Operetten-Passagen (7): Bei Paul Abrahams „Ball im Savoy“ in Koblenz tanzt der braune Schatten mit

Szene aus "Ball im Savoy" von Paul Abraham am Theater Koblenz. Foto: Matthias Baus

Szene aus „Ball im Savoy“ von Paul Abraham am Theater Koblenz. Foto: Matthias Baus

Berlin, Februar 1933: Drinnen im Großen Schauspielhaus bejubelt die Menge der Zuschauer die neueste Operette „Ball im Savoy“. Draußen am Bühneneingang steht ihr Autor, Paul Abraham. Nazi-Schläger bedrohen den jüdischen Komponisten und hindern ihn mit Gewalt, das Theater zu betreten. Ein paar Tage später lässt Abraham den Ort seiner Triumphe hinter sich, flieht aus Berlin. „Die werden doch keinen Krieg gegen die Operette führen?“, soll er noch kurz zuvor ungläubig gefragt haben. Oh doch, haben sie geführt, und zwar mit unheimlicher Konsequenz.

Koblenz, November 2017: In der Villa des Marquis Aristide de Faublas tanzen eine Menge Gäste in den Morgen, an dem das junge Paar soeben ein pikantes amouröses Problem gelöst hat. Zunächst kaum bemerkt mischen sich zwei Männer im Schwarz der SS unter die Nachtschwärmer, zwei weitere schieben sich nach vorne.

Die Uniformierten beginnen im Takt der Musik zu marschieren. Hinter ihnen formieren sich die Feiernden zur Front. Das Licht wird fahl, Abrahams schmissige Klänge mutieren, ohne sich zu verändern, zum bedrohlichen Kampflied. Der Gleichschritt vertreibt das Paar: Mit seinen von den Flitterwochen noch nicht ausgepackten Koffern eilt es hinaus.

Inszenierung zeigt Brisanz der Zeit

Mit dieser Szene hat Regisseur Ansgar Weigner in Paul Abrahams „Ball im Savoy“ am Theater Koblenz die ganze Brisanz der Zeit des „tragischen Königs der Operette“ – wie ihn sein Biograf Klaus Waller nannte – eingefangen. Abraham versucht 1933 in Wien und Budapest, weiterzumachen, als habe sich in Europa nichts verändert, rettet sich 1939 in die USA, verkraftet den tiefen Fall und die Erfolglosigkeit nicht und kehrt psychisch zerrüttet erst 1956 nach Deutschland zurück.

Seine Musik wird nach den Krieg verharmlost und ironiefrei für den Heile-Welt-Kitsch verwendet, mit dem die „gesunde“ Operette gemäß der Kulturideologie der Nazis das Volk unterhalten sollte. Weigner macht deutlich, wie schnell der Vulkan ausgebrochen ist, auf dem man frivol und scheinbar unberührt von Politik getanzt hat.

Schon vor dem Finale des Operettenabends deutet sich an, dass der nächtliche Tanz im noblen Hotel nicht so harmlos unbeschwert ist, wie der temporeiche Schwank um die Ehe des Ex-Lebemanns und seiner zunächst arglosen Frau vermuten ließe. Da schleichen Gestalten durch das pragmatisch aus ein paar Hängern gebaute Bühnenbild von Kristopher Kempf und haben Augen und Ohren weit offen. Da wird am Rande ein Transvestit verhaftet und ein Kellner zusammengeschlagen.

Schon zu Beginn mischt sich ein Brauner unter die Gäste, die das Paar bei seiner Rückkehr aus dem Hochzeitsurlaub begrüßen. Aber Weigner lässt die Gelegenheit ungenutzt, an dieser Stelle dem bewusst zuckersüßen Postkarten-Kitsch der Introduktion schon den Schatten der untergründigen Gefahr an die Seite zu stellen. Das holde Venezia, das Abraham mit allen bewusst eingesetzten Klischees ausstaffiert und auf das Kempf eine herzförmige Reiseroute projiziert, bleibt zunächst unbehelligt.

