Operetten-Passagen (6): Rauschender Erfolg, tragischer Fall – Leben und Werk des „Operettenkönigs“ Paul Abraham

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Der junge Paul Abraham auf einer historischen Fotografie.

Vor 125 Jahren (am 2. November 1892) erblickte, wohl im ungarischen Apatin, eine der prägenden Gestalten der Berliner Operette des 20. Jahrhunderts das Licht der Welt: Paul Abraham, um dessen Leben sich zahllose Mythen und Legenden ranken, hat mit „Viktoria und ihr Husar“, „Die Blume von Hawaii“ und „Ball im Savoy“ in der kurzen Zeitspanne zwischen 1930 und 1932 drei Meisterwerke der „leichten Muse“ geschaffen, bevor er von den Nazis ins Exil getrieben wurde.

In Witten/Ruhr lebt der Journalist Klaus Waller, der seit seiner Jugend von Abrahams Musik und seinem farbigen, selbst an eine Operette erinnernden Leben fasziniert ist.

Der Autor einer Abraham-Biographie erzählt in einem exklusiven Interview mit Werner Häußner über das Leben des „tragischen Königs der Operette“.

Frage: Herr Waller, wie kam es bei Ihnen zu der Begeisterung für den Komponisten Paul Abraham?

Klaus Waller: Für heutige Ohren mag das merkwürdig klingen: In den fünfziger Jahren war es unvermeidlich, den Melodien Paul Abrahams in den Rundfunkprogrammen zu begegnen. Da ich nach dem Krieg aufgewachsen bin und ein begeisterter Radiohörer war, kannte ich alle seine Melodien. Die Filme, die nach seinen Operetten gedreht wurden, habe ich damals allerdings nicht gesehen.

Den Anstoß zur näheren Beschäftigung mit Abrahams Leben gab mir viele, viele Jahre später eine Zeitungsnotiz anlässlich einer Tourneeaufführung von „Die Blume in Hawaii“. In dieser Meldung wurde über seine psychiatrische Erkrankung in New York berichtet. Ich versuchte, mich über Abraham zu informieren, aber es gab nichts. So habe ich mir Literatur besorgt und bin in das Thema ‚reingerutscht‘.

Der Autor und Abraham-Forscher Klaus Waller. Foto: Werner Häußner

Der Wittener Autor und Abraham-Forscher Klaus Waller. (Foto: Werner Häußner)

2012 habe ich dann eine Webseite erstellt. Dort habe ich Fakten gesammelt, die durch veröffentlichtes Material zur Verfügung standen. Die Recherchen zu meinem Buch haben mir gezeigt, dass die Materialien nicht nur lückenhaft, sondern vielfach fehlerhaft waren.

Was hat Sie auf die Spur der Quellen zu Paul Abraham gebracht?

Waller: Das Nachprüfen der Informationen war ein mühevolles Geschäft. Ich entdeckte zunächst viele Widersprüche, auch in den Aussagen von Abraham selbst. Mein wichtigstes Arbeitsmittel beim Mangel an zuverlässigen Quellen war die Prüfung jeder Aussage auf Plausibilität. Die Internet-Seite eröffnete mir neue Kontakte; außerdem bekam ich neues Archivmaterial, etwa von der Franz-Liszt-Akademie in Budapest, das mir dankenswerterweise Magdolna Wiebe von der Ruhr-Uni Bochum übersetzt hat. Dabei zeigte sich: Vom ‚Wunderkind‘ Abraham, als das er sich selbst stilisiert hat, kann keine Rede sein.

Gerade die Zeit, in der Abraham in Budapest studierte und seine ersten Schritte in eine berufliche Existenz startete, liegt im Dunkel. Was haben Sie herausgefunden?

Waller: Die Merkwürdigkeiten beginnen schon mit der Geburt. Alle Quellen und auch Abraham selbst geben das damals ungarische Apatin – heute im Nordwesten Serbiens – als Geburtsort an. Aber ich fand auch heraus, dass in seiner Heiratsurkunde die dortige Kreisstadt Sombor als Geburtsort genannt wurde. Dort wiederum gibt es aber keinen Eintrag im jüdischen Geburtsregister. Abraham ist jedenfalls in Apatin aufgewachsen, wo seine Familie seit Generationen lebte.

