Daniel Paul Schrebers Wahnvorstellungen – „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ in Bochum uraufgeführt

Raphaela Möst, Simin Soraya,  Therese Dörr, Veronika Nickl (v.l.)  (Foto: Vincent Stefan/Schauspielhaus Bochum)

Alle tragen sie zu Beginn hohe schwarze Zylinder. Doch bei vier Personen lugt unter dem Gehrock ein Damenkleid hervor. Eine Holzvertäfelung verheißt Gemütlichkeit, doch das eigentümliche Gebilde in Bühnenmitte, Konzertflügel ebenso wie Billardtisch, irritiert. Auf den zweiten Blick ist hier vieles nicht so, wie es sein sollte, auch die Beziehungen zwischen den Personen sind es schon bald nicht mehr. Wer ist hier Arzt, wer Patient? „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ ist das Stück betitelt, das nun im Bochumer Schauspiel seine Uraufführung erlebte.

Therese Dörr (Foto: Vincent Stefan/Schauspielhaus Bochum)

Acht Jahre in der Anstalt

Die „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, denen Stefan Wipplinger und Fabian Gerhardt (auch Regie) in Bochum eine dramatische Form geben, verfasste zwischen 1894 und 1902 der Psychiatriepatient Daniel Paul Schreber, während seines Aufenthaltes in der Anstalt Sonnenschein. Dieser zweite Psychiatrieaufenthalt währte lange acht Jahre. Vater des Patienten war übrigens der nicht unumstrittene Orthopäde und Begründer der Schrebergarten-Bewegung, Dr. Moritz Schreber.

Bis zu seiner erneuten Erkrankung war Schrebers Karriere steil nach oben verlaufen. Trotz eines sechsmonatigen Klinikaufenthaltes 1884/1885 war er 1893 zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht Dresden ernannt worden, zu Sachsens oberstem Richter mithin. Doch im Herbst desselben Jahres kehrte die Geisteskrankheit zurück, diesmal endgültig.

Strahlensystem und Nervenschwingungen

Schreber hörte Stimmen, stand durch ein Strahlensystem mit Gott in Verbindung, war der Überzeugung, dass Nervenschwingungen den Urgrund allen Seins bildeten und so fort. Sein Verdienst liegt darin, diesen Wahnideen in seinem 1903 veröffentlichten Text brillant und in sich schlüssig Ausdruck gegeben zu haben.

„Seit Freud und Lacan sind Daniel Paul Schreibers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken das meistzitierte und meistinterpretierte psychopathologische Zeugnis der abendländischen Psychiatriegeschichte“, ist dem Programmheft (in den Worten Martin Stingleins) zu entnehmen. Sigmund Freud, Elias Canetti und andere beschäftigten sich mit Schrebers Text.

Jürgen Hartmann, Raphael Möst, Therese Dörr, Günter Alt (v.l.) (Foto: Vincent Stefan/Schauspielhaus Bochum)

Auf der Bühne bleibt von dem komplexen Gedankengebäude des Kranken nicht gar so viel übrig. Das bühnentauglichste Motiv ist offenbar Schrebers Wunsch, eine Frau zu sein. Wegen seiner im gesamten Kosmos einmaligen Nähe zu Gott, so argumentiert er, müsse er in der Lage sein, den göttlichen Keim zu empfangen, um einen Erlöser zu gebären.

Siegmund Freud erkannte in Schrebers Paranoia „das Auftreten einer femininen (passiv homosexuellen) Wunschphantasie“. Zudem gab es mit dem Psychiater Dr. Paul Emil Flechsig neben Vater Schreber einen weiteren Mann im Leben des Patienten, auf den sich unterdrückte homosexuelle Wünsche gerichtet haben könnten.

Die Stimmen kann man nicht verbieten

Live-Musik – eher verhalten, suchend – spielt Michael Emanuel Bauer mal auf dem Flügel, mal auf dem Kinderklavier. Die mit Schnurrbärten und bunten Röcken absichtsvoll widersprüchlich gewandete Damenriege (Raphaela Möst, Simin Soraya, Therese Dörr, Veronika Nickl) bildet einen eindrucksvollen, facettenreichen polyphonen Chor der Stimmen, die gleichzeitig locken und verbieten, aber selten ruhig sind. Mal sind sie aber auch, gewandet als phantasievolle Flatterwesen, „Gott“ oder doch wenigstens die Verbindung zu ihm, mal tumbe Protokollanten, die alles aufschreiben, ohne es zu verstehen. Und mal auch vierfaches weibliches Alter Ego, das tun darf, was der Patient gern tun würde. Wie sie flirren und gurren und einfach oft nur lästig sind, geben sie den Qualen des armen Schreber bildhaft Ausdruck.

Günter Alt, Jürgen Hartmann, Simin Soraya (v.l.) (Foto: Vincent Stefan/Schauspielhaus Bochum)

Vielleicht könnte man ihnen vorwerfen, insgesamt gesehen zu lustig zu sein, zumal es für das Leiden kein adäquates Schauspiel gibt, sondern nur gut gesetzte Videobilder (Vincent Stefan). Andererseits tut der gemessen heitere Grundton dieser Inszenierung dem Stückverständnis gut; es reicht, das Leiden in einer Psychiatrie des 19. Jahrhunderts mit ihren Irrenwärtern und Kaltwasser-Schockbehandlungen, wie hier, nur anzudeuten.

Gediegene Konversation

Doktor und Patient, zwei Herren erkennbar aus besseren Kreisen, pflegen meist den gediegenen Konversationston. Der eine fragt, der andere weiß; immer wieder, ein Spiel, tauschen sie ihre Rollen, und einmal auch kreuzen sie die Klingen vor dem Billardtisch, die hier aber lediglich die Queues sind. Ein symbiotisches Verhältnis, in welchem man dem etwas fülligen Günter Alt den allmächtigen Psychiater eher abnimmt als dem schlankeren Jürgen Hartmann, der letztlich doch der Patient bleibt. Der war er schon gleich zu Beginn, als er sich dem Publikum vorstellte.

Trotz projizierter Kapitelüberschriften (wohl aus dem Originalbuch) ist die chronologische Struktur locker gehalten, wirkt die Darbietung über längere Strecken hin eher wie ein Tableau des Ungeheuerlichen, als wie ein Stufenmodell des Niedergangs. Dem Titelhelden, und das ist fraglos eine Qualität dieser Inszenierung, merkt man in all seiner Not doch auch an, dass er ein Kämpfer ist, ein systematischer Denker, ein schlauer Kopf, und sein Anderssein (vielleicht auch: seine Verrücktheit) nicht als Totalverlust ertragen will.

Könnte man ihm heute helfen?

Eindrucksvoll schließlich geriet das Bühnenbild Christian Wiehles, das neben sparsamer Möblierung von Fransenvorhängen geprägt ist, die gleichsam die Allgegenwart von unendlich vielen Nervenbahnen symbolisieren. Die Vorhänge ermöglichen der Damenriege sogar Andeutungen von „Show-Acts“, heiter wie sinnfällig.

Eine ernsthafte, neugierige Inszenierung ist Stefan Wipplinger und Fabian Gerhardt in Bochum gelungen. Vielleicht wäre es schön gewesen, aus heutiger Sicht eine Diagnose zu hören, vielleicht auch eine Antwort auf die Frage, ob und wie man diesem Patienten heute helfen könnte. Doch mit solchen Themenstellungen wäre es ein anderes Stück geworden. Für dieses Stück und seine präsent agierende Darstellerriege jedenfalls gab es lang anhaltenden, begeisterten Applaus.




(Fast) alles über „Kunst & Kohle“: 17 Museen in 13 Revier-Städten stemmen Mammutprojekt zum Ende der Zechen-Ära

Schwarz. Schwarz. Schwarz. Es ist, in mancherlei Schattierungen bis hin zu diversen Grauwerten, der beherrschende „Farb“-Ton dieses wahrlich ausgedehnten Ausstellungsreigens.

Weiße Nymphen am Fuße einer Kohlehalde: Blick auf Alicja Kwades Installation "Die Trinkenden" im Museum Ostwall im Dortmunder "U". (Foto: Bernd Berke)

Weiße Nymphen am Fuße einer Kohlehalde: Blick auf Alicja Kwades Installation „Die Trinkenden“ im Museum Ostwall im Dortmunder „U“. (Foto: Bernd Berke)

Hie und da erscheint die Finsternis schon im Titel: Schlichtweg „Schwarz“ lautet er im Bochumer „Museum unter Tage“, „Reichtum: Schwarz ist Gold“ heißt es derweil im Duisburger Lehmbruck-Museum. Anderwärts dominiert das Schwarz jedenfalls die verwendeten Materialien oder wird durch vielfältige Kontraste und sozusagen durch Legierungen anverwandelt. Wirklich kein Wunder, denn es geht ja im gesamten Revier um „Kunst & Kohle“.

Der Ausstellungssommer 2018 hat durchaus fordernden Charakter. Kulturbeflissene müssen sozusagen alles geben (bekommen dafür aber auch etliches geboten): In den letzten Tagen eröffneten eine raumgreifende Schau zur Geschichte des Steinkohle-Bergbaus in Essen und ein fünffach aufgefächertes Friedens-Projekt in Münster. Wir berichteten jeweils. Hier und jetzt aber geht es um eine weitere Unternehmung, die sich aufs Ende des deutschen Bergbaus bezieht und insgesamt alles andere von den Dimensionen her in den Schatten stellt: Gleich 17 Ausstellungshäuser in 13 Städten des Ruhrgebiets vereinen ihre Kräfte just zum revierweiten Ereignis „Kunst & Kohle“, das an den meisten Orten bis zum 16. September dauert.

Hilfreiches Netzwerk der RuhrKunstMuseen

Ohne das gemeinsame Netzwerk jener 20 „RuhrKunstMuseen“, die seit 2008 – damals im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2010 – zunehmend kooperieren, wäre der Kraftakt so nicht möglich gewesen. Auf diese Strukturen ließ sich aufbauen, als es darum ging, das weitläufige Themenfeld in aller Vielfalt, Breite und Tiefe darzustellen. Das Ganze soll natürlich auch touristisch beworben werden. Die nicht nur insgeheime Hoffnung: Wer für die Kunst ins Revier kommt, wird hier vielleicht auch ein bisschen „Kohle“ ausgeben.

Gruppenbild vor dem bereits teilweise verhüllten Herner Schloss Strünkede: Einige Museumsdirektor(innn)en des Reviers und Vertreterinnen der Stiftungen. (Foto: Bernd Berke)

Gruppenbild vor dem bereits teilweise verhüllten Herner Schloss Strünkede: Direktor(inn)en diverser Kunstmuseen des Ruhrgebiets und Vertreterinnen der beteiligten Stiftungen. (Foto: Bernd Berke)

Sprachspielchen beiseite. Schon seit 2011 liefen die Vorarbeiten zu „Kunst & Kohle“, bereits seit 2007 sah man ja das epochale Datum der letzten Zechenschließungen in Bottrop und Ibbenbüren unweigerlich kommen. Also kann man jetzt (inklusive museumseigener Mittel) auf einen stolzen Etat von 2,5 Millionen Euro zurückgreifen und Arbeiten von rund 150 Künstler(inne)n auf insgesamt 20000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigen.

Hauptförderer ist mit 750.000 Euro einmal mehr die RAG-Stiftung, die vor allem gegründet wurde, um die enormen „Ewigkeitskosten“ (Grundwasserschutz etc.) nach dem Ende des Bergbaus zu tragen, welche jährlich rund 220 Millionen Euro ausmachen dürften. Das Stiftungsvermögen liegt allerdings auch, wie es in vornehmer Diskretion hieß, im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“, so dass auch noch dies und das für Kultur und Bildung übrig bleibt. Außerdem sind bei „Kunst & Kohle“ u. a. die Kunst Stiftung NRW und die Brost Stiftung mit an Bord.

Im Bottroper Josef Albers Museum ausgestellt: Bernd und Hilla Becher "Fördertürme" (Fotografien, 1972-83) (© Estate Bernd & Hilla Becher, vertreten durch Max Becher, courtesy Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur - Bernd und Hilla Becher Archiv, Köln, 2018)

Im Bottroper Josef Albers Museum: Bernd und Hilla Becher „Fördertürme“ (Fotografien, 1972-83) (© Estate Bernd & Hilla Becher, vertreten durch Max Becher, Courtesy Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – Bernd und Hilla Becher Archiv, Köln, 2018)

Wie bekommt man das in den Griff?

Das sind fürwahr imponierende Zahlen und Fakten. Doch wie bekommt man das gesamte, nahezu monströse Unterfangen als Besucher (oder Berichterstatter) „in den Griff“? Wie kann man sich welche Schneisen schlagen?

Wie zu hören war, schicken sich mehrere Regional-Zeitungen an, mit all den einzelnen Ausstellungen gleichsam in Serie zu gehen und so auch das von Journalisten gefürchtete „Sommerloch“ Stück für Stück zu füllen. Glückauf dazu! Wir bringen hingegen einen schier endlosen „Riemen“, der dennoch nur Hinweise und Stichworte enthalten kann…

Die einstige Bergbaustadt Hamm ist leider nicht dabei

Im Duisburger Lehmbruck-Museum zu sehen: William Kentridge "Drawing for Mine", Kohlezeichnung (1991) (© William Kentridge)

Im Duisburger Lehmbruck-Museum zu sehen: William Kentridge „Drawing for Mine“, Kohlezeichnung (1991). (© William Kentridge)

Einstweilen muss ich freimütig bekennen, nicht etwa alle 17 Ausstellungen gesehen zu haben. Das kann – außer dem federführenden Koordinator Prof. Ferdinand Ullrich (vormals Leiter der Kunsthalle Recklinghausen) – bisher wohl niemand von sich behaupten. Es ist ja auch schön, die Auswahl unter so vielen Optionen zu haben. Zur Erschließung größerer Bereiche werden (kostenlose!) Bustouren angeboten, die jeweils zu drei Ausstellungen führen. Ich habe fürs Erste eine westfälische Route im östlichen Ruhrgebiet vorgezogen – mit den Stationen Herne, Dortmund und Unna.

Apropos Ost-Revier: Hamm, früher eine ausgesprochene Bergbaustadt mit mehreren großen Zechen (Sachsen, Radbod, Heinrich Robert) ist aus unerfindlichen Gründen nicht am Projekt beteiligt. Freilich war das dortige Gustav-Lübcke-Museum in den letzten Jahren auch nicht mit personeller Kontinuität gesegnet. In Hagen, dessen zwei Kunstmuseen auch nicht mitmachen, hat man’s eh weniger mit der Steinkohle gehabt. Sonst aber sind praktisch alle Ecken und Enden der Region mit von der Partie.

Spektakuläre Verhüllung des Herner Schlosses mit Jutesäcken

Nun geht’s aber auf die Tour:

In Herne ist das größte und spektakulärste Kunst-Signal schon aus einiger Entfernung sichtbar. Dort hat der aus Ghana stammende Ibrahim Mahama, der auch schon die letzte documenta bereicherte, große Teile des Schlosses Strünkede unter dem bezeichnenden Titel „Coal Market“ mit Jutesäcken verhüllt. Anders als Christo, ist es ihm nicht in erster Linie um die ästhetische oder gar ästhetisierende Wirkung zu tun, seine Arbeit ist vor allem mit gesellschaftlicher und politischer Bedeutung aufgeladen.

Die in Asien gefertigten, überwiegend in Afrika verwendeten, nunmehr zerschnittenen und sodann in vielen Arbeitsstunden von freiwilligen Helfern miteinander vernähten Jutesäcke sind sichtlich gebrauchte Exemplare, sie riechen buchstäblich noch nach dem Schmutz und nach der Knochenarbeit auf den Transportwegen durch Afrika und auf interkontinentalen Strecken. In etlichen Säcken wurde tatsächlich Kohle transportiert (etwa von Afrika nach Europa), in anderen beispielsweise Lebensmittel. Wenn ein eher herrschaftliches Gebäude wie das Schloss damit verhüllt wird, ist dies eine nachdrückliche, auch provokante Erinnerung an globale Kapitalströme und weltweiten Warenverkehr, in dem vielen Ländern hauptsächlich die Drecksarbeit bleibt.

Trotzdem freut man sich in Herne über den ungewohnten Anblick. Das Schloss ist nämlich beliebte Kulisse für viele Hochzeiten. Es soll Brautpaare geben, die es kaum noch erwarten können, hier und möglichst bald zu heiraten, denn so besonders wird das alte Gemäuer später wahrscheinlich nie wieder aussehen…

Die Verwandlung von Holz durch Feuer

Weiter zur zweiten Station in Herne: In den Flottmann-Werken wurde einst der Abbauhammer erfunden und produziert, mit dem die Massenproduktion in den Revierzechen recht eigentlich begonnen hat. Heute sind von den vielen Werksgebäuden „nur“ noch die Flottmannhallen übrig. Dort stellt jetzt der englische Bildhauer und Zeichner David Nash seine Arbeiten aus, die gerade in dieser lichten Ausstellungshalle wunderbar zur Geltung kommen. Sie fügen sich derart gut zum Generalthema Kohle, dass man meinen könnte, es seien eigens hierfür ausgeführte Auftragsarbeiten. Doch das ist nicht der Fall.

Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von David Nash in den Herner Flottmann-Hallen. (Foto: Bernd Berke)

Blick in die Ausstellung von David Nash in den Herner Flottmann-Hallen. (Foto: Bernd Berke)

Nash ist vorwiegend Holzbildhauer, doch seine in Herne präsentierten Skulpturen haben gleichwohl die Anmutung von Steinkohle-Produkten. Er rückt dem Holz mit Kettensägen,  Bunsenbrennern, zuweilen auch mit Flammenwerfern zuleibe und lässt es allseits gezielt verkohlen. Vorzugsweise sind die Skulpturen nicht zusammengefügt, sondern aus einem großen Stück herausgearbeitet. Aus all dem ergibt sich ein anregendes Wechselspiel zwischen natürlichen Oberflächen (Risse und Sprünge im Holz) sowie geometrischen Figurationen. Hier und in Nashs Zeichnungen wird man gewahr, wie vielfältig die Valeurs zwischen Schwarz, Grau und Weiß sind.

Auf nach Dortmund, durch den üblichen Nachmittagsstau. Hier geht es ins Museum Ostwall im Dortmunder „U“, sechste Etage. Edwin Jacobs, Direktor des Hauses, ist zugleich Sprecher des eingangs erwähnten Verbundes der RuhrKunstMuseen.

Bergmännische Laienkunst im Kontrast zu professionellen Positionen

Bergbau gilt gemeinhin als Männersache, doch hier haben sich drei Kuratorinnen Aspekten des Themas gewidmet: Regina Selter (stellv. Direktorin), Karoline Sieg und Caro Delsing. Sie haben nicht nur ermittelt und in einer Karte visualisiert, dass es in der Hoch(ofen)zeit der 50er/60er Jahre in Dortmund 15 fördernde Zechen gegeben hat. Sie haben zudem die Geschichte des Museums erforscht und herausgefunden, dass Leonie Reygers, die Gründungsdirektorin nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Faible für naive Kunst und Laienkunst hatte. Demgemäß richtete sie einen entsprechenden Sammlungsschwerpunkt ein. Naive Kunst aus Paris zeigte sie schon 1952 unter dem heute treuherzig klingenden Titel „Maler des einfältigen Herzens“.

All das war Anlass genug, um im ersten Teil der Ausstellung die Bilder einiger naiver Künstler aus der Ostwall-Sammlung und vor allem Beispiele fürs Schaffen bergmännischer Laienkünstler zu versammeln. Gewiss, manche von ihnen haben zu einem eigenen Stil und eigenen Ausdrucksformen gefunden. Dennoch deutet schon die drangvoll enge „Petersburger Hängung“ darauf hin, dass die künstlerische Wertschätzung für diese Arbeiten insgesamt auch ihre Grenzen hat. Es sind teilweise etwas unbedarfte Idyllen. Doch ein paar Bilder künden auch von Ängsten und Alpträumen der Arbeitswelt.

Wenn Dinge des Bergbaus zu abstrakten Mustern geraten

Es geht ein deutlicher Riss durch diese Dortmunder Ausstellung, der auch gar nicht gekittet werden soll. Getrennt durch einen Kreativbereich, in dem Besucher sich einschlägig betätigen können, folgen als Teil zwei einige gegenwärtige künstlerische Positionen, die denn doch völlig andere, ungleich reflektiertere Zugänge zum Thema Kohle eröffnen – freilich sozusagen „von außen“ her, aus der Perspektive des professionellen Kunstbetriebs und lange nach der eigentlichen Zechenzeit.

Abstrakte Wirkung: Andreas Gursky "Hamm, Bergwerk Ost" (2008), C-Print (© Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2017/18 - Courtesy Sprüth Magers)

Abstrakte Wirkung aufgehängter Bergmannskleidung in der Waschkaue: Andreas Gursky „Hamm, Bergwerk Ost“ (2008), C-Print (© Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2017/18 – Courtesy Sprüth Magers)

Das Spektrum reicht hier von Andreas Gurskys Fotografie „Hamm, Bergwerk Ost“, der die aufgehängte Bergmannskleidung in der Waschkaue zu einer geradezu abstrakten Komposition verwandelt, beispielsweise bis zum Bochumer Künstler Marcus Kiel, der textile Hinterlassenschaften von Bergmännern zu einer – ebenfalls abstrakt wirkenden – Wandinstallation von gehöriger Größe zusammengefügt hat. Es sind dies originelle Bergbau-„Denkmäler“ besonderen Zuschnitts – und von besonderer Güte. Fron und Schweiß der bergmännischen Maloche haben sie allerdings weit hinter sich gelassen.

Die „Heilige Barbara“ als Modepuppe

Bemerkenswert z. B. auch die Arbeiten zweier Frauen: Die Modedesignerin und Künstlerin Eva Gronbach hat eine gesichtslose Frauenfigur mit leichtem Sommerkleid auf einen Haufen mit grober Bergmannskleidung postiert. Bei näherem Hinsehen merkt man, dass auch die Frauenmode aus recycelter Bergmannskluft gewonnen wurde. Überdies erweist sich die Figur als Anspielung auf die „Heilige Barbara“, die Schutzpatronin der Bergleute. Hier stellt sich recht deutlich die Frage nach einer Zukunft jenseits des Bergbaus, auf die auch die gesamte Ausstellungs-Serie zu gewissen Teilen abhebt. Nicht nur ein mehr oder weniger wehmütiger Abschied von der Kohle soll gefeiert werden, sondern man will erklärtermaßen auch Grüße in die heraufdämmernde Zukunft aussenden. Wohl auch darauf spielt der lokale Dortmunder Ausstellungstitel „Schichtwechsel“ an.

Installation in Dortmund: Eva Gronbachs Arbeit "Was vergeht, was bleibt, was entsteht". (Foto: Bernd Berke)

Installation in Dortmund: Eva Gronbachs Arbeit „Was vergeht, was bleibt, was entsteht“. (Foto: Bernd Berke)

Der zweite Frauenname folgt sogleich: Alicja Kwade fasziniert mit ihrer Installation „Die Trinkenden“, in der höchst konventionelle Porzellan-Nymphen („weißes Gold“) am Fuß einer Kohlehalde („schwarzes Gold“) knien. Daraus erwächst eine durchaus rätselhafte Spannung. Wer mehr von dieser Künstlerin sehen will, hat dazu reichlich Gelegenheit: Das Kunstmuseum in Gelsenkirchen widmet ihr im „Kunst & Kohle“-Kontext eine Einzelausstellung.

Überhaupt finden sich Querbezüge zwischen den Museen. Einen losen Anknüpfungspunkt gibt es etwa nach Oberhausen, wo in der Ludwiggalerie Bergbau- und Kumpel-Figuren im Comic das Spezialgebiet sind. Auch in Dortmund sieht man eine Arbeit in diesem Geiste: Stephanie Brysch, also eine weitere Frau, hat ihre Collage „Unter Tage“ aus Comic-Figuren erstellt, die sich allesamt unter die Erdoberfläche begeben.

In Dortmund drei Kuratorinnen, in Unna drei Künstlerinnen

Nun aber noch etwas weiter ostwärts nach Unna. Dort befindet sich das weit und breit einmalige Zentrum für internationale Lichtkunst mit etlichen „Ikonen“ des Metiers. Und siehe da: Hier sind drei Künstlerinnen mit ihren Licht-Installationen gar unter sich. Bergbau als Männersache? Das gilt längst nicht mehr, wenn es um die ästhetischen Hinterlassenschaften und die weiteren Aussichten geht.

Beitrag im Lichtkunstmuseum Unna: Diana Ramaekers' Neon-Installation "Mein Berg" (2015) (© Foto: Sergé Technau Photograhy, Courtesy by Diana Ramaekers)

Beitrag im Lichtkunstmuseum Unna: Diana Ramaekers‘ Neon-Installation „Mijn Berg“ (Mein Berg,  2015). (© Foto: Sergé Technau Photograhy, Courtesy by Diana Ramaekers)

Das Lichtkunst-Museum ist thematisch von vornherein prädestiniert, geht es doch zum Rundgang durch die ehemalige Linden-Brauerei einige Meter abwärts in den früheren Gärkeller; wenn man so will: unter Tage. Alle drei Installationen der meditativen Ausstellung „Down here – Up there“ (Hier unten, dort oben) spielen mit wechselnden Effekten von Licht und Dunkelheit.

Die Niederländerin Diana Ramaekers hat rot gefärbten Neonröhren montiert, deren Licht langsam entsteht und verlischt, immer und immer wieder – ein geheimnisvoller Energiefluss in der Dunkelheit. Nicola Schrudde hat ihren vielschichtigen Raum unter dem Titel „Schwarzdichte“ mit keramischen Plastiken und Videoloops so gestaltet, dass man nur allmählich und schemenhaft erkennt, was sich da begibt. Offenbar werden Kräfte der Natur beschworen, die in der Zukunft des Ruhrgebiets wieder mehr hervortreten sollen.

Schließlich Dorette Sturms raumfüllende „Breathing Cloud“, eine atmende Wolke also, die stets an- und abschwillt. Sehr sanftmütig kommt einem das vor – wie eine milde Verheißung. Man mag an die einst so schwarzen Wolken denken, die „damals“ über dem Revier hingen. Nun füllen sie sich offenbar mit neuem Leben. Und die Schwärze ist geschwunden.

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„Kunst & Kohle“: je nach Stadt ab 2., 3., 5. oder 6. Mai (Ausnahme: Küppersmühle in Duisburg erst ab 8. Juni). In den meisten Museen bis zum 16. September (Ausnahmen: Dortmunder „U“ nur bis 12. August, Museum Folkwang Essen nur bis 5. August).

Die beteiligten Museen (nach Städte-Alphabet) und ihre Themen:

Kunstmuseum (Bochum): Andreas Golinski „In den Tiefen der Erinnerung“
Museum Unter Tage (Bochum):
„Schwarz“
Josef Albers Museum (Bottrop):
Bernd und Hilla Becher – Bergwerke
Museum Ostwall im „U“ (Dortmund): „
Schichtwechsel“ – von der (bergmännischen) Laienkunst zur Gegenwartskunst
Lehmbruck-Museum (Duisburg): „
Reichtum: Schwarz ist Gold“
Museum DKM (Duisburg): „
Die schwarze Seite“
Museum Küppersmühle (Duisburg):
Hommage an Jannis Kounellis
Museum Folkwang (Essen):
Hermann Kätelhön – Ideallandschaft: Ruhrgebiet
Kunstmuseum (Gelsenkirchen):
Alicja Kwade
Flottmann-Hallen (Herne):
David Nash
Emschertal-Museum / Schloss Strünkede (Herne): „
Coal Market“ – Verhüllung durch Ibrahim Mahama
Skulpturenmuseum Glaskasten (Marl): „
The Battle of Coal“
Kunstmuseum (Mülheim/Ruhr):
Helga Griffiths „Die Essenz der Kohle“
Ludwiggalerie im Schloss (Oberhausen): „
Glück auf! Comics und Cartoons“
Kunsthalle (Recklinghausen):
Gert & Uwe Tobias
Zentrum für Internationale Lichtkunst (Unna): „
Down here – up there“
Märkisches Museum (Witten):
Vom Auf- und Abstieg

25 Euro (ermäßigt 15 Euro) kostet ein Kombi-Ticket, das auch zum mehrmaligen Besuch aller Ausstellungen über den gesamten Zeitraum berechtigt. Erhältlich in allen teilnehmenden Museen und unter der Ticket-Hotline der Ruhr Tourismus GmbH: 01806/18 16 50.

Kostenlose Bustouren, jeweils zu drei beteiligten Museen (ca. fünfeinhalb Stunden lang). Termine im Ausstellungs-Booklet: Anmeldungen unter buchungen@ruhrkunstmuseen.com oder telefonisch: 0203/93 55 54 723

Massiver Katalog in 17 Bänden im Wienand-Verlag, begrenzte Auflage der Gesamt-Publikation im großen Schuber, ansonsten in Einzelexemplaren für die beteiligten Museen erhältlich. Zur ersten Orientierung gibt es zudem ein Gratis-Booklet mit knappen Infos zu allen Ausstellungen.

Alle weiteren Informationen unter:

www.ruhrkunstmuseen.com/kunst-kohle.html




Durchs „Schwarze Gold“ wurde Europa hell und bunt: Schau auf Zeche Zollverein zelebriert das Kohle-Zeitalter

Bergmann und Grubenpferd als "Arbeitskameraden", Ruhrgebiet, 1937. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok)

Bergmann und Grubenpferd als „Arbeitskameraden“, Ruhrgebiet, 1937. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok)

Im Dezember ist Schicht im Schacht, dann wird mit Schließung der Bottroper Zeche Prosper-Haniel das Steinkohle-Zeitalter im Ruhrgebiet und damit in ganz Deutschland enden. Da sollte man sich noch einmal bewusst machen, was die Kohle eigentlich bedeutet hat. Jetzt gibt es Gelegenheit. Und wie!

Eine geradezu ausufernde Ausstellung in Essen schickt sich an, uns die Sinne zu öffnen, wenn man sich denn von der betäubenden Menge und Vielfalt nicht ins Bockshorn jagen lässt: „Das Zeitalter der Kohle“ heißt sie, laut Untertitel erzählt sie (wohl auch wegen entsprechender Fördermittel) „eine europäische Geschichte“, und zwar so ungefähr seit 1800 bis heute. Die Macher wissen nicht einmal so ganz genau, ob sie nun rund 1000 oder 1200 Exponate zeigen. Ist ja im Endeffekt auch zweitrangig.

Treibstoff der Moderne

Ohne Kohle keine Moderne. Auf diese knappe Formel könnte man den „Parcours“ (so sportlich benennen sie in Essen den Rundgang) auf mehreren Ebenen in der gigantischen Mischanlage der Zeche Zollverein bringen. Beispielsweise hätte es ohne Kohle keine künstlichen Farbstoffe gegeben. Plakativ gesagt: Die Welt wurde bunt, während die Bergleute unter Tage schwarz wurden. Eine grandiose Installation aus etwa 3000 bis 4000 Original-Fläschchen mit derlei Farbstoffen führt das Ausmaß vor Augen. Auch hier hat wohl niemand exakt nachgezählt, es kommt halt auf den optischen Gesamteindruck an.

Aus Kohle entstanden: Tausende Fläschchen mit künstlicher Farbe als Installation in der Essener Ausstellung. (Foto: Bernd Berke)

Aus Kohle entstandene Substanzen: Mehrere Tausend Fläschchen mit künstlicher Farbe als Installation in der Essener Ausstellung. (Foto: Bernd Berke)

Die Welt wurde nicht nur bunter, sondern auch heller, denn die Gaslaternen, die damals immer mehr Städte erleuchteten, hätte es ohne Kohle so ebenfalls nicht gegeben. Ohne Kohle und ihre Nebenprodukte wären schließlich auch die Anfänge der modernen Chemie undenkbar gewesen. Da reden wir unter anderem von lebenswichtigen Medikamenten. Und von Düngemitteln. Von Bakelit. Und und und.

Keim des einigen Kontinents

Weit mehr noch: Mit Kohle wurden Dampfmaschinen angetrieben, hernach auch Dampflokomotiven und Dampfschiffe. Also änderte sich die Verkehrs-Infrastruktur grundlegend. Mit Kohle-Energie wurden sodann auch die verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts geführt, Kohle und Stahl galten als besonders „kriegswichtig“. Diesem Aspekt ist ein Extra-Kapitel der Ausstellung gewidmet.

Ein Mobile aus bergmännischen Arbeitsgeräten. (© Ruhr Museum / Deimel + Wittmar)

Ein Mobile aus bergmännischen Arbeitsgeräten. (© Ruhr Museum / Deimel + Wittmar)

Und wie war das noch mit Europa? Nun, die Kohle, sprich die Gründung der Montanunion im Jahr 1951, stand am Beginn des europäische Einigungsprozesses. Der Impuls, der dahinter stand: Nie wieder sollten auf diesem Kontinent Kriege um Energie geführt werden. Ohne Kohle auch keine EU? Hört sich gewagt an, aber in den Anfängen ist was dran. In Essen kann man jetzt das staunenswert gut erhaltene Gründungsdokument des europäischen Kohleverbundes sehen – u. a. mit den Unterschriften von Robert Schuman und Konrad Adenauer, der nicht als Kanzler, sondern in seiner damals zusätzlichen Eigenschaft als Außenminister signierte.

Gewichtiger Auftakt zur Ausstellung: sieben Tonnen schwerer Kohlebrocken, zumindest der größte in Deutschland. (Foto: Ruhr Museum / Deimel + Wittmar)

Gewichtiger Auftakt zum Rundgang: sieben Tonnen schwerer Kohlebrocken, zumindest in Deutschland der größte. (Foto: Ruhr Museum / Deimel + Wittmar)

Gewaltige Geschichten

Man ahnt: Die Bedeutung der Kohle kann schwerlich überschätzt werden, sie hat tatsächlich ein ganzes Zeitalter geprägt, im Ruhrgebiet und anderswo bis tief in die Sozialstrukturen und in den Alltag hinein. Gewaltige Geschichten von Migration, Klassenkämpfen und Naturzerstörung sind hierbei zu erzählen. Was freilich gleichfalls stimmt: Die Kohlegewinnung hat auch einige Waldstücke gerettet, denn sonst wäre viel mehr Holz verbrannt worden.