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Dann widmet sich Weigner dem ganzen kosmopolitischen Personal von Abrahams Operettenwelt: Dem französischen Roué Aristide, dem Michael Siemon seine angenehm entspannte und klangvolle Stimme leiht und der nur zu dankbar für jede Ausrede ist, um sein altes Leben wenigstens für eine Nacht weiterzuführen. Dem beflissenen Kammerdiener Archibald, den Sebastian Haake nicht an die ausgeleierten Klischees des alten Komödianten verrät. Der Madeleine von Désirée Brodka, die sich bei ihrem sensibel vorgetragenen Song „Was hat eine Frau von der Treue“ wie geistesabwesend ein Männer-Sakko überzieht, die aber im dritten Akt ihre Enttäuschung über den Treuebruch ihres Mannes etwa zu melodramatisch zelebriert.

Ihren großen Auftritt hat die Ursache aller Verwicklungen, die spanische Schautänzerin Tangolita, die einen Scheck auf ein nächtliches Mahl zu zweit einlösen will. Die dramaturgisch im Original Abrahams seltsam isolierte Szene ist mit ihren metrosexuellen Boys dem Vorbild der Inszenierung an der Komischen Oper nachempfunden. Anne Catherine Wagner spielt jedoch nicht so selbstironisch wie Agnes Zwierko in Berlin mit ihrer Körperlichkeit; ihr Dialog wirkt wie vorgelesen, und erst im Lauf des Abends gewinnt die Rolle Konturen, die aber von der Regie nicht deutlicher nachgezeichnet werden.

Temperament und darstellerisches Format

Wie Weigner überhaupt seine Figuren im Stich lässt, wenn es auf pointierten szenischen Witz oder auf genaues Interagieren ankommt. Verschenkt ist etwa die Szene des Mustapha Bey mit seinen geschiedenen Frauen, bei der es auf Timing und Schlagfertigkeit ankäme. Für diese schillernde Figur aus dem imaginierten Morgenlande bräuchte es einen versierten Komiker, der Christof Maria Kaiser (aus dem Schauspielensemble) nicht ist. Da er keine Singstimme hat und die Töne durch die Zähne presst, bleibt er den attraktiven Songs des türkischen Attachés den musikalischen Humor schuldig.

Anders die Amerikanerin Daisy Darlington, die am Ende ihrem schwerreichen Vater zum Trotz den elegant-durchtriebenen Galan heiratet: Haruna Yamazaki ist zwar nicht „dirty“ im Timbre, hat aber das Temperament für den „Känguru“-Tanz und darstellerisches Format für ihren Auftritt als Komponist „Pasodoble“. Auch Christopher Menk als unglücklicher Célestin macht gute Figur.

Dass in den Schlagern die Stimmen verstärkt werden, ist ambivalent und zeigt, dass das Aussterben der Operetten-Ensembles an den Theatern künstlerisch nicht folgenlos ist. Die durchsetzungsfähige, leichte Nonchalance einer Diva, eines Buffo-Paares, eines Sing-Schauspielers ist von einer Opernstimme eben nicht ohne weiteres zu erwarten.

Daniel Spogis am Pult der Rheinischen Philharmonie lässt sich mit den Musikern auf den Schwung der Schlager ein. Auch wenn der eine oder andere Bläser seinen Einsatz verwackelt oder den Ton zerdrückt, auch wenn manchen Momenten das Brio und eine Spur frecher Unbekümmertheit fehlt – der Biss und das Sentiment der musikalischen Ideen Abrahams sind getroffen. Der Chor, einstudiert von Ulrich Zippelius, bemüht sich erfolgreich, der tranig-zähen Statik „lebendiger Bilder“ zu entgehen und wird dabei von Ballett und Statisterie in Choreografien von Luches Huddleston jr. unterstützt.

Ein unterhaltsamer Beitrag zum Genre der Operette, genau richtig platziert zum 125. Geburtstag von Paul Abraham.

Vorstellungen am 12., 23., 31. Dezember, 11., 12., 14. Januar, 11., 12., 19. Februar, 12., 18. März 2018. Info: www.theater-koblenz.de




Frech und weltläufig: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham am Theater Hagen

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nein, einen besonders guten Ruf genossen die Operetten von Paul Abraham nach dem Zweiten Weltkrieg nicht: Am ehesten tauchte noch „Viktoria und ihr Husar“ auf den Spielplänen auf, weil sie mit dem Schlager „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ dem Zeitgeschmack entsprechend recht gut zu sentimentalisieren war.

