Erfüllter Wunsch

So ist das vielleicht mit allen erfüllten Wünschen: Auf einmal fehlt der ganz große Glanz, der schon seine funkelnden Vorboten ausgesandt hatte und den man sich vorher aus der Ferne erhofft hatte.

Nicht, dass nun alles schal schmeckte. Doch man muss von den ersehnten 100 Prozent etwas abziehen. Wieder mal keine Apotheose. Die Vorlust war abermals größer als die die Erfüllung.

Wer wird denn da an Erotik denken?

Es sei dargetan am banalen Beispiel: Gesetzt den Fall, man hätte die ganze Saison über, Spiel für Spiel, mit einem Fußballverein gefiebert (nennen wir ihn mal probehalber Borussia Dortmund), und der würde am Ende tatsächlich obsiegen, so wird sich in alle Freude etwas ernüchternd Prosaisches mengen. Kann es sein, dass viele just eine Ahnung dieses Gefühls mit Alkohol betäuben? Dass sie die keimende Enttäuschung niedergrölen?

Sowieso hat der gute Goethe auch dazu seinen Senf gegeben. Oft zitiert, nie erreicht: „Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen.“ Was soll man dagegen einwenden? Der Teufelskerl hat’s mal wieder auf den Begriff gebracht. Und Schopenhauer hat steigernd gewusst: „In einem Schlaraffenland würden die Menschen zum Teil vor langer Weile sterben oder sich aufhängen.“ Zum Teil.

Deutsche Meisterschaft im Fußball. Bei Licht betrachtet, mag es reichlich läppisch sein. Es gilt doch, die Welt vorm Niedergang zu retten. Utopien harren der Verwirklichung, so dass Tore, Punkte und Tabellen vergleichsweise kläglich gering anmuten. Ja, sagt das mal den Leuten, die jetzt bis in den Morgen feiern.

Ich habe heute in dieser Stadt viele glückliche Gesichter gesehen. Auch bei Menschen, die sonst wahrlich nichts zu lachen haben. Selbst ein Mann, der seine ganze Habe in einer Tüte mit sich tragen kann, lächelte selig vor sich hin. Besitzt er auch so gut wie nichts, so bleibt ihm doch diese frische Zuversicht. Ihm solche Spurenelemente von Lebensmut nehmen zu wollen, wäre zynisch. Doch kann es nicht dabei bleiben. Doch muss da erheblich mehr kommen. Doch reicht das beileibe nicht aus.

Ach, wie unvermischt war unsere Freude noch, als wir Kinder gewesen sind. Wie sehr waren wir jäher Absturz und erneutes Auffahren! Was ist daraus geworden?

Und jetzt?




LiteraTour de France

2003. Als man irgendwie noch an die Tour de France glaubte.

Schreibwettbewerb zur Tour.
Jeden Tag in die Tasten hauen.
Es ging um Punkte und Sekunden.

Jeden Tag eine Etappe beschreiben.

Nach Zieldurchfahrt, direkt ans Schreibgerät,welches zum Sportgerät wurde…

Klangvolle Namen, malerische Orte.

In Schweiß gebadet.
Bergziegen, Sprinter, Wasserträger.

20 Etappen.

Schreiben wie ein Uhrwerk.
Der großen Schleife Tribut zollen.
Wenn die schwitzen, schwitze ich auch.

Schreiben kann knüppelhart sein…
Auch dort lauern Anstiege,
schier endlose Serpentinen,
so unverschämt steil,
dass man nach Luft ringt.

Es heißt nicht umsonst, in den Bergen wird die Tour entschieden…




Der Name des Werkzeugs

(Möchtegern)-Intellektuelle halten sich etwas zugute – auf einen gewissen Wortschatz, auf ein hie und da, ja möglichst universell geschmeidig anwendbares, halbwegs hochgeschraubtes Reflexionsniveau nebst anhängendem Zynismus, der schon mal gar nichts gelten lässt. Und dann heißt es noch, die daraus resultierende Eitelkeit zu kaschieren. Eine Heidenarbeit, nicht immer von Nutzen gekrönt.

Solchen Leuten fehlt doch was?

Nein, nein, diesmal gibt’s keine Glaubenspredigt. Auch Hoffnung und Liebe wollen wir hier nicht aufrufen.

Aber denen, die mit Sprache zu schaffen haben, mangelt es beispielsweise oft am mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Rüstzeug. Ein alter Hut, doch immer noch der Rede wert. Man schlage bei Hans Magnus Enzensberger nach, der immer wieder auf dieses Thema zurückgekommen ist und die Ignoranz der Geisteswissenschaftler gescholten hat.

Zudem fehlen den Sprachdrechslern nicht selten Bezeichnungen für die alltäglichsten, simpelsten Dinge. Einem Menschen,  dessen Name unwichtig ist, ging es nun so mit einem einfachen Werkzeug, das für eine kleine Montage benötigt wurde. Ein Gabelschlüssel war gefragt. Ein wie? Ein was?

Er hat das Wort stiekum in die Suchmaschine eingegeben und sich das Objekt besehen (siehe beigefügten Ausdruck). Ah! Ja so. Dass er darauf nicht ohne Internet-Krücke gekommen war. Er hatte immer gedacht, das hieße Schraubenschlüssel. Dabei kann man doch auf Baumarktschildchen nachlesen, welche Worte in der Welt des fraglosen Funktionierens gelten.




Royal Wedding 2011 auch im Ruhrgebiet

Wer es noch nicht mitbekommen haben sollte: Heute heiratet in London die Nr. 3 der britischen Thronfolge (Prinz William) seine baldige Ex-Verlobte Kate, pardon: Katherine, Middleton.

Wer diese Tatsache in den vergangenen Tagen in den hiesigen Medien umgehen wollte, musste sich wirklich anstrengen, da landauf, landab in nahezu allen Medien darüber berichtet wurde (und jetzt auch hier in den Revierpassagen!). Wer sich beispielsweise die königliche Hochzeit im Fernsehen anschauen will, hat heute die Qual der Wahl, welchen Fernsehsender er dafür einschalten will, denn rund eine handvoll Sender senden parallel das selbe. Nur unterschiedliche Moderatoren und „Adelsexperten“ dürften für Unterschiede sorgen. Auch im Internet kann man the „Royal Wedding“ stilvoll begehen.

Wer jedoch eher auf das persönliche Erleben Wert legt (und keine Einladung des Hochzeitspaares erhalten hat), der kann auch im Rahmen des „public viewing“ (bei einer britischen Hochzeit passt dieser Begriff doch alleine sprachlich gesehen schon viel besser als die eingedeutschte Variante „Rudelgucken“) auch im Ruhrgebiet der königlichen Hochzeit beiwohnen:

Gerüchteweise sollen so diverse Kinos ein „public viewing“ anbieten, bestätigt ist das ganze aber (siehe Bild) beispielsweise vom Unperfekthaus in Essen, die ab 10:00 Uhr zur königlichen Übertragung einladen.

Wer also nicht alleine in seiner Kemenate dem königlichen Treiben zuschauen will, der findet in der Essener Innenstadt eine lohnenswerte Alternative – und danach kann man sich dann auch mal das Künstlerhaus als Unperfekthaus anschauen, falls man es noch nicht kennt.




Was uns ins ferne Länder lockt – Cees Nootebooms „Schiffstagebuch“

Das kennen alle Menschen, die jemals von Fernweh ergriffen worden sind: Schon die bloße Nennung von Ländern und Städten oder ihr bloßer Anblick auf Landkarten kann einen dazu verführen, sich auf den Weg zu machen.

Auch Cees Nooteboom, einer der großen Reisenden der Gegenwartsliteratur, lässt sich auf diese Weise durch die Welt treiben: „…immer waren es Namen, die mich irgendwohin gelockt haben.“ Wer derart ins Ungewisse aufbricht, der will immer und immer hinter die jeweils nächste Wegbiegung schauen. Ein Ding der Unmöglichkeit. Irgendwann muss man aufhören, und sei’s mit der ganzen Lebensreise. Manches sehen heißt noch mehr versäumen. Und doch bleibt diese „Sehnsucht nach einer ewigen Bewegung ohne Ankunft und Aufbruch“.

Nootebooms „Schiffstagebuch“ ist längst nicht nur Wegbeschreibung und Ortserkundung, sondern eine reichhaltige Reflexion über Phänomene und Phantome des Reisens an sich. Der Schriftsteller gibt sich hier der langsameren Art der Fortbewegung, der allmählichen Näherung anheim, die zwangsläufig ein ruhigeres Schauen mit sich bringt. Die Fahrten führen beispielsweise rund ums Kap Hoorn bis Montevideo, zum Ganges, in den tropischen Nordwesten Australiens, nach Mexiko, von Mauritius bis Südafrika, von Spitzbergen nordwärts bis Hammerfest und schließlich nach Bali.

Hier ist kein landläufiger Tourist unterwegs, sondern ein geschulter Beobachter, der sich einige Zeit nehmen kann, der sich einlässt auf Menschen, Landschaften und Verhältnisse, vielfach auf rätselhafte, irritierende Momente und befremdliche Begegnungen.

Mehrmals hält in diesem Buch das Erzählen gleichsam den Atem an. An völlig entlegenen Orten gibt es jene Augenblicke oder besser Zeitflächen einer großen, überdeutlichen Stille, in die der Reisende dann und wann entrückt wird. Dort erfasst ihn das schiere Gegenteil seiner Existenzform: „Die Verlockung, zu bleiben, zu sehen, wie die Zeit verrinnt und wie man selbst verrinnt…“

Nooteboom, der wahrlich viel von der Welt gesehen hat, weiß, dass er ohnehin keine objektiven Befunde mitteilen kann, sondern mehr oder weniger flüchtige Eindrücke und Muster des Daseins. Fern liegt ihm der Gestus, eine Gegend zu „erobern“, doch auf seinen Nebenpfaden findet er ungleich mehr Sagenswertes als Draufgänger, die alle vermeintlichen Sehenswürdigkeiten mitnehmen.

Reisen, so zitiert Nooteboom den ungarischen Essayisten Béla Hamvas, sei „die rätselhafte Ausdehnung der Möglichkeiten nicht nur in die Richtung, in die man reist, sondern in alle Richtungen…“ Eine ungeheuerliche Herausforderung mithin, zuweilen auch Verunsicherung sondergleichen. Selbst wenn man – wie heute üblich – diverse Stätten aus Filmen kennt, so können sie einen doch mit aller Plötzlichkeit überwältigen, wenn man es denn zulässt. So steht denn Nooteboom fassungslos vor dem strömenden, brandenden Tumult des Lebens in Indien: „…nichts hat mich auf den Schock des Echten vorbereitet, auf meine Sprachlosigkeit.“

So sehr sich der Reisende auch bereitwillig einfühlen mag, so bleibt er doch ein bloßer Gast in jeder Fremde, nirgendwo heimisch. Immer wieder macht sich Nooteboom diese Kluft bewusst, die den Reisenden letztlich nie an ein Ziel kommen lässt. Die Anziehungskräfte der Namen und Karten erweisen sich als „Verlockung des Unmöglichen“.

Auch in der Übersetzung bleibt Nootebooms stupende Fähigkeit spürbar, seinen Texten etwas von den Konturen der Landschaften zu verleihen, die er bereist hat. Ganz so, als wären es Relief-Abdrücke wirklicher Formationen. So kann man die unendliche Leere Feuerlands ahnen, die tosende indische Überfülle, die einzigartige historische Patina der früheren Welt-Perlen-Hauptstadt Broome (Australien), die Zielpunkt eines japanischen Überfalls im Zweiten Weltkrieg gewesen ist und heute nur noch erloschen dahindämmert. Aber es gibt auch Landstriche, deren Lüfte gleichsam über und über angefüllt sind mit Dichtung. Über den Weg durch Chile und Argentinien nach Uruguay heißt es: „Ich bin von Neruda zu Onetti gefahren und von Onetti zu Borges und Gombrowicz, zu Ocampo und Bioy Casares und allen Dichtern dazwischen.“

Immer wieder kommen die Menschen zur Sprache, denen die Ländereien einst geraubt worden sind: Indianer im äußersten Südzipfel Amerikas, Maya in Mexiko, Aborigines in Australien. Überall finden sich Spuren gelebter und erlittener Geschichte, wie erstarrt auch immer. Historische Wunden, zerstörte Balancen, geschundene Natur. Wahrhaftiges Reisen bedeutet auf Dauer auch, lauter schmerzliche Verluste zu verbuchen.

Cees Nooteboom: „Schiffstagebuch“. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Mit Schwarzweiß-Fotos von Simone Sassen. Suhrkamp Verlag, 283 Seiten, 19,90 Euro.




Vorfreude: Bamberger Symphoniker in Essen

Ahnen konnte ich es schon, dass man sich auf diese Gastkonzerte am 28. Mai und am 21. Oktober 2011 in der Essener Philharmonie wirklich freuen darf; dann nämlich, wenn die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott jetzt bald Gustav Mahlers 7. Symphonie und im Oktober Mahlers Vierte und Schuberts „Unvollendete“ aufführen werden. (Nebenbei: Jonathan Nott wird am 17.02.2012 noch einmal nach Essen kommen, zwar mit einem anderen Orchester, nämlich dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, aber wieder mit einer Symphonie Gustav Mahlers, dann mit der Zweiten.)

Inzwischen habe ich bemerkt, dass bei Tudor bereits eine beträchtliche Anzahl von CDs veröffentlicht worden sind, die die langjährige gute Zusammenarbeit der Bamberger Symphoniker mit ihrem derzeitigen Chefdirigenten eindrucksvoll bekunden. Die Mahler- und Schubert-Aufnahmen ziehen mich dabei besonders an, dennoch habe ich die Mahler-Aufnahmen vorerst noch ausgespart, um mich zunächst ganz auf den ja recht bald möglichen Live-Eindruck einlassen zu können. Da im Oktober Schuberts „Unvollendete“ und nicht die Große C-Dur-Symphonie auf dem Programm stehen wird, habe ich bei letzterer nicht länger gezögert. Seit meiner ersten Bekanntschaft mit dieser Symphonie zählt sie unbedingt zu den mir liebsten. Meine allererste Aufnahme war die auf einer Heliodor-Schallplatte mit Eugen Jochum und dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Die vermochte mich sofort zu begeistern. Dennoch habe ich es mir nie nehmen lassen, gerade diese Symphonie unbedingt nur in voraussehbar guten Aufnahmen zu hören. Über Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Sergiu Celibidache, George Szell, Günter Wand, Michael Gielen, John Eliot Gardiner und Charles Mackerras … kam da schon eine beträchtliche Reihe von guten, ja sehr guten Aufnahmen zustande – zu der ich nun die überaus gut durchhörbare, klangvolle Neuaufnahme der Bamberger Symphoniker unter Nott ohne zu zögern hinzufügen kann.