All diese Phänomene – und einige Verzweigungen mehr – werden in der Schau aufgegriffen, für die das Ruhr Museum und das Deutsche Bergbau-Museum Bochum ihre eh schon gehörigen Kräfte vereint haben, als Hauptförderer tritt zudem die RAG-Stiftung in Erscheinung. Der Gesamtetat beträgt deutlich über 2 Millionen Euro, bei 80.000 Besuchern wäre man finanziell „aus dem Schneider“. Heinrich Theodor Grütter, Chef des Ruhr Museums, wäre sicherlich noch zufriedener, wenn um die 100.000 kämen.

Originellster Zugang zur Schau: die 150 Meter lange Fahrt mit der Standseilbahn, hier ein Blick auf die Strecke. (Foto: Bernd Berke)

Originellster Zugang zur Schau: die 150 Meter lange Fahrt mit der Standseilbahn, hier ein Blick auf die Strecke. (Foto: Bernd Berke)

Zugang auch per Standseilbahn

Falls es so viele Besucher sein werden, so müssten sie sich beim originellsten Zugang per Standseilbahn (150 Meter) gewiss auf längere Wartezeiten einrichten, denn hier können immer nur wenige Leute auf einmal zusteigen. Aber man kann ja auch mit dem Aufzug ganz nach oben fahren, wo die Schau beginnt und dann etagenweise abwärts führt. So geht es sich allemal bequemer, als wenn man „bergauf“ müsste. Außerdem ist es themengerecht, denn man kann sich dabei Gänge und Fahrten in die Tiefe besser vorstellen. Rein theoretisch, versteht sich.

Der immense Aufwand ist jedenfalls angemessen. Denn derart vielfältig ist die Themenpalette, dass natürlich selbst über 1000 Ausstellungsstücke bei weitem nicht ausreichen, das Spektrum in aller Breite und Tiefe darzustellen. So erschöpft sich selbst diese streckenweise strapaziöse Groß-Inszenierung notgedrungen in lauter Hinweisen und Anspielungen, die füglich zu ergänzen wären. Will man mehr Durchblick und Zusammenhang, so wird man sich wohl den Katalog zulegen und/oder eine Führung buchen müssen. Auch wäre ein mehrfacher Besuch ratsam. Dann kann man sich auch eingehender den Grundsatzfragen widmen, wie etwa der, warum Menschen eigentlich auf die wahnwitzige Idee gekommen sind, derart brachial in die Tiefen der Erde vorzudringen.

Technikgeschichtliches Zeugnis ersten Ranges: Dampfzylinder der Feuermaschine Saline Königsborn (heute Unna), 1797/99. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok - Foto: Rainer Rothenberg)

Technikgeschichtliches Zeugnis ersten Ranges: Dampfzylinder der Feuermaschine Saline Königsborn (heute Unna), 1797/99. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok – Foto: Rainer Rothenberg)

Kohlegürtel von England bis zur Ukraine

Um 1750/1800 begann zwar in einem europäischen West-Ost-Gürtel, der schließlich von England über Nordfrankreich, Belgien und das Ruhrgebiet bis in die Ukraine reichte, das eigentliche Kohle-Zeitalter mit zusehends intensiverem Abbau. Doch blickt die Ausstellung gleich eingangs noch viel weiter zurück, nämlich um einige Millionen Jahre, als das nachmalige „Schwarze Gold“ ursprünglich aus Farnwäldern entstanden ist. Man hat eine australische Sorte aufgetrieben, die den damaligen Gewächsen recht ähnlich sein soll. Daneben thront ein kolossales Stück Kohle, es ist wohl mindestens das größte in Deutschland, wenn nicht noch weiterer Superlative würdig: Sieben Tonnen wiegt der Würfel, er wäre längst gebröckelt, hielte ihn nicht Epoxidharz zusammen. Das Schaustück wurde – abseits der üblichen Produktion – anno 2016 abgebaut.

Ein Mobile aus Arbeitswerkzeug

So ist man denn eingestimmt auf die Inszenierungen der (Stuttgarter) Gestaltungs-Agentur „Space 4“, die sich beispielsweise ein Riesen-Mobile aus bergmännischem Gerät ausgedacht und implantiert hat. Überhaupt bietet die Ausstellung etliche imponierende Schauwerte und Punkte zum Innehalten. So manches Objekt verströmt überdies die Aura des Authentischen, die über das rein Museale hinausweist. Leitidee im Kernbestand der Ausstellung ist die vielfältige Bedeutung von Feuer, Wasser, Luft und Erde für den Bergbau. Man geht also ganz elementar ans Thema heran.

Lebensrettender Schuh

Welche weiteren Stücke soll man aus der Fülle nun besonders hervorheben? Das Ensemble der historischen Gaslaternen, die über den Köpfen der Besucher schweben? Die Wandtapete mit Darstellung der Eisenbahn von St. Ètienne nach Lyon? Die internationale Gemäldegalerie mit Porträts steinreich gewordener „Schlotbarone“? Die vielen prägnanten Fotografien, die vom Alltag der Bergleute und von nahezu mörderischen Arbeitsbedingungen zeugen? Vielleicht jenen unscheinbaren Arbeitsschuh des Hauers Fritz Wienpahl, der 1930 in der Castroper Zeche Victor verschüttet wurde und just diesen Schuh als lebensrettendes Trinkgefäß verwenden konnte? Die gewaltigen Gerätschaften auf dem Freigelände um die Mischanlage, die als eine Art Skulpturenpark präsentiert werden? Oder jenes Dokument, welches belegt, dass sich schon 1962 in Essen eine Interessengeminschaft gegen Luftverschmutzung im Revier formierte?

Dieser Arbeitsschuh war für den verschütteten Hauer Fritz Wienpahl 1930 in Castrop das lebensrettende Trinkgefäß. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok - Foto: Rainer Rothenberg)

Dieser Arbeitsschuh war für den verschütteten Hauer Fritz Wienpahl 1930 in Castrop das lebensrettende Trinkgefäß. (© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, montan.dok – Foto: Rainer Rothenberg)

Wehmut und Zukunft

Doch vergessen wir nicht die eher unspektakulären Momente, die das Ganze einrahmen: Ganz zu Beginn blicken wir in die gleichermaßen erschöpften und stolzen Gesichter von Bergleuten direkt nach der Schicht; am Schluss sehen wir Video-Aufzeichnungen ehemaliger Kumpel, die darüber nachdenken, was das Ende des Bergbaus für sie und für die Region bedeutet. Einer sagt fassungslos: „Da stehsse da. Wat machsse denn jetz?“ Überhaupt vernimmt man da viel Wehmut und Resignation, gegen die all die vielen Kohle-Kulturprojekte dieses Jahres unter dem Strukturwandel-Motto „Glückauf Zukunft!“ angehen wollen. Es möge nützen.

Der Abschied von der Kohle vollzog sich in unseren Breiten übrigens deutlich glimpflicher als in England. Dort fielen die Menschen in der berüchtigten Thatcher-Ära tatsächlich ins „Bergfreie“ und in die Verarmung. Auch dazu gibt es Exponate in Essen, so einen Solidaritätsaufruf aus dem Ruhrgebiet für die britischen Kollegen – und ein Plakat zum Benefizkonzert der Gruppe „Clash“ von 1984.

„Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“. 27. April bis 11. November 2018. Essen, Unesco-Weltkulturerbe Zeche Zollverein, Areal C (Kokerei), Mischanlage (C 70), Eingang am Wiegeturm, Arendahls Wiese.

Geöffnet täglich Mo-So 10-18 Uhr, Eintritt 10 €, ermäßigt 7 €, freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 sowie Studierende unter 25.

Öffentliche Führungen Mo-So 11 Uhr, 90 Minuten, 3€ pro Person plus Eintritt (Infos/Buchungen Tel. 0201 / 24681-444 und per Mail: besucherdienst@ruhrmuseum.de), Audioguide 3 €. Katalog (Klartext Verlag) 24,95 €. Umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Exkursionen usw.

Mehr Infos: www.zeitalterderkohle.de

 

 




Parallelwelt, Schwanensee, Taubensuppe – Theater Dortmund stellt sein Programm für die kommende Spielzeit vor

Auch wenn es auf diesem Foto nicht so scheint – im Dortmunder Opernhaus tobt in der kommenden Spielzeit wieder das Leben (Foto: Philip Lethen / Theater Dortmund)

Gabriel Feltz fehlte. Ein wichtiger Termin auf dem Balkan hinderte den Orchesterchef  daran, an der Programmpressekonferenz des Theaters Dortmund teilzunehmen. Doch Feltz hatte ein sehr nettes Video mit Musikumrahmung vorbereitet, in dem er seine Pläne schilderte. „Krieg und Frieden“ sei das Leitthema des Orchesters in der kommenden Spielzeit, verkündete er, und deshalb gelangt nun viel Musik zur Aufführung, die auf die eine oder andere Weise damit zu tun hat – von Beethovens „Eroica“ bis zu Schostakowitschs „Leningrader“.

Thorsten Schmidt und Philip Pelzer in „Tschick“. Das Stück wird auch in der Spielzeit 2018/2019 im Kinder- und Jugendtheater gespielt (Foto: Birgit Hupfelf/Theater Dortmund)

Konzert zu „Panzerkreuzer Potemkin“

Die Reihe Wiener Klassik macht die europäischen Metropolen Wien, Paris und Berlin zu Themenschwerpunkten der einzelnen Abende und bedient so das Thema ganz mustergültig, weil Metropolen immer mit Krieg und Frieden zu tun haben. Start ist in „Wien“ am 3. Dezember 2018 mit Beethovens „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91“, immerhin.

Ansonsten im Programm: schöne Sonderkonzerte, unter denen das Stummfilmkonzert „Panzerkreuzer Potemkin“ (26.3.2019) besonders auffällt, Kammerkonzerte, Familienkonzerte, Babykonzerte („Maxi“ und „Mini“). Es findet sich alles im einwandfrei strukturierten Programmbuch und im Netz, deshalb erspare ich mir hier das Aufzählen der weiteren Highlights und Merkwürdigkeiten.

Auslastung nahe an 80 Prozent

Das Orchester habe zahlreiche Gastspiele in fernen Landen absolviert, Mahler und Rachmaninow seien jetzt gänzlich eingespielt, die 80-Prozent-Marke bei der Auslastung sei so gut wie erreicht. Als Feltz in Dortmund anfing, erinnert er sich, lag die Marke bei 65 Prozent. Da kann man schon stolz sein.

Das Ballett plant wieder zwei Premieren. Zum einen gibt sich Chef Xin Peng Wang an Dantes Göttliche Komödie und inszeniert im ersten Teil „Inferno“. Bis 2021 soll jedes Jahr ein weiteres Teilstück hinzukommen (Musik von Michael Gordon und Kate Moore, Uraufführung Samstag, 3.11.2018).

Die zweite Premiere ist wieder ein Gemeinschaftswerk dreier Choreographen. Douglas Lee, Jacopo Godani und Wubkje Kuindersma haben „Visionen“ (erstmalig am 9.3.2019).

Wiederaufnahme des Balletts: „Alice“ (Foto: Theater Dortmund)

„Alice“ bleibt

„Schwanensee“, in Xin Peng Wangs Einrichtung erstmalig 2012 in Dortmund zu sehen, ist ebenso bei den Wiederaufnahmen wie „Alice“ nach Lewis Carrolls „Alice’s Adventures in Wonderland“, ein Ballett von Mauro Bigonzetti mit Musik der Gruppe Assurd. Zwei internationale Ballettgalas sind für Mitte Oktober 2018 und Juli 2019 eingeplant. Außerdem, in Stichworten: Sommerakademie, Seniorentanztheater, Open Classes und etwas Drumherum.

„Echnaton“ von Philip Glass

In der Oper „Aida“, Der Barbier von Sevilla“, „Das Land des Lächelns“, „Turandot“ und (immerhin) „Echnaton“ von Philip Glass. Regie und Choreographie bei „Echnaton“ führt Demis Volpi, und es steht zu hoffen, daß ihm Besseres gelingt als Laura Scozzi in Bonn mit ihrer verunglückten Verlagerung des Stoffes in eine Schulklasse mit submotivierten Pubertierenden.

Neben den erwähnten unverwüstlichen Ohrwürmern findet sich mit „MusiCircus“ nach John Cage oder „Fin de partie – Endspiel“ von György Kurtág auch Experimentelles im Spielplan, doch ist so etwas wie ein Stil des Hauses nicht recht erkennbar. Anders als sein Vorgänger Jens Daniel Herzog inszeniert der neue Intendant Heribert Germeshausen nicht selber, sondern plant in großen Würfen. Die Oper werde sich zukünftig in die Stadtgesellschaft öffnen, sagt er, und ab 2020 stehe Wagner verstärkt im Fokus. Von 2021 bis 2024 soll ein kompletter „Ring“ neu entstehen.

Neue Ästhetik im Sprechtheater?

Im Sprechtheater arbeitet Schauspielchef Kay Voges an einer Koproduktion mit dem Berliner Ensemble, Titel „Die Parallelwelt“. Das Projekt, erläutert er, basiere auf der Grundkonstellation, daß an zwei Orten zur gleichen Zeit zwei identische Aufführungen stattfinden. Und daß diese miteinander, via Glasfaserkabel und Videokunst, miteinander in Verbindung treten. Nach dem Weggang Claus Peymanns steht der neue Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, solchen experimentellen Projekten positiv gegenüber. Man darf also gespannt sein, ob es beim technischen Spiel bleibt oder ob mit seiner Hilfe eine neue Ästhetik, neue Kunst mithin, erwächst.

Das Schauspiel zeigt weiterhin „Das Internat“. Bild mit Ensemble und Studenten der Folkwang UniversitäŠt der KŸünste (Foto: Birgit Hupfeld  /Theater Dortmund)

Horror – frei ab 18

Jörg Buttgereit, „der Papst des deutschen Horrors“ (O-Ton Voges), setzt mit dem Stück „Im Studio hört Dich niemand schreien“ zu neuen Schandtaten an, und sicherheitshalber hat das Theater hinter diese Ankündigung schon mal den „ab 18 Jahren“-Vermerk geschrieben. Eine „Hedda Gabler“ sticht ins Auge, die der Regisseur Jan Friedrich im Studio zur Aufführung bringen will, ebenso ein Stück des Dortmunder Sprechchores, in dem es „über Fußball und heimliches Begehren“ geht. Genauer gesagt geht es in „Echte Liebe“ um Homosexualität, die im Fußball nach wie vor kaum akzeptiert wird.

Viele Wiederaufnahmen

Diverse größere und kleinere Sachen stehen in der Ankündigung, einige noch etwas unfertig, daneben etliche Wiederaufnahmen: „Das Internat“, „Biedermann und die Brandstifter/Fahrenheit 451“, „Der Theatermacher“, „Die Show“, „Zerline“, „Der Kirschgarten“, „Endspiel“, „4.48 Psychose“ und weitere.

Gerburg Jahnke führt Regie

Ja und dann ist da Gerburg Jahnke, die man vielleicht noch als eine Hälfte der „Missfits“ in Erinnerung hat, die treffsicheres Frauenkabarett macht und regelmäßig auch Regie führt. Jetzt tut sie das in Dortmund, im Stück „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“. Das Stück entstand nach dem gleichnamigen Roman von Anna Basener und beschreibt launig das Aufeinandertreffen der hippen Nichte aus Berlin, die eine vielversprechende, aber erfolglose Designerin von Damenschlüpfern ist, mit – eben – Oma, die einen Großteil ihres Erwerbslebens als Puffmutter verbrachte. Die Musik macht, wie in vielen anderen Produktionen auch, Tommy Finke, und den Kostümverantwortlichen, wenngleich er schon lange im Geschäft ist, muß man einfach seines „märchenhaften“ Namens wegen einmal wieder nennen: Michael Sieberock-Serafimowitsch, die Bühne gestaltet er auch.

Anke Zillich wechselt vom Schauspielhaus Bochum an das Theater Dortmund (Foto: Schauspielhaus Bochum)

Abiturstoff im Kinder- und Jugendtheater

Das Kinder- und Jugendtheater (KJT) schließlich tritt mit acht Premieren an, von denen zwei – „Fast Faust“ nach Goethe und „Der Sandmann“ nach einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann – demnächst auch Abiturstoff sein sollen. Alle Produktionen sind präzise auf Altersgruppen zugeschnitten, was durchaus auch als künstlerische Herausforderung gesehen werden muß.

„Cinderella“ ist das neue Weihnachtsmärchen (ab 6 Jahren). Als Autor zeichnet KJT-Chef Andreas Gruhn selbst, und er bediente sich der Vorlage Charles Perraults. Uraufführung ist am 15. November, glücklicherweise jetzt wieder im renovierten Schauspielhaus, wo hoffentlich genug Platz für die erwarteten Besucherscharen sein wird.

Weitere Programminfos, noch einmal sei es gesagt, stehen im dicken Programmbuch. Lediglich eine Personalie sei noch erwähnt: Schauspielerin Anke Zillich wechselt vom Bochumer Schauspielhaus nach Dortmund. Fraglos eine Bereicherung des Ensembles.

www.theaterdo.de




„Sisyphos“ im Hier und Jetzt – ein kreativer Versuch über alles und nichts im Bochumer Prinz Regent Theater

Die Spielzeit am Prinz Regent Theater in Bochum neigt sich dem Ende zu – jetzt, wo der Frühling sich noch kaum erahnen lässt. Das Besondere ist jedoch, dass es auch die Leitung betrifft. Kaum ein Freies Theaterhaus in Deutschland hat so viel Schlagzeilen produziert wie dieses. Romy Schmidt wird ihr Engagement beenden.

(Foto: Sandra Schuck / Prinz Regent Theater)

„Sisyphos“-Szene mit Linus Ebner (li.) und Martin Widyanata. (Foto: Sandra Schuck / Prinz Regent Theater)

Das ist die Folge einer Serie von Streitigkeiten mit dem und innerhalb des betreibenden Vereins. Ihr Team und sie waren und sind erfolgreich. Die Stelle ist bereits ausgeschrieben und man kann gespannt sein, wie es dort weitergeht.

„Sisyphos“ (mit dem Zusatz: This is not Albert Camus) steht hier als Vorlage für eine Stückentwicklung, die in einer Performance landete. Die Kreation zeugt vom absurden Leben und der Kraft des freien Denkens als Show. Linus Ebner, Romy Schmidt und der Musiker Martin Widyanata haben sich zu dritt dieser Aufgabe gewidmet. Herausgekommen ist ein Stück heutiges Theater, wie es wohl nur in freier Form erzeugbar ist. Hier wird dem Publikum die Sinnfrage entgegengewirbelt.

Der antike Stoff ist bekannt: Sisyphos soll einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Dieses Motiv ist als Sisyphosaufgabe ein geflügeltes Wort für eine ertraglose und dabei schwere Tätigkeit ohne absehbares Ende.

Wie vor dem Eingang zur Hölle

In einer grau-düsteren Landschaft (Bühne: Sandra Schuck) aus Felsbrocken, Großbuchstaben, einem Galgenstrick und einem Fragezeichen bewegt sich das Spiel mit Text und Körper. Die ersten Worte, die der Schauspieler Linus Ebner seiner Suada voransetzt: „Die Welt ist weit. Die weite Welt.“

Es folgen Szenen, die ebenso unerwartet wie unmittelbar auf uns zukommen, um verdaut zu werden. Zitate wie „Wir Menschen sollten so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle“ (Kafka). Das klingt nach Moralspritze, ist es aber nicht. Es ist physisches Theater im Hier und Jetzt, verbunden mit elektronischer Musik, die von Martin Widyanata live aus einem Felsenloch beigesteuert wird. Er ist körperbehindert (ohne Gliedmaßen) und beteiligt sich auch am Spiel – unspektakulär und dennoch unvergesslich, wie er von Ort zu Ort rollt. Ein elektrischer Rollstuhl wird von Ebner in einem Kabelsalat verheddert, eine Aufgabe, die er sich selber stellt, diesen Salat wieder zu entwirren.

„Ich kann nicht mehr“

Es geht um Surfleidenschaft und eine Spielzeugeisenbahn. Hin und wieder pufft Nebel aus einem Krater. Der speit Feuer und in einer Auslassung über „Passion“ kommt alles in englischer Sprache. Why not? Sein Spiel ist für das Publikum und er macht das (so sagt er im Schlussteil) eben genau deswegen, weil ihm Menschen zuhören. Er bleibt dabei fast unentwegt mit seinem Blick bei den Zuschauern. Er verausgabt sich absichtsvoll und ist aufmerksam wie eine konzentrierte Katze.

Man hat den Eindruck, alle Themen des Menschseins kämen hier aufs Tapet. Ein Ausflug in die Talkshow mit Markus Lanz, wo Sisyphos einer der Gäste ist, und die Bekenntnisse eines Pädophilen scheinen das Fass zum Überlaufen zu bringen. Er tanzt – mit seinem Begleiter auf den Schultern – durch die Lebenshölle und haucht den Buchstaben M, H und Y Leben sein.

Alles kaum vorstellbar? Man muss es sehen, um es zu befragen und bewundern zu können. Am Ende sagt der Darsteller: „Ich kann nicht mehr.“ Man könnte meinen, dies sei ernst gemeint. Das Leben lässt sich nicht so leicht bändigen und wir werden alle noch den Felsen hinaufrollen und dann wieder loslassen müssen. Irgendwann, irgendwo.

Dennoch überkommt den Betrachter und aufmerksamen Zuhörer nach zwei Stunden Ermüdung. Der Schluss will einfach nicht enden. Wie die Sisyphosaufgabe. Großer Applaus.

Infos: http://www.prinzregenttheater.de/sisyphos.html




Ein großer Tag dämmert den BoSys: Gustav Mahlers Neunte in Bochum lässt tief betroffen zurück

Abschied durchweht das Vierte Sinfoniekonzert der Bochumer Symphoniker (BoSys): Letzte Werke sind angesetzt. Richard Strauss‘ „Vier letzte Lieder“ eröffnen den Abend, Gustav Mahlers letzte vollendete Sinfonie krönt ihn. Zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Bei Strauss ein üppig glühender, langsam in zarten Farben erblassender Sonnenuntergang, harmonisch schwelgerisch, melodisch intensiv. Bei Mahler zerrissenes, drohendes Wetterleuchten und groteske Licht-und-Schatten-Tänze, dann ein fahles Ersterben, in dessen Erlöschen ein Hoffen auf Transzendenz aufscheint.

Steven Sloane profiliert sich als Mahler-Dirigent. Foto: Bochumer Symphoniker

Orchesterchef Steven Sloane profiliert sich als Mahler-Dirigent. (Foto: Bochumer Symphoniker)

Die Bochumer Symphoniker stellen dieses Konzert in den Verlauf ihres Mahler-Projekts, das in den nächsten Jahren „mit neuen Ansätzen auf die Reise durch den Mahler-Kosmos“ gehen soll. Marlis Petersen, gefeiert in Bellinis „La Straniera“ in Essen und als Alban Bergs „Lulu“ in München und New York, gehört zu den schlankstimmigen Strauss-Interpretinnen. Sie hat im „Frühling“ wie viele ihrer hochkarätigen Kolleginnen ein Problem mit der geradezu unverschämten Tiefe, aus der sie dann in blühende Höhen aufbrechen soll. Das geht nicht ohne steifen Glanz ab. Aber in „September“ fühlt sich Marlis Petersen viel wohler, führt die Stimme leicht und leuchtend. Und sie lässt in Hermann Hesses „Beim Schlafengehen“ die „Seele unbewacht“ in wundervollem Bogen „in freien Flügen schweben“. Die BoSys verschmelzen in weichem Streicherschimmer mit der Stimme, tragen sie in freiem Piano und umkleiden sie mit der herbstlichen Farbenpracht von Strauss‘ Instrumentation.

Von dieser güld’nen, melancholisch durchtränkten Stimmungsmalerei ist bei Gustav Mahler nichts zu hören: Steven Sloane macht in der Eröffnung des ersten Satzes radikal deutlich, wie sich diese Musik in fragmentierten Elementen zu sich selbst vortastet, auch in der scheinbaren D-Dur-Klarheit der Episode, die gerne als „Hauptthema“ tituliert worden ist, obwohl Mahlers Neunte mit den Kriterien der an Beethoven geschulten Analyse überhaupt nicht mehr zu fassen ist.

Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum. Foto: Werner Häußner

Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum. (Foto: Werner Häußner)

Sloane tut also folgerichtig nicht so, als sei im Geflecht der symphonischen Entwicklung irgendein Motiv „wichtiger“ als ein anderes. Er versöhnt nicht, sondern reißt auf. Dass er die Dynamik zügelt, macht die Geröllhalde auf diesem fernen Stern noch fremdartiger. Das Paukensolo, die harschen Harfenakkorde, versprengte, gedämpfte Horn- und Trompetensignale, der dumpfe Zusammenbruch von Celli, Kontrabässen und Fagott, das Seufzen der Bassklarinette: Die Symphoniker lassen in dieser zerrissenen Welt die Schönheit und die Hinfälligkeit, den Balsam und den Schmerz der Töne aufleuchten.

Andererseits wählt Sloane nicht den Weg einer Schärfung um jeden Preis. Die Violinen könnten ihre Linien schmerzhafter ziehen, das Blech könnte anti-brucknerisch grell und aufgepeitscht klingen, auch in den Holzbläsern hält sich schrille Exaltation die Waage mit samtiger Resignation. Mahler wird nicht geschunden und bloß vorgeführt, sondern in den Goldrand einer sanften Distanz gekleidet – wie ein Jugendstil-Gemälde, das Schreckliches in dekorativer Façon zeigt. Ein Weg, der manchen Mahler-Exegeten vielleicht zu wenig radikal erscheint, der aber seinen Sinn hat. Hoffen, Bangen und Verzweifeln werden so noch schmerzvoller.

Groß in Form sind Orchester und Dirigent auch in den Mittelsätzen. Michael Gielen, einer der profiliertesten Mahler-Deuter der letzten Jahrzehnte, hat sie als einen „Rückblick auf Gesellschaftliches, auf Volkstümlichkeit, auf Vulgarität der andern“ beschrieben. Diesen Blick schärft Sloane: Harmlose Ländler-Rhythmen werden zu skurrilen Veranstaltungen, die schroffen Wechsel von Takt und Haltung sind deutlich markiert, die Ironie, mit der Mahler musikalische Floskeln zitiert und zerlegt, entfaltet sich in ätzender Schärfe.

Der Sog zum hexerischen Finale der Rondo-Burleske steigert sich ins Groteske; die BoSys lassen derbe Töne knallen und scharren. Der weite Tonraum zwischen Violin-Flageolett und Kontrabass-Abgrund reißt seinen Schlund auf. Das abschließende riesige Adagio kennt dann noch einmal melancholisch weiche Phrasierungen, wundervolle Abstimmungen zwischen Horn und Blech und – trotz einsetzender Konzentrationsprobleme – idyllisch versöhnten Streicherklang. Im äußersten Pianissimo verfliegt der Ton in die quasi hinzukomponierte Stille. Ein großer Tag für Steven Sloane und sein Orchester.

Nächstes Sinfoniekonzert im Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum am 26./27./28. April mit Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ und dem ersten Akt der „Walküre“.




Ein Ruhri als Arbeitsmigrant in Istanbul – burlesker Musikabend des Bochumer Schauspiels mit Liedern von Sezen Aksu

Im Dolmus, dem speziellen türkischen Sammeltaxi, kommen sich die Menschen sehr nah. Ensembleszene aus „Istanbul“. (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Schummrig glimmende Messinglampen, dicke Teppiche, im Hintergrund die Blaue Moschee: ganz klar, der Orient.

Umrahmt indes wird die orientalische Szenerie vorne, links und rechts von voll besetzten Biertischen und –bänken, und käme im nächsten Moment eine blonde Resi Maßkrüge stemmend um die Ecke, wunderte es einen nicht. Man ahnt, dass hier Kulturen aufeinanderstoßen werden, und liegt damit natürlich richtig.

Türkische Künstlerin

„Istanbul“ heißt das Stück von Selen Kara und Torsten Kindermann, in dem es meistens laut und lustig zugeht und in dem es viel Musik zu hören gibt – Premiere im Kleinen Haus des Bochumer Theaters.

Zu hören sind an diesem Abend Lieder der türkischen Sängerin Sezen Aksu (Jahrgang 1954). Sie ist in der Türkei seit Jahrzehnten ein Star, singt von Sehnsucht, Liebe, Trauer, Verlust. Im Jahr 1990, verrät uns das Internet, gab es eine Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg, dennoch dürfte die Künstlerin in Deutschland nur wenigen bekannt sein. Diesem Defizit mit einem Liederabend zu begegnen, ist somit ein löbliches Unterfangen.

Wie sagt man, daß man Kaffee lieber mag als Tee? Aufmerksame Barkeeper und sprachunkundiger Gastarbeiter (von links): Koray Berat Sari, Torsten Kindermann, Gregor Hengesbach, Jan Sebastian Weichsel, Roland Riebeling. (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Die Rahmenhandlung spielt mit einer Fiktion. Wie wäre es, wenn die türkisch-deutsche Arbeitsmigration umgekehrt verlaufen wäre? Wenn nicht Türken zum Broterwerb nach Deutschland hätten kommen müssen, sondern Deutsche in die Türkei, vor allem nach Istanbul, Boomtown am Bosporus?

Klaus Gruber, VfL-Fan aus Bochum, ereilt dieses Schicksal. Die entwürdigende medizinische Untersuchung erklärt ihn für tauglich, und in einem Ort namens Börök bekommt er Arbeit. Klaus (Roland Riebeling) versteht kein Wort Türkisch, seine Behausung ist winzig, seine Arbeit eine Knochenmühle, immerzu muss er, der notorische Kaffeetrinker, Tee trinken, und erotischen Offerten beiderlei Geschlechts – schließlich ist er verheiratet – muss er entschlossen widerstehen. Doch Klaus schluckt all das, schickt Geld nach Hause, schwört sich und allen, die es hören wollen, dass er das höchstens zwei Jahre macht.

Klaus‘ Frau kam nach

Bekanntlich kam es anders für die Männer und Frauen der „ersten Generation“. Die neue Heimat haben sie nicht gewonnen, die alte aber Stück um Stück verloren. Irgendwann ist Klaus’ Frau Luise (Tanja Schleiff) nachgezogen, und als Rentner sitzen sie immer noch in Istanbul. Obwohl Klaus in Bochum ein Haus gebaut hat, blau-weiß angestrichen, mit Wintergarten. Anfang und Ende der Handlung ist übrigens eine Beerdigungsszene, in der die Hinterbliebenen darüber streiten, wo Klaus’ Urne denn nun vergraben werden soll.

Neben Klaus und Luise wirken eine türkische Geliebte (Raphaela Möst), ein Barkeeper (Martin Weigel) und ein Dolmetscher (Daniel Stock) mit, und alle fünf singen sie abwechselnd Lieder von Sezen Aksu. Begleitet werden sie von einer Viermannkapelle (Gregor Hengesbach, Torsten Kindermann, Koray Berat Sari, Jan-Sebastian Weichsel), die sich auch, wie man spätestens bei der Zugabe hören wird, mit hartem Rockgeschrammel recht gut auskennt. So viel zur Konstruktion dieser eher schlicht gestrickten Zweistundenproduktion.

Klaus (Roland Riebeling) auf seinem Teppich. (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Selbstgemachtes Musiktheater hat in Bochum Tradition. Ein sehr erfolgreicher Johnny-Cash-Abend mit Thomas Anzenhofer in der Titelrolle stand während der Intendanz Anselm Webers jahrelang auf dem Programm. Auch hier verantwortete Torsten Kindermann das musikalische Konzept. Wahrscheinlich hoffen er und die anderen „Istanbul“-Verantwortlichen – zu nennen wäre noch Regisseur Selen Kara, der zusammen mit dem Texter Akin E. Sipal die Fassung dieses Stücks schuf – auf einen ähnlichen Erfolg.

Doch wirklich überzeugend geraten die Musikbeiträge hier nicht. Die eher burleske Darbietung auf der Bochumer Bühne (Thomas Rupert) unterscheidet sich nachteilig vom stilvollen, intensiven Vortrag der türkischen Diseuse.

Auch die musikalische Begleitung gerät zu derb, lässt mit lautem Trommeln eher an den Balkan-Sound eines Emir Kusturica denken. Subtile „orientalische“ Klänge hingegen, die, wenngleich sparsam gesetzt, den Reiz der Lieder von Sezen Aksu zu einem nicht geringen Teil ausmachen, sind Sache dieser Musikanten nicht. So wie in Bochum vorgetragen, klingen die Lieder auch deshalb bald schon einförmig, und ungeduldig harrt man des Fortgangs der Handlung.

Keiner versteht Ruhri-Deutsch

Nun, trotzdem bleibt es vergnüglich, und das ist vor allem Roland Riebeling als Gastarbeiter Klaus zu verdanken. Mit Mutterwitz ist er gesegnet, die Sprache des Reviers ist ihm vertraut, und mit gutem Gespür für die rechte Balance von Tragik und Komik arbeitet er auch die traurigen Valeurs des Gastarbeiterschicksals heraus: Ein armer Ruhri, dessen Ruhri-Sprache keiner versteht und der in seiner existentiellen Not unser Mitleid erregt. Auch die anderen vier Mitspieler wissen zu überzeugen, wenn die Inszenierung ihnen dazu die Gelegenheit gibt. Alle arbeiten sie hoch präsent und mit beeindruckendem Körpereinsatz.

Das Publikum bejubelte „Istanbul“ am Premierenabend frenetisch. Auch zu Silvester, wenn das Schauspielhaus mit Doppelvorstellungen in beiden Häusern maximales Programm bietet, ist das Stück im Angebot. Spaßtheater zum Jahreswechsel, warum auch nicht. Die Sängerin Sezen Aksu indes sollte man sich im Original anhören. Im Internet geht das problemlos.

