Mit Glanz und Gloria: Gabriel Feltz, Johannes Moser und die Dortmunder Philharmoniker

Die Dortmunder Philharmoniker. Foto: Magdalena Spinn

Die Dortmunder Philharmoniker. Foto: Magdalena Spinn

Carl Maria von Weber vermerkte einmal, das Anschauen einer Gegend sei ihm wie die Aufführung eines Musikstücks. „Ich erfühle das Ganze, ohne mich bei den es hervorbringenden Einzelheiten aufzuhalten …“ Dortmunds Generalmusikdirektor Gabriel Feltz hat diese ästhetische Äußerung Webers wohl etwas zu wörtlich genommen: Die Konzertouvertüre „Der Beherrscher der Geister“ rauscht zu Beginn des Achten Philharmonischen Konzerts in angemessenem Presto vorüber, entbehrt aber jeglicher Binnengestaltung.

Carl Maria von Weber auf einer Darstellung des 19. Jahrhunderts.

Carl Maria von Weber auf einer Darstellung des 19. Jahrhunderts.

In den Tutti denunziert Feltz Webers Orchester als bloßen Lärm, das spannungsvoll tremolierende Crescendo verpufft ohne Wirkung, die Oboe singt, aber schwingt nicht und der abschließende majestätische Choral der Blechbläser bleibt steif. Nicht toll, dieser Konzerteinstieg der Dortmunder Philharmoniker und ihres Chefs.

Die dynamische Unbeherrschtheit schwappt auch noch in den Beginn des Cellokonzerts Antonín Dvořáks hinein, legt sich dann aber, als das Horn sein sehnsuchtsvolles erstes Solo intoniert. Mit den tiefen Streichern gelingen herbe Klangmischungen. Feltz zeigt jetzt, dass er Orchesterfarben passend abmischen kann. Den Beginn des zweiten Satzes phrasieren die Bläser mit weitem Atem. Doch wenn sie von der Pauke flankiert losbrechen, dröhnt das, gemessen am Ton des verhalten gestaltenden Solisten, wieder zu vehement.

Große Kunst am Cello: Johannes Moser. Foto: Uwe Arens

Große Kunst am Cello: Johannes Moser. Foto: Uwe Arens

Der Solist Johannes Moser nähert sich diesem Juwel in der Krone des Repertoires auf ungewohnten, aber schlüssigen und reflektierten Wegen. Bei Moser stehen nicht opulenter Klang und satte Farbe im Vordergrund, auch nicht das Prunken mit einer unfehlbaren Spieltechnik. Sein Dvořák erweist sich als musikalisch durchdrungen, formbewusst angelegt und dann erst, sozusagen auf der zweiten Ebene, mit einem fabelhaften Reichtum an Nuancen und Klangfärbungen gestaltet.

Für den Beginn wählt er einen sämigen, vielleicht etwas zu druckreichen Ton, aber die raschen, kurznotigen Teile des Allegro-Satzes sind präzis ausmodelliert und sicher intoniert. Das schimmernde Mezzoforte der kantablen Episoden erreicht Moser mit einem schnellen, feinen Vibrato – so charakterisiert man Töne! Wenn das Thema im Pianissimo wiederkehrt, beleuchtet er den Klang wieder neu und überraschend.

Mosers melodische Linien sind rein und auf erfrischende Art „sachlich“ gefasst; er schmachtet nicht und meidet das Portamento als allzu feiles Ausdrucksmittel. Sehr verhalten und ohne Anflug von Selbstdarstellung spielt er die Kadenz; er bestätigt damit, wie er das Konzert sieht: als eine Art Requiem Dvořáks für seine Jugendliebe und Schwägerin Josefina Kaunitzová. Deutlich wird diese wehmütige, melancholische Haltung auch im Dialog mit der Solovioline von Shinkyung Kim; der Ton erstirbt in die Finalakkorde des Orchesters hinein. Mit dieser profilierten Deutung hat Moser das Cello-Konzert überzeugend erschlossen.

Dortmunds GMD Gabriel Feltz. Foto Magdalena Spinn

Dortmunds GMD Gabriel Feltz. Foto Magdalena Spinn

Zum Abschluss eine erfreulich unkonventionelle Wahl: César Francks gewichtiger Beitrag zur Gattung der Symphonie. Selbstredend kosten Feltz und die Philharmoniker vor allem die leidenschaftlichen Steigerungen, die brachialen Aufbrüche, die machtvolle Vehemenz der zyklisch in immer wieder neuem Licht erscheinenden thematischen Einfälle aus. Das geht zu Lasten des impressionistischen Aspekts der Musik Francks, der finessenreichen Farbenspiele, der immer wieder chromatisch unsteten, nervösen Momente, die etwa zu Beginn des zweiten Satzes nicht recht gelingen wollen. Glanz und Gloria behalten die Oberhand und heizen das Publikum im Konzerthaus an, das Orchester und seinen Dirigenten überwältigt zu bejubeln.

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Moser hat das Dvořák-Konzert 2015 übrigens auch aufgenommen. Die CD ist beim Label Pentatone erschienen; die Prager Philharmoniker leitet der künftige Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Jakob Hrůša.

