„Bist Du’s, lachendes Glück?“ – Vor 150 Jahren wurde der Operettenschöpfer Franz Lehár geboren

„Dein ist mein ganzes Herz! Wo Du nicht bist, kann ich nicht sein. So wie die Blume welkt, wenn sie nicht küsst der Sonnenschein …“.

Der Tenor Richard Tauber hat diesem Lied aus „Das Land des Lächelns“ zum Welterfolg verholfen. Der Komponist war vorher schon in den Olymp der Operette aufgenommen worden: 1929, als die Liebesgeschichte eines chinesischen Prinzen und einer jungen Wiener Dame der besten Gesellschaft im Berliner Metropol-Theater uraufgeführt wurde, hatte Franz Lehár schon über 25 Jahre lang einen Erfolg an den anderen gereiht.

Wer kennt sie nicht, die unsterblichen Titel seiner verführerischen, ins Ohr gehenden Erfindungen? Das „Vilja-Lied“ aus der „Lustigen Witwe“, Lehárs 1905 uraufgeführtem erstem Welterfolg? „Bist Du’s, lachendes Glück“ aus dem 1909 im Theater an der Wien erstmals gegebenen „Graf von Luxemburg“. „Hör‘ ich Cymbalklänge“ aus der „Zigeunerliebe“ von 1910, einer „romantischen“ Operette, in der Lehár die melancholische Melodik seiner ungarischen Heimat in farbige Klänge und verwegene Harmonien verwandelt. Und dazu noch das „Wolgalied“ aus „Der Zarewitsch“, mit dem sich Richard Tauber und seine Nachfolger an Weltstadt- und Provinzbühnen in die Herzen des Publikums geschmachtet haben.

Vielsprachiger Bürger der Donaumonarchie

Heute liegt Komárom, wo der Lehár Ferencz am 30. April 1870 geboren wurde, in der Slowakei. Vor 150 Jahren gehörte das heutige Komárno zu Ungarn, aber in der Habsburgermonarchie waren Grenzen noch nicht so wichtig. Der Vater war Kapellmeister im Infanterieregiment Nr. 50 der k.u.k.-Armee, die Familie stammt aus Mährisch-Schlesien. Franz sprach zu Hause Ungarisch, beherrschte Tschechisch und eignete sich Deutsch und Italienisch an.

Der Vater achtet auf frühen Unterricht in allen möglichen Instrumenten. Schon als Zwölfjähriger kommt Franz aufs Prager Konservatorium und studiert bei den besten Lehrern der Zeit, Anton Bennewitz und Joseph Förster, später heimlich bei dem renommierten Opernkomponisten Zdenĕk Fibich. Antonín Dvořák rät ihm, sich aufs Komponieren zu verlegen. Als „vorzüglicher Orchester- und Solo-Spieler“ auf der Violine bekommt er mit Achtzehn nach der „Austritts-Prüfung“ eine Stelle in Elberfeld-Barmen (Wuppertal). Dort bildet er sich „deutlichere Begriffe“ vom Theater und begeistert sich für Wagners Opern und eine blonde Sopranistin. Eine Stelle in des Vaters Regiment lockt ihn weg: Er bricht seinen Vertrag und verschwindet nach Wien. Dreizehn Jahre lang sollte er in sechs Regimentern der Doppelmonarchie dienen, in dieser Zeit auch Lieder und Tanzmusik schreiben und mit Märschen wie „Jetzt geht’s los“ oder „Wiener Humor“ bekannt werden.

Erste Oper in Leipzig

Lehárs Laufbahn als Theaterkomponist beginnt mit einer Oper: „Kukuška“, eine tragische russische Liebesgeschichte auf das Libretto eines Korvettenkapitäns, bleibt bei der Uraufführung in Leipzig 1896 nicht ohne Erfolg. Der reicht nicht, um dem jungen Mann den Weg zum freien Komponisten zu ebnen. Das schafft erst der bis heute berühmte Walzer „Gold und Silber“: Franz Lehár wird Theaterkapellmeister am Theater an der Wien und schreibt gleich zwei Operetten: „Wiener Frauen“ für den Star Alexander Girardi und „Der Rastelbinder“ für das Wiener Carltheater. Letztere wird ein Riesenerfolg; Léhar ist in der Welt der wiedererstehenden Wiener Operette plötzlich ein Star. Die volkstümlichen Weisen, humorvollen Märsche und mal wienerisch, mal slowakisch eingefärbten Melodien kommen an. „Jetzt, liebe Mutter, bin ich glücklich und frei!“, schreibt er nach Hause.

Drei Jahre später festigt er seinen Erfolg 1905 mit der „Lustigen Witwe“, die ihn international berühmt macht: „Lippen schweigen, `s flüstern Geigen: Hab‘ mich lieb!“ wird in England und Amerika, China und Japan gesungen. Über eine halbe Million Aufführungen erlebt die Operette in hundert Jahren. Lehár traf unbewusst den Ton der Zeit und sagt von sich: „Mit der ‚Lustigen Witwe‘ hatte ich meinen Stil gefunden.“ Die Presse rühmt die „beste Operettenmusik, die wir je hatten“: Lehár erweitert die Klangpalette des Orchesters, baut Tänze in modernen Rhythmen ein und schafft Melodien zum Mitsingen, die im Ohr bleiben. Felix Salten, Erfinder von „Bambi“ und vermutlich auch von Josefine Mutzenbacher, hört in der Operette die modernen Empfindungen tönen. Sie wird als „Manifestation des Zeitgeistes“ gefeiert. Bis heute ist sie ein Lieblingsobjekt mehr oder weniger gelingender Regie-Ambitionen.

Der Weg zur romantischen Operette

Lehárs Stil sollte sich freilich noch wandeln und nicht nur zu Erfolgen führen: „Der Sterngucker“ auf ein Libretto des später so bedeutenden Fritz Löhner-Beda war 1916 ein Misserfolg. Auch „Die gelbe Jacke“ von 1923 wird erst in der Umarbeitung zum „Land des Lächelns“ ein Hit. Die mit Richard Tauber gedrehte Kinoversion von 1930 war der erste international erfolgreiche deutsche Tonfilm.

Atmosphärisch dicht: Die erste Szene von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ am Aalto-Theater Essen. Die Bühne ist von Lukas Kretschmer. Foto: Bettina Stöß.

Das China-Drama zeigt exemplarisch, in welche Richtung sich Franz Lehár in seinen späten Jahren orientierte: Er rückt näher an die Oper. Seine „romantischen Operetten“ verzichten auf Modetänze wie Shimmy oder Foxtrott. Am Ende steht kein Happy End, sondern tragischer Verzicht nach dem kurzen Rausch eines gesellschaftlich unmöglichen Glücks. „Der Zarewitsch“, „Paganini“ oder „Giuditta“ – mit der Lehár 1934 endlich seine ersehnte Premiere an der Wiener Staatsoper bekommt – gehören diesem heute als sentimental empfundenen und kaum mehr auf der Bühne zu erlebenden Genre an. Im Dritten Reich laviert sich Lehár auch wegen seiner jüdischen Frau Sophie durch die Zeiten; für seine jüdischen Librettisten wie den in Auschwitz erschlagenen Fritz Löhner-Beda hat er allem Anschein nach wohl nichts getan. 1948 stirbt er als kranker Mann in seiner Villa in Bad Ischl, die heute als Museum zu besichtigen ist. Dass Hitler die „Lustige Witwe“ zu seiner Lieblingsoperette erkoren hatte, dazu konnte er nichts.

Wegen der Corona-Pandemie fallen nicht nur die Feierlichkeiten zu Lehárs Geburtstag aus. Es kann derzeit auch keine seiner Operetten auf der Bühne gespielt werden, etwa am Aalto-Theater in Essen, wo „Land des Lächelns“ auf dem Spielplan gestanden hätte. Das Lehár-Festival in Bad Ischl hat zwar seltsamerweise keine Operette seines prominenten Namensgebers im Programm, kündigt aber unverdrossen für 14. August 2020 die Uraufführung einer musikalischen Lebensgeschichte mit den „berühmtesten Hits“ von Lehár an, gestaltet von Jenny W. Gregor. Auch eine Ausstellung mit Fotos von Lehárs „Leibfotografen“ Hugo Hofer wird angekündigt. Und ob die Bühne Baden (bei Wien) ab 31. Juli Lehárs Operette „Die blaue Mazur“ in der Sommerarena bringen kann, ist noch nicht entschieden.




In diesen Zeiten muss man sich Gehör verschaffen: Gesammelte Aussagen zu „Corona und Kultur in Dortmund“

Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann bei der heutigen Pressekonferenz. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Auch wenn die Aussagen noch nicht allzu konkret sein konnten: Es war schon einmal gut, dass diese Pressekonferenz überhaupt stattgefunden hat. Denn „die Kultur“ muss sich gerade in diesen Zeiten Gehör verschaffen. Unter dem Titel „Corona und die Kultur in Dortmund“ gab es heute im Rathaus der Stadt vor allem Statements auf der Chefebene der großen Kultureinrichtungen, aber auch aus der freien Szene. Ich habe den Termin via Live-Stream verfolgt.

Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann skizzierte eingangs die Lage und erkannte – bei allen Problemen – auch eine „positive Novität“: Im Gegensatz zu mancher früheren Debatte, in der Kultur als „erste Spardose“ gegolten habe, seien die kulturellen Einrichtungen diesmal von Anfang an in Überlegungen und Beratungen mit einbezogen worden.

Insgesamt aber müsse man von „gravierenden Erschütterungen“ sprechen, „wie wir sie bisher nicht kannten“. Das Thema habe etliche Perspektiven und Aspekte. Es gehe um die Situation der Institute, um die der ausübenden Künstlerinnen und Künstler und nicht zuletzt um das Publikum. Bleibe es durch die Krise hindurch loyal und stehe es treu zum Theater, zum Konzerthaus, zu den Museen und anderen Kulturstätten? Bislang, so Stüdemann, habe das Publikum eine erstaunliche Solidarität bewiesen, für die er herzlich danken wolle. Beispiel: Viele vorab bezahlte Tickets für abgesagte Vorstellungen würden nicht zurückgegeben.

Stüdemann mahnte dreierlei dringenden Bedarf an:

1.) Die inzwischen ausgelaufenen, weil hoch „überzeichneten“ Soforthilfe-Programme für Kulturschaffende müssten sehr bald verlängert werden. Als Beispiel nannte er Baden-Württemberg, wo es neuerdings eine Grundsicherung für Künstler(innen) von rund 1100 Euro im Monat gebe, die von anderen Bundesländern gut kopiert werden könne. Ein Appell ans Land NRW also.

2.) Die Einrichtungen der freien Szene bräuchten Infrastruktur-Programme, damit sie auch nach der Krise noch existieren könnten.

3.) Man müsse sehr zeitig „Exit-Strategien“ vorbereiten und einleiten, denn Betriebe wie Theater oder Konzerthaus könnten nicht einfach von heute auf morgen wieder die Bühnen bespielen, sondern bestenfalls nach einem Vorlauf von 6 bis 10 Wochen. In die entsprechenden Planungen sollten unbedingt die Fachleute aus den Kulturhäusern eingebunden werden.

Stefan Mühlhofer, Leiter der Kulturbetriebe Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Stefan Mühlhofer, Direktor der Dortmunder Kulturbetriebe, sieht es als sicher an, dass man bei Wiederaufnahme des Spielbetriebs und anderer kultureller Angebote nicht einfach „den Schalter umlegen kann“. Es werde zunächst vieles anders sein als vor Corona. Man habe inzwischen einige Aktivitäten (Volkshochschule, Musikschule) auf digitale Verbreitung umgestellt, was auch recht gut funktioniere. Dennoch könne dies auf Dauer kein Ersatz für Präsenz-Veranstaltungen sein. Ein Originalbild im Museum sei eben etwas ganz anderes als eine Abbildung im Buch oder ein Video. Apropos: Wahrscheinlich bis Mitte dieser Woche solle ein Papier zur möglichen Öffnung der städtischen Museen vorliegen – mit einer Perspektive für Anfang oder Mitte Mai. Auch hier gilt freilich: Die Stadt allein kann nichts bewirken. Das Land NRW muss es zulassen. Übrigens: In Berlin dürfen die Museen schon wieder öffnen.

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund, berichtete, man habe sich in den letzten Wochen durch einen wahren Wust an Informationen, Erlässen und Verordnungen kämpfen müssen. Es sei aber gelungen, das alles zu strukturieren – vor allem im Sinne der Kulturschaffenden, denen häufig alle Verdienstmöglichkeiten weggebrochen seien. In der Kulturszene herrsche derweil keine Larmoyanz, im Gegenteil: Geradezu kraftvoll seien ständig neue Ideen entwickelt worden, um trotz Corona (digital) wahrgenommen zu werden.

Claudia Schenk, Sprecherin der freien Szene. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Claudia Schenk aus dem Leitungsgremium des „Depots“ trat als Sprecherin der freien Kulturszene an. Diverse Zentren der freien Szene wären ohne die bislang geleistete Landeshilfe vielleicht schon für immer geschlossen worden, befand sie. Streaming sei zwar gut, um im Gespräch zu bleiben, es generiere aber keine Einnahmen. Sie verwies auch auf Fälle wie etwa jene freiberuflichen Bühnentechniker, die auf einmal vor dem Nichts stünden. Man warte auf konkrete Handlungsanweisungen für einen Exit, also für die Wiederaufnahme des Betriebs unter veränderten Bedingungen. Frau Schenk stellte zudem mit Blick auf die nächsten Jahre die bange Frage, ob es im Kulturbereich wohl Streichungen und Kürzungen geben werde. Schließlich zähle Kultur leider immer noch zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen und nicht zu den Pflichtaufgaben.

Sprach fürs Theater: Tobias Ehinger. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters, erinnerte sich an die letzten Monate vor der Krise, als das Dortmunder Theater ein Hoch erlebt und neue Besucherrekorde angepeilt habe. Dann wurde man jäh ausgebremst. Sehr schnell habe man dann umgedacht, beispielweise habe die Theaterwerkstatt Mundschutzmasken hergestellt. In der Krise habe sich überhaupt gezeigt, wie wichtig der soziale Aspekt und die Verankerung in der Gesellschaft fürs Theater seien. Streaming könne kein wirkliches Bühnenerlebnis ersetzen, auch seien die digitalen Möglichkeiten schnell ausgereizt. Als eine beispielhafte Aktion nannte Ehinger den Musik-Truck, der vor Altenheimen vorfahre und – draußen vor den Türen – z. B. mit Gesangs-Darbietungen den Senioren ein wenig zwischenmenschliche Wärme vermittle. Ehinger ist überzeugt, dass man ab Anfang September wieder spielen werde – allerdings völlig anders, mit eigens zugeschnittenen Inszenierungen und vor deutlich weniger Zuschauern. Im Hinblick auf den 1. September sei ein Planungsvorlauf von etwa 10 Wochen nötig. Das würde bedeuten: Bereits Mitte Juni müsste man in die Vorbereitungen einsteigen. Insgesamt gelte es, die gesellschaftlichen Errungenschaften durch die Krise zu erhalten. Dabei sei Kultur unbedingt „systemrelevant“.

