„Halt die Klappe, ich hab‘ Feierabend“ – Zum Tod von Franz Jarnach alias „Schildkröte“

"Schildkröte" (Franz Jarnach) 2014 im Eppendorfer Imbiss, dem Schauplatz der "Dittsche"-Reihe. (Foto: WDR / Beba Franziska Lindhorst)

„Schildkröte“ (Franz Jarnach) 2014 im Eppendorfer Imbiss, dem Schauplatz der „Dittsche“-Reihe. (Foto: WDR / Beba Franziska Lindhorst)

Nein, eine große schauspielerische Leistung musste er wahrhaftig nicht abliefern – und doch war’s unbedingt Kult, was er vollbrachte: Seit dem „Dittsche“-Sendestart 2004 hat er in Ingos Imbiss auf seinem Hocker gesessen und war einigermaßen zufrieden, wenn er möglichst in Ruhe sein Bierchen trinken konnte.

Ganz klar, wird reden von „Schildkröte“, dem massigen Mann, der (laut Rollenlegende) tagsüber im Baumarkt an der Säge stand und abends halt die Schnauze gestrichen voll hatte. Nur manchmal, wenn’s Bademantelträger „Dittsche“ (Olli Dittrich) mit seinen „Weltideen“ gar zu bunt trieb, konnte auch dieser große Unbewegliche sich ein Lachen nicht verkneifen.

Doch wenn „Dittsche“ ihn am Schluss jeder Episode noch einmal direkt ansprach („Mein Krötenmann“), um vor allem Zustimmung zu seinen kruden Einfällen zu erheischen, dann sprach „Schildkröte“ immer und immer seinen legendären Satz: „Halt die Klappe, ich hab’ Feierabend!“ Damit war dann alles gesagt.

Über die vielen Jahre hinweg hat sich sein Verhaltensrepertoire denn auch kaum gewandelt. Da war es schon ein kleiner Umsturz der Gewohnheiten, als im Imbiss Rauchverbot eingeführt wurde. Zuerst musste „Kröti“ draußen paffen, dann ließ er es schließlich ganz bleiben.

Bürgerlich hieß „Schildkröte“ Franz Jarnach, er hatte als Musiker einiges vorzuweisen. Unter anderem war er als Pianist bei der frühen Deutschrock-Formation „Rattles“ zugange, aber auch mit Leuten wie Roland Kaiser und Jürgen Drews ist er aufgetreten. In den letzten Jahren musizierte der 1944 in Bonn/Bad Godesberg geborene Sohn eines Musikprofessors unter dem Künstlernamen „Mr. Piggi“.

Als „Schildkröte“ sollte er zum Schluss ein Mittfünfziger sein, im „wirklich wahren Leben“ (Untertitel von „Dittsche“) war er schon ein wenig älter. Jetzt ist Franz Jarnach mit 72 Jahren nach einem Klinikaufenthalt in Hamburg gestorben. Man vermag sich noch gar nicht vorzustellen, wie die Reihe (neue Folgen ab März geplant) ohne „Schildkröte“ fortgesetzt werden kann.

Nun ja. Wahrscheinlich wäre ihm ein solcher Nachruf auch schon zu viel Gedöns gewesen. Nicht, dass er noch aus dem Jenseits knurrt: „Halt die Klappe, ich hab’ Feierabend!“




Galaxie Schrebergarten in Sicht: Raumschiff Geierabend auf „Planet Pott“ gelandet

Dortmund, wir haben kein Problem. Die Premiere ist geschafft. Das inzwischen 25 Jahre alte Raumschiff Geierabend begibt sich diesmal auf die „Mission Planet Pott“, so das diesjährige Motto des Geierabend-Teams unter der bewährten Regie von Günter Rückert. Direkt hinter der Galaxie Schrebergarten landet das Ensemble auf Zeche Zollern für einen furiosen Auftakt im Astronauten-Look.

"Der Steiger" Martin Kaysh im Raumfahrer-Outfit. (© StandOut)

„Der Steiger“ Martin Kaysh im Raumfahrer-Outfit. (© StandOut)

Der Geierabend ist aus dem alternativen Ruhrgebiets-Karneval nicht mehr wegzudenken, genau wie sein moderierender „Steiger“ Martin Kaysh, auch wenn dieser direkt zu Beginn mit seinem Abgang droht – kann man doch auf der Route der SPD-Kultur so viel mehr Öcken anstrengungslos mit ein paar Vorträgen einsacken.

Einstweilen aber führt Kaysh, mittlerweile sogar Ehrenhauer auf Auguste Victoria, gewohnt spitzzüngig souverän durch den Abend. Von seinen punktgenau sitzenden Seitenhieben bleiben weder das „Rum-Geluthere auffem Weg zum Kirchentach“ noch das NRW-Abitur oder die Fußballer, die so viel verdienen, dass sie sich jedes Jahr einen eigenen Phoenixsee kaufen könnten, verschont.

Aus Rashid wird ganz fix der Ralle

Im Programm sind es dann doch eher nicht so die unbekannten Weiten, die das Raumschiff Geierabend erkundet. Auch wenn es einen Abstecher „wacker na Rakka“ gibt, bleibt man doch eher auf der Südtribüne und anderen bewährten Locations aussem Pott und umliegenden Dörfern wie dem sauerländischen Schnöttentrop. Dessen Bauernschaft sorgt mit seiner pragmatischen Lösung der Integrationsfrage für den ersten Höhepunkt des Abends. Schon auf dem fliegenden Teppich wird aus Rashid Alfonso der Ralle und die Scheherazade muss sich wohl an den Kosenamen Resi gewöhnen. Geht doch. Läuft in Schnöttentrop.

Szenenbild aus dem "Promi-Himmel" (ç StandOut)

Szenenbild aus dem „Promi-Himmel“ (© StandOut)

Andere Nummern hingegen laufen eher langatmig. So zeigt sich bei der Präsentation der AfD-Wahlkampf-Geschenke schnell, dass diesem Trupp mit normalen Kalauern nicht beizukommen ist. Das Lustigste an diesem Sketch ist noch der blinkende Schriftzug, dem mit schöner Regelmäßigkeit das R und das T abhanden kommt und so aus der selbsternannten Alternative eine alte Naive macht.

Diagnose Bademantel

Gleichermaßen einfallslos in die olle Kamellenkiste greifend präsentieren sich das Wahlbüro inne Kneipe oder die wirklich trutschigen Tannen im Dialog mit den Piss-Bäumen der Nordstadt. Auch die im Vorjahr gefeierte You-Tuberin Fiffi kann aus dem inhaltsbefreiten Geschwurbel der gutverdienenden Jugendkanäle nichts Humoriges zaubern. Bei diesen Nummern könnte die eine oder andere Umlaufbahn durchaus abgekürzt werden oder wie der Steiger es sagen würde: „Manchmal ist Bademantel schon die ganze Diagnose“.

Immer am Ball: die Zwei vonne Südtribüne (Franziska Mense-Moritz, Hans Martin Eickmann). (© StandOut)

Immer am Ball: die Zwei vonne Südtribüne (Franziska Mense-Moritz, Hans Martin Eickmann). (© StandOut)

Zeit, das Publikum aufzuwecken mit dem Pannekopp des Tages. Zur Wahl für den schwersten und unbeliebtesten Karnevalsorden der Welt steht – tadaaa! – Frauke Petry. Erstaunlicherweise hat auch diese Dame sich um das Revier verdient gemacht: Mit der Erfindung der mobilen No-Go-Area, welche die Dame selbst in Bergkamen verortete, die aber in Wirklichkeit immer da ist, wo Frau Petry ist.

Erwartungsgemäß gewann sie eindeutig, wohl auch, weil ihr „Gegner“ NRW-Verkehrsminister Michael Groschek für den wundersam durch Aufkleber wiederauferstandenen RRX (Rhein-Ruhr-Express) nicht ganz so starke Geber-Qualitäten aufweist. Es darf befürchtet werden, dass die Frau(ke) es bis in die Endauswahl schafft und schmerzbefreit anreist, um den Preis anzunehmen. Doch man gibt sich zuversichtlich: „Mit der werden wir auch noch feddich“.

„Make Bottrop great again“

Während die Panneköppin des Abends eher hämische Reaktionen auslöste, rief die ihren Kummer ersäufende Freiheitsstatue Begeisterungsstürme hervor. Die Arme wurde von einem Ganzkörper-Doppelkinn und dessen Politik ausse Unterbuxe vom Sockel gerissen und auch sonst will sie niemand haben. Bis auf den Moviepark, in dem sie ihr Dasein als Bergarbeiter-Mantra (Auffe Zeche, aumPütt, auffe Schicht, im Streb, am Malochen usw.) aufsagende 450-Euro-Jobberin fristet. „Make Bottrop great again“. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass das jüngste Ensemble-Mitglied Sandra Schmitz dem Publikum hier mal ganz genau zeigt, wo der Mottek kreist.

Die Freiheitsstatue kann sich nur noch besaufen. (© StandOut)

Wennn dieser Donald (Martin F. Risse) auftaucht, will sich die Freiheitsstatue (Sandra Schmitz) nur noch besaufen. (© StandOut)

Als eine der wenigen Neuerungen gönnt man sich im Jahr des silbernen Dienstjubiläums eine Saalwette. Wetteinsatz: eine „24Stunden-Chaos-und-Konfetti-Blitztour“ durch alle 53 Orte des Ruhrgebiets – wenn in dieser Session wirklich Besucher aus jeder Stadt des Ruhrgebiets kommen. Zur Premiere wurde Gelsenkirchen kontrolliert. Schalker werden in Dortmund als Publikumsopfer ja immer gerne genommen. Die königsblauen Gäste nahmen es sportlich und trösteten sich mit dem zu ihren Ehren schnell laminierten Spontangedicht.

Ruhries in der Notaufnahme

Publikumslieblinge sind am Premierenabend Murat Kayi, der wirklichkeitsnah als ambitionierter Trainer des Tus Krackel gegen die Trägheit seiner Kevins und deren Pokemon-Jagdfieber kämpft und die bei jedem Auftritt bejubelte großartige Franziska Mense-Moritz, die im übrigen auch für die aufwändigen Kostüme verantwortlich zeichnet. Ihre wandelnde Raucherecke mit Helmut-Schmidt-Gedächtnis-Fotto hat diesmal Bandscheibe. Macht aber nix, so hat sie wenigstens die Gelegenheit, das Treiben schräger Ruhries in der Notaufnahme zu studieren.

Und wer es aus der Notaufnahme nicht mehr hinaus schafft, kann sich das Promi-Catchen im Himmel begucken. Mit dieser Nummer endet das gut dreistündige Programm, das gesamte Ensemble schwingt noch einmal seine untoten Knochen und singt (zur Melodie von „Knockin‘ on Heavens Door“) „Gott iss datt ganz egal, wer kommt“. Ja, nee, iss klar.

Enormer Aufwand

„Fleiß kannsse vortäuschen, aber faul musse schon sein“ – die Weisheit der zwei „Stehplatz-Paselacken vonne Südtribüne“ hat sich bis zum Geierabend-Team noch nicht herumgesprochen. Es ist ein enormer Aufwand, der für das dreizehnköpfige Ensemble betrieben wird, um nicht nur den Karneval auf’s Korn zu nehmen.

Nicht alles dabei ist witzig, manches kommt eher als magere Astronautenkost daher. Man merkt schon, dass derzeit die Realität oft genug die höchste Form der Groteske ist und Satire gar nicht mehr überzeichnen kann, weil es absurder kaum noch geht. Schade auch, dass das eigentlich dankbare Motto von der „Mission Planet Pott“ im Laufe des Abends immer seltener aufgegriffen wird. Alles in allem aber bleibt der Geierabend ein in diesen „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Zeiten ein dringend benötigtes Korrektiv im Revier – und ein großer Spaß.

Auf der Dortmunder Zeche Zollern ist noch bis Ende Februar Geierabend. Tickets und weitere Informationen über Geierabend.de




Mit Flummi im Spiegelzelt – Torsten Sträter beim Dortmunder Festival RuhrHochDeutsch

Soziale Netzwerke, insbesondere Twitter, werden ja oft als virtueller Marktplatz sich unreflektiert aufschaukelnder Erregungstumulte rund um einen griffigen Hashtag wahrgenommen. Im medial nicht so aufgeblasenen Bereich der Twittergemeinde ermöglicht es aber gerade diese Hashtag-Kultur, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen über das, was man mag; was man gerne liest, guckt, hört oder auch, worüber man lachen kann.

Zunehmender Beliebtheit bei den manchmal mit einem recht eigenwilligen Humor gesegneten Twitter-Nutzern erfreut sich seit einiger Zeit der Waltroper Torsten Sträter. Was also lag näher als ein Ruhrpott-Twittertreffen mit einem Abend im Dortmunder Spiegelzelt bei Sträters Auftritt im Rahmen des Festivals RuhrHochDeutsch zu kombinieren?

Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt

Begegnung nach seinem Auftritt: Torsten Sträter im Dortmunder Spiegelzelt. (Foto: Michael Reimann)

Nicht alle Besucher kamen wie wir mit einem großen Begeisterungs-Vorschuss. Man hörte im Biergarten durchaus Stimmen à la „Hoffentlich gibt datt watt, hoffentlich liest der nich nur stur ab“. Aber etwaige Bedenken dürften schnell hinweg gefegt gewesen sein. 10 Minuten nach Beginn seines neuen Programms „Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein“ war der auf’s Zeltdach trommelnde Regen nicht mehr zu hören. Gut, Heimspiel könnte man sagen. Aber bitte, wer ist kritischer als die eigene Nachbarschaft? Eben.

Schnell bestätigt sich der bisher nur am Bildschirm gewonnene Eindruck: Sträter funktioniert am besten als Gesamtkunstwerk. Um das „Hoffentlich liest der nicht stur ab“ des Bedenkenträgers aufzugreifen: Ja, stimmt. Sträters Texte sind für sich genommen nur mäßig witzig, liest man sie in gedruckter Form selbst, reißt es einen nicht unbedingt vom Hocker. Trägt Sträter sie aber mit seiner unnachahmlichen Intonation vor, bettet er sie gar ein in einen frei vorgetragenen Kontext, dann hebt sich dieses Gesamtkunstwerk sehr wohltuend ab von dem, was einem sonst gerne als Kabarett verkauft werden soll. Nicht nur in diesem Punkt fühlt man sich im Laufe des Abends des öfteren angenehm an Fritz Eckenga erinnert. Möglicherweise gibt es ja so etwas wie eine Dortmunder Schule des Humors. Weiß man da Näheres?

König der Abschweifungen

Rund um die vorgelesenen Texte ist Torsten Sträter der ungekrönte König der Abschweifungen, was aber gerade den besonderen Reiz ausmacht. Man weiß nie, wo er hin will oder auch nur im Ansatz, was als Nächstes kommt. Ist er jetzt noch in Torgau beim Probelauf oder verlobt er sich gerade mit seinem Urologen? Vom Hölzken auf Stöcksken zu kommen und dann nach fast 3 Stunden den Kreis geschmeidig mit einem Flummi zu schließen – das muss man erstmal können. Sträter kann das und zwar so, dass das Publikum gleichermaßen verblüfft und begeistert verharrt. Zaubern mit Worten oder wie Sträter es nicht ohne Stolz formulierte: „Hab ich schick zusammengehäkelt, ne?“

Politisches Kabarett ist seine Sache nach eigener Aussage nicht, dennoch haben viele seiner Texte eine zumindest gesellschaftspolitische Aussage. So wie der Text, in dem er einem mit ihm befreundeten syrischen Flüchtling erklärt, wie Deutschland funktioniert und dabei die unguten „das wird man ja wohl noch sagen dürfen Vorurteile“ ganz geschickt umadressiert. Möglich, dass die Subtilität dieses Textes mehr bewirkt als fromme Lippenbekenntnisse aus der Politik. (Hoffen kann man ja)

Nicht nur mit diesem Text hält Sträter seinem Publikum den Spiegel vor. Wiedererkennungswert seiner Programme: höher geht nicht. In beide Richtungen. Zum einen erkennt der Zuhörer sich selbst wieder, zum anderen aber ertappt er sich dauernd bei den alltäglichsten Dingen, dabei an Sträter zu denken. Es soll Leute geben, die nicht ein einziges Hemd mehr ohne die Beschwörungsformel KSRKBÄM bügeln, Und falls es jemand interessiert: Ich habe mir heute mehr als einmal ein „Ey, datt iss ein Fahrradweg“ verkniffen. Bitte gerne.

Unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus

Sträter beherrscht die ganze Palette vom eher grobschlächtigem Humor mit und ohne Storno bis hin zu den leiseren Tönen. Wenn man genau hinhört, dann kann man zwischen den Zeilen den Poeten hören. Sträters Anfänge in der Wortkunst wurzeln ja auch dort: Im Poetry Slam. Damit wurde er erstmals vor Publikum bekannt, da kommt er her. So die Geschichte über seine Afrika-Reise: So witzig sie zwischenzeitlich daherkam, so kleidsam der Hut, so gelungen die Pointe auch war: Man war auch berührt von dem, was er erzählte, man merkte gut, wie sehr ihn das dort Gesehene bewegte. Die Balance zwischen Witz und leisen Zwischentönen hält er durch, auch für Sträter scheint Satire eine Möglichkeit zu sein, den Absurditäten des Lebens zu begegnen. Entweder man verbittert oder man lacht darüber.

Und selbst wenn Torsten Sträter sich geschmeidig in New York bewegen kann, ganz klar ist er ein Ruhrpottjunge. Seine Sprache ist die der Menschen hier, sein Humor ebenfalls. Umso schöner, dass es auch außerhalb des Reviers funktioniert. Humorvoller, unaufgeregter Ruhrpott-Pragmatismus kann der Republik nicht schaden. Auch im entspannten After-Show-Gespräch ist es ganz einfach, in ihm den gelernten Herrenschneider von „umme Ecke“ zu sehen. In diesem Sinne „Glückauf“ für seine Sendung „Männerhaushalt„, die – wie er uns noch verriet – ab November im WDR in Serie geht.

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Mehr über ihn auf seiner Webseite. Alle Termine finden sich hier.




Jan Böhmermann ist zurück – Und? Hat er es etwa wieder getan?

Ach, du Schreck: Jan Böhmermann ist wieder da! Nach langer, langer Sommer- und Nachdenk-Pause hat er soeben mit dem „Neo Magazin Royale“ im Minderheitenkanal ZDF Neo seinen neuerlichen Einstand gegeben.

Und? Hat er? Nein, nichts da. Keine Witze über die Türkei und ihren übergroßen Vorsitzenden; lediglich eine vage Anspielung auf gehabte Schmähungen. Er will ja auch keinen juristischen Kamikaze verüben.

Jan Böhmermann - Screenshot aus seiner Sendung "Neo Magazin Royale" im Kanal ZDF Neo. (© ZDF Neo)

Jan Böhmermann – Screenshot aus seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 25. August 2016 im Kanal ZDF Neo. (© ZDF Neo)

Ansonsten stilisierte sich „Böhmi“ als munter drauflos rappender „blasser dünner Junge“, der halt seinen Job macht. Natürlich immer medial ganz vorn, virtuos die entsprechende Klaviatur bedienend; stets von der Meta-Ebene herab die Zeichen der Zeit wie im Fluge betrachtend. Hellwach, hochintelligent, funkelnd, kaum zu fassen, immer schon eine Umdrehung weiter, versteht sich. Ob es nun jeden Gag versteht oder nicht: Das Studiopublikum dankt es mit enthemmtem Gekreisch. Das muss dann wohl so sein.

Böhmermann führte eine mindestens dreifach pirouettenhaft eingesprungene, vielfach gewundene Klage über das diesjährige Ausbleiben eines journalistischen Sommerlochs. Da ist er schon mal einige Wochen lang nicht auf Sendung – und dann passieren haufenweise Sachen. Sachen! Unglaublich. Von Gabriels Stinkefinger über Gina-Lisa L., zu der er trotz allem unverbrüchlich halten möchte („ob sie will oder nicht“) – bis hin zu den Hamsterkäufen. Österreicher, so Böhmermann, haben allerdings für derlei gehortete Vorräte keinerlei Platz im Keller, weil… O, wie böse. Nein: pöse.

Es gibt keinen, der so gekonnt zwischen mimischer Verkrampfung und Lockerung schwankt. Überhaupt tobt er sich in Widersprüchen aus: Erst nennt sich Böhmermann postfeministisch und rühmt sich, mehr als die Hälfte seiner Redaktion bestehe nun aus Frauen, dann grüßt er die „geilen Fotzen“ da draußen vor den Bildschirmen. Bei all den inflationären Fick- und Wichs-Ausrufen ist freilich ein Ende absehbar. Das kann man nicht auf ewig strapazieren. Meine bescheidene Prognose: Böhmermann wird schließlich wohl völlig keusche Statements von sich geben müssen. Tourette hat keine Zukunft. Mag aber auch sein, dass solche Vorhersagen per se verfickte Scheiße sind. Äh…

Gast der Sendung war übrigens der CDU-Mann Wolfgang Bosbach, der just seinen Abschied aus der Bundespolitik verkündet hat. Höchst eigenhändig bügelte ihm Böhmermann Logo-Patches der Talkshows auf eine Rockerkutte, die der umtriebige Bosbach in den letzten Jahren heimgesucht hat. Und das waren etliche. Die zugehörigen Dialoge waren eher putzig, es kam nicht allzu viel dabei heraus. Wir werden doch nicht etwa ausgerechnet jetzt, da der (heiße?) Herbst sich ankündigt, verspätet im Sommerloch gelandet sein?




Ein gar zu derber Gag von Bruno Knust

Der altgediente Comedian Bruno Knust (61) gilt nicht wenigen Leuten quasi als „Vorzeige-Dortmunder“.

Bruno Knust im Jahr 2007 bei einem Auftritt in seinem Dortmunder Theater Olpketal. (Foto: http://www.guenna.de - Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Bruno Knust im Jahr 2007 bei einem Auftritt in seinem Dortmunder Theater Olpketal. (Foto: http://www.guenna.de – Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

So manche Stadtbewohner nehmen Besucher von außerhalb mit in Knusts Vorort-Theater Olpketal, um den staunenden Gästen vorzuführen, wie der Ruhri allgemein und speziell der Dortmunder so tickt. Meinetwegen. Aber ich und wahrscheinlich auch etliche andere möchten da nur sehr bedingt mitgemeint sein.

Wer sich in Dortmund dermaßen hervortut und zeitweise auch noch Stadionsprecher beim BVB gewesen ist, findet rasch Einlass beim lokalen Presse-Monopolisten Ruhrnachrichten (RN). So hat Bruno Knust alias „Günna“ dort seit geraumer Zeit eine eigene Samstags-Kolumne mit leidlich lustigen Witzeleien der westfälisch-ruhrigen Machart. Klar, dass Knusts Bühnenauftritte in dem Blatt auch besondere Beachtung finden. So beispielsweise heute wieder, wo sein gemeinsamer Auftritt mit Lioba Albus beim Humor-Festival Ruhrhochdeutsch gewürdigt wird – gerade mal zwei Lokalseiten nach seiner besagten Kolumne.

Wenn die Besprechung die Wahrheit wiedergibt (woran wir nicht zweifeln), so hat sich Bruno Knust, der eh gerne reihenweise derbe Gags `raushaut, eine üble Geschmacklosigkeit erlaubt.

Obwohl Matthias Sammer auch mal als Spieler und Trainer beim BVB aktiv war, bin ich wahrhaftig kein Anhänger des vormaligen Sportdirektors von Bayern München. Doch einen brunzdämlichen, menschenverachtenden Brüller wie diesen „Scherz“ über Sammer sollte man keinesfalls in die Welt setzen: „Als Kind war er so hässlich, dass man ihn in die Babyklappe hätte werfen müssen – von innen!“ So zitieren die RN den naturgemäß bildschönen Bruno Knust – ohne jeden kritischen Unterton.

Wenn man nun noch weiß, dass Sammer seinen Bayern-Posten kürzlich wegen einer ernsthaften Krankheit (Durchblutungsstörung des Gehirns) aufgeben musste, dann wird Knusts Invektive vollends abgründig. Der Dortmunder Spässkenmacher sollte künftig unbedingt darauf verzichten.




„The Awful German Language“ – Wie Mark Twain über die deutsche Sprache wetterte

Das überreicht womöglich der feixende Englischlehrer seiner Kollegin vom Fach Deutsch: Das schmucke Geschenkbändchen „The Awful German Language“ enthält Mark Twains legendäres Pamphlet gegen die deutsche Sprache; natürlich nicht im fürchterlichen Deutsch, sondern im nahezu makellosen Englisch.

Nur 40 Seiten schmal ist die No. 1419 der Insel-Bücherei. Mark Twain (1835-1910), dem das Erlernen des Deutschen offenkundig recht schwer gefallen ist, zieht kräftig vom Leder. Er wettert über den Treibsand der Regellosigkeit, der einen an diesem Idiom verzweifeln lasse.