Zwar sei zuzugeben, dass ich bei erstrangigen Aufnahmen diese nur selten akribisch untereinander vergleiche; immerhin mag es schon ein Kriterium sein, dass ich beim Anhören einer bestimmten Interpretation mich nicht gleich schon wieder nach einer bestimmten mir bereits bekannten zurücksehne, sondern die je eigene Nuancierung der gerade von mir gehörten zu schätzen weiß und mich ihr ganz überlasse. Und bei der CD der Bamberger war es genauso; beim Hören habe ich zu keinem Zeitpunkt irgendetwas bereits Vertrautes vermisst. Im Gegenteil: Es handelt sich ganz sicher um eine Interpretation, die auch einen etwaigen Ersthörer dieser Symphonie für diese sofort gewinnen, ja erobern könnte.

Auch mit zwei anderen in der gleichen Koppelung von Dirigent und Orchester eingespielten CDs bin ich vollauf zufrieden, ja von der jeweiligen Aufnahme geradezu angetan: von Igor Stravinskys „Le Sacre du Printemps“ … und Leoš Janáčeks „Sinfonietta“ … . Außerdem habe ich unlängst per Zufall einen Ausschnitt aus dem zur Zeit anscheinend laufenden Beethovenprojekt Notts mit seinem bewährten Bamberger Orchester mitbekommen: Im Sender Deutschlandradio Kultur wurde gerade die Eroica gegeben, eine neue Aufnahme, die mich aufhorchen ließ.




Keine Angst vorm Sagen! Synonymitis bei Pixi

Da wird gezwitschert, geklappert und gelacht.

Pixi und seine Freunde wollen ein Frühlingsfest feiern und müssen dazu nur noch den winterschlafenden Bären wecken, was mit Hilfe eines duftenden Blumenstraußes auch gelingt. Soweit der Plot von „Pixi und der Frühling“, erschienen im Carlsen-Verlag. Auf dem Umschlag des kleinen quadratischen Büchleins aus der Pixi-Serie glitzert der Frühlingshimmel glitzerfolienblau, so wie es Kleinkinder lieben. Und innen glitzern die Verben, so wie es Grundschul- und Deutschlehrerinnen lieben. Bloß nicht zu häufig „sagen“ schreiben! Am besten ganz vermeiden! Auf den 23 Seiten ist die Sagen-Synonymitis ausgebrochen: Es wird nicht gesprochen und nichts gesagt, sondern gerufen, gelacht, gekichert, gestaunt und gestrahlt. Mitunter auch gemurmelt, gezwitschert und geniest.

Hier die komplette Aufstellung:

… rief Hase Langbein
… nickte Pixi
… fragte Langbein
… lachte die alte Eule
… lachte Pixi
… gähnte der Igel
… rief Pixi
… jubelten sie
… klapperte der Storch
… lachte Pixi
… wollte Pixi wissen
… zwitscherte eine Schwalbe
… kicherte Hase Langbein
… schlug Pixi vor
… kicherte Pixi
… riefen die Freunde
… strahlte Pixi
… murmelte Umbärto
… lachte Pixi
… fragte Umbärto
… nieste er
… staunte Umbärto
… rief Pixie

Und jetzt kommt die gute Frage: Was ist so schlimm daran? Dafür muss ich ein wenig ausholen.

Es war irgendwann in der Sekundarstufe 1, vielleicht aber auch schon in der Grundschule. Wir sollten einen Aufsatz schreiben. (Obwohl ich immer gern geschrieben habe – bei dem Wort „Aufsatz“ gruselt es mich noch heute.) Passenderweise lautete das Thema „Gruselgeschichte“. Damit die Phantasie bloß nicht mit uns durchging, waren im Schulbuch Wörter und Wendungen vorgegeben, die man zur Herstellung eines ordentlich gruseligen Schulaufsatzes verwenden konnte und auch sollte: Signalwörter wie „plötzlich“ gehörten dazu, aber auch so originelle Vergleiche, Beschreibungen und Metaphern wie „die Haare stehen zu Berge“, „eine Gänsehaut bekommen“ oder „das Blut gefriert in den Adern“. Die Leistung bestand nun nur noch darin, eine halbwegs sinnvolle Reihenfolge für die Textbausteine zu finden. Und so durften die Lehrer 20 gleich lautende Texte lesen, in denen fortwährend der Atem stockte und die Protagonisten stocksteif und bleich wurden.

Sprachliche Originalität wird Schülern mit solchen Übungen systematisch ausgetrieben, die Entwicklung eines eigenen Stils unterdrückt. Stattdessen lernen sie, nach Schema F zu texten, und genau das tun sie auch weiterhin in der schriftlichen Kommunikation. Ihr Leben lang werden diese Schüler glauben, beim Schreiben einen Stil zu imitieren, eine Norm erfüllen zu müssen, was dann zu den bekannten Stilblüten und grauenvollen Satzkonstruktionen führt, die stets entstehen, wenn jemand eben nicht in seiner Sprache schreibt.

Hier glitzert es nicht nur außen: Gute-Laune-Buch aus der Pixi-Reihe.

Hier glitzert es nicht nur außen: Gute-Laune-Buch aus der Pixi-Reihe.

Und was hat das nun mit dem kichernd-nickend-lachend-sprechenden Pixi zu tun? Mit solchen Verben, auch das lernt man in der Schule, gewinnen Geschichten an Lebendigkeit und Farbe. Ein „A“ für „Ausdruck“ malen Lehrer an den Rand, wenn zwei Mal hintereinander etwas einfach nur gesagt wird. „Sagen“ ist nichtssagend, „rufen“ schon besser, „kichern“ grenzgenial. Die Wahrheit aber ist: Texte, in denen großzügig Sagen-Vermeidungsverben eingestreut wurden, wirken lächerlich. Die Absicht, den Text auf diese aufgesetzte Art lebendig zu machen, wird so überdeutlich, dass man sich für den Autor – in diesem Fall eine Autorin – beinah fremdschämen will.

Und ja: Das gilt auch für Kinderbücher. Wieso muss man Kinder mit ausgelutschten Formulierungen behelligen, wieso greift man bei ihnen zur billigsten Methode, Texte aufzupeppen? Wieso kann Pixi nicht erst etwas sagen und anschließend lachen, wenn er schon 23 Seiten lang lachen muss? Kichern und sprechen, das geht sowieso nicht gleichzeitig.

Kinder, die viele Sprachbilder und Wendungen der Erwachsenen übernehmen, nennt man oft „altklug“. Und bei altklugen Kindern, mal ehrlich, da läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.




Lang lebe das Lichtbild

Weil es in diesem Beitrag etwas dauert, bis ich zum Punkt komme, hier eine kurze Einordnung: Es geht um einen Lichtbild-Vortrag der Bochumer Gruppe „Dunix“ mit dem Titel „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“, kürzlich zu sehen im Sissikingkong, und um Dia-Karaoke im Rasthaus Fink am Nordmarkt – zwei gelungene Versuche, eine sterbende Form der gepflegten Abendunterhaltung, eben die Dia-Schau, am Leben zu erhalten. Eingeflochten sind dabei Betrachtungen über die (Dia-)Fotografie im Allgemeinen und Besonderen. Und los geht’s!

Dia aus der Dunix-Schatzkiste

Glückliche Kindheit, dokumentiert im Dia - aus der Dunix-Schatzkiste

Es gibt eine Menge Erlebnisse, die unsere Kindern vermutlich vorenthalten werden. Zum Beispiel der Moment, in dem man ungeduldig noch im Laden die zugeklebte Tüte mit den selbst fotografierten, frisch entwickelten Fotos aufreißt. Zum Beispiel das Bezahlen solcher Fotos. (Wie, jedes einzelne Foto hat Geld gekostet?) Zum Beispiel das Gefühl, mit anderen mehr oder weniger interessierten Bekannten in einer Diashow zu sitzen, ermüdend schlecht fotografierte Landschaftsimpressionen zu betrachten und das Klicken des Projektors als hochwillkommene Abwechslung vom langatmigen Vortrag des Fotografen zu empfinden.

Dia-Shows! Für jüngere Leser: Das funktioniert so ähnlich wie eine Slideshow im Internet. Oder nein: So, als würde man sich mit einem Beamer auf die Leinwand geworfene Fotos anschauen, nur dass die Dia-Positive jeweils in kleinen Plastikrähmchen stecken und in einem Karussell auf Knopfdruck weiter und weiter, bis ins Licht befördert werden. Manchmal steckten die Dias auch falsch herum im Karussell, dann musste der Dia-Vortragende sie erst umdrehen. Manchmal war ein Steckfach leer, dann konnte man sich die feinen Unebenheiten und Kratzer auf der Linse ganz genau auf der Leinwand anschauen. „Die praktischen Vorteile des Diafilms liegen vor allem in der hohen Schärfe und Farbtreue sowie dem großen Tonwertumfang des Diapositivs. Diese Vorteile treten in der Projektion klar zu Tage“, weiß Wikipedia. Es ist nicht überliefert, ob die  fotografierende Menschheit in ihrer Masse in den 1960er, 1970er Jahren von diesen Vorteilen wusste. Überliefert ist nur, dass sie massenhaft Dias produzierte, vermutlich aus einem anderen Grund: Weil man dann so prima Dia-Shows veranstalten konnte. So kommt es, dass sich auf Flohmärkten und in Trödelhallen heute sorgfältig sortierte Dias in ihrem zierlichen Plastikrahmen in Holz- oder Plastikkisten stapeln.

Sport oder Trinken? Sporttrinken. Aus der Dunix-Schatzkiste.

Sport? Trinken? Sporttrinken - aus der Dunix-Sammlung.

Gottseidank gibt es Menschen, die damit noch etwas anzufangen wissen. Mindestens zwei Veranstaltungsreihen im Revier beleben derzeit das Format Dia-Show neu. Die Bochumer Alex Schwegl und Florian Biedermann haben irgendwann damit begonnen, Flohmarkt-Dias zu sammeln und zu sortieren – in Kategorien wie „Urlaub“, „Tiere“, „Weihnachten“ oder „Menschen vor Blumen“. Dann haben sie Serien zusammengestellt, Dramaturgien ersonnen und Musik dazu ausgesucht. Schon seit Jahren zeigen sie ihre Shows, bevorzugt im Dortmunder Sissikingkong und in Bochumer Kneipen und Cafés. Die aktuelle Show heißt „Sex & Schimmel oder als Oma noch laufen konnte“ und zeigt genau das: privatpornografische Aufnahmen aus der Zeit vor Youporn, feucht gewordene und angeschimmelte Dias (die, auf die Leinwand projiziert, von ganz erstaunlich abstrakter Originalität sind, sowohl farblich als auch kompositorisch) und Dias, in denen die Fotografen familiäre Ereignisse rund um Krankheit und Tod festhielten. Außerdem eine sensationelle, mit Avantgarde-Musik unterlegte Serie von der Riesen-Baustelle Brasilia, der futuristischen Hauptstadt Brasiliens, aufgenommen während der Bauarbeiten Ende der 1950er Jahre. Gequatscht wird während des Dunix-Lichtbildvortrags nicht – dazu ist die liebevoll ausgewählte Musik auch viel zu laut. Wenn Death Metal zu Bildern von Buffet-Schlachten läuft oder ein Liebeslied aus den 1920er Jahren zu den Szenen einer Rentner-Ehe, braucht es keine weiteren Erläuterungen.

Das ist beim Dia-Karaoke, einer Erfindung des Rasthaus Fink auf dem Dortmunder Nordmarkt, ganz anders. Hier ist das Quatschen Programm, hier kann man damit sogar einen Preis gewinnen. Dia-Karaoke ist keine durchkomponierte Show, jeder Abend verläuft anders. Dia-Serie an die Wand geworfen, die allen Anwesenden völlig fremd ist. Fremde Menschen in einer nicht näher bestimmten Zeit tun Dinge an einem unbestimmten Ort. Dazu improvisiert der Vortragende nun spontan eine Geschichte, so überzeugend, wie er nur kann. Gleiches tun die anderen Kandidaten mit Zunächst braucht es einige Freiwillige, die gegeneinander antreten wollen. Dann wird eine jeweils anderen Dia-Serien. Am Ende entscheidet das Publikum, wer die überzeugendste, verrückteste, unterhaltsamste Geschichte ersonnen hat.

Beide Veranstaltungen sind toll – weil sie Erinnerungen zurückholen und sie zugleich ironisch brechen. Und weil sie vor Augen führen, dass der Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie weit mehr bedeutet als nur eine technische Neuerung.

Wer um 1900 fotografierte, schuf mit der Fotografie sein Bild für die Ewigkeit – ein Foto war so teuer (und so umständlich herzustellen), dass es mit heiligem Ernst zelebriert wurde. Als das Fotografieren in den 1950er Jahren erstmals für den Normalbürger bezahlbar wurde, änderte sich das Fotografierverhalten nur langsam. Zwar wurde nun viel mehr fotografiert, doch der Gedanke dahinter war der Alte geblieben: Fotografieren ist Verewigen. Fotos konnte sich zwar jedermann leisten, doch hinter jedem „Klick“ lag noch immer eine bewusste Entscheidung, eine Komposition („Stell dich mal da hin!“). Ich hinterlasse der Nachwelt ein Bild von mir und meinem Leben, so wie ich von anderen gesehen werden möchte.

So erklären sich all die Aufnahmen von Landschaften und Städten (Seht her, dort war ich!), von Ehemännern und -frauen, Kindern und Haustieren vor bunten Blumen (So harmonisch ist mein Familienleben!), von Statussymbolen wie Autos, Wohnwagen, Fernsehern und Schrankwänden (Das kann ich mir leisten!) und Feierlichkeiten (So beliebt bin ich, so lustig ist mein Leben!).