Auch die Zeit zwischen 1923 und 1927 bleibt dunkel. Sicher ist, dass Abraham als Börsenmakler gearbeitet hat und nach einem Konkurs im Januar 1924 verhaftet wurde. Keine Belege habe ich dafür gefunden, dass er mit Jazzbands musiziert oder in Kneipen Klavier gespielt habe, wie oft berichtet wird.

1927 taucht er als Kapellmeister am Hauptstädtischen Operettentheater Budapest wieder auf, schreibt 1928 für die Operette „Zenebona“ einige Lieder und führt mit „Der Gatte des Fräuleins“ seiner erste eigene Operette auf – unter anderem mit dem späteren Ufa-Star Marta Eggerth.

Waren seine ersten Operetten erfolgreich?

Waller: Die Rezension zu „Zenebona“ füllt eine ganze Zeitungsseite. Das deutet auf einen großen Erfolg hin. Abraham steht auch als Autor der Operette im Verzeichnis des ungarischen Operettentheaters. Aber der erste internationale Theatererfolg stellte sich erst mit „Viktória“ 1930 ein. Seinen ersten Hit landete Abraham allerdings schon 1929 mit dem Lied „Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier“ aus dem Film „Melodie des Herzens“. Danach hat er in rascher Folge bis 1940 – zuerst in Berlin, nach 1933 in Ungarn – eine Reihe von Filmmusiken geschrieben.

Wie kam es zur Übersiedlung nach Berlin im Sommer 1930? Spielte da der Film eine Rolle?

Waller: Der näherliegende Weg aus Ungarn wäre tatsächlich der nach Wien gewesen, um das Talent aus der ‚ungarischen Provinz‘ zur Geltung zu bringen. Offenbar hatte ihn Erich Pommer nach Berlin empfohlen. Pommer, der Entdecker Marlene Dietrichs und 1930 Produzent von „Der blaue Engel“, hatte in den USA für Paramount und MGM gearbeitet und war bei der UfA als Produzent verpflichtet. Erich Pommer hatte „Melodie des Herzens“ produziert, der als erster deutscher komplett vertonter Spielfilm gilt.

Es folgten knapp drei Jahre rauschhaften Erfolgs in Berlin, bis Abraham im Februar 1933 vor dem Nazi-Terror ziemlich überstürzt aus seiner großzügigen Wohnung in der Berliner Fasanenstraße nach Budapest flüchtete. Wie waren für Abraham die Jahre in Ungarn zwischen 1933 und 1939?

Waller: Auch für diese Jahre ist die Quellenlage dürftig. Nach Auskunft von Abrahams Frau Charlotte war Budapest ihr Lebensmittelpunkt. Abraham fuhr allerdings häufig nach Wien, schrieb die Operette „Märchen im Grand Hotel“, die 1934 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde, und landete mit „Roxy und ihr Wunderteam“ 1936 in Budapest und ein Jahr später in Wien noch einmal einen großen Erfolg. Darüber, wie seine weiteren ungarischen Operetten, die nicht übersetzt wurden, aufgenommen wurden, kann ich nicht berichten: Die dortigen Kritiken konnte ich bisher nicht einsehen.

1939 verließ Abraham Ungarn und ging über Paris in die USA. Dort erlitt er nach Jahren der Erfolglosigkeit 1946 einen völligen psychischen Zusammenbruch und verbrachte die Jahre bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1956 in der Psychiatrie. Was ist über diese Zeit bekannt?

Waller: Abraham schrieb in den USA die Operette „Tamburin“ nach einem Libretto von Alfred Grünwald, die bis heute niemand kennt. Sie ist nie aufgeführt worden; das Material liegt in der Nationalbibliothek in New York. Ich kann nicht einmal sagen, bis zu welchem Grad dieses Werk überhaupt vollendet ist. Mehr würde ich gerne auch über die Jahre nach 1956 wissen, als ein Kreis von Freunden Abraham nach Deutschland zurückgeholt hat. Er kam ja zunächst in die Eppendorfer Psychiatrie, lebte danach aber mit seiner Frau in einer Wohnung in Hamburg. Sicher ist: Er wurde nie wieder in der Öffentlichkeit gesehen. Und der Erzählung nach soll er bis zu seinem Tode geglaubt haben, in New York zu sein.

