Ein Platz für Tiere im Kunstmuseum – Ausstellung „Arche Noah“ im Dortmunder U

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Die größte Arbeit dieser Schau ist von Christiane Möbus, 11 Meter lang und heißt „Auf dem Rücken der Tiere“ (Foto: Museum Ostwall/VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Helge Mundt, Hamburg)

Groß war sie angekündigt, die Jahresendausstellung im Dortmunder U. „Arche Noah – Über Tier und Mensch in der Kunst“ ist sie überschrieben, der Titel ist – bar jeder Doppeldeutigkeit – redliche Inhaltsangabe. Sucht man nach einem positiven Eigenschaftswort, das die Schau des Ostwall-Museums am trefflichsten kennzeichnet, so fällt einem am ehesten wohl „fleißig“ ein, vielleicht auch „redlich“ oder „korrekt“, mit etwas gutem Willen gar „engagiert“. Jedoch die Superlative haben Pause. Das sollte man wissen und seine Erwartungen entsprechend justieren, wenn man sich diese Tierschau ansehen will.

Aus dem Pressetext zitiert sind dies die Gliederungspunkte von „Arche Noah“: „Mensch – Tier – Stadt“, „Tiere ausstellen“, „Tierstudien“, „Naturidyllen“, „Natur beherrschen (Dressur/Rituelles/Tötung von Tieren)“, „Tier – Kunst – Wissenschaft“, „The Dark Museum“, „Naturzerstörung“, „Tiere als Co-Produzenten“, „Kunst für Tiere“, „Tierische Sounds“, „Annäherung & Transformation“, „Ängste – Träume – Fantasien“, „Tiersymbolik“, „Tierkomik“. Eine Fleißarbeit, wie gesagt. Und sicherlich ist es sinnvoll, das Thema in einer solchen Weise zu systematisieren, wenn man eine Global-Ausstellung wie die Nämliche plant.

Allerdings wäre es schön gewesen, wenn die Ausstellungsmacher in einem der nächsten Schritte dem sinnlichen Erleben mehr Gewicht zugebilligt hätten. Wenn sie einen Blickfang im Eingangsbereich geschaffen hätten, ihm vielleicht auch eine besondere Lichtsituation hätten zukommen lassen. Dann auch stünde die wuchtigste Arbeit, die raumgreifende Installation „Auf dem Rücken der Tiere“ von Christiane Möbus – 12 Ganztierpräparate tragen auf ihren Rücken ein Boot, der Katalog nennt für diese Arbeit die Maße 400x1100x420 cm – vielleicht im Eingangsbereich und nicht erst in einem der letzten Räume der Schau. Eventuell hätte man dafür die Eingangssituation ändern müssen, was aber doch möglich wäre. Jetzt aber startet man den Rundgang mit viel Kleinkram, zwischen dem sogar August Mackes „Großer Zoologischer Garten“ von 1912 verloren wirkt. Dabei ist dies doch ein besonders wertvolles Bild, auf das das Ostwall Museum auch besonders stolz ist (Was würde es wohl bei Christie’s in der Auktion bringen?).

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Eins der bekanntesten Stücke aus dem Eigenbestand paßt hervorragend in die Ausstellung: „Großer zoologischer Garten“ von August Macke aus dem Jahr 1912 (Foto: Museum Ostwall Jürgen Spiler)

 

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Die Skulptur „All you can lose“ von Deborah Sengl (2009) zeigt sehr naturalistisch eine Art Menschenschwein auf dem Heimtrainer und ist ein bißchen zum fürchten (Foto: Museum Ostwall/Courtesy Galerie Deschler, Berlin)

Einige schöne Einzelstücke findet man natürlich schon, zumal im skulpturalen Bereich. Deborah Sengls furchteinflößender Schweinemensch auf dem Heimtrainer („All you can lose“, 2009) gehört dazu, ebenso Patricia Piccininis verstörendes Mädchen mit schwarzer Beinbehaarung, das ein irgendwie anthropomorphes Fleischwesen im Arm hält („The Comforter“, 2010).

