Mubi, alleskino und realeyz: Drei Kino-Streamingdienste mit cineastischem Ehrgeiz

Seit einigen Wochen schaue ich gelegentlich bei MUBI rein. Das ist ein Kino-Streamingdienst, der deutlich abseits vom Mainstream operiert und vorwiegend Independent-Filme vorhält; zum Teil auch Besonderheiten, die es selbst in manchen Programmkinos schwer hätten.

Wahrlich keine kindgerechte Umgebung - Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film von 1964.

Wahrlich keine kindgerechte Umgebung – Screenshots aus Peter Nestlers Mülheim-Film von 1964.

Bevor hier jemand „Schleichwerbung“ grummelt, sei die ebenfalls achtbare direkte Konkurrenz genannt. Bei www.alleskino.de erhält man einen Überblick zum ambitionierten deutschen Filmschaffen, www.realeyz.de ist ein cineastisch kuratierter, international ausgerichteter Auftritt von einigen Graden. Nur gut, dass es diese drei Offerten gibt, die den globalen Riesen Netflix, Amazon, Maxdome etc. wenigstens ein paar filmkünstlerische Statements entgegensetzen. Demnächst wird wohl auch bei uns noch www.sundancenow.com hinzukommen.

Das Prinzip bei www.MUBI.com lautet, stets 30 Filme vorrätig zu halten. Pro Tag kommt einer hinzu – und dafür verschwindet ein anderer, der halt schon 30 Tage lang im Angebot ist. Nach einem Monat hat sich also der ganze temporäre Bestand einmal umgewälzt.

Die Wiederentdeckung des Filmemachers Peter Nestler

In den letzten Tagen hält man die Abonnenten zeitlich etwas knapper. Statt dass pro Tag (wie sonst meist üblich) ein mehr oder weniger abendfüllender Streifen hinzukommt, speisen sie einen mit lauter Viertelstunden-Stückchen ab. Davon könnte man ruhig vier oder fünf auf einen Hieb präsentieren. Warum eigentlich nicht, wenn man schon eine solche Wiederentdeckung im Köcher hat?

Es handelt sich um kurze Dokumentarfilme von Peter Nestler, der schon in den frühen und mittleren 1960er Jahren prägnante Sozialreportagen gedreht hat. Kein Geringerer als Jean-Marie Straub hat Nestler als den wichtigsten Nachkriegs-Filmemacher Deutschlands bezeichnet. Welch ein Ritterschlag!

Nestler hat sich damals in den Armutszonen Griechenlands ebenso umgetan wie im rheinischen Weinbaugebiet. Fast überall dasselbe, freilich je nach Region variierte Grundmuster: ungemein harte Arbeit, arg begrenzter Lohn, Ablenkung und mitunter Betäubung durch gehörige Mengen an Alkohol und Zigaretten.

Das Ruhrgebiet des Jahres 1964

Kein Wunder also, dass der gebürtige Freiburger Nestler auch im Revier unterwegs war. Ein rund viertelstündiger Film ist 1964 in Mülheim/Ruhr entstanden. Und obwohl man jene Lebenswelt teilweise noch selbst erlitten hat, erschrickt man doch zutiefst ob der trostlosen Schwarzweißbilder. Dieser ungeheuer dichte Smog! Da tanzt ein kleines Mädchen im fast undurchdringlichen Nebel und es ist ein berührendes Inbild der Lebensfreude inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung.

Typen in einer Revierkneipe - weiterer Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film.

Typen in einer Revierkneipe – weiterer Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film.

Die Erwachsenen scheinen indes alle kopflos eilig vorüber zu huschen, als wollten sie der Kamera möglichst rasch entgehen – und als gäbe es durchaus Dringlicheres zu besorgen. Was ja wohl auch gewiss der Fall war.

Und immer wieder dieser Nebel, schlimmer als in einer Edgar-Wallace-Verfilmung der späten 50er und frühen 60er Jahre. Dabei gab es in den fraglichen Vierteln nur ganz wenige Autos. Doch die Schwerindustrie stand noch unter Volldampf.

Sodann die vielfach noch vom Krieg und von Nachkriegsentbehrungen gezeichneten Menschentypen, die damals die Gegend prägten. Sehr knorrig und kernig, sozusagen durch und durch rußig, gar nicht „schick“. Und wie bedenkenlos sie gezecht und geraucht haben. Übler als die verpestete Luft ringsum konnte das ja auch schwerlich sein. Seltsam zu denken, dass und wie man sich als Kind in diesem Umfeld bewegt hat.

Wie bitte? Ja, natürlich sollt ihr noch weiterhin fleißig in die Programmkinos gehen. Was für eine Frage! Das Erlebnis im Kino ist durch kein Streaming und durch keinen Beamer zu ersetzen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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