Konzerthaus-Chef Raphael von Hoensbroech. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthauses Dortmund, betonte den Gedanken der Systemrelevanz noch stärker. Kultur solle nicht nur am Tisch Platz nehmen, an dem die Relevanz verhandelt werde. Vielmehr sei sie – einem Ausspruch des Cellisten Yo-Yo Ma zufolge – sozusagen selbst dieser Tisch, also die Grundlage der Gesellschaft. Das Konzerthaus mit seinem sehr großen Saal sowie ausgeklügelter Be- und Entlüftung sei bei reduziertem Publikum kein riskanter Ort. Er halte ansonsten nicht viel von pauschalen Obergrenzen, es komme stets aufs Einzelereignis an. Voluminöse Auftritte mit großen Chören und Orchestern seien jedoch vorerst auszuschließen. Die Stadt Dortmund habe sich zu den Perspektiven des Konzerthauses beherzt und klar positioniert. Was jedoch aus Regierungskreisen in Berlin und vom Städtetag komme, sei wenig hilfreich.

Jörg Stüdemann blieb das vorläufige Fazit vorbehalten. Als studierter Germanist quasi von Haus aus kulturaffin und biographisch auch als Mitarbeiter eines Kulturzentrums (schon länger ist’s her: Zeche Carl in Essen) mit der Szene vertraut, kann die Interessenlage von Kulturschaffenden wohl recht gut nachempfinden und in vernünftige politische Bahnen lenken. Allerdings vermag er – obwohl zugleich Stadtkämmerer – natürlich nicht beliebig viele Kulturmittel aus dem städtischen Etat zur Verfügung zu stellen. Für die nächste Zeit mahnte Stüdemann ethische und „wertsetzende Handlungsweisen“ in der Kulturpolitik an, die sich einer bloßen Einspar-Mentalität widersetzen und keinesfalls „autoritativ oder autoritär“ vorgehen solle. Wie sich gezeigt habe, müssten nun vor allem zwei Anforderungen vorrangig erfüllt werden: „Wir müssen mehr in die Digitalisierung investieren, auch in Qualifizierung und technische Ausrüstung.“ Und: In jeder Hinsicht müsse jetzt über „Gestaltungs-Alternativen“ nachgedacht werden. Wohlan denn!

Viel guter Wille also, aber noch unklare Perspektiven. Die Kultur, so ahnt man, wird (ebenso wie andere Bereiche) „nach Corona“ nicht mehr dieselbe sein können wie zuvor.




Durcheinander bei Anne Will: Laschet und die Lockerung

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in der Talkshow von Anne Will (Screenshot aus der ARD-Sendung)

Das war wohl nicht gerade der allerfeinste Zug des NRW-Ministerpräsidenten  Armin Laschet. Als er bei Anne Will (ARD) mit seinen Argumenten für eine abgewogene „Lockerung“ der Corona-Maßnahmen etwas in Bedrängnis geriet, tat er was?

Er schob einen Gutteil der Verantwortung auf die Kommunen. Sie (und nicht das Land) hätten rasch für ausreichend Desinfektionsmittel in den Schulen sorgen müssen, um deren reibungslose Öffnung zu ermöglichen. Auch hätten sie (also die Städte) in den letzten Jahren ihre Gesundheitsämter ausbluten lassen. Statt dessen hätte „seine“ Schulministerin Yvonne Gebauer Desinfektionsmittel beschafft und rundum angeboten, obwohl dies wirklich nicht ihre Aufgabe sei.

Laschet, dem der Ruf vorauseilt, vielleicht etwas zu locker für Lockerungen einzutreten (Kanzlerin Merkel hat wohl auch ihn gemeint, als sie sagte, manche gingen dabei „zu forsch“ vor), wird morgen gewiss die eine oder andere vergrätzte Antwort von Stadtspitzen  oder Landräten aus NRW und anderen Gegenden bekommen. Zuletzt hatten sich manche der hiesigen (Ober)-Bürgermeister just über Wirrnis bei der Landesregierung beschwert. So deutet einer auf den anderen. Bringt uns das weiter?

Ähnlich kontrovers und kakophon ging es auch in Anne Wills ARD-Talkshow zu, bei der stellenweise mal wieder arg viel durcheinander geredet wurde. Christian Lindner (FDP) unterstellte Annalena Baerbock (Grüne) dies und jenes, die wiederum hielt ihm vor, er plädiere für Lockerungen als puren „Selbstzweck“. Es waren hie wie da durchsichtige Zuweisungen. Der jüngst etwas in den politischen Windschatten geratene Lindner empörte sich über willkürlich erscheinende Entscheidungen wie jene, dass Auto- und Möbelhäuser in etlichen Bundesländern unterschiedlich behandelt würden. Er plädierte für gezieltes regionales Eingreifen, sobald sich irgendwo ein exponentielles Wachstum an Corona-Fällen zeigen sollte. Ansonsten seien Lockerungen „verantwortbar“.

Während Baerbock die sozialen und psychischen Probleme vor allem in Schulen, Kitas und Altenheimen verortete, redete Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) vor allem aus ärztlicher und virologischer Sicht. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er bislang gar keine Lockerung zugelassen. Unterstützung bekam er von der aus München zugeschalteten Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung und Biochemikerin. Laschet hingegen machte seinem Ärger über manche Virologen Luft, die einander nicht nur widersprächen, sondern auch hin und wieder ihre Beurteilungs-Kriterien änderten. Es erweckte den Eindruck, als könne man sich da auf nichts mehr verlassen. Auch Lindner hieb in diese Kerbe.

Und Anne Will? Mal schauen, wie oft sie das Corona-Thema noch abhandeln wird. Es will einem fast scheinen, als hätte sie sämtliche Virologen und sonstigen Experten schon zu Gast gehabt. Davon abgesehen, kann sie es einfach nicht lassen, in jeder Ausgabe politische Personalien hervorlocken zu wollen – auch nicht, wenn es noch so aussichtslos und läppisch ist. Überdies kann man über ihre nachdrücklich vertretene Auffassung, das Hygienekonzept der Fußball-Bundesliga sei geradezu beispielhaft, wirklich heftig diskutieren. Karl Lauterbach ereiferte sich denn auch darüber, dass laut Konzept bei Erkrankung eines Spielers dessen Mannschaft trotzdem weitermachen dürfe. Zudem wird man ernsthaft fragen dürfen, ob es zu vermitteln ist, dass die Liga für ein paar Spielrunden mindestens 25.000 Corona-Tests verbrauchen wird. Wie sich seit Wochen zeigt, gibt es halt wahrlich Wichtigeres als maßlos überbezahlten Profi-Fußball.

__________________________________

P. S.: Abermals habe ich auch bei mir festgestellt, was für viele TV-Zuschauer gelten dürfte und eigentlich ein „alter Hut“ ist: Man achtet bei derlei Talks zwangsläufig nicht nur auf das Gesagte, sondern gar sehr auch auf Stimmlage, gestische Marotten und Details der Kleidung. Man muss sich jedenfalls schon sanft zwingen, derlei Äußerlichkeiten überhaupt nicht in Rechnung zu stellen, wenn Argumente abgewogen werden. So ist Fernsehen. Oft ziemlich irreführend.

P.P.S.: Auf was man sonst noch achtet, wenn man’s ein bisschen mit der Sprache hat: Es war eine Ausgabe mit drei Harren mit L (Laschet, Lauterbach, Lindner) und zwei Damen mit B (Baerbock, Berndt). Ob das etwas zu bedeuten hat?

P.P.P.S.: Wenn ich meinen heutigen Beobachtungen im Freien trauen darf, hat bei manchen Mitbürgern bereits allzu viel „Lockerung“ Einzug gehalten. Angst vor einer „zweiten Welle“ der Pandemie scheint vielfach keineswegs handlungsleitend zu sein. Verantwortungsloser Tiefpunkt war eine ca. 15 Leute umfassende, eng gedrängte Gruppen-Zusammenkunft mit dem Ziel, eine große Mauer zu besprühen. Da überlegt man dann schon, ob man nicht die Behörden alarmieren soll.

__________________________________

Nachtrag – Es war so sicher wie das Amen in der Kirche:

WAZ-Titelschlagzeile vom 28. April




Kultur geht notgedrungen weiter ins Netz: Viele Programme online / Ständige Updates: Weitere Projekte (und Absagen)

Das waren noch andere Zeiten: Blick in den Zuschauerraum des Dortmunder Opernhauses – vor Beginn einer Vorstellung. (Foto: Bernd Berke)

Hier mal wieder ein paar Nachrichten aus dem derzeit stark eingeschränkten (Dortmunder) Kulturleben, kompakt zusammengestellt auf Basis von Pressemitteilungen der jeweiligen Einrichtungen.

Die Mitteilungen werden – im unteren Teil dieses Beitrags – von Tag zu Tag gelegentlich ergänzt und/oder aktualisiert, auch gibt es dort Neuigkeiten aus anderen Revierstädten, vor allem über weitere Absagen, aber auch zu Online-Aktivitäten.

Theater Dortmund: Keine Vorstellungen bis 28. Juni

Das Theater Dortmund bietet auf seinen sämtliche Bühnen (Oper, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater) bis einschließlich 28. Juni 2020 keine Vorstellungen an. Wie es danach weitergehen wird, weiß noch niemand.

Die Regelung schließt die Konzerte der Dortmunder Philharmoniker im Konzerthaus Dortmund ein. Der Betrieb im Theater läuft jedoch bis zur Sommerpause weiter. Neue mobile Vorstellungsformate sollen ab Mai 2020 bis zum Ende der Spielzeit 2019/20 aufgenommen werden.

Dazu Tobias Ehinger, der Geschäftsführende Direktor des Theater Dortmund: „So sehr wir diesen Schritt bedauern, steht die Gesundheit unseres Publikums sowie unserer Kolleginnen und Kollegen im Mittelpunkt. Jedoch dürfen wir auch in der jetzigen Zeit, unser Leben nicht nur auf Funktionalität begrenzen. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die hohe Bedeutung von Kultur. Kultur ist nicht hübsches Beiwerk oder Luxus, sondern elementar für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wir fordern die Entscheidungsträger in Bund und Land auf, Maßnahmen und Konzepte zur schrittweisen Öffnung unserer Theater und Konzertsäle zu beschließen und die Gesellschaft nicht durch ein zu kurz gegriffenes Verständnis der Systemrelevanz zu trennen.“

___________________________________________________

Unterdessen werden Spielpläne für die nächste Saison online per Video-Präsentation angekündigt:

Philharmoniker, Oper und Ballet

So wird sich – wie die Theater-Pressestelle mitteilt – in der Spielzeit 2020/21 bei den Konzerten der Dortmunder Philharmoniker alles um das Verhältnis zwischen Mann und Frau drehen.

Das Motto der Spielzeit lautet „Im Rausch der Gefühle“. Ergänzend heißt es, die berühmtesten Paare der Weltliteratur, wie Romeo und Julia, Othello und Desdemona, Orpheus und Eurydike sowie Tristan und Isolde, hätten die Komponisten zu großartigen Orchesterwerken inspiriert.

Da die weitere Entwicklung der Corona-Krise noch nicht prognostizierbar sei, könne es ggf. noch zu „Anpassungen“ kommen.

Textversion des Spielplans unter: www.tdo.li/tdo2021

Generalmusikdirektor Gabriel Feltz erläutert den Spielplan 2020/21, hier ist der Link, der auch zur Präsentation des Opern-Spielplans (durch Opernchef Heribert Germeshausen) und des Balletts (durch Ballettchef Xin Peng Wang) führt: https://www.theaterdo.de/medien/videos/spielzeit-2021/

Kinder- und Jugendtheater

Das Kinder- und Jugendtheater (KJT) Dortmund startet mit neun Neuproduktionen und neun Wiederaufnahmen in die neue Spielzeit 2020/21. Als Motto hat sich KJT-Direktor Andreas Gruhn mit seinem Team den „Freien Fall“ gesetzt. In einer Welt, in der politische Systeme ins Wanken geraten und die Natur zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät, scheint sich die Abwärtsspirale immer schneller zu drehen. Aus dem Unglück des Fallens können aber auch ungeahnte Möglichkeiten wachsen.

Auch beim KJT heißt es: „Da die weitere Entwicklung der Corona-Krise noch nicht prognostizierbar ist, kann es ggf. zu Anpassungen kommen.“

Printversion des Spielplans unter www.tdo.li/tdo2021
Video mit Andreas Gruhn unter www.theaterdo.de/publikationen/videos

_________________________________________

Auch das Konzerthaus Dortmund präsentiert das Programm der nächsten Saison auf digitalem Weg:

In einem Video erläutert Intendant Raphael von Hoensbroech, welche hörenswerten Künstler und Konzerte ab September in der Spielzeit 2020/21 zu erwarten sind. Hoensbroech lädt daher zu einem virtuellen kleinen Ausflug ins Konzerthaus.

______________________________________________

Dortmunds neues Literaturstipendium um drei Monate verschoben:

Dortmunds erste „Stadtbeschreiberin“, Judith Kuckart, wird aufgrund der Corona-Krise erst ab August 2020 für sechs Monate nach Dortmund kommen. Ursprünglich hatte sie ihr Stipendium im Mai antreten wollen. Ihre für den 15. Mai geplante Auftaktlesung im Literaturhaus soll trotzdem stattfinden – allerdings ohne Live-Publikum: Das Literaturhaus am Neuen Graben zeigt die Lesung aus dem aktuellen Roman „Kein Sturm, nur Wetter“ online am 15. Mai 2020 ab 19.30 Uhr (weitere Infos unter www.literaturhaus-dortmund.de).

Neues Konzertformat „Musik auf Rädern“

Am Dienstag, 5. Mai 2020, startet das Theater Dortmund das der Corona-Pandemie angepasste Konzertformat „Musik auf Rädern“. An verschiedenen Standorten in Dortmund werden die Oper Dortmund und die Dortmunder Philharmoniker jeweils um 16 Uhr kleine Live-Konzerte von ca. 20 Minuten Dauer geben. Die Abstandsregelungen werden dabei eingehalten. Mit dem Programm kommt das Theater Dortmund vor allem zu den Menschen, die aufgrund ihrer Identifizierung als „Risikogruppe“ besonders in ihrem Bewegungsfreiraum eingeschränkt sind. Der erste Auftritt findet mit der Sopranistin Irina Simmes vor dem Seniorenwohnsitz „Kreuzviertel“ 44139 Dortmund-Kreuzviertel, Kreuzstraße 68 / Ecke Lindemannstraße statt.