Wer ist das? Und wieso so bunt? Aus der Dunix-Schatzkiste.

Der Umbruch, den die digitale Fotografie mit sich bringen wird, ist vielleicht noch revolutionärer als der zwischen den Anfängen der Fotografie und ihrer Massentauglichkeit. Wenn man für Bilder nicht mehr zahlen muss und Speicherplatz fast unbegrenzt vorhanden ist, wird viel, viel, viel mehr fotografiert. Gleichzeitig sind die Fotografien erst mal nicht greifbar, sondern bleiben Daten in privaten Speichermedien – so lange, bis sie zum Beispiel in Communities veröffentlicht werden. Dass diese Umstände Auswirkungen auf die Motivwahl, auf das Fotografieren selbst haben, liegt auf der Hand. Welche, das werden wir vielleicht in einem halben Jahrhundert erfahren. Dann, wenn unsere Enkel oder Urenkel unser Fotomaterial kreativ weiterentwickeln.




Verbotenes Wort

Liebe Gemeinde!

Ihr habt noch keine Osterpredigt gehört? Hier ist sie:

Viele sind stolz, dass sie gar nicht(s) mehr ****ben. Dieses triumphale Gefühl geht oft einher mit „Sündenstolz“; ein Wort, das heute kaum noch jemand verwendet. Zuletzt habe ich es aus dem Mund des weltweisen Schriftstellers Feridun Zaimoglu gehört.

Jene, die noch an etwas ****ben, werden bestenfalls milde belächelt. Sie sind so überaus naiv. Sie haben kein Zeichen der Zeit erkannt. Manchmal wird der Un****be auch aggressiv. Verdammt unangenehm.

Tatsächlich ****bt in unseren Breiten fast niemand mehr felsenfest. Übermächtig scheinen die Gründe zur tausendfachen Skepsis. Verfall, wohin man schaut. Missratene Schöpfung. Wer aber ein weiter blickt, ist vielleicht gar nicht so heilfroh, vom ****ben abgefallen zu sein. Gewiss, wir haben als Notration unsere stets auf dem Sprung liegende Ratio. Imponierend. Ungeheuerlich. Doch wie weit reicht der Horizont? Und was wird am Ende des Weges sichtbar?

Und wenn es nur um die Kraft ginge, die man aus tief gegründeten Haltungen schöpfen kann. Dann lobte ich mir die Kraft eines ****bens, die die Kraft des Zweifels wohl übersteigt.

Jawoll.




Nachtgespräch mit Thomas Bernhard

In einer Vorbemerkung erläutert Peter Hamm, weshalb sein im Jahr 1977 mit Thomas Bernhard geführtes Nachtgespräch erst jetzt erscheint.
Warum dieses Gespräch auch heute noch so lebendig auf mich wirkt, mag zwar mit daran liegen, dass ich Sprechton und Gestus Thomas Bernhards von mir bereits bekannten Interviews her noch sehr gut in Ohr und Sinn habe, auch Peter Hamm mir insbesondere von der Schweizer TV-Sendung „Literaturclub“ sehr präsent ist und ich ausgerechnet im August des vergangenen Jahres in Gmunden am Traunsee und in Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf gewesen bin und so auch die Örtlichkeiten noch ganz frisch im Gedächtnis habe.

Aber auch ganz ohne diese speziellen, individuellen Vorgaben wird jeder wache Leser einen sehr frischen Eindruck von diesem Gespräch bekommen können. Bis in die Diktion hinein – auch Bernhards typische, rhetorisch fragende und kommunikationsförderliche Interjektion „nicht“ wird nicht ausgespart – bekommt man den Eindruck eines zuverlässigen Textes, der noch ganz nah ist an der tatsächlich gesprochenen Sprache. Schon allein dies macht die Lektüre lohnend.

Zudem werden viele interessante Themen angesprochen. Mich haben davon vor allem zwei interessiert. Zum einen: wie Bernhard selber eine Unterscheidung trifft zwischen sich 1.) als Prosaschriftsteller und 2.) als Theaterautor (vgl. vor allem S. 47 und die Seiten im Umkreis davon).

Und zum anderen: Wie enorm stark er doch die Nähe, die Nachbarschaft von Literatur und Musik betont (vgl. S. 34f.). Seine Prosastücke müssten wie Partituren gelesen werden. Einer der Mängel der üblichen Literaturkritik bestehe darin, dass die Literaturkritiker in der Regel von Musik nur wenig Ahnung hätten oder aber, sogar wenn sie durchaus, also zumindest abwechselnd, Literatur- und Musikkritiker seien (darf man hier vielleicht sogar an Joachim Kaiser denken?), ihr Musikwissen im Hinblick auf Literatur nicht hinreichend nutzen würden: „Ja, ich sehe die Prosastücke wie die Stücke als Partituren. Die Kritiker aber sehen nur die Singstimme oder den Klavierauszug, und dadurch geht bei ihnen immer alles daneben, weil sie das Ganze nicht sehen. Sie sehen nur den Auszug und die Oberstimme.“ (Thomas Bernhard, a. a. O.)

Drittens fällt mir auf, dass – wie unzeitgemäß doch für damals – Thomas Bernhard sich beständig und hartnäckig weigert, auf eine ganz bestimmte politische Richtung hin festgelegt zu werden: „Was ich vielleicht will, ist, irgendwas zu beschreiben, was mich abstößt oder anzieht und wovon ich annehme, daß es, wenn es andere lesen, auch sie abstößt oder anzieht. Dadurch ist ja eine Wirkung da, nicht? Das ist der Reiz. Mehr stelle ich mir nicht vor.“ (S. 60f.)

Thomas Bernhard / Peter Hamm: „Sind Sie gern böse?“ Ein Nachtgespräch zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm im Hause Bernhard in Ohlsdorf 1977. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 62 Seiten, 14,90 €




Endlich übersetzt: Pierre Michons „Die Grande Beune“

Jeder Autor von einigem Belang, so will es mir scheinen, hat in seinem Leben wenigstens einmal ein ganz bestimmtes Buch geschrieben, das darauf wartet, von so unterschiedlich geneigten Leser…n, wie wir es jeweils sind, zu einem besonders günstigen Zeitpunkt als unser fortan ureigenes, autorbezogen entscheidendes Buch gelesen und entdeckt zu werden.

Je nachdem. Bei Juan Carlos Onetti war das in meinem speziellen Falle die kurze Erzählung „Abschiede“, bei Ernst Weiß der Roman „Der Gefängnisarzt und die Vaterlosen“, bei Wilhelm Raabe „Die Akten des Vogelsangs“, bei Emmanuel Bove „Die Ahnung“, bei Ludwig Winder „Die Reitpeitsche“, bei Volker Braun die „Unvollendete Geschichte“, bei Gerhard Meier „Das Tal der Winde“, bei Robert Menasse „Selige Zeiten, brüchige Welt“ und bei Roberto Bolaño „2666“. Bei Pierre Michon nun also „Die Grande Beune“.

In der exquisitesten (nur räumlich kleinen) Buchhandlung Essens fiel mir dieser gerade 103 Seiten starke, schmale Band am Montagnachmittag beim Stöbern ins Auge, nicht nur wegen seiner geschmackvollen Ausstattung mit grünem Lesebändchen, sondern vor allem wegen des Autors Pierre Michon, den ich von anderen seiner Bücher her bereits kannte. Seine ersten zwei Bücher in deutscher Übersetzung („Das Leben des Joseph Roulin“ sowie „Herr[en] und Diener“) sind zunächst im Manholt Verlag Bremen erschienen, inzwischen aber vergriffen. In der Bibliothek Suhrkamp ist mit inzwischen 2 oder 3 anderen Büchern dieses Autors ein weiterer Versuch, ihn uns zunehmend zugänglicher zu machen, gestartet worden. Schon der erstmals 2008 ins Deutsche übersetzte Band „Rimbaud der Sohn“ (1991) hat mich nicht nur thematisch, sondern auch von der Erzählweise her stark interessiert, aber erst der neue Band „Die Grande Beune“ hat mich für diesen französischen Autor – durch die anscheinend wohlgelungene Übersetzung – vollends gewonnen.

Welch ein Sog vor allem durch die Sprache entstand bei mir schon in den ersten zwei Kapiteln! Ich war ständig versucht, für mich ganz allein, laut zu lesen, um diesem Sprachklang vollends zu seinem Recht zu verhelfen. Immer wieder lädt diese Prosa nicht nur kundige Leser zu Vergleichen ein und ist doch unvergleichlich. In diesem Buch schreibt der Autor in der Rolle eines rückblickenden Erzähler-Ichs so lange, so schöne, so dichte, so gestaltete Sätze wie etwa Wolfgang Koeppen, nur noch viel bezwingender und melodisch unwiderstehlicher. So wenigstens suggeriert es mir die jetzt endlich vorliegende deutsche Übersetzung. (Um sicher zu gehen, werde ich wohl auch noch zum französischen Original greifen müssen.)

Ich wüsste gerne, wie es jemandem mit dem ganzen Buch ergeht, wenn er es auf einen Sitz lesen kann. Ich selbst nämlich musste nach den ersten beiden Kapiteln meine Lektüre leider für einige Stunden unterbrechen, wodurch aber gerade das äußerst wichtige 3. Kapitel für mich selber besonders markant herausgehoben wurde, da ich meinen Neueinstieg genau mit ihm vorgenommen habe. Das letzte Drittel des aus 6 Kapiteln bestehenden Buches, das man gattungsmäßig vielleicht als Novelle bezeichnen könnte, habe ich erst am Morgen des folgenden Tages lesen können; vielleicht erschien der letzte Teil mir deswegen nicht mehr ganz auf der vollen Höhe der ersten Hälfte der so geheimnisvoll nach vielen, auch zeitlichen, Hinsichten ineinander geschlungenen Erzählung, so stimmig er aufs Ganze gesehen als Schlussteil auch ist. Eine Inhaltsangabe zu dieser intensiv wahrhaftigen und schonungslos ehrlichen Geschichte eines Grundschullehrers von den ihn innerlich und äußerlich besetzenden Erlebnissen und Umständen seiner ersten Anstellung 1961 als Zwanzigjähriger in der französischen „Walachei“ ließe sich leicht geben und würde von dem wahren Gewicht dieser Erzählung dennoch nichts verraten. Man sollte sie lieber gleich selber lesen.

Ein Semprún-Zitat auf dem Buchumschlagsrücken lädt uns mit vollem Recht zur Lektüre ein: „Michons Yvonne ist eine der anziehendsten Frauenfiguren, die mir in sehr langer Zeit aus der Wirklichkeit der Literatur entgegengekommen sind.“ Das Zitat verschweigt aber, dass wir diese attraktiv eindringliche Frauengestalt durchweg immer wieder nur aus der Sicht des Ich-Erzählers, sonst nur indirekt, niemals von ihr selber her wahrzunehmen in der Lage sind.

Pierre Michon: „Die Grande Beune“. Aus dem Französischen übersetzt von Katja Massury, mit einem Nachwort von Jürg Laederach. Suhrkamp, 103 Seiten, 12,90 Euro.




Sprache lieben, Sprache hassen

Gerade wenn man Sprache lieben gelernt hat, so kann man sie auch hassen; jedenfalls einige ihrer Ausprägungen. Wenn einem Schriftsteller erst einmal das süße Gift trefflicher Worte eingeträufelt haben, so erschrickt man umso mehr bei falschen Klängen. Haben einen Hölderlin, Rilke, Robert Walser, Kafka, Gernhardt oder Genazino (etliche andere Namen bitte freihändig einsetzen) mit ihren Tonfällen betört, so behagt manches aus den täglichen Niederungen nicht mehr. Dann muss man sich zuweilen klarmachen, dass doch längst nicht immer im hohen Ton gesprochen werden kann. Was wäre das für eine Welt? Man möchte doch bitte auch recht oft lax und nachlässig sein dürfen. Das ist Menschenrecht.

Doch es kann geradezu körperlich quälend sein, bewusstloses Gestammel zu vernehmen. Jetzt bloß kein wohlfeiles Wort über den Politikbetrieb und den journalistischen Jargon. Aber nehmen wir beispielsweise die seit Jahrzehnten immerzu großmäulig auftrumpfende Marktschreier-Sprache, die dich unentwegt mit Super, Mega, Turbo und Jumbo anbrüllt, dich aus grellrotgelben Prospekten anspringt. Viele sind gegen derlei Kanonaden abgestumpft, so dass die Dosis immer noch gesteigert wird. Den Konsumenten wird dabei immer weniger zugetraut. Satzlängen und Absätze, die man ihnen „zumutet“, werden tendenziell immer kürzer, die verbalen Anforderungen immer geringer. Das frisst sich vom gellenden TV-Privatsender allmählich in Bereiche hinein, die bislang noch immun zu sein schienen. Wo wird diese Nivellierung nach unten enden? Beim Bellen?

Doch auch an anderen Stellen des sprachlichen Spektrums wird Überdruss geschaffen. Ich denke an die in der Netzwelt gängigen, ach so coolen Bescheidwisser-, Dazugehörigkeits- und meinetwegen Zeitspar-Formeln wie „asap“ oder „aka“, Einwürfe wie „reloaded“ und „revisited“ oder das Getue um die jeweils allerneueste Echtzeit-Kommunikation, die recht zuverlässig mit dem Füllsel „2.0“ einhergeht. Vor der „Sprache 2.0“ kann einem allerdings bange werden. Freimütig sei’s zugegeben: Man ist selbst nicht völlig frei davon. Wie denn auch? Wie wollte man sich auch von allem fernhalten, was umgeht? Man kann ja nicht sämtliche Sozialmarken verwerfen. So einsam möchte kein Wolf sein.

Alle, die mit Sprache arbeiten und gar noch von komplexen Phänomenen der Kultur reden wollen, wandeln „auf schmalem Grat“. Ach, da sieht man’s bereits: Für diese Wendung müsste eigentlich eine Strafmünze ins „Phrasenschwein“ wandern. Dieses Tierchen wiederum wird mittlerweile so häufig bemüht, dass der Ausdruck „Phrasenschwein“ seinerseits ein Bußgeld zur Folge haben müsste. Und so fort. Im Grunde müsste man die Reflexionsschraube immer weiter drehen und sich jeden Tag eine neue, eine taufrische Sprache ausdenken, um solche „Klippen zu umschiffen“ (noch so eine verbrauchte Redefigur). Dann würde einen freilich niemand mehr verstehen.