19419

Wie froh konnte der Mann sein, wäre doch um ein historisches Haar beinahe Deutsch die Kernsprache der Vereinigten Staaten geworden – und nicht dieser seltsame Seemannsdialekt, den ein gewisser Shakespeare und ein paar andere noch halbwegs hochgejazzt haben. (*zwinker, zwinker*).

Besonders die Artikel „der“, „die“ und „das“ regen den literarischen Vater von Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf, während es doch im Englischen bekanntlich schon mit „the“ getan ist. Ein deutschsprachiger Mann, so polemisiert der, die oder das Twain, könne sich seiner Geschlechtsmerkmale niemals sicher sein, werde doch jeder Körperteil völlig willkürlich als männlich, weiblich oder sächlich markiert. Auf diese Weise werde der Herr der Schöpfung zur „ridiculous mixture“. Hat Mark Twain etwa unter linguistisch induzierten Kastrationsängsten gelitten?

Um die Sprache Goethes zu demaskieren, pfropft er spaßeshalber einer englischen Geschichte eine vermeintliche deutsche Sprachstruktur auf. Das Resultat klingt wunschgemäß steif und lächerlich. Was zu „beweisen“ war.

Mit Mehrfach-Bedeutungen und irritierenden Anklängen plagt er sich ebenso wie mit dem Satzbau, bei dem die Verben weit hinten zu finden sind. Auch machen ihm schier endlos und offenbar nach Gutdünken gereihte Wörter zu schaffen, die in keinem Lexikon stünden („Kinderbewahrungsanstalten“, „Waffenstillstandsunterhandlungen“). Auch sonst findet er für all seine Behauptungen leidlich witzige Beispiele, ganz nach dem Motto: je ungerechter, umso lustiger.

Andererseits könne man, so Samuel Langhorne Clemens (bürgerlicher Name von Mark Twain) schelmisch, getrost komplette Konversationen mit den Wörtern Also, Zug und Schlag bestreiten, die in allerlei Zusammensetzungen immerzu wiederkehrten.

Überraschend sein Befund, das Englische sei ungleich kraftvoller, während das Deutsche sich geradezu säuselnd sanft anhöre. Als Beispiele führt er „milde“ Ausdrücke wie etwa Schlacht und Gewitter an. Vom Blitzkrieg wusste er freilich noch nichts. So lässt er auch als raren Vorteil des Deutschen gelten, dass es für die Bereiche Natur, Liebe, Frieden und Ruhe passende Worte bereithalte. Hört, hört! Wahrscheinlich hatte Mark Twain noch Dichtungen der deutschen Romantik im Ohr. Ein Vorzug gegenüber dem Englischen sei zudem, dass die deutsche Aussprache weitgehend dem Schriftbild folge. Immerhin.

Schließlich schlägt Mark Twain kurzerhand noch eine reichlich rabiate Reform des Deutschen vor, das andernfalls zur toten Sprache degenerieren müsse: Dativ weg, Verben weiter nach vorn, kürzere Wörter, möglichst viele Vokabel-Importe aus dem Englischen (!) und Abkehr vom verwirrenden Der-die-das. Da müsste man nur noch ein Volk gefunden haben, das sich an diese Vorgaben gehalten hätte. Man hätte nur auf Mark Twain hören müssen – und schon… – ja, was?

Übrigens: Gar so schlimm kann es mit dem Deutschen dann auch wieder nicht gewesen sein. Mark Twain lebte in den 1890er Jahren für einige Monate in Berlin („luminous centre of intelligence […] a wonderful city“) und ließ seine Töchter dort studieren. Hernach zog es ihn auch nach Wien. Man gäbe was für Tonbänder, auf denen zu hören wäre, wie er – verschmitzt und zornig zugleich – im Deutschen radebrecht.

Mark Twain: „The Awful German Language“. Insel-Bücherei No. 1419. Englischer Originaltext. 40 Seiten. 10,95 €.




Bonus für Euch: Auch heute wieder ohne Kommentar zur „Causa Böhmermann“!

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(Foto: BB)

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Apps mit Adolf

Schock beim Download: "Er ist wieder da..." (Screenshot: BB)

Schock beim Download: „Er ist wieder da…“ (Screenshot: BB)

Hat das eigentlich noch niemand bemerkt und gegeißelt?

Wie, was, wo, warum? Ja, was, ich werd‘ euch sagen, was: Immer dann, wenn man eine App herunterlädt und beim Vorgang warten muss, taucht zwischendurch unversehens ein Hitler-Piktogramm auf – mit stilisierter Andeutung des berüchtigten Haarschnitts und des widerlichen Schnauzbarts. Wer’s nicht glaubt, sehe selbst. Man erlebt sein blaues Wunder. Screenshots lügen nicht.

Da hört sich doch alles auf! Gibt es denn wirklich keine unverfängliche Zeichensprache für den Download?

P.S.: Man macht mich darauf aufmerksam, dies sei ein reines Apple-Phänomen und komme so nur bei iPhone und iPad vor. Mag sein. In der Android-Welt bin in nicht daheim. Dann können wir aber auch schon ein Zusatzthema herbeiquälen. Apple hatte sich – aus welchen Motiven auch immer – jüngst geweigert, den US-Behörden beim Hacken eines Handys zu helfen, das einem toten Terroristen gehört hatte. Somit drängt sich die Frage auf: Was ist los in Cupertino?




Familienfreuden XX: Die Spielzeug-Sekte

Das "richtige" Spielzeug. (Bild: Albach)

Das „richtige“ Spielzeug. (Bild: Albach)

Kinder sind Ideologie pur. Und seitdem Fiona da ist, weiß ich: Die Kampflinie verläuft zwischen Plastik und Holz!

Es war auf den Straßen von San Francisco, Fiona schlummerte selig in ihrem Kinderwagen, als uns eine Frau freundlich ansprach: „Sorry, are you from Germany?“ Normen und ich schauten uns erstaunt an: Wir waren es schon gewohnt, dass wir, kaum dass wir den Mund aufmachten, als Deutsche identifiziert wurden, aber just in diesem Moment hatten wir golden geschwiegen. Woran sie denn das erkannt habe, fragten wir neugierig. Zielsicher und mit breitem Grinsen zeigte sie auf die Spielzeugkette, die an Fionas Kinderwagen baumelte. Sie war – aus Holz. „In the US, this would be plastic!“

Niemals hätte ich gedacht, dass meine Nationalität einmal am Spielzeug unserer Tochter ablesbar sein würde. Bunte Bilder von aufblasbaren Eiffeltürmen, Spaghetti aus Stoff oder Holz-Frikandeln futschen durch meinen Kopf – willkommen in Klischeetanien!

Demarkationslinie zwischen Holz und Plastik

Dabei muss ich der spielzeugweltgewandten Dame doch entschieden widersprechen – schließlich gibt es sie auch in Deutschland selbst, die ideologische Demarkationslinie zwischen Plastik- und Holzspielzeug. Und noch vor einigen Jahren wäre ich selbst fahnenschwingend und „Ostheimer“-rufend für Holz als einzig echten, wirklich wahren Spielzeug-Werkstoff auf die Barrikaden gegangen.

Inzwischen bin ich da vorsichtiger geworden. Denn inzwischen bin ich ihr begegnet: der Spielzeug-Sekte.

Ein Graus!

Es war zu Fionas erstem Geburtstag. Meine Schwiegermutter wollte Fiona unbedingt eine Puppe schenken. Sie hatte eine diese ganz klassischen Babypuppen ausgesucht – für mich ehrlich gesagt ein Graus! Ich gestand ihr meine Aversion mit Bauchschmerzen. Sie reagierte ganz entspannt: „Dann such‘ Du doch einfach eine aus!“

Erleichtert ging ich in die Stadt. Dort hat man die Auswahl zwischen zwei Spielzeugläden – und zwei Weltanschauungen: Der eine hat sich auf das qualitativ hochwertig, pädagogisch wertvolle Spielzeug spezialisiert. Der andere verkauft einfach alles, was der Markt hergibt. Meine Schwiegermutter hatte sich für die gute Seite der Macht entschieden. Dachte ich.

Mission Umtausch

Ich betrat den Laden, ohne zu ahnen, dass es ein Kriegsschauplatz würde. Meine Mission: Baby- gegen Stoffpuppe umtauschen. Naiv wurde ich bei einer Verkäuferin vorstellig. Kaum hatte ich mein Sätzchen aufgesagt, fiel die gute Dame fast in Ohnmacht. „WAS wollen sie?“, rief sie empört, die Augen vor Entsetzen geweitet. „Diese wunderschöne Puppe umtauschen?“

Schon etwas vorsichtiger geworden, nickte ich nur. Sie holte zum Rundumschlag aus. Noch NIE in ihrer 40-jährigen Verkäuferinnenkarriere habe sie etwas Derartiges erlebt. „Also nein! Das ist doch eine Puppe für die Ewigkeit! Darüber freut eine Frau sich auch noch im hohen Alter, wenn die im Schrank steht und sie anlächelt.“ Attacke, versenkt. Ich stand nur noch wackelig auf den Beinen und murmelte, dass das doch vielleicht Geschmackssache sei. Sie entlud einen weiteren Hagel Fassungslosigkeit.

Tief fliegendes Kaufladen-Obst

Als sie erkannte, dass ich trotz allem standhaft blieb, sah sie mich an, als erwöge sie, gleich die UN-Puppenrechtskonventionen zu zitieren oder mich mindestens noch mit Kaufladen-Obst (aus Holz natürlich) zu bewerfen. Doch sie zuckte nur mit den Schultern ob so einer Ignoranz und sagte: „Tja, wenn sie sich sicher sind (kurze Pause), DANN müssen sie eben zur Kasse gehen.“

Mit gesenktem Kopf tat ich wie geheißen. An der Kasse wiederholte ich mein Anliegen – in der Hoffnung, das Schlimmste nun überstanden zu haben. Stattdessen erwischte mich die neue Zermürbungstaktik kalt. Die ältere Dame an der Kasse sah mich strafend und schweigend an. Dann nahm sie mir die Puppe ab, legte sie wie ein echtes Baby in ihre Arme, schaute sie mitleidig an und sagte: „Hast Du kein Zuhause gefunden? Och, Du Arme! Dann kommst Du wieder zu uns! Bei uns bist Du willkommen!“

Wie eine Menschenhändlerin

Ich brach fast zusammen. Das Geld nahm ich mit dem Gefühl, eine Menschenhändlerin zu sein.

Draußen auf der Straße plagten mich Gewissensbisse. Warum hatte ich diese Puppe nicht lieben können? Ich rief meine beste Freundin an. Jemand musste mir jetzt versichern, dass ich nicht der schlechteste Mensch auf diesem Planeten bin.

Als ich wieder hergestellt war, ging ich zu dem Spielzeugladen, der alles verkauft. Vorsichtig sah ich mich um. Keine Verkäuferin, die mir eine Moralpredigt halten wollte. Keine Schilder, die mir anzeigten, welches Spielzeug „gut“ oder „schlecht“ war. Ich nahm eine Stoffpuppe. Schaute mich um. Ging schnell zur Kasse. Bezahlte. Keiner kommentierte meine Auswahl. Ich hatte selbst entscheiden dürfen! So, wie es Fiona jetzt tun soll – auch wenn es dann eben Plastik oder eine Babypuppe ist. Denn das war der Tag, an der ich der Spielzeug-Ideologie abschwor.




Sich in Faultiere und Birnen einfühlen – ja, selbstverständlich geht das!

Weckerbrüllt! Uff… nur… ne Viertelstunde noch… konzentriert schlafen (jawoll, das geht)…

»Schorsch (nach Picasso)« Scherl, 2015

»Schorsch (nach Picasso)« © Scherl, 2015

…wenn dann Kater Schorsch sein aggro-beleidigtes MRRRRRAAUU! MRRRRRAAUU! MRRRRRAAUU! raushaut ohne Luft zu holen, weil er der Meinung ist, daß er sogleich Hungers stirbt, wenn ich ihn nicht sofort fütter (Essenszeit für ihn in zwei Stunden!), hau ich mein 100% aggro RUHEJETZTVERDAMMTESCHEIßE! raus, daß die metallenen Bettpfosten mitsingen.

Es kümmert ihn zwar keinen feuchten Kehricht, aber immerhin hab ich das erhebende Gefühl, daß mir wenigstens ein Ding auf Erden Resonanz gibt – und wenn’s nur die Bettpfosten sind.

Wenn ich dann allerdings zB versuche, mich in ein Faultier einzufühlen, weil ich einen Faultiershirtentwurf machen muß und das Vieh so richtig schön faul werden soll oder das gleiche in drei Birnen für eine Auftragszeichung, damit da auch wirklich die richtige Geschichte erzählt wird mit dem Obst (ja freilich kann man sich in Birnen einfühlen. Bin ich Künstler oder Hobby-?) und der schwarze Pelzsatan legt dann los mit seinem Geschrei (wofür er in 99% aller Fälle exact (ja, mit »c«)) den richtigen Zeitpunkt findet und auch nicht eher aufhört, bis ich entweder keine Zeit mehr hab oder mir auch noch das letzte bissl Muse zerrüttet ist), packt mich einfach nur noch tiefste Verzweiflung und eine Stimme fragt in mir:

»Was hätt Picasso an meiner statt getan? Oder Matisse? Oder Cezanne? Oder Christian Schad? Oder…« (Zwischenruf einer anderen Stimme: »Charles Manson?«) und es antwortet: »Sie wären ins Atelier gegangen und wenn sie da schon gewesen wären, in ’n anderes.«, dann kommentiert die nächste: »Thomas, schreib auf deinen ‹Ziele 2016›-Zettel ganz oben, ganz groß: ‹1. Viel Geld verdienen, 2. Atelier mieten›.«

Done.

(Also das mit dem Zettel.)




Trashiger Kirchen-Trip – Wenzel Storchs „Maschinengewehr Gottes“ in Dortmund

Thorsten Bihegue Leon MŸller Finnja Loddenkemper

Drei Meßdiener suchen einen Priester: Egon (Thorsten Bihegue, vorn), Lutz (Leon MüŸller) und Erika (Finnja Loddenkemper). Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Die Geschichte muß man nicht glauben, aber sie erzählt sich gut: Nesselrodes Kaplan Buffo ist komplett ausgeflippt, hat sich in der Dorfkneipe betrunken, auf den Tischen getanzt und schließlich die Gemeinde samt Kirche und Schäfchen beim Knobeln an Bauer Hümpel verloren.

Jetzt fehlt von ihm jede Spur, zurück bleiben im Beichtstuhl der Oberministrant, die Meßdienerin und der Meßdiener in ihren roten Gewändern. Am nächsten Morgen kommt Bauer Hümpel mit dem Trecker und pflügt die Kirche erstmal unter, um Erbsen anzubauen. Es sieht nicht gut aus für den örtlichen Katholizismus in Wenzel Storchs neuem Stück „Das Maschinengewehr Gottes“, das jetzt im Studio des Dortmunder Schauspiels und in der Regie des Autors seine Uraufführung erlebte.

Was also tun, um Gottes Willen? Die verschreckte Meßdienerschaft schmeißt ihr Geld zusammen und erwirbt im Christlichen Kaufhaus einen neuen Priester, der sich indes bald als schießender Automat entpuppt und explodiert. Vorher hat er noch, ein Kassettenrekorder ist eingebaut, markige Sprüche von Pater Leppich abgelassen, der (das ist jetzt nicht erfunden) in den 50er Jahren die katholische Christenheit mit sexualfeindlichen, repressiven Brutalbotschaften missionierte oder besser vielleicht: einschüchterte. Man nannte ihn so, wie Wenzel Storch nun auch sein neuestes Stück genannt hat: „Das Maschinengewehr Gottes“.

Andreas Beck Thorsten Bihegue

„Das Maschinengewehr Gottes“ (Andreas Beck, vorn) und Meßdiener Egon (Thorsten Bihegue).(Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Kloster-Domina und Hostinettenbär

Ich erzähl die Geschichte noch ein bißchen weiter, sie ist wirklich witzig. In den Überresten des explodierten Priesters denn also finden die Meßdiener Hinweise auf ein Damenkloster im fernen Schlesien, wo bei der Oberin Ejaculata die Lösung der Probleme liegen könnte. Übrigens heißt die Oberin dort Domina, kommt aus dem Lateinischen, was keiner mehr versteht.

Durch das gefährliche Rote-Bete-Gebirge machen sich die frommen Nesselroder Meßdiener auf zum legendären schlesischen Kloster, wo sich die Oberin, wie sich bald nach der Ankunft herausstellt, weitgehend von den anderen zurückgezogen hat und nur noch ganz spezielle Hostien zu sich nimmt. Die Hostien bringt der Hostinettenbär, und immer, wenn er da war, geht’s der Mutter Oberin besonders gut. Dann hat sie wohl, wie wir Altvorderen zu sagen pflegten, ein saures Köpfchen, dann ist sie auf dem Trip. Liegt in dieser Erkenntnis die Lösung der Probleme?

Die Trips der Mutter Oberin – mit der Nacherzählung soll es an dieser Stelle sein Bewenden haben – fügen sich gleichsam nahtlos ein in diese fiebrig irrlichternde, trashige und meistens auch recht lustige Geschichte, in der alle irgendwie und irgendwo auf einem Trip sind, die Personen des Stücks ebenso wie die realen Vorbilder, allen voran der schon erwähnte Pater Leppich.

Zum Schluß tanzen die Bäume

Doch auch Schriftsteller, die jungen katholischen Seelen mit Buchtiteln wie „Satanella oder die Rache des Geissler“ den rechten Weg weisen wollten, waren wohl auf ihrem speziellen Trip, jedenfalls recht schräg drauf. Das „Einführungsreferat“ des Gemeindereferenten gibt zu Beginn der Aufführung einen kleinen Überblick über katholische Jugendbücher der Adenauerzeit. Vielleicht hat sich Storch sogar ein bißchen von ihnen inspirieren lassen, doch wir wollen nichts unterstellen.

Julia Schubert Nonnen (Mitglieder des Dortmunder Sprechchors) Thorsten Bihegue Finnja Loddenkemper Leon MŸller

Schwester Adelheid (Julia Schubert, vorn mit Notenblatt) und einige schlesische Nonnen (Damen des Dortmunder Sprechchors). Rechts im Bild die wackeren Meßdiener. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Und schon gar keinen Drogenmißbrauch! Aber das Theaterstück ist ein Trip, und man muß dankbar sein, daß der Horror sich nur von Ferne andeutet. Denn sonst wäre das ein Horrortrip, und die gibt es bekanntlich ja auch. Hier aber wird alles gut, und gegen Ende der Veranstaltung tanzen wunderschön gestaltete, knorrige alte Bäume, für deren Herrichtung Heike Scheika genannt wird, mit Nonnen und Meßdienern über die Bühne (Pia Maria Mackert). Frohsinn pur? Lucy in the Sky? Ist doch egal.

Pädagogisches Streben

Die katholische Kirche, ein zentrales Motiv in Wenzel Storchs Weltsicht, verfügte in den 50er, 60er Jahren (und vielleicht noch immer) über ein höchst problematisches Personal, das in seinem pädagogischen Streben unsägliche Bizarrerien hervorbrachte, viele junge Menschen nachhaltig schädigte. Diese Verhältnisse will Storch offenbar dem Vergessen entreißen, sie geißeln und über sie lachen lassen. Für eine bessere Erkennbarkeit des Unsäglichen setzt er gern noch einen drauf, fügt beispielsweise kirchlichen Benamungen solche aus der Phantasie hinzu, führt etwa die frommen Schwestern vom Orden der barmherzigen Seepferdchen ein, die die Heilige Limousine anbeten.

Julia Schubert Ekkehard Freye

Julia Schubert und Ekkehard Freye im Nonnengewand, außerdem einige entzückende Bäume, mit denen man sogar tanzen kann. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Natürlich stimmt es nachdenklich, daß dieser Autor (Jahrgang 1961) so unerbittlich ist, es nicht gut sein läßt, nicht die Makel einer dunklen Vergangenheit zuschreibt, die heute überwunden ist, sondern jetzt schon sein zweites Stück über diese problematische Institution verfaßt. Letztes Jahr lief in Dortmund sein Stück „Komm in meinen Wigwam“.

Doch ist es, wie es ist. Also nehmen wir dem Storch das, was er sagt, einfach mal ab und erfreuen uns an dem überaus geschmeidigen, komödienhaften Abend, der dieser Obsession entspringt.

Im Spiel der Mimen ist unaufgeregte Heiterkeit der Grundton, freundliche Gespräche reihen sich, niemals verliert jemand die Beherrschung, und häufiger ertappt man sich bei der Frage, ob die mit kraftvollen Kalauern reich garnierten Dialoge komplexe Doppeldeutigkeit prägt oder ob sie nur blühender Nonsens sind. Bemerkenswert ist schließlich die sorgfältige, stets jedoch moderat bleibende Garnierung mit stimmigen Sounds, Melodien und Schlagern (Gertfried Lammersdorf).

Andreas Beck Leon Müller

Andreas Beck und Leon Müller (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Ein starkes Ensemble

Nun aber, endlich, gilt es die starke Darstellerriege zu preisen, aus der Thorsten Bihegue hervorragt, denn wir ja schon aus dem Wigwam kennen. Als gehemmter, dürrer und immer etwas enthoben daherschreitender Oberministrant ist er mit seinem scheuem Lächeln nichts weniger als die Idealbesetzung und die Hauptfigur des Abends.

Andreas Beck verkörpert mit beeindruckender Leibesfülle gleich fünf Personen, Bruder Stanislaus, das Maschinengewehr Gottes, Schankwirtin, Weihbischof und Bauer Hümpel. Heinrich Fischer, der Senior aus dem Seniorenclub des Schauspiels Dortmund, hat mit seinem kehlig–westfälischen Zungenschlag ebenfalls fünf Personen zwischen Kaplan Buffo und Doktor Drammammapp auf der Liste und meistert das problemlos.

Finnja Loddenkämper und Leon Müller, beide Mitglieder des Jugendclubs „Theaterpartisanen“, überzeugen als Meßdiener Erika und Lutz, Ekkehard Freye schließlich ist als sportlicher Postbote auf dem Klappfahrrad so etwas wie der „Sidekick“, ein guter Geist mit frischen Postnachrichten, die die Handlung immer wieder vorantreiben.

Schließlich zu nennen bleiben Maximilian Kurth (Gemeindehelferin), Maximilian Steffan (Hostinettenbär) und Julia Schubert (Schwester Adelheid) sowie acht Damen des Dortmunder Sprechchors (Namen unten), die hier die schlesischen Nonnen geben. Und alle, alle spielen sie dieses Stück in einer schauspielerischen Qualität, die man sich auf dieser Studiobühne immer wünschen würde.

Begeisterter Applaus.

(Die Damen des Dortmunder Sprechchores sind Annette Struck, Birgit Rumpel, Sabine Kaspzyck, Regine Anacker, Solveig Erdmann, Heike Lorenz, Katrin Osbelt und Ulrike Wildt).

  • Weitere Termine: 17., 27. Dezember 2015, 17. Januar 2016.
  • Infos und Karten Tel. 0231 50 27 222
  • www.theaterdo.de



Rätsel des Alltags (5): Das Ungeheuer von Topf Ness

Länger nichts mehr für die lose Reihe „Rätsel des Alltags“ geschrieben. Jetzt aber drängt sich ein (Un)wesen geradezu auf. Oder was würdet ihr tun, wenn sich „Nessie“ quasi in eurer Küche zeigt? Das erschütternde Erlebnis schreibend zu verarbeiten suchen. Eben.

Das Beweisfoto: Ungeheuer aus dem Urschlamm. (Foto, weltexklusiv: Bernd Berke)

Das Beweisfoto: Ungeheuer aus dem Urschlamm. (Foto, weltexklusiv: Bernd Berke)

Es begab sich also bei Verfertigung einer an sich harmlosen Tomatensuppe, dass urplötzlich ein Ungeheuer sein schauriges Haupt erhob. Das unwiderlegliche, selbstverständlich weltexklusive Beweisfoto (Kaufpreis auf Anfrage) stelle ich hinzu, es sagt – wie man hilflos zu formulieren pflegt – „mehr als tausend Worte“… Eigentlich könnte ich also den Text schon beenden.

Doch halt! Aus meinem kaum erschöpflichen Nippes-Fundus taucht noch ein Souvenir auf, das ich einst in Schottland erworben habe, und zwar direkt am berühmten Loch Ness. Das vierteilige Keramik-Set stellt das legendenumwobene Monster in aparter dunkelgrünlicher Tönung dar. Hübsch, nicht wahr?