_________________________________________

Eröffnungsfest im Naturmuseum fällt aus

Die für den 7. Juni geplante große Wiedereröffnung des Naturmuseums nach Jahren des Umbaus fällt aus. Die neue Dauerausstellung soll voraussichtlich im September eröffnen.

„Robin Hood“-Schau bis 20. September

Das derzeit noch geschlossene Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße verlängert seine ursprünglich bis Mitte April geplante Familienausstellung „Robin Hood“ bis zum 20. September.

„Studio 54″ vorerst nicht in Dortmund

Das „Dortmunder U“ kann die ab 14. August geplante Ausstellung „Studio 54″ (Übernahme aus dem Brooklyn Museum) über den legendären New Yorker Nachtclub in diesem Jahr nicht mehr zeigen.

Diesmal kein Micro!Festival

Das Micro!Festival, das sonst immer am letzten Wochenende der Sommerferien stattfand, fällt in diesem Jahr komplett aus.

_________________________________________

Blicke in die anderen Städte des Ruhrgebiets:

2020 keine Ruhrtriennale

Die Ruhrtriennale wird 2020 nicht stattfinden. Der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH hat diesen Beschluss einstimmig gefasst. Das Festival hätte vom 14. August bis zum 20. September stattfinden sollen. Rund 700 Künstlerinnen und Künstler aus 40 Ländern wären an den 33 Produktionen und Projekten beteiligt gewesen. Sowohl die Intendantin Stefanie Carp als auch Ko-Intendant Christoph Marthaler haben Unverständnis über diese Entscheidung geäußert.

ExtraSchicht fällt ebenfalls aus

Auch die ExtraSchicht muss wegen Corona ausfallen. Die Nacht der Industriekultur hätte am 27. Juni zum 20. Mal die Metropole Ruhr bespielen sollen.
Die Ruhr Tourismus GmbH (RTG) hatte bis zum letzten Moment an Alternativkonzepten gearbeitet. Die Durchführung einer Veranstaltung Ende Juni mit über 250.000 Besuchern sei aber derzeit nicht verantwortbar, so die RTG. Eine Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt in diesem Jahr sei wegen des großen organisatorischen Aufwandes nicht möglich. Das Geld für bereits erworbene Tickets wird zurückerstattet. Mehr Infos unter www.extraschicht.de.

„Mord am Hellweg“ auf Herbst 2021 verschoben

Die zehnte Ausgabe des Krimi-Festivals „Mord am Hellweg“ (Zentrale in Unna) wird um ein Jahr verschoben. Die für diesen Herbst geplante Jubiläumsausgabe wird auf die Zeit vom 18. September bis 13. November 2021 verlegt. Weitere Infos unter www.mordamhellweg.de

Moers Festival diesmal rein digital

Auch das renommierte Moers Festival (29. Mai bis 1. Juni) geht diesmal als digitales Festival über die Bühne. Die Konzerte werden als Livestream auf der Website, bei Facebook und bei Arte concert gezeigt. WDR 3 wird wie gewohnt übertragen.
Infos: www.moers-festival.de

Wittener Tage für Neue Kammermusik nur im Radio

Die Wittener Tage für Neue Kammermusik (24. bis 26. April 2020) haben sich ebenfalls umgestellt: In diesem Jahr kamen die Konzerte ausschließlich übers Radio. WDR 3 richtete das Festival als exklusives Hörfunk-Ereignis aus.
Infos unter www.wdr3.de und www.kulturforum-witten.de

Klangkunst in Marl als virtuelle Führung

Das Skulpturenmuseum Glaskasten Marl zeigt seine Klangkunst-Ausstellung diesmal per Video: „sound + space“ von Johannes S. Sistermanns und Pierre-Laurent Cassère ist online zu sehen. Im Mittelpunkt der virtuellen Führung steht ein Gespräch des Museumsdirektors Georg Elben mit dem Klangkünstler Sistermanns. Das Video ist auf der städtischen Internetseite unter www.marl.de und demnächst mit weiteren Informationen auch unter www.skulpturenmuseum-glaskasten-marl.de zu sehen.

Impulse Theater-Festival fällt aus

Das Theater-Festival „Impulse“, das vom 4. bis 14. Juni hätte stattfinden sollen, ist abgesagt worden – besonders schmerzlich, weil zum 30-jährigen Bestehen des Festivals einige besondere Programme geplant waren. Bestimmte Teile sollen als digitale Formate im ursprünglich geplanten Festival-Zeitraum online gezeigt werden. Details dazu demnächst unter: www.impulsefestival.de

Theater Oberhausen: „Die Pest“ als Miniserie im Netz

Das Oberhausener Theater zeigt eine Bühnenbearbeitung nach Albert Camus‘ Roman „Die Pest“ als Miniserie in fünf Episoden. Gezeigt wird die Serie im Internet ab Samstag, 2. Mai, dann weiter wöchentlich, jeweils ab 19.30 Uhr. Weitere Infos: www.die-pest.de

3Sat zeigt Bochumer „Hamlet“ – jetzt via Mediathek

Im Rahmen seiner Reihe „Starke Stücke“ zeigt der TV-Sender 3Sat am Samstag, 2. Mai., um 20.15 Uhr eine Aufzeichnung von Johan Simons‘ Bochumer „Hamlet“-Inszenierung. Bis zum 30. Juli 2020 bleibt die Inszenierung in der Mediathek von 3Sat greifbar.

Auch hierhin würden Theaterfans im Revier gern wieder pilgern: Schauspielhaus Bochum. (Foto: Bernd Berke)




Corona sorgt für spezielles Kunsterlebnis beim Pressetermin: Bitte nur einzeln zu den Bildern gehen!

Die stellvertrende Museumsdirektorin und Kuratorin Dr. Tanja Pirsig-Marshall präsentiert in einem kurzen Video eine Vorschau auf die Münsteraner Tadeusz-Ausstellung. (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=4wB3rXY2z6k)

Vor Wochenfrist war hier die Rede von einer Orchester-Pressekonferenz per Videoschalte, wie sie einem immer noch etwas ungewohnt vorkommt, aber derzeit wohl ein Maß der Dinge ist. Nun ist abermals von einem kulturellen Pressetermin in spezieller Form zu berichten. So ist das nun mal: Das „neuartige“ Virus zieht eben neuartige Presse-Gepflogenheiten nach sich.

Schauplatz wird das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster sein. Dort soll es vom 10. Mai bis zum 2. August eine Ausstellung über den in Dortmund geborenen Maler Norbert Tadeusz (1940-2011) geben. Und tatsächlich findet vorab kein Video-Termin als virtuelle Führung statt, sondern mal wieder einer, der körperliche Präsenz erfordert. Doch die Journalistinnen und Journalisten werden an jenem Vorbesichtigungs-Tag nicht (wie ehedem üblich) im Pulk durchs Museum gehen, sondern jede(r) für sich, also einzeln.

Auf diese etwas umständliche Weise wird sich der gesamte Termin mutmaßlich von 10 bis 16 Uhr hinziehen. Das Ganze heißt deshalb nicht Pressekonferenz, sondern „Pressetag“. Es ist anzunehmen, dass die jeweilige Aufenthaltsdauer begrenzt werden muss, damit die Nachrückenden zeitig an die Reihe kommen – je nachdem, wie viele sich mit welchen Wunschzeiten anmelden. Kurze Gespräche mit der LWL-Kulturdezernentin, dem Museumsdirektor oder der Ausstellungskuratorin sind übrigens ebenfalls möglich.

Das alles hört sich nach einem geradezu exklusiven Kunsterlebnis an, bei dem einen nichts von den Bildern ablenkt – auch nicht all die liebenswerten Kolleg(inn)en. Man darf sich also ganz allein vor den Kunstwerken aufhalten; beispielsweise ohne Fernsehteams, ohne wichtig wuselnde Kameraleute und Mikrofonträger, ohne Hörfunk-Mitarbeiter, die gerade mal schnell ihre „O-Töne“ einfangen müssen; ohne Fotografen, die eben noch ein paar Gruppenbilder mit der Museumsleitung anfertigen wollen („Bitte vor dieses Gemälde, bitte den Katalog in die Hand nehmen, bitte hierher gucken – und läääächeln!“). Und sogar ohne klügelnde Fragesteller, die sich ihren imponierenden Auftritt wohl schon Tage vorher zurechtgelegt haben.

So. Jetzt hab‘ ich’s mir glücklich mit allen verdorben. Wie bitte? Nein, ich habe noch nie jemanden bei Presseterminen genervt. Niemals nicht. Wo denkt Ihr denn hin?




Von Sarah Kirsch bis Samuel Beckett – ein paar Buchhinweise für gedehnte, gestauchte und gewöhnliche Tage

Hier noch vier kurze Lektüre-Hinweise, nicht nur für die weiterhin womöglich etwas längeren Tage ohne Restaurantbesuche, Live-Konzerte, Theaterabende, echte Kinoerlebnisse (nix Netflix) etc.; zumal heute auch noch der „Welttag des Buches“ begangen wird:

Dichterische Dachbodenfunde

Politisches, Privates und Naturerfahrung hat die Dichterin Sarah Kirsch (1935-2013) schon seit jeher subtil und wechselwirksam miteinander verwoben. Davon zeugt auch der posthume Band mit dem lapidaren Titel „Freie Verse“, der u. a. auch neunzehn bisher unveröffentlichte Gedichte enthält, die tatsächlich auf einem Dachboden entdeckt worden sind und dem bislang bekannten Werk noch einmal neue Nuancen hinzufügen.

Es gibt hier zwar idyllische Momente, aber es sind beileibe keine naiven Idyllen. In den insgesamt 99 Gedichten zeigt sich wieder und wieder, dass und wie die Gesellschaft Menschen und Natur zutiefst prägt, so dass man zwar widerstehen, aber niemals ganz entkommen kann. Derlei Befunde erschöpfen sich allerdings niemals in bloßer Feststellung, sondern sie werden in poetischen Fügungen ästhetisches Ereignis.

Nur ein wortkarges Beispiel:

Epitaph

Ging in Güllewiesen als sei es
Das Paradies beinahe verloren im
Märzen der Bauer hatte im
Herbst sich erhängt.

Sarah Kirsch: „Freie Verse“. Manesse. 126 Seiten, 20 Euro.

_______________________________________

Briefwechsel Kirsch / Wolf

…und noch einmal Sarah Kirsch, diesmal in nahezu 30 Jahre umfassenden Briefwechsel-Dialogen mit Christa Wolf (1929-2011). Zwei herausragende weibliche Stimmen aus der einstigen DDR also, beide Trägerinnern der vielleicht renommiertesten aller deutschen literarischen Auszeichnungen, des Georg-Büchner-Preises. Und doch so verschiedene Charaktere…

Von 1962 bis 1992 spannt sich der Bogen der persönlichen und postalischen Begegnungen sowie der politischen Auseinandersetzungen, also über die Jahre der deutsch-deutschen „Wende“ hinaus. In den ideologischen Wirrnissen jener Jahre haben sich beide geistig auseinandergelebt. Auch das dokumentiert dieser (reichlich mit Anmerkungen, Bibliographie und Register versehene) Band ebenso lehrreich wie schmerzlich.

Sarah Kirsch / Christa Wolf: „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt. Der Briefwechsel“. Suhrkamp, 438 Seiten. 32 Euro.

_________________________________________

Durch eine gespenstische Welt

Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.“ So lautet ein berühmtes und charakteristisches Zitat von Samuel Beckett. Auch in seinem Werk dürfte es nichts Unbekanntes mehr zu entdecken geben. Oder etwa doch?

Nun, es gibt eine Erzählung von 1933, die erst 2014 auf Englisch und nun auf Deutsch veröffentlicht worden ist. Im Ursprungsjahr war der Text, der eigentlich als Ergänzung zu „Mehr Prügel als Flügel“ („More Pricks Than Kicks“) gedacht war, dem Lektor gar zu chaotisch vorgekommen.

Das Werk des damals 27jährigen Beckett heißt „Echo Knochen“ (Original „Echo’s Bones“) und ist in der Tat alles andere als eine eingängige Lektüre. Diese überaus anspielungsreiche Prosa erlaubt aber gleichsam einen Blick ins frühe Werden des Beckettschen Themen- und Figureninventars. Wie der Übersetzer Chris Hirte im Nachwort verrät, hatte er seine liebe Not mit diesem ungeheuren Text, der – mit vielen Bruchlinien – durch eine wirre Traum- und Gespensterwelt führt. Empfehlenswert für wahre und mit beharrlicher Geduld gesegnete Beckett-Exegeten bzw. überhaupt für avancierte literarische Tüftler.

Samuel Beckett: „Echos Knochen“. Herausgegeben und mit einer Einführung versehen von Mark Nixon, Übersetzung aus dem Englischen und ein Nachwort von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, 123 Seiten, 24 Euro. 

_________________________________________

Auf die Freuden des Lebens

Ehrlich gesagt: Das große Gewese um Wiglaf Droste (1961-2019) habe ich nie so ganz verstanden. Was er geschaffen hat, ist sicherlich schätzenswert, aber nach meiner Auffassung doch nicht so herausragend und kultverdächtig, wie viele zu meinen scheinen. Ich persönlich würde (je nach Stimmungslage) im komischen Genre andere Hochbegabungen vorziehen – allen voran Max Goldt. Aber das ist nun meine Sache.

Egal. Droste hatte und hat nun mal seine Fangemeinde und vor allem der sei der pralle Gedichtband „Tisch und Bett“ ans Herz gelegt. Die Lyrik aus den letzten Jahren seines allzu kurzen Lebens erweist sich vorwiegend als Lob der guten Dinge auf Erden, es sind freilich unfeierliche Strophen auf die Freuden des sinnlichen Daseins. Und gegen solche Diesseitigkeit ist ja nun wirklich nichts einzuwenden.

Wiglaf Droste: „Tisch und Bett“. Gedichte. Verlag Antje Kunstmann. 256 Seiten. 18 Euro.

____________________________________________

P. S.: Und bitte daran denken: Kauft oder kaufen Sie nach Möglichkeit am Ort. Unterstützt den lokalen Buchhandel. Gerade jetzt. Versprochen?