Die Ex-Gay-Therapie

Ted Haggard war mir bis vor kurzem noch unbekannt. Einige US-Amerikaner würden sich wahrscheinlich wünschen, dass es bei Ihnen ebenso wäre. Ted Haggard war der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Evangelikalen und Sprecher von gut 30 Millionen Christen. Und wie ich aus einem Artikel in der „Zeit“ lernte, führte er einen Feldzug gegen Homosexualität – bis ihn 2006 ein Callboy als schwul outete.

Das Schauspiel Dortmund zeigt zur Zeit die „Ted Haggard Monologe“ von Michael Yates Crowley: Ein beeindruckendes Solo von Ekkehard Freye, der bereits die deutschsprachige Erstaufführung am Schlosstheater Moers gespielt und sie nun als neues Ensemblemitglied von Schauspieldirektor Kay Voges sozusagen mit nach Dortmund gebracht hat.

Das Stück zeigt vor allem, wie viel Haggard in den Menschen seiner Umgebung steckt, wie sehr sie damit kämpfen, sich rigiden Dogmen und Moralvorstellungen zu unterwerfen und dabei allzu oft unterdrücken, was es heißt, Mensch zu sein.

Nach diesem Stück waren wir neugierig, ganz banal, wie dieser Ted Haggard wohl aussehen mag – und fanden Fotos von einem blonden, glatt gut aussehenden, weißzahnigen, strahlend lächelnden Werbemann.

Noch erschreckender war allerdings zu lesen, dass Ted Haggard Homosexualität noch immer für eine Sünde halten und angeblich eine „Ex-Gay-Therapie“ gemacht haben soll. Allein die Tatsache, dass es so etwas gibt…

Infos des Dortmunder Theaters: www.theaterdo.de

(Hier noch der Link zu meiner Rezension des Stückes für die Westfälische Rundschau).




Die Lecture-Performance (oder so)

Mein Fehler. Ich habe mir den falschen Platz gesucht: Damit sich die später Eintreffenden nicht an mir vorbei schieben müssen, hatte ich mich in die Mitte einer Stuhlreihe gesetzt statt an den Rand. Und weil der Sprecher so prominent ist und ich ihn aus nächster Nähe bestaunen wollte, auch noch ganz vorne. Da sitze ich nun und kann nicht anders. Könnte ich anders, hätte ich mich nach ca. zwanzig Minuten geschlichen, und zwar in der Überzeugung, dass der Vortrag später sicher gut geworden wäre, ich aber mal wieder zu ungeduldig war. Aufgrund dieses Schuldbewussteins wäre der prominente Dozent in meiner Achtung gestiegen. Eingeklemmt aber zwischen LeidensgenossInnen bleib ich sitzen, hauptsächlich, um keinen Massenexodus loszutreten. Also erleide ich die ungekürzte Fassung eines Dramas. Und zwar in Großaufnahme – mit allen mimischen und gestischen Feinheiten.

Ihr braucht übrigens gar nicht runter zu scrollen, um herauszufinden, um wen es geht: Ich sag’s nicht. Weniger um ihn nicht zu blamieren, als vielmehr mich selbst, die ich eine brillante Performance nicht als solche erkannt habe. Schließlich hat der Mann Ausstellungen in namhaften Institutionen, und Texte in namhaften Publikationen. Im Kontrast zum analytischen Umfeld, in dem seine Prosa erscheint, wirken seine Beiträge immer so anekdotisch und assoziativ, dass ich diesen Mut zur Abweichung für Konzept gehalten und daher die Gelegenheit ergriffen hatte, den als Autor und Künstler gehandelten Verfasser leibhaftig zu sehen.

Der Abend fängt vielversprechend an, nämlich mit der Erzählung eines GaUs: Kurz vor Fertigstellung eines Katalogtextes war sein Computer eines Morgens nicht mehr aufgewacht und auch durch hartnäckige Wiederbelebungsversuche nicht wiederherzustellen. Der Mann wird meines ungebremsten Mitgefühls teilhaftig und durch Tränen umflorte Augen sehe ich ihn mit DIN A-1 großen Bögen zusammengeklebter Seiten wedeln, von denen er Passagen vorliest. Ich kann nicht ganz folgen, habe ständig den Eindruck, zentrale Erläuterungen zu verpassen und ärgere mich über meine Unkonzentriertheit. Der Zusammenhang der thematisch abwechslungsreichen Textauszüge will sich mir nicht erschließen, zumal jede Episode nach wenigen Sätzen durch ein abruptes „whatever“ endet.

Rezipient gibt sich Mühe.

Ja, er spricht Englisch, wir befinden uns schließlich in einer international renommierten Kunsthochschule, und daher wäre mir das nicht weiter aufgefallen.
Wenn er denn Englisch spräche. Sein derzeitiger Lebensmittelpunkt („lives and works in NY“ – of course) scheint ohne nennenswerte Folgen für seine Sprachkompetenz geblieben zu sein. Wahrscheinlich wünschen die englischsprachigen Studierenden ebenfalls, er möge Deutsch sprechen – das wäre auch für sie einfacher.
Ein konsequent auf die imposanten Collagen gerichteter Blick und eine Art selbstversunkener Sprachmelodie vereinfachen die Rezeption nicht.

Spätestens seit der Schilderung irgendeines Morgens danach, da er beabsichtigte, sich vom Boden zu erheben, infolge erhöhter Alkoholzufuhr aber schließlich davon absah und stattdessen Katzenfutter verzehrte, dämmert mir, dass ich wohl besser meine Erwartung korrigieren und vom Vortrags- in den Performance-Modus umschalten sollte.

Darin bestätigen mich die mit bewundernswerter Konsequenz eingehaltenen Sprechpausen, während der er die Bögen nach weiteren lesenswerten Passagen durchsucht. Auf DIN A-1 kann das dauern. Aber nicht erst seit Cage wissen wir um die bewusstseinserweiternden Folgen des auf die eigenen akustischen Hervorbringungen verwiesenen Publikums. Diszipliniert bemühe ich mich also um die Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt, indem ich Performer und Performte, äußeres Geschehen (überschaubar) und inneres (zunehmende Unruhe) als Werk begreife und beflissen meine passive Erwartung warenförmigen Kunstkonsums reflektiere.

Rezipient gibt auf.

Die anderen Insassen verfahren ähnlich. Zwar verzeichne ich ein leichtes Ansteigen des Verbrauchs alkoholischer Getränke (Biertrinken bei Lectures ist hier normal. In diesem Ateliergebäude kommen die Zuhörenden schließlich direkt von der Arbeit und machen es sich daher erst mal gemütlich), aber anders als bei theorielastigen Events wie Symposien und dergleichen ist die dort unablässige Pflege sozialer Netze per Telefon zumindest nicht sichtbar.

Der einzige, der bereits nach zehn Minuten mit dem Sortieren des Posteingangs beginnt, ist der Rektor der Schule. Der zweite anwesende Professor hingegen hat im gleichen Zeitraum die erste Flasche Bier beendet und unterbricht anschließend, eine der choreografisch wirkungsvollen Schweigephasen mit der Frage, ob er vielleicht eine Frage stellen solle. Hält er etwa die konsequente Brechung unserer Wahrnehmungsgewohnheiten für ein Zeichen mangelnder Vorbereitung? Aber gern dürfe er das, freut sich der Redner, geht dann aber auf die ihm angebotenen Stichworte offenbar nicht zur vollsten Zufriedenheit des Professors ein, der daraufhin voll Adrenalin induzierter Dynamik hochschnellt und den Raum verlässt.

Prof gibt sich auch Mühe.

Nee, Jungs, so geht’s nicht, denke ich. Überlegt euch besser vorher, und vorher besser, wen ihr einladet, und sitzt es dann aus. Meine Polemik war voreilig, denn schnell kommt die Koryphäe wieder rein, in der Hand eine zweite Bierflasche, offenbar entschlossen, sich den Vortrag schön zu trinken.

Die StudentInnen sehen das entspannter. Zustimmendes Lachen erklingt, als der Referent von seiner Ambition berichtet, wissenschaftliche Texte in dafür vorgesehenen Magazinen zu unterzubringen, seinen diesbezüglichen unwissenschaftlichen Bemühungen und der daraus abgeleiteten Erkenntnis, gewisse US-amerikanische Kunstfreunde hätten doch irgendwie Recht: Texte haben in „Kunst“ nichts verloren, und wenn doch, komme es nicht so sehr drauf an, was drin stehe, solang das Layout stimmt. The medium sei nämlich the message.

Während die kunstschaffende Fraktion Nachsicht übt, hat der vor mir platzierte Rektor inzwischen bemerkt, dass sein diskretes Texten den Vortragenden nicht direkt anfeuert. Er lässt das Telefon verschwinden und versteinert fortan zusehends. Als ihm unwillkürlich missbilligende Laute entweichen, sieht sich seine Begleiterin zu de-eskalierendem Tätscheln veranlasst.

Dieweil ich noch immer die konzeptuelle Stringenz dieses Erwartungen unterminierenden Auftritts bewundere, steigert sich der Redner zum Finale. Nachdem er mit Blick auf die Uhr („by the way, what time is it?“) feststellt, dass das Ende naht („oh, seven, that’s good“ – es war acht, aber wer stellt schon gern zweimal jährlich die Uhr um?), woraufhin die chronisch zitternden Finger beim Umklammern einer Zigarettenpackung zur Ruhe kommen, endet er mit einer längeren Erklärung hinsichtlich der Gründe seiner leichten Desorientierung, wobei er das interpunktierende „whatever“ durch rhythmisches „sorry“ ersetzt. Viel gereist, viel Partys nebst der damit einhergehenden Belastungen – und dann die Sache mit dem entschlafenen Computer … Mein oben beschriebene Mitgefühl weicht der gehässigen Überlegung, der Schaden der verlorenen Dateien sei eventuell geringer als befürchtet.

Der Applaus ist lang – fast zu lang, bekommt er doch etwas Tröstendes, geradezu Therapeutisches. Aber lieb, finde ich. Und kaum jemand ist gegangen. Denn trotz lebhaften Verkehrs zwischen Vortrag innen und Bierautomat außen kamen fast alle wieder rein. Nette Studierende.
Ziemlich unverzeihlich hingegen die zwei Hochschullehrer, die den Referenten nach Redeschluss allein erst sitzen, dann stehen und schließlich rausgehen ließen. Sowas macht man nicht. Ich glaub, die müssen an ihrem Kunstbegriff arbeiten.




Am Morgen

Es ist nur wenig Zeit vergangen.
Eben räkelten sie sich noch auf weichen Matratzen, spürten die Ausläufer ihrer Träume und schauten mit zerzaustem Haar in bleiche Spiegel. Jetzt sitzen sie hier mit anderen Gesichtern.
Keine Spur mehr von nächtlichen Verfolgungen, Schlaflosigkeit, Lust.

Sie reden über das Wetter, beklagen die Politik, erzählen von Filmen, die sie am Vorabend gesehen haben. Manche verbergen ihr Gesicht hinter Zeitungen, andere zupfen an Frisuren herum. Jenseits der Scheibe rennen, stolpern, warten die anderen. Einige halten Mobiltelefone an gerötete Ohren.

Die drinnen sitzen, schauen nach draußen.
Gleich werden auch sie sich einreihen. Uhren werden hervorgeholt, ungläubig angeschaut, dann schnell wieder aus dem Blickfeld verbannt. Die Bedienung spielt Melodien auf der Tastatur der elektronischen Kasse. Draußen werden Busmotoren gestartet.
Aus der Kaffemaschine zischt heißer Dampf. Schaumkronen werden mit pulverisierter Schokolade bestreut.
Ein älterer Herr schaut hinter seiner Zeitung hervor. Sein Kopf bleibt starr, aber seine Pupillen wandern aufgeregt hin und her.
Ein junges Paar küsst sich zum Abschied…

Stefan Dernbach ( LiteraTour ) ©2011

http://www.stefandernbach.kulturserver-nrw.de/




Oper Dortmund: Zauber des Neuanfangs

Nach dem eiligen Weggang der bisherigen Dortmunder Opernchefin Christine Mielitz will der designierte Nachfolger, Jens-Daniel Herzog, den Blick des Publikums zu neuen Ufern lenken, weil doch die alten Gestade kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken.

Denn dass das Musiktheater, von den tüchtigen Erfolgen des Balletts einmal abgesehen, oft nur noch zur Hälfte gefüllt ist, gehört längst zum kulturpolitischen Allgemeinwissen. Mielitz, mit großen Erwartungen nach Dortmund geholt, hat darauf allerdings nicht das alleinige Recht. Wer weiter zurückblickt, mag sich an John Dew erinnern, der das Publikum auch nicht gerade in Scharen anlocken konnte – um es vorsichtig auszudrücken.

Jens-Daniel Herzog will sich also der Aufgabe stellen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, die Menschen wieder ans Haus zu binden. Dabei will er klotzen: Zehn Premieren gibt´s in der kommenden Saison auf der Opernbühne. Zehn Werke, die allesamt Bezug nehmen auf den Verlauf der Gattungsgeschichte, angefangen vom Barock bis hin zum Beginn der Moderne. Das klingt für sich gesehen nach bunter Beliebigkeit – Herzog selbst sagt „Oper für alle“. Aber der neue Mann denkt auf fünf Jahre voraus (so lange währt zunächst einmal sein Vertrag).

Konkret: Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ zum Beginn der Spielzeit ist zugleich Auftakt für eine Wagner-Reihe, über die Jahre gesehen. Francesco Cavallis „L’Eliogabalo“ eröffnet eine barocke Serie, in historischer Aufführungspraxis. Bellinis „Norma“ steht für Belcanto, Mozarts „Cosi fan tutte“ für die weitere Beschäftigung mit dem Genius, Operette und Musical dürfen nicht fehlen, Berthold Goldschmidts Rarität „Beatrice Cenci“ läutet den Moderne-Reigen ein usw.

Das neue Profil der Oper Dortmund muss sich also nicht erst finden, es ist schon da. Die Historie gibt den Weg vor. Spannend bleibt indes, wie sich alles mit Leben füllt, wie sich ein beinahe komplett neuformiertes, etwa 25 Köpfe starkes Ensemble, den Aufgaben stellen wird.