Souvenir aus Schottland (Foto: Bernd Berke)

Souvenir aus Schottland (Foto: Bernd Berke)

Man vergleiche nun aber mit dem Ungeheuer von Topf Ness. Das eine ist eher ein sinniger Scherzartikel, im anderen Falle wird es hingegen ziemlich ernst. Allein der blutorangenfarbene Urschlamm deutet doch wohl unmissverständlich darauf hin. Und bevor noch läppische Gruselspielchen zu Halloween uns ereilen, erschaudern wir hierbei im Innersten.




Ikone der Filmgeschichte: Vor 75 Jahren wurde Chaplins „Der große Diktator“ uraufgeführt

In diesem Film gibt es Szenen, die in die Weltgeschichte der bewegten Bilder eingegangen sind. Szenen, die man einmal gesehen hat und nie wieder vergisst. Szenen, die das Lachen herauskitzeln und die einem das Lachen im Hals steckenbleiben lassen. Die „New York Times“ bezeichnete ihn – unter einem bestimmten Blickwinkel gesehen – als vielleicht bedeutsamsten Film, der je produziert wurde. Gemeint ist Charlie Chaplins „Der große Diktator“.

Die bittere und zugleich erzkomische Satire auf Adolf Hitler und das Dritte Reich hatte vor 75 Jahren, am 15. Oktober 1940, ihre Premiere – und zwar in New York, nicht wie üblich in Los Angeles, weil Chaplin eine bereits angelaufene Protestwelle fürchtete. Das Hays-Office, die amerikanische Zensurbehörde, äußerte bereits im Vorfeld Bedenken gegen den Film; Chaplin erhielt aus pro-faschistischen Kreisen Drohbriefe.

Chaplin, wie Hitler im April 1889 geboren, ist vielleicht der einzige Künstler, dem es je gelungen ist, die Figur des größenwahnsinnigen Diktators künstlerisch adäquat umzusetzen. Leicht ist es dem britischen Komiker nicht gefallen: Bis 1935 reichen die Vorbereitungen für den Film zurück. Chaplin musste sein Konzept am Set auch gegen einzelne Mitarbeiter durchsetzen. Und die Kritik war keineswegs einhellig positiv. 1940 ging es in der öffentlichen Diskussion in den USA um einen möglichen Kriegseintritt; Chaplins „Großer Diktator“ wurde da als Beitrag zur Kriegshetze missverstanden.

Darf man über Verbrecher lachen?

Später hat man ihm sogar vorgeworfen, den Nationalsozialismus verharmlost zu haben. Die Frage, ob man über die furchtbaren Verbrecher des Dritten Reiches lachen dürfe, wurde auch in der Nachkriegszeit lange diskutiert. Chaplin selbst bekannte später, hätte er die wahren Gräuel in den Konzentrationslagern gekannt, hätte er den Film nicht produzieren können. Die Amerikaner gaben den Film nach Testaufführungen im Nachkriegs-Berlin nicht frei; er kam erst 1958 in die deutschen Kinos. 2004 erlebte er sein Comeback in einer aufwändig restaurierten Version.

Charlie Chaplin indes wusste, was er tat und was er wollte: Er hatte die Tiraden und Ausfälle Hitlers lange genug studiert, um ihren unmenschlichen Kern freizulegen. Er hatte erkannt, dass die Hassreden gegen die Juden und „Untermenschen“, ihre Diskriminierung und letztlich tödliche Verfolgung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit unerhörten Ausmaßes waren. Er wollte die Wahrheit mit seinen Mitteln darstellen und die Menschen aufrütteln – mit den Mitteln des Komödianten, mit der Kunst der Parodie, der Überzeichnung, der Satire und Persiflage.

Und so ließ er „Adenoid Hynkel“, den Herrscher über „Tomania“, mit einem Luftballon in der Form eines Globus tanzen, bis der Luftbehälter platzt und nur ein paar Fetzen in den Händen des Diktators zurückbleiben. So persiflierte er die „Achse“ zwischen Hitler und Mussolini mit dem Treffen des kriegswütigen Hynkel mit dem kaum weniger gewaltversessenen Herrscher von Bacteria, Benzino Napoloni. Die Szene mit dem verfehlten roten Teppich vor dem Zug gehört zu den Ikonen gelungenen Slapsticks.

Plädoyer für Freiheit und Humanität

Für das Finale des Films – den Einmarsch Tomaniens ins Nachbarland „Osterlich“ – lässt Chaplin einen kleinen, aus dem KZ geflohenen Juden in die Rolle des Diktators geraten: Die tragikomische Gestalt des verfolgten Friseurs, der dem Gewaltherrscher zum Verwechseln ähnlich sieht – Zwei-Finger-Bart unter der Nase eingeschlossen –, muss die Rede nach dem erzwungenen „Anschluss“ des besetzen Landes halten. In diesem Moment wächst er über sich hinaus: Er plädiert für Völkerverständigung, gegen Sklaverei und Unterdrückung, für Freiheit, Toleranz und Humanität. Eine fast sechsminütige Rede, die in der Kritik auf Ablehnung stieß. Formal, weil sie die Ebene der Handlung verlässt und die „vierte Wand“ zum Zuschauer durchbricht; inhaltlich, weil Chaplin seine politische Position unverstellt und leidenschaftlich formuliert.

Die Worte dieser Rede stehen in denkbar scharfem Gegensatz zu dem Kauderwelsch, mit dem sich der echte Diktator in einer vorangegangenen Szene vor dem Mikrofon produziert hatte. Chaplin hatte für diese Ansprache Hitlers Gestik und Mimik genau studiert, um sie lächerlich zu überzeichnen. Und seine Sprache ist ein künstliches Gebrabbel, in dem man nur hin und wieder einzelne Worte erkennt: „Sauerkraut“, „Schnitzel“ oder „Blitzkrieg“. Eines der Kunstworte Chaplins, „Schtonk“, hat über den Film hinaus Karriere gemacht.

„Der große Diktator“ ist nicht nur eine genialische und tief bewegende Satire. Er ist, wie die „New York Times“ schrieb, ein von Grund auf tragisches – oder im klassischen Sinne tragikomisches Werk. Er ist bis heute ein Aufruf, hellsichtig zu bleiben und die Unmenschlichkeit, die sich nicht ausrotten lässt, zu erkennen und zu benennen. Und er ist ein berührendes Zeugnis für den großen Humanisten Charles Spencer Chaplin, der sich in der Rede des jüdischen Friseurs im Film unverstellt wiederfinden lässt:

„Es tut mir leid aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht.
Ich möchte weder herrschen, noch irgendwen erobern,
sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann.
Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen.
Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt.
Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen.
Hass und Verachtung bringen uns niemals näher.
Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein.
Wir müssen es nur wieder zu leben lernen.“




„Das ist doch keine Kunst“ – Strips und Cartoons in der Ludwiggalerie Oberhausen

01 Das ist doch keine Kunst, 2015 © Ruthe, Sauer, Flix

Bilder von Ralph Ruthe, Joscha Sauer und Felix Görmann hängen jetzt in Oberhausen im Schloß. Dieses Motiv ziert den Katalog. (Foto: Ludwiggalerie Oberhausen/Ruthe, Sauer, Flix)

In der Ludwiggalerie im Oberhausener Schloß hängen jetzt Cartoons und Comics an den Wänden. Ralph Ruthe, Joscha Sauer und Felix Görmann („Flix“) heißen die Zeichner, die man namentlich möglicherweise nicht kennt, deren bunte Bildgeschichten jedoch weit verbreitet sind, in Zeitungen und Zeitschriften, im Internet oder auch in Büchern auftauchen. Im Museum jedoch erwartet man Cartoons und Comics eher nicht. Gehören sie überhaupt dort hin?

Dr. Christine Vogt, Direktorin der Ludwig-Galerie, würde diese Frage jederzeit heftig bejahen und vielleicht auf vergangene Projekte verweisen. Ralph König und Walter Moers („Das kleine Arschloch“, „Käpt’n Blaubär“), die beiden wohl bedeutendsten deutschen Zeichner der Gegenwart, hatten in Oberhausen bereits ihre Einzelausstellungen. Ruthe, Sauer und Flix entstammen in gewisser Weise einer nachfolgenden Generation, sind alle in den 70er Jahren geboren, jetzt schon etliche Jahre erfolgreich im Geschäft und bieten sich somit für eine Nachfolge an.

02 Ralph Ruthe, Frühreif!, 2014 © www.ruthe.de

„Frühreif“-Dreibilderstrip von Ralph Ruthe, 2014 (Foto: Ludwiggalerie Oberhausen)

Kurz und klassisch

Ralph Ruthe erzählt seine Geschichten bevorzugt mit dem Einzelbild. Auch wenn er einmal mehrere Bilder verwendet, zielt er doch auf die eine Pointe und den spontanen Lacher. Ganz offenbar ist er ein Freund des gnadenlosen Kalauers, wenn er beispielsweise den Postboten zum Bauern schickt, weil der „ein Feld bestellt hat“. Andere Arbeiten sind poetischer, stiller, doch ein Lacher ist eigentlich immer drin. Von Ruthe stammt übrigens der meist dreibildrige Strip „Frühreif“, dessen Held ein neunmalkluger Bengel in den Wirren der beginnenden Pubertät ist und der unter anderem in der Wochenendbeilage der WAZ läuft.

Akribische Handwerker

Alle drei Zeichner, das macht diese Museumsschau deutlich, sind akribische Handwerker, die offenbar noch ganz altmodisch mit Stiften auf Papier zeichnen und nicht auf das iPad. Vorentwürfe und verschiedene Ausführungen hängen hier nebeneinander, man ahnt die Widrigkeiten, die die Animation der später so schwerelos auftretenden Strichmännchen und –weibchen in manchen Schaffensphasen bereitet. Entwurfsarbeiten sind übrigens meistens größer als die letztlich gedruckten Comics und Cartoons.

06 Joscha Sauer, NICHTLUSTIG 2, 2004 © Joscha Sauer

Abgründiges aus der Reihe NICHTLUSTIG von Joscha Sauer, 2004 (Foto: Ludwiggalerie Oberhausen)

Sensenmann und Lemminge

Eine gewisse Abgründigkeit durchzieht das Werk Joscha Sauers. Immer wieder kommt bei ihm der Sensenmann ins Spiel, haben die Lemminge Probleme mit ihrem selbstmörderischen Lebensentwurf. Und dem Hahn auf dem Hof reicht das Krähen nicht mehr, weshalb er dem Bauern bei Sonnenaufgang mit der Wasserspritze auf die Pelle rückt. Sauers Skizzenbuch, Blätter daraus sind in einer Vitrine zu sehen, hat die Anmutung eines wüsten Underground-Comics, doch seine Cartoons sind auf geradezu bedächtige Weise komponiert und ausgeführt.

Konservative Pinselführung

Konventionalität in der Ausführung fällt allerdings bei allen drei Artisten ins Auge. Auch Flix, der vor einigen Jahren dazu überging, dem männlichen Personal seiner Comics trapezförmige glatte Nasen zu verpassen, erzählt ansonsten mit eher konservativem Malduktus. Gleichwohl ist er von allen Dreien der experimentierfreudigste. Perspektiven und Formate wechseln heftig, außerdem scheint er Spaß an vielen schön widergegebenen Bilddetails zu haben. Besonders eindrucksvoll gerieten „Handtuchbilder“ aus der Vogelperspektive, die viele leicht bekleidete Frauen im Freibad auf ihren Handtüchern liegend zeigen. Das eine Männchen im Bild, das von so viel Weiblichkeit geradezu erschlagen dumm dasteht, muss natürlich sein, sonst wäre das Bild nur ein Bild und noch keine Geschichte. Aber Comics und Cartoons erzählen nun einmal abgeschlossene Geschichten, und seien sie noch so kurz. Auch die schnell hingeworfenen Animationszeichnungen von Flix, die in einer Vitrine liegen und ein bisschen an altmeisterliche Skizzenbücher denken lassen, zeugen von dessen Könnerschaft.

04 Flix, Faust, 2010 © www.der-flix.de

Faust von Flix, 2010 (Foto: Ludwiggalerie Oberhausen)

Die meisten in Oberhausen ausgestellten Arbeiten sind lieb und nett, enden keineswegs unerwartet. Amerikanische Zeichner wie Robert Crumb oder Gilbert Shelton, die in anstoßerregenden Strips einst Drogenexzesse und sexuelle Obsessionen zu Papier brachten, finden hier nicht ihre Nachfahren. Das ist kein Vorwurf, nur eine einordnende Feststellung.

Und gehört das nun ins Museum oder nicht? Unbestreitbar sind Bilder, die für Printmedien geschaffen werden, dort auch am besten präsentiert. Es ist für sich genommen nicht sinnvoll, verkürzt gesagt, Seiten aus einem Comic-Strip herauszunehmen und gerahmt an die Wand zu hängen. Die Oberhausener Schau erzählt jedoch eine Menge mehr über die drei Zeichner und ihr Werk, und angesichts der klugen und stilsicheren Präsentation verblasst die Frage nach der Sinnhaftigkeit recht bald.

  • „Ruthe Sauer Flix – Das ist doch keine Kunst. Comics und Cartoons zwischen Shit happens, Nicht lustig und Schönen Töchtern“
  • Bis 17. Januar 2016. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad Adenauer Allee 46.
  • Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Eintritt 8 Euro.
  • Der empfehlenswerte Katalog erschien im Carlsen-Verlag und kostet 29,80 Euro.
  • www.ludwiggalerie.de



Die Kunst, den Kern zu treffen: Zum Tod des Karikaturisten Bernd Gutzeit

So haben ihn noch manche KOllegen in Erinnerung: Bernd Gutzeit an seinem WR-Schreibtisch. Jetzt (August 2019) erhielt das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung Karikaturen aus seinem Nachlass (siehe nachträglichen Kommentar zu diesem Beitrag). (Foto: Bodo Goeke)

So haben ihn noch manche Kolleg(inn)en in Erinnerung: Bernd Gutzeit an seinem WR-Schreibtisch. Jetzt (August 2019) erhielt das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung fast 1500 Original-Karikaturen aus seinem Nachlass (siehe nachträglichen Kommentar zu diesem Beitrag). (Foto: Bodo Goeke)

Ein Nachruf auf den Künstler und Karikaturisten Bernd Gutzeit, verfasst von Gastautorin Ilka Heiner, der langjährigen Leiterin der WR-Lokalredaktion Schwerte:

Politische Karikaturen zeichnete er seit seinen frühen Studienjahren, fast 30 Jahre lang hat er seine Kommentare für die Seite 2 der Westfälischen Rundschau (WR) mit Zeichenfeder und Pinsel festgehalten. Jetzt ist Bernd Gutzeit zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag nach langer Krankheit in seiner Wahlheimat Schwerte gestorben.

Seine Karikaturen fügten sich in der Erkenntnis, dass sich die Welt mit keinem Federstrich in Ordnung bringen lässt. Frontal angreifend, listig spottend, skurrilen Hintersinn ausstrahlend verfolgten sie stets das Ziel, den Kern zu treffen.

Bernd Gutzeit (Foto: Bodo Goeke)

Bernd Gutzeit
(Foto: Bodo Goeke)

In seiner aktiven Zeit wurden Bernd Gutzeits Zeitungszeichnungen häufig nachgedruckt, von deutschen, aber auch von ausländischen Blättern, die ihren Lesern diese spezielle Sicht eines deutschen Künstlers auf sein eigenes Land, aber auch auf die Welt zur Kenntnis bringen wollten. Bernd Gutzeit war einer der letzten festangestellten politischen Karikaturisten, die es im bundesdeutschen Blätterwald noch gab.

„Der Künstler“ wurde er liebevoll von seinen Kollegen genannt und das wies auf das zweite – vielleicht das eigentliche? – Leben des Karikaturisten hin, in Bildern, Skulpturen und Objekten, in experimenteller Musik oder theaterähnlichen Inszenierungen seine Fantasie fliegen zu lassen.

Bernd Gutzeit mit einigen seiner künstlerischen Arbeiten. (Foto: Christoph Staat)

Bernd Gutzeit mit einigen seiner künstlerischen Arbeiten. (Foto: Christoph Staat)

Nicht das Endprodukt hatte der Maler, Zeichner und Bildhauer im Visier, sondern den Prozess. Auch war es ihm immer ein besonderes Anliegen, Menschen mit seinen zeichnerischen und bildhauerischen Operationen aus ihrer Eindimensioniertheit hinaus auf den Weg zu bringen: „…um die Augenblicke zu erhaschen, durch die man den Kopf hebt – und vielleicht mit Staunen wieder so ein Stückchen Leben entdeckt“, wie das der Wortgewandte anlässlich einer Vernissage einmal selbst formuliert hat.

Seine Karikaturen, aber auch seine Malerei, Grafik und Skulpturen wurden in zahlreichen Ausstellungen, unter anderem im Schwerter Kunstverein und im Ruhrtalmuseum, gewürdigt.

Bernd Gutzeit, 1936 in Dortmund geboren, stammte aus einer musisch-künstlerischen Familie. In Schwerte besuchte er das Friedrich-Bährens-Gymnasium, und noch bevor er an der Werkkunstschule in Dortmund sein erstes Semester absolvierte, reihte er sich in die Phalanx der Kinomaler ein, die damals noch auf großflächigen Transparenten den Inhalt des Films in eindringlichen Bildern und Portraits darstellten. „Da habe ich einen ganz schönen Schuss mitbekommen“, blickte er einst zurück.

Später unterrichtete er musisches Gestalten am Dortmunder Fritz-Henßler-Haus, war als Kunsterzieher tätig und gab als Dozent für Grafik und Grundlehre an der Werkkunstschule Dortmund sein Wissen weiter. In Schwerte hatte Gutzeit mit Ehefrau Anne, selbst Grafikerin, für viele Jahrzehnte seine Heimat gefunden.

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(Der Nachruf ist in ähnlicher Form auch in RN und WR erschienen).




RebellComedy: Der harmlos coole Humor für die Kinder der Gastarbeiter

Kennen Sie RebellComedy? Nein? Dann sind Sie vermutlich über 40 und haben nur deutsche Vorfahren. RebellComedy gelingt, woran sich Kulturveranstalter in ganz Deutschland seit Jahren die Zähne ausbeißen: Sie erreichen die Kinder und Enkel der Migranten. Ihr Markenzeichen: coole Harmlosigkeit. Eine erstaunliche Erfolgsgeschichte:

»Ich liiiebe Deutschland«, sagt der junge Mann und legt dabei die Hand aufs Herz. »Ich bin keiner von diesen Typen, die sagen: Scheiße Deutschland. Wallah, Deutschland voll der Hurensohn. Neeeein! In keinem anderen Land könnte jemand wie ich 15 Minuten vor so einer Menge von Leuten stehen und einfach Blödsinn von sich geben.«

Der Mann heißt Pu: 27 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Münster, geprägt gleichermaßen durch seine iranischen Eltern und die aus den USA auch nach Westfalen importierte HipHop-Kultur. Seit seiner Jugend rappt er und kombiniert seinen schnellen Sprachwitz auf der Bühne gewinnbringend mit der Unfähigkeit, auch nur eine halbe Minute still zu stehen.

Pu ist, könnte man sagen, ein typischer Deutscher seiner Generation. Nur würde das in Deutschland kaum jemand so sagen. Wer Pu auch nur den Bruchteil einer Sekunde anschaut, hat in der Regel zuallererst dieses eine Wort im Kopf: Ausländer. Pu kennt das, natürlich. Er verdient sein Geld damit.

Foto: Mirza Odabasi

Foto: Mirza Odabasi

»Wenn ich im Iran so eine Menge Scheiße von mir gäbe, könnte ich nichts erreichen. Obwohl, doch. Wenn ich wirklich, wirklich viel Scheiße von mir gebe … könnte ich Präsident im Iran werden«, geht seine Nummer weiter.

Pu ist einer von zehn Mitgliedern der RebellComedy. Wie die anderen bastelt er an seiner Solo-Karriere, absolviert Auftritte bei »TV Total«, doch die Marke »RebellComedy« ist größer als er. Wenn sie gemeinsam auf Tour gehen – ab Mai ist es wieder soweit –, sind die Hallen meist ausverkauft. Sie haben einen Moderator dabei, der zwischen den Auftritten der Comedians überleitet, und einen DJ. Sie posten und twittern, machen Selfies mit dem Publikum und mischen sich nachher unters Volk. Ein bisschen erinnert ihre Show an Breakdance: eine große Crew, von der immer mal jemand anders im Mittelpunkt steht, während die übrigen vom Rand Respekt zollen.

Und dann steht sie da mit den Eintrittskarten in der Hand, vor dem Bahnhof Langendreer, vor der Bonner »Springmaus«, vor dem Kölner Gloria-Theater oder dem Bielefelder Theaterlabor: diese schwer erreichbare Zielgruppe junger Menschen mit Migrationshintergrund, an der sich Kulturveranstalter seit Jahren die Zähne ausbeißen. Kein noch so gut gemeintes Stück über Diskriminierung konnte sie in die Theater locken. Selbst die erste Generation der Ethno-Comedians erreichte sie kaum: Im Publikum von Kaya Yanar, Bülent Ceylan oder Fatih Cevikkollu sitzen überwiegend gebürtige Deutsche. Junge Frauen mit Kopftuch, die hat nur RebellComedy. Warum?

Usama Elyas, Mit-Gründer von  RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Usama Elyas, Mit-Gründer von RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Das Verrückteste an ihrer Erfolgsgeschichte ist vielleicht die Chuzpe, mit der sie sich aufmachten, die Kleinkunstbühnen der Republik zu erobern. RebellComedy startete künstlerisch unerfahren bis unprofessionell, dafür mit theoretischem Unterbau, gutem Marketing und dem aus dem HipHop geborgten Selbstbewusstsein eines Underdogs, der ganz nach oben will: Denen zeigen wir es.

Die Geschichte beginnt im beschaulichen Eschweiler und im benachbarten Aachen. Hier wachsen die Gründer der Gruppe auf: Babak Ghassim, heute RebellComedy-Regisseur, und Usama Elyas. Als Usama 13 Jahre alt war, wurde sein Vater zum wohl prominentesten Gesicht des Islam in Deutschland: Dr. Nadeem Elyas war 12 Jahre lang Vorsitzender des Zentralrates der Muslime. Ein konservativer Mann, der seine Kinder religiös erzog. Usama und Babak spielten in ihrer Jugend erfolgreich Basketball, wuchsen in die HipHop-Szene hinein. Der Freundeskreis war groß, die beiden begnadete Alleinunterhalter.

»Er war lustig«, erinnert sich auch Dieter Rehder, Usama Elyas‘ Professor für Grafikdesign an der Fachhochschule Aachen. Mehr noch erinnert sich Rehder aber daran, dass sein Student das Seminar freitags stets um 12 Uhr verließ, um zum Freitagsgebet zu gehen. Auch an Elyas’ Diplomthema erinnert sich Rehder gut: Es ging um eine Fernsehshow für StandUp-Comedy namens »Fladenbrot«. Die Comedians: allesamt junge Leute mit Migrationshintergrund, die aus ihrem Leben erzählen – davon, wie das Leben eben so ist, wenn die Eltern oder Großeltern aus dem Iran, der Türkei, Marokko stammen.

»Eher weniger« habe er an den Erfolg eines solchen Formats geglaubt, gibt Rehder zu. Usama Elyas weiß das. »Der Prof fand es schrecklich; er meinte, das sei ein Nischenprodukt. So, als würden Behinderte Witze über ihre Behinderung machen.« Doch der heute 33-Jährige ließ sich nicht beirren: »Das ist keine Nische, das ist eine ganze Generation, die hier aufwächst. Die werden morgen nicht auswandern. Ich bleibe hier! Und von mir gibt es Millionen.«

Man kann es nicht anders sagen: Er hatte recht. Und er hatte seinen besten Freund Babak, der inzwischen deutsche Sprache und Literatur studierte und Hausarbeiten über »Sprache und Humor bei StandUp-Comedy« schrieb. Heute promoviert Babak Ghassim, schreibt Film-Drehbücher und Texte für Poetry Slams.

"Pu" von Rebell Comedy. Foto: Mirza Odabasi

„Pu“ von Rebell Comedy. Foto: Mirza Odabasi

Die Idee, zusammen eine Comedyshow zu machen, war schon länger in der Welt. »Niemand, den wir kannten, schaute deutsche Comedy. Das war uns zu platt.« Im Freundeskreis dagegen ergab eine Pointe die andere, Abende wurden durchgelacht – »ganz ohne Alkohol«, so Elyas, wieder breit grinsend.

Dass Deutsche Alkohol brauchen, um locker zu werden – ein Klischee-Klassiker. Doch Klischees auf die Bühne bringen, das wollten sie gerade nicht. Das machten schon die anderen.