Natürlich fehlt in einer Tierausstellung wie dieser nicht die abstoßende Schlachthofarbeit („Schlachthaus Berlin“ von Jörg Knoefel, 1986/88), bestehend aus einem Blechplattenlabyrinth, in welchem unregelmäßig etliche Schwarzweiß- und einige Farbfotos aufgehängt sind, die blutige Details des unappetitlichen Schlachthofgeschehens zeigen. Möglicherweise soll man sich in diesem Blechkorridor fühlen wie das berühmte Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank, bzw. das Schwein zur Hinrichtung. Nun denn.

Erwähnenswert ist vieles mehr, doch ersetzt das nicht den Gang durch die Ausstellung, und deshalb soll das Auflisten hier auch sein Ende haben. Lediglich auf das schöne Gemälde „Aquarium“ (2007) von Norbert Tadeusz sei noch verwiesen, immerhin ist Tadeusz ein Sohn der Stadt Dortmund (wenngleich 2011 in Düsseldorf verstorben).

Ein mindestens ebenso bedeutender Dortmunder Künstler ist wohl Martin Kippenberger (gest. 1997), den man hier allerdings vergeblich sucht. Dabei war es ja sozusagen eine tierische Arbeit, nämlich ein gekreuzigter Laubfrosch, mit der der „junge Wilde“ bei Dortmunds katholischer Kirche so tief in Ungnade fiel, daß nach wie vor nicht mal ein kleines Sträßchen in U-Nähe nach ihm heißt. Womit nichts gegen Leonie Reygers gesagt sein soll, die es fraglos verdient, Namenspatronin zu sein. Jedenfalls: Auf dieser Arche kein Kippenberger.

Kein Kippenberger, kein Nitsch-Adept, der mit Tierblut rumsaut, kein Damien Hurst, der einst Kühe in Scheiben schnitt und die Schnitte, mit Formalin haltbar gemacht, in Plexiglasbehältern präsentierte. Keine Provokationen jenseits der politisch korrekten Abscheu in dieser Ausstellung, nichts, das zum Widerspruch reizte.

Dabei ist die Arche eigentlich doch ein Skandalon, Symbol massenhafter Vernichtung von Mensch und Tier, denn wer nicht an Bord durfte, mußte (elendig, wie wir vermuten wollen) ersaufen. Wo in der Ausstellung ist das Mahnmal für all jene Arten, die seit der Sintflut nicht mehr unter uns weilen! Zugegeben: Diese Argumentation streift schon verdächtig am Rand des Humorversuchs entlang. Humor jedoch ist, wenngleich auch mehr oder weniger auf eine Abteilung begrenzt, durch große Künstler der Neuen Frankfurter Schule wie Robert Gernhardt oder Hans Traxler bereits manierlich vertreten.

„Arche Noah“, 15. November 2014 bis 12. April 2015. Museum Ostwall im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund. Geöffnet Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr. Eintritt 6 Euro.

www.museumostwall.dortmund.de




Religiöse Extremisten in Münster: Meyerbeers Oper „Der Prophet“ ist bestürzend aktuell

Religion als Mittel zur Macht: Die drei Wiedertäufer (Rossen Krastev, Selcuk Hakan Tirasoglu und Matthias Stier) in  Meyerbeers "Le Prophete" am Staatstheater Braunschweig. Foto: Volker Beinhorn

Religion als Mittel zur Macht: Die drei Wiedertäufer (Rossen Krastev, Selcuk Hakan Tirasoglu und Matthias Stier) in Meyerbeers „Le Prophete“ am Staatstheater Braunschweig. Foto: Volker Beinhorn

Es ist kein Gesang demütiger Pilgrime, der uns mit dem Choral „Ad nos, ad salutarem undam“ entgegenschallt. Sondern die perfekte Tarnung einer politisierten Pseudo-Religion. In Giacomo Meyerbeers großer Oper „Le Prophète“ betten drei Wiedertäufer in die scheinbar fromme Weise ihren Aufruf zu Aufruhr, politischer Revolution, „heil’gem Streit“ und Mord ein.

Meyerbeer bricht mit dem gespenstischen Auftritt, begleitet von fahlen, tiefen Bläsern, die ländliche Idylle, die er mit den ersten Takten seiner Oper zeichnet: In dieser Welt herrscht kein arkadischer Friede, sondern Willkür und Tyrannei auf der einen, Fanatismus und Gewalt auf der anderen Seite.