Interessant ist aber auch, dass Herzog in Zukunft solch ein üppiges Premieren-Konvolut beibehalten will. Das funktioniert indes nur, weil annähernd jede Produktion privat gesponsert wird. Zudem will man sie, nach einer gewissen Laufzeit, möglichst an andere Häuser verkaufen – sei es gegen Bares oder im Austausch. Absprachen mit Mannheim, Erfurt oder Kassel gibt es da bereits, selbst eine Kooperation mit den Schwetzinger Festspielen hat Herzog auf den Weg gebracht.

Wichtig aber ist, was dabei herauskommt. Wird man das Publikum, über die Phase der Neugier hinaus, halten können (Christine Mielitz ist nicht zuletzt daran gescheitert)? Vieles dürfte an Herzogs Außenwirkung hängen. Immerhin: Mit seinem Verweis auf die Wagner-Tradition des Hauses, in Verbindung mit dem Namen Horst Fechner, dem bis heute verehrten ehemaligen General-Intendanten, hat Herzog geschickt den Blick auf bessere Theaterzeiten gelenkt. Und wer während der Programmvorstellung genau hingehört hat, wie die anderen Spartenleiter schon jetzt Herzogs integrative Fähigkeiten lobten, mag tatsächlich an Aufbruchstimmung glauben. Hoffentlich wirkt der Zauber des Anfangs auch noch in ein paar Monaten.

Das genaue Programm findet sich auf der Homepage des Theaters unter www.theaterdo.de




Der Tod des Margarine-Mädchens

Seit kurzem ist sie nicht mehr da. Sie hat uns wohl für immer verlassen;  eine Gestalt, die das deutsche Alltagsleben durch viele Jahrzehnte recht unscheinbar, doch stetig begleitet hat: das „Rama-Mädchen“.

Auf Schachteln, Bechern und Einwickelfolien war sie (in einer zunehmend stilisierten Tracht) all die Jahre treulich und sittsam zugegen. Ihr Erscheinungsbild hatte sich mit der Zeit gewandelt, aber man hat sie immer gleich wiedererkannt.

Doch die Hersteller der Margarine (Konzern Unilever) haben sich nun mal entschieden, der Marke ein völlig anderes Design beizumessen. Dafür haben sie ihre „Ikone“ geopfert, die – wie man nun gleichsam posthum erfährt – sogar einen Namen hatte, nämlich Jule. So hat das Seufzen der Nostalgiker wenigstens eine benennbare Adressatin: „Ach, Jule, kehr zurück!“ Doch solches Flehen wird wahrscheinlich nicht erhört.

Und jetzt? Jetzt prangen auf den Packungen nur noch vier halbwegs liebliche Blümchen, die den Urhebern zufolge allen Ernstes für die Mitglieder einer „typischen“ (?), sicherlich ebenso konsumfreudigen wie klimagerechten, nachhaltig naturnahen, vierköpfigen Kleinfamilie stehen sollen. Man könnte jetzt weit ausholen, um hier eine herzlich unverbindliche, völlig austauschbare „grüne“ Fühl- und Denkungsart (oder einfach: Attitüde) als Nährboden auszumachen. Wie wir zur Genüge wissen, befinden wir uns damit in der gar nicht mehr so neuen „Mitte“, im durchaus mehrheitsfähigen Bereich, der bis weit ins ehedem bürgerliche Lager reicht. Lassen wir das.

Warum aber hat man sich von einer derart eingeführten, nachgerade legendären Figur getrennt? Wie eine Diskussion auf der Internet-Seite „Designtagebuch“ (dort gibt’s bildliche Vorher-Nachher-Darstellungen) ahnen lässt, kritisieren auch etliche Leute vom Fach diesen Schritt weg von der Tradition. Man gebe ein „Alleinstellungsmerkmal im Kühlregal“ auf, heißt es beispielsweise. Einer vermutet gar, der Abschied sei vielleicht auf „political correctness“ zurückzuführen: Frauen sollten halt nicht mehr in bildlichen Zusammenhang mit Nahrungsmittelzubereitung gebracht werden…

Gerade Zeitschriften mit ländlicher Thematik heben derzeit in ungeahnte Auflagenhöhen ab. Vor diesem Hintergrund gibt man eine weibliche Figur auf, die idealtypisch fürs gesunde Landleben gestanden hat? Unerfindlich. Und das alles für eine dürre, laue, beinahe an die putzigen „Prilblumen“ der 1970er Jahre erinnernde Schöpfung. Es sind, wie einer in der besagten Debatte bebend bemerkt, eigentlich just die Blumen auf dem Grab des Rama-Mädchens. Wer jetzt nicht ein Tränchen verdrückt, muss wohl von sehr roher Wesensart sein.




Gnadenlose Zuversicht

Auf der "Art Cologne": Martin Städeli "doDo, Condoodnoc" (2010).

Martin Städeli "doDo, Condoodnoc" (2010).

Mir scheint, als ob ich über Kunstmessen fast häufiger schreibe als über Ausstellungen – im vorliegenden Fall ist es die Art Cologne. Und da mich weder Kauf- noch Verkaufsabsichten treiben, konsumiere ich sie aus purer Genusssucht. Schließlich kann ich davon ausgehen, dass ich auf Messen mit all den anstrengenden Begleiterscheinungen themengebundener  Ausstellungen verschont werde: Keine Wandtexte, keine Vitrinen voll Dokumente, keine wortgewaltigen Videos, keine performativen Belastungsproben.

Zwar wissen wir, dass Kunst mehr ist als das, was an eine Wand oder auf einen Sockel passt, unter Messebedingungen aber beschränkt sie sich eben doch auf eben diese verkaufsfördernden Formate. Wie erholsam.

Warum begebe ich mich in die Niederungen einer Verkaufsfläche, statt mich inmitten der wissenschaftlich begleiteten Konsumzurückhaltung einer kuratierten Ausstellung dem interesselosen Wohlgefallen hinzugeben? Weil sich die hier suggerierte Entweder-Oder-Frage nicht stellt, denn Messen einerseits und Galerien, Ausstellungen oder Museen andererseits sind nicht zu vergleichen.

Der Unterschied besteht im Motiv: Eine Ausstellung verfolgt alle möglichen Absichten (Erörterung einer übergreifenden Frage, Überblick über eine Zeit, einen Raum oder das Werk einer Person oder Personengruppe usw.), eine Messe hingegen eine: Umsatz.

Und um diesen zu gewährleisten, müssen sich die Werke unter anderen als den Bedingungen einer Ausstellung bewähren. Eine Messepräsentation ist Ergebnis natürlicher Auslese: Nur was sich gegen die erbarmungslose Konkurrenz anderer oder ähnlicher Objekte durchzusetzen verspricht, wird knapp bemessener Platz während knapp bemessener Zeit zugewiesen. Denn während die BesucherInnen von Ausstellungen absichtlich und entsprechend motiviert erscheinen, um sich innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens auf angemessener Fläche mit dem Ganzen und seinen Teilen zu beschäftigen, bleibt der zum Verkauf vorgesehenen Kunst angesichts des gesamten Angebots wenig Zeit und wenig Fläche, um auch das Interesse der Laufkundschaft zu wecken.

Das Wissen um diese Bedingungen erhöht zumindest meine Aufmerksamkeit, weil sich bei jedem Exponat die „Warum-ausgerechnet-das?“-Frage stellt.

In einer idealen Welt befindet sich der Stand bereits nach der Preview am Abend vor der offiziellen Eröffnung im Post-Heuschrecken-Zustand, und wird während der Restlaufzeit aus den mitgeführten Beständen neu befüllt.

In der uns vorliegenden hingegen wird der Geschäftsverlauf von den Verantwortlichen gern so beschrieben: „Wir sind sehr zufrieden. Wir konnten mit außergewöhnlichen Spitzenpositionen überzeugen, unsere SammlerInnen sind äußerst engagiert und wir haben zahlreiche Gespräche im Vorfeld späterer Kaufentscheidungen geführt.“

Dies oder ähnliches erklingt, wo immer Mikrofone und Kameras das Interesse der Weltöffentlichkeit verheißen.

Selten wird der Imperativ „du sollst positiv sein“ so gewissenhaft eingehalten wie auf Messen. Denn während in der heimischen Galerie anhaltender Erfolg nur gegenüber KundInnen behauptet zu werden braucht, befindet man sich hier in einer temporären Wohngemeinschaft mit ausgerechnet denjenigen, mit denen einen gerade mal die gemeinsame Abneigung gegen die anderen verbindet. Und da gilt es, pausen- und gnadenlos Zuversicht versprühen, beruht doch der Kunstmarkt auf der Fähigkeit, potentielle KundInnen von der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung der KünstlerInnen zu überzeugen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Regel: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Folglich werden vorsichtig Anerkennung äußernde BesucherInnen durch leidenschaftliche Zustimmung ermuntert, wobei eine gewisse professionelle Reserviertheit gewahrt wird. After all sind wir hier in Germany, you know? Anderswo sieht man ekstatische Beifallsbekundungen, begleitet von expressiver Körpersprache entspannter.

Angesichts all der gleichen Bedingungen möcht man schon gern ein bisschen gleicher sein und sich innerhalb all der sich Profilierenden profilieren. Andererseits will niemand als Klassenclown durch schrille Exponate auffallen – zumindest nicht nur. Die Mischkalkulation, die schon die Auswahl der präsentierten KünstlerInnen bestimmt (ein Drittel Emerging, ein Drittel Mid-Career, ein Drittel Retrospektive) bestimmt auch das Verhältnis leiser und lauter Arbeiten. So hat es sich bewährt, zumindest einen Blickfang entweder außen (zieht Leute an) oder innen (zieht Leute rein) zu platzieren. Nur haben Blickfänge zuweilen versicherungstechnisch prekäre Formate, die schnell mal versunken vor sich hin textende Walkmen aufspießen oder flach legen.

Was tun? Das Versicherungswesen unserer leiblichen Degeneration angleichen. Denn, mit Verlaub, wir sind schon ein bisschen körperbehindert, seit unser Kopf zum ergonomisch geformten Adapter für allerlei Schnittstellen gediehen ist. Das Sichtfeld ist auf den Radius diverser Displays geschrumpft, die Ohren werden chronisch von Stöpseln oder Telefonen belagert und der Sprachapparat verdichtet die komplexesten Zusammenhänge auf 140 Zeichen.  Mit Bohnen in den Ohren, Tomaten auf den Augen und Textbausteinen im Mund torkeln wir dann durch Versuchsanordnungen, die eigentlich die Körperbeherrschung unserer Säbelzahntiger-affinen AhnInnen erfordern, und fallen hinein.

Soviel zu den Gefahren der Messekojen für EndabnehmerInnen. Aber auch die Insassen leiden – nicht, weil sie eine knappe Woche im Scheinwerferlicht und airkonditioniert ihr erfolgsverwöhntes Dasein fristen, sondern weil die äußere Anmutung einer Messekoje eine fundamentale Kränkung jeder ästhetisch empfindsamen Seele bedeutet. Denn das Interieur einer Koje legt in bewährt post-strukturalistischer Manier sämtliche Mechanismen offen. Das mitunter abrupte Zusammentreffen der Wandteile wird weniger kaschiert als thematisiert, und auch die Mysterien der Stromversorgung finden – nein, nicht im Hauptbahnhof, aber vor aller Augen – statt. Auch das schickeste Mobiliar und andere Strategien, die Tatsache der Unterbringung in einem Container vergessen zu lassen, stoßen rasch an ihre Grenzen. Insofern gilt auch auf der prestigeträchtigsten Messe: Zuhause ist es doch am schönsten, und angesichts des eingangs erwähnten, signalisierten Interesses findet der endgültige Geschäftsabschluss dann wohl doch in der heimischen Galerie statt – im wahren Leben, nach Ende des falschen.




Essener Philharmonie: Hoffnung auf Glücksgefühle

Als im Juni 2004 der alte Essener Saalbau, entkernt und als Philharmonie zu neuem Glanz gekommen, seine Pforten wieder öffnete, versprach Gründungsintendant Michael Kaufmann “reihenweise Glücksgefühle”. Da sollte der Zauber des Anfangs möglichst lange halten, doch der forsche, selbstbewusste, für die Musik brennende Kaufmann musste schon 2008 seinen Hut nehmen. Wegen Überziehung des Etats, wie es offiziell hieß.

Seitdem ist Johannes Bultmann der Chef des Hauses, in seiner Ruhe gediegen, wie ein emotionsloser Verwalter eines Kunstbetriebes wirkend. Gleichwohl verbirgt sich hinter dieser Zurücknahme unbedingtes Engagement. Mit Bultmann mag eine Art neue Sachlichkeit in die Philharmonie eingezogen sein, doch das Ziel, einem breiten Publikum vielfältige Klangwelten zu erschließen, ist ihm gewichtiges Anliegen.

Jetzt hat Bultmann das Programm der Saison 2011/12 vorgestellt – dabei mit den Worten Sensation oder Star äußerst sparsam umgehend. Überhaupt leitet er Konkretes vom Allgemeinen ab, spricht zunächst von der Motivation des Philharmonie-Teams, von einigen Grundprinzipien, was die Auswahl der Künstler angeht. Sätze wie “Wir legen Wert auf Qualität”, oder “Wir wollen Interpretation statt mechanisches Abspulen von Musik” klingen ein wenig nach Allgemeinplatz. Doch dann wendet sich der Analytiker unter den Intendanten dem Publikum zu, redet über Kommunikation, Dialog und Partizipation.

Hehre Worte, die indes in Verbindung mit konkreten Beispielen greifbare Bedeutung gewinnen. Da sei etwa die Residenz von Sol Gabetta genannt: Die argentinische Cellistin wird nicht nur vier Konzerte geben, sondern auch zwei Meisterklassen an der Essener Folkwang Universität. Oder nehmen wir den Neue-Musik-Schwerpunkt “Now!”, der die amerikanischen Minimalisten Steve Reich und John Adams, den Aleatoriker John Cage sowie Frank Zappa vorstellt. Hier soll das Publikum an einem Abend selbst zum Komponisten werden.