»Comedy für Deutsche, die endlich über Ausländer lachen dürfen, weil der Ausländer den Witz selbst macht – das ist eine andere Perspektive. Ich schäme mich fremd, wenn ich das sehe.«

Tatsächlich verstecken sich hinter dem Humor der Ethno-Comedy-Pioniere häufig Bewältigungsstrategien. Im Magazin „Der Spiegel“ verglich der Autor die Herkunft der Komiker mit dem Hängelid eines Karl Dall: Die Rolle als Witzbold helfe, mit Ausgrenzung und Ablehnung klarzukommen.

»Diejenigen Situationen veranlassen den Menschen zum Lachen oder Weinen, auf die er keine adäquate Antwort weiß, zu denen er sich nicht mehr sinnvoll verhalten kann«, schreibt der niederländische Soziologe Anton C. Zijderveld in seiner »Soziologie des Humors«. Lachen entspannt und bringt Entlastung.

Kollektive Therapie? Das weisen die Comedy-Rebellen von sich. Sie wollen nicht, dass ihre Herkunft im Vordergrund steht. Sondern? »Themen! Erzählt auf eine natürliche Art und Weise. Authentisch«, beschreibt es Usama Elyas.

Die Comedians schlüpfen nicht in Rollen, wie es etwa die Berlinerin Idil Baydar als türkische Proll-Tussi »Jilet Ayshe« tut. Sie erzählen on stage genauso, wie sie es backstage tun, und sie erzählen gut, sehr gut. Wirklich komisch sind ihre Texte eigentlich nur in Kombination mit der Performance.

Usama Elyas’ Themen auf der Bühne drehen sich häufig um die Familie. Er redet darüber, wie viel Überwindung es ihn gekostet habe, einem anderen Mann gegen dessen Willen etwas in den Hintern zu schieben – nämlich seinem Sohn ein Zäpfchen. Der Ethno-Dreh versteckt sich im Subtext, und in dem geht es um Homophobie. Elyas weiß genau, dass er bei einem überwiegend muslimischen Publikum jeden Nerv trifft. Schwule lösen bei vielen Muslimen ähnliche Reflexe aus, wie Ausländer bei vielen Deutschen: Ab- und Ausgrenzung. Man ist tolerant, aber … Homophobie und der Umgang damit sind Dauer-Themen der RebellComedians.

Humor ist eigentlich selten rebellisch. Er spiegelt und festigt die Normen und Werte einer Gruppe, die sich lachend ihrer selbst vergewissert. Wer mitlacht, gehört dazu. Das stärkt die Gemeinschaft. Viele Zielgruppen haben ihre humoristischen Helden: Männer und Frauen, Landbewohner und Großstädter, Lehrer und Schüler, Gläubige, Linke, Grüne. Die Nische für die Kinder der Migranten war noch frei – eine allerdings inhomogene Zielgruppe, von extrem konservativ bis äußerst liberal. Mit Hass-Kommentaren im Internet oder Anfeindungen hatten RebellComedy trotzdem kaum je zu tun. Das liegt auch an ihrer Harmlosigkeit. Usama Elyas redet vom Taktgefühl, das ein Comedian haben müsse, von Sympathie, die er wecken soll. Dass er »niemandem weh tun« will. Darf Satire alles? »Nein«, sagt Babak Ghassim, ohne zu zögern.

Im Publikum kommt diese Haltung an. Zum Beispiel bei Yasmin Ejjyied, 25, Gelsenkirchenerin mit marokkanischen Wurzeln. »RebellComedy machen Witze über sich selbst, nicht über andere Menschengruppen«, sagt sie. »Kaya Yanar fand ich zu aggressiv. Er hat eine Frau aus dem Publikum bloßgestellt.« Zu RebellComedy sei sie eigentlich wegen Enissa Amani gegangen, habe dann Tränen gelacht und sich gleich Tickets für die nächste Tour gesichert.

Enissa Amani, einzige weibliche Comedian bei RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Enissa Amani, einzige weibliche Comedian bei RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Enissa Amani, derzeit einziges weibliches Mitglied der RebellComedy, ist so ziemlich das Gegenteil der Berlinerin Idil Baydar, die die türkische »Cindy aus Marzahn« verkörpert. Amani ist schön wie ein Model. Perfekt frisiert und manikürt, in kurzem Rock und hohen Stiefeln erzählt sie mit ihrer Kleinmädchenstimme, wie sie ihrem Freund die Koffer packt, wenn er zu lange braucht für den Weg von der Arbeit nach Hause – und dass auch ihr Freund mega-eifersüchtig sei, sogar auf den Paketboten (»der Bastard«). Enissa Amani, inzwischen Kölnerin mit iranischen Wurzeln, ist das Role Model vieler junger Frauen. »Sie sieht aus wie ne Tussi. Aber Tussis werden unterschätzt!«, formuliert es Amani-Fan Yasmin Ejjyied.

Amani, Elyas, Ghassim und die anderen, sie sind die Stimme einer Generation, die in Schule und Ausbildung zwar das Gleiche gehört und gelernt hat wie die deutschen Freunde, aber häufig ganz anders erzogen wurde. Wenn Comedian Benaissa erzählt, wie er zum ersten Mal bei seiner ersten deutschen Freundin zu Hause ist, von deren Vater kumpelhaft begrüßt wird und dennoch Angst hat, jede Minute verhaftet zu werden – dann johlt das Publikum ein Johlen des Erkennens.

Schön und gut, könnte man einwenden – aber was ist nun das Rebellische an RebellComedy? Die Antwort von Babak Ghassim ist wirklich witzig – und bezeichnend. Er erfindet kurzerhand eine neue Übersetzung für »Rebell«. Das leitet sich zwar vom lateinischen »bellum«, Krieg, ab, aber »belle steckt ja auch darin, französisch für »schön«. »Wir renovieren Comedy, machen sie wieder schön«, sagt er. Es ist lustig und lehrreich, dabei zuzusehen.

(Der Beitrag erschien zuerst in der April-Ausgabe des NRW-Kulturmagazins K.West)




Revierpassagen-Texte wurden bühnenreif: Rolf Dennemanns Krankenhausreport „Unterwegs mit meinem Körper“

Wenn ein gelegentlicher Mitarbeiter der „Revierpassagen“ ein Bühnenprogramm entwickelt und aufführt; wenn noch dazu sehr lesenswerte Textvorlagen zu diesem Projekt als Beiträge in den Revierpassagen gestanden haben – dann, ja dann machen wir umso lieber ein bisschen Reklame dafür.

(Foto: d-man)

Eine Station der Krankenhaus-Odyssee (Foto: d-man)

Die Rede ist von Rolf Dennemann und seiner szenischen Lesung „Unterwegs mit meinem Körper“, die kürzlich erfolgreich Premiere hatte. Der Autor, Regisseur und Schauspieler schildert seine Odyssee durch diverse Krankenhäuser des Landes. Es halten sich dabei erzkomische und durchaus ernsthafte Aspekte die Waage. Anders gesagt: Sie folgen einander in aberwitziger Weise.

Hand aufs hoffentlich nicht allzu kranke Herz: Wann habt ihr zuletzt über die Rolle des Hagebuttentees in deutschen Kliniken nachgedacht? Und was haltet ihr von der künstlerischen Ausstattung unserer Krankenhäuser? Und das sind nur die harmlosesten von vielen, vielen Fragen…

Einen gewissen Vorgeschmack erhält man, wenn man sich noch einmal – ebenso schaudernd wie genüsslich – Rolf Dennemanns dreiteiligen Revierpassagen-Text „Krankenhausreport“ (Links stehen am Ende dieses Beitrags) zu Gemüte führt. Doch natürlich hat Rolf Dennemann seine Erlebnisse für die Bühne noch einmal ganz anders bearbeitet.

Auch darf man sicher sein, dass die Präsenz Rolf Dennemanns und der Schauspielerin Elisabeth Pleß den Texten noch einige weitere Dimensionen verleiht, zumal auch Bild- und Videoprojektionen zum Repertoire gehören.

So. Ich denke, jetzt haben wir genügend Vorfreude auf die weiteren Auftritte geweckt. Der nächste begibt sich am Freitag, 17. April (20 Uhr), im Dortmunder „Theater im Depot“, ein weiterer am 29. Mai in Gelsenkirchener Consol Theater. Da ahnt man schon: Unter den Absurditäten des stationären Gesundheitswesens ächzen auch ansonsten scharf rivalisierende Revierstädte gemeinsam.

Weitere Infos auf Rolf Dennemanns Internet-Seite: www.artscenico.de

Die drei Teile des „Krankenhausreports“, erschienen im Februar 2014:
http://www.revierpassagen.de/23415/der-krankenhausreport-teil-1-ich-nehme-dann-das-einzeldoppel/20140209_1733

http://www.revierpassagen.de/23421/der-krankenhausreport-teil-2-wir-sind-die-gruenen-damen/20140211_1004

http://www.revierpassagen.de/23424/der-krankenhausreport-teil-3-das-bekommen-sie-jetzt-alles-von-uns/20140212_1217




Lachen gegen die absurden Regeln der Welt: Vor 50 Jahren starb Stan Laurel

Stan Laurel auf einem historischen Foto, um 1920.

Stan Laurel auf einem historischen Foto, um 1930.

Diese Lache wird niemand vergessen, der sie je miterlebt hat. Erst ein zufriedenes Schmunzeln, ein amüsierter Lacher, ein sich steigerndes rhythmisches Quieken, schließlich atemlos gackernde Kaskaden, Falsett-Staccato, kreischendes Kichern: Stan Laurel reißt in dem Film „Blotto“ („Angeheitert“) von 1930 nicht nur seinen Partner Oliver Hardy in den Heiterkeitssturm mit, sondern infiziert unweigerlich auch die Zuschauer.

Es ist eine der vielen unvergesslichen Szenen, die der geniale Komiker Stan Laurel hinterlassen hat. Laurel, der vor 50 Jahren, am 23. Februar 1965, in Santa Monica in Kalifornien starb, wurde vor allem als einer der Partner des legendären Duos „Laurel & Hardy“ bekannt – im deutschen Sprachraum mit „Dick und Doof“ nicht sehr glücklich bezeichnet.

In „Blotto“ – das eigentlich so etwas wie „sternhagelvoll“ heißt – ist der Rausch freilich nur eingebildet. Die beiden Herren wollten sich mit einer von Mrs. Laurel versteckt gehaltenen Flasche Likör einen lustigen Abend machen. Sie bemerkten nicht, dass die Frau von Laurel den Inhalt heimlich ausgetauscht hat. Mit den Worten „Das war kein Likör, das war kalter Tee“ beendet die angesäuerte Gattin abrupt die drei Minuten exaltierter Erheiterung.

Es gibt noch andere solcher Lach-Szenen, etwa in „Scram“ von 1932 oder in der herrlichen Parodie auf Daniel François Esprit Aubers Oper „Fra Diavolo“ von 1933. Sie reißen die Zuschauer nach dem Prinzip der Steigerung mit, aber um die Spannung in solchen wort- und handlungslosen Szenen zu halten, braucht es ein überragendes komisches Talent. Stan Laurel hatte das.

Aus englischen „Music Halls“ nach Amerika

Geboren wurde Arthur Stanley Jefferson – so der eigentliche Name – 1890 im englischen Ulverston in eine Theaterfamilie. Seine Eltern waren Schauspieler, sein Vater bespielte Theater im Norden Englands. Schon mit neun Jahren soll er zum ersten Mal auf der Bühne gestanden haben; mit 16 debütierte er in Glasgow.

Seine Welt war die der „Music Halls“, also der Varieté- und Unterhaltungstheater, in denen artistische Shows, kurzweilige Sketche und Komödien, Operetten und musikalisches Lachtheater gespielt wurden.

1910 entdeckte der amerikanische Produzent Fred Karno sein Talent und nahm ihn mit in die USA, wo er Laurel als Ersatzmann für den damals ebenfalls noch unbekannten Charlie Chaplin einsetzte. Nach Jahren in einem Komiker-Trio und auf Unterhaltungsbühnen folgte 1917 Laurels Filmdebüt. Zehn Jahre arbeitete er für verschiedene Produzenten, drehte Kurzfilme und Parodien auf erfolgreiche Kino-Hits. In dieser Zeit entwickelte Stan Laurel seinen Stil mit seinen typischen zerfahrenen Gesten und seiner ratlos-naiven Mimik, die in der schon um 1925 anlaufenden deutschen Rezeption als „doof“ missverstanden wurde.

106 Filme mit „Laurel & Hardy“

Die Begegnung mit dem Produzenten Hal Roach 1918 erwies sich als folgenreich. Zwar wirkte Laurel bis 1925 mit verschiedenen anderen Filmschaffenden zusammen. Aber bei Roach begann er mit Oliver Hardy zusammenzuarbeiten, den er zwischen 1917 und 1921 in einem Film namens „Der glückliche Hund“ erstmals als Partner vor der Kamera hatte. 1927 begann mit „Leichte Beute“ („Duck Soup“) ihre gemeinsame Karriere als Komiker-Duo.

Der Kurzfilm „Music Box“ über einen katastrophalen Klaviertransport über eine lange, steile Treppe erhielt 1932 einen Oscar als beste Kurzfilm-Komödie. Bis „Atoll K“ („Dick und Doof erben eine Insel“) von 1950 drehten die beiden 106 Filme. Laurel war alles andere als „doof“: Er war der Kopf des Duos. Während sich Hardy vor allem als Schauspieler verstand, wirkte Laurel am Drehbuch mit, schrieb Gags, führte Co-Regie und bestimmte den Schnitt mit.

Große Zeit nur bis 1940

Ihre große Zeit sollte allerdings schon 1940 mit „Saps at Sea“ („Abenteuer auf hoher See“) zu Ende sein. Laurel hatte sich mit Hal Roach entzweit; der Vertrag des Duos wurde nicht verlängert, andere Filmgesellschaften zeigten wenig Interesse. So drehten Laurel & Hardy bis 1945 nur noch neun Spielfilme. Nach dem Krieg folgten bis 1954 mehrere Bühnentourneen durch die USA und nach Europa, bis Oliver Hardys Gesundheitszustand keine Auftritte mehr ermöglichte.

Eines der letzten filmischen Dokumente zeigt die beiden genialen Komiker in Farbe: Der stark abgemagerte Hardy besucht Stan Laurel zu Hause – ein Jahr später war der fülligere der beiden Schauspieler tot. Für Laurel ein schwerer Schlag, denn er verlor nicht nur einen langjährigen Filmpartner, sondern auch einen guten Freund.

Laurel lehnte künftig Filmangebote ab. 1961 wurde er mit einem Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er starb im Alter von 74 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Zu seiner künftigen Beerdigung hatte Stan Laurel schon zu Lebzeiten verfügt: „Wer es wagt, bei meiner Beerdigung zu weinen, mit dem rede ich kein Wort mehr!“

Ein Laurel & Hardy gewidmetes Museum gibt es sogar in NRW: In Solingen ist das „Laurel & Hardy Museum“ samstags von 12 bis 17 und sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet: http://www.laurel-hardy-museum.de/

Eine „offizielle“ Webseite hält die Erinnerung an das Komiker-Duo lebendig: http://www.laurel-and-hardy.com/ , und ein Archivprojekt will die Briefe Stan Laurels sammeln, auswerten und zugänglich machen: http://www.lettersfromstan.com/

In Laurels Geburtsort Ulverston erinnert ebenfalls ein Museum an den großen Sohn der Gemeinde: http://www.laurel-and-hardy.co.uk/index.php  




Hitler als Liebling der Medien: „Er ist wieder da“ im Westfälischen Landestheater

Der Gedanke ist zugegebenermaßen ziemlich absurd, aber als Phantasiespiel nicht ohne Reiz: Wie wäre es, wenn Hitler wieder auftauchte? Wenn er nach 70jährigem Dornröschenschlaf in einer deutschen Gegenwart erwachte, in der es türkische Zeitungen und Comedians gibt und niemand Respekt vor dem Führer hat? Der Autor Timur Vermes hat dieses Spiel vor einigen Jahren in seinem Romanerstling „Er ist wieder da“ gewagt. Jetzt hat das Westfälische Landestheater in der Regie von Gert Becker daraus ein vorwiegend vergnügliches Bühnenstück gemacht und in Castrop-Rauxel uraufgeführt.

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In Pose: Guido Thurk als Hitler 1 (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Der Zeitungshändler, bei dem dieser merkwürdige Bärtchenträger in seiner abgeranzten, nach Benzin stinkenden braunen Uniform auftaucht, hält ihn für einen Comedian, für einen genialen Hitler-Imitator, der nie aus der Rolle fällt. Er vermittelt ihn an die Agentur „Flashlight“, und eine steile Karriere nimmt ihren Lauf. Jede Woche ist Hitler im Fernsehen zu sehen, seine Klickzahlen im Netz sind atemberaubend, „Youtube-Hitler – Fans feiern seine Hetze“ titelt die Zeitung mit den ganz großen Buchstaben. Bald schon erhält er (Achtung! Satire!) den Grimme-Preis, seit Loriot war kein Humorist so beliebt wie Adolf Hitler.

Und es bleibt nicht bei den im sattsam bekannten martialischen „Führer“-Duktus gehaltenen Reden. Wenn Hitler das NPD-Büro in Köpenick aufsucht und den Vorsitzenden wegen unvölkischer Gesinnung und einem indiskutablen Bekenntnis zur Demokratie vor laufender Kamera zusammenstaucht, feiert das Volk der Medienkonsumenten dies als Protestaktion gegen Rechts; und als er schließlich von Neonazis beschimpft und zusammengeschlagen wird, fliegen ihm endgültig die Herzen der Menschen zu. Es wird Zeit, das gut zweistündige Stück mit seinen monströsen Hitler-Phantasien zu beenden, was nun dankenswerterweise auch recht abrupt geschieht.

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Hitler 1 (Guido Thurk, links) und Hitler 2 (Burghard Braun). (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Doch das mulmige Gefühl, das sich trotz der zahlreichen eingebauten Lacher schleichend einstellte, will nach der letzten Szene nicht recht weichen. Vieles von dem, was Timur Vermes erzählt, könnte sich tatsächlich so abspielen in der Mechanik unserer stets gebannt auf Quote und Umsatz starrenden Medienwelt. Oder spielt es sich, die Frage steht im Raum, nicht auch so schon ab? Gibt es nicht längst schon diese Stars in Comedy und Talkshows, die reden dürfen, wie immer sie wollen, so lange sie nur Quote bringen, von Mario Barth bis Harald Schmidt?

Gewiss, das Grauen über den millionenfachen rassistischen Mord der Nazis und ihres „Führers“ findet in der Inszenierung seinen Platz, was auch zwingend sein muss. Gleichwohl hat Vermes’ Hitler, der darauf besteht, wirklich Hitler zu heißen und Hitler so gut nachmachen kann, dass man glaubt, er wäre Hitler, mit der historischen Person wenig zu tun. Er wird gezeichnet als komische Figur, als Sonderling mit Realitätsverlust, von dem keine politische Gefahr ausgeht. Es sei denn, skrupellose Rampensäue übernähmen die Macht. So wie vor mehr als 80 Jahren? Es zählt fraglos zu den Qualitäten dieser wüsten Geschichte, dass sie ihr Publikum wiederholt und scheinbar spielerisch auf die zentralen Fragen stößt, die die Nazi-Zeit uns hinterlassen hat: Wie konnte es dazu kommen und wie lässt sich eine Wiederholung verhindern?

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Ein respektloser Zeitungshändler (Bülent Özdil, links), zwei Hitler. (Foto: Westfälisches Landestheater/Volker Beushausen)

Die Inszenierung leugnet nicht, dass sie vom Buch abstammt, und besetzt den Hitler doppelt. Guido Thurk ist Hitler 1, der die braune Uniform trägt und in den Szenen mitspielt. Burghard Braun hingegen trägt zivil, ist Hitler 2 und spricht verbindende Texte zwischen den Szenen, irritierenderweise in der Vergangenheitsform. Von welchem historischen Punkt aus blickt er zurück, könnte man sich fragen. Thurk grimassiert und rollt die Augen, Braun pflegt die beherrschte Pose, beides kennt man vom historischen Vorbild. Und beide Schauspieler sind famose „Führer“-Darsteller. In zahlreichen weiteren Rollen sind Julia Gutjahr, Samira Hempel, Vesna Buljevic, Thomas Tiberius Meikl, Bülent Özdil und Thomas Zimmer zu sehen, die einige Male stärker überspielen, als für dieses Stück nötig wäre.

Elke König schließlich schuf das Bühnenbild, eine erkennbar aus Holz gefertigte Betonlandschaft mit Türen, Rampe und Tisch. Nur in einer Nische erfährt es ab und an Veränderungen, die zu den Szenen passen. Mal taucht hier eine der vielen „Spiegel“-Titelseiten mit Hitler-Titelgeschichte auf, mal der Tramp Charlie Chaplin, der die Albernheit des „Führer“-Gehabes zu dessen Lebzeiten schon unübertrefflich entlarvte und für Menschlichkeit warb. Die konzentrierte Ausstattung ruft ins Bewusstsein, dass dieses Theater oft auf Reisen geht und dafür kompakte Kulissen braucht. Die nächsten Stationen dieser Produktion sind Rheine, Bocholt und Hamm.

Viel herzlicher Applaus für Darsteller und Inszenierung.

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Termine: 5.2.2015, 19.30h Rheine, Stadthalle
6.2.2015, 20.00h Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
13.2.2015, 19.30h Hamm, Kurhaus
14.2.2015, 19.30h Witten, Saalbau
18.2.2015, 20.00h, Lünen, Heinz-Hilpert-Theater
14.3.2015, 19.30h Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
14.4.2015, 19.30h Bottrop, Josef-Albers-Gymnasium.

Ticket-Hotline 02305 / 9780 20

www.westfaelisches-landestheater.de




„Wie die Karnickel“: Eine Papst-Äußerung mit weitreichenden Folgen

Herrje! Jessas! Dschieses! Da ist aber der Rauch des Satans in die druckdichte Kabine des päpstlichen Flugzeugs eingedrungen! Hat doch das Oberhaupt der Katholiken verkündet, dieselben müssten sich nicht „wie die Karnickel“ vermehren…

Bergoglio, das war missgetan! Denn ungeachtet möglicher weitreichender moraltheologischer Schlussfolgerungen aus dem tierischen Vergleich meldete sich prompt der Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter zu Wort: Die Fortpflanzung deutscher Rasse- und Zuchtkaninchen erfolge in geordneten Bahnen. Sexuelle Ausschweifungen träfen nur auf freilebende Tiere zu!

Um Himmels willen! Das Karnickel - ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Um Himmels willen! Das Karnickel – ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Wir folgern aus dieser Expertise: Die langohrigen Mümmelmänner – ach so, es gibt auch kurzohrige? – mögen sich vielleicht in der argentinischen Pampa unkontrolliertem Geschlechtsverkehr mit anschließend überhöhten Geburtenraten hingeben; in Deutschland geht das unter dem Lehramt der Züchter keinesfalls! Und da die Kirche mit den knuffigen Schnüfflern schon mal Pech hatte – die Bibel ordnete sie fälschlich den Wiederkäuern zu –, möchte man dem Heiligen Vater zurufen: Schuster, bleib bei deinen Leisten!

Leisten? Oh! Soeben meldet sich die Interessengemeinschaft Deutscher Qualitätsschuh: Diese mittelalterliche Aussage sei wohl nicht mehr angebracht. Ob ich etwa beabsichtige, die zeitgemäße Herstellung von Fußbekleidung willentlich und wissentlich zu diffamieren. Die moderne, orthopädisch auf dem neuesten Stand befindliche Schutzhülle für menschliche Fortbewegungsorgane komme in ihrer elektronisch gesteuerten Produktion selbstverständlich ohne „Leisten“ aus. Hm – ein übler Fehlgriff. Man sollte nachdenken, bevor man Metaphern nutzt. Ist doch eigentlich klar wie Kloßbrühe, oder?

Moment mal! Kloßbrühe? Da reklamiert die Arbeitsgemeinschaft ostthüringischer Kloßhersteller Kompetenzen für sich. Hätte ich mich jemals der fachgerechten Zubereitung der mitteldeutschen Spezialität oder ihrer bayerischen und k.u.k.-Varianten gewidmet, wüsste ich, dass es ein Kennzeichen des Qualitätskloßes sei, nach dem Kochvorgang eine verunklarte Brühe zu hinterlassen. Und die „dumpling control commission“ der EU meldet sich mit der Information zu Wort, dass die Kloßbrühe nach der 1997 in der Drucksache 97/D/44-238-sh17it von der Kommission festgelegten und für die Gastronomie verbindlichen Standardkochzeit nach ISO 38447 einen Trübungsgrad von -2,4 dump aufweisen müsse. Zum Vergleich: Das Wasser, in dem Politiker zu fischen pflegen, dürfe nach dem Ethikkodex des Europäischen Parlaments keinen Trübungsgrad über -7,8 dump aufweisen. Der Transparenz wegen.