Corona-Wortsammlung – weitgehend ohne Definitionen, aber fortlaufend aktualisiert

Wohl unter „M“ einzuordnen: in diesen Tagen ratsame bzw. pflichtgemäße Mund-Nasen-Bedeckungen. (Update: Achtung, Achtung! Solche Stoffexemplare sind mittlerweile durch medizinische Masken zu ersetzen). (Foto: BB)

Hier ein kleines Corona-„Lexikon“, darinnen etliche Worte, Wendungen, Zitate, Namen und Begriffe, von denen wir zu Beginn des Jahres 2020 nicht einmal zu träumen gewagt haben; aber auch bekannte Worte, die im Corona-Kontext anders und häufiger auftauchen, als bislang gewohnt. All das zumeist ohne Definitionen und Erläuterungen, quasi zum Nachsinnen, Ergänzen und Selbstausfüllen. Und natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, aber von Zeit zu Zeit behutsam ergänzt. Vorschläge jederzeit willkommen.

Dazu ein paar empfehlende Hinweise: Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat sich einige Wochen lang in einer Serie mit den sprachlichen Folgen der Corona-Krise befasst, hier ist der Link.

Eine mit derzeit (März 2021) rund 1200 Einträgen sehr umfangreiche Liste von Corona-Neologismen hat das in Mannheim ansässige Leibniz-Institut für Deutsche Sprache online gestellt. Bitte hierher.

Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) hat ein umfangreiches Corona-Glossar veröffentlicht, dazu bitte hier entlang.

Ein Glossar zum phänomenalen NDR-Podcast mit Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek findet sich hier.

Einige weitere Erklärungen hat die Zeitschrift GEO gesammelt, und zwar hier.

In ihrer Ausgabe vom 4. Januar 2021 (!) ist die „Süddeutsche Zeitung“ in Person des Autors und Dramaturgen Thomas Oberender schließlich auch auf den Trichter gekommen und bringt unter der Zeile „Die Liste eines Jahres“ eine recht umfangreiche Wortsammlung. Daraus habe ich mir auch ein paar Ausdrücke genehmigt. Oberender darf sich wiederum hier bedienen.

Nun aber unsere Liste der Wörter, Wendungen und Namen:

1,5 Meter Abstand
2 Meter Abstand
2-G-Regel („geimpft oder genesen“)
2-G-plus („geimpft oder genesen und getestet)
3-G-Regel („geimpft, genesen, getestet“)
3-G-plus (nur mit PCR-Test, nicht mit Antigen-Text)
6-Monats-Abstand (bzw. 3, 4 oder 5 Monate – zwischen Zweitimpfung und „Boostern“)
7-Tage-Inzidenz
15-Minuten-Regel (Gesprächsdauer, die das Risiko begrenzt)
15 Schüler(innen) im Klassenraum
15-Kilometer-Radius (um den Wohnort)
20 Quadratmeter pro Kunde (in größeren Geschäften ab 26.11.2020)
21 Uhr (Ausgangssperre)
23 Uhr (Sperrstunde)
-70 Grad (erforderliche Kühlung des BioNTech-Impfstoffs)
800 Quadratmeter (Verkaufsfläche)
50.000 Arbeitsschritte (zur Produktion des BioNTech-Impfstoffs)
100.000 Einwohner (Maßzahl zur Inzidenz)

Absagen
absondern
Abstand
Abstrich
achthundert Quadratmeter (Verkaufsfläche)
Adenoviren
Aerosol
Aerosolbildung
AHA-Formel (Abstand – Hygiene – Alltagsmaske)
AHA-Regeln
AHA+L (…plus Lüften)
Akkolade (französ. Wangenkuss-Begrüßung, nunmehr verpönt)
Alkoholverbot
#allesdichtmachen (umstrittene Schauspieler-Aktion)
#allesschlichtmachen
„Alles wird gut!“
Allgemeinverfügung
Alltagsmaske
Alpha (neuer Name für britische Mutante)
Altenheime
Alterskohorte
Aluhut
„an Corona“ (verstorben – vgl.: „mit Corona“)
„andrà tutto bene“
Antikörper
Antikörpertest
App (zur Nachverfolgung)
Armbeuge (Hust- und Nies-Etikette)
AstraZeneca (Impfstoff-Hersteller)
asymptomatisch
„auf dünnstem Eis“ (Merkel)
„aufgrund der aktuellen Umstände“
„auf Sicht fahren“
aufsuchende Impfung
Ausgangssperre
Autokino (Renaissance)
AZD1222 (Impfstoff von AstraZeneca)
AZD7442 (Medikament von AstraZeneca)

B.1.1.7 (britische Mutation des Corona-Virus / Aplha)
B.1.1.28.1 – P.1 (brasilianische Mutation)
B.1.1.529 (neue südafrikanische Variante, November 2021)
B.1.351 (südafrikanische Mutation)
B.1.526 (New Yorker Mutation)
B.1.617 (indische Mutation / Delta)
BA.2 (BA.1, BA.3) Subtypen der Omikron-Variante
Balkongesang
Balkonklatscher
Bamlanivimab (Antikörper-Medikament)
„Bazooka“ (massive Geldmittel – laut Olaf Scholz)
Beatmung
Beatmungsgerät
bedarfsorientierte Notbetreuung (Kita)
Beherbergungsverbot
behüllte Viren
Bergamo
„Bergamo ist näher, als viele glauben.“ (Markus Söder, 13.12.2020)
Bernhard-Nocht-Institut
Besuchsverbot (Alten- und Pflegeheime)
Beta (neuer Name für südafrikanische Mutante / B.1.351)
Bfarm-Liste (Auflistung der Antigen-Tests)
Bildungsgerechtigkeit
„Bild“-Zeitung (Kampagne gegen Drosten etc.)
Biontech / BioNTech (Impfstoff-Hersteller)
Black-Swan-Phänomen
Blaupause, keine
„Bleiben Sie gesund“ (Grußformel)
Blitz-Lockdown (vor Weihnachten/Silvester 2020)
Blutgerinnsel
BNT 162b2 (Biontech-Impfstoff)
Böller-Verbot
Booster
Booster-Impfung
boostern
Bremsspur („Das Virus hat eine unglaublich lange Bremsspur“ – Jens Spahn)
Brinkmann, Melanie (Helmholtz-Zentrum, Braunschweig)
„Brücken-Lockdown“ (Armin Laschet am 5. April 2021)
Bundesliga (Geisterspiele etc.)
Bundesnotbremse
Buyx, Alexa (Vorsitzende Deutscher Ethikrat)

C452R (Teil der indischen Doppelmutante)
CAL.20C (kalifornische Mutante)
case fatality
Casirivimab (Antikörper-Medikament)
Celik, Cihan (Leiter der Covid-Station am Klinikum Darnstadt)
China
Chloroquin
Ciesek, Sandra (Virologin, Frankfurt/Main)
Click & collect (Bestellung und Abholung)
Click & meet (Shoppen mit Termin)
Comirnaty (Handelsname des Biontech-Impfstoffs)
Contact Tracing
COPD (Lungenkrankheiten)
Corona
Corona-Ampel
coronabedingt
Corona-Biedermeier
Corona-Bonds
Corona-Blues
Corona-Chaos
Corona-Deutschland
„Corona-Diktatur“
Corona-Ferien
coronafrei
coronahaft
Corona-Gipfel
Corona-Hilfsfonds
Corona-Hotspot
Corona-Kabinett
Corona-Krise
Corona-Koller
Corona-Müdigkeit
Corona-Mutation
Corona-Notabitur
Corona-Pandemie („Wort des Jahres“ 2020)
Corona-Panik
Corona-Party
Corona-Schockstarre
Corona-Skeptiker
Corona-Tagebuch
Corona-Ticker
Corona-Verdacht
Corona-Winke (Gruß aus der Distanz)
Corona-Zoff
Coronials („Generation Corona“)
coronig
coronös
„Corontäne“ (Quarantäne wg. Corona)
Corozän (Corona-Zeitalter)
Cove (Impfstoff von Moderna)
Covid-19
Covidioten (Hashtag / siehe Verschwörungstheoretiker)
CovPass (App)
CureVac (Impfstoff-Hersteller)

Datenschutz (bei der Corona-Warn-App)
„Dauerwelle“
Decke auf den Kopf („Mir fällt die…“)
Dekontamination
Delta (neuer Name für die indische Mutante)
Delta Plus (Variante der Variante: B.1.617.2.1)
Desinfektion, thermische
Desinfektionsmittel
Desinfektionsmittel spritzen (Trump)
„Deutschland macht sich locker“
Dezemberhilfe(n)
Digitaler Impfnachweis
Digitaler Unterricht
„Distanz in den Mai“ (statt „Tanz in…“)
Distanzschlange
Distanzunterricht
Divi-Intensivregister
„Doppelmutante“ (indische Mutation, laut Prof. Drosten irreführender Begriff)
„dorfscharf“ (lokale Grenzziehungen beim Lockdown)
dritte Welle (befürchtet im Frühjahr 2021)
Drittimpfung
Drive-in-Test
Drosten, Christian (Charité, Berlin)
Drosten vs. Kekulé
durchgeimpft
Durchseuchung

E484Q (Teil der indischen Doppelmutante)
Ebola
Eindämmung
eineinhalb Meter (Abstandsregel)
eingeschränkter Pandemiebetrieb
eingeschränkter Regelbetrieb
Einreisestopp
„Einsperr-Gesetz“ (Ausgangsbeschränkungen laut „Bild“-Zeitung)
Einweghandschuhe
E-Learning
Ellbogencheck (Corona-Gruß)
Ema (Europäische Arzneimittel-Agentur)
Epidemie
Epidemiologie
„Epidemische Lage (von nationaler Tragweite)“
„Epidemische Notlage nationaler Tragweite“
Epizentrum
Epsilon (Virus-Variante B.1.427 / B.1.429)
Erntehelfer
Erstgeimpfte
Eta (Virus-Variante B.1.525)
Etesevimab (Antikörper-Medikament)
Exit-Strategie
exponentiell (Wachstum)

Falk, Christine (Präsidentin Dt. Gesellschaft für Immunologie, Hannover)
Fallsterblichkeit
Fallzahlen
fatality
Fatigue
Fauci, Anthony (US-Virologe)
Fax (Kommunikations-Instrument mancher Gesundheitsämter)
„…feiert keine stille Weihnacht.“ („Das Virus feiert…“ / Olaf Scholz am 13.12.2020)
Ffp2
Ffp3
flatten the curve
Fledermaus
Fleischfabriken
Flickenteppich (Föderalismus)
Fluchtmutation
forsch / zu forsch (Lockerungen, laut Merkel)
free2pass (App für Tests und Einlasskontrolle)
Freiheit
Frisöre / Friseure
Fuß-Gruß

G 5 (Verschwörungstheorie um den Mobilfunkstandard)
Gästeliste (Pflicht im Lokal)
Gamma (neuer Name für brasilianische Mutante / P.1)
„Gang aufs Minenfeld“ (Erfurts OB über Lockerungen in Thüringen)
Gangelt
Gastronomie
Gates, Bill
Geisterspiele (Bundesliga etc.)
Genesene
Genesenenstatus
Geruchs- und Geschmacksverlust (als Corona-Symptom)
geschlossene Räume
geteilte Schulklassen
Google Meet (Videokonferenz-Plattform)
Grenzkontrollen
Grenzschließungen
Großeltern (nicht) besuchen
„Grüner Pass“ (Israel / bescheinigt Corona-Impfung)
Grundimmunität
Grundrechte
Grundsicherung
Gütersloh (kreisweiter Lockdown wg. Tönnies)

Händedruck (kein)
Händewaschen
Härtefall-Fonds
häusliche Gewalt
hammer and dance
Hamsterkäufe
hamstern
Heimbüro
„Heimsuchung“ (Angela Merkel am 25. Oktober 2020)
Heinsberg
Heizpilze (herbstliche Option für Gastro-Betriebe)
„Held / Heldin des Alltags“
Helmholtz-Gemeinschaft
Hepa-Filter
Herdenimmunität
Herold, Susanne (Uniklinik Gießen)
heterologe Impfung (zwei verschiedene Impfstoffe bei Erst- und Zweitimpfung)
Hildmann, Attila
Hintergrundimmunität
Hintergrundinfektion
Hirnvenenthrombosen
Hochrisikogruppe
Hochzeitsfeier
Home-Office
Home-Schooling
Hospitalisierungs-Inzidenz
Hospitalisierungsrate
Hotspot
Husten
Hust- und Nies-Etikette
Hybrid-Unterricht
„Hygiene-Demos“
Hygieneplan
Hygiene-Konzept
Hygiene-Regeln
Hygiene-Standards
Hyperglobalisierung

Ibuprofen
Imdevimab (Antikörper-Medikament)
Immunabwehr
Immun-Escape
Immunologe
Impfangebot
Impfbereitschaft
Impfbus
„Impfchaos“
Impfdosen
Impfdosis
Impfdrängler
Impfdurchbruch (Infektion trotz Impfung)
Impfgegner
Impfgipfel
Impfling
Impflücke
Impfneid
Impfpass
Impfpflicht
Impfquote
Impfreihenfolge
Impfskeptiker
Impfstau
Impfstoff
„Impfstoff-Nationalismus“
Impfstraße
Impfstrategie
Impftermin
Impfung
Impfversprechen
Impfverweigerer
Impfvordrängler
Impfwilligkeit
Impfzentrum
Impfzwang
„Impfzwang durch die Hintertür“
inaktivierte Vakzine
Infektionsampel
Infektionskette
Infektions-Notbremse
Infektionsschutzgesetz (IfSG)
„Infodemie“
Inkubationszeit
Insolvenz(en)
„Instrumentenkasten“ (verfügbare Corona-Maßnahmen)
Intensivbetten
Intensivkapazität
Intensivstation
Inzidenz
Inzidenz-Ampel
Inzidenzwert
„In (den) Zeiten von Corona“
Iota (Virus-Variante B.1526)
Ischgl
Isolation
Israel (weltweites Impf-Vorbild)
Italien

„Jens, jetzt keine Emotionen!“ (Angela Merkel zu Jens Spahn – beim Impfgipfel am 1.2.2021)
Johns-Hopkins-Universität
Johnson & Johnson (Impfstoff-Hersteller)