Bultmanns Anliegen ist, mit neuen Formaten den starren Konzertbetrieb ebenso aufzubrechen wie unsere Hörgewohnheiten. So wollen sich das Kuss Quartett und das Stadler Quartett auf einen Dialog einlassen, indem sie beide dieselben Werke (von Mozart und Beethoven) spielen und über ihre musikalischen Vorstellungen sprechen – ein Interpretationsvergleich auf offener Bühne.

Bald wird klar: Bultmann meint längst nicht mehr ausschließlich Kinder und Jugendliche, wenn er zum Thema Education spricht. Natürlich werde weiterhin mit Schülern gearbeitet. Doch ebenso gebe es eine Kooperation mit der Universität Duisburg/Essen. Und genauso intensiv will der Intendant den Blick auf die Erwachsenen richten. Mit Werkeinführungen, die die Interpreten selbst im großen Saal der Philharmonie anbieten, oder mit Künstlerbegegnungen.

Das summiert sich über die Saison auf etwa 110 Konzerte. Themenreihen widmen sich den Komponisten Franz Schubert und Gustav Mahler, dem Lied, der Alten Musik, dem hoffnungsvollen Interpreten-Nachwuchs. Den Knaller aber, um es ein wenig salopp auszudrücken, präsentiert Bultmann beinahe zuletzt: Zur Saison-Eröffnung am 6. September wird Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden Anton Bruckners monumentale 8. Sinfonie aufführen.

Der Dirigent ist nur ein Beispiel im Reigen bedeutender, ja berühmter Interpreten, deren Aufzählung hier Seiten füllen würde. Wir dürfen sie mit Spannung erwarten und hoffen, dass sich beim Hören auch das eine oder andere Glücksgefühl einstellt.

Detaillierte Einblicke ins neue Programm gibt es unter www.philharmonie-essen.de




Ceci n’est pas un texte.

Und diejenigen, die dachten, jetzt käm doch einer, muss ich enttäuschen. Ich schreib nämlich nur, um zu schreiben, dass ich nix schreibe – heute zumindest. Morgen hingegen mach ich einen Ausflug in eure Ecke, und von dem erzähl ich euch dann.

Da wir uns aber grad so nett unterhalten, fällt mir was Grundsätzliches zum Thema „wieso eigentlich NOCH ‘n Blog?” ein.

Immer & überall.

Schließlich geht die Zahl der Blogs seit Jahren zurück und noch immer übersteigt das Angebot die Nachfrage. Auch ich folge längst nicht allen, die mich interessieren, zumal ich dank dreier Zeitschriften-Abos auch noch monatlich Papier abzuarbeiten habe. Warum also ein Format reanimieren, wo doch auf Facebook alles schneller und unter viel mehr netten Leuten stattfindet?

Antwort: Weil alle Medien spezielle Eigenschaften haben und daher nicht besser und schlechter sondern anders sind.

Meine Lieblingseigenschaft der Blogs besteht in ihrem ausgewogenen Verhältnis von Verfall und Nachhaltigkeit. Einerseits wird der eben noch aktuelle Beitrag zügig genug vom nächsten ins Archiv gekickt, um eine gewisse Unbefangenheit zu ermuntern. Niemand braucht zu befürchten, ungebührlich lange für spontane Eingebungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vielmehr kann man sich seelenruhig unter dem Einfluss irgendwelcher Affekte in leidenschaftliche Tiraden hineinsteigern, denn noch während der geistige Ausnahmezustand abklingt, wandert sein verbaler Fallout aus den Augen, aus dem Sinn.

Doch ungeachtet dieser beruhigend geringen Halbwertszeit bietet der Blog Platz zur einem angenehm temperierten Maß an Ausführlichkeit, irgendwo zwischen Tiefenschürf und 140 Zeichen. Insofern reicht die vom Informationsgehalt eines Blog-Eintrags geweckte Neugier, um das Opfer zu eigenen Recherchen zu motivieren, oder zumindest, um als „Schonmairgendwogehört“ wiedererkannt zu werden. Und daher behaupten sich Blogs im Mittelfeld zwischen Print und Facebook: Anders als Gedrucktes erlauben sie zeitnahe Reaktionen, aber auch wieder nicht so zeitnah, dass sie – wie auf Fb – binnen Stunden jenseits des Scroll-Horizonts verschwunden sind.

So, die Botschaft dürfte klar sein: Blogs sind a) untot und b) ist das gut so.

Warum aber noch einen, wo ich doch grad selbst zugegeben habe, dass es mehr lesenswerte als lesbare gibt?

Face a Blog each day.

Das lässt sich mit Hilfe einer anderen Antiquität, dem Fernsehen, erläutern:

In der Prä-Privat-Periode – unplugged und ganz mit ohne Schüssel – speiste sich Fernsehen aus drei bis vier Kanälen, aufgelockert von Testbild und Sendeschluss. Damals gab es QuerulantInnen, die keine der verfügbaren Sendeanstalten so richtig in Freudentaumel versetzte und die daher ständig über das Medium an sich jammerten. Fernsehen schien irgendwie grundsätzlich böse. So wie Cola und Autos und generell der überwiegende Teil der ZeitgenossInnen. Daher hab ich kurz vor Ausbruch des Privatfernsehens aufgehört, dem bösen Treiben zuzuschauen.

Einen Fernseher besitze ich nach wie vor nicht, habe mich aber inzwischen über das Angebot informiert und festgestellt: Ob drei oder dreihundert Programme – das alleinseligmachende ist noch immer nicht dabei.

Kann auch nicht, muss auch nicht.

Selbstverständlich gibt es ungeheuer viele ungeheuer gute Sendungen, nur leider verteilen die sich über ungeheuer viele Sender.

Und damit zurück zum Thema, denn gleiches gilt für das Online-Angebot. Und angesichts der ungeheuer individuellen Vorlieben der ungeheuer vielen AbnehmerInnen halte ich neue Seiten für ungeheuer begrüßenswert.

Und deswegen noch ein Blog. Noch immer nicht alleinseligmachend – aber wir arbeiten dran.




Ein Leseeindruck, was sonst? (Peter Handkes Erzählung „Der Große Fall“)

Nein, eine Rezension wird das nicht. Handkes Erzählung „Der Große Fall“ habe ich in der letzten Woche nicht in der Absicht gelesen, darüber hier eine Rezension zu schreiben. Um eine Rezension zu schreiben, müsste ich das Ganze mindestens noch einmal lesen. – Nicht aber sofort und nicht sehr bald. Mit dieser Erzählung bin ich nach der Lektüre ohnehin noch nicht zu Ende. Sie arbeitet noch weiter in mir.

Heute will es mir scheinen, als hätte da einer geträumt, er sei ein alt gewordener, recht bekannter Schauspieler und hätte als dieser Schauspieler diese Geschichte eines einzigen irgendwie spätzeitlichen Sommertages so geträumt, als hätte er sie wirklich erlebt. Und es will mir scheinen, als hätte dieser Träumende, diese Rollenfigur des Autors, objektivierend, besser: gestalterisch pseudoobjektivierend, von der Ich-Form des Traums in die Er-Form der abschließend gültigen Erzählung gewechselt. Läge der Erzählung derart wasserzeichenhaft tatsächlich oder auch nur suggestiv ein Traum zu Grunde, würde sich der erzählerische Doppelcharakter, dieses Ineinander von Präzison und Unbestimmtheit leichter erklären lassen. Unverkennbare Realitätspartikel, aber auch phantastisch ungreifbare Elemente bekämen da, ebenso wie das Vermutete und das Unvermutete im Geschehen, ihren jeweils traumlogischen Ort. Auch die schon im Titel – wie danach auch gleich noch im Erzähleingang – herausgestellte Hauptsache des „Großen Falls“ und die damit nahegelegte Frage, was es denn mit dem (am Anfang als schon erfolgt angekündigten und am Ende der Geschichte offenbar tatsächlich erfolgenden, sich irgendwie ereignenden) „Großen Fall“ für eine genauere Bewandtnis habe, erhält jeweils eine gewisse traumlogische Plausibilität. Dass – zumal am Ende eines Traums – das benennbar Ereignishafte und eine merkwürdige Unbestimmtheit und Vagheit zusammenkommen, ist in Träumen keineswegs selten. Aber auch innerliterarisch wird man an die vergleichbare Unbestimmtheit etwa von Samuel Becketts „Godot“ und an die gerade aus dieser Unbestimmtheit resultierenden, z. T. maßlosen Deutungsverlockungen erinnern dürfen.

Bereits der erste Satz der Erzählung suggeriert eine abgeschlossene Handlung, von der der unbestimmt namenlos bleibende Er-Erzähler, von Beginn des einen Tages an bis zu seinem Ende so erzählt, als wäre auch dieser Tag zum Zeitpunkt des Erzählens (wann?) schon eine ganze Zeit lang vergangen. Umso beunruhigender, ja verstörender, dass nirgends ganz genau gesagt wird, worin denn „Der Große Fall“, der schließlich zielgenau am Ende steht oder sich am Ende irgendwie ergibt, genau besteht. Anklänge, Assoziationen im Verlauf gibt es en masse, wenn auch nicht durchweg eingängig-einheitlich. Eine plumpe Festlegung auf ein in Eindeutigkeit Gemeintes scheint durchweg verhindert werden zu sollen. Betrifft der „Große Fall“ eine ganz bestimmte (kleinere oder größere?) Gruppe von Lebewesen eines bestimmten Landes, eines bestimmten Kontinentes oder aller Kontinente? Oder nur diese eine Person, dieses eine Individuum?

Doch auch in einem solchen Falle könnte der „FALL“ textübergreifend ein exemplarischer sein. Ich erinnere mich in Vergleichsabsicht an vorausgegangene Werke anderer Autoren: Der junge (!) Kaufmannssohn in Hugo von Hofmannsthals „Das Märchen 672. Nacht“ z. B. geht eines Tages in einer bestimmten Absicht von seinem abgelegenen Sommersitz samt Garten weg in die große Stadt und ENDET – wie zielstrebig am Ende – unter den Hufen eines ihn schlagartig tötenden Pferdes.

Ein Theaterstück wie Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ oder ein Roman wie Balzacs „César Birotteaus Größe und Niedergang“ beschreibt sogar schon im Titel eine bestimmte Verlaufsform.

Handke nun meint seinen Erzählungstitel zwar einerseits ähnlich ernst wie die beiden zuletzt genannten Vorgänger ihre literarischen Titel – , spielt aber andererseits wiederholt nuancenreich damit, als wäre zusätzlich und vorsätzlich ein gewisser Unernst mit im Spiel, als wäre es ihm passagenweise doch nicht so ganz ernst mit dem „Großen Fall“ in seiner ganzen „Größe“. Reines (wie auch immer moderiert entfaltetes) Untergangsszenario in einer spätzeitlichen, abendlich gewordenen Welt? Wirklich?

Am deutlichsten wird das SPIELEN mit dem „Fall“ gegen Schluss auf Seite 275. Und ich darf ausnahmsweise zitieren: „“Fall‘ ich in den Graben, retten mich die Raben“: Auch das sang er fast:“ – Wie viele (vorwiegend österreichische?) Kinder haben dieses Lied, das in einen bloß gespielten, insofern nicht ganz ernsten, meist jauchzend (mit dem Gefühl, es hätte ernst sein können) hingenommenen „Fall“ mündet, gesungen bzw. während des Pseudo-Fallens, des Fallens ohne wirklichen Sturz, lauthals mitgesungen und dann scheppernd gelacht? Jedoch: Hieß das im Kinderlied nicht so: „Hoppe, hoppe, Reiter! Wenn er (!) fällt, dann schreit er (!). Fällt er (!) in den Graben, fressen ihn (!) die Raben.“?

Und siehe da, in Handkes Erzähltext wird die 3. Person Singular des Liedes durch die 1. Person Singular ersetzt, so wie sich jedes Kind einmal spielerisch mit dem Reiter identifiziert hat, was gleichzeitig aber auch meine eigene These eines grundlegenden, umgekehrten Wechsels vom Traum-Ich ins Erzähl-Er in der von Handke vordringlich traumlogisch geschriebenen Erzählung noch etwas plausibler erscheinen lässt.

In einem Traum kommt unwillkürlich so einiges zusammen, Tagesreste oder – wie hier – auch Traditionsreste, ggf. auch in Variationen und Umkehrungen. So bin ich von meiner Ausgangsthese her auch nicht überrascht, wie von ungefähr, Heterogenstes in aufeinander folgenden Episoden – in Abständen hintereinander und gedanklich motivlich gleichsam nebeneinander – vorzufinden. Vieles davon lädt, sofern vorschnell vorrangig behandelt, zu einer monokausal einsinnigen Deutung des Ganzen ein, oder scheint zumindest, dazu einzuladen, und griffe doch, sofern vorschnell als einziger Schlüssel genommen, ziemlich sicher fehl.

Zwei, drei Beispiele nur für Handkes erzählerischen Umgang mit Überliefertem:

Auf Seite 233 wie nebenbei eines der Sieben Worte Jesu am Kreuz; hier bezugslos und zweckentfremdet in einen anderen Zusammenhang versetzt: „Vater, warum hast du mich verlassen?“ –

Auf Seite 137f. fühlt man sich plötzlich, ebenfalls abgewandelt, versetzt in Joseph Roths „Legende vom heiligen Trinker“, wenn der Schauspieler plötzlich im fremden Land einen Fremden als einen ehemals Bekannten, als „einen guten Freund“ bzw. „fast einen Freund“ erkennt, sich selbst aber leutscheu nicht zu erkennen gibt, obwohl dieser der erste an diesem Tage ist, den er unter den vielen ihm Begegnenden beim Vornamen nennen könnte. „Andreas!“ – könnte er ausrufen, so wie es bei Joseph Roth geschieht, aber hier nicht.