In keiner anderen der für Paris geschaffenen großen Opern Meyerbeers zeigt sich das pessimistische Geschichtsbild des kosmopolitischen Juden aus Berlin so radikal wie in „Le Prophète“. Mit Bedacht haben Meyerbeer und seine Librettisten Eugène Scribe und Émile Deschamps wieder – nach „Les Huguenots“ von 1836 – ein Thema aus der Umbruchszeit der konfessionellen Kriege in Europa gewählt, diesmal die blutige, gewalttätige Episode der Wiedertäuferherrschaft im westfälischen Münster 1534/35. An dieser historischen Episode lässt sich beispielhaft darstellen, wie es funktioniert, Massen zu mobilisieren und zu fanatisieren.

Aber die Geschichte ermöglicht es Meyerbeer auch, in einer für die damalige Oper einzigartigen Tiefenschärfe einen ambivalenten Helden auf die Bühne zu bringen: den „Propheten“ Jean de Leyde als einen von seiner Mutter psychisch abhängigen, tief religiös geprägten jungen Mann. Durch die Willkür seines Dienstherrn erschüttert, wird er dem manipulativen Zugriff der Wiedertäufer zugänglich und zum fanatischen König gekrönt, der einer Shakespeare-Figur – oder einem modernen Selbstmordattentäter – gleich am Ende alles ins flammende Verderben reißt.

Meyerbeer hat in seiner Oper in faszinierender Weise Aspekte der Moderne erfasst: in der einzigartigen Verschränkung von Mutterkomplex und Machtwahn, im scharfsichtigen Blick auf die Psychologie der Masse und in den formalen Brüchen einer „filmischen“ Dramaturgie.

Der „Weltenbrand“ des Finales greift die einst schockierenden Katastrophenszenarien der französischen Oper auf, die schon Daniel Francois Esprit Auber in seiner revolutionären „Die Stumme von Portici“ eingesetzt hatte. Doch was dort überindividuelles Naturereignis war – der Ausbruch des Vesuv – wird bei Meyerbeer zu einer gleichnishaften Weltvernichtung, der Wagners „Götterdämmerungs“-Finale inspirierte.

Revolution im Zeichen radikalisierter und manipulativer Religon: Szene aus der Braunschweiger Inszenierung von  Meyerbeers "Der Prophet". Foto: Volker Beinhorn

Revolution im Zeichen radikalisierter und manipulativer Religon: Szene aus der Braunschweiger Inszenierung von Meyerbeers „Der Prophet“. Foto: Volker Beinhorn

Die modernen Aspekte des Konzepts von Meyerbeer und Scribe wollte Regisseur Stefan Otteni in der Braunschweiger Neuinszenierung des „Prophète“ – zeitlich passend zum kaum gewürdigten 150. Todestag des Komponisten – herausstellen. Bühne und Kostüme Anne Neusers meiden historistische Opulenz, geben lieber in konzentrierten Chiffren Hinweise auf die inneren Beweggründe der Handlung. Etwa wenn die Idylle, die Meyerbeer musikalisch beschreibt, als Bild auf die Bühne geschoben, zum distanzierenden Zitat gewandelt wird. Oder wenn der letzte Akt mit den im Kellergewölbe angehäuften Kreuzen an den „Berg der Kreuze“ im litauischen Siauliai erinnert.

Zuvor hatten die Menschen im wiedertäuferisch besetzten Münster diese Kreuze abgeben müssen: Da wird die Vielfalt individuellen Glaubens durch Uniformität abgelöst und in den „Untergrund“ verbannt, wo sie gleichwohl eine kritische Masse bildet.

Leider verzichtet Otteni dann auf den von Meyerbeer intendierten Untergang und wendet das Schicksal des Propheten ins Individuelle. Das entspricht seinem Konzept, die Oper als Albtraum eines zu Tode Verurteilten zu erzählen. Jean de Leyde endet auf einer kreuzförmigen Pritsche, auf der man ihm vermutlich die Giftspritze setzt. Das bricht den Charakter an einer entscheidenden Stelle: Otteni verurteilt seinen „Propheten“ zur Passivität des Träumers, während Meyerbeer ihm mit der Sprengung des Festsaales als letzter, verzweifelter, schaurig konsequenter Aktivität jenen Zug ins Abgründige gibt, der uns etwa auch an Hitlers monströsen Untergangs-Ideologien zutiefst erschreckt.