 




Bochumer Ausstellung „Umbrüche“: Wie Fotokünstler den stetigen Wandel des Ruhrgebiets gesehen haben

Das Ruhrgebiet kann man auf sehr verschiedene Arten betrachten – auch und gerade mit künstlerisch inspiriertem Sinn. Diese an sich nicht allzu überraschende Weisheit wird jetzt in einer Bochumer Fotografie-Ausstellung sehr entschieden bekräftigt. „Umbrüche“ heißt die anregende Schau im „Museum unter Tage“ („MuT“), das im allseits durchgrünten Ambiente des Schlossparks von Bochum-Weitmar gelegen ist.

Rudolf Holtappel: "Die letzte Schicht", Oberhausen, 1964, späterer Abzug (2009), 31 x 30 cm (© Stiftung Situation Kunst, Bochum)

Rudolf Holtappel: „Die letzte Schicht“, Oberhausen, 1964, späterer Abzug (2009), 31 x 30 cm (© Stiftung Situation Kunst, Bochum)

Der Titel lässt ahnen, dass es abermals um den Wandel der Industrielandschaft geht, der sich schon seit etlichen Jahrzehnten vollzieht. Dennoch ist es keine regionalgeschichtliche Themen- und Überblicksausstellung, sondern eine genuin künstlerische, die just unterschiedliche ästhetische Positionen markiert.

Anlass zum Innehalten

Gewichtiger Anlass zum Innehalten: 2018 wird mit Prosper Haniel in Bottrop die letzte aktive Zeche des gesamten Ruhrgebiets den Betrieb einstellen. Da lohnt sich erst recht der Blick zurück, der womöglich auch Perspektiven für die Zukunft eröffnet. Denn die Frage, wie man den viel beschworenen Strukturwandel gestalten soll, ist ja immer noch nicht hinreichend beantwortet. Wie denn auch? Es ist eine bleibende Aufgabe.

Den Schwerpunkt und den Auftakt des Ausstellungs-Rundgangs bildet ein famoses Konvolut mit rund 110 Fotografien von Rudolf Holtappel. Selbst Ruhrgebietsbewohner, hat der als Reportage-, Theater- und Unternehmensfotograf tätige Holtappel Wesen und Wandel dieser Region besonders in den 60er und 70er Jahren festgehalten. Trotz weltweiter beruflicher Reisen sind die vorwiegend in Duisburg und Oberhausen entstandenen Revier-Bilder der Kern seines Lebenswerks.

Weit entfernt von Revier-Klischees

Tatsächlich formieren sich geradezu monströse Industrieanlagen in seinen Aufnahmen zu „Landschaften“ ganz eigener Art, die sich übermächtig in ursprünglich agrarisch genutzte Areale gefräst haben. Diese Fotografien sind freilich weit entfernt von Ruhrgebiets-Klischees. Mit den Begriffen Wirklichkeit und zumal Wahrheit soll man bekanntlich vorsichtig sein, doch hier leuchten Momente auf, die dem Ideal einer wahrhaftigen Essenz wohl sehr nahekommen.

In Bochum sind ausschließlich eigenhändige Abzüge Holtappels zu sehen, nach weniger guten Erfahrungen mit Profi-Laboren („Das sind nicht mehr meine Bilder!“) hat er seinerzeit den ganzen Herstellungsprozess an sich gezogen. Und siehe da: Auch anhand seiner relativ kleinformatigen Abzüge (er wollte die Betrachter nicht mit schierer Größe überwältigen), die vorwiegend für den Druck und nicht für Museumswände gedacht waren, kann man dennoch der Textur der Dinge und den feinsten Nuancen von Grautönen nachspüren. Nie und nimmer könnte man solche ästhetischen Valeurs mit Digitalfotografie erzielen.

Verwurzelung und ungebrochene Vitalität

Der Fotokünstler hat nicht nur Industrieanlagen und den damals noch so rußigen Himmel auf Bilder gebannt, sondern auch einprägsame Momente des Ruhrgebiets-Lebens – von Bergarbeiterstreiks gegen die ersten Zechenschließungen in den 1960er Jahren bis hin zu Kleingarten-Refugien und prallen Kneipenszenen, die von Verwurzelung und unverfälschter Vitalität künden.

Rudolf Holtappel ist 2013 mit 90 Jahren in Duisburg gestorben. Seine Witwe Herta hat der Bochumer Stiftung „Situation Kunst“ (zu der das Museum unter Tage gehört) etwa 150 Ruhrgebiets-Fotografien als Schenkung überlassen. Von den Arbeiten, die nun zu sehen sind, ist die Hälfte noch nie öffentlich gezeigt worden.

Bernd und HIlla Becher: "Hochofen", Gutehoffnungshütte-Ost, Oberhausen (1972), Modern Print, 40 x 30 cm (© LVR Industriemuseum, Oberhausen)

Bernd und Hilla Becher: „Hochofen“, Gutehoffnungshütte-Ost, Oberhausen (1972), Modern Print, 40 x 30 cm (© LVR Industriemuseum, Oberhausen)

Gespür für kulturhistorischen Wert

Wie grundlegend anders erscheinen Revier-Ansichten im Oeuvre von Bernd und Hilla Becher! Fast schon steril und blutleer muten ihre Aufnahmen der Oberhausener Gutehoffnungshütte seit Mitte der 60er Jahre an. Doch es ist eben eine andere, ebenso schlüssige Herangehensweise.

Als monumentale Denkmäler ihrer selbst erscheinen hier die gigantischen Industriebauten. Spuren von Alltag und Arbeit scheinen sich verloren zu haben. Schon früh entwickelten die Bechers offenkundig ein weit vorausschauendes Gespür für den kulturhistorischen Wert solcher Anlagen, den sie möglichst „objektiv“ dokumentieren wollten. Wenn man weiß, dass die Gutehoffnungshütte bereits damals von Schließung bedroht war, so könnte die fotografische Serie auch den (hilflosen) Gestus eines Rettungsversuchs haben.

Verletzungen der Stadtlandschaft

Bis hierher hat man Schwarzweiß-Aufnahmen gesehen, jetzt beginnt die Farbzeit, allerdings in verhaltenen Tönen: In den 80er Jahren hat sich der in Dülken/Niederrhein geborene Joachim Brohm (Jahrgang 1955) fotografisch im Revier umgetan. In nahezu verblichen wirkenden Farben hat er vor allem schmerzliche „Verletzungen“ in Randzonen der Stadtlandschaften aufgesucht.

Joachim Brohm: "Ruhr", Essen, 1981 (2007). C-Print, 24 x 24 cm (© Joachim Brohm / VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Joachim Brohm: „Ruhr“, Essen, 1981 (2007). C-Print, 24 x 24 cm (© Joachim Brohm / VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Es sind bestürzende Hinterlassenschaften der Industrie und brachialer Umgestaltung: veritable Wüsteneien und öde Orte der Tristesse, in denen kaum noch etwas zu geschehen scheint. Eine ganze Region, so der Eindruck, ist gleichsam entleert worden und liegt brach. Darüber ist man heute noch nicht überall hinweg.

Bis zum Rand der Abstraktion

Jitka Hanzlová, 1982 ohne jegliche deutsche Sprachkenntnis aus der Tschechoslowakei ins Ruhrgebiet „verweht“, wie sie sagt, setzt die beinahe abstrakten Schlussakzente der Ausstellung. Fast schon Hassliebe sei es, was sie ans Ruhrgebiet binde, sie könne nur sehr subjektiv ans Sichtbare herangehen. Mit ihrer zuweilen radikal ausschnitthaften Sichtweise begibt sie sich an unscheinbare Stellen, die unter ihrem besonderen Blick freilich mit rätselvoller Magie aufgeladen werden. Ob es ein böser oder guter Zauber sei, verraten diese Bilder gewiss nicht.

„Umbrüche: Industrie – Landschaft – Wandel“. Museum unter Tage („Situation Kunst“, Schlossstr. 13, Bochum, Parkgelände Haus Weitmar). Geöffnet Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa/So/Feiertage 12-18 Uhr. In Bochum noch bis zum 25. März 2018 (anschließend im Willy-Brandt-Haus, Berlin: 5. April bis 27. Mai 2018). Vierteiliger Katalog im Schuber 32 Euro.

Infos: www.situation-kunst.de

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Der Beitrag ist zuerst im Kulturmagazin „Westfalenspiegel“ erschienen: www.westfalenspiegel.de




Künftiger Ruhrfestspiel-Chef heißt Olaf Kröck

Hier mal ein dürre Nachricht, einstweilen noch ohne allzu viel „Fleisch“, wie man so sagt: Der kommende Intendant der Ruhrfestspiele heißt Olaf Kröck, ist derzeit (Interims)-Intendant des Bochumer Schauspielhauses und wird sein Amt in Recklinghausen am 1. August 2018 antreten.

Wird Intendant der Ruhrfestspiele: Olaf Kröck. (Foto: © Knotan)

Wird Intendant der Ruhrfestspiele: Olaf Kröck. (Foto: © Knotan)

Der 45-jährige Kröck tritt die Nachfolge von Frank Hoffmann (63) an, der den Ruhrfestspielen seit 2004 nur selten ästhetische Offenbarungen, jedoch hervorragende Auslastungszahlen beschert hat.

Mit Kröck, der ein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Universität Hildesheim absolviert hat, entscheidet man sich nicht für einen etablierten großen Namen der Theaterzunft, sondern eher für ein Versprechen auf die Zukunft. Die Zusammenarbeit dürfte wunschgemäß langfristig angelegt sein.

Der in Viersen geborene Olaf Kröck wird seinen jetzigen Bochumer Posten, den er gerade erst eingenommen hat, im Sommer 2018 für Johan Simons, den bisherigen Chef der RuhrTriennale, räumen.  Simons` Triennale-Nachfolge wiederum wird aus einer „Doppelspitze“ mit Stefanie Carp und Christoph Marthaler bestehen.

Die Karten in der Theaterlandschaft des Reviers werden also gründlich neu gemischt.

Der neue Ruhrfestspiel-Mann Kröck war bisher vorwiegend als Dramaturg tätig, und zwar in Hildesheim, Luzern, am Schauspiel Essen und (vor seiner jetzigen Kurz-Intendanz) am Schauspielhaus in Bochum, wo er wesentliche Inszenierungen der letzten Jahre mitgeprägt hat.

Die Entscheidung für den neuen Ruhrfestspielchef wurde im Aufsichtsrat des traditionsreichen, 1947 gegründeten Festivals einstimmig getroffen. Gesellschafter der Ruhrfestspiele sind der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Stadt Recklinghausen.

Am 27. Oktober soll Olaf Kröck in Recklinghausen offiziell vorgestellt werden. Mal schauen und hören, welche konzeptionellen Vorstellungen er dann womöglich schon im Gepäck hat.

 




„Situation Kunst“ in Bochum-Weitmar: Hier wuchs ein durchgrüntes Kulturgebiet sondergleichen

Kunst-Kubus in der alten Schlossruine - ein wesentlicher Teil der "Situation Kunst". (Fotos: Bernd Berke)

Kunst-Kubus in der alten Schlossruine – ein wesentlicher Teil der „Situation Kunst“. (Foto: Bernd Berke)

Nicht, dass ich noch ins haltlose Schwärmen gerate! Doch es kann und soll nicht verschwiegen werden, dass es im Ruhrgebiet ein Kunst-Areal von besonderer Güte gibt, das nicht nur zu Ausflügen ins Grüne animiert, sondern innige Zwiesprachen zwischen Kunst, Architektur und Natur stiftet, nicht zuletzt mit Skulpturen im Außenbereich (von Größen wie Richard Serra, Ulrich Rückriem u. a.). Im gesamten Revier, ja in ganz Deutschland gibt es wohl nichts Vergleichbares. Und wo denn überhaupt?

Ich meine den Schlosspark in Bochum-Weitmar, dem sich nach und nach immer mehr Ausstellungsorte angegliedert haben, ohne den Erholungswert zu beeinträchtigen. Im Gegenteil. Hier kann die Seele vielfach gelüftet werden.

Zu meiner nicht geringen Schande muss ich gestehen, dass ich das Ambiente bis gestern noch nicht in seiner jetzigen, mit den Jahren gehörig angewachsenen Ausdehnung und Ausformung gekannt habe. Mit diesen Zeilen leiste ich Abbitte fürs Versäumnis.

Kubus in der Ruine und ein „Museum unter Tage“

Das Ganze nennt sich „Situation Kunst“ und besteht aus einer ersten Stufe (1988-90) mit vier helllichten Baukörpern, einem Erweiterungsbau von 2006 sowie neuerdings vor allem aus dem Kubus, der zum Kulturhauptstadt-Jahr 2010 als Kunststätte in die Reste einer alten Schlossruine eingesenkt wurde (ein Meisterstück zeitgenössischer, Historie aufnehmender Architektur). Rings um die modern angefüllte Ruine ist ein Wassergraben entstanden, nahebei findet sich ein pittoresker Teich mit mächtiger Trauerweide. Hier lasset uns bleiben für einige Zeit…

Oberirdischer Eingangsbereich des "Museums unter Tage". (Foto: Bernd Berke)

Schmucklos-nüchtern: oberirdischer Eingangsbereich des „Museums unter Tage“. (Foto: Bernd Berke)

Im November 2015 wurde schließlich das „Museum unter Tage“ („MuT“) eröffnet, dessen Räumlichkeiten tatsächlich – bis auf einen recht unscheinbaren Eingangsbereich – unter der Erde liegen und somit die umliegende Landschaft mit ihrem ehrwürdigen alten Baumbestand so gut wie gar nicht antasten.

Apropos Landschaft: Die Dauerschau des „MuT“ zeigt hochkarätige Landschaftsmalerei aus sechs Jahrhunderten. Hinzu kommen immer wieder Wechselausstellungen, wie jetzt gerade die sehr sehenswerte Fotografie-Präsentation „Umbrüche“ zum Wandel des Ruhrgebiets seit den späten 50er Jahren – mit Arbeiten von Rudolf Holtappel, Bernd und Hilla Becher, Joachim Brohm und Jitka Hanzlová. Über diese Schau (bis 25. März 2018) wird bei Gelegenheit noch ausführlicher zu reden sein. Versprochen.

Idyllisches Ambiente im Schlosspark. (Foto: Bernd Berke)

Idyllisches Ambiente im Schlosspark. (Foto: Bernd Berke)

Um das Kunstglück noch zu steigern: In direkter Nähe der erwähnten Bauten liegt auch noch die renommierte „Galerie m“, die bereits im rebellisch gestimmten Jahr 1968 von Alexander von Berswordt-Wallrabe gegründet wurde und seit 2003 von Susanne Breidenbach geleitet wird.

Alexander von Berswordt-Wallrabe als Spiritus rector

Damit sind wir ganz zwanglos beim Spiritus rector des ganzen Ensembles angelangt, der immer noch wohltätig im Hintergrund wirkt. Berswordt-Wallrabe hat vor Jahr und Tag den Schlosspark geerbt und hatte schon vorher bekundet, dass er ihn öffentlich zugänglich machen und künstlerisch ausgestalten wollte. Derlei „linke“ Ideen und Umtriebe missfielen seinem Vater, der ihn deshalb eigentlich schon enterbt hatte. Im gültigen Testament stand dann aber doch der Name des Sohnes, der also seine Pläne nach und nach umsetzen konnte. Welch‘ günstige Fügung…

Erste Annäherung ans Gelände auf dem Fußweg über die Schlossstraße. (Foto: Bernd Berke)

Erste Annäherung ans Gelände auf dem Fußweg über die Schlossstraße. (Foto: Bernd Berke)

Träger des durchgrünten Kunstgebiets ist die 2005 gegründete, gut ausgestattete Stiftung „Situation Kunst“, deren Vorstandsvorsitzende Alexander von Berswordt-Wallrabes Ehefrau Silke ist. Beide haben ihre famose Kunstsammlung in die Stiftung eingebracht. Dem Stiftungs-Kuratorium gehört u. a. der nunmehr aus dem zweithöchsten Staatsamt scheidende Alt-Bundestagspräsident Norbert Lammert an.

Zum Gedenken an den Kunsthistoriker Max Imdahl

„Situation Kunst“ ist dem Andenken ans Lebenswerk des einflussreichen Bochumer Kunstprofessors Max Imdahl (1925-1988) gewidmet, fungiert offiziell als Teil der Bochumer Ruhr-Universität (RUB) und wird vom dortigen Kunstwissenschaftlichen Institut betreut. Studierende können sich hier im laufenden Ausstellungsbetrieb beweisen – längst nicht nur als zunehmend kundige Wächter der Kunstschätze, sondern auch im kuratorischen Team unter Leitung von Maria Spiegel.

Genug der Einzelheiten. Jetzt aber rasch auf die Strecke; vor allem, sofern dieser Herbst noch ein paar schönere Tage mit sich bringt.

Weitere Infos mit Anfahrtsbeschreibung, Öffnungszeiten der Ausstellungen etc.: http://www.situation-kunst.de




Wuchtige Bilder statt Zauber und Geheimnis – Krzysztof Warlikowski deutet „Pelléas et Mélisande“ bei der Triennale

Pelléas (Phillip Addis) und Mélisande (Barbara Hannigan) an der Bar, in Tristesse vereint. Foto: Ben van Duin

Draußen das gewohnte Bild des Bretterbudendorfes – einfache Bauten für Kneipe und Kunst. Hier ein Raum voller Schrott, die Hinterlassenschaften unserer Lebensart. Dort eine vergitterte Werkstatt, alle Elemente akribisch angeordnet. Doch Obacht: Das Neue, das hier geschaffen wird, sind Waffen, also Werkzeuge der Zerstörung.

„The Good, the Bad and the Ugly“ heißt diese Ansiedlung vor der Bochumer Jahrhunderthalle, wieder errichtet vom Atelier Joep van Lieshout zu Johan Simons‘ drittem und letztem Ruhrtriennale-Jahr. Auf Zerfall und Gewalt trifft der Betrachter, van Lieshout proklamierte zum Festivalbeginn das Ende von allem. Um allerdings aus dieser Art Apokalypse einen kreativen Neubeginn abzuleiten. Doch ist dem zu trauen? Drinnen jedenfalls ist es mit dem Optimismus nicht weit her. Zum Finale von Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ beherrschen Tod und Agonie die Szene.

König Arkels Versuch der Aufmunterung, sein Verweis auf die Zukunft, Mélisandes gerade geborene Tochter im Blick, geht ins Leere. Wie überhaupt diese Aufführung in der Jahrhunderthalle geprägt ist von tiefer Tristesse, vom Zerfall einer Familie, von Eifersucht und Wahn. Was fehlt, sind Zauber und Geheimnis, da muss die Regie passen. Nur die Musik spricht davon, mit ätherisch anmutenden Klanggespinsten, prächtig kolorierten Passagen oder durch den bisweilen entrückten Gesang der Mélisande.

Golaud (Leigh Melrose), zerfressen von Eifersucht. Foto: Ben van Duin

Regisseur Krzysztof Warlikowski hingegen setzt auf Spannung, jede Menge Filmbildmacht und teils rohe Gewalt. Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak hat ihm dazu eine zweiteilige Bühne konstruiert, die ebenfalls ein Draußen und Drinnen kennt, einhergehend mit verschiedenen Zeitbezügen. Hier ein großbürgerlicher Raum mit Holzvertäfelungen und einer riesigen, im Halbrund geschwungenen Treppe, dort eine neonhelle Bar, mit Hockern, Tischen, Stühlen, dahinter lauter Waschbecken. Am Tresen und im Waschraum trifft sich das Prekariat der Gegenwart, im vornehmen Haus die königliche Familie nebst Dienerschaft. Lauter einsame Menschen in zerrütteten Verhältnissen, trotz Standesunterschied. Wer mag da an eine schöne Zukunft denken.

Golaud jedenfalls, Enkel des Königs Arkel, hat es hinausgetrieben aus der Schweigsamkeit und Enge des Schlosses, hin zu jener bunten Bar, an der bereits Mélisande hockt. Sie, vom Leben gezeichnet, Kette rauchend, mit langsamen Bewegungen wie von einer Süchtigen. Mag sein, dass sie als Prostituierte arbeitet. Er, zunächst still, ein kraftvoller Typ, mit schwarzem Bart und Haar, alles unter Kontrolle. Sein Jähzorn entlädt sich erst später. Da sitzen sie, wie die verlorenen Gestalten in Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“. Dann nimmt die Geschichte ihren Lauf, und hauchte Mélisande gerade noch ihr waidwundes „Fass mich nicht an!“ in den Raum, verlustiert sie sich auch schon mit Golaud an den Waschtischen.

Das birgt natürlich auch Geheimnis, wirkt aber wie ein schlechter Film. Regisseur Warlikowski setzt noch eins drauf, zeigt Horror-Szenen von Schafen, die geschlachtet werden (Andrzej Wajda: Pilatus und andere) sowie eine Sequenz aus Hitchcocks „Die Vögel“. Die Stoßrichtung ist klar: Mélisande, das Opferlamm, Mélisande, das verängstigte junge Mädchen, vom großen schwarzen Vogel attackiert. Das ist eben niemand anderes als der aufbrausende, bald von Eifersucht zerfressene Golaud.

Er nämlich heiratet seine Eroberung, bringt sie zum Schloss, wo sie auf den scheuen Pelléas trifft. Schnell entwickelt sich eine Seelenverwandtschaft zwischen diesen beiden Wunderlichen. Die Liebe, die daraus erwächst, ist eine keusche zwar, doch der wilde Golaud wittert Ehebruch, demütigt und schlägt seine Frau, ersticht schließlich seinen Halbbruder Pelléas. Am Ende gar stirbt Mélisande an der Geburt ihrer Tochter. Was bleibt, ist Erstarrung.

Mélisande ganz mondän, wie eine Filmdiva. Foto: Ben van Duin

Die Regie findet dazu teils starke, teils blasse Bilder. Als Brunnen, an dem sich Pelléas und Mélisande treffen, muss der Waschraum der Bar herhalten. Die mächtige Treppe wiederum dient als Gewölbe, davor ein schwindelerregender Abgrund sich auftun soll. Beides konstruierte Szenarien ohne große Wirkmacht.

Weit spannender aber wird es, wenn Warlikowski den Blick auf seine Hauptpersonen fokussiert. Allen voran Leigh Melrose als Golaud und Barbara Hannigan als Mélisande. Dann nämlich, wenn dieses ungleiche Paar sich mit Stimmkraft und Spielfreude aufs Äußerste einbringt, entwickelt die Inszenierung ungeheure Sogkraft, wirkt Debussys Musik wie ein schweres Opiat.

Der Bariton von Melrose kann sich so bedrohlich schwarz färben wie seine Gestalt finster ist. Phillip Addis (Pelléas) hingegen geht als Sanftmut in Person durchs Leben, ebenfalls ein Bariton, aber heller timbriert, in den Höhen etwas überreizt. Er ist Opfer wie auch Mélisande, der Hannigan teils leuchtende Farben verleiht, teils sanft dahinschmelzende Leidenstöne. Sie gibt sich mondän im hochherrschaftlichen Ambiente, steht herausfordernd da wie eine stilisierte Freiheitsstatue (in Glitzerkleid, mit Feuerzeug), und bleibt doch zerbrechlich bis zum letzten Atemzug. Und ob all dieses Elends flüchtet sich selbst der gute König Arkel, dem Franz-Josef Selig teils strenge, teils wehmütige Basssolidität verleiht, an die Bar.

Dass aber Debussys Oper in ihrem sanften Fluss, durchsetzt mit mancher Raserei, uns wie ein Narkotikum umringt, in großer Transparenz aufklingend, so schmerzvoll wie schön, ist zuerst den Bochumer Symphonikern zu danken. Sie spielen unter Leitung von Sylvain Cambreling in Bestform, bieten wundersame Farben, eine fein abgestufte Dynamik vom ätherisch Zarten bis hin zum überwältigenden Rausch. Das Ensemble, durch Mikroports leicht verstärkt, fügt sich akustisch prima ein, nur selten kommt es zur Übersteuerung.

Der Beifall ist groß, wenn auch nicht enthusiastisch. Die Regie will nichts weniger als das ganz große Kino, darin die Welt am Abgrund steht. Lust auf kreativen Neubeginn macht das eher nicht.

 

 

 

 




„BoBiennale“ – ein neues Festival der Freien Szene

Unser Gastautor, der Bochumer Schriftsteller und Journalist Werner Streletz, über den Veranstaltungsreigen des neuen Festivals „BoBiennale“, an dem er selbst teilnimmt:

Das Logo des neuen Festivals. (Screenshot von der Homepage der BoBiennale)

Das Logo des neuen Festivals. (Screenshot von der Homepage der BoBiennale)

Zunächst war ich etwas skeptisch, wie dieses Vorhaben gelingen würde, hatten sich doch zwei Treffen der Freien Szene in Bochum, bei denen ich dabei gewesen war, mehr um die ewig leidigen Finanzfragen denn um konkrete Planungen gedreht. Welch erfreuliche Überraschung nun: Das vielfältige Angebot der BoBiennale, die, wie der Name vermuten lässt, nun alle zwei Jahre stattfinden soll, füllt nicht weniger als 150 Seiten in einem handlichen Programmbuch im Gebetbuchformat.

Die BoBiennale, das erste Festival der Freien Szene, das noch bis zum 18. Juni dauert, umfasst einen beachtenswerten Reigen an Veranstaltungen, der alle Sparten von der Bildenden Kunst bis zur Literatur umfasst. Als man mich vor einiger Zeit fragte, ob ich mitmachen wolle, habe ich gern zugesagt, da mich neue (Kultur-)Initiativen zunächst einmal grundsätzlich interessieren. Und so konnte ich im „Blue Square“ (Stadtmitte) einige Passagen aus meinem jüngsten Roman „Rückkehr eines Lokalreporters“ vorstellen.

Als besonderes Ereignis, nicht nur für literarisch Interessierte, erwies sich eine Lesung aus der Romantrilogie „Der Meteor“ von Karel Čapek. Angekündigt war Martina Eitner-Acheampong (früher Schauspielhaus Bochum), die Passagen aus Čapeks Hauptwerk rezitieren würde. Doch kam sie nicht allein in die Rottstr5-Kunsthallen. Alan Acheampong am Schlagzeug und die Puppenspielerin Sara Hasenbrink unterstützten sie bei ihrem furiosen Vortrag, der mal erzählend, mal anteilnehmend, mal aufgeregt, den Linien des Romans folgte, der der Vieldeutigkeit der Realität und der Wahrheit nachspürt. Nonne, Hellseher und Dichter spielen darin wichtige Rollen.

Während der Lesung steuerte Alan Acheampong Hintergrundklänge bei, unaufdringlich, genau gesetzt. Zunächst glaubte der Zuschauer, auch Sara Hasenbrink sei nur auf eine dezente Nebenrolle verpflichtet, bis die schwarzgekleidete Frau begann, sich in langsamen Bewegungen den Kopf mit einer schier endlosen Mullbinde zu umwickeln. Die Lesung erhielt dadurch eine seltsam unwirkliche Anmutung. Schließlich verwandelte sich der aufgewickelte Rest des Mullbinde plötzlich zu einem sprechenden Kopf, der der Vorleserin akustisch assistierte: ein geradezu beklemmendes Erlebnis, das die Einsicht von Fidena-Chefin Annette Dabs bestätigte, dass beim Figurentheater aus allem alles werden kann.

Als Höhepunkt der BoBiennale gilt am Fronleichnamstag (Donnerstag, 15. Juni) das Open Air-Programm am Springorum-Radweg.

Infos zur BoBiennale:
http://www.bobiennale.de

Freie Kulturszene Bochum e.V.
c/o Bahnhof Langendreer e.V.
Wallbaumweg 108
44894 Bochum
Tel.: 0177-5403350
kontakt@kultbo.org




Ein warmer, tragender Klang: Der Kammermusiksaal des Musikforums Bochum ist ein Glücksfall

Das „Viktoria Quartett“ mit Philipp Willerding-Bach, Jiwon Kim, Aliaksandr Senazhenski und Esiona Stefani (v.l.n.r.). (Foto: Christoph Fein)

Streichquartett-Abende sind immer einen Besuch wert. Darf sich das geneigte Publikum doch gewissermaßen auf einem Olymp der Kunst wähnen. Hier wird die reine Vierstimmigkeit zelebriert, geht es mithin um nicht weniger als die Königsgattung der Kammermusik.

Kein Komponist, der was auf sich hielt oder hält, der nicht für Streichquartett schrieb oder schreibt. Von Haydn und Vorläufern bis hin zu Wolfgang Rihm und Jüngeren – kaum ein Kanon kommt ohne Werke für die Kombination von zwei Geigen, Bratsche und Cello aus.

Was Wunder: Der große Goethe hat dazu, ganz im Geiste der Aufklärung, seinen Segen gegeben. „Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen.“ Da ist es zudem wenig verwunderlich, dass bis heute immer wieder neue Streichquartett-Ensembles sich der Herausforderung des rationalen musikalischen Gesprächs stellen wollen.

Bei den Bochumer Symphonikern haben sich im Laufe der Zeit zwei entsprechende Formationen gebildet. Zunächst „Bermuda4“ und später, genauer gesagt vor etwa drei Jahren, das „Viktoria Quartett“. Beide haben für diese Saison eine eigene Reihe eingerichtet. Allein, aktuell gestaltet ausschließlich das „Viktoria Quartett“ die Konzerte, „Bermuda4“ befindet sich in einer Phase der Neuorientierung. Selbstreflexionen dieser Art sind beileibe nichts Ungewöhnliches, auch berühmte Ensembles sind davor nicht gefeit. Über Binnenspannungen im Quartettbetrieb wurden schon Bücher geschrieben – und es bleibt nur der Wunsch, dass sich am Ende alles wieder aufs Beste einrenkt.

Nun also: Das „Viktoria Quartett“ hat den dritten Abend der Reihe übernommen, das wohl kurzfristig zusammengestellte Programm weist Prokofjews 1. (op. 50) und Beethovens 4. Quartett (aus op. 18) aus. Für uns ist es im übrigen die erste Gelegenheit, den Kammermusiksaal des neuen Bochumer Musikforums zu testen. Und es sei gesagt: Das Hörerlebnis ist außerordentlich.

Der Klang umfängt das Publikum mit angenehmer Wärme, wer die Augen schließt, mag kaum glauben, dass alle Töne doch von vorn kommen. Dazu verhelfen die reflektierenden Flächen der Seitenwände, wie andererseits zwei raumhohe schwere Vorhänge die prinzipiell trockene Akustik abmildern. Gleichwohl wird jede noch so filigrane Klangnuance bis in die hinterste Reihe getragen. Selbst das leiseste Pianissimo findet in kristalliner Klarheit jedes Ohr. Andererseits: Dissonante Schärfen, wie sie Prokofjew oft genug vorschreibt, versagen sich in hoher Lage jedes Klirren. Diese kleine Schuhschachtel, maximal auf 325 Plätze ausgerichtet, ist für Kammermusiker ein Glücksfall.

Gleichzeitig jedoch eine Herausforderung. Wo nichts ungehört bleibt, ist Präzision gefragt. Das fängt bei der Intonation an, ist in Sachen Tongebung von Bedeutung, betrifft nicht zuletzt die Kunst des Zusammenspiels. Der rationale Diskurs ist das eine, das konzentrierte Hören aufeinander die andere Seite der musikalischen Medaille. Wie schön, dass sich das „Viktoria Quartett“ als Organismus präsentiert, dessen Solisten nie in den Vordergrund drängen. Interessant ist vielmehr, dass kaum eine Führungsrolle auszumachen ist. Esiona Stefani (1. Violine), Jiwon Kim (2. Violine), Aliaksandr Senazhenski (Viola) und Philipp Willerding-Bach (Violoncello) verstehen einander ziemlich gut, intonieren äußerst sauber, nur hier und da fehlt es an präziser Tonfokussierung.

Bei Prokofjew gelingt die Balance zwischen akzentuierter Motorik und stimmungsvollem Legato-Ton überzeugend. Das Spiel des Quartetts ist energiegeladen, zielt aber vor allem auf die expressive Ausgestaltung des Finales, einem Lamento von erheblicher Dramatik. Beethovens Werk wiederum hätte insgesamt mehr Biss verdient, andererseits wird die Modernität des Stückes (frühe Anklänge an die Romantik) fein herausgearbeitet. Ja, der Besuch dieses Konzerts hat sich gelohnt.

 




Boulevard am Abgrund: „Biedermann und die Brandstifter“ zeigen in Bochum freundliche Gesichter

Die Kulisse lässt an anspruchsloses Tourneetheater denken, eine Art Wohnzimmerwand mit Türen darin, Sofa, Tisch, Sessel. Und wenn sich Herr Biedermann bei der Zeitungslektüre über die Brandstifter aufregt, die in der Stadt ihr Unwesen treiben, dann wirkt das immer noch wie Boulevardkomödie.

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Doch spätestens mit dem Auftreten des dreiköpfigen Chores kommt Hintersinn ins Spiel. Regisseur Hasko Weber inszeniert auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, und dies ist angeblich eben keine Komödie, sondern, in den Worten des Dichters, „ein Lehrstück ohne Lehre“.

Zudem war dieses Lehrstück eins der erfolgreichsten Stücke der Nachkriegszeit. 1958 in Zürich uraufgeführt, erlebte es in der Folge über 250 deutschsprachige Inszenierungen. Damals, 13 Jahre nach Ende des Krieges, muss es genau den richtigen Ton getroffen haben, der trotz humoristischer Elemente fraglos ein hoch moralischer war.

Damals standen Verbrecher in Uniform im Mittelpunkt der Kritik, denen, kleiner Scherz gegen Ende des Frisch-Textes, die Qualen der Hölle erlassen werden, wenn sie ihre Verbrechen in Uniform begangen haben. Doch reicht dieses Stück mit seinen absurden inhaltlichen Elementen weit über die Begrenztheit einer Moralpredigt hinaus, ist ganz im Gegenteil ein schonungsloses Ausloten menschlichen Verhaltens in diffus bedrohlicher Situation und damit hoch aktuell.