Auf Seite 248 ff. begegnet er (nur beobachtend und selber allem Anschein nach ungesehen und damit unerkannt bleibend) jenem Gesicht eines Menschen, auf das er offenbar nicht nur diesen ganzen Tag über gewartet hatte, ohne es, obwohl er es bereits früher oft genug und noch ganz vor kurzem sogar in der Nähe gesehen hat, wirklich als dieses eine Erwartete wahrgenommen zu haben. Von hier an wäre ein anderer Schluss des Ganzen vorstellbar. Traumlogisch sowie in der Logik des auch im Affektiven nüchternen Ganzen wohl aber nicht. Die Geschichte geht, da intellektuell redlich, anders weiter. –

Festzuhalten bleibt dennoch, dass es beinah eine merkwürdige Form von Flaschenpost gegeben hätte, die den in der Geschichte so nahe- wie ferngerückten „Fall“ fast überdauert hätte und es in Form der Erzählung ja auch tut. Es handelt sich um einen Brief, den der Schauspieler auf unmoderne, wiewohl nostalgisch angeblich wieder modisch gewordene Weise als „Vater“ noch am Abend dieses letzten (?) Tages an seinen wie verschollen fernen, ihm fremd gewordenen und fremdgebliebenen Sohn geschrieben (?) hat und gerne abgeschickt hätte, ohne indessen eine genaue feste Adresse zu kennen. Ob den Sohn dieser Brief jemals erreicht hätte, bleibt fraglich, ist (durchaus vergleichbar mit entfernt Ähnlichem in Kafkas „kaiserlicher Botschaft“) sogar mehr als fraglich. Ob der Sohn noch lebt (?) … und wo (?) … wohl auch. Immerhin: der annähernde Wortlaut des Briefes wird auf der Seite 244 mitgeteilt. Wie in einer Art Umkehrung von Kafkas Erzählung „Das Urteil“ erwartet hier der Vater das „Urteil“ des Sohnes. (a.a.O., S.245) –

PS 1: Einzelne Episoden dieser (durchaus interessanten, mich aber insgesamt keineswegs begeisternden) Erzählung haben eine eigenständige Kraft, sind sehr gut isolierbar. So zum Beispiel die zusammenhängende, eindringliche Passage der Seiten 156 (ab Z.17) bis 158 (Z.2). Hier würde man fündig, suchte man einen unaufgemotzt stillen Text für eine Abiturprüfung oder für das Projekt einer Anthologie von Endzeittexten.

PS 2: Bestätigte Ausgangsthese als Fazit: Handkes Erzählung gibt sich keineswegs als Traum, folgt aber über weite Strecken einer Traumlogik, die die variierende Einbettung von Traditions- wie Tagesresten gestattet und hierdurch und des weiteren alles in der Erzählung Vorkommende plausibel erscheinen lässt und den Autor – zumindest für dieses Mal – unangreifbar macht.

PS 3: Vom seniorenfreundlichen Druckbild her ist der Text gut lesbar. Auch sprachlich. Von der Gestaltung des Schutzumschlages und der Buchdeckel her wirkt das Buch wie der Eröffnungsband aus dem fiktiven Verlag der Grauen Panther. Aber „altvattrisch“, wie Österreicher manchmal zu sagen pflegen, sind Formung und Inhalt des Buches durchaus nicht.

Peter Handke: „Der Große Fall“. Erzählung. Suhrkamp Verlag, 278 Seiten, 24,90 Euro.




Verschaukelt

Die Einheit ist Geschichte, und sie ist nach wie vor unvollendet. Vollendete Tatsachen schaffte jedoch die Einheitsdenkmalsjury mit ihrer Auswahl des Entwurfs aus dem Stuttgarter Architekturbüro Milla, das zusammen mit Sasha Waltz die Möglichkeit des Andenkens an die Prozesse, die zu dem Staatsgebilde von heute geführt haben, grandios dämlich verschaukelte. Dieses Werden als 50 Meter breite Wippe materialisieren zu wollen, mag vielleicht als Metapher im Hirn funktionieren. Die Vorstellung, das Ganze dann in der Nähe des rekonstruierten Disney-Objekts namens Stadtschloss aufgestellt zu erleben, führt zu einem Ensemble, das an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist.

Sicherlich, unter keinem guten Stern stand das Projekt von Beginn an. Zuerst die Schmach des Scheiterns von Wettbewerb Nummer eins. Aber auch der zweite Rundgang verhieß nach der Vorauswahl nichts Gutes. Man denke etwa an die Beliebigkeit von Stephan Balkenhols „Kniendem“. Unentschieden eben. Und das trifft gleichermaßen auf die Wippe zu. Viel lässt sich heineinsehen. Oh, körperlich erlebtes Pendeln im großen Format. Kommt es dann zur existenziellen Erfahrung, wenn bewegungsfreudige Kids Touristengruppen in Bewegung bringen? Nun, so hoch kann die Amplitude schon aus baurechtlichen Gründen nicht ausschlagen. Sicher und gepampert, wird alles der üblichen Artigkeit angepasst. Also doch nur Symbolik mit wohlmeinendem Label „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“. Selbst wenn auf dem Plateau kein Kaiser Wilhelm mehr aufragt, sondern egalitär jeder Besucher den Fuß auf das Werk zu setzen vermag, so wird es doch dadurch weder aus gestaltungslogischer noch ikonografischer Perspektive besser um das Projekt.

Letztlich spiegelt der Entwurf die herrschende Tagespolitik eines Landes, in dem die Akteure der derzeitigen Regierung hin und her wackeln. Sie reflektieren eine wankelmütige Kanzlerin, einen Außenminister, der etwa mit Blick auf die arabische Revolution erst vollmundige Hilfe verspricht, dann aber wiederum nur den lähmenden Takt für ein unentschiedenes Pendeln zwischen verhaltenem Aktionismus und Rückzieherei vorgibt. Ganz gleich in welches Ressort man schaut – sieht man vielleicht einmal von, man höre und staune, Frau Leutheusser-Schnarrenberger ab, ist es ein bleiernes Schwanken auf niedrigem Niveau. Wenn das Denkmal für diesen Nicht-Zustand der Berliner Republik geschaffen worden wäre, meinen Segen hätte es bekommen. Der deutschen Einheit wird ein derartiger Fun-Park jedoch keineswegs als dauerhafter Anlass der Erinnerung oder des An- und Überdenkens gerecht.




Das Ruhrgebiet – von oben herab

Schon oft habe ich mich über die Münchner Arroganz geärgert, mit der die (ansonsten vielfach schätzenswerte) „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) immer mal wieder das Ruhrgebiet betrachtet – so schräg von oben herab, so triefend mitleidig.

Wir werden’s wohl wieder erleben, wenn Borussia Dortmund deutscher Fußballmeister wird. Dann wird mit ziemlicher Sicherheit die schonungslose SZ-Reportage erscheinen, die die soziale Verwahrlosung in Dortmund beklagt, um hernach zu betonen, wie wichtig doch ein sportlicher Erfolg für solch eine gebeutelte Stadt sei. Geschenkt, Leute! Bringt lieber etwas anderes. Lasst bitte euren Mitarbeiter Freddie Röckenhaus schreiben, der sich in Dortmund und mit dem BVB auskennt.

Gestern haben die Südlichter mal wieder ahnen lassen, was ihnen das ach so ferne Revier bedeutet. Die ruhmreiche Seite 3 ward angefüllt mit einem insgesamt zwar halbwegs erträglichen, doch reichlich redundanten Porträt über Helge Schneider. Ein typischer Beitrag nach dem Larifari-Motto „Es liegt zwar kein Anlass vor, aber heute haben wir mal so richtig Platz dafür“. Die schmale Hauptthese (Helge S. sei ein ungemein freier Mensch, der immer tut, was er will) wird allerdings so unentwegt geraunt, als sei sie hier weltexklusiv erstmals zu lesen. Es ist eine These, die nicht bewiesen wird (wie denn auch?), sondern just ein wenig spazieren geführt wird.

Helge Schneider stammt bekanntlich aus Mülheim/Ruhr, mehr noch: Er ist in dieser Gegend verwurzelt. Seine Art der Komik dürfte inniglich mit dem Nährboden des Reviers zu tun haben. Und was macht die SZ, zum soundsovielten Male? Sie schreibt mal wieder durchweg „Mühlheim“ statt Mülheim.

Wie bitte? Das sei eine Kleinigkeit? Das sei Korinthenkackerei? Nein. Ist es nicht. Weil der SZ und anderen Blättern südlich der Mainlinie genau dieser Lapsus immer und immer wieder passiert. Das ist kein bloßer Zufall, sondern notorische Schnoddrigkeit und Mangel an wirklichem Interesse. Wer diesen Fehler immer wieder begeht, der strotzt vor Ignoranz. Wer sich nicht sicher ist, schaut nach. So einfach ist das. Merkt euch das gefälligst – in Franckfurt, Mühnchen oder Studtgard!




Musikstreiflicht (1): Kerzenlos gute Musik

Vor kurzem wurde in der Essener Philharmonie das in der laufenden Spielzeit letzte Konzert der Reihe „Alte Musik bei Kerzenschein“ gegeben. Wer die noch weiter gehende Abo-Reihe 3 „Erlesene Ensembles“ gebucht hat, konnte wegen einmaliger, ausnahmsweiser Überschneidung beider Abo-Reihen dieses Konzert ebenfalls mitbekommen. So war das in meinem und meiner Frau Falle auch. Allerdings: Mich hätte das Konzert auch dann interessiert und mir hätte es auch dann mindestens so gut gefallen, wenn es bei anderer Beleuchtung stattgefunden hätte. Und ich gebe auch zu, dass mich der Reihentitel „Alte Musik bei Kerzenschein“ nicht besonders angezogen hat. Mir kommt es immer nur auf die Qualität der Musikdarbietung selber an. (Die übrigens überzeugend stark vorhanden war.) Und Atmosphäre hat die Essener Philharmonie auch so schon. Gewiss ist es aber so, dass so manchen anderen gerade diese wohlbedachte Koppelung von „alter Musik“ und „Kerzenschein“ besonders angezogen haben mag, ob nun anheimelnd oder pseudoromantisch oder pseudonostalgisch. Dennoch: Werbetrick hin oder her, was zählt, ist der Umstand, dass wieder einmal im Revier so gute Musik mit hinlänglichem Besucher…zustrom auf höchstem Niveau zu Gehör gebracht werden konnte.

Auch die halbstündige Einführung unmittelbar vor dem Konzert durch den Orchesterleiter Andrea Marcon – unter anregend instruktiver Zuhilfenahme des Orchesters – ist ganz besonders hervorzuheben. So viel Sachkunde und so hohem Übermittlungsgeschick begegnet man selten. Hauptsächlich Vivaldi, aber auch Tartini und Carl Philipp Emanuel Bach waren die Komponisten des Abends. Mehrfach – will sagen: in 3 Cellokonzerten und einem für 2 Celli, Streicher und Basso Continuo – durfte Gautier Capuçon als Solist glänzen, ohne dass man sagen dürfte oder müsste, dass die Solisten des Ensembles in irgendeiner Weise gegen ihn qualitativ abgefallen wären. Einmal, beim aufbrandenden Applaus unmittelbar nach dem Ende eines dieser Cellokonzerte konnte der Dirigent den Solisten gerade noch vor einem gefährlichen Sturz mitsamt dem Cello bewahren, als dieser nämlich im Halbdämmer des Kerzenscheins beim Verlassen des Podiums urplötzlich ins Straucheln geraten war. –




Uwe Timms „Freitisch“: Frühling der Freiheit

Ich gebe gern zu: Die frühen 1960er Jahre sind bis heute meine Lieblingszeit. Zum einen zählten sie zur eigenen, noch nicht so recht bewussten Frühphase, zum anderen wurden damals all die kleinen Freiheiten noch eher spielerisch erprobt, um die man später so erbittert gestritten hat. Kein Wunder, dass gerade zu dieser Zeit die Beatles aufkamen. Sie haben anfangs so überaus zuversichtlich geklungen…

Warum ich das so ausgiebig darlege? Weil Uwe Timms neue Novelle „Freitisch“ in jenen Jahren spielt und somit bei mir schon vorab einen Extra-Bonus bekommt, ebenso wie der in langen Jahren vertraut gewordene Autor. Das sind natürlich keine genuin literarischen Kriterien, sondern zunächst Sympathiewerte, die jedoch auf Erfahrung fußen. Außerdem liest man auf der Basis von Sympathie einlässlicher als sonst, gleichsam mit weit offenen Nüstern.

Worum geht’s? Um ein studentisches Quartett, das am Beginn der 60er in München allmittäglich just an einem Freitisch beisammen sitzt und die von einer Versicherung gesponserten Mahlzeiten verzehrt. Bei Tisch ergibt sich die eine oder andere Debatte. Der Zahlenmensch mit dem Spitznamen Euler bringt dabei vor allem seine Verehrung für den nach seinem Gusto einzig wahren Autor zum Ausdruck: Arno Schmidt. Um seine Bemühungen, Schmidt einen Besuch im einsamen Bargfeld abzustatten, ranken sich später Legenden. Ein angehender Jurist und ein werdender Schriftsteller (der Schmidts Sprachspiele nicht mag) gehörten seinerzeit gleichfalls zur Tischbesetzung.

Das Buch setzt freilich Jahrzehnte später ein. Tief im provinziellen Osten, in Anklam, hat sich einer der damaligen Freitischler mit seiner norwegischen Frau niedergelassen. Der Studienrat ist inzwischen pensioniert und sammelt antiquarische Reliquien zum rebellischen Jahr 1968 – und zu Arno Schmidt. Sieht also ganz so aus, als sei er den Idealen der Jugend ziemlich treu geblieben.

Bei „Euler“ verhält es sich auf den ersten Blick anders: Er ist ein großer Hecht in der Abfallwirtschaft und will ausgerechnet in Anklam in eine Deponie investieren. Von seinem Termin mit dem örtlichen Wirtschaftsförderer hat der Studienrat und Ich-Erzähler Wind bekommen. Nun treffen sie sich auf einen Kaffee und lassen die Erinnerung schweifen. Allerdings haben die beiden wenig Zeit, denn der Termin im Rathaus steht an.

