Klänge wie Opal und Alabaster: Orchester „Les Siècles“ und Renaud Capuçon in Essen

Das Orchester ist gerade mal zehn Jahre alt und in Deutschland noch nicht sehr bekannt: „Les Siècles“ nennt sich die 2003 gegründete französische Formation. Ihre Besonderheit: Die Musiker beherrschen historische Instrumente aus verschiedenen Epochen – und das, wie im jüngsten „Pro Arte“-Konzert in der Essener Philharmonie zu erleben war, mit beachtlicher Perfektion.

Der Kontrast zwischen „original“, „historisch informiert“ und „modern“ verschwimmt: Jean-Philippe Rameau erklingt auf Instrumenten des mittleren 18. Jahrhunderts; Georges Bizet auf solchen, die ein gutes Jahrhundert später in Gebrauch waren. Und über das Erlebnis der unterschiedlichen Klänge hinaus war der Abend dank des engagierten, mit Freude und Lust spielenden Orchesters ein Vergnügen der Extraklasse.

Seinen Anteil am Plaisir hatte nicht zuletzt der Geiger Renaud Capuçon. Ihn hört man in unseren Breiten seltener als seinen Bruder, den Cello spielenden Gautier. Die beiden haben zwischen 2002 und 2008 einiges, vor allem an Kammermusik, gemeinsam eingespielt; nach längerer Pause ist Ende 2013 wieder eine Platte mit den beiden Franzosen erschienen: mit dem ersten Cello- und dem dritten Violinkonzert von Camille Saint-Saëns.

Eben dieses h-Moll-Konzert bezauberte in der Philharmonie in Essen mit lyrischer Innerlichkeit im zweiten und einem nobel gezügelten Feuer im dritten Satz. Bei Capuçon strahlt der Ton nicht aggressiv oder direkt, sondern wie ein Licht, das durch Opalglas oder Alabaster gedämpft wird: eine diskrete Tongebung, die nie der Versuchung erliegt, weich oder sentimental zu schmachten. Wie das im Zusammenhang mit Saint-Saëns oft verwendete Attribut des „Parfüms“ wohl sowieso eher in die nationalistische Polemik des ausgehenden 19. Jahrhunderts als in den Katalog seriös beschreibender Begriffe gehört.

Transaparenz und klare Konturen

Viel Freude macht das harmonische Einverständnis zwischen dem Solisten und dem vorzüglichen Orchester „Les Siècles“. Dessen Gründer François-Xavier Roth stand am Pult und führte straff, aber nicht eilig, mit der idealen Balance zwischen kreativem Freiraum und disziplinierter Präzision. Der schlanke, vibratolose Klang der Streichinstrumente gleitet nie in die schrill gezogenen Töne ab, die bei besonders eifrigen „Originalklang“-Experten eine Zeit lang als der Weisheit letzter Schluss galten. Die Bläser können den ungleich farbenreicheren, geschmeidigen Klang der alten Instrumente vorteilhaft einsetzen, weil Roth auf Transparenz und klare Konturen achtet. Auch Hörner und Blechbläser fügen sich unaufdringlich in dieses Bild ein; nur die Pauken spielen mit ihren ruppigen Schlägen ihre – so auch im Klangbild vorgesehene – irritierende Rolle.

In Jean-Philippe Rameaus Suite aus der Oper „Castor et Pollux“ ist es eine Landsknechtstrommel, die nebst Flöten und Fagotten für den exotischen „Spartaner“-Klang sorgt. In der Suite mit Tänzen aus „Les Indes galantes“ dürfen die „Wilden“ mit knalligem Getrommel und der Pracht der Bläser auftreten. Kultivierter geht es bei André-Ernest-Modeste Grétry zu: Der Komponist aus Lüttich, der im vergangenen September seinen – kaum beachteten – 200. Todestag hatte, gab seiner Version der Geschichte von der Schönen und dem Biest unter dem Titel „Zémire et Azor“ hübsche Melodien und tänzerische Pikanterie mit. Langjährige Opernfreunde erinnern sich vielleicht noch an die Inszenierung des reizenden Werks 1991 in Bielefeld, das John Dew mit ironischem Touch als „Film noir“ ablaufen ließ. Der Abend in Essen klang aus mit einer Deutung von Georges Bizets C-Dur-Sinfonie, in der Roth und seine Musiker dem melodischen Reiz und dem rhythmischen Temperament des Frühwerks lustvoll Tribut zollten.

Das nächste Konzert der „Pro Arte“-Reihe in der Philharmonie Essen: Samstag, 15. Februar, mit der Königlichen Philharmonie Flandern unter Edo de Waart und Alexej Gorlach (Klavier). Beethovens drittes Klavierkonzert wird gefolgt von Anton Bruckners vierter Symphonie. Info: www.pro-arte-konzerte-essen.de

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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