Des Hausherrn rätselhafte Motive

Ob das Stück auf der Bühne funktioniert, hängt natürlich maßgeblich an der Interpretation des Biedermanns, der nahezu unspielbar ist. Ein aufrechter Bürger soll er sein, der völlig zu Recht die Unfähigkeit der Behörden beklagt, ein brutaler Chef aber auch, der seinen Mitarbeiter Knechtling in den Selbstmord getrieben hat und dessen Witwe die Hilfe verweigert; einer, der sich bei „armen Leuten“, eben den Brandstiftern, anbiedert und von deren Brandstiftungsabsicht selbst dann noch nichts wissen will, wenn diese auf dem Dachboden letzte Vorbereitungen für das große Zündeln treffen. Sie haben ja nicht mal Streichhölzer dabei, wie könnte Gefahr von ihnen ausgehen?

Martin Horn gibt diesen Herrn Biedermann nach anfänglicher Ambivalenz bald schon sorglos und entspannt. Die Motive seiner ungebetenen Gäste verleugnet er hartnäckig, und die Frage, warum er das tut, hätte durchaus etwas mehr Beachtung innerhalb dieser Inszenierung verdient. Ist es Naivität, Verleugnung aus schlechtem Gewissen, opportunistische Anbiederei?

Die Stadt in Flammen

Stattdessen nimmt das Bühnengeschehen seinen boulevardesken Fortgang. Anna, das Dienstmädchen (Kristina Peters) fällt wiederholt gekonnt in Bühnenohnmacht und muss dann wieder aufgerichtet werden, durchaus erheiternd gerät die stilgerechte Inszenierung eines „proletarischen“ Gänsebratenessens durch den absichtsvoll leger gekleideten Hausherren.

Bis zur Pause geht das so, auch die Gespräche zwischen bunten Benzinfässern auf dem Dachboden sind getragen von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Nur die hübsche projizierte Stadtkulisse im Hintergrund (Bühne und Kostüme: Thilo Reuther) scheint irgendwann Feuer gefangen zu haben.

Nach der Pause denn also, nachdem die Stadt in Schutt und Asche liegt, treffen wir Herrn Biedermann und seine Frau Babette (Veronika Nickl) in der Hölle wieder, wo eine veritable Riesenflamme aus dem Boden schießt und ab und zu grelles Scheinwerferlicht die Zuschauer blendet. Im Hintergrund verbrennen Höllenmitarbeiter in einem Feuerkorb Blatt für Blatt den Grundrechteteil des Grundgesetzes, jeden Paragraph zitierend und mit Nummer 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) endend – ein ärgerlicher interpretatorischer Eingriff, der der breiten Gültigkeit des Stücks nicht gerecht wird. Kurz darauf ist das Spiel dann zu Ende, und auf die Pause hätte man gut verzichten können.

Der Chor kann nichts machen

In lebhafter Erinnerung bleiben Jürgen Hartmann und Matthias Eberle als die Brandstifter Schmitz und Eisenring, beide eher bedrohlich als bedürftig, trotz der rührenden Geschichten, die sie aus ihrem harten Leben erzählen.

Daniel Stock, Klaus Weiss und Luana Velis bilden den Chor nach dem Vorbild der klassischen griechischen Tragödie. Sie sind Beobachter des Geschehens, paraphrasieren und kommentieren es in gemessenen Versen. Und würde man sie rufen, dann würden sie auch helfen. Doch zunächst ist es an den Menschen selbst, zu handeln. Auch das „Lehrstück ohne Lehre“ kommt ohne Lehre nicht aus.

Herzlicher Applaus für die aufgeräumt aufspielende Darstellerriege.

  • www.schauspielhausbochum.de
  • Termine: 26., 28. Januar, 2., 7., 15., 25. Februar 2017,
  • 19.30 Uhr, Schauspielhaus
  • Karten Tel.  0234 3333 5555

 




Euphorie im Eigenheim: Die Bochumer Symphoniker beziehen das Musikforum Ruhr

Bochums neuer Konzertsaal: 960 Plätze, vier Jahre Bauzeit, 38 Mio Euro. (Foto: Lutz Leitman)

Bochums neuer Konzertsaal: 960 Plätze, vier Jahre Bauzeit, 38 Mio Euro. (Foto: Lutz Leitman)

Viktoria! Es ist vollbracht. Die Horngruppe der Bochumer Symphoniker erhebt sich von den Stühlen und schmettert das erlösende D-Dur-Finale in alle Himmelsrichtungen. Unter unsäglichen Mühen wurde dieser siegreiche Schluss errungen, nach einer langen und stürmischen Schlacht widerstreitender Kräfte.

Jetzt aber gibt es kein Halten mehr. Gustav Mahlers 1. Sinfonie mündet in einen Triumph, der das Herz wanken und den Verstand stillstehen lässt. Vergessen sind die vergeblichen Anläufe, die bis zum glücklichen Durchbruch nötig waren. Vergangen sind die schmerzlichen Dissonanzen, die enttäuschten Erwartungen und die Momente tiefer Mutlosigkeit. Der hymnische Choral der Blechbläser fegt alles hinweg.

Für einen Moment steht Dirigent Steven Sloane nach dem krachenden Schluss erschöpft da, während das Bochumer Publikum in Jubel ausbricht. Es feiert die Eröffnung des Anneliese Brost Musikforums, für dessen Bau der Dirigent, das Orchester, seine Freunde und Förderer sowie eine engagierte Bürgerschaft mehr als 15 Jahre lang tapfer gestritten haben.

Die Symbolkraft von Mahlers Musik, die den neuen Konzertsaal (an der Viktoriastraße!) mit Klang und Leben füllt, dürfte selten sinnreicher geklungen haben als an diesem Abend. Zum ersten Mal in ihrer fast 100-jährigen Geschichte haben die Bochumer Symphoniker ein eigenes Zuhause, trotz knapper Kassen und kontroverser Debatten. Das Nomadentum zwischen fremden, oft nicht verfügbaren und akustisch unbefriedigenden Spielstätten hat endlich ein Ende.

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Steven Sloane hat mehr als 15 Jahre für das neue Musikzentrum gekämpft (Foto: Christoph Fein)

Steven Sloane dirigiert Mahlers sinfonischen Erstling auswendig. Er präsentiert eine optimistische Lesart, die viel von Österreichs lieblichen Seiten erzählt: von Naturlauten, Vogelstimmen, frohen Wanderliedern, rustikalen Ländlern und schmeichlerisch wiegenden Walzern. Kraftvoll marschiert das robuste Scherzo voran. Wo Trompetensignale aus sphärischer Ferne zu uns dringen, tut sich die unergründliche Dunkelheit des Weltalls auf.

Oft sind es quäkende, nachgerade spöttisch meckernde Einwürfe der Holzbläser, die das vermeintliche Idyll bei Mahler zerfetzen. In Bochum kommt „der Titan“, so der Beiname von Mahlers 1. Sinfonie, freilich recht samtpfötig daher. Er kennt zwar Abgründe, aber wenig schneidenden Schmerzenslaut, wirkt zuweilen sogar gefallsüchtig. Das schadet vor allem dem langsamen dritten Satz, dessen grotesker Trauermarsch unter dem Dirigat von Steven Sloane mehr harmlos-hübsche Collage ist als beißende Parodie. Statt das nach Moll gewendete Bruder-Jakob-Thema von einem Solo-Kontrabassisten vortragen zu lassen, was absichtsvoll jämmerlich klingt, lässt Bochums GMD es von der gesamten Bassgruppe klangschön intonieren.

Die finale Apotheose aber gelingt, wenn auch unter der Aufbietung aller Kräfte, die das Orchester nach dem viertägigen Eröffnungstrubel und zwei weiteren Sinfoniekonzerten noch zu mobilisieren vermag. Zum Prüfstein wird Mahlers Sinfonie auch für den Konzertsaal, der nun zeigen muss, was er akustisch zu bieten hat.

Im Hochparkett fällt das Resultat höchst erfreulich aus. Jedes leise Zischen des Beckens, jeder Ton der Harfe, jeder dumpfe Pianissimo-Schlag auf den großen Metallgong ist deutlich zu vernehmen. Die Streicher klingen warm, die Pauken punktgenau und trennscharf, die Holzbläser sonor und edel. Nichts ist vermatscht oder knallig, auch nicht im druckvollen Fortissimo-Getümmel.

Der Weg in den Konzertsaal führt durch die ehemalige Marienkirche (Foto: Lutz Leitman)

Der Weg in den Konzertsaal führt durch die ehemalige Marienkirche (Foto: Lutz Leitman)

Zurücklehnen und genießen lautet da die Devise, zumal ein kluger Kopf für diesen Abend eine ungemein beziehungsreiche Werkfolge ersonnen hat. Das Programm gleicht einer Gratwanderung zwischen Spätromantik und musikalischer Moderne. Es bietet zudem ein großes Spektrum von Klangfarben und – mit György Ligetis Orchesterwerk „Lontano“ – einen roten thematischen Faden. Es sind schließlich die fernen, aus anderen Sphären zu uns herüber wehenden Klänge, die diesen Abend über das Normalmaß heben.

Richard Wagners „Lohengrin“-Ouvertüre, ein Orchesterstück von Arnold Schönberg, zwei Teile aus dem „Himmelfahrt“-Zyklus von Olivier Messiaen und schließlich György Ligetis Geniestreich „Lontano“ führen exemplarisch vor, wie der neue Konzertsaal klingt. Zunächst sind die Bläser an der Reihe: In Messiaens „Majesté du Christ demandant sa gloire à son Père“ führt die Trompete sehr dominant, während die anderen Bläserstimmen sich darunter auffächern wie das Register einer Orgel.

Wagners „Lohengrin“-Ouvertüre strömt vom ätherisch-zarten Pianissimo der Geigen bruchlos und balsamisch bis zum majestätischen Fortissimo-Höhepunkt. Das dritte von Arnold Schönbergs Fünf Orchesterstücken op. 17, vor allem aber György Ligetis „Lontano“ eröffnen wahre Klangfarbenwunder. Es ist schlicht zum Staunen, welche Körperlichkeit Ligetis Musik im Raum gewinnt. Wie sie sich zu Wolken ballt, die mal gleißendes Licht, dann wieder mysteriöses Dunkel verströmen. Der Saal bildet dieses feine Ton-Gewebe ab wie eine Skulptur, die ganz allmählich ihre Form verändert. Wir hören eine hochexpressive Musik, die wie aus dem Nichts kommt und nach einem langen Decrescendo ins Unhörbare zurück gleitet.

Momente reiner, ja kristalliner Schönheit schenkt uns Olivier Messiaens „Prière du Christ montant vers son Père“. Die Streicher der Bochumer Symphoniker erfüllen das Werk mit einer Leuchtkraft, als fiele Licht durch Kirchenfenster. Für Bochums neuen Konzertsaal, der über die ehemalige Marienkirche zugänglich ist, lässt sich ein passenderes Programm schwerlich denken.

(Informationen zum Programm der Bochumer Symphoniker unter http://www.bochumer-symphoniker.de/konzerte/)




Das neue Zuhause der Bochumer Symphoniker ist ein spektakuläres Bau-Ensemble

Blick auf die Außenseite des Musikforums. In dem länglichen Gebäude findet sich der große Saal. Foto: -n

Blick auf die Außenseite des Musikforums. In dem länglichen Gebäude findet sich der große Saal. Foto: -n

Das Erstaunen ist groß, schon der erste Eindruck nimmt uns gefangen. Denn dieses dreiteilige Bauensemble, wie es sich aneinanderschmiegt im Herzen der Bochumer Innenstadt, ganz nah am Bermuda3Eck, ist so außergewöhnlich wie wohl einzigartig. Weil hier das geneigte Publikum den großen Konzertsaal links oder den multifunktionalen Kammermusiksaal rechts durch eine mittig gelegene Kirche erreicht. Willkommen also im nigelnagelneuen Anneliese Brost Musikforum Ruhr, der ersten eigenen Spielstätte der Bochumer Symphoniker.

Die Kombination mit der Kirche, St. Marien, ist ein Coup. Bereits 2002 wurde sie profaniert, sie dämmerte vor sich hin, verkam, es drohte der Abriss. Doch die nun realisierte Lösung, durchgesetzt nach zähem Ringen, entpuppt sich als der pure Glücksfall. Die Bauten strahlen Harmonie aus, in ihrer Länge bilden sie, parallel zur Viktoriastraße, eine Linie, denn die neuen Gebäude reichen nicht höher als die Traufe des einstmaligen Gotteshauses. Nur der Kirchturm überragt alles. In seinem Innern hängt noch eine der alten Gussstahlglocken, auf b gestimmt. Ein herrlich warm klingender Pausengong – die Blicke wandern anerkennend nach oben.

Die Kirchenglocke als Pausengong. Foto: -n

Die Kirchenglocke als Pausengong. Foto: -n

Dabei gibt sich der Kirchenraum selbst in strahlendem Weiß, und mancher mag damit im ersten Moment Kälte assoziieren. Doch weit gefehlt: Das helle Licht blendet an keiner Stelle, die kirschbaumfarbenen Möbel von Garderobe, Bar und Kartenverkaufsstand fangen das Weiß geschickt auf. Große Türen links und rechts führen schließlich über ein Zwischenfoyer zur jeweiligen Spielstätte. Und auch hier: ein Gefühl von Wärme und Behaglichkeit macht sich breit.

Der große Saal: Prinzip Schuhschachtel, aber durch einige Rundungen ist die Kastenform geschickt aufgelockert. Exakt 964 Menschen finden hier Platz, auf cremefarbenen Sitzen im Parkett und Hochparkett, auf zwei Emporen sowie auf zwei Galerien, die sich links und rechts längs des Raumes befinden. Wieder dominiert das Holz der amerikanischen Kirsche den Blick, oben fallen fünf helle, geschwungene Akustiksegel ebenso auf wie eine luftig konstruierte Mikadodecke, über der sich indes noch allerlei Technik verbirgt. Nett wirken einige „Gardinen“ an den Saalwänden, sie dienen allerdings der Akustik und versagen sich damit jeder ästhetischen Debatte.

Zum kleinen Saal sei gesagt, dass er maximal 324 Plätze fasst, aber auch in mehrere kompakte Raummodule umgewandelt werden kann. Hier soll vor allem die Bochumer Musikschule eine weitere Wirkungsstätte finden, die mit mehr als 10.000 Studierenden eine der größten Deutschlands ist. Die Bochumer Symphoniker wiederum geben hier Kammermusikabende oder Kinder-, Jugend- und Familienkonzerte. Nicht zuletzt ist der Kirchenraum selbst Spielstätte, etwa für kleine Jazzkonzerte oder Lesungen.

Steven Sloane, seit 1994 Chef der Bochumer Symphoniker. Auch sein beharrlicher Einsatz war Garant für die Realisierung der neuen Spielstätte. Foto: Christopher Fein

Steven Sloane, seit 1994 Chef der Bochumer Symphoniker. Auch sein beharrlicher Einsatz war Garant für die Realisierung der neuen Spielstätte. Foto: Christopher Fein

So ist es also geschafft. Die Bochumer Symphoniker, die 2019 ihren 100. Geburtstag feiern können, haben endlich ein eigenes Zuhause. Und es ist nur gut, dass sich dieses Heim mitten in der Stadt befindet. Die zeitweilig ernsthaft diskutierte Alternative, ein Neubau nahe der Jahrhunderthalle, wirkt rückblickend geradezu bizarr. Hier ins Zentrum gehört dieses „Musikforum“, das den Namen der einstigen Verlegerin Anneliese Brost trägt, deren Stiftung das Haus mitfinanziert hat. Wozu zu sagen ist: Ohne die unermüdliche Kärrnerarbeit von Steven Sloane – Chef des Orchesters seit 1994 und bis mindestens 2020 – und ohne das breite finanzielle Engagement von mehr als 20 000 Spendern, zumeist Bochumer Bürgern, wäre das Projekt wohl kaum geglückt.

Das Haus mit Leben zu füllen, über den euphorischen Beginn der Eröffnungswoche hinaus, ist nun die nächste Herausforderung. Immerhin: Der Run auf die Abos dieser Saison ist groß. Und nach 17 Jahren einer teils hitzigen, teils sich im Kreis drehenden Debatte über Pläne, Standorte, Kosten und Nutzen scheint alles Kommende eine Kleinigkeit. Nun gilt’s der Kunst.




So viel Komödie wie nur möglich – Molières „Tartuffe“ im Bochumer Schauspielhaus

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Orgon (Michael Schütz, links) und Tartuffe (Jürgen Hartmann) (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Gegen solche Verblendung ist kein Kraut gewachsen. Nur für das Wohlbefinden seines bewunderten Gastes Tartuffe interessiert sich der Hausherr, die lebensbedrohlichen Fieberschübe seiner Gattin aber sind ihm egal.

Gleich in der ersten Szene führt Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer in unüberbietbarer Deutlichkeit vor, wie es zugeht im Hause Orgon. Das kann ja heiter werden. Bochums Schauspielhaus zeigt Molières „Tartuffe“, ein großes Vergnügen und nicht gänzlich frei von Hintersinn.

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Töchterlein Marina (Kristina Peters, vorn) ist in Ohnmacht gefallen, Zofe Dorine (Xenia Snagowski) herzt Hausherrn Orgon (Michael Schütz). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Damals skandalös

Wenngleich: In unserer Gegenwart, in der gröbste Beleidigungen im Internet und „Shitstorms“ das gesellschaftliche Erregungsniveau bestimmen, wirkt eine Figur wie Tartuffe auf den ersten Blick vergleichsweise unauffällig. Ein Schleimer ist er, ein Verführer und Betrüger, und Heiratsschwindler könnte er wohl auch, na und?

Zu Molières Zeiten jedoch, im absolutistischen regierten Frankreich mit seiner ausgeprägten Günstlingswirtschaft, wirkte die ausführliche Zeichnung seiner Untugenden wegen ihres ausgeprägten Wiedererkennungswertes offenbar skandalös. Nach einer „Privatvorführung“ am Hof von Versailles, 1664, verbot der König die öffentliche Aufführung. Erst 1667 durfte das Volks eine entschärfte Fassung sehen, und das Aufregungspotential soll immer noch erheblich gewesen sein.

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Tartuffe (Jürgen Hartmann, links), Elmire (Raphaela Möst) (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Ein Finsterling eben

Glücklicherweise macht Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer nicht den Versuch, Tartuffe zu einer Gegenwartsperson mit aktuellen, schändlichen Verhaltensweisen umzuformen. Tartuffe (Jürgen Hartmann), der ja erst spät die Bühne betritt, ist ein ebenso verlotterter wie gescheiter Finsterling und bleibt es auch. Natürlich ist seine kriminelle Energie erheblich, er bringt Orgon (Michael Schütz) und die Seinen um Hab’ und Gut, baggert Orgons Gattin Elmire (Raphaela Möst) an und würde auch das Töchterlein Mariane (Kristina Peters) nicht verschmähen, wenn dieses sich mit tatkräftiger Hilfe des Zimmermädchens Dorine (Xenia Snagowski) nicht zur Wehr setzte.

Das passt alles ins Bild eines schlechten Menschen und bedarf hier deshalb keiner weiteren Klärung. Das Bühnenbild versucht sie dennoch, Worte wie Ordnung, Anstand, Moral, Jungfräulichkeit oder Pünktlichkeit hängen in Großbuchstaben von der Decke (Bühnenbild: Thilo Reuther) und bemühen sich um eine Bezüglichkeit, die der Inszenierung ansonsten abgeht. Auch Orgons Motive und Gefühle stehen nicht eben im Mittelpunkt des Spiels. Hier reicht es, dass der Verführte seinen Fehler, wenn auch spät, erkennt.

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Herren in wechselnden Gewändern, von links: Orgon (Michael Schütz), Cléante (Daniel Christensen), Tartuffe (Jürgen Hartmann). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Schenkelklopfer

Statt also in den Charakteren zu gründeln, testet diese Inszenierung lustvoll aus, was in einer gut geölten, burlesk überzeichnenden, nie um einen Gag verlegenen Komödie möglich ist. Grotesk und übertrieben bewegen sich die Personen, sprechen in getragenen Versen (deutsche Fassung von Wolfgang Wiens), um im nächsten Augenblick den Handlungsgang mit banaler Umgangssprache zu unterbrechen oder das Publikum direkt anzusprechen. Schnell wird es laut in den hitzigen Dialogen; wenn Worte fehlen, wird grimassiert und gestikuliert, und all das mit hohem Tempo. Screwball, Sitcom, Comedy: Alles drin, ein großes, schenkelklopfendes Amüsement.

Babydolls und klotzige Pumps

Michael Sieberock-Serafimowitsch, den man auch als Bühnenbildner kennt, der hier jedoch „nur“ für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat die Personen in hinreißend überdrehte grellbunte, die barocke Mode parodierende Kostüme gesteckt, einige Damen überdies in unförmige „Babydolls“ und klotzige hohe Pumps. Später jedoch, wenn die Wahrheit und der materielle Totalverlust ihr grausiges Haupt erheben und der Gerichtsvollzieher (Bernd Rademacher) in putzig durchgereimter Amtsspache den Pfändungsbeschluss verkündet, kauern sie sinnfällig entblößt am Bühnenrand.

An zwei Stöcken, doch überaus selbstbewusst stakt Anke Zillich als des Hausherrn verständnisvolle Mutter Madame Pernelle durch das Geschehen, Daniel Christensen gibt als Cléante einen erfrischend respektlosen Schwager, Matthias Eberle den Sohn, Roland Riebeling den Verlobten. Und wenn dieser Theaterabend so glänzend funktioniert, ist das natürlich nicht zuletzt das Verdienst dieses trefflich zusammenarbeitenden Ensembles.

Frenetischer, lang anhaltender Schlussapplaus.




Skepsis und Erstarrung – Johan Simons deutet zum Triennale-Auftakt Glucks Oper „Alceste“

Foto: JU/Ruhrtriennale

Festhalten am Sitzmöbel: Der Chor MusicAeterna in Johan Simons‘ Gluck-Inszenierung. Foto: JU/Ruhrtriennale

Die RuhrTriennale hat begonnen, es ist die zweite, die Johan Simons verantwortet, und wie bereits im Jahr zuvor will sie dem idealistischen Motto „Seid umschlungen!“ folgen. Die Fokussierung auf diesen Appell aus Schillers „Ode an die Freude“, mithin auf des Dichters Humanismus, scheint dringlicher denn je. Krieg und Terrorismus, Hass und Extremismus – wer, wenn nicht ein Kunstfestival, sollte sich diesen schaurigen Auswüchsen des Zusammenlebens so trotzig wie mutig entgegenstellen.

Carolin Emcke jedenfalls, in ihrer beachtenswerten Rede zur Eröffnung des Festivals, sieht Musik, Theater und Tanz als geradezu prädestiniert an, in diesen „finsteren Zeiten“ ans Werk einer Re-Humanisierung zu gehen. Die Journalistin und Autorin, die in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, setzt hinter die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit dicke Fragezeichen, dies durchaus im Sinne der Triennale: Diese zentralen Begriffe der Aufklärung seien nicht nur vielfach bedroht, sondern auch im Gebrauch zu Worthülsen verkommen. Es brauche, eben mit Hilfe der Künste, eine Übersetzung dieser Normen in Anwendungen, „es müssen Begriffe in Erfahrungen übersetzt werden, damit sie vorstellbar werden in ihrer Substanz, damit wieder deutlich und nachvollziehbar wird, woraus sie bestehen“. So Emcke.

Foto: Sebastian Drüben/Ruhrtriennale 2016

Die Festspielrednerin Carolin Emcke. Foto: Sebastian Drüen/Ruhrtriennale 2016

Vor diesem Hintergrund scheint es folgerichtig, die Triennale, in Bochums Jahrhunderthalle, mit Glucks „Alceste“ (nach Euripides) zu beginnen. Bestimmen doch Trotz und Mut, Zweifel und Emanzipation das Geschehen. Der Mensch fügt sich nicht mehr ergeben ins vom Orakel und den Göttern vorgegebene Schicksal. Er stellt es in Frage, er zürnt, er liebt und leidet, dass es am Ende eben jene Götter rührt. In „Alceste“ siegt die (Gatten-)Liebe über den befohlenen Opfertod, mithin die Freiheit über den Zwang. Mag auch das glückliche Ende noch eines Deus ex machina bedürfen: Es ist immerhin Apoll, der Gott des Lichtes und der Vernunft (!), der es bewirkt.

Johan Simons indes stellt in seiner Inszenierung den aufkeimenden Freiheitsdrang der Figuren, den Trotz gegen göttliches Gesetz, in Frage. Alceste ist in ihren Gefühlsturbulenzen, denen Birgitte Christensen vielschichtige Sopranfarben verleiht, eine nahezu neurotische Figur, die die Hände ringt, zittert, verunsichert wirkt. Ihr Entschluss, den dahinsiechenden Gatten Admeto, Herrscher über das Volk von Pherai, durch ihren eigenen Tod zu retten, scheint alles andere als ein überzeugendes Liebesopfer. Admeto wiederum, den Tenor Thomas Walker mit teils nur fragiler Intensität gibt, ist in seiner emotionalen Achterbahnfahrt ziemlich hilflos.

Foto: JU/Ruhrtriennale

Eine Familie in Leidensstarre: Alicia Amo, Thomas Walker, Konstantin Bader und Birgitte Christensen fremdeln (v.l.n.r.). Foto: JU/Ruhrtriennale

Und wenn Johan Simons dieses Paar mit seinen Kindern Aspasia und Eumelo (Alicia Amo und Konstantin Bader) zusammenführt, wenn sich diese Familie in all ihrer Schwachheit und Verstörung am Boden liegend umarmt, als wolle man einander gegenseitig vor dem Untergang bewahren, scheint die Szene in Künstlichkeit zu erstarren.

Mitleid vermögen die eindringlichen Worte des Librettisten Ranieri de’ Calzabigi zu erwecken und vor allem die musikalische Sprache, nicht aber die skeptische Deutung des Regisseurs. Hinzu kommt, dass die L-förmige Spielfläche von Leo de Nijs, mit ihrer ausufernden Länge, ein schwer zu beherrschendes Terrain darstellt. Vor Kopf und längs davon die Zuschauerränge, auf der Bühne viel Gerenne, nicht zuletzt wohl deshalb, um dem Publikum hier und auch da irgendwie nahe zu sein. Musikalisch funktioniert das sowieso nur per Mikroport, szenisch behilft sich die Ausstattung teils mit weißen Plastikstühlen, die der Leere dieses Laufstegs Kontur geben sollen.

Und inmitten thront, auf einem Konstrukt von Podesten, das fulminante B’Rock Orchestra, das unter René Jacobs’ kundiger, umsichtiger Leitung der Musik Zug verleiht, sie unter Spannung setzt und Glucks neuartige Klangfarben wirkmächtig auffächert. Man gibt, auf alten Instrumenten, die italienische Fassung. Das Spiel atmet Frische, alles klingt plastisch, so feinfühlig wie intensiv, so erhaben wie dramatisch. Nur hier und da trüben rhythmische Hakeleien, in Verbindung mit dem sonst hervorragenden Chor MusicAeterna, den akustischen Genuss.

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Triennale-Chef Johan Simons wagt den skeptischen Blick auf Glucks „Alceste“. Foto: -n

Chor, Solisten und Stühle scheinen eng miteinander verwoben. Das Sitzmobiliar gibt den Figuren haptischen Halt wie uns manch optischen. Die Menschen klammern sich daran in ihrer Angst, oder sie schleudern es in trotziger Wut weit von sich. Johan Simons sieht wohl in der aufkeimenden Aufklärung, im Wissenwollen, einen Zustand des Chaos. Wenn indes der Chor, der in Greta Goiris’ erdachten, teils antikisierend, teils bürgerlich anmutenden Gewändern wie eine Partygesellschaft aus Sommernachtstraum-Gefilden wirkt, die Genesung ihres Königs feiert, kehrt schönste Ordnung ein. Alsbald aber versinken die Fröhlichen in Agonie, wie betäubt im Gestühl hängend, Alcestes Opfertod vor Augen.

Solcherart Symbolik eines Möbels ist bisweilen stark, nicht selten aber schimmert eben die Funktion des szenischen Behelfs durch. Interessanter ist Simons’ Skepsis, wenn er Alceste und Admeto nicht auf offener Bühne vor jubelndem Volk zusammenführt, sondern augenscheinlich im Jenseits. Und zurück bleiben die Kinder, allein mit sich und einer Welt, die es zu erkunden gilt. Zu Glucks Orchesternachspiel tanzen sie munter Ringelrein. Freiheit? Gleichheit? Brüderlichkeit? – bei Simons ein Fall für die nächste Generation?

Weitere Vorstellungen am 20., 21., 25., 27. und 28. August. www.ruhrtriennale.de

Die Festspielrede von Carolin Emcke ist hier zu finden: https://www.ruhrtriennale.de/de/blog/2016-08/vom-uebersetzen-festspielrede-von-carolin-emcke




Was einfach so geschehen ist – Werner Streletz‘ Roman „Rückkehr eines Lokalreporters“

Ja, so waren sie, die Arbeitsbedingungen im Lokaljournalismus der 70er und frühen 80er Jahre: Der Linienbus oder die Regional-Bahn dienten an entlegenen Orten als Kurierfahrzeuge für Texte und Bilder, die an der mechanischen Schreibmaschine und in der Dunkelkammer entstanden. Es ging bei weitem noch nicht so gehetzt und getaktet zu wie in den flimmrigen Online-Zeiten.

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Michael, die noch recht junge Hauptfigur in Werner Streletz’ Roman „Rückkehr eines Lokalreporters“, arbeitet in jenen Jahren als Einmann-Redakteur auf einem Außenposten, 40 Kilometer von den Kollegen in der Kreiszentrale entfernt. Stets begleitet ihn die vage Furcht, so ganz auf sich allein gestellt in der „Schlossstadt“, wie sie sich nennt, die riesengroße Nachricht zu verpassen.

Aber gemach! Das provinzielle Kleinstadtleben scheint immerzu seinen gewohnten Gang zu gehen. Größter Daueraufreger sind die Pläne eines Kaufhauses, baulich in die Altstadt einzugreifen. Michael müht sich nach Kräften um eine möglichst objektive Berichterstattung und fühlt sich von Politikern ebenso misstrauisch beäugt wie vom zudringlichen Ralph Kindler, der eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen hat. Nur Verfolgungswahn oder zutreffender Befund?

Doch nehmt alles nur in allem: Ist es nicht ein einigermaßen bequemes, ja fast beschauliches Leben mit einem Gerüst aus täglichen Routinen, das Michael dort führt? Hinzu kommt der Charme des Unzulänglichen in den frühen Jahren: Mit seiner Freundin Rosemarie duscht er anfangs noch notgedrungen im Hallenbad, dann ziehen sie in ein kuscheliges Dachgeschoss mit Flokati-Teppich im Badezimmer. Manchmal stellen sich schwebende Momente der Leichtigkeit ein. Doch eigentlich ist Michael ein notorischer Grübler.

Geschildert werden die Ereignisse Jahrzehnte später, aus der Rückschau Michaels, der sich für ein paar Wochen ins Haus eines Freundes zurückgezogen hat, und zwar just im Dunstkreis besagter Schlossstadt. Hier begibt er sich auf Spurensuche – nicht systematisch, sondern eher ziellos schweifend. So scheint auch die Geschichte hierhin und dorthin ins Taumeln und Trudeln zu geraten. Und was ist geblieben von der Vergangenheit?

Schon bald wird deutlich, dass – dem vermeintlichen Idyll zum Trotz – „damals“ etwas Düsteres, Schreckliches geschehen sein muss. Doch Genaueres bleibt für eine gewisse Textstrecke im Verborgenen. Wir wollen dieses Spannungsmoment auch hier nicht vollends auflösen und lediglich andeuten, dass Rosemaries Leben im Laufe des Romans auf bestürzend unspektakuläre Weise entgleist – gleichsam wie in Zeitlupe. Zunächst nahezu unmerklich, schleichen sich Depressionen ein, die sodann in unvorhersehbaren Schüben wiederkehren. Und schließlich…

Michael, der ebenso wie Rosemarie unentwegt beim Vornamen genannt und praktisch nie mit dem Personalpronomen „er“ bezeichnet wird (geradezu eine Marotte des Autors), lernt zwischendurch den sinistren Künstler Tobias kennen, der die gewöhnlichen Leute mit ziemlich radikalen und abgründigen Schöpfungen schockiert. Doch Michael weiß den kulturellen Impuls zu schätzen, er fühlt sich angesprochen. Dämmert da aber auch etwas Gefahrvolles herauf? Ist diesem Tobias zu trauen?

Werner Streletz erzählt mit zuweilen etwas umständlich wirkender Sorgfalt, als wollte er kein Detail vergessen, Plaudereien aus dem lokaljournalistischen und kommunalpolitischen Nähkästchen inbegriffen, die den Fortgang der Handlung dann und wann eher aufzuhalten scheinen. Zudem kommen Formulierungen wie „Er hatte sich, solches erahnend…“ ein wenig gestelzt daher.

Nun muss man aber sagen: Der zögerliche, zaudernde Duktus entspricht gewissermaßen der Hauptfigur, die eben alleweil hin und her denkt, sich den Kopf über das eigene Tun und Lassen permanent zerbricht. Mitunter wird da allerdings wohl etwas zu viel und zu restlos erwogen, zu ausgiebig erläutert. Hie und da vermisst man einen Zug oder Sog in der Geschichte, deren Urheber sich gelegentlich sozusagen bereitwillig in unnötigen kleinen Abschweifungen verliert und mehr oder weniger kühne Auslassungen offenbar scheut.