Ich gebe mich geschlagen. Keine Sprachbilder mehr! Schluss mit unsachgerechten Metaphern. Es ist einfach zum Mäusemelk …. Oh, Mist! Wer ist am Telefon? Das Komitee zum Schutz von Quadrupeden? Es sei inhuman, Kleinsäuger der schmerzhaften und entwürdigenden Prozedur des Melkens zu unterwerfen? Ich solle mich doch besser an Turbokühe halten?

Moment, es klingelt. Die Post bringt ein Einschreiben. Absender: Niedersächsischer Hochleistungsrind-Zuchtverband. Wie ich auf die dämliche Idee käme, das zeitgemäße Qualitätsmilchrind werde noch „gemolken“? Vielmehr werde die Milch zitzenfreundlich durch Delactosierungsgeräte auf dem neuesten Stand der Technik schonend aus dem milchführenden Drüsen- und Eutergewebe entfernt! Lieber Papst Franziskus, ich reiche Eurer Heiligkeit die Hand: Was biological correctness betrifft, haben wir noch viel dazuzulernen.




Routine im linksliberalen Korsett: Der „Geierabend“ braucht dringend Auffrischung

Der einstmals „alternative“ Dortmunder Bühnenkarneval „Geierabend“ ist mit den Jahren immer erfolgreicher geworden. Unser Gastautor Michael Westerhoff findet allerdings auch, dass die Veranstaltung heute viel harmloser daherkommt. Hier seine Eindrücke vom Premierenabend:

Müde Gags und schlecht einstudierte Szenen. Einzig der „Steiger“ Martin Kaysh läuft zu Normalform auf. Der Rest des neuen Geierabend-Programms („Nach uns die Currywurst“) ist genauso uninspiriert wie das Spiel des BVB in dieser Saison.

Schon das Intro, eine Coverversion von Robbie Williams’ „Let me entertain you“, lässt Böses erwarten. Dass die Zuschauer den Text nicht verstehen können, liegt nur zum Teil an der schlechten Akustik. Vielmehr scheinen die Ensemble-Mitglieder beim gemeinsamen Auftritt alle einen unterschiedlichen Text zu singen. Eine Tatsache, die sich wie ein roter Faden durchs Programm zieht.

"Geierabend": Henri Marczewski (li.) als Präsident, Martin Kaysh als "Steiger". (Foto: © StandOut.de)

„Geierabend“: Henri Marczewski (li.) als Präsident, Martin Kaysh als „Steiger“. (Foto: © StandOut.de)

Mal sind sich bei der Geierabend-Premiere die Duett-Partner der Hossa-Boys nicht einig, welche Strophe als nächste folgt, ein anderes Mal vergessen die Schauspieler ganz den Text oder singen unterschiedliche Worte. Angesichts der grauen Haare vieler Darsteller erinnert das ein wenig an eine Laienaufführung im Seniorenheim.

Und es geht nicht besser weiter. Martin F. Risse singt als Sauerländer Joachim Schlendersack ein Liedchen, das so getextet ist, dass sich am Ende nur Worte wie „Schwanz“ oder „Arsch“ reimen würden. Risse ersetzt sie durch andere Wörter, die eben nicht obszön klingen. Ein Brüller auf Fips-Asmussen-Niveau.

Es folgen erwartbare Nummern zum Flüchtlingsheim in Burbach, in dem Mitarbeiter Asylbewerber misshandelt haben, ein Kasperlestück zu den Vorfällen vor dem Dortmunder Rathaus, wo Anhänger der Rechten am Wahlabend an der Wahlparty teilnehmen wollten, es anschließend aber zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Und Pegida darf natürlich auch nicht fehlen.

Alles hübsch politisch korrekt, nichts quergedacht. Wie im Kabarett der 70er- und 80er-Jahre, als die Kabarettisten brav die Erwartungen ihres links-liberalen Publikums bedienen wollten. Oben auf der Bühne stehen welche, die das aussprechen, was die unten denken. Die Szene über Atom-Fässer im Garten der Villa wirkt wie die Version einer alten „Scheibenwischer“-Sendung aus den 80ern. Und über die Frisur von Ursula von der Leyen wurden auch schon alle Gags gemacht, ein weiterer wäre wirklich nicht nötig gewesen.

Gut wird das Programm immer dann, wenn es diese links-bürgerlichen Klischees verlässt, wenn es aggressiv und politisch unkorrekt ist; beispielsweise bei der typischen Hartz-IV-Mutter mit vier Kindern von vier Vätern. Gespielt wird sie von Sandra Schmitz, dem jüngsten Ensemble-Mitglied, das sehr erfrischend zwischen den anderen wirkt. Gags über Hartz-IV-Empfänger sind nicht neu, Spaß macht die Nummer trotzdem, weil die Texter hier das unsichtbare Korsett der political correctness, das die ganze Show einzwängt, verlassen.

Das gilt auch für den von Ausländern umzingelten Kleingärtner, der wie ein Selbstmord-Attentäter seine Kleingarten-Ordnung verteidigt. Mit einem Sprengstoff-Gürtel bewaffnet, spricht er seine Drohungen in eine Kamera. Das ist böse und gut. Genauso wie die eher an Comedy erinnernde Nummer über einen Türken, der ein Kind vom Kindergarten abholt, es aber nicht nach Hause, sondern zu einem Schrottplatz fährt, weil es dort gefälschte TÜV-Plaketten gibt.

Insgesamt scheint der Geierabend aber seinen Zenit überschritten zu haben. Fast 20.000 Menschen werden das Programm dieses Jahr sehen. Ein grandioser Erfolg. Über 20 Jahre hat sich das Ensemble ein treues Publikum erspielt, das zudem von Jahr zu Jahr zu wachsen scheint. Der einst alternative Karneval ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Möglicherweise ist das genau das Problem. Hier werden Erwartungen bedient. Wie bei McDonald’s, wo der Burger auch immer gleich schmeckt. Vielleicht ist das der Weg, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Kulturell inspirierend ist es jedoch nicht.

Der Geierabend braucht dringend frisches Blut; Schauspieler, Künstler und Texter, die andere Wege gehen wollen und nicht lieblos Klischee abliefern. Getragen wird der Abend von in Ehren ergrauten Herrschaften, die ihre künstlerischen Wurzeln in den schon angesprochenen 70er- und 80er-Jahren haben. Das muss nichts Schlechtes sein, führt in diesem Fall aber dazu, dass sich das Programm wie Gespräche von Lehrern in einem Dortmunder Kreuzviertel-Café anhört. Und wer einmal in einem solchen Café gesessen hat, weiß, dass die Unterhaltungen alles andere alles witzig sind.

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Termine und weitere Infos: http://www.geierabend.de/




Aus der hiesigen Hotline-Hölle: Unitymedia

Buddha – zwei Finger am Tastentelefon verloren?
Foto: Gerd Herholz

Nach sechs Jahren ist unser TV-Receiver ins Wackelkoma gefallen. Schluss, aus, Elektroschott. Asocial freezing: Andauernd fror das Bild ein. Also resetten (vulgo: Stecker raus – Stecker rein), damit das Dingsbums zumindest für eine Weile bewegte Bilder flimmerte.

Nach Dutzenden Versuchen, Kontakt aufzunehmen, meinte vor zwei Wochen unser „Was kann ich für Sie tun?“- Kundenberater, tja, da müssten wir wohl den Receiver ersetzen, Kosten ca. 120 Euro. Hurra, der Kundendienst sei tot, es lebe der dienende Kunde. (Nein, das hat er natürlich nicht gesagt.)
Der neue Receiver – so der versierte Callcenter-Agent – würde am Dienstag, spätestens am Mittwoch eintreffen. 14 Tage sind vergangen – und wo sind sie, all die abgehetzten, unterbezahlten Paketboten, von denen man jetzt überall hört? Nicht einer klingelte uns raus aus unserer Lethargie. Mittlerweile schauen wir am liebsten Werbepausen, da ist es eigentlich schnuppe, wann das Bild einfriert. Am besten passt’s natürlich, wenn Tiefkühlspinat beworben wird.

Gestern habe ich endlich die Zähne zusammengebissen, um erneut mit einem Kundenverräter bei Unitymedia zu sprechen. So naiv hätte ich mich besser bei SETI beworben. Die lauschen seit Jahrzehnten aus amerikanischer Wüste auf Signale aus dem All, um in Teleskopschüsseln neben kosmischem Grundrauschen so etwas wie Antwort außerirdischer Intelligenz  herauszufiltern. Ich Kleinmütiger habe dagegen nur 15 Minuten in der Warteschleife meines Premium-Anbieters durchgehalten, dann noch einmal fünf, bevor ich entnervt auflegte. Seitdem verwest meine Frau beim Versuch, einmal bei der Hotline des „alternativen“ lokalen Kundendienstes durchzukommen.

Übrigens: Immer, wenn ich mich zu dem für mich zuständigen Heißdrahtler durchtastelte, verblüffte eine Service-Stimme mit dem Satz: „Bitte beachten Sie, dass Gespräche zu Qualitätszwecken mitgehört werden können.“ Gespräche, welche Gespräche? Mit mir spricht doch überhaupt keiner. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal froh darüber wäre, wenn geschulte Profi-Abhörer dieses mich zermürbende renitente Schweigen, dieses stumme Stalking, aufmerksam mithören und zu Qualitätszwecken auswerten würden. Gut, dass wir auch in Deutschland dafür noch Spezialisten haben.

Und bitte – fragen Sie mich jetzt bloß nicht, wie ich’s in der Warteschleife ausgehalten habe bei elektronischer – sagen wir mal – Musik und dem Ohr- & Oralverkehr mit der verlockenden Stimme der automatischen Hinhalte-Tusse. Sonst müsste ich Ihnen nämlich in den Hörer hauchen:
Ich bin sofort für Sie da – Der nächste freie Mitarbeiter ist bereits für Sie reserviert – In wenigen Augenblicken bin ich für Sie da – Einen kurzen Moment noch – Ich bin sofort für Sie da – Der nächste freie Mitarbeiter ist bereits für Sie reserviert – In wenigen Augenblicken bin ich für Sie da – Einen kurzen Moment noch – Ich bin sofort für Sie da – Der nächste freie Mitarbeiter …

So. Und jetzt gehe ich Standbild schauen. Meditiere vorm TV wie einst Siddharta unterm Bodhi-Baum und hoffe auf plötzliches Erwachen – vor allem in jenem Callcenter, das die in die reine Leere  führende Unitymedia-Hotline betreut. Wahrscheinlich liegt es bei Kushinagar, Indien, unweit der Stelle, wo selbst Buddha sterben musste, immerhin aber als Erleuchteter von Warteschleifen – also vom Kreislauf des Leidens – seitdem verschont geblieben.




Was seit Wilhelm Busch geschah: 150 Jahre deutsche Comics in Oberhausen

Da hat man sich in Oberhausen hübsch was vorgenommen: Nicht weniger als die ganze Geschichte des deutschsprachigen Comics seit Wilhelm Busch will man in prägnanten Beispielen nacherzählen. Besucher der neuen Ausstellung „Streich auf Streich“ dürfen ausgiebig der Augenlust frönen, sehen sich aber auch gefordert.

In Zahlen: Die Tour durch 150 Jahre Comic-Historie ist in 15 Kapitel („Streiche“) unterteilt, rund 300 Originalzeichnungen und 60 Erstdrucke sind in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. Die Schau erstreckt sich weitläufig über mehrere Etagen und umfasst die ganze mediale und stilistische Bandbreite. Gastkurator Martin Jurgeit zeigte sich höchst angetan von solchen Ausbreitungs-Möglichkeiten. Er kann in Oberhausen noch mehr auftrumpfen als in Hannover, für dessen Wilhelm-Busch-Museum er die Schau geplant hat.

Wilhelm Busch: Zeichnung aus "Max und Moritz", 1865 (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Wilhelm Busch: Zeichnung aus „Max und Moritz“, 1865 (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Der wahrhaft vielfältige Rundgang beginnt beim Vorvater und frühen Großmeister der Zunft: Wilhelm Busch hat tatsächlich bereits typische Merkmale der allmählich entstehenden Gattung entwickelt, die vor allem Erzählrhythmik, Dynamik und Lautmalerei betreffen.

Sein feinfühliger, oftmals auch zupackend furioser, stets trefflicher Strich prägt unvergängliche Bildergeschichten. Davon bekommt man auch in Oberhausen einige herrliche Kostproben. Man schaue nur seine fulminante Darstellung eines Klaviervirtuosen an, der wechselnde Tempi und Stimmungswerte erklingen lässt. Bewegter geht’s nimmer.

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen "Vater und Sohn", 1930er Jahre (© Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Bildergeschichte aus der Zwischenkriegszeit: e. o. plauen „Vater und Sohn“, 1930er Jahre (© Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst)

Fast schon tragisch zu nennen, dass es dem Schöpfer von „Max und Moritz“ (1864/65) und vieler anderer berühmter Gestalten peinlich war, auf solche Weise sein Geld zu verdienen. Dabei überragte er seine Zeitgenossen auf diesem Gebiet bei weitem. Doch schon mit 51 Jahren zog er sich, mit Tantiemen bestens versorgt, aus dem unterhaltenden Gewerbe zurück und malte fortan nur noch „seriös“ – aber beileibe nicht genial. Wie hat der Mann, offenbar fehlgeleitet von klassischen Bildungsidealen, sich selbst verkannt!

Mittelbar hat das Werk von Wilhelm Busch auch den Anstoß für zahlreiche Kreationen in der Frühzeit der US-amerikanischen Comics gegeben. Im Auflagenkampf der Zeitungsmogule (Hearst vs. Pulitzer) waren die gezeichneten Geschichten ein unverzichtbares Mittel, um Tagesblätter populär zu machen.

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Reinhold Escher: Mecki, 1950er Jahre (© Reinhold Escher/HörZu)

Von deutschstämmigen Zeichnern verlangte der Verleger Hearst ausdrücklich Strips im Gefolge des Wilhelm Busch, wortwörtlich: „something like Max and Moritz“. Und so geschah es. Rudolph Dirks, aus Heide (Schleswig-Holstein) in die Staaten ausgewandert, schuf mit „The Katzenjammers Kids“ (ab 1897) eine Inkunabel des Comics, die pfeilgerade bei Wilhelm Busch ansetzte. Es war damals nicht der einzige deutsche Einfluss auf diese aufstrebende Kunstform. Selbst der Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger gab mit „The Kin-der-Kids“ einen lange nachwirkenden Impuls.

Die opulente Schau verfolgt Traditionslinien noch und noch. So ist ein Kapitel der (politischen) Satire gewidmet. Im Blickpunkt stehen hierbei der legendäre „Simplicissimus“ (Olaf Gulbransson, Th. Th. Heine), der von 1896 bis 1944 erschien. Diese Überlieferung riss freilich ab. Erst ab Anfang der 1960er Jahre belebten Zeichner wie Robert Gernhardt, F. K Waechter und Chlodwig Poth diesen Strang im Satiremagazin „Pardon“ neu, beim nominellen Nachfolger „Titanic“ pflegt man das Genre nicht mehr.

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Walter Moers: Kleines Arschloch, 1990 (© Walter Moers)

Die Illustriertencomics der bundesdeutschen Nachkriegszeit (Anfänge etwa seit 1949) kommen gleichfalls in Betracht: HörZu („Mecki““), Quick („Nick Knatterton“) und Stern waren die Vorreiter. Der „Stern“, für den zeitweise auch Loriot arbeitete, leistete sich die Kinderbeilage „Sternchen“, die ihr Publikum nicht zuletzt mit Comics unterhielt.

Selbstverständlich kommt man um Heftchenreihen wie Disneys Micky Maus (in Deutschland ab 1951 und gleich konkurrenzlos vollfarbig) oder den deutschen Nacheiferer Rolf Kauka und sein „Fix und Foxi“ (ab 1953) nicht herum. Durch die mehr als kongeniale Übersetzung von Erika Fuchs erhielten auch Micky Maus und Donald Duck sozusagen eine „deutsche Tönung“. Außerdem legten später etliche deutsche Zeichner Hand an.

Hendrik Dorgathen: "Bubbles" (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Hendrik Dorgathen: „Bubbles“ (Sprechblasen), 2012 (© Hendrik Dorgathen)

Und weiter, weiter: Da geht’s vorbei an Abenteuercomics im Streifenformat („Sigurd“, „Akim“ und Artverwandtes), an Comic-Alben der 70er bis 90er Jahre, in denen beispielsweise Gerhard Seyfried und Walter Moers („Das kleine Arschloch“) eminente Auflagen erzielten, an Autorencomics, z. B. von Ralf König und Volker Reiche, die beide auch das edle FAZ-Feuilleton mit täglichen Beiträgen zierten…

Überhaupt hat sich der Comic, der bis in die 60er Jahre hinein noch unter Schundverdacht stand, längst auch in der Hochkultur etabliert. Seit einigen Jahren floriert die sogenannte „Graphic Novel“, in der Comic-Erzählweisen aufs Niveau ambitionierter Romane geführt werden und ästhetisches Neuland erobern. Solche Schöpfungen erscheinen denn auch als Bücher in den großen literarischen Verlagen. Auf diesem Gebiet zählen deutsche Künstler abermals zur internationalen Vorhut. Ein Mann wie Hendrik Dorgathen zeichnet auf professoralen Reflexionshöhen. die gleichsam immer die lange und windungsreiche Geschichte des Comics mitbedenken.

Im Manga-Stil: Martina Peters, "Miri Maßgeschneidert", 2012 (© Martina Peters)

Im Manga-Stil: Martina Peters, „Miri Maßgeschneidert“, 2012 (© Martina Peters)

Rund 150 Jahre sind seit „Max und Moritz“ vergangen. Die letzten Ausläufer der verzweigten Schau lassen ahnen, dass endlich auch einmal Frauen von sich reden machen, und zwar vor allem mit „Germangas“, also der deutschen Spielart japanischer Mangas. Außerdem tut sich schließlich das weite Feld der Internet-Produktionen auf, die wiederum neue Erzählstrukturen hervorbringen. Hier können neuerdings deutsche Künstler regelmäßig US-Actioncomics zeichnen, ohne deshalb gleich auswandern zu müssen.

Gewiss: Man hätte entschiedener Schwerpunkte setzen, Schneisen schlagen und dafür anderes auslassen können. Der ehrgeizige Gesamtüberblick droht hie und da zu zerfasern. Aber wenn man sich Zeit lässt und dazu etwas nachlesen kann…

„Streich auf Streich“. 150 Jahre deutschsprachige Comics seit Max und Moritz. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Vom 14. September 2014 bis zum 18. Januar 2015. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 4 €. Booklet 4 €.




TV-Nostalgie (22): „Ein Herz und eine Seele“ – als „Ekel Alfred“ gegen die Sozis wetterte

Was für ein Kotzbrocken! Alle Welt kannte den Mann als „Ekel Alfred“. Den Beinamen hatte er sich wahrlich verdient.

Mit seiner Familie im Ruhrgebiets-Reihenhaus war dieser Alfred Tetzlaff keineswegs „Ein Herz und eine Seele“, wie der Serientitel ironisch verhieß. Nein, mit diesem monströsen Oberspießer konnte keiner in Frieden leben. Zu sagen, dass der Haussegen ständig schief hing, wäre eine Untertreibung.

Engstirniges Weltbild

Ab Anfang 1973 wetterte Alfred (großartig gespielt von Heinz Schubert) gegen alles, was nicht in sein engstirniges Weltbild passte und nach „Sozis“ oder gar Kommunismus roch. Jede Veränderung im Lande war ihm verdächtig. Mal ehrlich: Gibt es solche kleinen Alfreds nicht auch heute? Ja, sie gerieren sich zum Teil noch hemmungsloser: „Man wird doch noch mal sagen dürfen, dass…“

Warnt mal wieder vor den "Sozis": Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert). (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=sOGTZ-iQpT0)

Warnt mal wieder vor den „Sozis“: Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert). (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=sOGTZ-iQpT0)

Zu Alfreds Zeiten befand man sich noch im „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West, zu Beginn der Reihe regierte Kanzler Willy Brandt (SPD), ab 1974 war Helmut Schmidt (SPD) an der Reihe. Der war ja immerhin Offizier gewesen, wie Ekel Alfred brummelnd anerkannte. Doch egal. Für ihn war auch Schmidt nun vor allem ein übler „Sozi“, der Deutschland ins Verderben führte.

Ehefrau als „dusselige Kuh“

Dieser Tetzlaff posaunte immer aus, wie sehr er auf Sitte und Anstand, Pflicht und Ordnung halte. Doch dann zeigte sich stets ziemlich schnell, dass er selbst polternd gegen alle möglichen Regeln verstieß, wenn es ihm in den Kram passte.

Allein schon sein Vorrat an Kraftworten war so reichlich und derb, wie es damals im Fernsehen noch nicht üblich war. Und wie ruppig dieser Wicht seine Frau Else (Elisabeth Wiedemann) behandelt hat! Man konnte kaum mitzählen, wie oft er das unbedarfte Hausmütterchen „dusselige Kuh“ genannt oder anderweitig beleidigt hat. Doch an ihr schien alles abzuperlen, so illusionslos war sie nach fast 25 Jahren Ehe mit diesem Giftzwerg.

Köstliche Streit-Dialoge

Weitere Haushaltsmitglieder waren Tochter Rita (Hildegard Krekel) und Schwiegersohn Michael (Diether Krebs), der Alfred Tetzlaff mit seinen linksliberalen Ansichten bis aufs Blut reizte. Der traumhaft pointensichere Autor Wolfgang Menge hat den beiden köstliche Streit-Dialoge geschrieben.

Gespielt wurde das alles vor Live-Publikum, wie im Theater. Diese Aufführungen wurden jeweils am Tag der Sendung aufgezeichnet, so dass man immer aktuell sein konnte. So beispielsweise in der noch heute zum Quieken komischen Folge „Besuch aus der Ostzone“ vom 17. Juni 1974: Michaels Eltern, die in Sachsen lebten, hatten sich als Gäste angesagt – sehr zum Verdruss Alfreds und noch dazu vor dem (seinerzeit wirklich anstehenden) Fußball-WM-Duell „zwischen Deutschland und der Zone“. Da konnte Alfred mal wieder so richtig vom Leder ziehen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), „Columbo“ (21)

„Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.“ (Elias Canetti)




TV-Nostalgie (20): Peter Frankenfeld – ein Showmaster, der alle Tricks kannte

Um mal die alte Redensart zu verwenden: Kein deutscher Showmaster war mit mehr Wassern gewaschen als Peter Frankenfeld (1913-1979). Wenn man das Wort Vollprofi bebildern wollte, so könnte man bedenkenlos sein Foto nehmen.

Vor dem Krieg hatte er in Berliner Varietés das Unterhaltungshandwerk gelernt. Zeitweise war er beim Zirkus und zeigte Zauberkunststücke. Sogar in der Reklame war er tätig – als gewiefter Texter und Illustrator. Er kannte alle Tricks und wusste, wie man das Publikum fing.

Größter Erfolg „Vergißmeinnicht“

Der aus Berlin-Kreuzberg stammende Peter Frankenfeld wurde – neben Kulenkampff – zum erfolgreichsten TV-Entertainer der 60er Jahre. Legendär wurde vor allem seine ZDF-Spielshow „Vergißmeinnicht“ (1964-1970), mit der die Postleitzahlen populär gemacht werden sollten. Diese Sendung – u. a. mit dem Geldbriefträger Walter Spahrbier – gab auch dem 1963 begründeten Mainzer Sender einen kräftigen Anschub und erzielte Quoten bis zu 78 Prozent.

Festliche Eleganz: Peter Frankenfeld in "Musik ist Trumpf" (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Festliche Eleganz: Peter Frankenfeld in „Musik ist Trumpf“ (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Der Perfektionist Peter Frankenfeld beherrschte die ganze Klaviatur – vom kleinen Sketch über den „Bunten Abend“, die Conférence und den Talentschuppen bis hin zur ganz großen Show. Und er bediente manche Geschmäcker zwischen Schenkelklopfer und Hintersinn. Der Humor der breiten Mehrheit war ihm ebenso geläufig wie vertracktere Spielarten, die er vor allem im Hörfunk erprobte („Peters Bastelstunde“).

In Live-Sendungen viel riskiert

Kein anderer Showmaster hat bei Live-Sendungen so viel riskiert wie Peter Frankenfeld. In den großen Hallen der Republik suchte er seine Kandidaten für Geschicklichkeitsspiele am liebsten ganz spontan aus – zeitweise mit Hilfe eines eines schwirrenden Propellers, der durch den Saal sauste. Da musste der Showmaster geschmeidig bleiben und oft genug improvisieren. Weit weniger riskant waren (Ehe)-Sketche, die Frankenfeld gemeinsam mit seiner Frau spielte, der einstigen Schlagersängerin Lonny Kellner.

