Wenn 60 Schriftsteller durch die Dortmunder Nordstadt gehen

Schriftsteller Heinrich Peuckmann (frontal, Mitte) im Kreise von Autorenkolleg(inn)en auf dem Weg zur Dortmunder Nordstadt. (Foto: Bernd Berke)

Schriftsteller Heinrich Peuckmann (frontal, Mitte) im Kreise von Autorenkolleg(inn)en auf dem Weg zur Dortmunder Nordstadt. (Foto: Bernd Berke)

Freunde, jetzt mal Butter bei die Fische, wie man hier so sagt: Der Autorenverband PEN hat heute auf seiner Dortmunder Jahrestagung mit Regula Venske nicht nur eine neue Präsidentin gewählt, sondern u. a. auch eine Resolution gegen die konfuse Rechtsausleger-Partei AfD verabschiedet. Morgen (Samstag) soll es um die betrübliche Lage in der Türkei gehen. Das alles ist richtig und wichtig. Jedoch…

Das „wirklich wahre Leben“ (wie es bei „Dittsche“ so schön heißt) spielt sich teilweise woanders ab als im Tagungssaal. Beispielsweise in der nicht gerade bestens beleumundeten Dortmunder Nordstadt, die den überregionalen Medien oft als prototypisches Gelände für soziale Schauergeschichten aus dem Revier dient.

Eine verrufene Gegend

Also war es im Prinzip eine gute Idee des Schriftstellers Heinrich Peuckmann (Dortmund/Kamen), für interessierte Autorenkolleg(inn)en einen Gang durch diesen Stadtteil zu organisieren, den manche gar als No-Go-Area verunglimpfen, man lese dazu etwa diesen Text aus der FAZ. Nicht nur die Polizei hat auf diesem Areal zuweilen ihre liebe Not. Und so hatte vor Tagen schon Dortmunds OB Ullrich Sierau gescherzt, wenn man auf dem Gang die Hälfte aller Teilnehmer ans Ziel bringe, sei es schon gut gelaufen…

Nun aber mal halblang: Die Strecke des gar nicht so erschröcklichen „Spaziergangs“ führte vom Tagungsort, dem Kulturzentrum „Dortmunder U“, in eine weitere Kulturstätte, das „Depot“ in der Immermannstraße. Kurt Eichler, Leiter der Dortmunder Kulturbetriebe, machte den kundigen „Bärenführer“. Hinterdrein trottete eine immerhin rund 50 bis 60 Menschen starke Autorinnen- und Autorenschar. Angesichts einer solchen Ballung von auf längere Sicht Publizierenden kam ich mir als Schreiber des Tages schon beinahe etwas seltsam vor. Sei’s drum. Da muss man durch, woll?

„Lauter Deutsche“ auf der Strecke

Nordstadt ist nicht gleich Nordstadt. Wirklich verrufen sind bestimmte Straßenzüge. Freilich hat Kurt Eichler recht, der sagte, dass Dortmunder Bürger, die sich für gediegen halten, den Fuß schon seit jeher generell nicht in Gebiete nördlich des Hauptbahnhofs setzen. Er wusste auch von unermüdlichen Versuchen seit den 1970er Jahren zu berichten, der Nordstadt etwas Kultur und etwas Grün angedeihen zu lassen. Es begann mit Mitteln des Städtebaus, nicht mit der eigentlichen Kulturförderung. Die Erfolge sind begrenzt.

Nun ist es ein gar eigenes Ding, mit geschätzt 60 Leuten durch soziale Brennpunkte zu stiefeln, wobei man überdies die ärgsten Ecken links oder rechts liegen ließ. Welch eine Exotengruppe! Ich hab’s nicht mit eigenen Ohren gehört, aber hernach hieß es, ein paar Jugendliche hätten sich am Wegesrand gewundert, dass da ja „lauter Deutsche“ auf Tour seien. Hätten sie noch gewusst, dass es sich fast durchweg um arrivierte Bücherschreiber gehandelt hat, so wäre des Staunens kein Ende mehr gewesen. Ob sich jemand aus der literarischen Gruppe nun animiert fühlt, einige Seiten über Dortmund zu schreiben? Man darf es bezweifeln.

Mich hat die Aktion ganz vage an ein Erlebnis am Ende der 80er Jahre erinnert. Damals waren wir – im Gefolge des damaligen NRW-Kultusministers Hans Schwier – als Journalisten-Tross in New York unterwegs. Zum Programm gehörte eine Führung durch die Bronx, die damals wahrhaftig eine No-Go-Area war. Ohne bewaffneten Polizeischutz ließ man uns nicht gehen.

Homöopathische Dosierung

Zurück nach Dortmund, wo es vergleichsweise herzlich harmlos zuging: Das wahre Flair der Nordstadt war auf diese Weise jedenfalls kaum zu spüren. Es kam allenfalls in stark verdünnter, gleichsam in homöopathischer Dosierung an, keineswegs als Essenz. Die Frauen und Männer des gepflegten Wortes hätten sich vielleicht allein oder zu zweit auf den Weg begeben müssen.

