebe des Marktes blieb den meisten Beteiligten wieder nur Zeit für Stichproben ihres Könnens, und das vor einem Publikum, dessen Aufmerksamkeit vielfach zerstreut wurde. Dies und das beträchtliche Niveaugefälle waren einmal mehr der Preis für den ehrgeizigen Versuch, die Revierkultur binnen zwei Tagen massiv vorzuführen und dabei jedem etwas bieten zu wollen. Daß es auf einem „Marktplatz“ auch marktschreierisch zugehen muß – geschenkt! Werbemätzchen wie das Verteilen von Wegwerffeuerzeugen mit dem Namenszug einer Rockband aber erinnern eher an kulturferne Branchen der freien Wirtschaft. Manche bereichern eben nicht nur die Revierszene.




„Roncalli“ hält sich ans Erfolgsrezept – Clownsnummern als Höhepunkte

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer schon mal im „Circus Roncalli“ war, wird manches wiedererkennen. Auch die „Dritte und letzte Reise zum Regenbogen“, die derzeit im Zeit am Recklinghäuser Adenauer-Platz Station macht, führt durch ähnliche Gefilde wie ihre beiden Vorläufer. Warum hätte man auch das Erfolgsrezept – atemberaubende Artistik plus optische Opulenz plus einige Prisen populärer Poesie – entscheidend ändern sollen?

Am Zelteingang aus vollen Händen mit Konfetti beworfen (auch dies schon traditionell), finden sich die Zuschauer bald darauf im „Land des Drachens“ wieder. Der so betitelte, altchinesisch „angehauchte“ Teil des Programms, im Vorjahr Glanzstück der Show, wurde merklich gestutzt und büßt an Wirkung ein.

Weit stärker als vor Jahresfrist sind hingegen die Clownsnummern. Dies gilt vor allem für „David“, der als Fotograf und beim „Rendezvous“ mit einer ins Manegenrund geholten Zuschauerin für die Höhepunkte des Abends sorgt. In seinen allerbesten Momenten kommt er der legendär-chaotischen Komik der „Marx Brothers“ nahe.

Alle Zirkus-Standards sind vertreten: Magier, Seiltänzer, „fliegende Menschen“, Dressurreiterin und natürlich die „Rastellis“. Für meinen Geschmack wird im Verlauf des etwa dreistündigen Programms allerdings zu häufig jongliert. Mit immer anderen Gegenständen natürlich, doch irgendwann hat man halt die Variationsbreite solcher Kunststücke durchmessen. Die mit Raubkatzen und Bären (letztere an Stelle des Nashorns vom Vorjahr) vollführte Dressur bewegt sich zwar auch im Rahmen des Üblichen, fesselt aber – perfekten Sicherheitsmaßnahmen zum Trotz – durch jenen untergründigen Kitzel, dem man sich nie ganz entziehen kann.

Zur besten „Roncalli“-Tradition gehören die Übergänge zwischen furiosen und leisen Nummern sowie die mit überbordender, aber meist geschmackssicherer Phantasie entworfenen Szenerien und Kostüme. Eine Ausnahme bilden die drei Kraftprotze „Les Olympiads“ – lebende Bilder mit Anleihen bei der griechischen Antike, über den unpassenden Leisten der Pop-Art gezogen.