Wie würden Sie Paul Abraham als Person charakterisieren?

Waller: Abraham war eine einzigartige, ausgesprochen schillernde Person.  Er war wohl äußerst gewinnend, aber auch prahlerisch. Über sein Leben hat er viele widersprüchliche, auch erfundene Angaben verbreitet. Er musste sich selbst stets größer machen, als er war. Und er lebte immer in der Angst vor dem Fall. Seine Tragik ist, dass er höher gestiegen ist, als er es sich je erträumt hätte, aber dafür auch tiefer fiel, als er sich das in seinen schlimmsten Albträumen ausmalen konnte.

Und Abrahams Bedeutung als Komponist? Woher kommt seine Aktualität, die Renaissance seiner Werke?

Waller: Wie bedeutend Abrahams Musik ist, möchte ich nicht beurteilen, da ich kein Musikwissenschaftler bin. Für herausragend halte ich seine melodische Erfindungsgabe. Abraham hat Melodien geschrieben, die nach 100 Jahren immer noch gültig sind. Er hat den Sprung geschafft aus der Walzerseligkeit der alten Wiener Operette in die Moderne mit ihren Jazz-, Show- und Folklore-Elementen.

Das Jazzige, Revuehafte seiner Operetten trifft das Herz unserer Zeit. Die Unruhe und Unsicherheit der Zeit Abrahams, die sich in seinen Werken spiegelt, scheint uns anzusprechen. Heute erkennen wir: Seine Musik ist fetzige Unterhaltung; sie muss raus aus dem Seniorenprogramm.

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Im 125. Geburtsjahr Paul Abrahams gibt es an einigen wenigen deutschen Bühnen Neuinszenierungen und Wiederaufnahmen seiner Operetten:

Nach der deutschen Erstaufführung von „Roxy und ihr Wunderteam“ 2014 in Dortmund zeigt das Theater Augsburg ab 9. Dezember eine neue Produktion der Fußball-Operette. Das Theater Koblenz setzt die Aufführungsserie von „Ball im Savoy“ der letzten Jahre (u.a. in Hagen) fort und bietet bis 18. März 2018 noch 13 Vorstellungen.

Die Komische Oper Berlin, an der sich Barrie Kosky – unter anderem mit einer viel beachteten Inszenierung von „Ball im Savoy“ – sehr für Paul Abraham einsetzt, eröffnet mit einer konzertanten Aufführung von „Märchen im Grand Hotel“ am 17. und 30. Dezember eine Serie, die in den nächsten Jahren unbekannte Abraham-Operetten vorstellen soll.

Die Westfälischen Kammerspiele Paderborn zeigen ab 27. Januar in einer Regie von Ingmar Otto Abrahams Hit „Die Blume von Hawaii“. Auch in Hildesheim hat die turbulente Operette am 5. Mai 2018 Premiere; es dirigiert Florian Ziemen, der sich mit historisch-kritischen Aufführungen von Operetten einen Namen gemacht hat. Ab 27. Januar 2018 spielt das frisch renovierte Gärtnerplatztheater in München Abrahams ersten internationalen Erfolg, „Viktoria und ihr Husar“.

Zur ausführlichen Information über das Leben des Komponisten:

Klaus Waller: „Paul Abraham. Der tragische König der Operette“. 240 Seiten. Erschienen 2017 in zweiter Auflage als book on demand und für 14,90 im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-7431-4328-9).

 

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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1 Antwort zu Operetten-Passagen (6): Rauschender Erfolg, tragischer Fall – Leben und Werk des „Operettenkönigs“ Paul Abraham

  1. Matta sagt:

    Danke für den Tipp!

    Hier das o. g. Lied mit Gesang:
    https://www.youtube.com/watch?v=-Fum09qKatk

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