Aber „Die Blume von Hawaii“ hielt man spätestens in den siebziger Jahren für grenzwertig bis unspielbar, und „Ball im Savoy“ war seit dieser Zeit so gut wie völlig verschwunden – trotz eines prominent besetzten Films von 1955 mit Nadja Tiller, Caterina Valente, Bully Buhlan und Bibi Jones und einer TV-Produktion von 1971 mit Gritt Boettcher, Christiane Schröder, Klaus Löwitsch und Theo Lingen.

Das scheint sich seit einigen Jahren zu ändern: Den Kolonial-Exotismus der „Blume von Hawaii“ sieht man heute aus einer anderen Perspektive. Die rekonstruierte Partitur, wie sie an der Wiener Volksoper erklang, erwies die genialen Fähigkeiten Abrahams als Instrumentator. „Viktoria und ihr Husar“ wurde durch Florian Ziemen in Gießen gründlich entstaubt. Und „Ball im Savoy“, dem noch Operetten-Spezialist Volker Klotz nicht viel gute Worte schenkte, weckte der WDR 2010 mit einer konzertanten Aufführung – ebenfalls in rekonstruierter Form – aus dem Dornröschenschlaf.

Rekonstruierten die Partitur von "Ball im Savoy": Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Rekonstruierten die Partitur von „Ball im Savoy“: Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Die phänomenale, opulente Premiere an der Berliner Komischen Oper im Juni 2013 markierte nicht nur die Rückkehr von Paul Abrahams Musik an den Ort ihrer Entstehung, sondern offenbar auch eine Trendwende in der Rezeption. „Ball im Savoy“ erschien in den letzten beiden Jahren in Plauen-Zwickau und Gera-Altenburg, kommt im Mai 2015 in Halle/Saale heraus und wird derzeit in Hagen gespielt. Nicht zu vergessen: In Dortmund steht mit „Roxy und ihr Wunderteam“ eine weitere Abraham-Operette auf dem Spielplan, die nicht zur Trias der Erfolge der Weimarer Zeit gehört, sondern erst 1936 entstand, als der aus Ungarn stammende, aus Deutschland vertriebene Jude Paul Abraham in seiner Heimat an seine Berliner Erfolge anzuknüpfen versuchte.

In Hagen führen Regisseur Roland Hüve und Ausstatter Siegfried E. Mayer einen Kampf gegen die Armut des Theaters, den sie nur zum Teil gewinnen. Das Bühnenbild mit seinen von Ulrich Schneiders Licht gnädig geschönten Vorhängen kann das mondäne Flair nicht beschwören, ist aber klug konzipiert. Denn es lässt Raum für die Choreografien und wirkt als unauffälliger Horizont für Mayers wirklich atemberaubende Kostüme. Sie lassen die verschwenderische Revue ahnen, die im Dezember 1932 die Berliner Theaterunternehmer Rotter im Großen Schauspielhaus (in DDR-Zeiten der alte Friedrichstadtpalast) ausstatteten, um den dringend benötigten finanziellen Erfolg zu erzielen.

Nur scheinbar ein Paar - oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nur scheinbar ein Paar – oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Mayer lässt es glitzern und funkeln, in Weiß und Rot, Gold und Violett. Ronald Bomius und seine Mitarbeiter in der Maske verwandeln das Ballett, den Chor und die Statisterie in bubiköpfige Damen und pomadig gescheitelte Herren – die ganze demí-monde des Berlin der zusammenbrechenden Weimarer Republik gibt sich tanzend und swingend ein Stelldichein.

Den Damen bleibt er nichts schuldig: Madeleine (Veronika Haller), die so gerne treu und häuslich wäre, hat in Weiß und Goldblond einen rauschenden Auftritt. Eine Affäre aus den Dandy-Zeiten ihres Ehemanns Aristide (Johannes Wollrab), die schöne Tangolita (Marilyn Bennett), tritt als rauchig-rote Versuchung in die Arena der Verwicklungen, an deren Ende die Unschuld der beinahe betrogenen Betrügerin Madeleine feststeht.