Peter Frankenfeld mit seiner Frau Lonny Kellner (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Peter Frankenfeld mit seiner Frau Lonny Kellner (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=g2bsg9ecodQ)

Manche Kritiker haben ihm vorgeworfen, er bringe Kandidaten zuweilen in peinliche Situationen und liefere sie schadenfrohem Gelächter aus. Tatsächlich durften Menschen, die bei ihm auftraten, keine Mimosen sein und mussten schon mal über sich selbst lachen können. Mal großzügig gedacht: Könnte man gewisse Züge Frankenfelds nicht gar als Vorvorläuferschaft zu Gestalten wie Stefan Raab oder auch Harald Schmidt deuten?

Meister der Dialekte

Egal. Jede Dekade bevorzugt andere Typen. In den 70er Jahren entsprach Frankenfeld dem Zeitgeist nicht mehr so recht, einige Programmchefs wollten ihn nicht mehr einsetzen. Dennoch hatte er noch einen großen Erfolg: Es war die Wunschkonzert-Gala „Musik ist Trumpf“, die er bis 1978 präsentierte – mit großer Showtreppe und zahlreichen Stargästen der „leichten Muse“. Nach Frankenfelds Tod übernahm Harald Juhnke die Sendung bis 1981.

Immer wieder hat Peter Frankenfeld im Laufe seiner Karriere die verblüffende Fähigkeit bewiesen, die deutschen Dialekte kreuz und quer über die Landkarte perfekt nachzuahmen. So mancher Sketch und Gag bekam erst dadurch richtigen Pfiff.

Die berühmte grob karierte Jacke trug Frankenfeld im Fernsehen übrigens nur ein paar Jahre lang (bis 1961), dennoch wurde sie für immer zu seinem Markenzeichen. So macht sich die Öffentlichkeit ein (verzerrtes) Bild von den Prominenten.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers „Frühschoppen“ (19)




„Paris um jeden Preis“: Kino-Komödie zum Konflikt der Kulturen

Maya stammt aus Marokko. Doch sie lebt schon 20 Jahren in Paris und ist mit ganzem Herzen Französin.

Die Sprache ihrer Heimat kann sie weder verstehen noch sprechen. Warum sollte sie auch, ist sie doch ständig mit ihren französischen Freunden unterwegs und in der Modebranche zuhause. Ihr ganzes Leben kreist um ausgefallene Stöckelschuhe und den neuesten Look. Wenn ihre Ideen für die aktuelle Kollektion ankommen, könnte sie endlich die lang erhoffte Festanstellung in einem bekannten Modezar bekommen.

Maya (Reem Kherici) muss sich unversehens in Marokko zurechtfinden. (Bild: © polyband Medien GmbH)

Maya (Reem Kherici) muss sich unversehens in Marokko zurechtfinden. (Bild: © polyband Medien GmbH)

Doch dann geschieht das für Maya völlig Unfassbare: Als sie nachts in eine Polizeikontrolle gerät, stellt sich heraus, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung längst abgelaufen ist. Schon am nächsten Tag, da kennen die Franzosen kein Pardon, wird sie abgeschoben und sitzt im Flieger gen Marokko.

Plötzlich lebt die schicke Mode-Zicke mitten unter verschleierten Frauen, läuft sich mit ihren High-Heels auf staubigen Straßen die Füße wund und muss sich ständig die Vorwürfe ihres Vaters anhören, der meint, sie habe sich dem westlichen Satan verschrieben und führe ein lasterhaftes Leben. Fortan kreisen Mayas Gedanken nur um eines: Wie kann ich so schnell wie möglich wieder nach Paris kommen?

„Paris um jeden Preis“ ist ein ebenso flotte wie oberflächliche Komödie über alle Klischees, die wir über den Konflikt der Kulturen so gern pflegen. Ob Europäer oder Araber, Modemenschen oder Muslimbrüder, sie alle bekommen ihr satirisches Fett weg und werden durch den Kakao gezogen.

Aber richtig ans Eingemachte gehen und wehtun soll das nicht. Alles dreht sich um Reem Kherici, sie hat das Drehbuch geschrieben, führt Regie und spielt die Hauptrolle. Wahrscheinlich hatte niemand am Set den Mut ihr zu sagen, dass auch andere gelegentlich Luft zum Atmen brauchen und mehr als nur Stichwortgeber für überkandidelte Gags sein wollen.

Die um Maya alias Reem Kherici kreisenden Figuren sind mithin etwas flach und flau geraten, dafür aber immer brüllkomisch. Kaum verwunderlich, dass am Schluss alles so kommt, wie man es erwartet hat: Maya schöpft aus der ihr zunächst so fremden Heimat emotionale Kraft und kreative (Mode-)Fantasie und kehrt – rundum geläutert – auf (illegalen) Pfaden zurück in ihre Wahlheimat. Aber um jeden Preis, wer hätte das gedacht, muss sie, die das Leben und die Liebe ganz neu begriffen hat, nicht mehr in Paris leben. Geht’s noch ein wenig einfacher?

(Kinostart 22. Mai)




TV-Nostalgie (16): Dieter Hildebrandt – die besten Jahrzehnte des Kabaretts

Heute bestreiten gewisse „Comedians“ ganze Abende mit dröhnenden Flachwitzchen darüber, dass Frauen auf Handtaschen und Schuhe versessen sind oder angeblich nicht einparken können. Welch ein himmelweiter Unterschied zum politischen Kabarett, das den Namen verdient! Da geht’s beim Lachen eben auch ums Nachdenken. Und wer hätte mehr dafür gestanden als Dieter Hildebrandt? Der Mann fehlt!

Sicher: Das parteipolitische Witzeln der 50er und 60er Jahre hatte sich irgendwann mal erledigt. Doch einer wie Hildebrandt lief zwar gewiss nicht jedem Trend hinterher, ging aber mit der Zeit und entwickelte gemeinsam mit jüngeren Begabungen das Kabarett weiter, so dass es in seinen besten Momenten auch gesellschaftliche Tiefenströmungen erfasste.

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären "Scheibenwischer"-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Dieter Hildebrandt im Januar 1982 in der legendären „Scheibenwischer“-Ausgabe über den Rhein-Main-Donau-Kanal (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=MosvwkOelcs)

Man schaue sich Ausschnitte seit den 80er Jahren an: Wie viele Talente er da mit untrüglichem Gespür für Qualität gefördert und selbst noch von ihnen gelernt hat! Bei ihm bekamen sie alle eine große Bühne – von Gerhard Polt bis Richard Rogler, von Konstantin Wecker bis Georg Schramm, dem wohl besten Kabarettisten der letzten Jahre, der sich jetzt leider aus der Öffentlichkeit zurückzieht.

Die Technik des Verhaspelns

Der gebürtiger Schlesier und Wahlmünchner Hildebrandt (übrigens Anhänger von 1860 München) war ein vorbildlicher, durch und durch uneitler Förderer, der andere gern neben sich gelten ließ und dafür sorgte, dass sie reifen konnten. Allein das war schon eine große Lebensleistung – ganz abgesehen natürlich von den eigenen Auftritten, bei denen er seine unvergleichliche Technik des (hellwachen) Verhaspelns kultivierte. Am Ende hatte er zwischen den Zeilen immer ungleich mehr gesagt, als Geradeaus-Sätze es vermocht hätten. Übrigens merkte man bei seinen Soli und im Ensemble auch immer wieder, dass er eine ordentliche Schauspieler-Ausbildung hatte.

Legendenstatus erlangten seine Fernsehreihen „Notizen aus der Provinz“ (1973 bis 1979 im ZDF) und „Scheibenwischer“ (1980 bis 2003 mit Hildebrandt in der ARD, danach noch bis 2008 ohne den Meister). Auch bei „Neues aus der Anstalt“ (ZDF) stand Hildebrandt noch Pate und war mit von der Partie, wenn auch nicht mehr in vorderster Linie.

Bei Konservativen oft „angeeckt“

Die „Notizen aus der Provinz“ waren ein vorproduziertes Magazin, beim „Scheibenwischer“ gab’s hingegen Live-Kabarett. Beiden Sendungen gemeinsam war allerdings, dass sie oft bei konservativen Politikern und Fernsehgewaltigen „aneckten“. Besonders heftig geführt wurde der Streit um die Ausgaben zum korruptionsträchtigen Wahnwitz des Rhein-Main-Donau-Kanals (1982) und zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl (1986). Aus der Letzteren klinkte sich der Bayerische Rundfunk aus.

Millionenpublikum mit „Lach & Schieß“

Begonnen hatten all die ruhmreichen Jahrzehnte mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, die Hildebrandt 1956 gemeinsam mit dem Sportjournalisten Sammy Drechsel gegründet hatte. Zwischen 1963 und 1971 hatte die Truppe ein Millionenpublikum mit ihrem ARD-Silvesterprogramm „Schimpf vor zwölf“. Nie wieder hat deutsches Kabarett so viele Zuschauer versammelt wie damals.

Nur nicht unverbindlich sein

Ende 1972 löste sich die Lach- und Schießgesellschaft auf. Willy Brandt war 1969 Kanzler geworden und das linksliberal ausgerichtete Kabarett in eine Sinnkrise geraten. Es drohte staatstragend zu werden. Doch Dieter Hildebrandt hat niemals unverbindliche Scherze getrieben. Bezeichnend, dass er sich noch viel später mit Mathias Richling überwarf, der nach 2008 just auch Comedians zum „Scheibenwischer“ holen wollte. Solche Späße waren Hildebrandt zu läppisch und er untersagte die weitere Verwendung des Titels „Scheibenwischer“.

Seit Hildebrandts Tod im November 2013 vermisst man schmerzlich eine solch gewichtige Figur, die die Szene gleichsam väterlich zusammenhalten könnte. Was er wohl dort oben über den Wolken treibt? So ganz ohne klugen Spott dürfte es auch dort nicht abgehen…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), „Was bin ich?“ (15)




Zwischen Repertoire und Experiment – Theater Dortmund stellt Spielplan 2014/2015 vor

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Die Theater-Reihe „Das goldene Zeitalter“ – hier ein Bild aus der letzten Produktion – wird fortgesetzt: „100 neue Wege dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“ kommt im Januar 2015 heraus. Foto: Edi Szekely/Theater Dortmund

Spielzeit 2014/2015 – das Theater Dortmund mit den Abteilungen Oper, Ballett, Philharmoniker, Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater hat seine Pläne vorgestellt. Ein einheitliches Bild ist nicht auszumachen, zu unterschiedlich sind die Fachabteilungen und die Menschen, die sie prägen. Hier eine erste kleine Übersicht, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

Den französischen Friseur Arthur hat es auf eine Insel fern ab von aller Zivilisation verschlagen. Hier, die Welt ist ja voller verrückter Zufälle, lernt er die hübsche Häuptlingstochter Atala kennen, und alles könnte richtig schön werden. Leider aber kündigt Häuptling Biberhahn, Herrscher über die Nachbarinsel Papatutu, kurz darauf seinen Staatsbesuch bei Atalas Vater Abendwind an, und das verlangt nach einem Festmahl. Die Tragik nun liegt darin, daß man in dieser Gegend der Welt dem Kannibalismus zugetan ist, und daß der französische Friseur nach einhelliger Meinung ein wunderbares Schmorgericht abgeben dürfte. Was ihm naturgemäß gar nicht schmeckt, um im Bild zu bleiben. Und wie er aus der Nummer wieder herauskommt, erfährt man ab dem 24. Januar im Dortmunder Schauspielhaus. Dann hat dort nämlich das Stück „Häuptling Abendwind und Die Kassierer: Eine Punk-Operette“ Premiere.

Der Stücktitel verlangt nach Erklärungen. Zunächst „Die Kassierer“: Sie gelten, sagt Schauspielchef Kay Voges, seit 30 Jahren als die kultigste Punk-Band aus dem Ruhrgebiet. In Sonderheit sei die Revier-Lebensweisheit „Das schlimmste ist, wenn das Bier alles ist“ ihr Leib- und Lebensmotto. Den Spruch kann man ja etwas umrubeln auf „Das schlimmste ist, wenn das Fleisch alle ist“, womit man dann sozusagen schon beim Grundmotiv des hier zur Aufführung gelangenden Kannibalen-Stoffes wäre, welcher ursprünglich ein Opernlibretto war, geschrieben von Philippe Gille und Léon Battu zur Musik Jacques Offenbachs. „Vent du soir ou l’horrible festin“ hieß das Werk auf französisch, und Johann Nestroy machte daraus eine Burleske mit dem (annähernd exakt übersetzten) Titel „Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl“. Diese Burleske nun, der Anlauf hat etwas gedauert, wird von Den Kassierern mit Offenbachs Klängen zur Punk-Operette verwurstet. Es wird absehbar schräg und laut und lustig, zumal Die Kassierer auch auf Musikfeldern wie Country oder Jazz zu Hause sind.

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Die Oper „Carmen“ wird auch in der neuen Spielzeit gegeben. Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund

Das Projekt habe sich auch deshalb geradezu angeboten, weil Punk und Operette sich doch recht ähnlich seien, merkt Kay Voges treuherzig an. Doch, doch! Der hohe Mitsingfaktor sei durchaus vergleichbar. Jedenfalls ist diese Punk-Operette des Schauspielhauses in der Spielzeit 2014/2015 und in der Abteilung Originalität unangefochtener Spitzenreiter. Regie führt übrigens Andreas Beck, den man aus dem Ensemble und bislang vor allem „vor der Kamera“ kennt. Daneben, wir bleiben beim Schauspiel, wird ein bunte, anspruchsvolle Themenmischung geboten.

Schauspiel

Kay Voges selbst inszeniert für den Spielzeitauftakt am 12. September einen „Hamlet“, bei dem ihn Video-Artist Daniel Hengst („Tannhäuser“) und Musikchef Paul Wallfisch unterstützen werden. Jetzt, so Voges, fühle er sich alt genug für diesen Shakespeare-Stoff. Und man wüßte jetzt schon gerne, wie er wohl den Hamlet-Monolog anlegen wird. Oder ob er ihn einfach weglässt?

Der notorische Wenzel Storch, der durch seinen Film „Die Reise ins Glück“ einer größeren Zahl von Menschen bekannt wurde, führt Regie bei einer „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“. „Komm in meinen Wigwam“ heißt die Produktion mit Premiere am 17. Oktober. Jörg Buttgereit ist wieder da und verkündet mit breitem gesellschaftlichen Bezug, daß „Nosferatu lebt!“. „Ein Mystery-Crime-Science-Fiction-Hospital-Theater-Web-Adventure in sieben Teilen“ steht auf dem Programm, das sich Alexander Kerlin, Anne-Kathrin Schulz und Kay Voges ausgedacht haben und das so eine Art Krankenhausserie ist. „The Madhouse of Ypsilantis“ heißt es. Fans des „Goldenen Zeitalters“, von denen es etliche gibt, dürfen sich auf eine weitere Folge freuen. Der neue Theaterabend mit unvorhersagbarem Verlauf hat im Februar 2015 das Motto „100 neue Wege dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“. Das kann einen schon nachdenklich machen.

In der nicht-experimentellen Abteilung, auch das soll nicht unerwähnt bleiben, ist ebenfalls Leben: Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ (Premiere 18. Oktober) gelangt zur Aufführung, ebenso eine Adaption von Ingmar Bermans „Szenen einer Ehe“ (Premiere 28. November). Für die „Elektra“ am 7. Februar 2015 werden Sophokles, Euripides und Hugo von Hoffmannsthal als Autoren genannt, doch zuvörderst plant Regisseur Paolo Magelli eine Beschäftigung mit Deutschland und Dortmund in den Zeiten nach den Weltkriegen. Paul Wallfisch steuert seine musikalischen Interpretationen von Richard Strauß’ „Elektra“ bei.

Schließlich ein Hinweis auf „Identity“. Mit diesem „Jugendclub-Projekt der Theaterpartisanen 16+“ will das (Erwachsenen-) Schauspiel auch Schulklassen besuchen und wildert damit scheinbar im Revier von Voges’ Kollegen Andreas Gruhn, dessen Kinder- und Jugendtheater (KJT) ja eigentlich zuständig für diese Altersklasse ist. Überhaupt fällt auf, daß das Schauspielhaus – beispielsweise auch mit dem „UNRUHR Festival“ im Juni 2015 – jugendliches Publikum umwirbt. Doch das ist vermutlich mit dem KJT abgesprochen.

Kinder- und Jugendtheater

Für die Theaterleute von der Sckellstraße bleibt genug zu tun, und auch sie überschreiten Grenzen. So wendet sich Lutz Hübners Klassiker „Frau Müller muß weg“ (Premiere 13.2.2015) eher an Eltern und Erzieher als an Kinder. „Sneewitte“ von Sophie Kassies und Jens Joneleit (Premiere 19. März 2015, Regie Antje Siebers) entsteht in Zusammenarbeit mit der Jungen Oper Dortmund und will Kinder ab sieben Jahren in musikalisches Neuland führen. „Industriegebietskinder“ – ein Arbeitstitel angeblich, den sie ruhig so lassen sollten – vergleicht als Projekt dreier Theater die Lebenssituationen an drei mehr oder weniger entindustrialisierten Orten. In Dortmund hat sich das KJT in den (neuerdings noblen) Stadtteil Hörde aufgemacht, das Berliner Theater Strahl blickt auf den ehemaligen DDR-Unterhaltungselektronik-Standort Oberschönweide, das Neue Theater Halle auf die streckenweise verwaiste Neustadt. Am Anfang des Projekts steht ein Camp in Berlin, geplant sind weiterhin Recherche-, Entwicklungs- und Produktionsphasen, und am 8. Mai 2015 soll das Ding zum ersten Mal über die Bühne gehen.

Ach ja: Das Weihnachtsmärchen heißt in diesem Jahr „Peters Reise zum Mond“. Andreas Gruhn hat Bassewitz’ langjähriges Erfolgsstück „Peterchens Mondfahrt“ gründlich überarbeitet und aktualisiert und zu einem „Weltraummärchen“ für Kinder ab sechs Jahren gemacht. Erster Mondstart von Peter und Anna ist am 13. November.

Oper

Sechs Premieren kündigt Opernchef Jens-Daniel Herzog an, was formal auch zutreffend sein dürfte. Aber Richard Strauss’ „Rosenkavalier“, Mozarts „Don Giovanni“ oder Verdis „Ein Maskenball“ halten sich landauf, landab, so hartnäckig in den Repertoires, daß es geradezu unglaubwürdig wirkt, ihren Wiedereinrichtungen das Etikett „neu“ aufzukleben. Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Dortmunder Produktionen aus, um die es so schlecht nicht bestellt sein kann. „Ein Maskenball“ zum Beispiel entsteht in Kooperation mit dem Royal Opera House Covent Garden in London.

„Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber steht am 19. Oktober erstmals auf dem Programm des Opernhauses, das szenische Oratorium „Saul“ von Händel ist am 25. April 2015 die letzte Premiere der neuen Spielzeit. So weit, so gut.

Ein strahlendes Highlight hat die Oper aber doch im Programm: Die Vaudeville-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ von Paul Abraham, den die Theater seit einigen Jahren wiederentdecken. Der Plot klingt so herrlich doof, daß er fast in einem Satz erzählt werden kann: Fußball-Nationalmannschaft findet kein Quartier und wird notgedrungen im Mädchenpensionat untergebracht. Zum Finale treffen sich alle im Stadion.

Man darf gespannt sein, wie Regisseur Thomas Enzinger „Roxy und ihr Wunderteam“ umsetzen wird. Auch wenn der Stoff es nahezulegen scheint, muß die Inszenierung nicht zwangsläufig ein burlesker Schenkelklopfer werden. Die Verfilmung aus dem Jahr 1937, entstanden im damals noch nicht von den Nationalsozialisten regierten Österreich, wohin der jüdische Komponist Paul Abraham geflohen war, macht aus dem Stoff einen eleganten Tanzfilm, der an Fred Astaire, Ginger Rogers oder Gene Kelly denken läßt. 15 Termine zwischen dem 29. November 2014 und dem 15. März 2015 hat das Opernhaus schon angesetzt. Im fußballverrückten Dortmund hat man guten Grund, auf ausverkaufte Häuser zu hoffen (wenn nicht zeitgleich ein Pokalspiel läuft).

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Streifen statt Farben: Der aktuelle Ballett-Dreiteiler heißt „Drei Farben: Tanz“ (Bild). In der nächsten Spielzeit ist „Drei Streifen: Tanz“ zu sehen… Foto: Bettina Stöß/Theater Dortmund

Ballett

Xin Peng Wang hat Motive aus Thomas Manns Roman „Zauberberg“ zu einem Ballett verarbeitet, dessen musikalische Leitung bei Motonori Kobayashi liegt (Premiere 8. November 2014). Zweite Premiere der kommenden Spielzeit ist wieder einmal ein Dreiteiler, der diesmal „Drei Streifen: Tanz“ heißt. Das Drittel mit dem Titel „Closer“ choreographiert Benjamin Millepied zur Musik von Philip Glass, jenes mit dem Titel „The Piano“ – eine Uraufführung – Jiri Bubenicek. Und die Uraufführung von Dennis Volpi hat noch gar keinen Titel. „Schwanensee“ wird wieder zu sehen sein, ebenso „Der Traum der roten Kammer“ in der Hongkonger Fassung von 2013. Außerdem gibt es etliche „kleinere“ Ballett-Aktionen: „Internationale Ballettgala XX & XXI“, Sommerakademie, NRW Juniorballett und so fort.

Konzerte

Bleibt, von der Musik zu künden, der konzertanten zumal. Die üppigen Spielpläne liegen detailliert vor, man findet sie im soeben erschienenen Spielzeitprogramm und auf dem Internetauftritt des Theaters Dortmund. Der Eindruck hier: Viel solide Arbeit im klassischen Repertoire, wenig Starkino. Zwei prominente Namen fallen ins Auge, zum einen der der Sopranistin Edita Gruberova, die den mit 25.000 Euro dotierten Preis der Kulturstiftung Dortmund erhält und ihn sich am 5. Dezember im Konzerthaus abholen wird, zum andern der Sebastian Kochs, fernsehbekannter Schauspieler („Speer“), der, finanziert mit etwas Sponsorengeld, beim 5. Philharmonischen Konzert am 13. und 14. Januar in Beethovens Bühnenmusik zu Goethes „Egmont“ den Sprecher gibt.

Bei den Philharmonikern ist man übrigens auf die Idee gekommen, die Wörter, die die Titel der Reihen und Veranstaltungen bezeichnen, silbenweise zu zerhacken und dann mit so genannten Underlines zu verbinden. Deshalb heißt die philharmonische Reihe in diesem Jahr „helden_innen_leben“ und die Veranstaltung mit Herrn Koch im Januar „spiel_zeiten“. (Davor, nur als Fußnote, gibt es „gefühls_welten“, danach „helden_mut“.) Darf man in Blogs ungestraft das Wort Schwachsinn verwenden?

Fünf Konzerte der philharmonischen Reihe werden von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz dirigiert, fünf von Gästen, unter denen sich in dieser Spielzeit doch tatsächlich auch eine Frau befindet: Das 9. Konzert (12. und 13. Mai 2015) leitet die Amerikanerin Karen Kamensek, Generalmusikdirektorin in Hannover. Es gibt Kissenkonzerte und Kammerkonzerte und Babykonzerte (immer ganz schnell ausverkauft!) und „Konzerte für junge Leute“, deren Titel neugierig machen: „Groove Symphony“, „Superhelden der Filmmusik“, „Romeo und Julia in New York“. Und ganz am Schluß dieses Aufsatzes das schöne Gefühl, von der darstellenden Kunst geradezu umzingelt zu sein. Zumal seit kurzem auch das Programmbuch des Konzerthauses raus ist (grauenvoller Titel: „Stell dich der Klassik.“, mit dem Punkt). Es wiegt über ein Pfund und damit sogar noch etwas mehr als das von Oper und Theater.

http://www.theaterdo.de/startseite/

www.konzerthaus-dortmund.de




Es gibt etwas zu lachen – „Der nackte Wahnsinn“ in Dortmund

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Vicki (Merle Wasmuth) und Tramplemain (Frank Genser) haben Streß auf der Treppe (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Nein, dass das Dortmunder Theater in der Intendanz von Kay Voges eine besonders trübselige Veranstaltung wäre, kann man wirklich nicht behaupten. Glücklicherweise gibt es hier immer wieder was zu lachen. Und jetzt erst recht!

„Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn, der hier am Samstag seine Premiere erlebte, ist ein Spaßstück erster Güte, ein Komödienstoff nach allen Regeln der Kunst, den ein hellwaches Ensemble mit Tempo und großem Körpereinsatz zum ungetrübten Vergnügen macht. Damit wäre fast schon alles gesagt. Aber warum sollte eine Bewertung erst am Schluß der Besprechung stehen, wenn sich der Rezensent so gut amüsiert hat?