Kappa (Virus-Variante B.1.617.1)
Kappensitzung (Heinsberg etc.)
Kariagiannidis, Christian (Leiter Insensivbettenregister)
Kassenumhausung
Kaufprämie (für Autos)
Keimschleuder
Kekulé, Alexander S.
„…kennt keine Feiertage.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Ferien.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Grenzen.“ („Das Virus kennt…“)
Kita-Schließungen
„Kleeblatt-Prinzip“ (bei Verlegung von Intensiv-Patienten in andere Bundesländer)
Kliniken (im RKI-Jargon auch „Klinika“)
Knuffelcontact (Belgisch/Flämisch für den möglicherweise einzigen Kuschelkontakt)
„körpernahe Dienstleistungen“
Kontaktbeschränkung
kontaktlos
kontaktloses Bezahlen
Kontaktperson
Kontaktsperre
Kontaktsport(arten)
Kontakttagebuch
kontaminierte Oberfläche
Kreuzimpfung (z. B. Erstimpfung mit AstraZeneca, Zweitimpfung mit Biontech)
„Krise als Chance“
Krisengewinn(l)er
Krisenreaktionspläne
Kulturschaffende
Kurzarbeitergeld

laborbestätigt
Lambda (Virus-Variante C.37)
Laschet, Armin
Lauterbach, Karl (Gesundheitsminister ab Dez. 2021)
Leopoldina
Letalität
„(das) letzte Weihnachten mit den Großeltern…“ (Angela Merkel)
Lieferketten
Liquiditätshilfen
Lockdown
Lockdown Light
Lockerung
„Lockerungsdrängler“ (Röttgen)
Lockerungsperspektive
Lockerungsübung
Lolli-Test
Lombardei
Long-Covid (Langzeit-Nachwirkungen)
Luca (Warn-App)
Lüftung
Lungenentzündung

„macht sich locker“ („Deutschland macht…“)
Marderhunde (mögliche Virusquelle, laut Drosten)
Maske
Maskenintegrität
Maskengutschein
Maskenmuffel
Maskenpflicht
Maskenverweigerer
Maßnahmen
„mehr als 90 Prozent“ (Imfstoff-Wirksamkeit)
Meldeverzug
Merkel, Angela
MERS
Meyer-Hermann, Michael (Helmholtz / Braunschweig)
„mit Corona“ (verstorben)
mobile Impfteams
Moderna (US-Impfstoff-Hersteller)
Molnupiravir (Corona-Medikament)
Mortalitätsrate
mRNA-1273 (Impfstoff von Moderna)
mRNA-Impfstoff
„mütend“ (Corona-Gefühlslage, Mischung aus mürbe und wütend – oder müde und wütend)
Mund-Nasen-Schutz (MNS)
Mundschutz (Plural: Mundschutze)
Mutanten
Mutation

Nachverfolgung
„Nasenbohren“ (saloppe Umschreibung für manche Schnelltests)
Nena (Corona-Verharmloserin)
neuartig(es)
„Neue Normalität“
Neuinfektionen
New York
niederschwellige Basisschutz-Maßnahmen
Nies-Etikette
No-Covid-Strategie
Normalität
Notbetreuung
Notbremse (harte N. / flexible N.)
Notstand
Novavax (Impfstoff-Hersteller)
Novemberhilfe(n)
Null-Covid-Strategie

Obergrenze für Neuinfektionen
„Öffnungsdiskussionsorgien“ (Merkel)
Öffnungsschritte
„Öffnungsrausch“ (Markus Söder)
Olympische Spiele (in Tokyo praktisch ohne Live-Zuschauer)
Omikron / Omicron (neue südafrikanische Variante, November 2021)
Omikron-Wand (Steigerung der Omikron-Welle)
on hold („angehaltenes“ Leben)
Online-Aufführung
OP-Maske

P.1 (brasilianische Virus-Mutation)
Palmer, Boris (OB Tübingen)
Pandemie
Pandemie-Müdigkeit
Pangolin (Gürteltier als möglicher Zwischenwirt)
„Paranoia-Promis“ (Hildmann, Naidoo, Wendler, Jebsen etc.)
Party
Patentfreigabe
„Patient Null“ (ursprünglicher Überträger)
Paul-Ehrlich-Institut
Paxlovid (Corona-Medikament von Pfizer)
PCR-Test
PEG (Polyethylenglykol / Inhaltsstoff von Impfmitteln)
Penninger, Josef (speziell für unsere österreichischen Freunde)
persönliche Schutzausrüstung (PSA)
Pest (Referenz-Seuche)
Pflegeheime
Pflegekräfte
Pflegenotstand
physical distancing
„Piks“ (etwas infantile Bezeichnung für die Impfung)
Plateau
Pleitewelle
Pneumokokken
Pneumonie
„Pobacken zusammenkneifen“ (Appell von RKI-Chef Wieler am 12.11.2020)
Positivrate (z. B. pro 1000 Tests)
Postcorona (die Zeit „danach“)
Präsenzunterricht
Präsenzveranstaltung
Präventions-Paradox
Prepper
Preprint (vorveröffentlichte Wissenschafts-Studie)
Priesemann, Viola (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen)
Prio (neuerdings gängige Abkürzung)
priorisieren
Prioritätsgruppe
Prof.
proteinbasierte Impfstoffe

Quarantäne
„Querdenker“ (Euphemismus für Verschwörungstheoretiker)

Rachenabstrich
Ramelow, Bodo (Vorreiter der Lockerung)
Regelbetrieb
Regeneron (US-Hersteller von Antikörper-Cocktails)
Reiserückkehrer
Reisewarnung
Remdesivir
Reproduktionsrate (gern 0,7 oder niedriger)
Respiration
Restart (Bundesliga)
Rettungsschirm
Rezeptoren
Rezession
R-Faktor
R-Wert
Risikogebiet
Risikogruppe
RKI
Robert-Koch-Institut
Rückholaktion
„Ruhetage“ (Gründonnerstag & Ostersamstag 2021 / verkündet 23.3.2021 – zurückgenommen 24.3.2021)

SARS
SARS-CoV-2
Schaade, Lars (RKI-Vizepräsident)
Schichtunterricht
Schlachthöfe (Coesfeld etc.)
Schlangenmanagement
Schlauchboot-Party (Berlin, Landwehrkanal)
Schleimhautschutz
Schmidt-Chanasit, Jonas (Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg)
Schmierinfektion
„schmutzige Impfung“ (absichtliche Infektion mit erhoffter Genesung)
„Schnauze voll“ (Hessens Ministerpräs. Bouffier im Feb. 2021: „Die Leute haben die…“)
Schnelltest
Schnutenpulli
Schulschließungen
Schutzkittel
Schutzmaske
Schutzschirm
schwedischer Sonderweg
schwere Verläufe

Seife
Seitwärtsbewegung (Minister Spahn über kaum noch sinkende Infektionszahlen)
Selbstisolation
Sentinel-Testung (Stichproben statt Massentests)
Sequenzierung
Shutdown
Sieben-Tage-Inzidenz
Sieben-Tage-R
Sinovac (chinesischer Impfstoff)
Sinusvenen-Thrombosen
Skype
social distancing
Soloselb(st)ständige
soziale Distanz
Spahn, Jens (Gesundheitsminister, auch infiziert)
Söder, Markus
Soforthilfe
Soloselbstständige
Spanische Grippe
Sperrstunde
Spike-Protein
Speicheltest (Schnelltest)
Spuckschutz
Spucktest (Schnelltest)
Sputnik V (russischer Impfstoff)
Statistik
Stay-at-home
sterile Immunität
Stiko (Ständige Impfkommission)
Stoßlüftung
Streeck, Hendrik (Virologe, Bonn)
Stürmer, Martin (Virologe, Frankfurt)
Südkorea
Superspreader
Superspreading-Ereignis
systemrelevant

„Team Vorsicht“ (Formulierung von Markus Söder)
Tegnell, Anders (Schwedischer Epidemiologe)
Telearbeit
Telefonkonferenz (Telko)
Temperaturscanner
Test
Testkapazität
Testzentren (teilweise unter Betrugsverdacht)
Theaterschließungen
Theta (Virus-Variante P.3)
Thrombose (angebliche Impffolge)
Tönnies
Toilettenpapier
Totimpfstoff
Tracing-App
Tracking-App
„Treffen Sie niemanden!“ (Österreichs Kanzler Kurz am 14.11.2020)
Triage
Tröpfcheninfektion
„trotz Corona“
Trump, Donald (Erkrankter)
Twitter (Plattform auch für Corona-Dispute)
„Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes)

Überbrückungsgeld
Übersterblichkeit
„Unheil“ (Angela Merkel am 14. Oktober 2020)
Untersterblichkeit

Vakzine
Variant of concern
Vaxzevria (neuer Name des AstraZeneca-Impfstoffs, seit 26.3.2021)
Verdoppelungsrate
verimpft („Sie haben 2000 Dosen verimpft“)
Vektorimpfstoff
Vektorwechsel
Verschwörungserzählung
Verschwörungsmythen
Verschwörungstheoretiker (Jebsen, Hildmann, Schiffmann, Soost, Naidu u.a.)
verzeihen
Verzeihung
Videokonferenz (Viko)
vierte Welle (befürchtet für und dann eingetreten im Herbst 2021)
Virologe(n)
Virologie
Virulenz
Virus, das
Virus, der
Virusvariantengebiet
viruzid
Volksmaske
vollständig geimpft
„Vom Verbot zum Gebot“
Vorerkrankungen
vulnerabel

„Wand“ (siehe Omikron-Wand)
Watzl, Carsten (Immunologe, Leibniz-Institut, Dortmund)
Wechsel-Unterricht
„wegen Corona“
Wellenbrecher
Wellenbrecher-Lockdown
Wendler, Der (noch so’n Corona-Leugner)
Westfleisch
WHO
Wieler, Lothar H. (RKI-Präsident)
Wildtyp
„Wir bleiben zu Hause“
Wodarg, Wolfgang
Wohnzimmerkonzert
Worst-Case-Szenario
Wuhan
„Wumms“ („Mit Wumms aus der Krise“ – Finanzminister Olaf Scholz)

Zarka, Salman (Corona-Regierungsberater in Israel, genannt „Corona-Zar“)
Zero Covid (niedrigstes Ziel)
Zero-Covid-Strategie
Zeta (Virus-Variante P.2)
Zoom (Plattform für Online-Konferenzen)
Zoonose
Zweihaushalte-Regel
„Zweimal ,Happy Birthday‘ singen“ (Zeitmaß fürs Händewaschen)
zwei Meter (Abstand)
zweite Welle
Zweitgeimpfte

_____________________________

Danke für Anregungen und Ergänzungen, die mich u. a. via Facebook erreicht haben.

Bei Virologe, Immunologe etc. bitte jeweils die weiblichen Formen hinzudenken.




Pressekonferenz per Video: Programm der Neuen Philharmonie Westfalen rankt sich um Beethoven

NPW-Orchesterchef Rasmus Baumann, aus seinem Home-Office der Pressekonferenz zugeschaltet. (Foto/Screenshot: Bernd Berke)

Heute habe ich die erste Video-Pressekonferenz meines doch schon recht langen Berufslebens absolviert. „In den Zeiten von Corona“ (eine bereits völlig ausgelutschte Wendung, ich weiß) ist ein solches Verfahren wohl ratsam. Der Blick in eine mögliche Zukunft des journalistischen Gewerbes ging von Unna aus. Dort wurde heute das Programm 2020/21 der Neuen Philharmonie Westfalen (NPW) vorgestellt, das im Kern aus neun Sinfoniekonzerten besteht. Hier ist der Link, der Einzelheiten erschließt, die wir an dieser Stelle nicht ausbreiten können.

Wie wir alle seit gestern wissen, sind Großveranstaltungen (also auch Konzerte der E-Musik) mindestens bis zum 31. August 2020 generell untersagt. Michael Makiolla, Landrat des Kreises Unna, gab sich heute dennoch zuversichtlich, dass das NPW-Programm im September 2020 beginnen kann. Makiolla betonte, Kultur sei gerade in diesen Zeiten weiterhin wichtig. Man werde alles tun, um das Orchester auch künftig zu erhalten.

Auch Chefdirigent Rasmus Baumann möchte optimistisch nach vorn blicken. Er erläuterte das Programm, das sich um Ludwig van Beethoven (1770-1827) rankt. Der weltberühmte Komponist wurde bekanntlich vor 250 Jahren geboren. Freilich will Baumann kein reines Beethoven-Programm gestalten, sondern einige seiner Schöpfungen mit jenen anderer Komponisten verknüpfen oder auch kontrastieren. Mehrere Abende werden auch gänzlich ohne Beethoven-Musik bestritten.

Keine Beethoven-Inflation also, damit auch etwas für kommenden Spielzeiten übrig bleibt; denn, so Baumann: „Beethoven spielen wir ja eigentlich immer. Seine Werke sind sozusagen eine Bibel.“

Und so kommt es, dass gleich beim 1. Sinfoniekonzert (geplant für den 9. September in der Kamener Konzertaula) beispielsweise auch die Zweite Sinfonie von Robert Schumann erklingt – unter dem sprichwörtlichen Motto des Abends, das aus Goethes Drama „Egmont“ stammt und welches da lautet: „Himmelhoch jauchzend, / Zu Tode betrübt…“ Letztere Stimmungslage fügt sich auf tieftraurige Weise zu Schumanns schizophrenem Seelenzustand jener Zeit. Das andere Hauptwerk des Abends ist just Beethovens Schauspielmusik zum „Egmont“.

Das 2. Sinfoniekonzert umfasst u. a. Beethovens Sechste („Pastorale“), die Überschrift des Abends lautet „Landpartie“. Mit ähnlich lockenden Titeln geht es weiter. So wird man etwa beim 7. Sinfoniekonzert (Losung: „Very British“) die Ouverture zu „Roberto Devereux“ von Gaetano Donizetti hören, die mit der Tonfolge von „God save the Queen“ (britische Nationalhymne) beginnt und sinnigerweise mit einem Werk des Briten Edward Elgar kombiniert wird. Der achte Abend ist ausschließlich Komponistinnen gewidmet, u. a. Sofia Gubaidulina und Clara Schumann. „Hörnerschall“ heißt die Devise zum Abschluss beim 9. Konzert.

Man merkt Rasmus Baumann schon die Vorfreude auf eine hoffentlich ungetrübte neue Saison an, er ist voll des Lobes fürs regionale Publikum – und für die Mitwirkenden der Konzerte, von denen einige zumindest auf dem Sprung zur Weltkarriere stünden. Wenn Baumann nicht die eine oder den anderen schon länger kennen würde, kämen sie wohl schwerlich in die westfälische Provinz, wo man programmlich meist etwas konventioneller ansetzen muss. Raritäten und gewagte Experimente stehen hier nicht im Vordergrund.

Zum Reigen der neun Sinfoniekonzerte kommen beispielsweise noch Crossover-Veranstaltungen wie „Abba Forever“ sowie Kinderkonzerte („Beethoven auf der Spur“) und Familienkonzerte („Dschungelbuch“, „Peter und der Wolf“).