Auf dem langen Rückweg habe ich mir ein solches Erlebnis im Solo gegönnt. Kreuz und quer. Und was soll ich sagen: Hie und da scheint etwas in der Luft zu liegen, nicht in jedem Moment geht das Ganze völlig schwerelos vonstatten. Oder bildet man sich das alles – im Gefolge permanent aufgeregter Medien – nur ein? Es ist allemal eine Erfahrung. Ja, grinst nur!

Der kitzligste Augenblick des besagten Autorenausflugs war hingegen schon jener, in dem ein ungeduldiger BMW-Fahrer an der Ampel am liebsten gleich ein Dutzend Schriftsteller auf die Kühlerhaube genommen hätte, weil die nach seiner Ansicht nicht schnell genug die Kreuzung räumten. Rüpel, elender!

Auf den Spuren von Samuel Beckett

Was viele vorher nicht wussten: Wir wandelten „irgendwie“ auf den Spuren des großen Samuel Beckett. Wie Heinrich Peuckmann versicherte, habe Beckett in grauer Vorzeit eine Freundin in Kassel gehabt und sich auf der An- oder Abreise mitunter in der Dortmunder Nordstadt umgesehen. Rund um den Steinplatz gab’s damals etliche „Amüsier-Betriebe“. Davon inspiriert, habe der irische Weltliterat auch ein Gedicht über Dortmunder Bier verfasst. Peuckmann: „Das Bier fand ich allerdings besser als das Gedicht.“ Wer weiß: Am Ende ist selbst Becketts legendäres „Warten auf Godot“ noch auf eine Dortmunder Anregung zurückzuführen.

Ob sich dazu noch mehr Substanzielles recherchieren ließe? Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann soll, als er die Geschichte vernahm, schon scherzhaft (?) über eine Gedenktafel an geeigneter Stätte nachgedacht haben…




Mut zur Vielfalt: Die Oper Frankfurt geht mit ehrgeizigem Programm in die Spielzeit 2017/18

Die Frankfurter Oper ist auch 2017/18 ein lohnendes Ziel für Opernfreunde. Foto: Werner Häußner

Die Frankfurter Oper ist auch 2017/18 ein lohnendes Ziel für Opernfreunde. (Foto: Werner Häußner)

Ein abwechslungsreiches Potpourri, das verschiedenste Perspektiven auf das Musiktheater eröffnet: Das Programm der Spielzeit 2017/18 an der Oper Frankfurt ist mit diesen Worten von Intendant Bernd Loebe wohl am treffendsten beschrieben. Kein verbindendes Motto überspannt die zwölf Premieren und 15 Wiederaufnahmen: Der Mut zur Vielfalt ist unübersehbar und entführt in die weite Wert der Oper, von Henry Purcells „Dido und Aeneas“ bis zur Uraufführung der Oper „Der Mieter“ des 1968 geborenen Arnulf Herrmann.

Drei Jahrhunderte Musiktheater also, beginnend mit einem unsterblichen Schlager des Repertoires: Giuseppe Verdis „Il Trovatore“, koproduziert mit Covent Garden in London und erarbeitet von David Bösch. Eine Inszenierung des Regisseurs mit Ruhrgebiets-Wurzeln, künstlerisch herangewachsen im Schauspiel in Bochum und Essen, die von der englischen Presse zwiespältig bewertet wurde. Böschs Bilder eines nicht näher bestimmbaren Kriegsschauplatzes sind nach Auffassung der Financial Times pittoresk, aber es sei nicht immer einfach zu erkennen, was sie mit Verdis Oper zu tun haben – eine „schwache Antwort“ auf das Problem der Oper, die eher durch krude Emotionen als durch dramatische Logik wirke.

Wie auch immer – in Frankfurt dirigiert ab 10. September der vielversprechende Jader Bignamini ein erlesenes Ensemble, unter anderem mit Elza van den Heever (Leonora) und Tanja Ariane Baumgartner (Azucena). Van den Heever gestaltet auch die Titelrolle in „Norma“, die am Ende der Spielzeit am 10. Juni 2018 herauskommt. Sigrid Strøm Reibo, Hausregisseurin an der Norwegischen Nationaloper Oslo, inszeniert Bellinis Belcanto-Hauptwerk. Den Vergleich mit der dekorativen Essener „Norma“ von Tobias Hoheisel und Imogen Kogge, die 2017/18 wieder aufgenommen wird, dürfte die Deutschland-Regiedebütantin mühelos bestehen.

Eine konzertante Aufführung von Gaetano Donizettis „Roberto Devereux“ mit der aus Düsseldorf „importierten“ Adela Zaharia als Elisabetta und die Wiederaufnahmen von Verdis „Les Vȇpres siciliennes“ mit Stefan Soltesz am Pult, Bellinis „La Sonnambula“ mit Brenda Rae als Amina und Francesco Cileas „Adriana Lecouvreur“ mit Angela Meade in der Titelrolle decken das Spektrum der italienischen Oper auch jenseits des Üblichen ab.