Als erfahrener Schriftsteller verliert Streletz jedoch natürlich nicht den Bauplan seines Romans aus den Augen. Er lässt die vorwiegend melancholisch getönte Erzählung in ein offenes Ende gleiten. Es bleibt die Erkenntnis, dass sich das Geschehene weder ändern noch wirklich ergründen lässt. Das mag betrüblich sein, doch diese Einsicht birgt wohl auch Trost. Und schuldig ist ohnehin niemand. Es ist passiert. Einfach so. Wie das Leben so ist.

Kleine Anmerkung: Das Buch ist passagenweise etwas nachlässig redigiert worden, da geraten auch schon mal Namen und Zeitenfolgen durcheinander, von einigen Setzfehlern zu schweigen. Nachbesserungen für eventuelle weitere Auflagen wären also ratsam.

Der in Bottrop geborene und aufgewachsene, seit vielen Jahren in Bochum lebende Werner Streletz (Jahrgang 1949) gilt manchen immer noch als „Ruhrgebietsautor“. Streletz selbst, brotberuflich langjähriger WAZ-Kulturredakteur (den ich – der Transparenz halber sei’s erwähnt – aus beruflichen Zusammenhängen persönlich kenne), wendet sich entschieden gegen diese Zuschreibung.

Tatsächlich entfernt er sich gerade mit diesem Roman deutlich von etwaigen Revier-Spezifika. Welche sollten das heutzutage auch sein? Die Chose mit Zechen, Malochern, Fußball, Bier und Stahl ist in dieser einst typischen Mischung längst durch. Und so ist Werner Streletz kein Ruhrgebietsautor, sondern einer, der halt im Ruhrgebiet lebt und schreibt.

Werner Streletz: „Rückkehr eines Lokalreporters“. Roman. Projektverlag, Bochum/Freiburg. 261 Seiten. 13,80 Euro.




„Zeche Hannover“ in Bochum: Einst trutzige Burg für den Bergbau – heute ein Museum

Als vor gut 150 Jahren der Kohlebergbau im Ruhrgebiet immer mehr in die Tiefe ging, da wurde auch in der Bochumer Bauerschaft Hordel eine weitere Zeche gegründet.

Nach dem Wohnsitz des Bergwerk-Gründers im damaligen Königreich Hannover erhielt die neue Fördergrube den Namen Zeche Hannover. Um die Fahrt in Körben sicherer und schneller zu machen, bauten die Besitzer später den trutzigen Malakowturm, der noch heute steht und wie eine trutzige Burg in die Landschaft des Bochumer Nordens ragt.

Malakowturm der Zeche Hannover (Foto Pöpsel)

Der Malakowturm der Bochumer „Zeche Hannover“. (Foto: Hans Hermann Pöpsel)

Heute sind die Gebäude der längst stillgelegten Zeche ein Bestandteil des Westfälischen Industriemuseums – getragen und betreut vom Landschaftsverband Wetstalen-Lippe (LWL). Wie auch in anderen Alt-Zechen nutzt der Landschaftsverband die Räume für Ausstellungen. Zur Zeit kann man dort, bei freiem Eintritt, eine Zusammenstellung von Fotos, Gegenständen und Dokumenten über polnische „Displaced Persons“ sehen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft lebten in Deutschland hunderttausende befreite Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus unterschiedlichen Ländern, die aus politischen Gründen nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren konnten oder wollten, zum Beispiel nach Jugoslawien oder in die Sowjetunion und eben auch nicht in das inzwischen kommunistische Polen.

Diese „Displaced Persons“, auch kurz DP genannt, lebten zunächst in Lagern, bis die deutschen Landesregierungen Anfang der 50-er Jahre dazu übergingen, gezielt neue Siedlungen für diese Personengruppen zu bauen. Außerdem wanderten zahlreiche DP in andere Länder aus, zum Beispiel nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten.

Die Ausstellung im Bochumer Malakowturm zeigt sehr anschaulich, wie die polnischen DP lebten, wie sie das Lagerleben organisierten, welche kulturellen Aktivitäten es gab und wie die Katholische Kirche gezielt auf die Menschen zuging und half.

Interessant ist in der Zeche Hannover, dass man aus der kleinen Ausstellung ohne Übergang in den mächtigen Maschinensaal gelangt. Die dort stehende Fördermaschine aus dem Jahre 1893 ist die älteste noch am ursprünglichen Standort verbliebene Seilzuganlage  des Ruhrkohlebergbaus, und manchmal wird sie vom rührigen Förderverein der Zeche noch in Betrieb genommen – allerdings nicht mit Dampfkraft, sondern mit Elektromotoren.

LWL-Industriemuseum Zeche Hannover, Günnigfelder Straße 251 in Bochum. Mittwoch-Samstag 14–18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen 11–18 Uhr. Eintritt frei. Internet: https://www.lwl.org/industriemuseum/standorte/zeche-hannover




Bochum, Buddy Holly und überhaupt: Zum Tod des Schriftstellers Wolfgang Welt

Durch eine Mitteilung des Schauspielhauses Bochum erfahren wir vom Tod des Schriftstellers Wolfgang Welt, der jetzt mit nur 63 Jahren gestorben ist. Wir zitieren im Wortlaut:

„Das Schauspielhaus Bochum trauert um Wolfgang Welt.
Wolfgang Welt war seit 1991 Nachtpförtner am Schauspielhaus Bochum und allen hier arbeitenden Kolleginnen und Kollegen vertraut. Er war im besten Sinne des Wortes ein ,Original‘ des Hauses, jedem Künstler bekannt, umgeben von einer geheimnisvollen Aura, nicht ganz zu durchschauen, mal abweisend beobachtend, dann wieder gesprächig, offen und interessiert.
Vor seiner Tätigkeit als Nachtpförtner war Wolfgang Welt bereits als Journalist und Autor erfolgreich tätig. In den späten 1980er war er einer der wichtigsten Musikjournalisten des Reviers, schrieb für „Sounds“, „Marabo“ und „Musikexpress“. Danach begann er Romane zu schreiben und galt mit Büchern wie „Peggy Sue“, „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ oder „Doris hilft“ als Geheimtipp der deutschen Literatur-Szene. (…)
Wolfgang verstarb gestern Morgen nach kurzer schwerer Krankheit.
Wir werden ihn sehr vermissen.“

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Hier noch einmal ein Text über Wolfgang Welt, der am 23. November 2012 erstmals in den Revierpassagen erschienen ist:

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So einen gibt es nur in Bochum, also wird die Geschichte immer wieder gern aufgegriffen, wenn es um Wolfgang Welt geht: Der Mann ist Nachtportier im Schauspielhaus – u n d Autor des hochmögenden Suhrkamp-Verlages, seit der berühmte Peter Handke sich vor Jahren für ihn stark gemacht hat. So. Damit hätten wir das hinter uns gebracht.

Fürsprecher Handke hat jetzt auch ein kurzes Vorwort zu Welts gesammelten (vorwiegend journalistischen) Texten der Jahre 1979 bis 2011 beigetragen.

Der Band führt vor allem in Wolfgang Welts Frühzeit zurück, als er speziell Rockmusik, dann aber auch Literatur fürs Ruhrgebiets-Szenemagazin „Marabo“ besprochen hat. Später ging’s auch in Blättern wie „Musikexpress“ zur Sache.

Man erlebt gleichsam schreiberische Fingerübungen, zunächst vielfach noch unscheinbar oder gar unbedarft, gleichwohl schon vehement meinungsfreudig, ja manchmal sogar eminent präpotent.

Ich bin beileibe weder Grönemeyer- noch Müller-Westernhagen-Fan und gewiss auch kein Anhänger von Heinz Rudolf Kunze, doch darf man diese Leute so beleidigend wie folgt abkanzeln?

„Was sich (…) Grönemeyer (…) hier geleistet hat, ist wie schon bei seinem Debüt vor zwei Jahren unter aller Sau.“

Über das Lied „Von drüben“ von Marius Müller-Westernhagen („musikalisch armseliges Würstchen“): „Dieses Stück Scheiße ist an Erbärmlichkeit nicht zu übertreffen. (…) Hoffentlich verliert Müller-Westernhagen bald seine Stimme.“

„Heinz Rudolf Kunze ist eine Null. Er selber weiß es am besten.“

Ist da etwa ein Drecksack am Werk?

Das liest sich ganz so, als wolle da jemand die Kritisierten ein für allemal „erledigen“ und weghaben. Es hat schon gewisse Drecksack-Qualitäten, oder? Eigentlich kein Wunder, dass er auch schon mal als „Aufsatz-Ayatollah“ bezeichnet worden ist. Immerhin hat sich Welt, ausweislich eines viel späteren Textes, mit Grönemeyer nicht auf ewig zerstritten.

Auch wenn er lobte und pries, erging sich Wolfgang Welt (vielsagendes Power-Autorenkürzel „WoW“) vor allem in wuchtig vorgetragenen Gefühlsurteilen, die er gar nicht großartig begründen mochte, darin fast schon einem Reich-Ranicki vergleichbar. Buddy Holly war und ist demnach der Abgott aller populären Musik. Auch eher entlegene Größen wie Phillip Goodhand-Tait oder der Schlagersänger Willy Hagara gelten ihm viel. Vom „Abschaum“ haben wir ja schon gehört. Übrigens: Auch „Rockpalast“-Macher Peter Rüchel gehört zu den Schimpfierten, wohingegen dessen zeitweiliger Mitstreiter Alan Bangs… Aber lest selbst!

Ein häufig bemühtes, wahrlich dürftiges Hauptkriterium seiner frühen Musikbesprechungen ist, dass Künstler mit über 30 zu alt seien, um richtig zu rocken. Ach, du meine Güte! Auch ahnt man zunächst nicht, dass einem jemand mit abgegriffensten Formulierungen wie „Kafka lässt grüßen“, „Ein Buch, aus dem man viel lernen kann“ oder „Beide Scheiben waren weltweite Hits“ je etwas Wissenswertes mitzuteilen haben würde. Vereinzelte sprachliche Unfälle wie diesen hätte das Buchlektorat nachträglich korrigieren sollen: „Von seinem älteren Bruder hatte er bereits zuvor einige einfache Griffe beibekommen gekriegt…“

Hässlichkeit, Melancholie und Würde des Reviers

Jetzt aber endlich das Positive! Und das ist viel mehr.

Irgendwann, zunächst beinahe unmerklich, sodann mit steigender Frequenz, macht es in den assoziativ aufgeladenen Beiträgen („Ich will jetzt schreiben, was mir einfällt“) sozusagen „Klick“. Es beginnt mit Authentizität signalisierenden Bemerkungen: „Ich gebe zu, ich kann kaum verbalisieren, was ich beim Anhören dieser Platte empfunden habe, dazu hat sie mich viel zu sehr berührt.“ Auf einmal aber findet sich ein ungeahnt neuer Ton, der einen mäandernd mitzieht, der sich ganz eigen anhört. Und dieser Sound wird kräftiger! Es klingen chaotisch bewegte Ruhrgebiets-Nächte mit. Die Sätze nehmen wilde, sehnsüchtige Lebensfahrt auf, künden aber auch immer wieder von Hässlichkeit, Melancholie und Würde des vergehenden Reviers von einst.

Dabei zeigt sich unversehens: Buddy Holly und die Wilhelmshöhe (ehemaliges Zechenviertel in Bochum, Welts engere Heimat zwischen Maloche, Fußball und Suff) sind nicht sternenweit voneinander entfernt, sind keineswegs unvereinbare Gegensätze. Ich bin bestimmt nicht der erste, der das schreibt, doch Wahrheiten darf man gelegentlich wiederholen: Bei Wolfgang Welt findet sich das Ruhrgebiet unversehens als Gelände der weltweiten Bewegung im Gefolge des Rock’n’Roll wieder. Den sinnhaltigen Kalauer von der „Welt-Literatur“ haben auch schon andere losgelassen.

Wo anfangs noch Dilettantismus spürbar war, freilich oft schon von wacher Neugier angetrieben, da zahlt sich nun außerdem die zunehmende Repertoire-Kenntnis aus. Welt wird erfahrener, urteilsfähiger, wohl auch Zug um Zug geschmackssicherer.

Es ist frappierend zu sehen, in welchem Maße und wie schnell sich dabei sein Stil zum Guten und manchmal Genialischen hin verändert. Als jemand vom selben Jahrgang, der etwa zur gleichen Zeit mit dem beruflichen Schreiben begonnen hat, muss ich ihm erst recht Bewunderung zollen. Die Treibsätze seiner besseren Texte hätte man gern auch mal gezündet. Von den Romanen („Peggy Sue“, „Der Tick“) erst gar nicht zu reden.

„It’s better to burn out…“

Einlässlich und mit Gespür für Gewichtungen hat sich Wolfgang Welt mit Kultur-Gestalte(r)n aus der Region befasst. Mit Respekt werden Max von der Grüns Roman „Flächenbrand“ oder Jürgen Lodemanns Theaterstück „Ahnsberch“ besprochen, mit freundschaftlicher Sympathie wird der Dortmunder Schriftsteller Wolfgang Körner erwähnt. Werner Streletz (Marl/Bochum), damals noch am Anfang seines literarischen Schaffens stehend, erhält sogleich das Prädikat „beachtlich“.

Dass Wolfgang Welts Lebensweg zwischenzeitlich auch in psychiatrische Behandlungen führte, könnte tatsächlich innigst mit seiner wildwüchsigen Art des Schreibens zu tun haben und den Titel der Sammlung beglaubigen: „Ich schrieb mich verrückt“. Alles hat seinen Preis. Doch wie sang jener (nicht mehr ganz junge) Rockstar: „It’s better to burn out than it is to rust…“

Neuerdings scheint Wolfgang Welt etwas ratlos und verloren um die alten Themen zu kreisen, ohne ihnen wesentlich Neues abzugewinnen. Ausdrücklich heißt es an einer Stelle, dass sein Interesse an Musik geschwunden sei. Da ist ein Feuer erloschen. Und das kann einen ziemlich traurig machen.

Wolfgang Welt: „Ich schrieb mich verrückt“. Texte 1979-2011 (Hrsg. Martin Willems). Klartext Verlag, Essen. 358 Seiten. 19,95 €

P. S.: In einem lakonischen Interview am Schluss des Bandes nennt Wolfgang Welt den Schriftsteller Hermann Lenz als Vorbild und äußert sich so zum Revier: „Weil ich illusionslos bin, was das Ruhrgebiet anbetrifft. Ich finde, es ist ein Haufen Scheiße.“

Ein weiteres Interview mit Wolfgang Welt (von www.bochumschau.de) findet sich hier.




Bochum-Weitmar: „Museum unter Tage“ im Schlosspark zeigt nicht Bergbau, sondern Kunst

Im Bergbaumuseum Bochum war schon so mancher zu Gast, und als im vergangenen Jahr im Schlosspark Weitmar das „Museum unter Tage“ eröffnet wurde, da hatten sogar wir im ersten Moment die Assoziation: Noch einmal Bergbau, noch mehr Ruhrgebiet. Nichts davon findet man an diesem überraschenden Ort im Bochumer Süden.

Eingang in die Unterwelt. (Foto Pöpsel)

Eingang in die Bochumer Kunst-Unterwelt. (Foto: H. H. Pöpsel)

Vor einigen Jahren schon setzte die Stiftung „Situation Kunst“ in die alte Schlossruine einen Kubus als Ausstellungsgebäude, das im vergangenen Jahr auf dem benachbarten Grundstück eine sehr attraktive Ergänzung bekam. Oberhalb der Bodenfläche entstanden lediglich drei kleine quadratische Gebäude als Zugangsräume, die in die Kunst-Unterwelt führen. Und das ist eine fast 2000 Quadratmeter große, zur Zeit in 18 Kojen aufgeteilte weiße Ausstellungshalle, hell beleuchtet und klimatisiert. Steht man im Park, sieht man nur eine rechteckige Kiesfläche, die das Ausmaß der darunter liegenden Kunsträume spiegelt. Die Idee und Ausführung überraschen in sehr positivem Sinne.

Seit der Eröffnung dieses Museums unter Tage werden dort unter dem Titel „Weltsichten“ Landschaftsbilder in der Kunst seit dem 15. Jahrhundert gezeigt, allesamt aus dem Bestand der Stiftung, die der Ruhr-Universität angegliedert ist. Nicht nur Bilder eher unbekannter Maler kann man entdecken, auch chinesische Zeichnungen und Gemälde von Künstlern mit großem Namen wie Courbet und Corot, Cezanne, Paul Klee und Picasso hängen an den weißen Wänden. Man darf gespannt sein, mit welchen Bildern später einmal diese moderne Ausstellungsfläche gefüllt sein wird.

Aber nicht nur das Museum ist einen Besuch wert. Auch der von der Stadt Bochum in Absprache mit der Besitzerfamilie Berswordt sehr behutsam rekonstruierte Schlosspark strahlt eine angenehme Ruhe aus. An schönen Tagen werden die Wiesenflächen wie selbstverständlich zum Sonnenbaden genutzt. Nur Stille darf man nicht erwarten, denn das leichte Rauschen von der belebten Hattinger Straße hört man überall.

Museum unter Tage. Nevelstraße 29 c in 44795 Bochum. Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 12-18 Uhr, Eintritt 5 €, ermäßigt 3 €.

Internet: http://www.situation-kunst.de/mut.htm




Ab 2018: Stefanie Carp und Christoph Marthaler sollen die RuhrTriennale leiten

Ab 2018 für die RuhrTriennale verantwortlich: Stefanie Carp und Christoph Marthaler beim Pressetermin in der Bochumer Jahrhunderthalle. (Foto: Bernd Berke)

Ab 2018 für die RuhrTriennale verantwortlich: Stefanie Carp und Christoph Marthaler beim Pressetermin in der Bochumer Jahrhunderthalle. (Foto: Bernd Berke)

Für die Kulturszene, zumal im Ruhrgebiet, ist dies eine Nachricht von größerem Kaliber: Von 2018 bis 2020 werden die Dramaturgin Stefanie Carp (Jahrgang 1956) und der Schweizer Theatermacher Christoph Marthaler (64) an der Spitze der RuhrTriennale stehen. Zwei hochkarätige Namen, fürwahr.

Die Entscheidung war gestern noch ziemlich frisch. Man hatte sie, so gut es eben ging, geheim gehalten. Und so konnte NRW-Kulturministerin Christina Kampmann in der Bochumer Jahrhunderthalle tatsächlich den allermeisten Medien eine Neuigkeit verkünden. Der zum Scherzen aufgelegte Christoph Marthaler flunkerte gar, ihm selbst sei das alles auch neu. Die Einladung nach Bochum hätte er demnach einfach mal so als schicksalhaft hingenommen…

„Das schönste aller Festivals“

Gleichfalls anwesend war der jetzige Triennale-Intendant Johan Simons, der hier – beim „schönsten aller Festivals“ (Simons) – noch zwei Spielzeiten vor sich hat. Der Niederländer versicherte glaubhaft, dass er die Entscheidung für Carp und Marthaler sehr begrüße („Eine richtig gute Wahl“), denn gerade die Mischformen zwischen Theater, Musik (und anderen Künsten), die die RuhrTriennale prägen, lägen den beiden „Neuen“ am Herzen.

Kennzeichnend für die Triennale sind auch die teilweise monumentalen Spielstätten mit industrieller Vergangenheit. „Das ist meine Welt“, rief Christoph Marthaler aus. Er habe als Künstler in Garagen und Fabriken begonnen.

Geschichte der monumentalen Räume

Marthaler schwärmt noch heute von unvergesslichen Revier-Ortsbesichtigungen im Gefolge des Triennale-Gründungsintendanten Gerard Mortier und leidet offenbar am herkömmlichen Guckkasten-Theater: „Auf Bühnen verkümmere ich.“ Neue, ungeahnte Räume erfassen und entwerfen, darum ist es ihm zu tun. Es gelte, auch die Geschichte dieser Räume aufzunehmen und fortzuführen, die nicht zuletzt eine Geschichte der Arbeit sei.

Natürlich verrät das künftige Führungs-Duo (Carp fungiert als Intendantin bzw. Direktorin, Marthaler sozusagen als „Chefregisseur“) noch nichts Konkretes über Planungen und weitere Personalien; erst recht nicht, weil Johan Simons ja noch in seiner Festivalarbeit steht, bevor er 2018 die Leitung des Bochumer Schauspielhauses übernimmt. Carp und Marthaler betonten, sie hätten bislang nicht einmal ihre engste berufliche Weggefährtin, die Regisseurin und Bühnenbildnerin Anna Viebrock, eingeweiht. Man darf aber – bei aller Vorsicht – wohl davon ausgehen, dass sie auch bei der Triennale zum engeren Kreis zählen wird.

„Zwischenzeiten“ als Leitmotiv

Stefanie Carp, die vor allem in Hamburg, Zürich, Wien (Festwochen) sowie Berlin (Castorfs Volksbühne) gewirkt hat und mehrfach als Dramaturgin des Jahres ausgezeichnet wurde, blieb also notgedrungen eher allgemein und vage, als sie „grenzgängerische und hybride“ Produktionen als Mischformen zwischen den Künsten in Aussicht stellte. Dazu gebe es schon etliche Ideen, die aber noch reifen müssten.

Jedenfalls, so Carp, vertrage gerade die RuhrTriennale kein Verharren im Konventionellen. Gefragt seien Experimente, und zwar „im großen Format“. Ein übergreifendes Motto für die Spielzeiten 2018-2020 schwebt ihr und Marthaler auch schon vor: „Zwischenzeiten“. Das Dazwischen sei nicht nur zeitlich zu verstehen, sondern beispielsweise auch kulturell. Allerdings könne sich die Leitidee in den nächsten Jahren noch wandeln.

Große Erwartungen geweckt

In einem unscheinbaren, aber vielleicht bezeichnenden Nebensatz erklärte sich Stefanie Carp vorwiegend fürs Pragmatische zuständig, während Marthaler offenbar vor allem als künstlerischer Anreger wirken soll; was aber sicherlich nicht heißt, dass sie das Kreative allein ihm überlässt. Als Leitungsteam haben sie schon gemeinsam in Zürich bewiesen, welch reiche Früchte ihre Zusammenarbeit tragen kann. Sie sind bestens aufeinander eingespielt. Und wir wagen mal die beherzte Prognose, das vom neuen Duo tatsächlich einige Großtaten zu erwarten sind.

Kurz zurück in die Niederungen. Über die finanzielle Ausstattung der RuhrTriennale und die Dotierung der Leitungsposten mochte man im Überschwang nicht reden. Kulturministerin Kampmann sagte, das sei noch kein Thema gewesen. Christoph Marthaler gab sich unterdessen zuversichtlich: „Wir werden uns schon einigen.“

Sie freue sich besonders, dass erstmals eine Frau das renommierte Festival leiten werde, befand die Direktorin des Regionalverbands Ruhr (RVR), Karola Geiß-Netthöfel. Schmerzliche Einschränkung: 2006 war Marie Zimmermann bereits als Triennale-Chefin für 2008 bis 2010 vorgestellt worden. Sie starb im Jahr 2007. Man hat also nie erfahren dürfen, was sie bewirkt hätte.




Bochumer Schauspielhaus als Krimi-Schauplatz

Kriminalromane, die in einer identifizierbaren Stadt oder Region spielen, gibt es inzwischen in großer Menge, und auch das Ruhrgebiet als Schauplatz böser Taten kommt nicht zu kurz. In diese Gruppe reiht sich auch der Germanist und pensionierte Lehrer Rainer Küster mit einem Bochum-Krimi ein. Diese „Schuldenspiele“ ereignen sich überwiegend im Schauspielhaus, das wir doch sonst nur als trauten Ort der schönen Künste kennen.

Schuldenspiele

Als Gast-Star hat in einer „Wilhelm-Tell“-Inszenierung ein berühmter Schweizer Schauspieler die Hauptrolle übernommen, und dieser Star ist in der Nacht nach einem seiner umjubelten Auftritte plötzlich verschwunden. Angekündigte Vorstellungen müssen abgesagt werden, Unruhe unter Kolleginnen und Kollegen und größte Besorgnis bei der Intendantin sind selbstverständlich.

Der Hauptkommissar Erich Rogalla, ein etwas mürrischer Mann aus Wattenscheid, wird mit der Untersuchung beauftragt. Er findet zunächst nur Blut auf der Treppe des Gästehauses, aber keinen Schauspieler. Erst später kommen die Leiche und Erklärungen hinzu, und entsprechend wird der zweite Teil des Buches nach und nach spannender – natürlich gibt es hier nicht die Auflösung, aber am Titel kann man schon sehen, in welche Richtung es geht.

Auch bei Rainer Küster liegt ein Reiz der Lektüre am Schauplatz. Nicht nur das Schauspielhaus, auch die genannten Straßen und Plätze Bochums und die markanten Gebäude lassen den Ortskundigen in sein eigenes Bild dieser Stadt eintauchen.

Eher störend wirkt, dass Küster mit seinem Hauptkommissar immer wieder Klischees über das Ruhrgebiet und über die Westfalen sowie Vorurteile über Theaterkultur transportiert, die der Krimi-Atmosphäre eher schaden. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier ein Autor seine eigenen Vorstellungen projiziert. Trotzdem: Für Freunde eines recht spannenden Lokalkrimis lohnt sich dieses Taschenbuch.

Rainer Küster: „Schuldenspiele“. Universitätsverlag Dr. Brockmeyer Bochum, 272 Seten, 12,90 €. (ISBN 978-3-8196-1015-8)




Start mit Gluck – Intendant Johan Simons stellt das Programm der RuhrTriennale 2016 vor

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Auf Zeche Zollern erklingt zumindest an einem Abend Triennale-Musik – allerdings nicht im abgebildeten Verwaltungsgebäude, sondern in der (unsichtbar) dahinter liegenden berühmten und frisch renovierten Jugendstil-Maschinenhalle (Foto: Ruhrtriennale/LWL Hudemann)

Christoph Willibald Gluck macht den Anfang, es folgen Albert Camus, Emile Zola und viele andere. Johan Simons hat das Programm seiner zweiten Ruhrtriennale (12. August bis 24. September 2016) vorgestellt, die an etlichen ehemaligen (oder noch aktiven) Industriestandorten des Ruhrgebiets stattfinden soll. Nach langer Pause ist auch Dortmund wieder mit Spielstätten vertreten, dem Hafen und (endlich!) der renovierten Maschinenhalle von Zeche Zollern in Bövinghausen. Hier ein paar Fakten:

Beginn in der Jahrhunderthalle

Große Auftakt-Produktion ist Glucks Reformoper „Alceste“ in der Bochumer Jahrhunderthalle. Simons hat sie, wie wir den sorgfältig zusammengestellten Presseunterlagen entnehmen können, „neu inszeniert und stellt Fragen nach Opferbereitschaft, Mut und Demut“. Der belgische Dirigent René Jacobs steht am Pult, leitet das B’Rock Orchestra und den MusicAeterna-Chor aus Perm.

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René Jacobs dirigiert die Eröffnungsproduktion „Alceste“ (Foto: Ruhrtriennale/ Molina-Visuals)

Drei Wochen später startet die zweite große Musikproduktion, wiederum unter Simons’ Leitung. Das Werk heißt „Die Fremden“ und ist eine musikalische Bühnenadaption des Romans „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“ von Kamel Daoud. Daouds Roman wiederum ist eine (etwas späte) Antwort auf den Roman „Der Fremde“ von Albert Camus, in dem der scheinbar grundlose Mord an einem namenlos bleibenden Araber eine zentrale Rolle spielt. Der Mord, ist zu erfahren, war nicht nur tödlich, sondern seine Beschreibung auch rassistisch, was Daoud zur Gegendarstellung bewegte.

Jetzt auch Auguste Victoria

Die Inszenierung hinterfragt menschliches Dasein in einer gottverlassenen Welt, fragt nach den Werten, die unsere Kulturen bestimmen, und läßt bei alledem Musik von György Ligeti und Mauricio Kagel hören. Da wage ich die Prognose, daß dies kein leichter Abend wird – aber ein spannender. Ein hoffentlich auch bereichernder. Spielort übrigens ist erstmalig die Kohlenmischhalle der Zeche Auguste Victoria in Marl, die erst vor kurzem stillgelegt wurde. Reinbert de Leeuw leitet das Asko/Schönberg Ensemble.

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Ein Bau von einschüchternder Größe: Die Marler Kohlenmischanlage, wo „Der Fremde“ gespielt wird (Foto: Ruhrtriennale/RAG Montan Immobilien GmbH)

In der Abteilung „Musik“ sticht das Projekt „Carré“ ins Auge, bei dem Bochumer Symphoniker und ChorWerk Ruhr, auf jeweils vier Gruppen verteilt, Musik von Karlheinz Stockhausen sozusagen dezentral zum Klingen bringen. Eigentlich geht das nirgendwo, aber in der Jahrhunderthalle eben doch.

Ebenfalls bemerkenswert: „Répons“, das „Raummusik-Meisterwerk“ des Komponisten Pierre Boulez, das im Landschaftspark Duisburg Nord vom Ensemble Inter-Contemporain unter der Leitung von Matthias Pintscher gegeben wird.

Fortsetzungen: Zola und Couperus

Im Bereich „Schauspiel“ werden Fortsetzungen angekündigt. Luc Perceval wandelt weiterhin auf Emile Zolas Spuren und bringt „Geld. Trilogie meiner Familie 2“ auf die Bühne. Ivo van Hove inszeniert „Die Dinge, die vorübergehen“ von Louis Couperus, eine Art Familienthriller. Wie auch im letzten Jahr, als das Couperus-Stück „Die stille Kraft“ im steten Tropenregen das Scheitern des Kolonialismus am Beispiel eines Verwaltungsbeamten und seiner Familie schilderte, umkreist Couperus das, was falsch ist an der Besitznahme ferner Länder durch sein Land.

Liebe. Trilogie meiner Familie 2 nach Émile Zola Regie Luk Perceval Bühne Annette Kurz Kostüme Ilse Vandenbussche Musik Lothar Müller Licht Mark Van Denesse Dramaturgie Susanne Meister Jeroen Versteele Darsteller Patrick Bartsch (Goujet) Stephan Bissmeier (Dr. Pascal) Pascal Houdus (Dr. Ramond) Marie Jung (Clotilde) Barbara Nüsse (Felicité; Frau Lorillieux; Leichenbesorger; Mme Goujet) Sebastian Rudolph (Lantier) Gabriela Maria Schmeide (Gervaise) Maja Schöne (Nana) Rafael Stachowiak (Jacques Lantier) Oda Thormeyer (Martine) Tilo Werner (Coupeau) Patrycia Ziolkowska (Clémence) Copyright by Armin Smailovic Gravelottestrasse 3                               D- 81667 Muenchen         Commerzbank Muenchen   Kto. 682038400 Blz. 70080000   Veröffentlichung honorarpflichtig! Umsatzsteuersatz 7% Steuernummer 146/198/60102  FA München

Das ist jetzt ein Symbolfoto zu „Geld. Trilogie meiner Familie 2“ (Foto: Ruhrtriennale/ Armin-Smailovic)

Es gäbe der Projekte viele, viele mehr zu nennen, doch soll dies ja nur ein erster Eindruck sein.

Im Dortmunder Hafen, um darauf zurückzukommen, ist die neue Arbeit von „osa_office for subversive architecture“ zu bestaunen und auch zu benutzen. Konkret handelt es sich um einen zehn Tonnen schweren Container in der Farbe Pink, der in eine real existierende Bearbeitungshalle für Stahlprodukte gekrant wird. Dabei dürfen um die 20 Besucher „an Bord“ („an Container“?) sein, bestimmt ein unvergeßliches Erlebnis.

Endlich in der Maschinenhalle von Zeche Zollern

Die Maschinenhalle der Zeche Zollern in Dortmund schließlich ist am 17. August Ort des Konzerts „Spem in alium“, benannt nach einer Motette Thomas Tallis’. An diesem Abend wird es experimentell, mit Musik von Henry Purcell, Alfred Schnittke, György Ligeti und eben Tallis. Vitaly Polonsky dirigiert den Chor MusicAeterna, der aus dem russichen Perm zur Ruhrtriennale gestoßen ist.

So, hier soll es einstweilen sein Bewenden haben. Natürlich könnte man über das Ruhrtriennale-Programm noch unendlich viel mehr schreiben, doch würde es bald unübersichtlich und sicherlich auch langweilig. Auf den Internet-Seiten des Festivals können Interessierte sich orientieren und Karten kaufen. Noch gibt es 15 Prozent Frühbucherrabatt.

www. ruhrtriennale.de




Ein wenig Theater mit jungen Migranten – „Grubengold“ im Bochumer Prinzregenttheater

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„Grubengold“ – das Ensemble. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

„Grubengold“: Das Wort lässt an die Kohle denken und an die Menschen, die sie aus der Grube holten. Im gleichnamigen Projekt des Theaterpädagogen Holger Werner indes, dessen Ergebnis nun im Bochumer Prinzregenttheater zu sehen war, ist nichts davon. Sein „Gold“ sind geflüchtete Menschen, die das Revier sozusagen in der Kohle-Nachfolge bereichern werden. Neun junge Leute aus Guinea, Irak, Syrien und Deutschland, zwischen 18 und 31 Jahre alt, haben das Stück erarbeitet, und nach einer Stunde ist schon alles vorbei.

Ein langes Gedicht

Die ersten etwa 20 Minuten gehören dem Vortrag eines dramatischen Gedichtes in arabischer Sprache, in dem, wenn das gleichzeitig stattfindende sparsame Bühnenspiel nicht täuscht, der Tod eines jungen Mannes eine zentrale Rolle spielt. Das Gedicht stammt von Yousef Ahmad Zaghmout, der es auch vorträgt. Auf dem Besetzungszettel findet sich eine deutsche Übersetzung. Mit großem Pathos geht es um den Schmerz, den Tod und vor allem um „das Lager“, das im Lager Yarmouk bei Damaskus sein reales Vorbild hat. Hier ist das Leben offenbar unerträglich, und so sehen wir im zweiten Bild ein qualliges, waberndes Gebilde aus Plastikfolie und Menschenleibern, das offenbar in (Fort-) Bewegung ist. Diese sehr beeindruckende Visualisierung von Flucht, Meer und Gefahr hat mit sparsamsten Mitteln Sylvia Fadenhaft geschaffen, die überaus kreative Bühnenbildnerin des Prinzregenttheaters.