Die 1996 gegründete Neue Philharmonie Westfalen spielt ihre Sinfoniekonzerte traditionell in der Kamener Konzertaula. Diesmal wird man auch einmal im Süden des Kreises Unna gastieren, in der Rohrmeisterei Schwerte. Außerdem ist ein Freiluftkonzert auf dem Marktplatz von Unna vorgesehen. Weitaus mehr noch: Der als NRW-Landesorchester fungierende Klangkörper bespielt außerdem seit vielen Jahren das Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen und vor allem das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR), das zwar ein Ensemble, aber kein eigenes Opernorchester hat.

Landrat Michael Makiolla bei seinem Statement. (Foto/Screenshot: Bernd Berke)

Der Subventions-Struktur sei Dank: Durch die Corona-Krise hat das Orchester bislang nur sehr überschaubare finanzielle Einbußen erlitten. Landrat Michael Makiolla verweist allerdings darauf, dass man am Ende des Jahres noch einmal genauer Bilanz ziehen müsse.

Apropos Einnahmen: Wie Mike-Sebastian Janke, Kreisdirektor und Kulturdezernent des Kreises Unna, sagte, nimmt die Zahl der Konzertabonnenten – vornehmlich aus „demographischen Gründen“ – seit Jahren geringfügig ab, je Saison um etwa 20 Abos. Teilweise wettgemacht wird dieser Verlust durch gesteigerte Einzelverkäufe. Dem will man nun durch den erstmals möglichen Verkauf von Einzeltickets übers Internet Rechnung tragen. Auch die Abos werden flexibel gehandhabt. Neben dem Neuner-Paket kann man auch 6 oder 3 Konzerte nach Wahl buchen.

Um auf die Video-Pressekonferenz zurückzukommen: Nach kleinen technischen Hakeleien hat die Sache recht gut funktioniert, passgenaues Umschalten der Kameraperspektiven und verständliche Dialoge inbegriffen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten viele Hundert Pressetermine auf herkömmliche Art erlebt hat, mag man bedauern, dass so etwas früher nicht möglich war. Da hat man so manchen Kilometer abgespult, den man sich (und der Umwelt) hätte ersparen können – mit Zeitdruck, Staus und allem anderen „Komfort“. Tempi passati.

Dennoch: Schön wär’s, Pressekonferenzen und Vorbesichtigungen gelegentlich auch mal wieder als physische Präsenzveranstaltungen erleben zu dürfen. Aber wem sage ich das?

___________________________________________

Hier nochmals der Link zum gesamten Programm mit Download des Programmheftes.




Von Unna aus ein wenig die Welt verändern – Nachruf auf den vielseitigen Theatermann Peter Möbius

Peter Möbius (1941-2020). (Foto: Thomas Kersten)

Gastautor Horst Delkus mit einem Nachruf auf den Theatermann, Autor und Grafiker Peter Möbius, den älteren Bruder des legendären Rocksängers Rio Reiser („Ton Steine Scherben“). Peter Möbius hat vor allem in Unna und Dortmund gewirkt.

Ist das nicht der Bruder vom Rio? Ja, er war es. Rios großer Bruder, der mich da vor rund neun Jahren in meinem Büro bei der Wirtschaftsförderung des Kreises Unna aufsuchte. Die Kollegin outete sich als große Verehrerin von Rio Reiser: Das ist mein Lieblingsmusiker. Peter hat es gefreut.  War doch eine solche klammheimliche Liebe von notwendigerweise kapitalfreundlicher Wirtschaftsförderung zu dem exorbitant kapitalkritischen Möbius-Bruder eine ausgesprochen ungewöhnliche.

Was es mit „Hermann von Unna“ auf sich hat

Peter holte damals irgendwelche Unterlagen ab. Es ging um „Hermann von Unna, eine Geschichte aus der Zeit der Vehmgerichte“. Erzählt von Benedicte Naubert, die diesen Roman 1788 (!) veröffentlichte. Die Handlung ist simpel, aber der Roman förderte Unnas guten Ruf Anfang des 19. Jahrhundert in ganz Deutschland: Das Städtchen Unna hat ein wichtiges Salzwerk Königsborn; berühmter  aber ist es durch den viel gelesenen Vehmgerichts-Roman: Hermann von Unna!, schrieb 1834 ein gewisser Carl Julius Weber in seinen „Brief(n) eines in Deutschland reisenden Deutschen“.

Der Roman ist von nicht allzu großer literarischer Qualität. Aber sein Stoff wurde selbst in Schweden und Dänemark aufgegriffen und zu einem Theaterstück umgewandelt. Zu einem Schauspiel in fünf Akten. Mit Chören und Tänzen.

Feuer und Flamme für ein spezielles Vorhaben

Mehr als 200 Jahre später war dieser Stoff für den leidenschaftlichen Theatermann Peter Möbius eine Steilvorlage. Er schrieb mir: „Die Texte der Arien und Chöre sind grauenvoll: „Reim Dich , oder ich fress Dich“. Interessant dagegen sind die musikalischen Regieanweisungen, die Bemerkungen, wo und wie Tanzeinlagen und musikalische Überbrückungen in diesem Schauspiel vorgesehen waren. Du fragst Dich, wie es an der Zeitenwende vom Achtzehnten zum Neunzehnten Jahrhundert zu dieser Modewelle kommen konnte, die sich schwärmerisch dem Mittelalter hingab? Heute, bei uns, nennt man das Ostalgie, wenn die Ossis von vergangenen Zeiten schwärmen (…). Wenn die vertraute Wirklichkeit im Umbruch ist, verklärt sich die Vergangenheit. Das war auch in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert so (…) Das Buch ist ein herrliches und kluges Plädoyer für die Flucht in eine fassbare Fantasiewelt, wenn die Wirklichkeit unfassbar geworden ist. Mehr dazu und was das mit dem Schauspiel „Hermann von Unna“ zu tun haben könnte, ein andermal.“

Peter hatte Feuer gefangen für dieses Projekt. Als ich ihm nachts schrieb, ich hätte endlich die Partitur gefunden für diese Oper, kam seine Antwort prompt. Am nächsten Morgen, kurz nach fünf Uhr: Deine Nachricht beflügelt mich, das Stück abzuschreiben und mit Reinhard Fehling über das Projekt zu reden. Ich kenne sonst niemanden, der so ein musikalisch-theatralisches Vorhaben fachkundig betreuen könnte. Doch das Projekt „Hermann von Unna“ wurde nach diesem kurzen Strohfeuer von uns beiden auf Eis gelegt, nicht weiter verfolgt. Ich bedaure es noch heute.

Argwöhnisch beobachteter Nachlassverwalter

Kennengelernt haben Peter und ich uns Mitte der neunziger Jahre, als ich wirtschaftsförderlich bei der Kreisstadt Unna anheuerte. Peter war für mich von Anfang an mehr als „der große Bruder von Rio“, dem Sängerpoeten, mit bürgerlichem Namen Ralph, dem jüngsten der drei Möbius-Brothers. Und der bekannteste. Als Rio am 20. August 1996 starb, gab es Berlin wenige Tage später zu seinem Abschied ein „Konzert der Freunde“. Ich wäre gerne hingefahren, konnte aber nicht. Aus beruflichen Gründen. Peter schenkte mir den Konzertmitschnitt. Zwei CDs mit Rios Liedern, gesungen von den Rest-„Scherben“, Ulla Meinecke, Marianne Rosenberg, Herbert Grönemeyer und anderen.

Peter wurde mit seinem Bruder Gert Rios Nachlassverwalter. Kein leichter Job, argwöhnisch beobachtet und verbunden mit viel Kritik von Rios ehemaligen Weggefährten und Fans aus der Ton-Steine-Scherben-Zeit. Zum Beispiel dafür, dass sie ein Zeile aus dem Kassenschlager „König von Deutschland“ an einen Elektronikkonzern verkauften, um damit das Rio Reiser-Haus in Nordfriesland als Begegnungsstätte für zwei weitere Jahre finanzieren zu können. Nachlassverwalter war nun weiß Gott nicht der Traumjob dieses Multitalentes, dem es –  das Schicksal vieler Allrounder – leider nicht vergönnt war, mit nur einem Werk oder nur einer Begabung, den ganz großen Durchbruch und die damit verbundene Anerkennung  als Künstler zu erreichen.

Schon mit 16 Jahren Bühnenbild-Assistenz bei Heinz Hilpert

Geboren wurde Peter 1941 in Berlin. Sein Vater war Ingenieur für Kartonverpackungen bei der Siemens AG; da er immer wieder mal versetzt wurde, musste die  Familie mehrmals umziehen. Peters Bruder Gert erinnert sich in seinem Buch „Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser“: „Während ich Lehrling bei der Versicherung war, hatte Peter, nachdem er bei der privaten Kunstakademie März in Stuttgart eingeschrieben gewesen war, mit sechzehn Jahren schon einen Job als Bühnenbild-Assistent am Göttinger Stadttheater, damals noch unter der Intendanz von Heinz Hilpert. Nach seiner Rückkehr nach Schmiden [bei Stuttgart; HD] bewarb er sich bei der Stuttgarter Kunstakademie die Professor Gerhard Gollwitzer, dem Bruder des progressiven Theologen Helmut Gollwitzer und wurde sofort ohne Prüfung aufgenommen.

…und auch noch ein hochbegabter Schauspieler

Die Folge war, dass Rio und mir dieser Bruder immer unheimlicher wurde. Dann bekam er auch noch eine kleine Rolle in dem Film von Frank Wisbar „Hunde, wollt ihr ewig leben“, einem kritischen Stalingradfilm. Mehr ging damals in unserer Familie nicht. Wir alle stürmten das Dorfkino in Schmiden, um zu prüfen, wie künstlerisch nachhaltig unser Familienmitglied den von Kugeln durchsiebten Reichswehrsoldaten darzustellen in der Lage war. Natürlich waren wir einhellig der Meinung, dass Peter das großartig gemachte hatte, und natürlich waren wir felsenfest davon überzeugt, dass er auch in Zukunft andere Rollen glaubwürdig darstellen würde. Eine Schauspielausbildung, diesen teuren Quatsch, so unser Vater, hätte Peter nicht nötig. Von Null auf hundert war er nun nicht nur ein begnadeter Maler, sondern auch ein hochbegabter Schauspieler – am besten Filmschauspieler.“

Später studierte Peter an der Akademie für Bildende Künste in Stuttgart, wo er mit Andreas Weißert Theater spielte. Wohl prägend waren für Peter die jungen Jahre in Nürnberg. Hier gründete er das Comic Teater, auch damals schon ohne „h“ geschrieben. Mit sechs anderen jungen Leute, die sich von der Nürnberger Kunstakademie kannten, zog er im Mai 1965 mit Traktor, einem umgebauten Bauwagen und 30 selbst angefertigten Masken und Kostümen einen ganzen Sommer durch Franken und Oberbayern.

Ohne erfolgreiches Theaterspiel kein Abendbrot

„Doktor, Tod und Teufel“ hieß das Stück, das sie auf Dorfplätzen und Märkten spielten. Eine harte Schule für das Comic Teater: „Wir mussten so spielen, dass das Publikum blieb. Sonst hätten wir kein Abendbrot gehabt. Denn gesammelt wurde erst zum Schluss“, erinnert er sich später in einem Interview.

Politisch prägend für Peter war – wie für viele seiner Generation – der  2. Juni 1967: Die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration am Ku’damm gegen den Schah von Persien. Peter war bei dieser Demonstration dabei. So wurde aus ihm ein Achtundsechziger. Als Andreas Weißert 1975 in Dortmund Oberspielleiter wurde, holte er Peter Möbius vom Theater am Turm, wo er bei Rainer Werner Fassbinder spielte, nach Dortmund.

Bundesweit beispielloses Engagement in Unna

In Dortmund wurde Peter Möbius Leiter des Kinder- und Jugendtheaters. Mit seiner Comic-Truppe inszenierte er 1975 „FeuerZirkus“  und „Die Struwwelpeter Revue“, Stücke die er selbst geschrieben hatte und zu denen Rio Reiser mit den Scherben die Musik machte. Die agile Truppe wurde in Dortmund gekündigt – man unterstellte ihnen Kontakte zu den Möchtegern-Stadtguerilleros vom „2.Juni“, einer RAF-ähnlichen Gruppierung.

Die Stadt Unna hatte damals den Mut, sie über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einzustellen, der ersten für eine Schauspielertruppe bundesweit. Mit dem Hoffmans Comic Teater (HCT) bekam Unna die kritische Masse an Akteuren, die Unna als Kulturstadt geprägt haben. Peter war der Motor und Spiritus Rector. Dabei waren unter anderem Hartmut Hoffmeister, Ingeborg Wunderlich, Andy Koch, Rio Reiser, Martin Paul, Uta Rotermund, Claudia Roth und etliche andere. Daraus entstanden sind zahlreiche kulturelle Einrichtungen, die bis heute das kulturelle Leben von Unna prägen: der Kinderzirkus Travados, das Werkstatt Theater Unna (seit 1999 das „Narrenschiff“), das soziokulturelle Zentrum Lindenbrauerei, das Stadtspielwerk und die Jugendkunstschule, zu deren 40jährigem Jubiläum Peter noch eine viel beachtete Laudatio hielt.

Rio Reiser lieferte oft die Songs zu Peters Projekten

Peters Stärke lag vor allem darin, künstlerische Projekte mit Breitenwirkung zu entwickeln. Immer wieder dabei: sein Bruder Rio Reiser, der zu vielen Projekten die Songs lieferte. Zu diesen Projekten gehörte das „Ruhrschrei-Festival“ unter der Liedbachbrücke in der Massener Heide, die „Märzstürme“ (1981), eine „große Freiheitsrevue“ zur Erinnerung and die Märzrevolution 1920 im Ruhrgebiet, die Unnaer Stadtoper „Wasser des Lebens“ (1989), das Musical „Die Braut der Brüder“, aufgeführt bei den Ruhrfestspielen 1995 sowie seine letzte große Inszenierung „Das Tor zum Paradies , „ein musikalisches Portrait in sieben Bildern“ über den streitbaren Prediger und Komponisten heute noch bekannter Choräle, Philipp Nicolai (1997).

Mit den „Märzstürmen“ zog das Hoffmanns Comic Teater durchs Ruhrgebiet. Zur Vorbereitung interviewte man noch Zeitzeugen, die von den Greueltaten der präfaschistischen Freikorps-Truppen im Ruhrgebiet berichteten. Rio Reiser schrieb dazu wunderbare Lieder. Ton Steine Scherben machte die Musik. Der Schreiber dieser Zeilen kann sich noch heute gut an die Aufführung in einem Zirkuszelt vor dem Dortmunder Stadthaus am heutigen Friedensplatz erinnern. Damals dabei unter anderem, als rotbackige Krankenschwester, die heutige Grünen-Politikerin Claudia Roth und die Dortmunder Kabarettistin Uta Rotermund.