Zwei Uraufführungen

Mit zwei Uraufführungen positioniert sich Frankfurt – wie in den Jahren zuvor – wieder als ein Haus, das sich im deutschen wie internationalen Vergleich für den Einsatz für zeitgenössische Musik nicht verstecken muss: Die erste stammt von Arnulf Herrmann, der in Saarbrücken lehrt und in der internationalen Musikszene gut vernetzt ist. Seine neue Oper „Der Mieter“ basiert auf einem Roman von Roland Topor, der als „The Tenant“ von Roman Polanski verfilmt wurde. Wie Andrea Lorenzo Scartazzinis „Der Sandmann“ in dieser Spielzeit dreht sich die Story um den zunehmenden Realitäts- und Identitätsverlust eines jungen Mannes, eine immer mehr ins Unwirkliche abdriftende Entwicklung mit einem katastrophalen Ende. Am 12. November 2017 ist die Premiere, Johannes Erath inszeniert und Kazushi Ȯno dirigiert; Björn Bürger singt die Hauptpartie des Georg.

„A Wintery Spring“ von Saed Haddad kommt am 22. Februar 2018 erstmals auf die Bühne, laut Intendant Loebe ein „elegisches Werk über falsche Hoffnungen und die Trauer um den Verlust des arabischen Frühlings“. Der Komponist wurde in Jordanien geboren, seine Werke werden international gespielt. Den zweiten Teil des Abends im Bockenheimer Depot bildet die szenische Erstaufführung von Jan Dismas Zelenkas, „Il serpente di bronzo“. Corinna Tetzel inszeniert, das Ensemble Modern spielt unter Franck Ollo. Mit Manfred Trojahns „Enrico“ setzt die Oper Frankfurt ihre Befragung von Opern fort, die vor längerer Zeit uraufgeführt wurden. Die „Dramatische Komödie“ entstand für die Schwetzinger Festspiele 1991.

Meyerbeer-Erkundung

Mit „L‘ Africaine“ reiht sich nun auch Frankfurt bei den Häusern ein, die Giacomo Meyerbeers große Opern nach Jahrzehnten der Vernachlässigung auf ihre aktuelle Relevanz prüfen. Tobias Kratzer, der bereits „Le Prophète“ in Karlsruhe und „Les Huguenots“ in Nürnberg inszeniert hat, stellt Meyerbeers letztes, unvollendet gebliebenes Werk mit einem – so Loebe – „für Frankfurt völlig neuem Ansatz“ vor. Premiere ist am 25. Februar 2018.

Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt. Foto: Werner Häußner

Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt. (Foto: Werner Häußner)

Die weiteren Neuproduktionen: Mit „Rinaldo“ wird die Serie der Händel-Opern in Frankfurt weitergeführt (16. September 2017), Benjamin Brittens meistgespielte Oper „Peter Grimes“ kommt nach zehn Jahren in einer Regie von Keith Warner wieder (8. Oktober), Brigitte Fassbaender fügt der Befassung mit Richard Strauss mit „Capriccio“, dirigiert von Sebastian Weigle, ein weiteres Juwel bei (14. Januar 2018). Leoš Janačeks letztes Werk, „Aus einem Totenhaus“ hat in einer Regie von David Hermann am 1. April 2018 Premiere. Und endlich kehrt ab 13. Mai 2018 auch die Operette auf die Frankfurter Bühne zurück – mit Franz Lehárs „Die lustige Witwe“, ein Lieblingsstück all jener, die das reiche Repertoire in dieser Gattung inzwischen weitgehend vergessen haben. Claus Guth inszeniert, die aufstrebende Erfurter Chefdirigentin Joana Mallwitz dirigiert.

Unter den Wiederaufnahmen beansprucht Samuel Barbers „Vanessa“ überregionale Aufmerksamkeit, auch Richard Jones‘ bild- und sinnstarke Inszenierung von Britten „Billy Budd“ kommt ab 19. Mai 2018 für fünf Vorstellungen wieder. Und Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“ stellt ab 3. Mai 2018 erneut die brennende Frage nach Schuld und Verantwortung – in Anselm Webers großartiger Bühnen-Umsetzung, die ab 24. Juni, an die Semperoper Dresden ausgeliehen, dort auch ein Ausrufezeichen gegen rechte Umtriebe setzen soll. Trotz eines Spielplans, der Seltenes, Unbekanntes und Zeitgenössisches enthält, kommt die Frankfurter Oper auf eine Auslastung von 88 Prozent – ein Beleg dafür, dass Bernd Loebes Konzept aufgeht und sich das Frankfurter Publikum auf neue Erfahrungen einlässt.

Info: http://www.oper-frankfurt.de/de/premieren/