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„Grubengold“ – wiederum das Ensemble. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Gepriesen sei Sylvia Fadenhaft

Auch die sich anschließende dritte Visualisierung trägt Sylvia Fadenhafts Handschrift: Da nämlich gilt es, die nach der turbulenten Überfahrt krumm und schief herabhängenden Stoffbahnen zu ordnen. Willkommen in Deutschland: Hier herrscht Ordnung, und das hat die jungen Migranten offenbar so sehr beeindruckt, dass sie mit der Beschreibung dieses oft doch recht sinnfreien Ordnungswahns eine putzige Dreierreihe von szenischen Deutschland-Wahrnehmungen beginnen.

Im nächsten Bild geht eine junge Frau von einem zum anderen und richtet an jeden und jede den Satz „Sprechen Sie Deutsch“, wobei nicht klar auszumachen ist, ob es sich um eine Frage oder um eine Anweisung handelt. Jedenfalls spricht keiner Deutsch, unübersehbar ist die spitzbübische Freude an Dilemma und Verweigerung. „Dodge“ vielleicht, die alte amerikanische Automarke? Aber Deutsch? No, sorry.

Fingerabdrücke

Im dritten dieser amüsanten Bilder geht es um Fingerabdrücke, die ein Kontrolleur gnadenlos von allen fordert und die zu geben offenbar als große Zumutung empfunden wird. Nachdem die Prozedur einige Male durchgeführt wurde, dreht das Ensemble den Spieß um und verlangt nun Fingerabdrücke vom Publikum, wohl, um den Zumutungscharakter herauszustreichen. Schließlich reiht es sich auf der Bühne und intoniert „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und dann ist der Abend auch schon vorbei.

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„Grubengold“ – das Flatterband markiert die Grenze. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Seit September 2015, ist zu erfahren, wurde dieses Stück erarbeitet. Daran gemessen ist das Ergebnis dürftig. Wer im Themenfeld Migration, „Flüchtlingskrise“ usw. auf persönliche Antworten gehofft hatte, die über das immer Ähnliche der täglichen Nachrichten hinausgehen, hoffte vergebens.

Wie aus einem Förderantrag

Dabei wüsste man schon gerne, wie sich diese jungen Leute, beispielsweise in Bochum, ihre Zukunft vorstellen. Das Projekt hatte sich so etwas wohl auch vorgenommen, nämlich „die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in Bochum zu erlangen, Kontakte zur Bevölkerung herzustellen und zu fördern und ein Teil dieser Gesellschaft zu werden“. So jedenfalls ist es im Begleittext nachzulesen, der seinerseits klingt wie aus einem Förderantrag zitiert. Gefördert wurde das Projekt gleich aus mehreren Töpfen, unter anderem vom Familienministerium des Landes.

Nun, vielleicht erfüllt sich der eigene Anspruch in Zukunft ja noch, „Grubengold“ ist als Langzeitprojekt ausgeflaggt. In guter Erinnerung bleiben die Tanzeinlagen von zwei, drei Mitwirkenden, deren Ambitionen sicherlich über dieses Projekt hinausreichen dürften.




Bochumer Ausstellung über Polens „Wilden Westen“: Als in Wroclaw die Kultur aufblühte

Wroclaw (früher Breslau) hat einen historischen Wandel sondergleichen hinter sich. Die einst deutsche Stadt mit bis zu 1 Million Einwohnern wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs polnisch. Die Deutschen wurden vertrieben, Polen aus anderen Teilen des Landes sollten statt dessen in der zerstörten Stadt „heimisch“ werden. Doch wie sollte das ohne weiteres möglich sein? Mit einer bloßen Umsiedlung und einem Austausch der Bevölkerung war es ja nicht getan.

Um Identifizierung – gleichsam aus dem Nichts – zu stiften, sorgte Polens kommunistische Regierung ganz gezielt dafür, dass sich in Wroclaw nicht zuletzt Künstler aller Sparten ansiedelten. Tatsächlich blühten die Künste gerade an diesem Ort seit Mitte der 1960er Jahre so auf wie an keiner anderen Stelle des Landes.

Natalia LL: "Consumer Art" (1972), Schwarzweiß-Fotografien. (© Collection of the Lower Silesian Society for the Encouragement  of the Fine Arts - Foto: Matgorzata Kujda)

Nach Art von Andy Warhol: Natalia LL „Consumer Art“ (1972), Schwarzweiß-Fotografien. (© Collection of the Lower Silesian Society for the Encouragement of the Fine Arts – Foto: Matgorzata Kujda)

In Wroclaw durfte und konnte sich – trotz eines diktatorischen Regimes – das kulturelle Leben ungleich freier entfalten als etwa in Warschau oder Krakau. Und siehe da: Es wurden nicht nur ein paar kleine Freiräume in der Diktatur ausgelotet, das Zwangssystem wurde vielmehr beherzt überschritten. Alsbald konnte man die kreativen Hervorbringungen in Wroclaw kaum noch von den wesentlichen Strömungen der westlichen Welt unterscheiden.

Eine Ausstellung im Museum Bochum, das in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder polnische Kunst präsentiert hat, dokumentiert und illustriert nun einige Aspekte dieser erstaunlichen Vorgänge. Der Titel der Schau lautet „Wilder Westen“, er spielt an auf die herrlich „wildwüchsige“ Entwicklung der Kultur in einer Stadt, die eben im polnischen Westen liegt. Es geht hierbei nicht so sehr um einzelne Künstler, sondern vorwiegend um die Zeitstimmung.

Krzysztof Zarebski: "Autohemo", Farbfoto. (© Sammlung Galeria Bielska BWA - Foto mit freundlicher Genehmigung von Leszek Fudusiewicz und der Galerie Monopol)

Krzysztof Zarebski: „Autohemo“, Farbfoto. (© Sammlung Galeria Bielska BWA – Foto mit freundlicher Genehmigung von Leszek Fudusiewicz und der Galerie Monopol)

Wie gut, dass in Wroclaw das Bewusstsein für die eigene Avantgarde der 60er bis 80er Jahre wachgehalten wird. Beredt und geradezu entflammt weiß Dorota Monkiewicz, Gründungsdirektorin des seit 2011 bestehenden Zeitgenössischen Museums Wroclaw, aus jenen Blütezeiten zu berichten. Aus ihrem Hause stammt die überwiegende Zahl der rund 500 Exponate, die nun in Bochum gezeigt werden. Sie selbst fungiert als leitende „Kommissarin“ der Ausstellung, gleich sieben Kuratoren haben zudem ihre Spezialkenntnisse eingebracht. Der ausführliche Katalog dürfte auch bei einem etwaigen Besuch in Wroclaw gute Dienste als Kulturführer leisten.

Vor allem anhand zahlreicher Fotografien und Videos spürt man nun in Bochum den Geist des Aufbruchs, der damals geherrscht haben muss. Wenn nicht hie und da polnische Schriftzüge auftauchten, fiele es schwer, eine Ortsbestimmung vorzunehmen. Gar manches könnte sich ebenso gut in Düsseldorf, Köln oder London abgespielt haben.

Man befand sich in Wroclaw durchaus auf der Höhe des internationalen Zeitgeistes. Nicht alle künstlerischen Arbeiten in Bochum lösen diesen Anspruch ein, doch gibt es etliche Belege für das lebendige, inspirierende Klima, das nicht nur Künstler, sondern auch Theaterleute, Filmemacher und Musiker in die Stadt lockte. Und auch die Auseinandersetzung mit Architektur war eine gehörige Triebkraft.

Da entfalteten sich – beispielsweise – Konkrete Poesie, feministische Kunstansätze, Konzeptkunst, Videokunst, Happening und Performance, ja, eigentlich alle avantgardistischen Richtungen. Von Vorgaben oder Gängelung ist nichts zu bemerken. Freilich: Anders als im Westen, gab es keine (bürgerlichen) Kunstsammler, also richteten sich Künstler aller Sparten oftmals direkt an die breitere Öffentlichkeit. Was ja gewiss kein Fehler ist.

Vitales öffentliches Interesse: "Les Comediants". Aufnahme vom 6. Internationalen Treffen der Theater und der Offenen Kunst, Wroclaw, 1978. (Foto: Bronislaw Szubzda/Staatsarchiv Wroclaw)

Vitales öffentliches Interesse: „Les Comediants“. Aufnahme vom 6. Internationalen Treffen der Theater und der Offenen Kunst, Wroclaw, 1978. (Foto: Bronislaw Szubzda/Staatsarchiv Wroclaw)

Die Gattungsgrenzen, zumal zwischen Kunst und Theater (auch der große Theatermacher Jerzy Grotowski wirkte in Wroclaw), wurden offenbar mit Verve überwunden. So ansteckend kann Kultur sein, wenn die Zeit gekommen ist: Faszinierende Fotografien zeugen von leuchtenden Momenten, zeugen von einer grundsätzlichen Offenheit, die anscheinend alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen erfasst hat. Es muss – wider allen grauen Alltag – eine Lust gewesen sein…

Es waltete wohl ein Genius loci. Die Künste waren seinerzeit Vorboten und Statthalter einer Freiheit, die sich in ganz Polen und anderen Ländern des europäischen Ostens erst mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ auch politisch manifestieren konnte.

Schon damals, so möchte man meinen, hätte es Wroclaw verdient gehabt, Europäische Kulturhaupstadt zu sein, doch da gab es diese Ehrung noch nicht – erst recht nicht für osteuropäische Städte. 2016 aber trägt Wroclaw (gemeinsam mit dem spanischen San Sebastian) den Titel. Mithin vermittelt Bochum auch in dieser Hinsicht erhellende Rückblicke.

Viele Impulse wurden erstickt, als Ministerpräsident Jaruzeski 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängte. Von den harschen Restriktionen waren auch die Künstler in Wroclaw betroffen.

Bekanntlich gibt es in Polen neuerdings wieder ein gesellschaftliches Rollback, das die Künste einzuschränken droht. Auch gegen solche fatalen Tendenzen bezieht diese Ausstellung unversehens Position. Als sie geplant wurde, wusste man noch nicht, wie dringlich das sein würde. Ausstellungs-Kommissarin Dorota Monkiewicz möchte auf diesen Zusammenhang nicht explizit eingehen. Sie findet allerdings, dass Wroclaw im Vergleich zu früher wohlhabend geworden sei – und damit auch etwas langweiliger.

„The Wild West – Wilder Westen. Die Geschichte der Avantgarde in Wroclaw“. 5. März (Eröffnung um 17 Uhr) bis 8. Mai 2016. Museum Bochum, Kortumstraße 147. Öffnungszeiten: Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Katalog 25 €. Eintritt 5 € (jeden ersten Mittwoch im Monat frei). Weitere Infos: www.kunstmuseumbochum.de

Die Ausstellung wurde zuvor schon in Warschau und Kosice (Slowakei) gezeigt. Nach Bochum folgen noch die Stationen Zagreb und Budapest.




Dreimal Ina – „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf im Prinzregenttheater

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Von links: Miriam Berger, Johanna Wieking, Linda Bockholt (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Als sich die Chance bot, ist sie entwischt: Isa, die es hinter vier Meter hohe Backsteinmauern verschlagen hat. Gründe dafür werden nur angedeutet, „Ich bin verrückt, aber nicht bescheuert“, sagt sie selbstbewusst. Isa ist die Hauptfigur des Stücks „Bilder deiner großen Liebe“, das jetzt seine Premiere im Bochumer Prinzregenttheater erlebte. Gleich drei Schauspielerinnen geben der jungen Frau Stimme und Gestalt, wenn sie auszieht, die Welt jenseits der Anstalt zu ergründen.

Der Autor von „Tschick“

Der Stoff des Stücks stammt von dem 2013 mit 48 Jahren viel zu früh verstorbenen Wolfgang Herrndorf. Robert Koall hat daraus eine Bühnenfassung gemacht, die jetzt zur Aufführung gelangte. Zum Werk Herrndorfs zählen einige unverstellte, klarsichtige, dabei jedoch auch launige Beschreibungen der Lebenswelten jüngerer Erwachsener wie „In Plüschgewittern“. Vor allem jedoch wurde er durch das vielgespielte Außenseiterstück „Tschick“ bekannt, dessen weibliche Hauptfigur Isa wir nun wiederbegegnen.

Bilder deiner grossen Liebe 4 (c) Sandra Schuck

Von links: Linda Bockholt, Miriam Berger, Johanna Wieking (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Wenn Isa in dieser Inszenierung (Regie: Frank Weiß) mit Miriam Berger, Linda Bockholt und Johanna Wieking gleich dreifach besetzt ist, dann wohl nicht, um eine psychische Störung („multiple Persönlichkeit“) anzudeuten. Eher wirkt es wie der durchaus gelungen zu nennende Versuch, eine vielschichtige, reflektierte, reiche Persönlichkeit in empathischen Dialogen angemessen zu zeichnen.

Bestimmte charakterliche Eigenschaften sind den drei Darstellerinnen folgerichtig auch nicht zugeordnet, eher wirken sie wie Kinder im heiteren Spiel; nun gut, vielleicht ist Johanna Wieking ein kleines bisschen mehr Isa als die anderen, weil sie auch Isa in der „Tschick“-Produktion des Prinzregenttheaters war und weil sie mit ihrem häufigen großen Lächeln noch etwas mehr Erleben spiegelt als die beiden anderen. Aber alle erzählen sich die Erlebnisse in der Ich-Person.

Alle Drei sind sie auch respektable Musikerinnen, gleich der Opener des Abends ist ein munteres Rock-Geschrammel mit Schlagzeug, Bass und Gitarre. Auch Keyboard und Xylophon erklingen im Laufe des Abends, und außerdem singen sie sehr schön.

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Von links: Linda Bockholt, Johanna Wieking, Miriam Berger (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Auf der Flucht

Die Handlung des Stücks – also das, was Isa in der Freiheit erlebt – bleibt indes Erzählung. Wir erfahren, dass Isa die Scheibe eines Geschäfts einschlug, um an Essen zu kommen, dass sie sich pfiffig und im wahrsten Sinne des Wortes in die Büsche schlug, um nicht eingefangen zu werden, dass sie auf einen Fußballplatz pinkelte, plötzlich das Flutlicht anging, feixende Spieler vor ihr standen, und last not least, dass sie die Psychopillen, die sie heimlich unter der Zunge hielt und nicht herunterschluckte, aufbewahrt hat, weil sie sie manchmal wirklich braucht. Auch wenn der Kopf dann leer und löchrig wird wie ein Sieb.

Schiffer und Räuber

Voller Übermut ist sie auf ein Binnenschiff gesprungen, dessen Steuermann sich Kapitän nannte, obwohl er gar keine Uniform anhatte, der über ihren Besuch in keinster Weise erfreut war, sie an der nächsten Schleuse auf jeden Fall wieder aussetzen wollte. Dann jedoch ließ er sich ausführlich über „Verdränger“ und „Gleiter“ unter den Binnenschiffen aus und erzählte schließlich von einem Bankraub, dessen Täter mit einem „Verdränger“ flüchteten, welcher sank, was den einen der beiden das Leben kostete. Ist der Schiffer der zweite Räuber? Jedenfalls behauptete er es.

Die Welt ist verrückt

Mit einem Schweinelaster ist Isa mitgefahren, hat den Schweinen Wasser gegeben, währen der Fahrer Pinkelpause machte und ihren süßen Arsch lautstark bewunderte, ein toter Förster kreuzte ihren Weg, und überhaupt ist Isas Trip voll von Zumutungen, Ungeheuerlichkeiten und Abgründen, dabei oft banal und geheimnisvoll zugleich. Gewiss ist sie nicht verrückter als die Welt um sie herum, Wolfgang Herrndorfs furioses Roadmovie lässt da keine Zweifel.

Doch mag die Welt auch irre sein – auf der Bühne des Prinzregent-Theaters sind diese anderthalb Stunden mit der verdreifachten Hauptdarstellerin ein großes Vergnügen. Das Publikum zeigte sich erwartungsgemäß begeistert.

 




100 Jahre Dada-Bewegung: Richard Huelsenbeck und der Dortmunder Anteil

Gastautor Heinrich Peuckmann erinnert an den Dichter Richard Huelsenbeck, einen eng mit Dortmund verbundenen Hauptakteur der Dada-Bewegung, die vor 100 Jahren entstanden ist:

Der Dadaismus, jene revolutionär-avantgardistische Kunstrichtung um 1916, wird im Bereich der Literatur vor allem mit drei Namen verbunden: mit Hugo Ball, der in Zürich vor genau 100 Jahren (5. Februar 1916) das berühmte „Cabaret Voltaire“ gründete, mit dem Rumänen Tristan Tzara, der den Dadaismus nach Paris brachte, und mit Richard Huelsenbeck, der ihn in Berlin populär machte.

Zürich, Paris, Berlin, das sind denn auch Namen von Metropolen, die zum Dadaismus passen. Dass aber auch Dortmund seinen Beitrag geleistet hat, wissen die wenigsten. Richard Huelsenbeck (1892-1974), der „Ober-Dada“, wie er sich später selbst genannt hat, stammte nämlich aus Dortmund. Hier hat er seine Kindheit verbracht und hier, auf dem Südwestfriedhof, liegt er auch begraben.

Der Dichter Richard Huelsenbeck

Der Dichter Richard Huelsenbeck

Auch wir Dortmunder Schriftsteller waren überrascht, als wir im Frühjahr 1990 durch einen Zeitschriftenartikel von Hülsenbecks Beziehung zu Dortmund erfuhren. Dieses literarische Erbe war, von uns völlig unbemerkt, von einer Mitarbeiterin des „Fritz-Hüser-Instituts für Arbeiterliteratur“ betreut worden.

Mit Jazz-Klängen zu seinem Grab

Als wir dann auch noch erfuhren, dass Huelsenbecks Grab gefährdet war, dass es 30 Jahre nach seinem Tod „plattgemacht“ werden könnte, wie das so anschaulich im Ruhrgebiet heißt, entschlossen wir uns zu einer Aufsehen erregenden Aktion. Im Trauerzug zogen wir 1991 zu Huelsenbecks Grab, zwei Jazzmusiker vorweg, die im New-Orleans-Stil Trauermusik spielten, Josef Reding hielt eine verspätete Geburtstagsrede zu Huelsenbecks 99. Geburtstag (ein krummes Datum, das gut zu einem Dadaisten passt), in der er über dessen Leben und die literarische Arbeit informierte, dann wurden Gedichte Huelsenbecks rezitiert, danach von unserem Kollegen Jürgen Wiersch ein auf Huelsenbeck getextetes Gedicht im Dada-Stil vorgetragen. Schließlich verließen wir, diesmal begleitet von beschwingter Jazz-Musik, den Friedhof. Presse und Rundfunk haben seinerzeit groß berichtet, die germanistische Fakultät der Uni Dortmund war mit einem Professor und einigen Studenten vertreten. Die Aktion hat tatsächlich etwas gebracht, denn bis heute ist Huelsenbecks Grab erhalten geblieben.

Fierstunde an der Dortmunder Grabstätte Huelsenbecks (Ausriss aus der Westfälischen Rundschau, Lokalteil Dortmund, vom 18. Mai 1991)

Feierstunde an der Dortmunder Grabstätte Huelsenbecks (Ausriss aus der Westfälischen Rundschau, Lokalteil Dortmund, vom 18. Mai 1991)

Geboren wurde der Ober-Dada 1892 allerdings in Frankenau, im Waldeckschen, und nicht in Dortmund. Der Vater hatte dort eine Dorfapotheke übernommen, aber die Mutter, die aus Dortmund stammte, litt unter der dörflichen Einsamkeit, und deshalb zog die Familie kurz nach Richards Geburt zurück ins Ruhrgebiet, zuerst nach Dortmund, später, 1899, nach Bochum, wo der Vater eine Anstellung als Chemiker bei der Harpener Bergbau-AG fand.

Als Schüler ein wenig aufsässig

Richard Huelsenbeck besuchte das Städtische Gymnasium in Bochum, lernte dort den Mitschüler Karl Otten kennen, später einen der bekanntesten expressionistischen Dichter, und fiel ansonsten eher durch mäßige Leistungen auf. Ein bisschen Dandytum, ein wenig Aufsässigkeit, Provokation und Tabuverletzung (die Schüler trieben sich gern bei den Kinos am Hauptbahnhof herum, oder in der Kurzen Straße, „wo die Prostituierten kaserniert sind“) waren weiß Gott kein schlechter Nährboden für Dada, wohl kaum aber ein geglückter Start für eine erfolgreiche Schullaufbahn.

Also schickte der Vater den jungen Aufsässigen ins Internat „Arnoldinum“ nach Burgsteinfurt, wo Huelsenbeck ebenfalls einen späteren Dichter kennenlernte, den Dadaisten Karl Döhmann, der sich „Daimonidos“ (dämonisch, teuflisch, nach Sokrates evtl. auch innere Stimme, Gewissen) nannte und später durch hocherotische Gedichte, die er in dem Buch „Bibergeil“ veröffentlichte, in Berlin einen Namen machte. Wobei hinzuzufügen ist, dass der Buchtitel eigentlich noch nichts vom Inhalt verrät, denn „Bibergeil“ ist das Fett des Bibers.

1911 bestand Huelsenbeck das Abitur, auch dies nicht ohne Wirrnis, denn die Schüler hatten kurz vor dem Abitur die Prüfungsaufgaben gestohlen, ein Vorfall, den sogar die vorgesetzte Dienstbehörde mitbekam. Huelsenbeck war beteiligt, aber irgendwie, durch Gnade des Direktors, durften die Schüler doch an den Prüfungen teilnehmen.

Freundschaft mit Hugo Ball

Zuerst begann er ein Medizinstudium, wechselte dann aber zur Literatur und Philosophie an die Universität München. Dort lernte er Hugo Ball kennen, den sechs Jahre älteren Dramatiker und Dramaturgen der Münchner Kammerspiele. Es war die folgenreichste Begegnung seines literarischen Lebens. Ball stellte Kontakte zu Hans Leybolds „Die Revolution“ her, eine Zeitschrift, die es auf fünf Nummern und einen langwierigen Prozess wegen eines blasphemischen Gedichts von Ball brachte. Dort veröffentlichte Huelsenbeck seine ersten Texte.

Bei Kriegsausbruch 1914 erlag auch Huelsenbeck dem nationalen Taumel und meldete sich als Kriegsfreiwilliger in Bochum. Als aber schon früh ein Freund in Nordfrankreich fiel, bekam er Zweifel und ließ sich wegen Krankheit vom Militärdienst befreien. Mit der Bemerkung: „Wie schlimm für Sie, dass Sie in Leben nicht fürs Vaterland lassen können“, wurde er entlassen.

Er ging nach Berlin und organisierte zusammen mit Hugo Ball die ersten literarischen Veranstaltungen, die als Vorläufer späterer Dada-Aktionen gewertet werden können. Es begann mit einer „Gedächtnisfeier für gefallene Dichter“, bei der Ball den Expressionisten Ernst Stadler vorstellte, Huelsenbeck aber den französischen Schriftsteller Charles Péguy, der erst später, nach dem Zeiten Weltkrieg, zusammen mit Claudel und Bernanos als konservativ-katholischer Autor in Deutschland bekannt wurde. Ein Dichter des Feindes also, und damit war sie da, die erste Provokation des Publikums. Die Zuschauer reagierten aggressiv, die Presse war entrüstet, und Huelsenbeck und Ball freuten sich über den Erfolg.

Der ganze Saal rief „Umba, Umba!“

Wichiger aber wurde ihr Expressionismusabend am 12. Mai 1915, auf dem beide, so schrieb Huelsenbeck später, die Kraft fühlten, „die den Expressionismus überwand“. Die Vossische Zeitung schrieb am 14. Mai 1915 über den Abend: „Zwischen Stürmen des Gelächters versuchte sich Richard Huelsenbeck verständlich zu machen. Mit unerschütterlicher Ruhe las er ein Negerlied nach dem anderen vor. Nach jeder Zeile rief er zweimal `Umba!` Als er endete und hinausging, rief ihm der ganze Saal `Umba, Umba!` nach. Zuletzt sprudelte Ball Gedicht auf Gedicht hervor. Man verstand fast nur die Reime, die genügten aber, im Publikum wahre Schreikrämpfe hervorzurufen. Eine Zeile, die ich verstand, lautete: `Ein Pferd macht müde sich bequem in einem Vogelneste.` Wahrscheinlich ist es ein Opfer der Futternot geworden…Man lachte und rief sich gegenseitig zur Ruhe. Man lief nach vorne und wieder nach hinten. Einige verließen trampelnd den Saal und andere nannten sich laut Idioten. Niemand las, ohne von schallendem Gelächter oder beleidigenden Zwischenrufen unterbrochen zu werden.“

Da war es zum ersten Mal erkennbar, das Instrumentarium des späteren Züricher Dadaismus: der gesprengte Rahmen der Veranstaltung, der nicht mehr geschlossen wurde, das provozierte Chaos im Publikum und die Aktivierung des Publikums durch Aggression. Eine erste kleine Dada-Vorführung.

Kurz nach diesem gewollten Eklat wechselte Hugo Ball nach Zürich, wo sich viele Pazifisten aus allen Ländern aufhielten, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Er gründete in der Spiegelgasse 1 sein berühmtes „Cabaret Voltaire“, den Geburtsort des Dadaismus. In der Spiegelgasse 6 wohnte übrigens zur gleichen Zeit ein Mann, der sich auf seine, auf eine ganz andere Revolution vorbereitete: Wladimir Iljitsch Uljanow, der sich Lenin nannte.

„Die Literatur in Grund un Boden trommeln“

Klar, dass Ball seinen Freund Huelsenbeck nach Zürich lockte. Am 11. Februar 1916 notierte er in seinem Dada-Tagebuch: „Huelsenbeck ist angekommen. Er plädiert dafür, dass man den Rhythmus verstärkt (den Negerrhythmus). Er möchte am liebsten die Literatur in Grund und Boden trommeln.“

Zum „Cabaret Voltaire“ gehörten außer Hugo Ball, dem Mann am Klavier, und Huelsenbeck noch Emmy Jennings, Balls Freundin, dazu der rumänische Maler Marcel Janko, der Maler und Bildhauer Hans Arp und Tristan Tzara, der „Reclamefachmann“ der Gruppe.

Was das eigentlich ist, Dadaismus, ergibt sich am besten aus Tagebuchnotizen von Ball. Am 11. und 30. März 1916 notiert er: „Am 9. las Huelsenbeck. Er gibt, wenn er auftritt, sein Stöckchen aus spanischem Rohr nicht aus der Hand und fitzt damit ab und zu durch die Luft. Das wirkt auf die Zuhörer aufregend. Man hält ihn für arrogant und er sieht auch so aus. Die Nüstern beben, die Augenbrauen sind hoch geschwungen. Der Mund, um den ein ironisches Lächeln spielt, ist müde und doch gefasst. Also liest er, von der großen Trommel, von Brüllen, Pfeifen und Gelächter begleitet… Seine Verse sind ein Versuch, die Totalität dieser unnennbaren Zeit mit all ihren Rissen und Sprüngen, mit all ihren bösartigen und irrsinnigen Gemütlichkeiten, mit all ihrem Lärm und dumpfen Getöse in eine erhellte Melodie aufzufangen. Aus den phantastischen Untergängen lächelt das Gorgohaupt eines maßlosen Schreckens…“

Oder: „Alle Stilarten der letzten zwanzig Jahre gaben sich gestern ein Stelldichein. Huelsenbeck, Tzara und Janco traten mit einem „Poeme simultan“ auf, in dem drei oder mehrere Stimmen gleichzeitig sprechen, singen, pfeifen und dergleichen, und zwar so, dass ihre Begegnungen den elegischen, lustigen oder bizarren Gehalt der Sache ausmachen. Das Gedicht will die Verschlungenheit der Menschen in den mechanischen Prozess verdeutlichen.“

Sehr wüste und chaotische Abende

Man muss sich also die wüstesten, chaotischsten Abende vorstellen, aber eben welche mit System, die man nach den heutigen Begriffen am besten mit Happenings bezeichnet.

So war der Dadaismus die avantgardistische Kunstrichtung des Umbruchs, des Verlustes aller bisherigen Werte, Protest und Provokation zugleich, getragen von Leuten, die sich angeekelt abwendeten von den blutigen Schlachten einer untergehenden Gesellschaft. In einer Umbruchsituation nach dem Niedergang der so genannten sozialistischen Staaten und dem darauf folgenden Neoliberalismus mit der Finanzkrise als Paukenschlag stehen wir auch heute. Wo bleiben die neuen Dadaisten?

Gemeinsam war den Dadaisten die Ablehnung des Expressionismus, der ihnen als angepasst, als erstarrt in pathetischer Gebärde erschien. Stilelemente des Dadaismus waren die Simultanität, das Zusammenspiel von Geräusch, Wort und Musik, die Abstraktion und Einfachheit, von Ball „Primitivismus“ genannt, die kreative Spontaneität und die Ablehnung jeglicher geschmacklichen Festlegung.

In der Zeit des „Cabaret Voltaire“ schrieb Huelsenbeck sein poetisches Hauptwerk, die „Phantastischen Gebete“, die mit Fug und Recht auch als Hauptwerk des Dadaismus bezeichnet werden. Es sind Texte, die sich durch Häufungen, Wiederholungen, Kontraste und Rhythmus auszeichnen, sie sind die Abstraktion in der Literatur. Da gibt es Gelächter, Flüche, Zauberformeln, afrikanische Lautfolgen, ein bisschen Nietzsche, Blasphemisches, Groteskes.

Zürich vernachlässigt die Kultstätte

Vor einigen Jahren habe ich bei einem Besuch in Zürich die Spiegelgasse aufgesucht. Ich wollte mir vor allem das Haus von Georg Büchner ansehen, in dem er sein letztes Lebensjahr verbracht, in dem er den „Woyzeck“ geschrieben hat und leider viel zu früh gestorben ist. Es steht direkt neben dem Haus, in dem später Lenin gewohnt hat. Aber natürlich habe ich auch das Haus des früheren „Cabaret Voltaire“ besichtigen wollen, eine Plakette an der Hauswand erinnerte daran, ansonsten aber war ich tief enttäuscht. Der Raum, in dem sie großen Aufführungen stattgefunden hatten, war zum Lagerraum einer Kneipe verkommen. Kästen mit Bier und Sprudel standen dort aufgestapelt, durch ein kleines Fenster konnte ich es sehen. Zürich, die Stadt der Banken, scheint kein Geld zu haben für die Pflege seines literarischen Erbes.

Die Zeit des Züricher Dada dauerte nicht lange. Schon 1917 kehrte Huelsenbeck nach Berlin zurück und wurde dort unbestreitbar zum Begründer des deutschen Dadaismus. Er gründete den „Club Dada“ mit einem „Zentralamt der dadaistischen Bewegung in Deutschland“ und eine „Dada-Reclamegesellschaft“ mit einer Geschäftsstelle der „Gruppe Deutschland des dadaistisch-revolutionären Zentralrats“.

Umkreis mit Heartfield, Grosz und Dix

Hinter all den bombastischen Namen standen jedoch immer wieder dieselben Leute: die Brüder Herzfelde, beide überzeugte Marxisten, von denen der eine, Johannes, der sich John Heartfield nannte, die fotographische Montagetechnik erstmals für politisch-künstlerische Zwecke einsetzte, eine Technik, die ein anderer Berliner Dadaist, der Maler Raoul Hausmann mit entwickelt hatte. Sein Brüder Wieland verschaffte als Gründer des Malik-Verlages den Dadaisten die notwendigen Publikationsmöglichkeiten.

Hinzu kam George Grosz, der Karikaturist, mit dem Dada die rein ästhetische Auseinandersetzung verließ und durch frontale Angriffe gegen die Freikorps und den Militarismus direkt bin die Politik eingriff, der Maler Otto Dix sowie die Schriftsteller Franz Jung und Walter Mehring. Präsident des „Club Dada“ wurde Johannes Baader, ein Architekt, vor allem aber ein Paranoiker, der sich für die Reinkarnation des Messias hielt und zum Weltgericht aufrief. Baader ist 1959, geistig umnachtet, in einem Altenheim in Niederbayern gestorben. 1977 ist eine Sammlung seiner Dada-Texte im Anabas-Verlag erschienen.

1920 Folgte noch eine große Tournee von Baader, Hausmann und Huelsenbeck nach Dresden, Leipzig und Prag – die Zeitungen berichten allesamt von Skandalauftritten, also von erfolgreichen Veranstaltungen aus Dada-Sicht. Dann war es aus mit Dada. Die Zeit des Umbruchs war vorbei, man arrangierte sich entweder mit der neuen Gesellschaft oder man bekämpfte sie. Jedenfalls fand man zu politischer Entschiedenheit und verlor Dada. Dada aber hat mit seinem Hang zu Einfachheit und Abstraktion, mit seiner Montage- und Simultantechnik (man denke in der Literatur etwa an Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“) die moderne Kunst nachhaltig beeinflusst.

Gewichtiges westfälisches Erbe

Und noch eines ist aus westfälischer Sicht zu bilanzieren: der außergewöhnlich große Anteil westfälischer Autoren an der Entwicklung des Expressionismus und speziell des Dadaismus. Außer Huelsenbeck waren da noch sein Bochumer Schulfreund Karl Otten, sein Burgsteinfurter Schulkamerad Daimonidos, dazu August Stramm aus Münster und der Soester Maler Wilhelm Morgner. Wenn dass kein literarisches Erbe ist!

Die Dada-Bewegung aber war der Höhepunkt im literarischen Leben von Richard Huelsenbeck. Von seinen späteren Büchern sind vor allem jene bekannt geworden, die diese Bewegung aufarbeiten, etwa „Dada siegt“, eine Bilanz, die er zusammen mit Tzara veröffentlicht hat.