Die Geschichte des inzwischen legendären Hoffmans Comic Teater wollte Peter immer aufschreiben. Ob er es noch geschafft hat, weiß ich nicht. Immerhin gab es 2018 in Unna noch eine Ausstellung: „51 Jahre Hoffmanns Comic Teater 1965 – 1981. Spuren und Impulse einer aufsässigen Künstlerbande“. „Dario Fo“, sagte er einmal, „das war unser Vorbild.“

Grafik und frühe Computer-Experimente

Peter Möbius war nicht nur Theatermann mit Leib und Seele, sondern auch ein hervorragender Grafiker. Er gestaltete etliche Programmhefte für das Summertime-Kulturprogramm in Unna, das er ebenfalls inspiriert und künstlerisch betreut hatte. Ein anderes Projekt von Peter, Jahre später, konnte leider nicht realisiert werden: Ein Computerspiel, das er in unzähligen Stunden in den neunziger Jahren am Computer entwickelte. Mit magischen Bildern und einer phantastischen Geschichte, alles am Computer mühevoll „gezeichnet“. Grafikprogramme gab es damals noch nicht. Daraus sollte eine CD entstehen. Diese Silberlinge kamen damals gerade auf  und waren so „in“ wie heute das Streamen. Ich konnte im den Kontakt zu einem Produzenten von CDs vermitteln. Der spezialisierte sich allerdings, wie sich dann herausstellte, mehr auf Pornos. Die waren marktgängiger. Das Projekt verschwand im digitalen Nirwana.

Einer, der sich ins politische Geschehen einmischte

Peter betätigte sich auch als Filmregisseur. 1990 war er als Autor und Koregisseur (mit Uwe Penner) von „Türmers Traum“. Der Film war ein Beitrag zur 700jährigen Geschichte der Stadt Unna. Mit rund 300 Mitwirkenden, darunter viel Volk, einigen Kommunalpolitikern, sowie Roman Marczewski, dem  heutigen Präsidenten des Ruhrgebiets-Karnevals Geierabend, und Cäcilie Möbius, Peters Tochter, heute Schauspielerin beim Theater Narrenschiff und anderswo. 1997 drehte Peter ein TV-Porträt seines Bruders Rio Reiser: „Ich bieg’ dir den Regenbogen – ein biografischer Dokumentarfilm“.

Als politischer Mensch mischte sich Peter Möbius immer wieder ein in das politische Geschehen seiner Wahlheimat Unna. Das brachte ihm nicht nur Freunde. Er war Mitgründer der Alternativen Liste in Unna, der GAL. Schrieb ein lesenswertes Memorandum zur Weiterentwicklung der Kulturpolitik in Unna, das leider viel zu wenig Beachtung fand. 2008 war er Mitinitiator eines Bürgerbegehrens. Verkleidet als Kommerzienrat, schlug er mit einer Glocke Alarm gegen den Abriss historischer Bausubstanz in Unnas historischer Innenstadt und ihren vermeintlichen Ausverkauf an Investoren. Der Mann mit Hut und Weste wusste, wie man Theater für`s Volk macht.

Peter Möbius starb in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag, am 13. April, im Alter von 78 Jahren an einer Krebserkrankung.




Jetzt aber: Mit Frühlingsbildern der Krise trotzen!

Impression aus der Dortmunder Stadtkrone Ost (da, wo die ganzen IT-Firmen sitzen). (Foto: Bernd Berke)

Machen andere Medien ja auch mit wachsender Begeisterung: frühlingshaft- hoffnungsvolle Natur-Aufnahmen gegen die Corona-Krise stellen. Warum auch nicht? Und bitte verzeiht die Bindestrich-Inflation…

Blüte in der nördlichen Gartenstadt. (Foto: Bernd Berke)

Abendlicher Blick nach Westen. (Foto: Bernd Berke)




Beileibe nicht nur wegen Corona: Nachdrückliche Empfehlung eines ehrgeizigen Streaming-Dienstes für Kinofilme

Ein Esel als Sinnbild des Leidens: Screenshot aus Robert Bressons außerordentlichem Film „Zum Beispiel Balthasar“. (Mubi)

…und noch eine Online-Empfehlung für diese Tage mit ihren Beschränkungen; nicht nur, aber auch für die Osterzeit. Nein, ich rede nicht von Netflix. Da kann man zwar auch mal reinschauen, wenn man mag. Weitaus schätzenswerter finde ich persönlich jedoch einen anderen Auftritt mit Kino-Streaming, nämlich MUBI.com/de

Damit erneuere, bekräftige und variiere ich eine vor rund anderthalb Jahren schon einmal ausgesprochene Empfehlung. Nennt es meinethalben „Schleichwerbung“. Aber das wäre unsinnig, da der lobende Hinweis ja ganz offensiv daherkommt. Es wird nichts verschleiert.

Nur ein Beispiel dafür, was einen bei Mubi erwartet: Gestern Abend – also am Karfreitag – habe ich dort einen der heimlichen (und unheimlichen) Höhepunkte der Nachkriegs-Filmgeschichte wiederentdecken dürfen, nämlich Robert Bressons ungemein bewegenden Film „Zum Beispiel Balthasar“ („Au hasard Balthazar“) von 1966, der die Leidens- und Passionsgeschichte unserer Gattung erzählt, freilich immer wieder gebündelt und gespiegelt im Leben eines geschundenen Esels.

Wie dieses Tier aus großen fragenden Augen schaut, wenn es wieder einmal gequält wird! Wie kreatürlich seine Schmerzenslaute sind! Wie inständig es das Elend in einer gierigen, selbst- und herrschsüchtigen Welt als manchmal störrisch-widerständiges, aber letztlich wehrloses Opfer verkörpert, so dass einem am Ende schier zum Heulen zumute sein muss! Obwohl Bresson manches nur andeutet, ist dieser durchaus notwendige Film doch schwer auszuhalten.

Die ganze Welt in eineinhalb Stunden

Jean-Luc Godard hat über „Au hasard Balthazar“ gesagt, der Film enthalte die ganze Welt in eineinhalb Stunden. An dieser Einschätzung ist viel Wahrheit. Auch Größen wie Louis Malle und Marguerite Duras haben – neben vielen anderen – die außerordentliche Bedeutung dieses Films hervorgehoben. Hier ein Auszug ihrer Stellungnahmen.

Nicht selten finden sich im laufenden Mubi-Programm solche großartigen Klassiker, die man sonst allenfalls in Retrospektiven sehr ambitionierter Arthouse-Kinos zu sehen bekäme, welche speziell im Ruhrgebiet schon bislang kaum zu finden sind. Und wer weiß, welche Häuser nach den zwangsläufigen Schließungen in der der Corona-Krise noch übrig bleiben werden… Ein trauriges Thema für sich.

Doch gehören zum Mubi-Angebot nicht nur Meisterwerke der Kinogeschichte, sondern auch an- und aufregende Entdeckungen, Festival-Raritäten sowie Streifen aus Ländern, deren Filmschaffen man sonst kaum zur Kenntnis nimmt. Begrüßenswert auch die jeweilige Wahlmöglichkeit, Filme in den Originalsprachen (mit oder ohne Untertitel) zu sehen.

Mubi hält nicht alle Filme auf längere Dauer bereit, sondern jeweils nur für einen Monat. Man stellt pro Tag ein neues Werk ein, wofür wiederum ein anderes ausläuft. Auf diese Weise schichtet man das Programm alle 30 Tage komplett um. In einer angegliederten Community kann man sich gegenseitig Filme empfehlen und darüber diskutieren. Ein Angebot für echte Cineasten also. Ich mag nicht mehr darauf verzichten. Und das bestimmt nicht nur wegen Corona.




„Kunst und Verbrechen“: Von Räubern, Fälschern, Schmugglern, Händlern und zwielichtigen Experten

Vom Kunstmarkt vernimmt man hier nichts Gutes: Die Sitten auf diesem Gelände seien ziemlich verroht. Es gehe im Handel oft sehr intransparent zu, es fehlten wirksame Kontrollen. Häufig erfahre die Öffentlichkeit nichts über Kunst-„Entführungen“ („artnapping“), Erpressungen und Lösegeldzahlungen durch Versicherungen, bei deren Aushandlung Anwälte kräftig mitverdienen. Und das alles in den Gefilden der ach so hehren Kunst! Auf dem globalen, höchst lukrativen und vielfach irrational aus den Fugen geratenen Markt zählen kulturelle Werte freilich eh nur als begehrtes Statussignal.

Stefan Koldehoff und Tobias Timm erzählen in ihrem Buch „Kunst und Verbrechen“ zahlreiche spektakuläre Fälle nach – angefangen mit der 1911 aus dem Louvre gestohlenen „Mona Lisa“. Sogar Pablo Picasso ist damals vorübergehend in Verdacht geraten. Wie sich zwei Jahre später herausstellte, war es jedoch ein Insider-Diebstahl, begangen von einem Glaser mit Hilfe zweier Spießgesellen. Das Gerichtsurteil fiel dann übrigens recht milde aus – gerade einmal 7 Monate Gefängnis. Koldehoff und Timm finden überhaupt, dass Verbrechen mit und an der Kunst meist nicht angemessen bestraft werden. Wenn aber jemand eingesperrt wurde, konstatieren sie es zuweilen mit einer gewissen Genugtuung.

Heute geht es oft brutaler zu

Die Sache mit der Mona Lisa begab sich, folgt man diesem Buch, sozusagen noch in der guten alten Zeit des Kunstdiebstahls. Heute gehe es zumeist entschieden brutaler zu. Vielfach seien in den letzten Jahren ehemalige Soldaten aus osteuropäischen Ländern tätig geworden, die auf offener Museumsszene mit Schusswaffengebrauch drohten. Vorstellungen wie die vom Kunstliebhaber als Auftraggeber, der seine Herzenswerke im geheimen Keller nur für sich betrachten wolle, hätten hingegen nichts mit der rauen Wirklichkeit zu tun.

Fortan geht’s etwa um den Goya-Diebstahl aus der National Gallery in London von anno 1961 durch einen ehemaligen Lkw-Fahrer, der im allerersten James-Bond-Film („Dr. No“) seinen Niederschlag fand; darum, wie Werke von William Turner und C. D. Friedrich aus der Frankfurter Schirn „verschwinden“ konnten; um den Coup, bei dem jene unschätzbar wertvolle Goldmünze unlängst aus dem Berliner Bodemuseum gestohlen wurde.

Fall für Fall, Skandal für Skandal

Kurzum: Die Autoren handeln Fall für Fall und Skandal für Skandal ab, in streckenweise genüsslichen, manchmal gar zu detailreichen Ausführungen. Da dürfen wir auch schon mal erfahren, dass ein Angeklagter sein Gesicht hinter der Schrift „Wissen und Staunen“ verbarg oder bei welchen Worten des Richters einer sich selbst unwillkürlich den Nacken massiert hat. Ein beherzter Lektor hätte hie und da getrost zu Kürzungen raten dürfen. Die eine oder andere Korrektur (z. B. steht auf Seite 213 „Kaspar“ statt Kasper König) oder stilistische Glättung hätte auch nicht geschadet.

Im weiteren Fortgang des Buches werden auch etliche Fälle von Kunstfälschung aufgegriffen, geradezu notorisch bei Werken der russischen Moderne, zu denen sich besonders gut Provenienzen (Angaben zur Herkunft des Bildes) erdichten ließen. Auch waren einigermaßen talentierte Fälscher in der Lage, recht gut mit den Bildelementen dieser Kunstrichtung zu hantieren. Ein paar typische Grundformen nachgeahmt, vorsichtig variiert – und fertig war die täuschend ähnliche Schöpfung… Auch der Stil von Modigliani hat geradezu massenhaft Fälschungen nach sich gezogen.

Machenschaften von Kujau und Achenbach

Der nicht nur moralisch fragwürdige, schwunghafte Handel mit (häufig plump gefälschten) Nazi-Reliquien wird hernach ebenso aufgegriffen wie die Machenschaften des Meisterfälschers Konrad Kujau (angebliche „Hitler-Tagebücher“) oder die abenteuerlichen Geschichten um den windigen „Kunstvermittler“ Helge Achenbach, der das Vertrauen vieler steinreicher Leute hatte, aber schließlich vom Aldi-Clan (Berthold Albrecht) verklagt wurde, weil er offenbar Kaufpreise heftig zu seinen Gunsten manipuliert hatte und somit weit überhöhte Provisionen kassiert haben soll. Ferner geht es um zwielichtige Massen-Auktionen, gefälschte Bücher, Antiken-Schmuggel, Raubgräber und Geldwäsche mittels Kunstkauf. Und so weiter, beinahe ad infinitum.

Da kommt dermaßen viel kriminelle Energie zusammen, dass sich Koldehoff und Timm mehrfach bemüßigt sehen zu erwähnen, dass die weit überwiegende Mehrheit des Kunsthandels seriös zu Werke gehe. Sie reden also von den berühmt-berüchtigten „Schwarzen Schafen“. Nun ja. Nach Lektüre dieses Bandes sieht man gleichsam an jeder Ecke solche seltenen Tiere.

Kernfragen erst ganz am Schluss

Welche Verhältnisse und Strukturen den Kunstmarkt bestimmen, kommt neben all den windungsreichen Geschichten eher zwischendurch und nebenher zur Sprache. Gar zu süffig lassen sich manche Einzelheiten der Fälle nacherzählen. Da muss die eigentliche Analyse eben beiseite stehen und warten. Einige entscheidende Fragen werden tatsächlich erst ganz am Schluss gestellt, die gut und gern schon vorher explizit hätten einfließen und erwogen werden können. Aber man kann ja auch verstehen, das die vielen Recherchen nicht einfach verpuffen sollen. Also werden sie auserzählt. Auf der Zielgeraden (Seite 298) entfährt den Autoren dieser Stoßseufzer: „Es gäbe noch unendlich viele weitere solcher Geschichten zu erzählen…“ Gnade!

Jedenfalls wird im Laufe der Lektüre zunehmend klar, dass auf dem Kunstmarkt etliche Grauzonen existieren, in denen kriminelle Kumpanei und Korruption gedeihen. Gelegentlich erliegen in diesem Umfeld auch renommierte Experten der Versuchung, für allerlei Vergünstigungen zweifelhafte Echtheits-Expertisen auszustellen. Gefälligkeits-Gutachten scheinen demnach gar nicht so selten zu sein.