Otteni versucht, den ambivalenten Charakter der Titelfigur durch Verdoppelung zu verdeutlichen. Schon zu Beginn schaut ein Double Jeans voll Skepsis und Verwunderung auf sein schlafendes Alter Ego. Im komplexen vierten Akt geht die Rechnung auf: Der „geteilte“ Jean pendelt zwischen dem Griff nach der Krone und dem Auftritt als einfacher Mensch, zeigt sich von seinen Ambitionen zugleich fasziniert und gequält, bricht am Schluss in der Gloriole des religiös überhöhten Helden zusammen.

Jeans Mutter Fidès (Anne Schuldt) stört das sorgsam einstudierte Szenario der Krönungsfeier des Propheten (Arthur Shen), mit dem die Wiedertäufer auf die politisch-psychologische Manipulation der Massen abzielen. Foto: Volker Beinhorn

Jeans Mutter Fidès (Anne Schuldt) stört das sorgsam einstudierte Szenario der Krönungsfeier des Propheten (Arthur Shen), mit dem die Wiedertäufer auf die politisch-psychologische Manipulation der Massen abzielen. Foto: Volker Beinhorn

Auch eine der Schlüsselszenen der Oper gewinnt auf diese Weise Tiefenschärfe: Jeans Mutter Fidès stört das sorgsam einstudierte Szenario der Krönungsfeier, mit dem die Wiedertäufer auf die politisch-psychologische Manipulation der Massen abzielen: Sie erkennt in dem ferngerückten Prophet-König ihren Sohn; ein Moment menschlicher Unmittelbarkeit und Rührung, der den planmäßigen Aufbau des Images eines gottbegnadeten Retters empfindlich stört. In diesem Moment zeigt Otteni mit der verdoppelten Figur, wie Jean als Prophet die prekäre Situation eiskalt zu seinen Gunsten dreht, als Mensch aber, blutig gesteinigt, seelisch zugrunde geht.

Im zweiten Akt gelingt es dem Braunschweiger Team, die manipulative Absicht der Wiedertäufer in ein aussagekräftiges Bild zu bringen. Die drei Drahtzieher Jonas (Matthias Stier), Zacharie (Selçuk Hakan Tiraşoğlu) und Mathisen (Rossen Krastev) treten in Hemd und Krawatten wie Geschäftsleute auf, maskieren Jean als eine Johannes der Täufer-Figur, werfen sich vor einem Goldgrund in bunte Gewänder – und fertig ist das fromme Bild: ein Appell an die bekannten Klischees des Heiligen, mit dem die Menschen überwältigt werden sollen.

Dass Jean nach dieser Szene im Bademantel hinausgeführt wird – wie ein Darsteller nach Ende seines Auftritts in die Garderobe – unterstreicht das „Inszenierte“ noch. Es geht hier nicht um authentischen, wenn auch missbrauchten Glauben, sondern um den gezielten, zweckgerichteten Einsatz von Religion als politisches Machtinstrument: die Schmierenkomödie der Wiedertäufer.

Dass die Braunschweiger Inszenierung von „Le Prophète“ nicht restlos gelingt, liegt an einigen Szenen des – musikalisch von Georg Menskes und Johanna Motter solide einstudierten – Chores: Stefan Ottenis Versuch, naturalistische Szenen zu meiden, nimmt ihnen die Energie und den dynamischen Zug, der die Bewegung der Masse bedrohlich macht. Auch das Zitat der aufgehenden Sonne im dritten Akt – eine der sensationellen szenischen Effekte der Pariser Uraufführung – kann die Überwältigung von einst nicht einholen. Immer wieder wünscht man sich auch eine pointiertere Personenführung, die sich nicht nur auf die szenische Chiffre etwa eines Kostüms verlässt.