Aber Huelsenbeck, auch das ist wenig bekannt, hat fleißig weiter geschrieben. Noch zwei Gedichtbände hat er veröffentlicht: „Die New Yorker Kantaten“ 1952 und „Antwort aus der Tiefe“ 1954. Weitgehend unbeachtet geblieben sind drei Novellen und zwei Romane, von denen der eine, „Der Traum vom großen Glück“, 1933 immerhin im renommierten S. Fischer-Verlag erschienen ist. Zwei Theaterstücke, Aufsätze, sehr gute, beachtenswerte Reiseberichte und medizinische Veröffentlichungen runden ein erstaunlich umfangreiches Werk ab.

Amerikanisches Exil

1936 emigrierte Huelsenbeck auf Anraten von George Grosz, der sich dort schon aufhielt, in die USA, wurde amerikanischer Staatsbürger, nannte sich Charles R. Hulbeck und arbeitete als Arzt für Psychiatrie und Psychoanalyse. Erst 1969, als Siebenundsiebzigjähriger, kehrte er nach Europa zurück und ließ sich im Tessin nieder.

Ich habe mal bei einem Konzert den amerikanischen Jazz-Gitarristen Marti Grosz, den Sohn von George Grosz, auf die Freundschaft seines Vaters zu Richard Huelsenbeck angesprochen. Marti kannte ihn nur unter dem Namen Hulbeck, erzählte, dass Hulbeck den Plan gehabt hätte, ein großes Dada-Denkmal in den USA zu errichten, dass aber nichts daraus geworden sei. Sehr viel, merkte ich, hielt er von seiner künstlerischen Leistung nicht.

Rückkehr ins geliebte Dortmund

Zweimal, von der Presse groß beachtet, hat Huelsenbeck nach seiner Rückkehr nach Europa noch Dortmund besucht, auf Einladung des literarischen Mentors dieser Stadt, des unvergessenen Bibliotheksdirektors Fritz Hüser, aber auch, weil ihm die Beziehung zu dieser Stadt immer wichtig geblieben ist. In seinem Erinnerungsband „Reise bis ans Ende der Freiheit“ berichtet er liebevoll über seine Dortmunder Kindheit, über das Verhältnis zu seinem Dortmunder Großvater Fink, einen Markscheider, und über dessen umfangreiche Bibliothek, die dem jungen Richard viele Anstöße gab.

Auch die Beerdigung des Großvaters auf dem Südwestfriedhof schildert Richard Huelsenbeck, und so muss bei einem seiner Besuche zwischen Fritz Hüser und ihm abgesprochen worden sein, dass er in der Dortmunder Familiengruft beigesetzt werden wollte. Hüser hat ihm das wohl zugesichert, denn als Huelsenbeck 1974 starb, hat er für die Beisetzung der Urne dort gesorgt und gleichzeitig eine Mitarbeiterin der Dortmunder Bibliothek gebeten, das Grab, das ganz in der Nähe des Grabes ihrer Familie liegt, doch mitzupflegen. Und diese Frau hat das jahrzehntelang, noch nach Pensionierung und Tod ihres Chefs, getan. Eine anrührende Geschichte.

Zwei Kinder Huelsenbecks leben noch in den USA bzw. in Kanada.

Sein Grab ist den Dortmunder Friedhofsgärtnern übrigens gut bekannt. Als ich bei meinem ersten Besuch nach Feld 36, Grab 57 fragte, antwortete der Friedhofsgärtner: „Ach, Sie wollen zum Huelsenbeck…“




RuhrTriennale-Chef Johan Simons soll ab 2017 das Bochumer Schauspielhaus leiten

Dieser überraschenden Personalie dürfte nicht mehr allzu viel im Wege stehen: Wie WAZ und WDR übereinstimmend berichten, soll der renommierte holländische Theatermacher Johan Simons ab 2017 Intendant des Bochumer Schauspielhauses werden.

Am Freitag dieser Woche (5. Februar) muss der Verwaltungsrat des Schauspielhauses noch zustimmen. Das Plazet gilt jedoch als sicher. Damit scheint eine längere Hängepartie beendet zu sein, in der sich die Stadt mit der Suche nach einem neuen Theaterchef recht schwer getan hat. Zwischenzeitlich war dabei auch Kritik am Bochumer Kulturdezernenten Michael Townsend geäußert worden.

Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons (Foto: Stephan Glagla)

Wird vermutlich Chef des Bochumer Schauspielhauses: Triennale-Intendant Johan Simons. (Foto: Stephan Glagla/RuhrTriennale)

Johan Simons könnte damit jedenfalls ganz in der Nähe seiner jetzigen Wirkungsstätte(n) bleiben. Just bis 2017 ist er bekanntlich Intendant der RuhrTriennale. Er verfügt somit nicht nur über überregionale, sondern auch über regionale Netzwerke. Beste Voraussetzungen also.

Die Nachricht von Simons’ höchstwahrscheinlicher Berufung ist denn auch eine erfreuliche – nicht nur für Bochum, sondern fürs Revier insgesamt. Endlich bekommt das ehedem weitaus wichtigste Schauspiel der Region, das in goldenen Zeiten u.a. von Peter Zadek und Claus Peymann geleitet wurde, wieder einen Chef mit bundesweiter, ja internationaler Ausstrahlung. Bei allem Respekt vor seiner Leistung: Anselm Weber, der 2010 von Essen nach Bochum geholt wurde und 2017 nach Frankfurt wechselt, hat das Haus nicht in die allererste Reihe führen können.

Das Bochumer Schauspielhaus (Foto: Bernd Berke)

Das Bochumer Schauspielhaus (Foto: Bernd Berke)

Der vielfach preisgekrönte Simons (69), der seine Ursprünge im freien Kollektivtheater hatte, hat an etlichen deutschen Bühnen inszeniert, außerdem u. a. in Zürich und beim Festival in Avignon. Von 2010 bis 2015 war er Intendant der Münchner Kammerspiele.

Schon lange vor seiner Triennale-Intendanz hat Simons ab 2002 Regiearbeiten bei diesem Ruhrgebiets-Festival gezeigt, so auch seine geradezu legendär gewordene Produktion „Sentimenti“ (2003), von der noch heute viele Theaterfreunde mit freudig funkelnden Augen sprechen. Simons vermag es, neben allen anderen Fähigkeiten, die Magie von Spielstätten zu wecken und auch musikalische Mittel höchst wirksam einzusetzen. Man darf davon ausgehen, dass Bochums Schauspiel unter seiner Leitung die Kategorie „routiniertes Stadttheater“ bei weitem überschreiten wird.

Simons, der im kommenden September 70 Jahre alt wird, ist zwar nicht mehr der Allerjüngste, doch bringt dieser erfahrene Mann sicherlich die Energie und Leidenschaft mit, um das Bochumer Theater zu einer mindestens bundesweit bedeutsamen Kulturstätte zu machen. Vielleicht erscheint dann ja auch wieder mal öfter der eine oder andere Rezensent aus Berlin, München, Hamburg oder Frankfurt, um davon zu künden.




Familienfreuden XX: Die Spielzeug-Sekte

Das "richtige" Spielzeug. (Bild: Albach)

Das „richtige“ Spielzeug. (Bild: Albach)

Kinder sind Ideologie pur. Und seitdem Fiona da ist, weiß ich: Die Kampflinie verläuft zwischen Plastik und Holz!

Es war auf den Straßen von San Francisco, Fiona schlummerte selig in ihrem Kinderwagen, als uns eine Frau freundlich ansprach: „Sorry, are you from Germany?“ Normen und ich schauten uns erstaunt an: Wir waren es schon gewohnt, dass wir, kaum dass wir den Mund aufmachten, als Deutsche identifiziert wurden, aber just in diesem Moment hatten wir golden geschwiegen. Woran sie denn das erkannt habe, fragten wir neugierig. Zielsicher und mit breitem Grinsen zeigte sie auf die Spielzeugkette, die an Fionas Kinderwagen baumelte. Sie war – aus Holz. „In the US, this would be plastic!“

Niemals hätte ich gedacht, dass meine Nationalität einmal am Spielzeug unserer Tochter ablesbar sein würde. Bunte Bilder von aufblasbaren Eiffeltürmen, Spaghetti aus Stoff oder Holz-Frikandeln futschen durch meinen Kopf – willkommen in Klischeetanien!

Demarkationslinie zwischen Holz und Plastik

Dabei muss ich der spielzeugweltgewandten Dame doch entschieden widersprechen – schließlich gibt es sie auch in Deutschland selbst, die ideologische Demarkationslinie zwischen Plastik- und Holzspielzeug. Und noch vor einigen Jahren wäre ich selbst fahnenschwingend und „Ostheimer“-rufend für Holz als einzig echten, wirklich wahren Spielzeug-Werkstoff auf die Barrikaden gegangen.

Inzwischen bin ich da vorsichtiger geworden. Denn inzwischen bin ich ihr begegnet: der Spielzeug-Sekte.

Ein Graus!

Es war zu Fionas erstem Geburtstag. Meine Schwiegermutter wollte Fiona unbedingt eine Puppe schenken. Sie hatte eine diese ganz klassischen Babypuppen ausgesucht – für mich ehrlich gesagt ein Graus! Ich gestand ihr meine Aversion mit Bauchschmerzen. Sie reagierte ganz entspannt: „Dann such‘ Du doch einfach eine aus!“

Erleichtert ging ich in die Stadt. Dort hat man die Auswahl zwischen zwei Spielzeugläden – und zwei Weltanschauungen: Der eine hat sich auf das qualitativ hochwertig, pädagogisch wertvolle Spielzeug spezialisiert. Der andere verkauft einfach alles, was der Markt hergibt. Meine Schwiegermutter hatte sich für die gute Seite der Macht entschieden. Dachte ich.

Mission Umtausch

Ich betrat den Laden, ohne zu ahnen, dass es ein Kriegsschauplatz würde. Meine Mission: Baby- gegen Stoffpuppe umtauschen. Naiv wurde ich bei einer Verkäuferin vorstellig. Kaum hatte ich mein Sätzchen aufgesagt, fiel die gute Dame fast in Ohnmacht. „WAS wollen sie?“, rief sie empört, die Augen vor Entsetzen geweitet. „Diese wunderschöne Puppe umtauschen?“

Schon etwas vorsichtiger geworden, nickte ich nur. Sie holte zum Rundumschlag aus. Noch NIE in ihrer 40-jährigen Verkäuferinnenkarriere habe sie etwas Derartiges erlebt. „Also nein! Das ist doch eine Puppe für die Ewigkeit! Darüber freut eine Frau sich auch noch im hohen Alter, wenn die im Schrank steht und sie anlächelt.“ Attacke, versenkt. Ich stand nur noch wackelig auf den Beinen und murmelte, dass das doch vielleicht Geschmackssache sei. Sie entlud einen weiteren Hagel Fassungslosigkeit.

Tief fliegendes Kaufladen-Obst

Als sie erkannte, dass ich trotz allem standhaft blieb, sah sie mich an, als erwöge sie, gleich die UN-Puppenrechtskonventionen zu zitieren oder mich mindestens noch mit Kaufladen-Obst (aus Holz natürlich) zu bewerfen. Doch sie zuckte nur mit den Schultern ob so einer Ignoranz und sagte: „Tja, wenn sie sich sicher sind (kurze Pause), DANN müssen sie eben zur Kasse gehen.“

Mit gesenktem Kopf tat ich wie geheißen. An der Kasse wiederholte ich mein Anliegen – in der Hoffnung, das Schlimmste nun überstanden zu haben. Stattdessen erwischte mich die neue Zermürbungstaktik kalt. Die ältere Dame an der Kasse sah mich strafend und schweigend an. Dann nahm sie mir die Puppe ab, legte sie wie ein echtes Baby in ihre Arme, schaute sie mitleidig an und sagte: „Hast Du kein Zuhause gefunden? Och, Du Arme! Dann kommst Du wieder zu uns! Bei uns bist Du willkommen!“

Wie eine Menschenhändlerin

Ich brach fast zusammen. Das Geld nahm ich mit dem Gefühl, eine Menschenhändlerin zu sein.

Draußen auf der Straße plagten mich Gewissensbisse. Warum hatte ich diese Puppe nicht lieben können? Ich rief meine beste Freundin an. Jemand musste mir jetzt versichern, dass ich nicht der schlechteste Mensch auf diesem Planeten bin.

Als ich wieder hergestellt war, ging ich zu dem Spielzeugladen, der alles verkauft. Vorsichtig sah ich mich um. Keine Verkäuferin, die mir eine Moralpredigt halten wollte. Keine Schilder, die mir anzeigten, welches Spielzeug „gut“ oder „schlecht“ war. Ich nahm eine Stoffpuppe. Schaute mich um. Ging schnell zur Kasse. Bezahlte. Keiner kommentierte meine Auswahl. Ich hatte selbst entscheiden dürfen! So, wie es Fiona jetzt tun soll – auch wenn es dann eben Plastik oder eine Babypuppe ist. Denn das war der Tag, an der ich der Spielzeug-Ideologie abschwor.




„Platz des europäischen Versprechens“ – Jochen Gerz‘ Konzeptkunstwerk wird in Bochum eröffnet

Die Idee von Europa steht mehr denn je auf dem Prüfstand. Gastautorin Isabelle Reiff über Jochen Gerz‘ Konzeptkunstwerk „Platz des europäischen Versprechens“, das nach rund zehn Jahren Vorbereitung am kommenden Freitag in Bochum eröffnet werden soll – offenbar genau zur rechten Zeit.

Erst der drohende Grexit, jetzt Flüchtlingskrise und Terroralarm. Eine harte Bewährungsprobe für Europas Selbstverständnis: Machen wir die Grenzen dicht, aber TTIP & Co. klar? Oder beziehen wir Stellung gegenüber den USA und tragen Verantwortung als Mitverursacher der Konflikte im Nahen Osten?

„Die Teilung der Welt in Künstler und Betrachter gefährdet die Demokratie“, sagt der Konzeptkünstler Jochen Gerz; ebenso wie die Teilung in Regierung und Regierte.

Jochen Gerz: Platz des europäischen Versprechens (2004-2015), Bochum. (© Jochen Gerz, VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Courtesy: Gerz studio, www.jochengerz.eu. Foto: Ayla Wessel, Bochum)

Jochen Gerz: „Platz des europäischen Versprechens (2004-2015), Bochum. (© Jochen Gerz, VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Courtesy: Gerz studio, www.jochengerz.eu. Foto: Ayla Wessel, Bochum)

Könnte es einen passenderen Zeitpunkt geben, um einen Ort einzuweihen, der „Platz des Europäischen Versprechens“ heißt? Die Rede ist vom Platz vor einem geschichtsträchtigen Sakralbau: Der Glockenturm der Christuskirche war das einzige Bauwerk in Bochums Innenstadt, das 1945 nicht in Schutt und Asche lag. Dennoch blieb das Innere 60 Jahre lang jeder Einsicht entzogen. Zwei Weltkriege hatte der Turm überstanden und diente dann nur noch als Abstellkammer. Grund ist die in den Jahren 1929-1931 erfolgte Umwidmung in eine Heldengedenkhalle: An den Wänden sind noch immer die Namen von 1358 Gefallenen und die Namen der „Feindstaaten“ der Deutschen im Ersten Weltkrieg zu lesen.

Als es in Bochum 2005 im Rahmen eines Landeswettbewerbs darum ging, den Kirchplatz – bis dahin halb Baustelle, halb Parkplatz – endlich zu verschönern, schlug der Gemeindepfarrer Thomas Wessel den Künstler Jochen Gerz als Gestalter vor. Gerz ist vor allem bekannt für seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

14726 Unterschriften für eine neue Vision

Gerz sah das Innere dieses Glockenturms und entschied: In diesem Raum fängt der Platz an. Sein Konzept für ein Kunstwerk, das dem Turm eine dritte Namensliste einschreibt und aus ihm heraus führt, erhielt den Zuschlag – mit Tausenden Unterschriften heute Lebender, die der alten Geschichtsauffassung von Feinden und Krieg eine neue Vision gegenüberstellen.

Jochen Gerz: "Platz des europäischen Versprechens" (Detail einer Steinplatte mit Namensinschriften). 2004-2015, Bochum. (© Jochen Gerz, VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Courtesy: Gerz studio, www.jochengerz.eu, Foto: Sabitha Saul, Dortmund).

Jochen Gerz: „Platz des europäischen Versprechens“ (Detail einer Steinplatte mit Namensinschriften). 2004-2015, Bochum. (© Jochen Gerz, VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Courtesy: Gerz studio, www.jochengerz.eu, Foto: Sabitha Saul, Dortmund).

Welche Zusage sie Europa gemacht haben, blieb unausgesprochen. Dennoch haben 14726 Menschen teilgenommen. „Diese Verschwiegenheit ist ja nicht identisch mit Unverbindlichkeit“, findet Kurt Wettengl, langjähriger Leiter des Ostwall-Museums in Dortmund. „Sollte ich mein Versprechen nicht einhalten oder brechen, muss ich es mit mir ausmachen und ich mich wieder daran erinnern. Unser aller und damit auch meine Mitverantwortlichkeit für die Gestaltung der Zukunft – Europas – macht das Bochumer Denkmal deutlich.“

600 Namen sind in der ersten Bodenplatte im Turm eingraviert. Ihre Abmessung bildet die Matrix für alle Steinplatten, die nachfolgten und jetzt (insgesamt sind es 20) den Vorplatz mit Namen füllen. „Dieser Platz ist für mich eine Gelegenheit, meine Anteilnahme kund zu tun“, begründet Rotraud Burchhardt-Kamplade, eine der ersten Versprechensgeberinnen. „Europa ist der kleinste Kontinent, und doch haben hier die meisten Kriege stattgefunden. Dass von Europa heute Frieden ausgeht, das liegt mir am Herzen.“

Ein Bündnis für den Frieden

Der „Platz des europäischen Versprechens“ ist gedacht als großes, demokratisches Manifest für ein Europa, das aus seiner blutigen Vergangenheit gelernt hat und auch andernorts keine Kriege führt. Deutschland ist das passende Land für so einen Platz, erst recht NRW. Keine Woche vergeht, in der nicht wieder Bomben aus einer Zeit auftauchen, als die einstige Industriehochburg unter Beschuss lag. Und während wir hier alte Blindgänger entschärfen, gelangt neue Munition auf andere Kontinente: Es sind ja sogar nicht zum geringen Teil deutsche Waffen, die jetzt auf uns zurückzielen.

Wo kann das Umdenken anfangen? Bei den Politikern? So denken die meisten. Ich auch, und das drückt auch meine Frustration aus. Ich konnte erst wenig mit dem Konzeptkunstwerk „Platz des Europäischen Versprechens“ anfangen – zu intellektuell, zu erklärungsbedürftig kam mir das Ganze vor. Jetzt tut es mir leid, dass meine Unterschrift fehlt, allein um dieses Zeichen zu setzen: „Krieg kann keine Lösung sein!“

Tatsächlich hat mich die Beschäftigung mit diesem Platz dazu gebracht, meine Anti-Haltung gegenüber Europa (hervorgerufen durch die Regulierungswut und den Sparzwang, der auf Kosten so vieler geht) hinter mir zu lassen und mich rückzubesinnen auf das, wozu Europa im allerersten Schritt gedacht war: als ein Bündnis für den Frieden.

(Der Platz wird am kommenden Freitag, 11. Dezember, um 17 Uhr offiziell eröffnet).




Entdeckung in Bochum: Die Symphoniker präsentieren Mahlers Inspirator Hans Rott

Der junge Mann hat eine tragische Geschichte, seine Symphonie auch: Hans Rott starb 1884 mit 25 Jahren in der Niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt in Wien an Tuberkulose. Seine erste und einzige vollendete Symphonie lag über 100 Jahre unbeachtet in einem Nachlass, bis sie 1989 uraufgeführt und sogleich als ein wegweisendes Werk der anbrechenden Moderne erkannt wurde.

Seither sind Enthusiasten für Hans Rott entflammt – von dem Gustav Mahler gesagt hat, er sei der „Begründer der neuen Symphonie“. Andere gestehen zwar zu, Rott könne das „missing link“ zu Mahler sein, halten aber sein unausgegorenes Jugendwerk für überschätzt. In Bochum kann man sich nun selbst ein Bild vom Geniestreich des Zwanzigjährigen machen.

Im Dritten Symphoniekonzert präsentieren die Bochumer Symphoniker im Audimax der Ruhr-Universität ein ausgeklügeltes Programm: Rotts E-Dur-Symphonie, vollendet 1884, flankiert von Hugo Wolfs 1887 entstandener „Italienischer Serenade“ und im Zentrum ein Werk des Antipoden: Johannes Brahms‘ „Variationen über ein Thema von Haydn“, ein Werk von 1873.

Alle drei Komponisten sind schicksalhaft miteinander verstrickt: Wolf und Rott studierten zur gleichen Zeit – zusammen mit Gustav Mahler – in Wien, beide waren hochbegabt und bettelarm, beide einte die Verehrung für Richard Wagner. Rott hatte sogar den ersten Bayreuther „Ring“ 1876 besucht.

Wolf sollte später Johannes Brahms als „Mörder“ von Hans Rott bezeichnen. Denn fünf Tage vor dem Ausbruch seiner Geisteskrankheit hatte der hypersensible junge Mann Brahms besucht, ihm seine Symphonie vorgelegt und eine herbe Abfuhr erlitten. Der etablierte Großmeister riet ihm, das Komponieren aufzugeben; Rotts Lehrer Anton Bruckner dagegen hatte prophezeit, von dem Manne werde man noch Großes hören. So tief waren damals die Gräben im musikalischen Wien, ausgehoben im Namen Wagners.

Er fühlte sich von Brahms verfolgt

Auf der Zugfahrt nach Mühlhausen im Elsass, wo er eine Stelle antreten sollte, bedrohte Rott einen Fahrgast, der sich eine Zigarre anzünden wollte, mit einer Schusswaffe: Brahms habe den Waggon mit Dynamit präpariert, da könne man nicht so unvorsichtig mit offenem Feuer hantieren. „Verfolgungswahn mit Halluzinationen“ diagnostizierten die Ärzte.

Und Gustav Mahler? Der hat Rott sehr geschätzt und das Werk seines Freundes mehrfach studiert, aber nie aufgeführt. Stattdessen verarbeitete er die Anregungen daraus in seinen eigenen Symphonien: Unschwer ist – bei allen Unterschieden zwischen den beiden – Rotts Einfluss in Mahlers Idiom bis hinein in die Fünfte zu entdecken. So ganz unberechtigt ist die Rede vom „missing link“ also nicht.

Am Pult der Bochumer ließ Antony Hermus, von 2007 bis 2009 GMD in Hagen und danach bis 2014 in Dessau, die Mahler-Vorwegnahmen deutlich ausspielen – unmittelbar zu hören vor allem im dritten Satz. Dieses Scherzo mit seinem erst harmlosen, dann grimmigen Ländler, seinen fast schon grotesken metrisch-rhythmischen Akzenten, seinem Dorf- und Kirmesmusik-Tonfall erinnert an die verzerrten Pseudo-Volksmusik-Zitate bei Mahler, weist voraus bis auf die bizarr verrenkten Walzer in Alban Bergs „Wozzeck“. In diesen Momenten zeigt sich, dass Rott am Beginn einer Traditionslinie steht, die sich über Mahler in die Moderne weiterspinnt.

Klänge einer zerrissenen Welt

Die Bochumer Symphoniker holen diese zerrissene Welt klanglich ein, zwischen sonorem Pianissimo und Posaunen-Aggression, zwischen erregter Pauke und Geigen-Flimmerlyrik, zwischen vulgären Schlägen und einem pfiffigen Tänzchen des Konzertmeisters. In den anderen Sätzen hört man, dass Rott der Lieblingsschüler Anton Bruckners war: Er kannte dessen erhabenes Blech, die geschichteten Klangblöcke und die gelösten Natur-Idyllen. Auch Wagner tritt uns entgegen, wenn im Finale noch einmal der Zauberglanz von „Lohengrin“ oder der „Walküre“ aufscheint. In solchen Momenten kämpfen die Bochumer mit der herben, trockenen Akustik des Raumes. Da wirkt das Blech nicht rund und die Klänge reiben sich eher als sich zu mischen.

Aber man hört auch, warum Brahms jenseits ablehnenden Gefühls die Symphonie des Anfängers nicht goutiert haben dürfte: Gegen die formale Souveränität und Perfektion der Haydn-Variationen – von den Bochumern genüsslich ausgespielt – wirkt der wichtige Kopfsatz von Rotts Symphonie unentschieden. Zwar sind die Themen ansprechend exponiert, aber die weitere Verarbeitung wirkt zuweilen, als trete sie auf der Stelle. Auch der vierte Satz kommt weitschweifig daher – wiewohl die Reprise des Materials des ersten und die Zitate aus dem zweiten und dritten Satz eine ehrgeizige symphonische Konzeption verraten.

Die souverän ordnende Hand, wie sie in Bruckners monumentalen Anlagen waltet, war Rott – verständlicherweise – noch nicht gegeben. Die Besucher im leider nur schütter besetzten Audimax zeigten sich Hermus und dem Orchester im Beifall herzlich zugetan: Es gibt eben auch Konzertgänger, die nicht nur die ewigen Zugstücke beklatschen, sondern auch aufschlussreichen Entdeckungen viel abgewinnen können – zumal, wenn sie in einem schlüssigen Kontext präsentiert werden.

Das 3. Symphoniekonzert mit Hans Rotts E-Dur-Symphonie wird am Samstag, 28. November, 20 Uhr, im Audimax der Ruhr-Universität Bochum wiederholt. Info und Karten: http://www.bochumer-symphoniker.de

Es gibt mehrere Aufnahmen der Rott-Symphonie; zuletzt hat Paavo Järvi das Werk mit dem Frankfurter hr-Sinfonieorchester eingespielt, zusammen mit der Erstaufnahme von Rotts Orchestersuite B-Dur. Die Compact Disc ist bei RCA erschienen: Sony RCA 88691963192.




Vorzeige-Ruhri kann auch anders: Grönemeyer traut Journalisten nicht über den Weg

Vor Äonen hat der Rock- und Popsänger Herbert Grönemeyer mal eine Langspielplatte mit dem Titel „4630 Bochum“ herausgebracht. Doch halt! Wir wollen nicht gleich gar so polemisch sein, es war im August 1984. Noch nicht so lang her, wenn man’s mal erdgeschichtlich betrachtet…

Seither gilt der Mann, der in grauer Vorzeit vorwiegend musikalisch am Bochumer Schauspielhaus gewirkt hatte, jedenfalls als Vorzeige-Ruhrgebietler. Wenn es hier ums große Ganze der Region geht, kommt er immer wieder ins Spiel. So auch am 9. Januar 2010, als er zur Eröffnung des Europäischen Kulturhauptstadt-Jahres seine Revier-Hymne „Komm zur Ruhr“ schmetterte.

Kaum einer, so scheint es, gilt gegenwärtig als „ruhriger“. Dabei hat der mit vielen Preisen dekorierte Grönemeyer der Gegend längst den Rücken gekehrt und seit vielen Jahren hauptsächlich in London gelebt. Es sei ihm natürlich gegönnt, aber was genau ist daran jetzt so ruhrverbunden?

Steht diese Bank etwa an dem Weg, über den Grönemeyer den Journalisten nicht traut? Keine Ahnung. (Foto: Bernd Berke)

Steht diese Bank etwa an dem Weg, über den Grönemeyer den Journalisten nicht traut? Keine Ahnung. (Foto: Bernd Berke)

Doch das nur nebenbei. Auch dass ich – ehrlich gesagt – seine Gesangskünste nur selten sonderlich gemocht habe, soll hier zwar erwähnt werden, aber hübsch im Hintergrund bleiben. Es tut nichts zur folgenden Sache.

Beim Pressetermin fand ich ihn vor Jahren menschlich recht sympathisch und entspannt. Doch er und sein Management können auch anders. So jedenfalls muss man wohl die schmallippige Mitteilung der WAZ-Kulturredaktion verstehen, die ihm vorwirft, er wolle auf ungebührliche Weise in die Berichterstattung der Medien eingreifen.

Das behauptet die WAZ: Anlässlich einer Vorab-Pressekonferenz über einen Grönemeyer-Auftritt (27. Mai 2016, Arena Gelsenkirchen) sollten Journalisten unterzeichnen, dass Zitate vor Veröffentlichung durchgehend autorisiert (also von ihm und seinen Presseleuten gestattet) werden müssten; nicht nur im Interviewtext (wie gelegentlich vor allem bei brisanten Politthemen üblich), sondern auch „in der Überschrift und in Bildunterschriften“. Ein starkes Stück. Überdies wollte Grönemeyer laut WAZ kontrollieren, welche Fotos in der Berichterstattung verwendet werden. (Drum verwenden wir hier ein ganz und gar unverfängliches Foto aus völlig anderem Zusammenhang, hehe!).

Angesichts solcher Ansprüche bzw. Zumutungen verzichtete die WAZ auf einen Bericht über das Hintergrundgespräch. Gut so. Sich auf Grönemeyers Bedingungen einzulassen, hätte bedeutet, einen möglichen Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit hinzunehmen. Gegenbeispiel: Die „Rheinische Post“ hatte damit anscheinend weniger Probleme und berichtete wohlwollend.

Man fragt sich, was Grönemeyer so Weltbewegendes zu erzählen hat. Soweit mir bekannt ist, ist er weder Kanzler noch Minister der Bundesrepublik Deutschland, ja nicht einmal Präsident oder König des Ruhrgebiets. Man würde seine Worte gewiss nicht allzu sehr auf die Goldwaage legen. Er selbst scheint das allerdings anders sehen zu wollen. Da kann man nur appellieren: Komm zur Ruhe.

Grönemeyer scheint derzeit auf Krawall gebürstet zu sein. Soeben hat er den NDR harsch kritisiert , weil der Sender beim ESC-Schlagerwettbewerb doch nicht an Xavier Naidoo festhalten mochte (ansonsten kein Wort mehr über den insgesamt verkorksten Vorgang). Er wird bestimmt nicht den vergifteten Kampfbegriff „Lügenpresse“ im Munde führen. Dann soll er aber auch bitte nicht den Eindruck erwecken, die Journalisten würden ihm allzeit das Wort im Munde herumdrehen.




Siegfried Wagners Märchen-Oper „An allem ist Hütchen schuld“ kommt ins Audimax Bochum

Der zehnjährige Siegfried mit seinem Vater Richard Wagner. Die Aufnahme entstand 1880 in Neapel.

Der zehnjährige Siegfried mit seinem Vater Richard Wagner. Die Aufnahme entstand 1880 in Neapel.

Wer kennt sie nicht, die Charaktere aus den Märchen der Gebrüder Grimm? Den Frieder und das Katherlieschen, das singende springende Löweneckerchen, das Tischlein-deck-dich. Und dazu Königssohn und Müller, Tod und Teufel, Hexe und Menschenfresser.

Sie alle – und noch viele mehr – spielen mit in Siegfried Wagners Märchenoper „An allem ist Hütchen schuld“. Das burleske Werk, das komische und tragische Züge mit einer Fülle symbolischer und psychologischer Bezüge zu den Grimm’schen Märchen verbindet, ist am Sonntag, 18. Oktober, 18 Uhr, im Auditorium Maximum der Ruhr-Universität in Bochum in einer szenischen Aufführung zu sehen.

Siegfried Wagner (1869-1930), der Sohn Richard Wagners, gehört zu den vergessenen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Schüler Engelbert Humperdincks hatte es schwer, sich gegen den übermächtigen Schatten des Bayreuther „Meisters“ durchzusetzen. Dennoch waren unter seinen siebzehn Opern eine Reihe von Erfolgen, allen voran der 1899 in München uraufgeführte Erstling, „Der Bärenhäuter“. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten weder die Familie Wagner noch die Opernhäuser Interesse am Werk Siegfrieds.

Erst Mitte der siebziger Jahre begann eine zaghafte Wiederentdeckung, die vor allem von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft und dem Musikwissenschaftler und Regisseur Peter P. Pachl – Autor einer Biografie des Wagner-Sohnes – getragen wird. Ergebnisse waren unter anderem die sehr erfolgreiche szenische Aufführung von „An allem ist Hütchen schuld“ 1997 am Theater Hagen und konzertante Präsentationen von „Die Heilige Linde“ in Köln 2002 und „Der Heidenkönig“ in Solingen 2004.

Die geringe Beachtung soll sich jetzt ändern: Die Bochumer Aufführung ist Teil eines Projekts, das in internationaler Zusammenarbeit die Opern Siegfried Wagner szenisch realisieren soll. In Sommer 2017 soll in Bayreuth das erste, das Festspielprogramm der Richard Wagner-Festspiele ergänzende Festival mit Opern von Siegfried Wagner stattfinden. Hierfür sollen bis dahin sechs Opern Siegfried Wagners – in internationaler Kooperation – erarbeitet werden.

Auf „An allem ist Hütchen schuld“ folgt als nächste Inszenierung in Shanghai/China „Schwarzschwanenreich“. Diese Produktion soll dann auch in Deutschland an verschiedenen Häusern gastieren. Schirmherrin des Projekts ist Theophana Prinzessin von Sachsen.

Der Regisseur der Bochumer Neuproduktion: Peter P. Pachl. Foto: Werner Häußner

Der Regisseur der Bochumer Neuproduktion: Peter P. Pachl. Foto: Werner Häußner

Das im Titel des 1917 in Stuttgart uraufgeführten Werks genannte „Hütchen“ ist ein Kobold, der als Drahtzieher im Hintergrund fungiert. Die „Helden“ des Stücks sind das Liebespaar Frieder und Katherlieschen, die eine Reihe von Prüfungen und Versuchungen zu überstehen haben, bevor sie sich am Ende des Märchenspiels glücklich in die Arme schließen dürfen.