Noch ein bescheidener Wunsch, vielleicht für eine zweite Auflage, sofern es dazu kommen sollte: Wenn schon derart viele Fälle geschildert und so viele Personen genannt werden, warum dann eigentlich kein ausführliches Sach- und Personenregister, das den Band im Sinne eines Nachschlagewerks ungleich besser erschließen würde? Und warum nicht etwas mehr Bebilderung? War es eine reine Kostenfrage?

Stefan Koldehoff / Tobias Timm: „Kunst und Verbrechen“. Galiani Berlin. 320 Seiten. 25 Euro.




Virus der Ratlosigkeit: Diese und jene Frage über Corona hinweg

Natürlich kein Virus, sondern ein Nahrungsbild, das während einer Speisenzubereitung in der Küche entstanden ist. Und nein: Es ist auch wirklich kein Spiegelei. (Foto: Bernd Berke)

Für virologische Expertisen sind wir hier absolut nicht zuständig. (Ich höre schon Euer Loriotsches „Ach was…“). Auch steht uns selbstverständlich keine politische Entscheidung zu, es sei denn: als indirekte Teilhabe im Rahmen unserer demokratischen Rechte (manche unken auch schon: unserer verbliebenen Rechte). Es interessiert einen im Überlebensfalle freilich schon sehr, wie diese, unsere Gesellschaft „nach Corona“ aussehen könnte. Daher diese oder jene ratlose Frage.

1) Wird eine gewachsene Mehrheit künftig in verstärktem Maße immer gleich nach dem Staat rufen, der gefälligst alles regeln und möglichst auch bezahlen soll? Wie verträgt sich das mit dem Anspruch so vieler Gruppierungen, selbst möglichst immer weniger Steuern zu bezahlen? Der Staats soll’s haben und richten – aber woher und womit?

2) Wird sich dieser etwaige Impuls der Staatsfrömmigkeit von Land zu Land unterscheiden? Werden etwa die Bürger Frankreichs widerspenstiger sein als „wir“?

3) Sollten wir nicht heilfroh sein, dass es hier bei allem nötigen Reglement demokratisch zugeht und die Menschen nicht – wie in furchtbar vielen autokratischen Ländern der Welt – brutal in die Quarantäne geprügelt oder ins Jenseits geschossen werden?

4) Gibt es neben den vielen, vielen, die wirklich bedürftig sind und auf Unterstützung hoffen, auch solche, die vorher schon halb in der Krise waren und sich nun mit dem Anker von Staatshilfe retten wollen? Wird die Bedürftigkeit überprüft oder wird im Überschwang alles durchgewunken?

5) Und wie verhält es sich mit den Profiteuren, deren Geschäftsmodell haargenau zur gegenwärtigen Lage passt? Sollten sie nicht etwas abgeben?

6) Nebenfrage: Wie halten es eigentlich die sogenannten „Reichsbürger“ mit den diversen Rettungsschirmen und Hilfspaketen? Die Idioten nehmen doch sicherlich gern Knete vom Staat, den sie ansonsten nicht anerkennen, oder?

7) Wer glaubt wirklich, dass die Reichen, Begüterten, Betuchten und Wohlhabenden ihr Geld überwiegend in lebenswichtiges Produktivvermögen gesteckt haben, in Fabriken, Maschinen, Personal – und es nur in ganz bescheidenem Maße zur persönlichen Verwendung antasten?

8) Ist es nicht erstaunlich, dass nun etliche Leute bereit sind, vorübergehende Staatseingriffe in die Wirtschaft, wenn nicht gar Verstaatlichungen bestimmter Bereiche hinzunehmen, die solcherlei Ansinnen vor kurzer Zeit noch als Teufelswerk bezeichnet hätten?

9) Ist außer den lukrativ Beteiligten jemand dagegen, das in den letzten Jahren teilweise kaputtgesparte und neoliberal privatisierte Gesundheitswesen wieder weitgehend in öffentliche Regie zu übernehmen?

10) Werden dann die Angehörigen der Pflegeberufe (und einige andere Berufsgruppen) endlich angemessen bezahlt? Hat man denn nicht gesehen, dass das Virus auch die Klassenfrage neu aufgeworfen hat?

11) Wird dem Staat künftig generell mehr überantwortet oder aufgebürdet? Soll er uns im Gegenzug allweil gängeln dürfen?

12) Werden viele Menschen nach staatlicher Autorität geradezu lechzen, nach der harten Hand des Staates?

13) Wird zugleich der Asozialtypus des „Blockwarts“ (und des Denunzianten) wieder hervortreten und dumpf auftrumpfen, der es den Hedonisten mal so richtig zeigt?

14) Haben nun auch die Apokalyptiker Hochkonjunktur?

15) Löst der um sich selbst besorgte „Prepper“ den Hedonisten als Rollenmodell ab? Haben beide etwa insgeheim Gemeinsamkeiten? Was unterscheidet den Prepper vom gewöhnlichen Hamsterer?

16) Mag man die schicksalsergebene Wendung „In den Zeiten von Corona“ noch hören?

17) Wird, sofern Corona vorüber oder zumindest behandelbar ist, hierzulande alles rasend schnell nachdigitalisiert? Werden wir in dieser Hinsicht gar zu Litauen und Albanien aufschließen?

18) Wird die wild ins Kraut geschossene Globalisierung zum Teil zurückgedreht? Werden lebenswichtige Güter künftig wieder häufiger in Deutschland und Europa hergestellt – zu deutlich höheren Kosten als Preis der Versorgungssicherheit?

19) Wird es eine Wiederkehr der Nationalstaaten als Leitbild geben? Kann das zu ungeahnten Animositäten führen, die man längst überwunden glaubte?

20) Wird der angebliche Trend zu seriösen Medien von Dauer sein? Widerstehen die meisten Menschen nun der Versuchung zu unsinnigen Verschwörungstheorien? Lauern Populisten schon seit Wochen auf ihre Chance?

21) Soll man jetzt wirklich Masken tragen? Wie muss man sich beispielsweise Schulklassenfotos vorstellen, auf denen alle mit Masken versehen sind?

22) Um nach den hauptsächlichen Teilen einer Zeitung zu fragen: Werden wir hernach eine andere Politik, eine andere Wirtschaft, eine andere Kultur, einen anderen Sport und andere Gemeinden haben?

23) Wird sich das Verhältnis zu Migranten und Geflüchteten ändern? Werden die Religionen und Konfessionen anders miteinander umgehen?

24) Wird man den Klimawandel und die Folgen in einem anderen Licht sehen?

25) Wann wird es Impfstoffe und Medikamente geben?

26) Wann dürfen wir wieder dieses und jenes tun?

27) Ist es nicht jammerschade, dass wortmächtige Intellektuelle wie der heute (von der Neuen Zürcher Zeitung) vorübergehend irrtümlich totgesagte Hans Magnus Enzensberger sich nicht zum Themenkreis äußern?

P. S.: Immerhin hat sich im Monopol-Magazin und im Cicero Alexander Kluge zu Wort gemeldet.

 




Home Office: Notizen aus der Inneren Coronei

Das Virus, das Papier und ich. (Foto: Herholz)

Wirklich kaum zu beschreiben, was ich gerade fühle, denke, wie ich gerade lebe. Alles schwankt zwischen Idyll und Apokalypse, Frühlingserwachen und Totenstarre. Oder, um im schrägen Bild zu bleiben: Ich sitze auf dem Rasiersitz unterm Damoklesschwert. Von hier aus sieht vieles ziemlich verzerrt aus, selbst so ein klitzekleines Virus wirkt erdballgroß. Da hilft nur kräftiges Gegensteuern.

Also Terrasse kärchern, Fenster putzen, Türen abwaschen, Hilfskoch lernen und der Frau auch sonst zu Diensten sein, selbst eine schöne Wohnung würde sonst sehr schnell sehr eng werden. Man könnte natürlich an Flucht denken, aber dann denkt man zugleich an das unerträgliche Leid von Flüchtlingen und bleibt lieber daheim, wo’s noch Sauvignon Blanc gibt. Doch selbst unter Alkoholeinfluss schlägt der Aktionismus langsam um in Lethargie. Eine Art existenzieller Lähmung. Ich zum Beispiel schlafe viel, aber nicht gut. Selbst die Träume strengen an, oft bin ich froh, morgens endlich aufwachen zu dürfen.

Muße im Auge des Orkans?

Viele empfehlen mir jetzt zu lesen, mich weiterzubilden, zu bewegen. „Don’t worry, be happy“? Als ob dieses „Stay At Home“ eine Kur ohne jeden Schatten wäre, in der man ganz entspannt zur Ruhe käme, Muße fände, gar in einen Zustand der Kontemplation geriete. Ich aber bin durchaus nervös, manchmal sogar ängstlich, schließlich kommt das Virus täglich näher, ich gehöre zur Risikogruppe der über Sechzigjährigen und schon jetzt ist absehbar, dass es demnächst kaum Beatmungsgeräte für alle geben dürfte. Und dabei bin ich doch gesetzlich versichert und zahle seit über vierzig Jahren ein! Habe schon überlegt, ob ich alles daransetze, mich in den nächsten Tagen noch rechtzeitig zu infizieren, damit man mich auf der Intensivstation von St. Euthanasius fristgerecht aufnimmt, bevor Triage-Ärzte mich als unwertes Leben aussondern müssen; Stichwort: alter weißer Mann, Vorerkrankung: chronische Patriarchitis.

ALDI lieben Leute

Gestern habe ich aus diesem Grund freiwillig gleich drei Supermärkte aufgesucht. Uns mangelte es tatsächlich an Toilettenpapier – und Walnusskernen (für leckeren Flammkuchen, Henkersmahlzeit à l’Alsace). Einkaufen war bisher eigentlich durchaus okay. Bei REWE haben wir neulich alle miteinander laut gelacht, als ein freundlicher Hüne einer Verkäuferin zurief: „Toilettenpapier? Keines? Was ist bloß los mit den Leuten. Haben die alle zwei Jahre lang nicht geschissen?“ Gute Frage.

Gestern bei ALDI in Buer jedoch wurde schon stärker am Lack der Zivilisation gekratzt. Ein Verkäufer dort hatte mir am Montag gesteckt, dass am Mittwoch ab 10 Uhr Toilettenpapier nachgeliefert würde. (Uhrzeit aus naheliegenden Gründen geändert.) So war’s dann auch, ungefähr. Nachdem ich mich schon eine Viertelstunde bei ALDI herumgedrückt hatte, wurde um 10.25 Uhr die Palette mit dem guten Vierlagigen in den Gang vors leere Mehlregal geschoben.

Ich stand vorne in der Warteschlange. Dass da gleich Bückware käme, hatte sich herumgesprochen. Der Verkäufer forderte uns diabolisch grinsend auf, die Plastikverpackung der hochgestapelten Lieferung „kokett. supersoft & saugstark“ doch selbst aufzureißen. Gesagt, getan. Weil von hinten gedrängelt wurde und von der Seite Querulator-Omas und eine Kopftuchfrauen-Gruppe heranstürmten (Wo ist die infektionsverhütende Burka, wenn man sie braucht?), gab ich in Notwehr einige Packungen nach hinten und zur Seite durch, dann nahm ich mir selbst eine und entkam der schwer atmenden Menschentraube in Richtung Kasse. Geschafft! Denkste.

Kasse und Schlange

Plötzlich hörte ich hinter mir die Stimme eines älteren Herrn, der eine durchaus gut situierte Dame zu mehr Distanz aufforderte, weil die nicht auf die Markierung des Sicherheitsabstandes geachtet hatte. Doch die zündelte zurück: „Jaja, nu bleibense ma ruhig.“ Der Herr allerdings wies mit Recht darauf hin, dass es hier auch um seine Gesundheit ginge und der Sicherheitsabstand nun mal sinnvolle Vorschrift sei. Zugegeben, er klang etwas besserwisserisch, aber kein Grund dafür, dass die Dame erst loskeifte, sich dann in Rage brüllte und den gesamten Kassenbereich als Bühne nutzte, um sich als Mansplaining-Opfer zu inszenieren.

„Diese Striche da sind mir scheißegal. Ich habe vor zwei Tagen meinen Vater verloren, da habe ich ganz andere Sorgen als Ihren Scheißsicherheitsabstand.“ Ob dieser Logik waren wir alle etwas perplex. Über allen Kunden standen Comic-Denkblasen: Vater tot, herzliches Beileid, aber deshalb sollen als Kollateralschaden zur Not auch ein paar andere dran glauben? Als der Herr es wagte, noch etwas einzuwenden wie „Tut mir leid für Sie, aber das ist kein Grund hier so …“ konterte die Dame mit einem herzhaften „Dann bleiben Sie doch mit Ihrem Arsch zu Hause, wenn Ihnen das hier nicht gefällt.“
So viel zur Nächstenliebe in den Zeiten von Corona.

Was wird erst geschehen, wenn Produzenten und Transporteure wichtiger Nahrungsmitteln massenweise erkranken, wirklicher Mangel eintritt und härtere Verteilungskämpfe ausgefochten werden?

Hellsichtiges in dunklen Zeiten

Und wem könnte das nützen? „Follow the money“, dieses Motto zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität drängt sich doch regelrecht auf. In den besten Momenten meiner derzeitigen Unruhe sehe ich alles sehr, sehr klar:

Das Corona-Virus wurde in geheimen Laboratorien der CIA entwickelt, um amerikanische Heuschrecken zu stärken und deutsche Ökonomie zu schwächen. Details gefällig? Die Strippenzieher gehen von der begründeten Hoffnung aus, dass der Ex-BlackRocker Friedrich Merz spätestens 2021 Kanzler wird. (Zwar ist der jetzt selbst an Corona erkrankt, doch das ist bloß ein Ablenkungsmanöver, so wirkt er umso unverdächtiger. Außerdem gibt’s längst ein Antivirus für den Inner Circle des großen Geldes und seine Handlanger.)

Merz wird also Kanzler und kann dann ungehindert die profitable Privatisierung der Rentenversicherung vorantreiben und dafür sorgen, dass die DRV an den US-amerikanischen Hedgefonds BlackRock verscherbelt wird, der für eine Übergangszeit alle Einnahmen und Ausgaben der DRV zu übernehmen hat, bevor er mit dem Pensionsfonds zu spekulieren beginnt. Damit sich die Übernahme für BlackRock aber richtig lohnt, muss die DRV zuvor ihre Rücklagen sichern und Ausgaben senken. Verstehen Sie? Je weniger Rentner/innen das Corona-Virus 2020 überleben, desto besser für BlackRock, weil die Ausgabenseite der DRV grundbereinigt wird. Für alle aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, die an diesem Deal beteiligt sind, wird gesorgt werden, versprochen. Noch Fragen? Na, sehen Sie.

Auf was man so alles kommt, wenn man mit dem Arsch zu Hause bleibt.