Trotzdem kommen jetzt die frühen 60er ins Spiel. Die Zeit, als man es noch riskierte, mit dem Kuppeleiparagraphen in Konflikt zu geraten, wenn man ein Mädchen mit aufs möblierte Zimmer nahm. Die Zeit, in der Studenten einander noch nicht duzten und schon gar nicht larmoyant über Beziehungskisten oder Trennungen redeten. Lektüren von Freud bis Reich folgten erst danach. Die Zeit der allerersten Happenings, bei denen etwa ein Klavier mit der Axt zerspalten wird. Die Zeit, über die Euler sagt: „Da ging eben noch alles zusammen, damals: Hasch, Ernst Jünger und die illegale KP.“ Und ein andermal: „War ´ne muntere Zeit, die frühen Sechziger, werden ja immer als langweilig gehandelt. Dabei wurde all der Zunder gesammelt, der dann später achtundsechzig die Feuerchen machte.“

Und so werden denn die Zwiegespräche zur wehmütigen Rückschau auf eine Zeit der Erwartung, der Vor-Bereitung, des Vorscheins. Man sucht auszuloten, was damals reif und unreif war, was verloren ging und was sich im Lichte der Lebenserfahrung ganz anders darstellt. Seinerzeit spannte sich das Denken zwischen Heidegger und Marx aus, jetzt – so ein Lamento – habe man es vorwiegend mit Punks oder Neonazis zu tun.

Das von der Historie vielfach verwundete Anklam erweist sich als heimlicher Hort der unscheinbaren, kleinen Hoffnungen, die man irgendwie am Leben halten muss. Gewiss: Eine Mülldeponie mag Arbeitsplätze dorthin bringen, doch ist sie nur ein Nebenschauplatz. Vielleicht weist ja die schöne List einen Weg, mit der man damals Arno Schmidt düpiert hat und die hier nicht verraten wird.

Ein Hauch von Resignation scheint durch die letzten Sätze des Buches zu wehen, freilich könnte man sie auch als Einleitung zum Aufbruch deuten: „Die Bedienung kam, fragte, darf’s noch was sein. Nein danke. Nur noch zahlen.“

Uwe Timm: „Freitisch“. Novelle. Kiepenheuer & Witsch. 136 Seiten, 16,95 Euro.




Star Trek (XI), der Film

Star Trek (Plakat zum Film von 2009)

Star Trek (Plakat zum Film von 2009)

Schon vor ein paar Wochen habe ich den inzwischen elften Kinofilm aus der gleichnamigen Reihe gesehen: Star Trek. Dazu wollte ich eigentlich schon die ganze Zeit bloggen, kam aber bisher irgendwie nicht dazu. Aber solange der Film noch nicht bei Sat.1 im Fernsehen läuft, kann man das ja noch nachholen…

Vorweg muss ich sagen, dass ich mich selber schon als Star Trek-Fan bezeichne – etwas anderes wäre sicherlich auch nicht angemessen, wenn man bedenkt, dass ich z.B. noch alle einzelnen Folgen der Serie Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert (Star Trek: TNG) auf VHS-Cassette irgendwo in einem Karton liegen habe ((wobei ich mich frage, wie lange so eine VHS-Cassette haltbar ist…)).

„Star Trek-technisch“ gesehen bin ich mit TNG und Captain Jean-Luc Picard „aufgewachsen“ und war nie ein Fan von Captain Kirk, Spock, „Pille“ McCoy usw. Natürlich habe ich mir die alte Ursprungs-Serie auch angeschaut, war aber nie wirklich großartig davon begeistert.

Dennoch wollte ich unbedingt den neuen Kinofilm sehen und war wirklich gespannt (keine Sorge, ich verrate nicht alle Details – wer jedoch noch nichts vorab erfahren will, sollte explizit nicht weiter lesen, auch wenn ich mich da sehr zurückhalte):

Um es kurz zu machen: Der Film hat mir sehr gut gefallen!

Der Film fängt geschickt an – da man erst mal gar nicht weiß, worum es geht und somit erst nach einiger Zeit bemerkt, dass der dargestellte Kirk gar nicht James T. Kirk ist, sondern sein Vater. Wobei: Darauf hätte man kommen können, wenn man im Vorfeld sich drum gekümmert hätte, welche Schauspieler welche Rollen haben. Das hatte ich aber nicht und so war ich überrascht die Geburt des berühmtesten Sternenflotten-Offiziers mitten in einer Raumschlacht zu sehen.

Einige Jahre später verschlägt (im wahrsten Sinne des Wortes) es Kirk dann zur Akademie der Sternenflotte nach San Francisco, wo er erstmalig auf „Pille“ McCoy und den Halb-Vulkanier Spock trifft. Wobei letzteres nicht ganz spannungsfrei bleibt… einen plötzlichen Notfall und ein paar Sternenflotten-Regularien gebeut später geht es an Bord der NCC 1701 Enterprise ((ich muss ja gestehen, dass ich immer ein Fan der NCC 1701-D bleiben werde…)) unter dem Kommando von Captain Pike.

In der Nähe des Planeten Vulkan trifft die Enterprise auf einen romulanischen Angreifer, den man schon von der Anfangssequenz her kennt und schnell kann sich Kirk erstmalig so richtig bewähren.

Im weiteren Verlauf deckt er den Plan des Angreifers auf und schafft es diesen zu vereiteln. Nicht ganz ohne Verluste (und das ist sehr harmlos und untertrieben ausgedrückt), aber am Ende ertönen dann doch die berühmten Worte Der Weltraum, unendliche Weiten….

Fazit

Mir ist klar, dass ich nicht wirklich viel über den Inhalt geschrieben habe – das liegt aber daran, dass ich den Film sehr gut fand und jedem Star Trek-Interessierten nur anraten kann, den Film selber zu sehen. Für diese Leser wollte ich nicht zu viel verraten, damit man im Film selber einigermaßen überrascht ist. Denn überraschend ist der Film schon.
Meine Befürchtung, dass ein „Zurück in die Vergangenheit“ nicht gut umgesetzt wird, hat sich als unwahr erwiesen, denn es wurde meiner Meinung nach im Film zwar deutlich, dass es sich um eine ältere Geschichte aus dem Star Trek-Universum handelt, aber das ganze ohne den Plastik-Charme der klassischen Star Trek-Serie. Da ich persönlich ein Fan von alternativen Zeitsträngen bin, gefiel es mir auch gut, dass dieser Film dieses Element nutzte. Nur: Meiner Meinung nach hätte man am Ende das ganze Zeitrad zurückdrehen müssen.

Schade auch, dass an der einen oder anderen Stelle die Geschichte etwas konstruiert wirkt – oder ist z.B. die komplette planetare Verteidigung der Erde auch gerade im laurentanischen System auf Manöver? 😉

Töffte ((ruhrgebietsdeutsch für: gut, schön, passend))

  • interessante Geschichte (ich mag alternative Zeitstränge)
  • gute Schauspieler
  • endlich mal wieder „Star Trek“ im Kino

Panne ((ruhrgebietsdeutsch für: u.a. Zustand der Dösigkeit, etwas was nicht toll ist))

  • Story manchmal etwas konstruiert
  • die Geschehnisse des alternativen Zeitstranges wurden nicht umgekehrt
  • die Romulaner waren meiner Meinung nach nur Barbaren mit spitzen Ohren – und nicht so cool wie in TNG



„Apokalypse Afrika“: Auf Dauer ratlos

Diese Lektüre bringt einen ins Schlingern. Manchmal weiß man gar nicht mehr, in welchem Land Afrikas man sich gerade befindet, so sehr schwirrt einem der Kopf vom beschriebenem Chaos. Tatsächlich sind ja vielfach die staatlichen Strukturen fast gänzlich zerstört.

Hans Christoph Buchs neuer Band „Apokalypse Afrika“ setzt u. a. in hochkolonialistischer Zeit an und protokolliert mehrmals mit zeitgenössischen Berichts-Fragmenten die Kongo-Konferenz, die 1884/85 in Berlin stattgefunden hat. Die Europäer hielten sich damals einiges darauf zugute, dass sie der offenen Sklaverei und dem „Negerhandel“ abschworen. Nach außen hin nüchtern und rational, in pathetischen Momenten gar nahezu karitativ, doch in Wahrheit zutiefst gierig, suchten sie hier ihre Interessen-Sphären und Handelszonen aufzuteilen, wobei manche Passage so klingt, als sei damals vor allem Portugal von den anderen Mächten „gemobbt“ worden. Das ist aus heutiger Sicht allerdings zweitrangig, wurden doch hier die bis in unsere Zeit nachwirkenden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Kontinent nicht zur Ruhe kam, weil zahllose Statthalterkriege angezettelt wurden. Doch zur Saat des Kolonialismus kam noch etwas Ungutes, letztlich Unbenennbares hinzu, wie Hans Christoph Buch findet. Auch seine Texte können und wollen keine Klarheit schaffen.

Der einleitende Text des Bandes bezieht sich auf ein Ereignis des Jahres 1816, das schon auf künftige Katastrophen vorausdeutet. Das (von Théodore Géricault auf einem berühmten Bild gemalte) „Floß der Medusa“ steht nicht nur für schlimmsten Schiffbruch, sondern für kannibalistische Entgrenzung in napoleonischer Zeit, als Frankreich sich anschickte, Senegal zu unterwerfen.

Die vielleicht bizarrste Geschichte handelt von jener „Hottentotten-Venus“, die in London und Paris als Weltwunder gegen Geld vorgezeigt und mit abgründigen sexuellen Phantasien besetzt wurde. Die Historie zwischen Europa und Afrika, so ahnt man, ist weitaus mehr als politisches Kalkül, sie ist durchaus pathologisch, wahn- und körperhaft geprägt.

Zeitsprung: Als Groteske der etwas milderen Observanz erweist sich Horst Köhlers bundespräsidiale Goodwill-Tournee durch afrikanische Länder. Hans Christoph Buch gehörte seinerzeit zur Entourage. Hier feiern rundum alle Klischees vom „Schwarzen Kontinent“ Urständ – vom Operettenstaat bis zur immerwährenden Tanzwütigkeit der „Eingeborenen“. Alles nur Kulissenschieberei, in der auf kläglichste Weise „Politik“ inszeniert wird. Kein Wunder, dass etwa der eine oder andere journalistische Beobachter die Restbestände seines Bewusstseins mit Sex und Suff betäubt.

Weitere Passagen des Buches dringen bis in lebensgefährliche Bereiche des jetzigen Afrika vor. Die Hölle auf Erden, mit nur allzu bekannten Stichworten: Marodierende Banden, Kindersoldaten; Bürgerkriege, in denen Hunderttausende Menschen viehisch abgeschlachtet werden; Diktatoren, die ihre Völker bis aufs Blut ausbeuten. Als Hans Christoph Buch eine Gewaltszene mit eigenen Augen sieht, blättert auch bei ihm der Lack der Zivilisation ab, wie er erschütternd ehrlich eingesteht: „Beim Anblick des an die Kehle gesetzten Messers geriet ich in unkontrollierte Erregung, die sich zu sadistischer Lust steigerte, als sein Blut zu fließen begann – am liebsten hätte ich mich an seiner Folterung beteiligt…“ Dabei hatte er sich offiziell für die Freilassung des Bedrohten eingesetzt. Welche Kräfte sind da am Werk, wenn ein politisch absolut unverdächtiger Mann wie Buch, der mit dem kolossalen Thema Afrika nicht fertig werden kann und mag, derart an sich irre wird? Wo ist links, rechts, oben und unten?

Dies alles lesend, kann man wahrlich verzweifeln. Hoffnungsschimmer sind ach so gering, wenn überhaupt vorhanden. Puritanisch gewendet, fragt es sich gar, ob just dieser Band in der bibliophilen Edition „Die andere Bibliothek“ hat erscheinen müssen, oder ob ihm nicht Schmucklosigkeit besser angestanden hätte.

Solche monströsen Themen lassen sich jedenfalls kaum stilistisch „bändigen“, sie bleiben buchstäblich so fassungslos wie in diesem Falle Autor und Leser. Hans Christoph Buch arrangiert und collagiert die geradezu surrealen Partikel der schrecklichen Wirklichkeit nach Kräften, doch sie zerrinnen ihm gleichsam unter den Händen, von Ordnung kann hier eben keine Rede sein. Jede gefälligere Zurichtung des Stoffes wäre wohl infam gewesen. Buchs persönlicher Zugang bringt allemal mehr Ertrag als noch so klug und scheinbar schlüssig formulierte Ferndiagnosen. Und so lässt „Apokalypse Afrika“ einen am Ende ratlos zurück; ganz so, wie es die bittere Wirklichkeit vermag.

Hans Christoph Buch: „Apokalypse Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern“. Eichborn Verlag / Die andere Bibliothek, 252 Seiten, 29 Euro.




Ein Kulturblog? Aber ja!

Herzlich willkommen bei www.revierpassagen.de

Wer gehört zum Autorenteam der „Revierpassagen“? Es sind weit überwiegend Journalistinnen und Journalisten mit langjähriger Erfahrung im Kulturbetrieb und speziellen Sparten-Kenntnissen. Die allermeisten leben im Ruhrgebiet oder haben hier längere Zeit gewohnt. So ergeben sich gewisse Schwerpunkte wie von selbst.

Die „Revierpassagen“ handeln also vom Ruhrgebiet („Revier“) und von Kultur, aber längst nicht nur davon.

Mit „Revier“ ist denn auch generell ein Gelände gemeint, durch das man Streifzüge unternehmen oder flanieren kann.

Im Wort „Passagen“ schwingt das Vorübergehen mit, letztlich auch das Vergängliche. Passagen von hier nach da, mal mit, mal ohne konkretes Ziel, doch mit möglichst offenen Sinnen. Text-Passagen können ebenfalls gemeint sein. Und wenn man ganz weit nach oben schaut, gibt es da als leuchtendes Gestirn das „Passagen-Werk“ von Walter Benjamin.

Außerdem kann man per Suchmaschine herausfinden, dass „Revierpassagen“ offenbar ein anderer Ausdruck für Flusskreuzfahrten sind. Warum nicht? Alles ist im Fluss…

Wir erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Termin-Journalismus kommt vor, muss aber nicht sein. Ähnlich verhält es sich mit kulturellem Nachrichtenstoff. Auch der wird gern gebracht, aber wir gieren nicht danach.

Themen und Texte ergeben sich nicht zuletzt durch Vorlieben der Autorinnen und Autoren. Die Mehrstimmigkeit kann, muss aber keine Harmonie erzeugen. Klassische Rezensionen zu diversen Kultursparten haben hier ebenso ihren Platz wie die frei schwebende oder gar ausschweifende Phantasie und die kleine Randbeobachtung aus alltäglichen Gefilden.

Genug gefaselt. Die Wahrheit ist konkret: Auf zu den Beiträgen!

Bernd Berke