Siegfried Wagner, der sein eigener Librettist war, verarbeitet Motive aus mehr als drei Dutzend Grimm-Märchen in die Geschichte, in der die Menschenfreundlichkeit und moralische Integrität der jungen Liebenden siegt. Das opulente Stück hat alleine sechzehn Solopartien, die zum Teil von Absolventen der Kölner Hochschule für Musik gesungen werden. In den Hauptrollen zu erleben sind der Tenor Hans Georg Priese (Frieder), der in Berlin, Köln, Meiningen und Saarbrücken unter anderem Max, Florestan und Tannhäuser gesungen hat, sowie Rebecca Broberg (Katherlieschen), die bereits zahlreiche Siegfried-Wagner-Partien erarbeitet hat.

Die Bochumer Symphoniker unter Leitung von Lionel Friend produzieren die Oper in Kooperation mit dem pianopianissimo-musiktheater München in einer Inszenierung von Peter P. Pachl im Bühnenbild von Robert Pflanz. Mit dabei ist auch der Sonderchor der Ruhr-Universität.

Das Gemeinschaftsprojekt geht auf die Initiative des Bochumer Universitätsmusikdirektors Hans Jaskulsky zurück, es wird unterstützt von der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e. V., Bayreuth. Deutschlandradio Kultur beabsichtigt die spätere Ausstrahlung der Aufzeichnung in Bochum.

Karten für die Aufführung am 18. Oktober, 18 Uhr, im Auditorium Maximum der Ruhr-Universität Bochum an der Kasse des Schauspielhauses Bochum, Tel.: (0234) 3333 5555, Mail: tickets@schauspielhausbochum.de 

Information, Inhaltsangabe und Hintergründe: http://www.siegfried-wagner.org/html/termine2015.html#

 




Privatdetektive auf „Prinzenjagd“ – der neue Krimi von Lucie Flebbe

Flebbe/ Prinzenjagd „Bedenke, einen schönen Mann hast Du nie für Dich alleine“. Diesen auch nur bedingt hilfreichen Ratschlag zur Partnerwahl haben wohl so einige von ihrer Oma mit auf den Weg bekommen.

Aber ist hier vielleicht auch schon das Motiv verborgen für die rätselhaften Morde, die sich innerhalb kurzer Zeit im Bochumer Allee-Hotel ereignen? Denn anscheinend gilt: „Je schöner der Mann, desto brutaler der Mord.

Zuerst erwischt es den Promi-Fernsehkoch Carlo Pfiffhoven, kurz danach den Sänger Marian Mohr, frisch gekürter Castingshow-Gewinner. Nicht nur die Polizei befürchtet den Beginn einer Mordserie, die sich gegen vermeintliche Traumprinzen richtet, auch Hoteldirektor Hans Flegenfeld ist besorgt. vor allem um die bisher untadelige Reputation seines Hauses. Ihm gehen die Ermittlungen nicht schnell genug voran, was auch nicht Wunder nimmt, da vor allem Kommissar Staschek mit jeder Menge anderer Sorgen belastet ist. Der Hoteldirektor engagiert kurzerhand den Privatdetektiv Ben Decker.

Gemeinsam mit der jungen Lila Ziegler, privat und beruflich seine Partnerin, bezieht Decker eine der Nobelsuiten im Hotel. Für Luxusgenuss bleibt leider nur wenig Zeit, denn die Beiden ermitteln sofort mit Hochdruck und fördern auch schnell einige Ungereimtheiten im Betrieb des Hotels zutage.

Nach außen hin gibt das Alleehotel sich gerne einen sozialen Anstrich, indem es auch Behinderten eine Chance auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt gibt. Aber ist dieses Engagement wirklich so uneigennützig und klappt das alles wirklich so prima, wie es nach außen hin scheint?

Der Detektiv-Azubine Lila kommt der Auftrag noch aus einem anderen Grunde ganz recht: Ihre Freundin Lena hat sie gebeten, herauszufinden, ob ihr Vater schon wieder fremdgeht und dieser ist niemand anders als der zur Zeit so glücklos agierende Kommissar Staschek. Von diesem „Nebenauftrag“ sollte allerdings Partner Ben besser nichts wissen…. und auch Lila findet so einiges heraus, dass sie lieber hätte eigentlich nicht wissen wollen.

Prinzenjagd“ ist bereits der siebte Fall für Ben und Lila. Für den ersten Band der Reihe wurde die Autorin Lucie Flebbe bereits mit dem Friedrich-Glauser Preis für das beste Krimi-Debut ausgezeichnet. Neben den jeweiligen Fällen ist es in dieser Reihe vor allem auch die Entwicklung der beiden Protagonisten und ihrer Beziehung, welche den Erfolg der Reihe ausmacht. Mit der jungen Nachwuchs-Detektivin Lila Ziegler spricht Lucie Flebbe (nicht nur) aber auch gezielt ein jüngeres Publikum an, die es gerne auch mal ein bißchen actionreicher mögen.

Im siebten Band nun hat Lila komplett mit der vordergründig heilen Welt ihrer Familie gebrochen und lebt mit dem wesentlich älteren Ben über einer Bochumer Traditionskneipe, deren Wirt Molle vor allem für Lila so etwas wie ein Ersatzpapa ist. Die auch seelische Unterstützung der beiden starken Männer an ihrer Seite kann sie gerade in diesem Fall gut gebrauchen.

Darüberhinaus greift „Prinzenjagd“ eine ganze Reihe aktueller Themen auf. Vordergründig nimmt Flebbe erst den Hype um Fernsehköche und Castingshows auf’s Korn, dann geht es schnell auch um Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz, um dann über Umwege zur sozialen Botschaft des Romans zu kommen: der Integration Behinderter in den ersten Arbeitsmarkt,

Bei diesem Füllhorn an Themen kommt Langeweile bei der Lektüre nicht auf, Spannung allerdings auch eher nur so mittel. Der Krimiplot an sich ist mit relativ dünnen Nadeln gestrickt. Der Leser hat sehr schnell einen Verdacht, der sich dann auch als begründet erweist und die Hinführung zur Auflösung ist so manches Mal eher hilflos. Allzu oft fällt den beiden Detektiven allzu Offensichtliches wie zum Beispiel eine Namensgleichheit erst etliche Kapitel später auf als dem Leser. Dafür macht die geschickte Zeichnung der Figuren Spaß. Das augenzwinkernde Ende nach erfolgreicher Lösung des Falls versöhnt auf jeden Fall mit der ein oder anderen Schwäche der „Prinzenjagd“.

Lucie Flebbe: „Prinzenjagd“. Grafit Verlag, Dortmund, 250 Seiten, 10,99 Euro.




Ein Held wird versteigert – „Peer Gynt“ im Bochumer Prinzregenttheater

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Helge Salnikau spielt Peer Gynt (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

Der Auktionator spricht die hereinströmenden Gäste persönlich an. Gleich beginne die Versteigerung von Erinnerungsstücken Peer Gynts, vom Rentier bis zum Papierschiff. Zudem komme eine Skulptur des Helden aus Fleisch und Blut unter den Hammer.

„Peer Gynt – Memorabilia 1867 bis heute“ heißt die Auktion in dem Vierpersonenstück, das Romy Schmidt als ihre jüngste Regiearbeit nun auf die Bühne des Bochumer Prinzregenttheaters stellt. Doch der Zweieinhalbstündler, der hier gespielt wird, ist nach wie vor „Peer Gynt“. Und stammt von Henrik Ibsen, mehr oder weniger.

Der Wert der Liebe

Vielleicht war es ja so: Romy Schmidt, die neue Chefin des Prinzregenttheaters, fragte sich, wie man dieses Stück heute dem Publikum „verkaufen“ könnte. Da es ja durchaus um Werte geht, letztlich um den unermesslichen Wert des Geliebtseins, kam sie auf die Idee mit der Memorabilia-Versteigerung als Rahmenhandlung. Die Lose und ihr Aufruf markieren nun Abschnitte der Handlung, und diese preiswerte Methode ist sicherlich auch den begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Hauses geschuldet.

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Corinna Pohlmann ist als Aase, Solveig, Ingrid, die Grüngekleidete und Kapitän zu sehen. Im Hintergrund: Ismail Deniz als Versteigerer (links), Helge Salnikau. (Foto: Sandra Schuck/Prinzregenttheater)

So beginnt der Abend mit verwobenen Aktionssträngen: Zum einen sind da der grandiose junge „Nichtsnutz“ (Helge Salnikau) und seine Mutter (Corinna Pohlmann), die ihn schilt, weil er sich um nichts kümmert und die reiche Bauerntochter Ingrid verschmäht. Zum anderen ist da der etwas sinistre Auktionator (Ismail Deniz), der immer wieder unterbricht, Rentier, Festtagstrollschwanz oder Solveigs Blumenkranz als Lose aufruft und sie dann einem anonymen Telefonbieter aus Norwegen zuschlägt.

So geht das eine ganze Weile, garniert mit einigen amüsanten Kabbeleien. Corinna Pohlmann schlüpft je nach Bedarf in die Rollen von Solveig, Ingrid, Trollprinzessin und Schiffskapitän.

Unglaublicher Körpereinsatz

Vierte Person auf der Bühne ist Yotam Schlezinger, Sidekick in den Auktionsszenen und daneben zuständig für Musik (Gitarre) und Sound. Herzige Schlager („Dreams are my reality“) und einige Male Motive aus Griegs Bühnenmusik sind mit gutem Sinn für Proportion eingearbeitet, kurzum: Das Konzept wird schnell deutlich und hat Unterhaltungswert.

Letztes Versteigerungslos, um auch das noch zu erzählen, ist der verarmte, gealterte Herumtreiber Peer Gynt selbst, für den die immer noch liebende Solveig 15.000 Euro auf den Tisch legt und ihm so das Leben rettet. Das konnte man sich natürlich denken, da er ja als letzte Position auf der Liste stand. Immerhin hat sie ihm zum Schätzpreis bekommen, quasi ein Schnäppchen.

Helge Salnikau zeigt in der Titelrolle einen unglaublichen Körpereinsatz, erklimmt wiederholt scheinbar mühelos ein steiles, im Zentrum des Spielraums errichtetes Gebilde aus Gerüststangen (Bühne und Kostüme: Sandra Schuck). Mal steht es für eine Berglandschaft, mal für eine Behausung, je nachdem. Sein mimisches Repertoire indes bleibt übersichtlich. Für die selbstverliebten Schwärmereien des jungen Helden scheint ihm nur ein Gesichtsausdruck zur Verfügung zu stehen, während ihm die differenzierte Zeichnung des alten Mannes nach der Pause besser gelingt. Doch bleibt das unerfreuliche Gefühl, dass Romy Schmidts Inszenierung an der Durchzeichnung dieses doch auch prototypischen Menschen Peer Gynt wenig Interesse entwickelt hat.

Zu preisen ist in jedem Fall der Fleiß der Darsteller, die während der gesamten Aufführung mit nur kurzen Unterbrechungen auf der Bühne stehen oder aus dem Zuschauerraum heraus agieren. Insbesondere Corinna Pohlmann zeigt mir vielen flotten Rollen- und Bekleidungswechseln echte Kondition. Ihr und ihren Kollegen galt sicherlich der größte Teil des freundlichen Beifalls.

 




Unter Kriminellen – Johan Simons inszeniert „Das Rheingold“ bei der Ruhrtriennale

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Über dem Orchester schwebt Walhall, Amtssitz von Götterchef Wotan. Doch die Baufinanzierung bereitet Probleme. (Foto: Ruhrtriennale/ Michael Kneffel)

Bochum. Als bekannt wurde, daß Johan Simons sich gleich in seiner ersten Triennale-Spielzeit an Wagners Oper „Das Rheingold“ wagen würde, ging ein Raunen durch die Reihen. Simons galt bis dato nicht unbedingt als Opern-Experte.

Doch wer so flockig wie Simons mit spröden Jelinek-Stoffen umzugehen weiß, der kann wahrscheinlich auch Wagner. Nun ist „Das Rheingold“ einige Male über die Bühne der Bochumer Jahrhunderthalle gegangen, und man kommt nicht umhin, dem Theatermann aus den Niederlanden zu bestätigen, daß er seine Arbeit wirklich gut gemacht hat.

Ein wenig Gigantomanie

Vieles an der Produktion ist gigantisch: Der wuchtige Klangkörper von MusicAeterna aus Perm im Ural mit Teodor Currentzis am Dirigentenpult, der seine Musiker aufstehen läßt, wenn sie maximalen Schalldruck erzeugen müssen; die Jahrhunderthalle selbst natürlich, aber ebenso auch das Bühnenbild von Bettina Pommer, das von einer über alles sich erhebenden weißen Schloßfassade dominiert wird, die in die Jahrhunderthalle paßt wie vor hundert Jahren schon eingeplant. Nun neigen, wie man hört, Wagner-Inszenierungen immer wieder einmal zu einer gewissen Gigantomanie, so daß diese in Bochum für sich genommen damit noch nichts Besonderes wäre.

Simons und Wagner passen gut zueinander

Was aber wirklich unerhört ist (und jemanden in die Tasten greifen läßt, der sich sonst eher im Sprechtheater zu Hause fühlt), ist die unglaubliche Konvergenz von Wagners Kunst und dem Inszenierungsstil Johan Simons, der seine Herkunft vom Straßentheater weder verleugnen kann noch will. Seine Methode, die durch grelle Überzeichnungen der Akteure geprägt ist, wendet er auch hier an, und sie funktioniert prächtig. Das hier ist Oper, aber ebenso ist es Schauspiel. Unvergeßlich bleibt Leigh Melrose, der den Alberich gibt, den notgeilen, frustrierten und leider auch ein bißchen blöden Nibelungenfürsten. Sogar ohne Gesang wäre Melrose ein Erlebnis mit seiner sorgfältigen Rollenzeichnung und seinem athletischen, präsenten Spiel. Und wie er vor, während und nach wüsten Raufereien mit den Rheintöchtern, mit Wotan (Mika Kares) oder mit Loge (Peter Bronder) noch so wundervoll singen kann, ist geradezu unbegreiflich.

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Die Rheintöchter heißen Woglinde, Wellgunde und Floßhilde (Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonyté). und sie necken Alberich (Leigh Melrose), der sich an Gummipuppen anbarbeitet. (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Kohlenpott-Metapher

Während das sinnbildhafte Oben des Stoffes von der weißen Schloßfassade symbolisiert wird, läßt der Urgrund, wo die Nibelungen in ewiger Nacht hausen, ein Bergwerk assoziieren. Nicht Rheingold, sondern schwarzes Gold wird hier gewonnen, die üblich Kohlenpott-Metapher. Und da Alberich nun im Besitz des goldenen Ringes und einer geilen Tarnkappe ist, kann er mit schier unermeßlicher Macht viel Böses anrichten.

Die Ordnung der Welt bricht zusammen, in einem (insgesamt gesehen etwas schwachen) Intermezzo mit Gesellschaftskritik aus dem Megaphon verlassen viele Musiker die Bühne, weil sie’s irgendwie leid sind, erheben sich auch die Zuschauer links und rechts vom Bühnengeschehen, um dem Elend nicht weiter beiwohnen zu müssen. Hallo, liebe Frau Kritikerin von einer bedeutenden überregionalen Tageszeitung: Das sind Statisten! Das gehört zum Stühück! Das ist Absicht! Und deshalb geht es nach einigen Minuten auch mit Wagner wieder weiter, und alle Zuschauer sind wieder auf ihren Plätzen. Und die Musiker auch.

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Blick aus der Vogelperspektive auf das zerklüftete Bühnenbild von Bettina Pommer (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Ungeklärte Baufinanzierung

Spätestens mit diesem Zwischenspiel werden zwei konkurrierende erzählerische Linien erkennbar, die letztlich nicht verwoben sind. Da ist zum einen die globale Kapitalismuskritik (wenn es denn eine war) im kühnen Break, da ist zum anderen eine veritable Krimihandlung, die sehr viel stärker überzeugt. Trefflich ließe sich darüber streiten, wer in dieser wüsten Fantasy-Handlung der größte Schurke ist. Nichts Göttliches gibt es hier zu sehen, eher schon eine Parabel krimineller Inkompetenz.

Der Plot, mit Verlaub, ist irre: Obergott Wotan hat sich von den Riesen Fasolt und Fafner (Frank van Hove und Peter Lobert, beide ganz toll) die Götterresidenz Walhall errichten lassen, ohne auch nur einen Gedanken an die Baufinanzierung zu verschwenden. Sein alter Kumpel Loge hatte angedeutet, daß ihm schon irgendetwas einfallen würde, um sich vor der Zahlung zu drücken. Als Sicherheit dient den Riesen einstweilen Wotans Schwägerin Freia, die in nuttigem Outfit auf der Terrasse steht und immer deutlicher spürt, daß die Sache übel ausgehen wird.

Schließlich kommt Loge, doch eine Idee hat er nicht, außer eben, dem Nibelungen den Schatz abzutricksen. Was schließlich auch gelingt. Und das ist eigentlich eine Geschichte aus dem Luden-Milieu, wo Frauen geldwert hin und her verschoben werden. Hier haben alle Dreck am Stecken und zumindest einer (Alberich) sinnt auf Rache – so ein Mafia-Film schreit nach Fortsetzung.

Der Gesang der  Rheintöchter, einfach nur schön

Das Niederträchtige in dieser Handlung hat Johan Simons deutlich herausgearbeitet. Fast könnte man meinen, er und Wagner hätten sich vorher zusammengesetzt und das alles, stilvoll bei einigen Flaschen Rheingau-Riesling, zusammen ausbaldowert.

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Freia (Agneta Eichenholz, links) und Fricka (Maria Riccarda Wesseling) haben angesichts der Riesen kein gutes Gefühl. (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Der Stoff hätte auch noch brachialere Umsetzungen zugelassen; vermutlich, aber das ist eine Spekulation, hat sich Johan Simons zurückgehalten, um nicht der Schönheit der Musik zu schaden. Ach, der Gesang der Rheintöchter, fließend und schwerelos, nur schön. Woglinde, Wellgunde und Floßhilde heißen sie übrigens, gesungen werden sie von Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonyté. Den übergrifflichen Raufereien mit dem geilen Alberich leihen sie übrigens nur ihre schönen Stimmen, während für das Physische täuschen echt gemachte Gummipuppen zur Verügung stehen (resp. liegen).

Bettina Pommers Bühne, eher eine dreigeteilte Pfütze als ein Strom, läßt im Wasser Reste einer Stuckdecke erahnen, und schief und tief baumelt ein Kristalllüster darüber. Hätte man es vorher nicht gelesen, käme man wohl nicht darauf, daß es sich hier um die Reste eingestürzter Altbauten handeln soll. This is the end, doch ein imaginiertes Ende mit dem Anbeginn der Welt, um das es vorgeblich im „Rheingolds“ geht, zu verknüpfen, ergibt nicht wirklich einen Sinn, ist höchstens dialektisch wertvoll.

Ein Fall von Wagner-Delir?

Man weiß manchmal ja auch gar nicht, ob Richard Wagner das alles so bierernst gemeint hat. Verfolgt man (mühelos, dank tadellos funktionierenden elektronischen Texttafeln in Deutsch und Englisch) das gnadenlos alliterierende Libretto in seiner altertümelnden Künstlichkeit, vermeint man manches Mal den Meister vom grünen Hügel augenzwinkernd vor sich zu sehen. Ist vielleicht auch nur Wagner-Delir; doch das soll sich ja erst nach der achten Stunde einstellen. Aber bei Ungeübten…?




Fast ein Krimi – „Das Fleischwerk“ von Christoph Nußbaumeder in Bochum

Das Stück beginnt, wie könnte es heutzutage anders sein, mit großen Köpfen auf einer Videowand. Andrei aus Bulgarien skypt mit seiner schwangeren Frau im heimischen Dorf.

Erst auf den zweiten Blick gewahrt man den echten Andrei (Matthias Kelle), der sein Telefonat rechts in der Kulisse offenbar heimlich führt, geschützt unter einem Blätterdach. Er wähnt sich in Gefahr; von Unruhe im Fleischwerk erzählt er seiner Frau daheim, von nicht ausgezahltem Lohn und von geheimen Streikplänen. Und schon wissen wir, wo Christoph Nußbaumeders sein neuestes Stück „Das Fleischwerk“ angesiedelt hat.

"Das Fleischwerk": Szene mit Andrei (Matthias Kelle, li.) und Akif (Roland Bayer). (Foto: Arno Declair)

„Das Fleischwerk“: Szene mit Andrei (Matthias Kelle, li.) und Akif (Roland Bayer). (Foto: Arno Declair)

Immer wieder findet der aus Niederbayern stammende Bühnenautor des Jahrgangs 1978 die Themen seiner Dramen bei den kleinen Leuten, den Ausgebeuteten und Entrechteten. Hier sind es osteuropäische Arbeitskräfte, die in der deutschen Fleischindustrie für Hungerlöhne schuften und überdies noch um ihren Lohn betrogen werden. Und bei einem so didaktisch daherkommenden Einstieg fragt man sich als Zuschauer schon, was das wohl werden wird: Investigative Theaterarbeit, Bildungsfernsehen, Schulfunk? Zunächst sieht es durchaus danach aus.

Ein LKW-Fahrer lernt dazu

Nachdem das Videogespräch beendet ist, schickt Regisseur Robert Schuster nämlich seinen Star auf die Bühne, den Schauspieler Bernd Rademacher, der rein optisch etwas von Mike Krüger hat und den LKW-Fahrer Daniel Rabanta gibt. Er saß, stellt sich nach und nach heraus, wegen eines Totschlagsdelikts im Gefängnis und fand nach der Entlassung einen Job als Schweinekutscher. Für ihn ist das eine ganz neue Welt, die ihm (und uns) sogleich mit Nachdruck erklärt wird – vom unglücklichen Schweinemäster Weidenfeller (Günter Alt), vom Schlachthof-Vorarbeiter Georgi (Matthias Eberle) und in gewisser Weise auch von seiner Schwester Gabi (Anke Zillich), die sich um ihren antriebsschwachen Bruder sorgt und ihm damit auf die Nerven geht.

Doch dann verlässt die Handlung den Pfad der Belehrungen. Der zwielichtige Schlachthof-Subunternehmer Akif (Roland Bayer) kommt ins Spiel, der mit Rabanta Schnaps trinkt und vorsätzlich den Tod des aufrührerischen Andrei in der Gaskammer des Fleischwerks herbeiführt. Angetrunken fährt Rabanta des nachts eine junge Frau an, er nimmt sie mit zu sich nach Hause und versorgt ihre Wunden. Bald stellt sich heraus, dass sie Andreis Witwe Susanna (Minna Wündrich) ist, die von der Arbeiterin Valentina (Veronika Nickl) einen Brief bekam. Sie nimmt blutige Rache an Akif. Rabanta stirbt an Lungenkrebs, Gabi spricht letzte Worte, das Licht geht aus (und wieder an). Und das Publikum ist etwas unschlüssig, was es da in zwei Stunden ohne Pause eigentlich zu sehen bekommen hat.

Schauspielhaus Bochum   Foto: Jürgen Landes

Im Schauspielhaus Bochum erlebte „Das Fleischwerk“ von Christoph Nußbaumeder seine Premiere – genau genommen allerdings auf der Rückseite des Gebäudes, in den Kammerspielen. (Foto: Jürgen Landes/Schauspielhaus Bochum)

Subunternehmer, Frauenarzt

Eine aktionsreiche Handlung, ganz ohne Frage, hat Nußbaumeder sich ausgedacht, einen Krimi im Fleischverarbeitungs-Milieu. Doch ein Krimi ist dies nur, weil es Verbrechen gab, nicht etwa, weil deren Auflösung zu irgendeinem Zeitpunkt spannend gewesen wäre. Der fade Nachgeschmack hat sicherlich aber auch mit der Inszenierung zu tun, die sich personell zu sehr auf den tadellos aufspielenden Bernd Rademacher verlässt. Auf eine ähnlich differenzierte Zeichnung des verbrecherischen Subunternehmers Akif Kral verzichtet sie jedoch leider. Hart und unnahbar gibt ihn Roland Bayer und blendet so die tragischen Dimensionen der Person weitgehend aus. Was wäre er geworden, wenn sich die Dinge normal entwickelt hätten, fragt Rabanta ihn bei einem ihrer Schnapstreffen. „Frauenarzt in Teheran“ antwortet Akif, und das scheint er ernst zu meinen. Doch dieser Wortwechsel bleibt ein textlicher Solitär.

Blutleerer Schlachthof

Eigentümlich wirkt das durchaus aufwendige Bühnenbild (Sascha Gross, auch Kostüme), das einerseits aus Rabantas etwas verwahrloster Junggesellenbehausung besteht, andererseits aber auch diverse elektrische Förderanlagen aufbietet. Sie werden nach vorne gezogen, prominent aufgestellt und in Gang gesetzt, wenn Fleischwerkszenen zur Vorführung gelangen. Sie bleiben im wörtlichen wie im übertragenen Sinne völlig blutleer, wirken zudem auch im Betrieb kaum bedrohlicher als eine Tiefkühltruhe, und man fragt sich nach dem Sinn des erheblichen technischen Aufwands.

Nicht zu sehen gab es an diesem Abend, was man nach Titel und Inhaltsankündigung auch hätte erwarten können: den empörten Aufschrei der Tierschützer, der Globalisierungsgegner, der Veganer, und man hat ihn auch nicht vermisst. Überhaupt hatten nicht sehr viele Menschen irgendwelche Erwartungen an dieses Stück. Die Zahl der leeren Plätze im Zuschauerraum war am Premierenabend beunruhigend hoch.




Feine Töne, dicke Mauern – Klangkunst in Haus Kemnade

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Kemnade_klingt! Wenigstens hier und da. Und ein Logo hat die Klangschau auch. (Foto: Kunstverein Bochum)

Wenn sich das batteriebetriebene Motörchen in Gang setzt, dann lässt es an federndem Stab eine kleine Holzkugel über die Stahlsaiten des alten Klaviers tanzen, und einige unbeholfene Töne entstehen. Der Motor wird elektronisch ein- und ausgeschaltet, entsprechend schwingen oder schweigen die Saiten. Fünf historische Klaviere im Raum sind mit einer solchen technischen Installation ausgestattet, so dass, wenn im Wechsel sie erklingen, der Eindruck von Kommunikation entsteht.

Stephan Froleyks, Jahrgang 1962, der am Niederrhein und in Münster lebt, hat sich diese Klanginstallation ausgedacht, die die Besucher ins Grübeln bringen kann über Klang, Geräusch, Musik, über Signale jenseits der Stille. Zu sehen und zu hören ist sie bis zum 18. Oktober in Haus Kemnade in Hattingen. Acht Künstlerinnen und Künstler präsentieren in Museumsräumen, in denen Musikinstrumente der Sammlung Grumbt ausgestellt sind. Arbeiten unter dem Titel „Kemnade klingt!“.

In den Siebzigern war Kemnade bekennend multikulti

Für den Bochumer Kunstverein als Ausrichter ist dieses Projekt fast schon eine Nummer zu groß. Deshalb preist sein künstlerischer Leiter Reinhard Buskies voller Dankbarkeit die beiden privaten Hauptsponsoren, die Beckumer Marianne-Blumenbecker-Stiftung und die Herdecker Richard-Dörken-Stiftung. Und man erinnert sich, dass es in dem alten Wasserschloss schon oft „geklungen“ hat – seit den frühen 70er-Jahren nämlich, als hier das „Ausländer-Festival“ unvergeßliche multikulturelle Musikmarken setzte.

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Der Ruhrsandstein klingt – jedenfalls vor dieser Mauer, für die Denise Ritter einen speziellen Soundtrack geschaffen hat. Der O-Ton dafür kam aus dem Steinbruch Grandi in Herdecke. (Foto: Stadt Hattingen)

Zurück zum Kemnade-Sound von heute, der nun aus dem Museum kommt und entschieden minimalistischer ist als das vielfältige Festivalgeschrammel von einst. Sparsamkeit prägt das Bild, was weniger einem Arte-povera-Konzept als der ökonomischen Notwendigkeit geschuldet zu sein scheint. So müssen in Simone Zauggs Installation „Luegit vo Bärg u Tal“ Aluleitern die Alpen geben. Oben auf ihnen sind Lautsprecher mit Bewegungsmeldern installiert, und wenn diese Bewegung melden, weil ein Ausstellungsbesucher, was ausdrücklich erlaubt ist, eine Leiter erklommen hat, dann erklingt nämliches Volkslied aus der Konserve, gesungen von der Berner Künstlerin (Jahrgang 1968) persönlich. Der Titel, man ahnte es, ist Schweizerdeutsch und lautet übersetzt in etwa „Blick vom Berg ins Tal“. Wenn zeitnah mehrere Leitern erklommen werden, wird der Gesang polyphon. Dann grüßen sich gleichsam die Alpengipfel, und das klingt schön und seidig durch den Raum und ist leider schnell wieder vorbei. Bis der Bewegungsmelder wieder anschlägt.

Vielstimmiges produziert auch Mathilde ter Heijnes Anordnung von Transistorradios. Leise beginnend ballen historische Brandreden verschiedener Politiker sich schließlich zu einem aufwühlenden Crescendo. Man erkennt die Absicht, doch die Optik des Werks enttäuscht, bietet nicht mehr als kümmerliche Gerätschaften und Strippengewirr auf einigen Quadratmetern Museumsboden. Auch wenn dies fraglos eher eine Veranstaltung für die Ohren ist, wäre etwas visuelle Sinnlichkeit nicht zu verachten.

Grillen im Lautsprecher machen Geräusche

In der Arbeit des Wahlberliners Nik Nowak (Jahrgang 1981) sieht man die Klangerzeuger gleich gar nicht. Dabei sind sie zugegen, und originell sind sie zudem. Nowak nämlich fängt – in zugesichert artgerechter Haltung! – typische Geräusche von Grillen ein, die er verstärkt und durch Frequenzbearbeitung für das menschliche Ohr hörbar macht. Die Grillen sitzen derweil unsichtbar in ihrem Terrarium – in einem zackigen, feindselig wirkenden Lautsprecher-Kubus aus schwarzem Schaumstoff.

Torsten Bruch (Jahrgang 1973) zeigt zwei Videoarbeiten, in denen zum einen vier Chinesen „Die Gedanken sind frei“, zum anderen eine Strophe für Strophe wachsende Kombo das Kinderlied „Laurentia“ singen. Das ist lustig und auch hintersinnig, aber nicht unbedingt eine Kunst, die größere Aha-Erlebnisse zeitigt.

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Haus Kemnade beherbergt unter anderem die Musikinstrumentensammlung Grumbt. Einige dieser Instrumente erklangen für Tommy Finkes Musikstück. (Foto. Stadt Hattingen)

Schließlich trifft man im Inneren des alten Wasserschlosses auf die Klanginstallation von T.D. Finck von Finkenstein. Er hat, ist zu erfahren, im Haus Klänge alter Instrumente gesammelt, diese im Studio überarbeitet und zu einem recht süffigen Soundtrack mit lockerer Rhythmusunterlage verrührt. Wir erleben also das Werk eines Musikers, und da kann es nicht mehr erstaunen, dass sich hinter dem barocken Namensungetüm der in Bochum recht bekannte Musiker Tommy Finke verbirgt, der ab der kommenden Spielzeit im Dortmunder Schauspielhaus als musikalischer Leiter die Nachfolge Paul Wallfischs antreten wird.

Draußen vor der Burg hat Dodo Schielein, 1968 in München geboren, eine Art Akustik-Parcours geschaffen; „music for ears/Musik für zwei Ohren“ hat er ihn genannt, eine „Handlungsanweisung“ (Untertitel). Die real existierenden Handlungsanweisungen finden sich auf wetterfesten Informationstafeln am Wegesrand, und mit Kemnade hat das nur wenig zu tun. Schielein lehrt die Menschen, sich der akustischen Wahrnehmung ihrer Umwelt bewusst zu werden oder auch sie zu beeinflussen, indem sie beispielsweise die Hände zu Ohrmuscheln formen.

Der Ruhrsandstein klingt

Und schließlich ist da noch Denise Ritter (Jahrgang 1971), die von langen Pausen unterbrochen das alte Kemnader Gemäuer mit einem speziellen Soundtrack beschallt. Ihr geht es um eine intensivere Wahrnehmung von Stein, Gebäude, Naturraum und Umgebung in ihrer engen Bezüglichkeit – und ein wenig auch im Unterschied zu dem, was heutzutage in dem alten Gemäuer geschieht. Der Mix aus Museum, Naherholungsziel, Standesamt, Baudenkmal und Gaststätte scheint ihr eine „kuriose Nutzung“ zu sein, wiewohl alternativlos. Der Sound – im Studio nachbearbeitet – kommt aus dem Steinbruch „Grandi“ in Herdecke, der als einer der letzten noch Ruhrsandstein abbaut – das lokale Material, aus dem auch Kemnade einst errichtet wurde. Wie immer man dies findet: Indem sie den Ausstellungsort akustisch reinszeniert, ist Denise Ritters Arbeit die einzige, die sich dezidiert mit ihm befasst.

Politisch-kritische Valeurs sind bei den ausgestellten Arbeiten nicht sehr ausgeprägt, sieht man einmal von Bruchs „Die Gedanken sind frei“ singenden Chinesen oder Mathilde ter Heijnes gesammelten Reden ab. Eher beschleicht einen wiederholt das Gefühl, es mit etwas blutleeren Fingerübungen zu tun zu haben, mit fein hergebastelten Arbeitsproben. Allerdings haben sparsam ausgeführte, konzeptionelle Arbeiten wie diese es auch besonders schwer, zu bestehen, sind sie doch der Möglichkeit beraubt, Ideenarmut hinter bombastischer Inszenierung zu verstecken. Jedenfalls bleibt der Kemnader Schau das Verdienst, eine tonlose Sammlung von Musikinstrumenten um etliche Töne zu bereichern. Für einige Zeit jedenfalls.

  • Haus Kemnade, An der Kemnade 10, 45527 Hattingen
    Tel. 02324 – 30268
  • Anfahrt: A 43, Abfahrt Witten-Herbede, Richtung Hattingen
  • Bushaltestelle: Hattingen, Haus Kemnade [Linie CE31]
  • Öffnungszeiten:
    Do. – So., 11 – 17 Uhr (Nov. – April)
    Do. – So., 12 – 18 Uhr (Mai – Okt.)