„Der nackte Wahnsinn“ ist der Form nach eine klassische Türenkomödie, folgerichtig hat die Kulisse derer zehn, auf mehreren Ebenen (Bühne: Pia Maria Mackert). Außerdem dient das Fenster dem Einbrecher als Bühnenzugang. Allerdings beschränkt sich das Stück nicht auf die Mechanik der exakt gespielten Auf- und Abtritte durch die diversen Türen, sondern ist zudem ein „Theater auf dem Theater“ – in drei Akten.

Im ersten Akt erleben wir, wie eine eher unbekannte Theatertruppe das Stück „Spaß muß sein“ des (fiktiven) Stückeschreibers Robin Housemonger für die Premierentournee probt, im zweiten – der Drehbühne sei Dank – erleben wir staunend, daß die Vorstellung für uns fast unsichtbar irgendwie weiterläuft, während sich hinter den Kulissen die Mimen zanken und prügeln, Eifersuchtsgeschichten, Sinnkrisen und Alkoholismus den Fortgang der Tournee gefährden. Doch die Show muß bekanntlich weitergehen. Das dritte Bild schließlich zeigt die Bühne wider von vorn. Die Tournee ist fast zu Ende, Kulisse und Mimen sind verschlissen, die Hauptdarstellerin ist betrunken und außerdem ist ihr das auch völlig egal. Running Gag bei alledem ist von Beginn an ein Teller mit Sardinen, der mal da ist und mal nicht, was für Verwirrung sorgt.

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Das Ehepaar Brent (Ekkehard Freye und Eva Verena Müller) weilt inkognito im eigenen Hause (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Der Plot schließlich, um auch ihn kurz zu erwähnen, kreist wesentlich um zwei Liebespaare, die sich heimlich in das Haus schleichen, um es dort miteinander zu treiben. Das eine sind (mit ihren Rollennamen des Stücks im Stück) der Häusermakler Tramplemain (Frank Genser) und das blonde Dummchen Vicky (Merle Wasmuth) sowie der Dramatiker Philip Brent (Ekkehard Freye) und seine Gattin Falvia (Eva Verena Müller). Alle wähnten Haushälterin Clackett (Friederike Tiefenbacher) abwesend, doch die ist noch da, weil sie irgendeine Promi-Hochzeit im Farbfernseher sehen möchte, während sie selbst zu Haus nur Schwarzweiß hat. Und einen Teller mit Sardinen hat sie sich fertig gemacht. Den Brents gehört das Haus tatsächlich, doch sind sie inkognito hier. Die Steuerfahndung darf nicht wissen, daß sie in England weilen.

Schließlich gibt es noch einen Einbrecher, der von Uwe Schmieder gespielt wird. Er ist dem Whisky sehr zugetan, weshalb man nie weiß, ob er seinen Einsatz schafft. Und da das Stück ja im Stück spielt, sind auch noch drei Personen sozusagen ohne Rolle dabei: der fette Regisseur Lloyd Dallas (Andreas Beck), der schwule Regieassistent Poppy (Peer Oscar Musinowski) und der Bühnenmeister Tim (Sebastian Graf).

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Vicki und Tramplemain mit ihrem Regisseur Lloyd Dallas (Andreas Beck, rechts) (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

So viel zur Handlung, die, man ahnt es vielleicht schon, natürlich zu keinem glücklichen oder auch weniger glücklichen Ende führt, sondern sich im atemlosen Kampf gegen das Unheil in der Welt im allgemeinen und das Entdecktwerden im Besonderen, aber auch um verlorene und nicht wieder aufgefundene Kleider, Bettlaken, Kisten und Taschen dreht. Und natürlich um Teller mit Sardinen. Das Stück im Stück hat auch deshalb kein Ende, weil ja nie bis zum Ende gespielt wird. Wie aber sollte so ein Plot schon enden, wenn nicht im Chaos?

Urkomisch sind viele Handlungsdetails – wie Brents absehbar aussichtsloser Kampf gegen den Sekundenkleber, mit dem er sich unlösbar einen Mahnschreiben vom Finanzamt und einen Sardinenteller an die Hände klebt, weshalb er im Weiteren nicht mehr in der Lage ist, die Hose hochzuziehen und panisch durch das Bühnenbild hüpft, treppauf, treppab. Poppy wechselt jedes Mal Hemd und Hose, wenn er aus der Szene verschwinden darf, Regisseur Lloyd Dalls stiftet mit Blumengeschenken, die Inspizient Tim zuverlässig an die falschen Adressen leitet, Chaos und Haß. Ausgesprochen spaßig auch sind im dritten Akt die Kostüm-Tauschaktionen, um schnell Ensemblemitglieder zu ersetzen, die gerade irgendwie abhanden gekommen sind. Schließlich stehen gleich drei Einbrecher auf der Bühne, was den Regisseur nur noch „Vorhang“ flehen läßt.

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Mrs. Clackett (Friederike Tiefenbacher) findet sich zwischen der Doppelbesetzung für den Einbrecher wieder (Uwe Schmieder li., Sebastian Graf re.) (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Entscheidender aber als die Vielzahl gelungener Einzelgags ist das rasende Tempo, das diese immerhin dreistündige Produktion von Anfang bis Ende durchhält. Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, die gemeinsam für die Regie zeichnen, verdeutlichen das durch einen Moment der Verlangsamung: Wenn dem Regisseur im ganzen Bachstage-Durcheinander ein Kaktus in den Allerwertesten gerammt wird, reduziert sich die Geschwindigkeit des Bühnengeschehens plötzlich wie in einer Zeitlupe. Die Töne dehnen sich, das Licht flackert wie bei einem langsam laufenden Filmprojektor, Schmerzverzerrt verzieht sich das Gesicht des fülligen Regisseurs im Schneckentempo, und ganz langsam beginnt Poppy, ihm die Nadeln einzeln wieder herauszuziehen. Und dann ist die Zeitlupe zu Ende und es geht so flott weiter wie vorher.

Die Damen nuttig, die Herren hasenfüßig, der Regisseur zynisch, der Schwule schwul: Natürlich ist das hier reinstes Chargenkino. Doch diese Überzeichnungen wirken nicht wirklich diskriminierend, weil ausnahmslos alle Personen auf der Bühne einen Schuß haben.

Und jetzt müßten noch ein paar wertende Zeilen folgen. Doch die stehen ja schon am Anfang. Das Publikum applaudierte erwartungsgemäß begeistert.

Termine: 9., 19., 25., 27. April, 8., 23. Mai, 1. Juni. www.theaterdo.de




Märchenhafter Realismus: T.C. Boyles Roman „Wassermusik“ in Neuübersetzung

Boyle_24324_MR.inddMit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks veröffentlicht T. C. Boyle seit 30 Jahren in kurzen Abständen seine Romane und Erzählungen.

Bei diesem Schreibrausch des US-Autors ist sein 1982 in einem Kleinverlag erschienenes Debüt „Wassermusik“ fast in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie jetzt eine Neuübersetzung belegt.

Boyle reist mit dem Afrika-Forscher Mungo Park ins Herz der Finsternis und beutet dessen Aufzeichnungen poetisch aus. Weil Mungo Park von seiner zweiten Niger-Expedition (1806) nie wieder zurückgekehrt ist, kann Boyle das im Dunkeln der Geschichte liegende Scheitern nach Belieben ausschmücken.

Ein parallel verlaufender Handlungsstrang spielt in England. Im Mittelpunkt: Ned Rise, der stets Glück im Unglück hat, sogar seine eigene Hinrichtung am Strick überlebt und im Leichenschauhaus zu neuem, frechem Leben erwacht. Ned Rise ist eine ins Groteske gewendete Oliver-Twist-Figur, ein Satiriker der sozialen Verwerfungen.

Wie es Boyle es gelingt, den (frei erfundenen) Überlebenskünstler Ned Rise und den (historisch verbürgten) Afrika-Forscher Mungo Park literarisch zusammenzubringen, das ist ganz großes Erzähl-Kino, komisch, abenteuerlich, berührend und unvergesslich. Eine wild wuchernde Geschichte, die zwischen märchenhafter „Tausend-und-einer Nacht“-Fantasie und sozialkritischem Charles-Dickens-Realismus angesiedelt ist. Großartig.

T.C. Boyle: „Wassermusik“. Roman. Neuübersetzung: Aus dem amerikanischen Wnglisch von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2014, 576 Seiten, 24,90 Euro.




TV-Nostalgie (11): Loriot – Humor mit Stil

Berühmte Szene mit Loriot: Liebeserklärung mit Nudel im Gesicht...  (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=zArEBFsviHs)

Berühmte Szene mit Loriot: Liebeserklärung mit Nudel im Gesicht… (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=zArEBFsviHs)

Der Mann ist wirklich eine Fernseh-Legende: Was Loriot (1923-2011) geschaffen hat, gehört fraglos zu dem, was man – etwas altfränkisch – den „Hausschatz deutschen Humors“ nennen könnte. Auf dieser ehrenvollen Liste stehen auch Namen wie Wilhelm Busch, Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt…

Man muss ja nur ein paar Stichworte oder Halbsätze aus Loriots Werken nennen, die längst Allgemeingut sind – und schon wissen alle Bescheid: Jodeldiplom. Kosakenzipfel. Steinlaus. „Früher war mehr Lametta!“ – „Ein Klavier, ein Klavier!“ – „Die Ente bleibt draußen!“ – „Es saugt und bläst der Heinzelmann…“ Oder einfach das unnachahmlich lakonische „Ach was!“

Derlei Zitate, die allseits bekannt sind, kennzeichnen Klassiker.

„Bitte sagen Sie jetzt nichts…“

Denkt man nur an die Redewendung „Bitte sagen Sie jetzt nichts…“, so sieht man sofort ihn sofort wieder vor sich – jenen bedauernswerten Mann (natürlich Loriot), dem beim gediegenen Essen mit seiner Bekannten (natürlich Evelyn Hamann) die Nudel zunächst an der Oberlippe, am Kinn und dann an so manchen anderen Gesichtspartien klebt, während er sich eine Liebeserklärung abringt.

Mühsam um Beherrschung ringen

In solche hochnotpeinlichen, urkomischen Situationen geraten Loriots Figuren häufig. Mühsam suchen sie noch im größten Schlamassel ihre Beherrschung und Würde zu wahren, die Anstandsregeln einzuhalten. Doch ach, vergebens! Was da nicht alles entgleist!

Von Lebenserfahrung zeugen die Eheszenen von Loriot. Man denke nur an den Cartoon-Film vom Mann, der einfach nur mal still im Sessel sitzen möchte. Doch immer wieder scheucht ihn die Gattin auf: Er solle doch endlich mal etwas tun, was ihm Spaß macht. Wie die beiden aneinander vorbei reden, das ist zum Piepen!

Wie soll man Loriots Komik verorten? Ist sie nicht manchmal ein wenig hanseatisch? Oder gar einen Hauch britisch? Aber wir wollen uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Dazu sind wir zu lachlustig.

Manchmal auch ein bisschen boshaft

Schon die bloßen Geschichten sind gut, sie wären aber nur die Hälfte wert ohne punktgenaue Umsetzung und geschmackssichere Dosierung; auch und gerade, wenn kleine Schlüpfrigkeiten ins Spiel kommen. Bei Loriot (bürgerlich Vicco von Bülow) stimmt jedes Timing, es „sitzt“ jede Geste, auch sprachlich passt alles bis ins Kleinste. Übrigens war Loriot nicht immer nur nachsichtig mit menschlichen Schwächen, manchmal konnte er auch ein bisschen boshaft sein. Aber immer mit Stil und Niveau. Und niemals so platt wie mancher heutige „Comedian“.

Satte 90 Minuten Sketche bei RBB

Warum ich das gerade jetzt schreibe? Weil ich Vorfreude wecken möchte. Am morgigen Abend (Sonntag, 9. März) zeigt der Sender RBB satte eineinhalb Stunden Sketche von Loriot. Um 20.15 Uhr heißt es „Über Vertreterbesuche, Jodeldiplome und Urlaubsbekanntschaften“, um 21.00 Uhr schließt sich Teil zwei an: „Über Bananen, Lottogewinne und Schweifträger.“ Um 21.45 Uhr dürfte man dann schlapp in der Couchecke liegen und abwinken, weil man wieder dermaßen gelacht hat…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), „Fury“ (10)




Wie Werte entstehen und schwinden – „Kunst und Kapital“ im Lehmbruck-Museum

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland - Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: "History Zero" (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland – Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: „History Zero“ (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Künstler haben manchmal so ihre Schliche, um die gängigen Praktiken des Kunstmarkts zu unterlaufen.

Mal wird nur ein wenig origineller Stempel als Signatur verwendet, so dass der Wert des zugehörigen Werkes auf einmal zweifelhaft ist. Mitunter wird gleich gezielt dafür gesorgt, dass keinerlei oder wenigstens kein einmaliges oder bleibendes Objekt vorhanden ist, an das sich zählbare Wertschöpfung knüpfen könnte.

Um solche (teilweise vertrackten) Strategien dreht sich im Duisburger Lehmbruck-Museum die Ausstellung des Akzente-Festivals. „Hans im Glück – Kunst und Kapital“ handelt davon, wie wir den Dingen Wert beimessen – auch über den Kunstmarkt hinaus, auf dem derlei Wertzuschreibungen oft vollends irrational sind.

In Grimms Märchen „Hans im Glück“ geht es bekanntlich darum, dass ein junger Mann anfänglich Gold eintauscht und nach und nach immer geringere Werte erzielt, was aber nicht beklagenswert erscheint, sondern als Befreiung von einer Last. Eine schöne, herzige Utopie der Loslösung vom schnöden Mammon. Und so hält auch die Duisburger Ausstellung hie und da Ausschau nach Tauschwerten jenseits des Geldes. Am sinnfälligsten gelingt dies Hans-Peter Feldmann, der auf runden Tabletts kleine Weizenfelder angelegt hat, die gleichsam vor den Augen der Besucher staunenswert wachsen und eine ungeheure Energie ohne sonderliches Kapital ahnen lassen.

Es herrscht aber nicht rundum Verweigerung. Selbst die Fluxus-Künstler der 60er und 70er Jahre (in der Ausstellung vertreten: Robert Filliou, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Dieter Roth) wollten von ihrem Tun leben und haben Auflagenkunst (Multiples) hergestellt, die sich dann doch leidlich verkaufen ließ. Allerdings widersprachen sie damit bereits dem Unikat-Gedanken. Überhaupt wehrten sie sich mit oft ausgeklügelt hintersinnigen Arrangements gegen den Fetischcharakter der (Kunst)-Ware. Ohne gewisse Widersprüche ist auf diesem Spannungsfeld schwerlich zu operieren.

Apropos Widersprüche, die aber auch zu Übereinstimmungen gerinnen können: Daniel Spoerri blendete „ärmliche“ Kunstmaterialien und schieren Luxus ineins, als er einen Filzanzug à la Beuys zusammen mit einem Designeranzug à la Cardin in Goldfolie präsentierte. Um die Wirrnis der Werte zu steigern, tauschte er die Vornamen aus und nannte die Herren Pierre Beuys und Joseph Cardin. Wobei zu sagen wäre, dass Beuys’ Schöpfungen einen finanziellen Vergleich mit Cardin durchaus bestehen würden. Aus dem Ärmlichen erwuchs Reichtum…

Handel und Wandel, ganz konkret und zugleich spielerisch: Die Deutsch-Japanerin Takako Saito hat einen ganzen Shop im Museum aufgebaut, den „You and me shop“, in dem man sich zur Kunst ernannte Objekte zusammenstellen und erwerben kann. Auch ein Dutzend Duisburger Künstler darf auf Saitos Wunsch hierbei mitwirken, ohne dass Galeristen von den Verkäufen (allesamt unter 50 Euro) profitieren.

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: "Golden Smile" (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: „Golden Smile“ (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Das slowenische Künstlerkollektiv IRWIN, das jede individuelle Schöpfung und Signatur ablehnt, enthüllt mit einigem Witz die oft irrsinnige Preisfindung für Kunstwerke. In der dreiteiligen Arbeit „Namepickers“ wird eine Kreation der berühmten (und somit besonders teuren) Marina Abramovic durch Kopie und Ent-Persönlichung sukzessive im Wert geschmälert. Ohne Überhöhung und ohne Aura, so zeigt sich, schwindet gleichsam das Kapital der Kunst. Und gar vieles ist ohnehin nur lächerliches Blendwerk, wie das IRWIN-Lächelbild mit gebleckten goldenen Zähnen vor Augen führt.

Renommierte Gegenwartskünstler sind an der gleichwohl übersichtlichen Duisburger Schau beteiligt. Felix Droese, Katharina Fritsch, Per Kirkeby und Wolf Vostell stillen ein etwaiges Bedürfnis nach Namedropping. Der griechische Biennale-Teilnehmer Stefanos Tsivopoulos ruft in einer beziehungsreichen Videoinstallation die Krise in seinem Heimatland auf. Die gleichfalls Biennale-erprobten Rumänen Alexandra Pirici und Manuel Pelmus wählen das Mittel der Performance, um der Kunst die materielle Basis zu nehmen und sie flüchtig zu machen wie vergängliches Theater. Da gibt’s nichts zu kaufen.

Salvador Dalí: "Kopf Dante" (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg - © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Salvador Dalí: „Kopf Dante“ (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg – © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Sehr weit haben sie sich somit von älteren Positionen der Moderne entfernt. Salvador Dalís Dante-Kopf, geschmückt mit vergoldeten Löffeln als Lorbeer, ist – verhaltener Ironie zum Trotz – ein eitles Sockel-Kunstwerk par excellence. Und auch Andy Warhols Waschmittel-Box („Brillo“) verdoppelte einst ja nur den götzenhaften Warencharakter; eine damals in jedem Wortsinne blendende Idee, die man freilich nicht endlos variieren sollte. Durchaus bemerkenswert, dass eine Arbeit von Man Ray heute zeitgemäßer wirkt als Warhols Warenzeichen.

Übrigens passen nicht alle Exponate so recht zum Thema der Ausstellung. Manches (zumal die schon öfter gezeigten Stücke aus Eigenbesitz) wird eher notdürftig in den Kontext gezwängt. Man muss schon sehr umständlich erklären, warum Skulpturen von Otto Pankok oder Wilhelm Lehmbruck („Bettlerpaar“) in diesen Zirkel gehören sollen.

„Hans im Glück – Kunst und Kapital“. Lehmbruck Museum, Duisburg (Friedrich-Wilhelm-Straße 40). Ab Samstag, 8. März (Eröffnung 16 Uhr) bis 22. Juni. Geöffnet So 11-18, Mo/Di nach Absprache, Mi 12-18, Do 12-21, Fr/Sa 12-18 Uhr.
Weitere Infos: www.lehmbruckmuseum.de




Familienfreuden XIV: Eine Lektion Babyschwimmen

Es gibt solche Eltern. Und es gibt solche Kinder. Oder: Wir waren beim Babyschwimmen. Eine Lektion in Demut, Erziehung und dem ganz normalen Wahnsinn.

Ich bin sicher, es gibt sie. Kinder, die nie nölen, schreien oder laut protestierend ihren Willen durchsetzen wollen. Die nie im unpassenden Moment in die Windel machen, für den nächsten Keks fast den Kinderwagen zum Umfallen bringen oder an der Supermarktkasse eine Revolte anfangen, gegen die die Französische Revolution ein Fliegenpups ist. Die allerdings schon mit sieben Monaten das Laufen begonnen haben, mit acht Monaten das Sprechen und ab anderthalb den ersten Kurs an der Uni besuchen. Und es gibt sicher auch die Eltern, die nie die Nerven verlieren, die immer genau wissen, was gerade mit ihrem Kind los ist und die nie auch nur ein gekauftes Gläschen an ihren Nachwuchs verfüttert haben.

Tropische Gefühle beim munteren Babyschwimmen. (Bild: Albach)

Tropische Gefühle beim munteren Babyschwimmen. (Bild: Albach)

Ich gestehe: Wir gehören nicht dazu.

Der Auslöser für diese Zeilen? Wir waren beim Babyschwimmen.

„Was ein Stress“

Normen watete mit Fi ins Wasser, ich stand am Beckenrand. Als ein Vater einen anderen mit leidendem Gesichtsausdruck und den Worten „Oh, was ein Stress! Wir müssen gleich noch zu Babyone!“ begrüßte, versuchte ich, das nicht als böses Omen zu werten.

Und tatsächlich: Fi lachte, planschte, paddelte – das Glück hatte ein Gesicht.

Nur ich hätte es beinahe nicht gesehen, weil mir schwarz vor Augen wurde. Die Schwimmhalle war auf gefühlte 50 Grad aufgeheizt. Die anderen Väter und Mütter am Beckenrand standen in luftigen Sportklamotten da – ich in meiner Winterkleidung drohte gleich, ins Wasser zu kippen.

Als ich einer Mutter sagte, dass mir die Hitze zu schaffen machte und die anderen Eltern ja schlauerweise dünner angezogen seien, schaute sie mich von oben bis unten an und sagte: „Mit gutem Grund!“

Ich schluckte es runter wie Fi das Chlorwasser.

Wickeln im Stehen

Hinterher in der Kabine, neben mir eine Mutter, die ihr Kind anzog, die Oma daneben. Ein eingespieltes Team, das sah man sofort. Fiona hingegen verstand unter Einspielen etwas anderes, als sich ruhig hinzulegen und anziehen zu lassen. Sie blieb zeternd stehen. Wickeln im Stehen gehört mittlerweile zu meinem Standardrepertoire – in normalen Situationen. Eine winzige Umkleide bei tropischer Hitze sprengt allerdings den normalen Rahmen. Wir arbeiteten uns millimeterweise vorwärts, ich beruhigend auf Fi einredend, sie zappelnd.

Blick von links. Missbilligend. Vielsagendes Räuspern. „Schau mal, Arabella“, sagte die Mutter neben mir honigsüß zu ihrer Babytochter, „DA wird noch diskutiert. DIE Phase haben wir ja schon hinter uns. DU wirst einfach hingelegt – und gut ist!“

Kennt Ihr die Folge des Tatortreinigers, bei der er von einem Nazi verbal belagert wird und in Tagträumen überlegt, wie er gern reagieren würde? Ich will keine Details nennen, aber mein Tagtraum hatte mit Fi’s voller Windel zu tun…

Glück zählt

Was soll ich sagen? Wir werden trotzdem wieder hingehen. Fi schließlich hat es glücklich gemacht – das zählt.

Das nächste Mal aber werde ich daran denken, was Normen beim Umziehen in der Männerkabine mitangehört hat. Dass nämlich der eine Vater den anderen fragte, ob er demnächst mal wieder joggen werde. Und der nur resigniert sagte, er habe nun Familie, Job, Haus. Da sei sowas wirklich nicht mehr drin.




„Die Anstalt“: Harte Arbeit an der ZDF-Satire

Es sieht ganz so aus, als wollten sie nicht mehr in erster Linie komisch sein, sondern vor allem (ge)wichtig und relevant. Sie attackieren frontal die Deutsche Bank, sie zeigen gar deutliche Sympathien für Positionen der Linkspartei, als wollten sie die leitenden Herrschaften beim ZDF mal so richtig ärgern. Doch sie spielen auch schon die Illusion mit, die sich darin verbirgt.

Sie, das sind Max Uthoff und Claus von Wagner, die jetzt von Urban Priol und Frank-Markus Barwasser (Pelzig) die Satiresendung des ZDF übernommen haben. Die heißt nicht mehr „Neues aus der Anstalt“, sondern schlichtweg „Die Anstalt“ und hatte heute ihre Premiere.

Neue Chefs in der "Anstalt": Max Uthoff (li.) und Claus von Wagner (© ZDF/Jürgen Nobel)

Neue Chefs in der „Anstalt“: Max Uthoff (li.) und Claus von Wagner (© ZDF/Jürgen Nobel)

Was der Sendung leider fehlt, ist eine wirklich prominente und zugkräftige Leitfigur. Ersichtlich fahrig und hektisch strampelt man sich ab, um den mangelnden Bekanntheitsgrad wettzumachen. Man kokettiert mit der eigenen, mutmaßlich durchschlagenden Wirkungslosigkeit, erklärt die Sendung aber vollmundig für „besetzt“ und träumt nicht nur insgeheim davon, dass das ZDF einem „den Saft abdreht“. Doch dazu besteht vorerst denn doch wenig Anlass.

Gewiss. Man arbeitet sich nicht mehr so sehr parodierend an einzelnen Figuren des Politikbetriebs ab, wie es Urban Priol kräftezehrend vollführt hat. Doch so mancher personalisierende Kalauer (Gauck als „moralische Knautschzone“ usw.) rutscht auch jetzt noch durch. Sei’s drum.

Gewiss. Eine Wut über so manche Verhältnisse (Fernsehprogramm-Elend, Schwulen-Diskriminierung, irrwitzige Banken-Macht, unbarmherziger Umgang mit Flüchtlingen) ist spürbar. Doch das wirkt zum Auftakt noch etwas wahllos gestreut, ja mitunter geradezu diffus – und gelegentlich auch flau und undifferenziert.