Szene aus dem letzten Akt mit Arthur Shen (Jean de Leyde) und Anne Schuldt (Fides). Foto: Volker Beinhorn

Szene aus dem letzten Akt mit Arthur Shen (Jean de Leyde) und Anne Schuldt (Fides). Foto: Volker Beinhorn

Der entscheidende Anteil der Musik – Meyerbeers Opern sind Gesamtkunstwerke im besten Sinn des Begriffs – wird von Georg Menskes‘ Dirigat nur zum Teil eingelöst. Im Braunschweiger Staatsorchester folgt auf höchst gelungene Details, etwa in den stark geforderten Bläsern, immer wieder Pauschales ohne klangliche Plastizität; sorgsam entwickelte Momente in der differenzierten Dynamik stehen neben flüchtiger Beiläufigkeit.

An die Sänger werden exorbitante Anforderungen gestellt, denen etwa Anne Schuldt als Fidès stimmlich wie szenisch bewundernswert gerecht wird. Der Name der Prophetenmutter ist Programm: Fidès steht für den Begriff eines kraftvollen, authentischen Glaubens – und die Braunschweiger Inszenierung rückt sie folgerichtig über die psychologische Funktion der „Übermutter“ in die Nähe der Schutz gewährenden und Hilfe bringenden Madonna.

Der komplexen Rolle des Jean bleibt Arthur Shen einiges schuldig: Dass er die Höhe zögernd und vorsichtig angeht, ist verständlich; dass er sie im Lauf des Abends immer angestrengter in eine trockene Enge treibt, deutet auf technische Probleme hin. Aber dass Shen seinen Text stellenweise so farblos vorträgt, als habe er gar nicht verstanden, wovon er singt, ist ein grundsätzliches Manko.

Mit Ekaterina Kudryavtseva hat Braunschweig für Jeans zur Blässe verdammte Geliebte Berthe eine koloraturgewandte Sängerin, deren schön timbrierte Stimme manchmal nicht ganz kontrolliert geführt wird. Orhan Yildiz singt die episodische, aber wichtige Rolle des Grafen Oberthal geschmeidig und klangsinnig; das Trio der Wiedertäufer würde gewinnen, wenn Rossen Krastev nicht auf krude orgelnde Potenz setzen würde. Ein besonderes Lob verdient der disziplinierte Kinderchor Tadeusz Nowakowskis.

Mit dieser Produktion hat Braunschweig erfolgreich ein bestürzend aktuelles Werk ins Blickfeld der Opernwelt zurückgeholt. Schon 1986 hatte John Dew in Bielefeld auf die Brisanz dieses Stoffes aufmerksam gemacht, die Hans Neuenfels 1998 in seiner missglückten – und folglich leider nur in einer Serie gespielten – Inszenierung in Wien so fatal verschenkt hat. Auch der Versuch des Theaters in Münster, sich 2004 Meyerbeers Werk zu nähern, blieb folgenlos.

Umso gespannter richtet sich der Blick nach Berlin, wo „Le Prophète“ in einer Reihe mit den anderen „Grand Opèras“ Meyerbeers auf die Bühne der Deutschen Oper kommen soll – die Premiere ist im Mai 2018 geplant. Und auch in Karlsruhe gibt es, wie zu lesen war, Überlegungen in Richtung Meyerbeer. „Le Prophète“ jedenfalls ist ein Werk, an dem sich wieder einmal bewahrheitet, wie die Zeitläufte vergessene Werke in präzise analysierende Kommentare zur Gegenwart verwandeln.




Für Kenner und Genießer: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon in Wuppertal

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Drei Programmteile hat der Abend in der historischen Wuppertaler Stadthalle, wie es sich für ein anständiges Kammerkonzert gehört. Drei Mal erklingt Musik der Spätromantik, komponiert in den Jahren 1886/87.

Man bewundert, wie fruchtbar damals das musikalische Schaffen in Europa war, und man fragt sich gleichzeitig, ob diese Abfolge nicht zu einförmig werden könnte. Denn so fundamental unterscheiden sich die Werke von Antonín Dvořák, Edvard Grieg und César Franck nicht, dass sie markante Kontraste aufreißen könnten.

Die Gefahr des durchgängigen, sich nur gelegentlich erregt vergessenden Lyrizismus ist in der Tat gegeben. Nur: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon, die Stars des Abends, wissen, wie man das Zuschnappen der Fallen vermeidet. Ihre Methode ist nicht, die latenten Kontraste zu vergrößern (und damit unter Umständen zu vergröbern), sondern sie subtil zu verfeinern.