Nächstes Philharmonisches Konzert in Dortmund am 24./25. Mai. Axel Kobert dirigiert Anton von Weberns „Im Sommerwind“. Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ und das Violinkonzert Ludwig van Beethovens mit Sophia Jaffé als Solistin. Karten: (0231) 50 27 222, www.theaterdo.de




Für Kenner und Genießer: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon in Wuppertal

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Drei Programmteile hat der Abend in der historischen Wuppertaler Stadthalle, wie es sich für ein anständiges Kammerkonzert gehört. Drei Mal erklingt Musik der Spätromantik, komponiert in den Jahren 1886/87.

Man bewundert, wie fruchtbar damals das musikalische Schaffen in Europa war, und man fragt sich gleichzeitig, ob diese Abfolge nicht zu einförmig werden könnte. Denn so fundamental unterscheiden sich die Werke von Antonín Dvořák, Edvard Grieg und César Franck nicht, dass sie markante Kontraste aufreißen könnten.

Die Gefahr des durchgängigen, sich nur gelegentlich erregt vergessenden Lyrizismus ist in der Tat gegeben. Nur: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon, die Stars des Abends, wissen, wie man das Zuschnappen der Fallen vermeidet. Ihre Methode ist nicht, die latenten Kontraste zu vergrößern (und damit unter Umständen zu vergröbern), sondern sie subtil zu verfeinern.

Es ist eine Methode für Kenner und Genießer, wie man sie im „Silver Circle“ des Klavier-Festivals Ruhr vermuten möchte. Denn für diesen kulturstützenden Personenkreis sollte das Wuppertaler Konzert ein Dankeschön sein – eines, an dem freilich jeder teilnehmen konnte. Eine Chance, die sich viele Wuppertaler seltsamerweise entgehen ließen: Der Saal hatte noch Kapazitäten frei.

Renaud Capuçon hat in diesem Jahr mit Violinkonzerten von Brahms und Saint-Saëns in Essen nahegelegt, ihn zu den derzeit weltbesten Geigern zu zählen. Ein Eindruck, der sich in Wuppertal bestätigt. In Dvořáks „Vier romantischen Stücken“ lässt er seinen herrlich erfüllten Ton herrschen: einen vollen, leuchtenden, aber nie zu pastosen Klang, substanzvoll bis in die ätherischen Bereiche des Flageoletts, fern von ordinärer Verruchtheit in den tiefen Tönen der G- und der D-Saite. Aber Capuçon gefällt sich auch nicht in klassizistischer Politur. Er phrasiert lebendig, mit glänzend austariertem Atem: Der Zuhörer sitzt auf der Stuhlkante und wird mitgetragen auf den Kulminationspunkt der Spannung.

Khatia Buniatishvili wirkt wie eine Kundry des Klaviers: „Dienen, dienen“ scheint ihre Haltung, wenn sie sich bei Dvořák in weichen, locker perlenden Akkorden zurücknimmt und dem Geiger den leuchtend lachenden Auftritt gönnt. Aber dann, im „Allegro maestoso“ des zweiten Stücks, emanzipiert sie sich, reagiert auf den tänzerisch angehauchten Rhythmus mit markantem Zugriff, greift die Schattierungen im Ausdruck der Violine auf und spiegelt sie zurück: Ein Dialog mit Sensibilität und Temperament – Eigenschaften, die wir bei den Auftritten der georgischen Pianistin seit ihrem Klavier-Festival-Debüt 2009 immer wieder bewundern. Und Tugenden, die sich in Edvard Griegs c-Moll-Violinsonate (op.45) und César Francks Hauptwerk der kammermusikalischen Geigenliteratur aufs Schönste bewähren.

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Zum Beispiel im ersten Satz der Grieg-Sonate, die der Komponist „appassionato“ gespielt haben will: Capuçon und Buniatishvili leiten daraus keine Aufforderung zu vordergründiger Expression ab. Sie stützen mit dunkel-rauchigen Klängen, mit feinstem, durch das Pedal verflüssigtem Silber den hochromantischen Tonfall, aber sie bleiben stets geschmackvoll beherrscht. Die edle Phrasierung, die bewusst eingesetzte Agogik triumphieren: Minutiöse Kontrolle der Ausdrucksmittel ist Voraussetzung für eine gedankenverloren-träumerisch wirkende Interpretation.

So wird auch César Francks expressiver Überschwang in ein Konzept gebunden und damit von der Anmutung kitschiger Unmittelbarkeit frei gehalten. Andere Geiger steigen mit mehr „espressivo“ in das Werk ein, aber Renaud Capuçon bevorzugt einen neutralen, abwartenden Ton, den er erst im Lauf des Allegretto-Satzes intensiviert.

Der leicht verschwommene Klavierton – bedingt durch die Akustik des Raumes – passt in diesem Falle trefflich, begünstigt die Entfaltung der Farben eher als die analytische Konturierung des Klaviersatzes. Jetzt hat Khatia Buniatishvili auch die Gelegenheit, rauschende Kraft und zupackende Pranke zu zeigen. Das genießt sie, ohne das Maß der Musik zu vergessen.

Fritz Kreislers „Liebesleid“ beendet als Zugabe den Abend – ironische, aber nicht desavouierende Verneigung vor einer Romantik, die am Ende nur noch in ihren Salon-Ausläufern überlebensfähig war.

Das Programm wird in einem Konzert der Philharmonie Essen am 30. April 2015 erneut gespielt. Infos: http://www.philharmonie-essen.de/konzerte/event/60309.htm