Gewiss. Da gibt es den einen oder anderen erhellenden, aufklärerischen Moment. Doch vieles kommt noch herzlich unkomisch und somit flügellahm daher. Der depressive Gestus von Nico Semsrott und der dampfende Zorn von Matthias Egersdörfer setzen immerhin gegenläufige Akzente mit etwas Kontur. Simone Solga steht freilich ein wenig hilflos dazwischen.

Aus der Sendung kann jedoch noch etwas werden, wenn man nach und nach die richtigen Mitstreiter an Land zieht und einen wirklich eigenen Stil entwickelt. Wahrlich keine leichte Aufgabe, diese Kärrnerarbeit an der ZDF-Satire…




„Porno“ in der Tiefkühltruhe

Vor einigen Tagen war im geschätzten Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein länglicher Essay zu lesen, der die pornographische Sichtweise als die prägende Perspektive unserer Tage dingfest zu machen suchte. Die Herangehensweise der harten Pornographie, so war zu lesen, bestimme längst auch weite Teile der Hochkultur. Und das nicht nur insgeheim.

"Nackt" in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

„Nackt“ in der Tiefkühltruhe (Foto: Bernd Berke)

Es mag etwas Wahres daran sein: Besonders Kino und Theater, doch auch die bildenden Künste müssen sich offenbar notgedrungen irgendwie zur globalen pornographischen Dominanz verhalten, sei’s harsch ablehnend, krampfhaft ignorierend, hintersinnig konterkarierend oder gleich hingebungsvoll affirmativ.

Bevor die Debatte ausufert, werde ich lieber konkret: Heute stand ich vor einer Kühltruhe im Supermarkt und wurde abermals gewahr, dass natürlich auch die Warenwelt sich pornographische Anspielungen zu eigen macht. Nicht nur, dass allüberall Plakate prangen, die bis in die 1970er Jahre nur unter der Ladentheke gehandelt worden wären; nein, auch vermeintlich harmlose Nahrungsmittel werden einem erotisch bis pornös schmackhaft gemacht. Da geht es manchmal nur noch um Sääääxxxx.

Und was heißt hier überhaupt harmlos! Der Hummer (um niemand anderen geht es) hat ja eh schon einen gewissen Ruch als Luxusnahrung der Begüterten und als Bestandteil jenes zynischen Wortspiels „Welthummerhilfe“. Jetzt habe ich eine Packung entdeckt, die sich mit der lockenden Überschrift „Der ,nackte‘ Hummer“ schmückte. Vergesst die neckischen Gänsefüßchen. Oh, Schweinskram über Schweinskram! Man denke nur: ein nacktes Tier! Da fällt einem doch Robert Gernhardts Reimklassiker ein: „Der Wal vollzieht den Liebesakt / zumeist im Wasser. Und stets nackt.“

Aber mal halbwegs im Ernst. Wahrscheinlich sollen wir glauben, dass nach dem Genuss dieses Schalentiers lustvolles Flachlegen angesagt ist. Oder etwa nicht?

Am den Wein- und Sektregalen bin ich dann nur noch abgewendeten Blickes vorüber gewankt. Wer weiß, was sich die Ferkel dazu wieder haben einfallen lassen…




„Oh, muss das sein, Miss Sophie?“: Vor 50 Jahren wurde das Silvester-Fernsehritual aufgezeichnet

Same procedure as every year ... Foto: NDR, Annemanrie Aldag

Same procedure as every year … Foto: NDR, Annemanrie Aldag

Wie wär’s mit folgendem Silvestermenü? Als Vorspeise wählen wir eine Mulligatawny-Suppe. Das ist eine Köstlichkeit aus Hühnerbrühe mit Gemüsen und vor allem Zwiebeln und Curry. Sie wurde in England gerne serviert und stammt noch aus der Kolonialzeit. Dazu reichen wir einen alten trockenen Sherry. Es folgt der Fisch, idealerweise Schellfisch aus der Nordsee, kredenzt mit einem Glas Weißwein, vielleicht einem Rheinriesling. Zum Fleischgang, einem Hühnchen, passt ein feines Glas Champagner. Und den süßen Abschluss bilden gesunde Früchte: Äpfel, Birnen, Mandarinen, Bananen. Ein süßer Portwein rundet dann das Mahl.

Wem dieses Menü bekannt vorkommt, hat in den letzten Jahrzehnten an Silvester gut zugeschaut: Es ist die Speisenfolge des „Dinner for one“, das Butler James zum 90. Geburtstag von Miss Sophie aufträgt. Wir kennen es alle: Die Dame hat vier Gäste geladen, die sich dummerweise aber infolge Ablebens nicht mehr von irdischer Speise nähren. So obliegt es dem Butler, zumindest die Pokale der vier Herren zu leeren, denn Miss Sophie legt Wert aufs Zutrinken und einen Trinkspruch. So nimmt das weinselige Schicksal seinen Lauf – und James kämpft nicht nur mit Tigerschädeln, Silbertabletts und Blumenvasen …

Vor 50 Jahren, 1963, wurde der Sketch mit May Warden und Freddie Frinton in der ARD-Sendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld“ ausgestrahlt und im Juli in Hamburg aufgezeichnet. Zwei Jahre zuvor lief er bereits in der Sendung „Lassen Sie sich unterhalten“ mit Evelyn Künneke. Davon gibt es aber keine Aufzeichnung. Seit 1972 gehört „Dinner for one“ zum festen Ritual der Silvester-Unterhaltung. Im Guinness-Buch der Rekorde landeten die achtzehn Minuten in Schwarz-Weiß 1988 als „weltweit am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion“.

Unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit: James, alias Freddie Frinton, und der Tiger. Foto: NDR, Annemarie Aldag

Unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit: James, alias Freddie Frinton, und der Tiger. Foto: NDR, Annemarie Aldag

Obwohl Frinton das Stückchen in den vierziger und fünfziger Jahren in England häufig bei Unterhaltungsshows in Seebädern und Großstädten spielte, ist es heute dort weitgehend unbekannt. Im britischen Fernsehen war er nie zu sehen. In vielen anderen Ländern, von Australien bis Südafrika, von der Schweiz bis Grönland, ist „Dinner for one“ dagegen ein ähnliches Kult-Ereignis wie in Deutschland. May Warden und Freddie Frinton haben sich mit dieser liebenswerten Miniatur ein Denkmal gesetzt – die beiden wären sonst längst vergessen. So heißt es – wie jedes Jahr – an Silvester wieder: „The same procedure as every year, James!“

Mehr als jeder dritte Bundesbürger – 37,5 Prozent – sieht sich an Silvester in der Regel im Fernsehen „Dinner for One“ an. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Apothekenmagazins „Senioren Ratgeber“. Wer sich in die Schar einklinken will: Der Sketch läuft in den Dritten Programmen der ARD zwischen 17.40 und 19.40 Uhr. Der WDR zeigt Miss Sophies Geburtstag um 18.50 Uhr. Für Spätgucker: Im NDR läuft er um 23.35 Uhr. Und nach dem Anstoßen auf 2014 kann man im Bayerischen Fernsehen gleich weitermachen: Auftritt von „James“ ab Mitternacht.

Der NDR widmet der unsterblichen Sendung eine Jubiläumsshow an Silvester: Von 09.10 bis 10.55 Uhr treten drei prominente Teams zu einem heiteren Wettkampf rund um „Dinner for one“ an. Heute, 30. Dezember, zeigt der NDR ab 22 Uhr eine einstündige Spurensuche rund um die – laut NDR – erfolgreichste Fernsehsendung der Welt: „Glückwunsch, Miss Sophie – 50 Jahre ‚Dinner for one‘: Das Erfolgsgeheimnis des Kultsketches“.Die Sendung wird an Silvester um 10.55 Uhr wiederholt.




Narr, Schamane, Anarchist: Zwiespältige Schlingensief-Werkschau in Berlin

Sein wichtigstes künstlerisches Mittel war die Provokation.

Ob er ein filmisches „Kettensägen-Massaker“ anrichtete oder mit dem Megaphon dazu aufrief, den FDP-Politiker Jürgen Möllemann zu töten; ob er die Spaßguerilla-Partei „Chance 2000“ gründete oder mit einem Fluxus-Oratorium „Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ betrauerte: Immer hatten die performativen Kunst-Events des gebürtigen Dortmunders Christoph Schlingensief etwas Flüchtiges und Chaotisches, wirkten sie wie hastig improvisierte Reaktionen auf politische Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Fehlentwicklungen, Entgleisungen des Zeitgeistes.

Christoph Schlingensief: "Freakstars 3000" (2003). Von links: Christoph Schlingensief, Horst Gelonneck, Kerstin Graßmann, Mario Garzaner, Achim von Paczensky. (© Filmgalerie 451 / Foto: Thomas Aurin)

Christoph Schlingensief: „Freakstars 3000“ (2003). Von links: Christoph Schlingensief, Horst Gelonneck, Kerstin Graßmann, Mario Garzaner, Achim von Paczensky. (© Filmgalerie 451 / Foto: Thomas Aurin)

Eigentlich kaum vorstellbar, dass all die Filme und Inszenierungen, Installationen und Aktionen eine museale Form annehmen könnten. Drei Jahre nach dem frühen Krebstod von Christoph Schlingensief präsentieren die Berliner „Kunst-Werke“ eine opulente Werkschau. Das ist nur möglich, weil Schlingensief, den viele für einen anarchischen Spinner und flüchtigen Ideenproduzenten hielten, ein notorischer Sammler und penibler Archivar seiner Kunst-Entäußerungen war.

So kann man jetzt, über mehrere Stockwerke und in unzähligen Räumen und Nischen, all das sehen, hören, nacherleben, was man längst auf der Halde der Kunstgeschichte wähnte: die Wiener Bau-Container, in denen einst (in einer Big-Brother-Persiflage) Ausländer hausten und auf ihre Ausweisung warteten; der aus sowjetischem Militärschrott gebastelte, auf einer Drehbühne installierte und von den Zuschauern begehbare „Animatograph“; der Mitschnitt jener Aktion, mit der Schlingensief hunderte Arbeitslose dazu aufrief, im Wolfgangsee zu baden, damit die Flutwelle bis an die Tür des Urlaubsdomizils von Kanzler Kohl schwappen möge; die mit versteckter Kamera heimlich gedrehten Bilder seiner „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth.

Auf Dutzenden Fernsehgeräten laufen in Endlosschleifen Videos, überall wabern akustische Pamphlete durch die Gänge. Alles, was man bisher vielleicht nur für Ausgeburten spätpubertärer Fantasie und geschmackloser Narretei gehalten hat, gewinnt, museal aufbereitet, fein beschriftet und kunstgeschichtlich einsortiert, plötzlich einen absurd anmutenden Kunst-Charakter. Und die Person, die – seien wir ehrlich – vielen Beobachtern zu seinen Lebzeiten mitunter heftig auf die Nerven gegangen ist, wird zum Gegenstand künstlerischer Verklärung.

Spätestens in jenem Andachtsraum, in dem das Vermächtnis Schlingensiefs – das von ihm inspirierte Operndorf in Afrika – weiterwirkt, beschleicht einen das verstörende Gefühl, in einen bizarren Kunst-Gottesdienst geraten zu sein. Aber Schlingensief war kein Heiliger, kein Wegweiser und kein Künder einer besseren Welt. Er war ein Störenfried, Schamane und Anarchist. Eine Nervensäge, ein permanenter Widerspruch. Ein Gesamtkunstwerk, das nur funktioniert, verstört, verärgert, solange er selbst den Provokateur spielt, den Ton und die Richtung vorgibt.

Ja, Schlingensief fehlt. Die deutsche Kunst ist ohne ihn um vieles ärmer. Aber im Museum wirkt er seltsam fehl am Platze, ins Unwirkliche entrückt, wie ein Denkmal seiner selbst. Irgendwie harmlos.

KW „Kunst-Werke“, Auguststraße 69, 10117 Berlin. Bis 19. Januar 2014, Mi-Mo 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr, Di geschlossen; Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.
Infos: http://www.kw-berlin.de/de/




Es ist schwer, sich daran gewöhnen zu müssen: Dieter Hildebrandt lebt nicht mehr

Dieter Hildebrandt ist tot. Er starb im Alter von 86 Jahren in einem Münchner Krankenhaus. So tickert es spiegel.de durch das weltweite Netz. Knapp und nachrichtlich, wie es sich gehört.

Als ich das gerade vor ein paar Minuten wahrnahm, drehte sich der physische Erdball zwar immer noch weiter, aber der Augenblick blieb einfach stehen. Unwirklich, ein Zustand ist eingetreten, an den man sich zwar gewöhnen muss, aber es nicht will, es vorher auch gar nicht wollte, weil im Inneren stets der Gedanke herrschte, dass er ewig Bestand haben werde.

Dieter Hildebrandt, Klaus Havenstein, Jürgen Scheller, Hans-Jürgen Diedrich, Ursula Noack – die Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Sammy Drechsel. Nun leben sie alle nicht mehr, die Helden meiner heranwachsenden Zeit. Nur Dieter Hildebrandt schien bis heute in seiner unverwechselbaren Art mit dem Ungesagten das Zutreffende auszusagen, alle Zeiten überleben zu wollen.

Der gebürtige Schlesier und adoptierte Münchner Dieter Hildebrandt bohrte seinen fröhlich-bissigen Humor durch jedes sich nach dem Kriege anbietende Polit-Segment und tat Repräsentanten jeglicher Couleur damit weh, was Politiker und Wirtschaftsführer am meisten peinigen kann – er sprach ihnen öffentlich ab, dass sie ernst genommen werden müssen. Die Spätfolgen ihres Jobs sind allerdings schon gravierend.

Auch wenn ihm bisweilen ein Bannstrahl nach dem anderen um die Ohren flog, er überstand sie alle. Und stammelte sich weiter durch die real existierenden Gesellschaftsformen deutscher Provenienz, ganz im Stile eines Werner Finck, der ihm anscheinend Vorbild war, im Einlassen auf Auslassungen und Wortspielen, die so aus ihm fielen, als ob sie ihm mal so eben einfielen.

Der legendäre Finck trat übrigens im Theater „Die kleine Freiheit“ in München auf, Erich Kästner schrieb an den Programmen und Dieter Hildebrandt war wesentlich dafür verantwortlich, dass das Publikum es bequem hatte – als Platzanweiser. Ganz so eine Nachkriegskarriere, die ihn in Höhen führte, dass alle, die politisches Kabarett nach ihm lebten, an seinem Können gemessen wurden.

Das Folgende ist nur wirklich meine Ansicht, mein liebevolles, an einem großen Künstler und klugen Menschen Festhaltenwollen: Sie können sich allesamt bemühen, solange und so viel sie wollen, niemand wird so hinreißend und lustvoll je wieder sprachlich und mimisch die Kaste karikieren, die meint, diese Republik lenken zu wollen.

Mit Dieter Hildebrandt starb ein Mensch, den ich leider nie persönlich kennenlernen durfte, aber der mir so häufig aus dem Herzen sprach, dass ich heimlich vermutete, er und sein aufrechter Menschengang müsse einfach zu mir gehören. Ade, Dieter Hildebrandt!




„Spätlese“ zum 90. von Loriot: Eine Fülle bisher unbekannter Zeichnungen

Ach, um den Humor deutscher Bauart ist es nicht eben blendend bestellt, seit prägende Gestalten wie Robert Gernhardt und Loriot gestorben sind. Umso inniger sollte man der beiden und einiger anderer gedenken.

Es hat sich herumgesprochen: Loriot (1923-2011) wäre just heute 90 Jahre alt geworden. Gern geben Verlage zu solchen Anlässen Bücher aus dem Nachlass heraus, möglichst mit bislang unbeannten Schöpfungen. Ganz in diesem Sinne möchte Diogenes, dass wir nun eine „Spätlese“ des begnadeten Vicco von Bülow verkosten. Die Verlagswerbung scheut dabei den marktschreierischen Begriff „Sensation“ nicht.

Das Wort „Spätlese“ bezieht sich auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung, weniger auf die Entstehung der bisher nicht publizierten Blätter, rund 400 an der Zahl. Ein anfänglicher Schwerpunkt liegt gar auf Zeichnungen und Cartoons der 50er und frühen 60er Jahre.

Loriot

Das Etikett „unveröffentlicht“ ist nicht durchweg ein Qualitätssiegel. Anfangs wurden vereinzelte Einfälle von Illustrierten wie „Stern, „Quick“ und „Weltbild“ noch abgelehnt – öfter freilich auch, weil die Redakteure den eigentlichen Witz verkannt haben.

Sehr schnell zeigt sich jedoch, dass die anfänglichen Fingerübungen zügig in einen eigenen, unverwechselbaren Stil übergehen. Der typische Loriot-Duktus entwickelt sich, der szenische Phantasie freisetzt und mit herrlich trockenem Understatement daherkommt. In einem Atemzuge wird da die Realität bemäntelt und enthüllt.

Wie man hier sehen kann, dienten Loriot häufig unscheinbare, insgeheim groteske Zeitungsmeldungen und Kleinanzeigen als Anstöße. Da schlägt er manchen Funken scheinbar aus dem schieren Nichts. Unvergleichlich, wie der Humorist Freundlichkeit und Abgründigkeit verbindet. Nur ein Beispiel: Die geradezu diskret erscheinende Straßenbahn-Zeichnung „Nicht mit dem Führer sprechen“ holt Hitler gruselig in die Gegenwart.

Zeitdiagnostisch für die Wirtschaftswunder-Republik sind jene Szenen aus der Arbeitswelt, die von Drill und starrer Disziplin künden und damit das Militärische in den Alltag bringen. Weitere Themenfelder muss Loriot nicht lange suche, sie drängen sich geradezu auf: Das Verhältnis zwischen Firmen und Kunden, Gebrauchtwagenkauf, Restaurantbesuche, Massentourismus, Jagd, Bahnfahren und Fliegerei sind auch ihm nahezu unerschöpfliche Quellen. Doch er findet zumeist einen eigenen Dreh, der ihn von der Masse der bloßen „Witzzeichner“ abhebt.

Geradezu nostalgisch mutet aus heutiger Sicht an, wie Loriot die damals gängigen Telefon-Ansagedienste aufgreift. Beispielsweise den Dienst mit Kochrezepten. Leider hat die Platte einen Sprung und verkündet immer wieder denselben Schritt. Und also schlägt der Koch daheim ein ums andere Ei entzwei.

„Große Deutsche“ als Knollennasenfiguren sind ein weiteres Kapitel, man bestaune Goethe, Nietzsche, Wagner, Thomas Mann, die der Bildungsbürger Loriot in den 90er Jahren auf etwas andere Weise zeigt. Leider ist die Reihe unvollendet geblieben. Eine Liste zeigt, wen Loriot noch porträtieren wollte – übrigens neben all den Berühmtheiten auch einen unbekannten „Herrn Schultze“.

Weitere Abschnitte des gewichtigen Bandes (fast 2,5 Kilo) widmen sich Möpsen (sozusagen in allen Lebenslagen) oder auch Zueignungen aus Anlass von Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten. So hat Loriot liebvolle kleine Hommagen etwa an „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein, den Kritiker Joachim Kaiser, Tagesschau-Sprecher Karl-Heinz Köpcke oder den Kollegen Robert Gernhardt verfertigt. Doch auch sein Briefträger bekam zum Ruhestand eine Widmung.

Die wohl größte Überraschung aber sind die „Nachtschattengewächse“ im Schlusskapitel. Diese ins Horrible reichenden Visionen sind ganz offenkundig in schlaflosen Nächten entstanden. Die oft kubistisch getürmt erscheinenden Alpträume haben mancherlei Quellen. Hier spukt Hitler ebenfalls, doch auch die eigenen Figuren haben Loriot in gespenstischer Verwandlung heimgesucht.

Nun muss doch noch getadelt werden. So interessant das ausgebreitete Material sein mag, so nachlässig wird es präsentiert. Ich rede nicht von der Drucktechnik, dem guten Papier und überhaupt von der imposanten Physis des Bandes, sondern davon, dass bis auf eine läppisch kurze Vorbemerkung und ein paar nichtssagende Zwischentexte keinerlei Würdigung oder Einordnung dieser unbekannten Werkkomplexe gibt.

Es scheint ganz so, als hätte sich die Arbeit der drei Herausgeber (darunter Loriots Tochter Susanne von Bülow) weitgehend auf Beschaffung, Sichtung, Auswahl und Sortierung beschränkt. Jammerschade!

Loriot: „Spätlese“. Rund 400 bisher unbekannte Arbeiten aus dem Nachlass. Hrsg: Susanne von Bülow, Peter Geyer, OA Krimmel. Diogenes Verlag, Zürich. 374 Seiten. 39,90 Euro.

Gleichfalls unter dem Titel „Spätlese“ steht die Loriot-Ausstellung, die bis zum 12. Januar 2014 im Literaturhaus München gastiert (danach ab 25.1.2014 bis 21.4.2014 Galerie Stihl, Waiblingen, und von 4.5.2014 bis 16.8.2014 im Wilhelm Busch Museum in Hannover)




Wird der Karneval von alltäglicher Realität nicht längst überholt?

Irgendetwas war anders heute Morgen, am Montag. Das Wetter strahlte über alle vier Backen, gute Laune am Firmament. Das machte mir schon mal ein wenig bessere Stimmung, so ganz allgemein, zum Montag. Und dann wimmelten eigentümliche Menschen umher, liefen ausgelassen lachend durch die Hagener Bahnhofshalle.

Da war eine weibliche Antwort auf Jack Sparrow, da sah ich eindeutig den Zwillingsbruder von Bert Wollersheim aus Düsseldorf, der daselbst seit Jahren rotbeleuchtete Etablissements managt. Da waren auch Cowgirls in ledernen Chaps oder Scheichs in blütenweißer Kleidung. Merkwürdig, dachte ich, und tappste durch den sonnigen Vormittag zum Bahnsteig.

Karneval

Und dann fiel es mir doch wie Schuppen aus den Haaren: Klar, es ist November, es ist der 11. dieses Monats und es würde in wenigen Stunden die Uhrzeit 11.11 Uhr nahen und damit der Beginn der ganz besonderen Jahreszeit, namentlich im Rheinland, wohin es die meisten vermummten Zeitgenosssinnen und –genossen heute Morgen zog. Der Karneval  drängt sich unaufhaltsam auf. Ins Rheinland drängten sie, die mummenschanzenden Zeitgenossen, dass sie der besonderen Kultur daselbst die Ehre erweisen. Tätä, Tätä, Tätä, Bumm, Bumm!

Zugegeben, alles zugegeben: Ich neige ja dazu, den kabarettistischen Wert dieser Jahreszeit immer mehr in Frage zu stellen, weil die Wirklichkeit alles einzuholen pflegt, was an temporärer Narretei so angeboten wird. Realsatire ist noch das Beste, was dabei heraus kommt. Realschwachsinn ist wesentlich häufiger vertreten. Realdummheit ist die durchschnittliche Ausprägung des närrischen Alltags.

Nehmen wir beispielsweise Gesellschaftsforscher, die herausgefunden haben, dass die geneigte Öffentlichkeit dem Uli Hoeneß einen Teil seiner Ehre abgeschnitten hat, als sie dem geständigen Steuerbetrüger kein Grundvertrauen mehr entgegen brachte. Nehmen wir die deutschen Topmanager, die wie eine Mauer hinter dem Uli stehen und ihn als Vorsitzenden des Aufsichtsrates bei Bayern München für unverzichtbar erachten.

Nehmen wir weiter diverse Zukunftsentscheidungen fleißiger Politiker, die heute schon erkennbar auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger gehen und zahlungskräftige Unternehmen schonend kosen, weil die ja dringend erkennen müssen, dass es ein Standortvorteil ist, in Deutschland die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausmisten zu dürfen.

Nehmen wir zudem die Weitsicht des weltläufigen Managements, sich durch Steuerzahler einen Teil der eigenen Gewinne bezuschussen zu lassen, oder auch – wie im Falle der Banken gern so geübt – die selbstverschuldeten Verluste.

Und so hockte ich mich aufwärmend im Zug und fand für mich heraus, dass es seit geraumer Zeit keines Karnevals bedarf, weil der Alltag so viel Unfug produziert, dass jedermensch sich ständig auf die Schenkel klopfen kann.

Kanzlerin Merkel: PKW-Maut – mit mir nicht. Kanzlerin Merkel: Verhandeln wir doch mal über die PKW-Maut in den Koalitionstastereien mit der SPD.

Bayerns Ministerpäside Seehofer: Steuererhöhungen, mit mir nicht. Bayerns Ministerpäside Seehofer: Verhandeln wir doch mal das Thema Steuererhöhungen doch erstmal in den Koalitionstastereien mit der SPD.

Tätä, Tätä, Tätä, Bumm, Bumm!