Es ist eine Methode für Kenner und Genießer, wie man sie im „Silver Circle“ des Klavier-Festivals Ruhr vermuten möchte. Denn für diesen kulturstützenden Personenkreis sollte das Wuppertaler Konzert ein Dankeschön sein – eines, an dem freilich jeder teilnehmen konnte. Eine Chance, die sich viele Wuppertaler seltsamerweise entgehen ließen: Der Saal hatte noch Kapazitäten frei.

Renaud Capuçon hat in diesem Jahr mit Violinkonzerten von Brahms und Saint-Saëns in Essen nahegelegt, ihn zu den derzeit weltbesten Geigern zu zählen. Ein Eindruck, der sich in Wuppertal bestätigt. In Dvořáks „Vier romantischen Stücken“ lässt er seinen herrlich erfüllten Ton herrschen: einen vollen, leuchtenden, aber nie zu pastosen Klang, substanzvoll bis in die ätherischen Bereiche des Flageoletts, fern von ordinärer Verruchtheit in den tiefen Tönen der G- und der D-Saite. Aber Capuçon gefällt sich auch nicht in klassizistischer Politur. Er phrasiert lebendig, mit glänzend austariertem Atem: Der Zuhörer sitzt auf der Stuhlkante und wird mitgetragen auf den Kulminationspunkt der Spannung.

Khatia Buniatishvili wirkt wie eine Kundry des Klaviers: „Dienen, dienen“ scheint ihre Haltung, wenn sie sich bei Dvořák in weichen, locker perlenden Akkorden zurücknimmt und dem Geiger den leuchtend lachenden Auftritt gönnt. Aber dann, im „Allegro maestoso“ des zweiten Stücks, emanzipiert sie sich, reagiert auf den tänzerisch angehauchten Rhythmus mit markantem Zugriff, greift die Schattierungen im Ausdruck der Violine auf und spiegelt sie zurück: Ein Dialog mit Sensibilität und Temperament – Eigenschaften, die wir bei den Auftritten der georgischen Pianistin seit ihrem Klavier-Festival-Debüt 2009 immer wieder bewundern. Und Tugenden, die sich in Edvard Griegs c-Moll-Violinsonate (op.45) und César Francks Hauptwerk der kammermusikalischen Geigenliteratur aufs Schönste bewähren.

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Zum Beispiel im ersten Satz der Grieg-Sonate, die der Komponist „appassionato“ gespielt haben will: Capuçon und Buniatishvili leiten daraus keine Aufforderung zu vordergründiger Expression ab. Sie stützen mit dunkel-rauchigen Klängen, mit feinstem, durch das Pedal verflüssigtem Silber den hochromantischen Tonfall, aber sie bleiben stets geschmackvoll beherrscht. Die edle Phrasierung, die bewusst eingesetzte Agogik triumphieren: Minutiöse Kontrolle der Ausdrucksmittel ist Voraussetzung für eine gedankenverloren-träumerisch wirkende Interpretation.

So wird auch César Francks expressiver Überschwang in ein Konzept gebunden und damit von der Anmutung kitschiger Unmittelbarkeit frei gehalten. Andere Geiger steigen mit mehr „espressivo“ in das Werk ein, aber Renaud Capuçon bevorzugt einen neutralen, abwartenden Ton, den er erst im Lauf des Allegretto-Satzes intensiviert.

Der leicht verschwommene Klavierton – bedingt durch die Akustik des Raumes – passt in diesem Falle trefflich, begünstigt die Entfaltung der Farben eher als die analytische Konturierung des Klaviersatzes. Jetzt hat Khatia Buniatishvili auch die Gelegenheit, rauschende Kraft und zupackende Pranke zu zeigen. Das genießt sie, ohne das Maß der Musik zu vergessen.

Fritz Kreislers „Liebesleid“ beendet als Zugabe den Abend – ironische, aber nicht desavouierende Verneigung vor einer Romantik, die am Ende nur noch in ihren Salon-Ausläufern überlebensfähig war.

Das Programm wird in einem Konzert der Philharmonie Essen am 30. April 2015 erneut gespielt. Infos: http://www.philharmonie-essen.de/konzerte/event/60309.htm