Den Trick zum Beweis hat sich Daisy Darlington alias Kristine Larissa Funkhauser ausgedacht. Diese Frau sprengt so ziemlich jede zeitgenössische Heimchen-am-Herd-Ideologie: Eine amerikanische Komponistin (!) von Jazz (!), die sich ein männlichen Pseudonym zulegt, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zum Erfolg hat, um sich ihre Unabhängigkeit (!) zu sichern und der Heirat mit einem unterbelichteten Schokoladenfabrikanten zu entgehen.

Dass die Nazis mit diesem Prototyp einer selbstsicheren Frau nichts anfangen konnten, liegt auf der Hand. „Ball im Savoy“ verschwand schon im Frühjahr 1933: die jüdischen Gebrüder Rotter waren pleite, der Jude Abraham aus Deutschland geflohen. Für die saubere, deutsche Operette, wie sie sich die NS-Kulturpolitik wünschte, war das freche, weltläufige Werk Abrahams nicht geeignet.

Regisseur Roland Hüve – er hat unter anderem in Bielefeld Cole Porters „Anything goes“ in Szene gesetzt – kennt die Herausforderung der großen Szene, des präzisen Timing und des hohen Tempos auf personenreicher Bühne. Da spielen das Ballett und der Opernchor (musikalisch einstudiert von Wolfgang Müller-Salow) wacker mit. So ganz können sie die bräsigen Bewegungsmuster der üblichen Operettenroutine nicht überwinden; schuld daran sind auch Andrea Danae Kingstons mäßig originellen Choreografien. Der Augenweide fehlt manchmal das Augenzwinkern: Ironie ist eben schwer …

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als "Salontürke" Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als „Salontürke“ Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Auf der anderen Seite lässt Hüve den Solisten Raum, sich zu entfalten: „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ wird so zur ganz großen Nummer Veronika Hallers, und Bernhard Hirtreiter darf als ganz im Nachtclub-Milieu assimilierter türkischer Attaché Mustafa Bei mit Esprit erzählen, wie es ist, wenn „wir Türken küssen“.

Dass in Hagen mit Microport gesungen werden muss, ist nicht recht einzusehen, zumal die Stimmen durch die Verstärkung entstellt werden: Veronika Haller hat auf einmal ein grelles Vibrato und Marilyn Bennett klingt ältlich verzerrt. Mag sein, dass ihnen David Marlow nicht vertraute, über das Abraham-Orchester zu kommen.

Die üppige Instrumentierung ist von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruiert. Das Dortmunder Duo verwendete viel Sorgfalt bei der Sichtung der Quellen, geht aber – wie auch bei der Aufführung an der Komischen Oper Berlin zu registrieren – am Sound der frühen dreißiger Jahre vorbei. Mir scheint der Schlagzeugeinsatz zu aufdringlich, und die harte, grelle Intonation der Blechbläser erinnert eher an amerikanischen Bigband-Sound als an die schmeichelnd-lasziven Klänge der Tanzkapellen dieser Zeit, wie sie uns von Schellack-Platten entgegentönen.

Das Hagener Orchester macht sich den Tonfall, den Witz im Rhythmus, die Tanztempi und die instrumentalen Farben schnell zu eigen; in dem kleinen Haus hätte Zurückhaltung bei der Lautstärke der Finesse der Musik gut getan. Dafür gelingen intime Nummern wie „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ expressiv und empfindsam.

Mit „Ball im Savoy“ hat Hagen zweierlei bewiesen: Entgegen allen Unkenrufen lebt die Operette, wenn sie mit Sorgfalt und Liebe reanimiert wird. Und wieder einmal ist eine Hagener Produktion ein erfolgreicher Nachweis, wie unverzichtbar die Stadttheater auf der kulturellen Landkarte sind. Daher: Hände weg von diesem Erbe! „Ball im Savoy“ ist zudem ein Argument für eine Idee, auf die man in Hagen sonst schwerlich kommt: „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n ….“.

Info: www.theater-hagen.de